Willst du glücklich sein, dann lerne erst leiden

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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Schreckus
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Beitrag: # 414869Beitrag Schreckus
12.3.2007 - 19:08

20.
Heute begann für unser Team ebenfalls die Baskenlandrundfahrt.
Dieses Rennen gehört zwar zur Pro-Tour, stellt für uns aber kein Saisonziel dar. Dementsprechend erhielten unsere startenden Fahrer auch die Anweisung, nicht die äußersten Kraftreserven anzutasten.
Für uns starten acht Fahrer. Darunter war auch Johann, was mich persönlich sehr freute, da er endlich für ein wichtiges Rennen nominiert wurde. Als Klassementfahrer waren Miguel und Axel vorgesehen. Beide waren zuvor im Trainingslager gewesen, um sich gemeinsam auf die noch folgenden hügeligen Klassiker einzustimmen. Für beide galt es, bei dieser Rundfahrt weiter Form aufzubauen und sich nicht auf einen Rundfahrtsieg zu konzentrieren.
Auch ich konnte mich nicht voll auf den Verlauf der Rundfahrt konzentrieren, weil ich mit Ryder und Daniel mein Training intensivierte.
Das Fernsehen in der Schweiz übertrug auch nur zwei der sechs Etappen der „Vuelta ciclista al Pais Vasco“ live, welche ich mir natürlich auf Video aufnahm.

Seit ich bei Phonak unterschrieben hatte, wohnte ich in der Schweiz. Dies lag zum einen daran, das ich hier alle meine bevorzugten Terrainarten vorfand, zum anderen aber auch daran, dass Ryder und Daniel bereits auch hier wohnten. Ich fühlte mich hier pudelwohl und das Arbeiten mit meinen beiden Trainingspartnern machte mir Spaß.
Wir hatten noch ungefähr bis zum 10.04.2006 Zeit, unser Training nach den vorgegebenen Trainingsplänen zu absolvieren, bevor wir dann nach Deutschland fliegen und uns dort auf „Rund um Köln“ vorbereiten sollten.
Ich persönlich freute mich riesig auf dieses Rennen. Endlich konnte ich mal wieder bei einem so traditionellen Eintagesrennen starten und ich war schon jetzt gespannt auf die Atmosphäre und den Publikumsandrang.
Ich glaube, es macht jeden Fahrer stolz, bei seinem Heimatrennen zu starten. Und so konnte ich auch Daniel verstehen, der schon ganz unruhig auf den Starttag der Tour de Romandie hinarbeitete.
Schon jetzt standen einige Interviewtermine vor Tourbeginn fest, und Daniel dachte sich jetzt schon potentielle Fragen aus und überlegte sich die darauf am besten passenden Antworten.
Ich bemühte mich, seine Konzentration trotzdem auf das Training zu lenken, allerdings fällt mir das bei einem 18jährigen Jungen, der noch allerhand Flausen im Kopf hat, wirklich schwer. Aber mit Ryder hatte ich ja einen Kollegen an der Hand, der öfter mal laute Worte fand und die Aufmerksamkeit von Daniel auf diese Weise binden konnte.
Es würde noch ein hartes Stück Arbeit werden…soviel war mir klar. Aber das wusste ich ja eigentlich von Beginn an…und kannte es ja auch von mir selbst am Besten.
Zuletzt geändert von Schreckus am 18.3.2007 - 9:33, insgesamt 1-mal geändert.

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Schreckus
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Beitrag: # 415448Beitrag Schreckus
17.3.2007 - 9:38

21. Rückblick
Ende 1997 fasste ich all meinen Mut zusammen und bat bei der Teamführung um ein Gespräch. Mein Ziel dabei war es, im darauf folgenden Jahr möglichst wieder in die Mannschaft eingebunden zu werden.
Ich bat meinen Trainer, bei der Besprechung anwesend zu sein und dort in einer Kurzübersicht meinen Trainingsplan darzustellen. Außerdem hatte ich vor, die Teamführung zu bitten, mir einen Trainer für die taktischen Belange zur Seite zu stellen.
Aufgrund meines schlechten Gewissens bezüglich meiner eigenmächtigen Vertragsverlängerung hatte ich im Übrigen vor, folgende Kompromisse einzugehen:
Ich wollte auf ca. ¾ meines Gehaltes verzichten und hatte außerdem vor, mich bei meinem kompletten Team, bei den Fans und bei der Teamführung persönlich und öffentlich zu entschuldigen. Außerdem wollte ich meinen Status als vermeintlicher „Rennkapitän“ aufgeben und stattdessen nur als so genannter „Wasserträger“ vertraglich gebunden werden.
Als Gegenleistung erhoffte ich mir, wieder als vollwertiges Mitglied der Mannschaft eingesetzt zu werden, und nur anhand meiner Leistungen beurteilt zu werden.
Aufgrund des gut dotierten Vertrages blieb mir auch bei Verzicht auf ¾ des Gehaltes noch genügend Geld, um mein Leben sehr gut finanzieren zu können.

Bereits zwei Tage vor dem Treffen war ich sehr nervös. Ich hatte mit meinem Trainer alle erdenklichen Gesprächsverläufe durchgeplant, trotzdem hatte ich geradezu Panik.
Meine größte Angst war, dass man mir trotz meiner Zugeständnisse kein Vertrauen schenken würde.
Ein weiteres Jahr ohne vernünftige Deckung durch das Team würde ich nicht aushalten und würde das Aus für meine Karriere bedeuten. In dem Punkt war ich mir mit meinem Trainer einig.

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Schreckus
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Beitrag: # 415542Beitrag Schreckus
18.3.2007 - 9:32

22. Rückblick
Die weiße Toilettenschüssel grinste mich förmlich an. Dieser Anblick reichte dann vollkommen aus, mich zu übergeben.
Das Gespräch hatte heute stattgefunden.

Zu meinem Erstaunen erschienen neben der Teamleitung, dem Manager und einem Dolmetscher des Teams auch der Pressesprecher, die Cheftrainer sowie der von der Mannschaft gewählte Vertrauensmann und dessen Stellvertreter. Auch der Teamarzt war anwesend. Im Grunde genommen jeder, der im Team in irgendeiner Art etwas zu sagen hat.
Als ich die Menschenmasse den Besprechungsraum entern sah, wurde mir übel und ich fing an zu zittern. Mein Trainer versuchte mich zu beruhigen, indem er erklärte: „Wenn so viele Personen an diesem Gespräch teilnehmen, scheinst du denen zumindest nicht unwichtig zu sein. Und wenn du denen nicht unwichtig bist, dann haben wir heute eine reelle Chance, mit einem lachenden Auge hier raus zu kommen.
Ich sah die Sache weniger optimistisch.
Zu meinem Erstaunen wurde ich beim Eintreten von jeder Person mit Handschlag begrüßt.
Ich fasste ob der unerwarteten Geste neuen Mut.
Nachdem das Gespräch eröffnet war, fing ich an zu erzählen.
Ich erklärte zunächst, was in den letzten Jahren aus meiner Sicht schief gelaufen war. Ich zeigte die von mir gemachten Fehler auf, kritisierte mein eigenes Verhalten sowie das meines Managers und entschuldigte mich für meine unprofessionelle Arbeitsweise.
Der Manager dankte mir daraufhin für meine Sicht der Dinge und wies darauf hin, dass meine Darstellung der Dinge auch der Sicht der Mannschaftsleitung entspricht. Zumindest hinsichtlich der von mir gemachten Fehler gab es also keine Meinungsverschiedenheiten…
Er forderte mich daraufhin auf, nun auch den Kern meines Gesprächswunsches zu erläutern.
Ich fing also an, meine Entwicklung darzustellen und zu betonen, dass ich aus meinen Fehlern gelernt habe und nun verantwortungsbewusst mein Engagement weiterführen wolle. Außerdem erklärte ich, dass ich von nun an wieder ein Teil der Mannschaft sein wolle.
Daraufhin wurde mir erklärt, dass man diese Einstellung von mir bereits von Beginn meines Vertrages an erwartet hätte und man nun nicht sicher sei, ob ich dies tatsächlich auch ernst meine, zumal man mir bereits vorher nahe gelegt hätte, das Team zu verlassen.
Ich verlor zusehends meinen Mut. Ich bat darum, sich meine Zugeständnisse anzuhören. Nachdem ich präsentierte, welche Einschnitte ich persönlich für mich in Kauf nahm, dass ich bereit war, mich persönlich und öffentlich zu entschuldigen und mein Trainer den neuen Trainingsplan vorstellte, kam so etwas wie Regung in meine Gesprächspartner.
Ich schloss meine „Rede“ damit, dass ich um eine Chance bat, meine Fehler wieder gut zu machen.
Trotzdem sah ich immer noch den Unwillen in den Augen meiner Gesprächspartner.
Man bat sich drei Stunden Bedenkzeit aus und verabredete, dass man sich dann wieder in diesem Besprechungsraum wieder trifft.

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Schreckus
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Beitrag: # 415599Beitrag Schreckus
18.3.2007 - 15:23

23. Rückblick
Nachdem ich den Besprechungsraum verlassen hatte, merkte ich, dass ich nass geschwitzt war. Laut Aussage meines Trainers war ich außerdem noch kalkweiß und am Zittern.
Er führte mich zu einem Sessel…aber plötzlich machte sich ein Gefühl in meinem Magen breit, welches mich veranlasste, sofort die Toilette aufzusuchen.
Nachdem ich mich übergeben hatte, wusch ich mein Gesicht und meine Hände. Mein Anzug war vollkommen durchgeschwitzt.
Als ich die Toilette nach ca. einer Viertelstunde verließ und zu meinem Trainer zurückging, war er nicht mehr da!
Ich war zuerst verwundert, erkannte aber dann relativ schnell, dass er sich wieder im Besprechungsraum bei den Verantwortlichen des Teams befand.
Als er sah, dass ich wie blöd zu ihm hinstarrte, grinste er mich an und winkte mich rein.
Nachdem ich mich wieder gesetzt hatte, kam der Teamarzt auf mich zu und fragte, ob alles in Ordnung sei.
Dies verneinte ich. Ich fühlte mich hundeelend.
Nachdem er mir ein Päckchen Traubenzucker gegeben hatte, flüsterte er mir noch ins Ohr: „Gleich geht´s wieder besser“ und zwinkerte mir zu, bemühte sich dabei aber, möglichst finster drein zu schauen.
Ich blickte in das Gesicht meines Trainers, erkannt darin aber keine Regung.
Der Teammanager ergriff daraufhin das Wort und sagte, dass man sich bei der internen Besprechung sehr schnell einig gewesen sei. Nach einer theatralischen Pause, die ob meines Zustandes einen bösen Blick vom Arzt nach sich zog, fuhr er fort.
Man habe gemerkt, dass ich eine Wandlung vollzogen hätte. Es hätte den Anschein, ich sei erwachsen geworden. Man sei bereit, mich wieder in das Team einzubinden und, abhängig von meinen Leistungen, auch Nominierungen für wichtige Rennen zuzulassen.
Man wolle aber einen neuen 1-Jahres-Vertrag aufsetzen, der die von mir angebotene Gehaltskürzung beinhalte. Es soll dort aber auch ein Prämiensystem vorhanden sein, welches mir bei Siegen entsprechendes Geld bringen könnte. In dem Vertrag soll außerdem fixiert werden, dass das Team eine Verlängerungsoption für ein Jahr zu gleichen Bezügen erhält.
Zuletzt erwarte man von mir, dass ich mich persönlich bei der Mannschaft entschuldige. Eine Entschuldigung in der Öffentlichkeit (z.B. in der Presse) wäre nicht notwendig, da dies möglicherweise alte Wunden bei Fans aufreißen könnte.
Die Teamleitung selbst sähe dieses Gespräch heute als Entschuldigung an und lege wert darauf, dass das Vertragsangebot auch als Annahme der Entschuldigung zu verstehen sei.
Man verspräche sich aufgrund meines damaligen Talentes und aufgrund der neuen Trainingspläne noch einiges von mir.
Ich war überglücklich, aber kaum in der Lage, mich zu freuen.
Ich merkte zwar, dass ich redete, aber ich weiß nicht mehr was. Danach wurde mir schwarz vor Augen.

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Schreckus
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Beitrag: # 416876Beitrag Schreckus
25.3.2007 - 20:01

24. Baskenland-Rundfahrt (2. Etappe: Irun - Seguna)

Von der ersten Etappe der Baskenlandrundfahrt bekam ich relativ wenig mit und hörte nur kurz im Radio, dass die Etappe durch Fabian Wegmann entschieden wurde. Zweiter wurde Samuel Sanchez Gil von Euskatel und Dritter, zu meiner Überraschung, wurde Miguel. Er schien sich also wohl zu fühlen.

Die zweite Etappe von Irun nach Segura führt ebenfalls durch hügeliges Terrain und wurde live übertragen.

Bild

Da ich zu dem Zeitpunkt trainierte, schaute ich mir die Etappe abends als Aufzeichnung an.

Das Rennen begann sehr unruhig, und die erste Ausreißergruppe versuchte bereits nach ca. 15km, sich abzusetzen. Unter ihnen war auch unser Schweizer Meister Martin Elminger.
Allerdings machte das Feld sofort Druck, so dass der Ausreißversuch genauso schnell beendet war, wie er begonnen hatte. Danach war erstmal Ruhe im Peloton, und die größte Führungsarbeit wurde durch Gerolsteiner durchgeführt, allerdings in einem sehr mäßigen Tempo.
Gerade, als ich mich fragte, ob die Ausreißer heute keine Lust mehr hätten, griff ca. 100 km vor dem Ziel eine Gruppe an, in der sich u.a. Guerini und Fofonov befanden.
Aber auch Rabobank, Milram und drei andere Mannschaften waren vertreten.

Bild

Diese Gruppe konnte sich erst einmal vom Feld absetzen und fuhr einen Maximalvorsprung von ca. 5 Minuten heraus, bevor sie auseinander riss. Gleichzeitig hatte neben Gerolsteiner, die Wegmann in Position bringen wollten, nun auch CSC in die Führungsarbeit eingegriffen und das Tempo im Feld wurde immer schneller. Schon bildeten sich die ersten Gruppettos und immer mehr Fahrer mussten im Peloton reißen lassen.
Das Feld konnte den Abstand zur Spitze, die mittlerweile nur noch aus Guerini bestand, immer weiter verringern.
Am letzten Anstieg geschah dann ein taktisches Meisterstück, bei dem ich durchaus die Handschrift unseres sportlichen Leiters erkennen konnte.

Gerade als sich CSC anschickte, ihren Kapitän Schleck nach vorne zu bringen, griff Axel an. Er und Miguel hatten sich schon die ganze Zeit dicht an der Spitze des Feldes aufgehalten und hatten scheinbar einen perfekten Moment abgepasst.
Axel forcierte den Angriff wohl mit der Intention, mögliche Gegner für Miguel zu locken. Und tatsächlich ging Danilo di Luca sofort an das Hinterrad von Axel und verfolgte ihn.
Dies ließ sich auch Miguel nicht zweimal sagen und startete einen Gegenangriff. Axel hatte anscheinend schon vorher bemerkt, dass er am heutigen Tag nicht so gute Beine hatte, denn er musste nach der Forcierung des Angriffs abreißen lassen, so dass nur noch Miguel und di Luca vorne waren.
Mit einem schon ziemlich deutlichen Abstand versuchten noch weitere Fahrer, hinterher zu springen.

Bild

Di Luca und mein Teamkollege erreichten kurz nach der Hügelkuppe Guerini und die drei Fahrer bogen auf die Zielgerade ein. Es gab ein kurzes Pokern um den Sprintantritt, letztlich startete Miguel zuerst.
Weder di Luca noch Guerini waren in der Lage, die Verfolgung aufzunehmen.

Bild

Letztendlich gewann Miguel vor Bradley McGee von Francaise des Jeux und vor Danilo di Luca. Guerini wurde nur noch Siebter und konnte sogar noch von Axel überholt werden.

2. Etappe:
1 Miguel Ángel M. Perdiguero PHO 4h01'38
2 Bradley Mc Gee FDJ s.t.
3 Danilo Di Luca LIQ s.t.
4 Didier Rous BOU s.t.
5 Patrik Sinkewitz TMO + 45
6 Axel Merckx PHO s.t.
7 Giuseppe Guerini TMO s.t.
8 Frank Schleck CSC s.t.
9 Dariusz Baranowski AST s.t.
10 Maxim Iglinskiy MRM s.t.

GK:
1 Miguel Ángel M. Perdiguero PHO 7h04'22
2 Samuel Sánchez G. EUS + 45
3 Axel Merckx PHO s.t.
4 Kim Kirchen TMO s.t.
5 Patrik Sinkewitz TMO s.t.
6 Frank Schleck CSC s.t.
7 Andrea Moletta GST s.t.
8 Stefan Schumacher GST s.t.
9 Johan Vansummeren DVL s.t.
10 Dariusz Baranowski AST s.t.
11 Fabian Wegmann GST s.t.
12 Davide Rebellin GST s.t.
13 Alejandro Valverde CEI s.t.
14 Björn Leukemans DVL s.t.
15 Matthias Kessler TMO s.t.
16 Sylvain Chavanel COF s.t.
17 Evgueni Petrov LAM s.t.
18 Jens Voigt CSC s.t.
19 Iñigo Landaluze EUS s.t.
20 Andriy Grivko MRM s.t.
Zuletzt geändert von Schreckus am 14.4.2007 - 10:42, insgesamt 1-mal geändert.

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Schreckus
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Beitrag: # 417669Beitrag Schreckus
31.3.2007 - 19:12

25.
Am nächsten Tag traf ich mich nur mit Daniel zum Training, da Ryder einen Zahnarzttermin hatte.
Ich nutzte die Zeit, um mich ein bisschen intensiver mit ihm zu unterhalten. Vor allem wollte ich herausfinden, wie es in seinem Innern aussah.
Es war mir schlichtweg unbegreiflich, wie „der Kurze“ so gelassen auf sein erstes Heimdebüt zusteuern konnte. Ich für meinen Teil hatte mir Streckenführung und wichtige Rennabschnitte bestimmt tausendmal angeschaut, um das Gefühl zu haben, vorbereitet zu sein.
Zugegeben, das erste kleinere Etappenrennen hatte Daniel mit dem GP Mediteraneen bereits ziemlich erfolgreich hinter sich gebracht, da er den 3. Platz belegte. Aber trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass er nicht einen kleinen Gedanken an die bevorstehenden Rennen verschwendete.
Als ich ihn darauf ansprach, grinste er mich an. Ihm seien die Rennen nicht egal, sagte er, aber er sähe keinen Sinn darin, sich vorher schon den Kopf zu zermartern. Schließlich waren die Rennsituationen niemals vorherzusagen, weshalb er alles auf sich zu kommen ließe.
Etwas stichelnd fügte er hinzu, dass er gemerkt habe, dass wir beide die Rennen vollkommen unterschiedlich angingen. Er wäre gespannt darauf, wer letztendlich mit seiner Methode besser fahren würde.
Ich war ziemlich geplättet. Mir war bewusst, dass mein Kurzer mit 18 Jahren zumindest der Zahl nach erwachsen war, aber solche Gedankengänge hatte ich nicht erwartet.
Ich musste insgeheim in mich hineingrinsen. Im Grunde genommen war ich ziemlich stolz, dass ich helfen konnte, diesen Jungen aufzubauen.
Vielleicht sollte dies ja mein persönlicher Erfolg werden…

Den Rest der Trainingsfahrt quatschten wir noch über die Etappe gestern. Wir waren gespannt, ob Miguel seine Form weiter so halten konnte.
Sollte dies der Fall sein, trauten wir beide ihm für die hügeligen Klassiker eine Menge zu.

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Schreckus
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Beitrag: # 419972Beitrag Schreckus
14.4.2007 - 10:49

26. Gent - Wevelgem (3. Etappe Baskenlandrundfahrt)
Zurück in meinem Heim nahm ich mir vor, mich über die Rennen zu informieren, die heute stattgefunden hatten.
Die 3. Etappe der Baskenlandrundfahrt von Segura nach Lerin war ja nicht live übertragen worden, daher schaute ich mir das Ergebnis im Videotext an. Und ich freute mich: Miguel hatte wieder gewonnen. Diesmal hatte er Samuel Sanchez und Stefan Schumacher auf die Plätze verwiesen.

Ich freute mich aber vielmehr auf die Aufzeichnung des Kopfstein-Klassikers Gent-Wevelgem.
Dieser Klassiker existiert seit 1934 und zieht sich knapp 200 km über flaches Terrain, bevor im letzten Drittel des Rennens die einzige Hellingen im Rennen zweimal überwunden werden muss: Der Kemmelberg. Besondere Schwierigkeit erhält dieser Anstieg durch das grobe Kopfsteinpflaster, welches es bei Aufstieg und Abfahrt zu meistern gilt.

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Als die Aufzeichnung begann, war ich noch recht wach. Ich freute mich besonders auf diverse Ausreißversuche und auf ein Duell der Kopfsteinpflasterspezialisten Boonen, Ballan, Cancellara sowie auf den Sieger des letzten Jahres, Thor Hushovd, und den diesjährigen Sieger der Flandernrundfahrt van Petegem. Für uns waren wie bereits bei Flandern Robert und Bert die aussichtsreichsten Fahrer.

Meine Aufmerksamkeit schwand im Verlauf des Rennens aber zusehends und ich wurde immer schläfriger. Das lag zum einen daran, dass ich vom Training erschöpft war, aber auch zum anderen daran, das im Rennen nichts passierte.
Es kam also dazu, dass ich einnickte…bis meine Frau hereinkam und mich weckte, indem sie „Oh…sieh mal an…Robert und Bert!“ sagte. Ich schaute genauer hin. Das Peloton war bei der zweiten Besteigung des Kemmelberges angekommen und meine beiden Teamkollegen waren in der Führungsarbeit. Die Taktik erinnerte mich an die Flandernrundfahrt, wo sie ähnlich in Erscheinung getreten waren.

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Den Sponsor wird’s freuen, dachte ich insgeheim.
Jedenfalls fuhren die beiden nicht gerade langsam den Anstieg hinauf, so dass das Feld bereits begann, sich aufzulösen.
Taktisch klug befanden sich Robert und Bert direkt vorne mit dabei und mussten somit keine Kraft aufwenden, um sich an die Spitze heranzukämpfen.

Als sich das Feld wieder geordnet hatte, waren in der Spitzengruppe noch ca. 50 Fahrer vertreten, der Rest des Feldes zerfiel in zahlreiche Gruppettos. In der Spitzengruppe befanden sich neben allen Favoriten auch Robert, Bert und Fabrizio (Guidi) aus unserem Team.
Wir gingen dann 50 km vor dem Ziel aus der Führungsarbeit raus und warteten ab, was die anderen Mannschaften für ihre Kapitäne tun würden.
Zunächst geschah wieder einmal nichts, bis sich ca. 35 km vor dem Ziel Roger Hammond von Discovery Channel ein Herz nahm und angriff.

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Er konnte sich zuerst ein bisschen Absetzen und einen Maximalvorsprung von knapp einer Minute herausfahren. Jetzt stiegen vor allem Quickstep und CSC in die Tempoarbeit ein und nahmen die Verfolgung auf. Nach zähem Kampf von Hammond wurde dieser 12 km vor dem Zielstrich eingeholt, und es erfolgte der direkte Gegenangriff von Devolder.

Bild

Sofort sprangen auch Flecha, Backstedt, Cancellara und Boonen mit. Leider waren unsere Jungs völlig fertig und konnten nicht folgen. Im Gegenteil. Sie fielen sogar aus dem Rest der Gruppe raus.

Die fünf Angreifer konnten sich recht schnell absetzen, obwohl im Feld durch T-Mobile und Davitamon-Lotto versucht wurde, die Lücke zu schließen.
Aber bereits 5 km vor dem Ziel wurde klar, dass der Sieger einer der fünf Angreifer sein würde.
Kurz vor dem Ziel setzte Boonen seinen unglaublichen Antritt ein und schoss als erster über den Zielstrich. Es folgten Cancellara und Flecha.

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Unsere Fahrer kamen letztlich auf den 33. und 35. Platz ins Ziel gerollt. Im Grunde genommen eine sehr gute Leistung, wenn man bedenkt, dass beide keine wirklichen Kopfsteinpflaster-Experten sind.
Aufgrund meiner Müdigkeit legte ich mich jedenfalls nach dem Rennen ins Bett und dachte noch ein bisschen nach…
Zuletzt geändert von Schreckus am 15.4.2007 - 9:06, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitrag: # 420139Beitrag Schreckus
15.4.2007 - 9:05

27. Rückblick
Nach Auskunft meines Trainers soll ich am Ende, kurz vor meinem Ohnmachtsanfall, tatsächlich für ein effektiveres Training noch die Unterstützung eines Taktiktrainers gefordert haben. Allerdings soll ich dabei ziemlich genuschelt haben, so dass der Dolmetscher erhebliche Probleme gehabt hat, diesen Wunsch in die spanische Sprache zu übersetzen.

Aber wie auch immer:
Der neue Vertrag wurde mir zugesandt. Nachdem ich mit einem Rechtsanwalt vom Fach den Vertrag durchsprach, habe ich ihn unterschrieben.
Damit begann für mich ein neuer Abschnitt in meiner Karriere und ein neues Profijahr 1998.
Ich war motiviert und konnte nicht genug vom Training bekommen. Dies ging sogar soweit, dass mein Trainer mir Ruhepausen verordnen musste, damit ich mich nicht überanstrengte.
Es machte mir richtig Spaß, zu fühlen und zu sehen, wie ich an Kondition gewann und mein Körper in die richtige Form kam.
Auch privat lief es super. Ich fand eine wunderbare Frau, welche viel Verständnis für mich und meinen Sport aufbrachte. Sie war gleichzeitig Kummerkasten und Traumpartner in einem.
Ein perfekter Jahresbeginn also.
Um meinen Verpflichtungen nachzukommen, fing ich an, für jeden meiner Mannschaftskameraden einen Entschuldigungsbrief zu schreiben. Diese schickte ich drei Wochen vor Beginn des Vorbereitungstrainingslagers gleichzeitig an alle ab.
Ich entschuldigte mich darin für mein Verhalten, für meine Hochnäsigkeit und für meinen fehlenden Teamgeist und bat um eine zweite Chance.
Wie sich während des Trainingslagers herausstellte, nahmen fast alle meine Entschuldigungen an. Zwar kam nicht jeder auf mich zu, aber das war ja letztlich auch meine Aufgabe.
Aber zumindest vom Teamkapitän und von einer Handvoll anderer Fahrer wurde mir persönlich gesagt, dass sie meinen Brief gut fanden und die Entschuldigung annehmen. Bei fast allen anderen Fahrern merkte ich aber, dass sie sich mir gegenüber wieder normal verhielten.

Auch bei der Teampräsentation war ich ein Teil der Mannschaft…ich wurde, in alphabetischer Reihenfolge, an dem mir angestammten Platz, vorgestellt, und musste nicht noch mal die Schmach erleben, erst nach den Neo´s genannt zu werden.
Die Zeitungen wärmten zwar noch mal meine Geschichte auf, allerdings war relativ schnell Ruhe, als die Teamleitung erklärte, dass es eine interne Aussprache gegeben habe und ich auf einen Großteil meines Gehaltes verzichten würde.

Nach Absprache mit meinem Team erklärte mir mein Trainer, dass er mein Trainingsprogramm auf die Berge spezialisieren will. Dort ist seiner Meinung nach der meiste Entwicklungsspielraum für mich. Mit 26 Jahren ist es notwendig, die vorhandenen Talente auszudefinieren und nicht zu schauen, ob noch irgendwo versteckte Talente schlummern. Ich könnte so ein wichtiger Helfer bei großen Rundfahrten werden, weil ich aufgrund meiner Größe im Flachen Druck machen kann und in den Bergen als wichtiger Helfer vorhanden wäre. Ein so genannter Edelhelfer eben. Nachdem er meinen Blick sah, lachte er. Nein, er sieht kein Potential als Rundfahrtkapitän…dafür reichen weder die Bergtalente und noch weniger die Zeitfahr-Talente.
So begann ich, neben meinem Talent für Flachetappen auch mein Bergtalent auszubauen. Und es zeigte sich, dass mein Trainer die richtigen Talente erkannt hatte…

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Beitrag: # 420350Beitrag Schreckus
16.4.2007 - 19:22

28. Rückblick

Das Jahr lief vernünftig.
Mir gelang es, bei zwei kleineren Rennen einen 8. und einen 4. Platz zu holen. Bei den größeren Rundfahrten konnte ich mich als Helfer in Szene setzen. Es gelang mir dreimal, als letzter Helfer, als Edelhelfer, meinen Teamkapitän den Berg hinaufzuziehen. Er war einmal als Tagessieger damit erfolgreich. Aber auch als normaler Helfer versah ich zuverlässig meinen Dienst und konnte mir den Respekt meiner Teamkollegen zurückgewinnen.
Aus ein paar meiner Teamkollegen wurden auch privat Freunde. Es machte dann umso mehr Spaß, mit ihnen gleichzeitig Rennen zu fahren und ein Hotelzimmer zu teilen.
Nebenbei lernte ich viel:
Ich lernte von meinen Teamkapitänen, wie man ein Rennen liest und die Helfer effektiv einsetzt.
Ich lernte von den Sprintern, wie man seinen Platz im Peloton verteidigt und den Riecher für den richtigen Zeitpunkt im Rennen bekommt.
Ich lernte von den alten Haudegen im Feld viel über Verletzungen, über Freundschaft, über Taktikspielchen und eiserne Nerven.
Ich lernte von mir, wie ich von meinem Körper 120 % Einsatz abrufen kann, wie ich regeneriere, wie ich Hitze hasse, wie ich Kälte mag und wie ich trotz Erfolg auf dem Boden bleibe.
Wie ein Staubsauger sog ich alle Informationen in mich auf und verarbeitete sie.

Nachdem die Saison zu Ende gegangen war, war ich zufrieden.
Bis auf ein paar Prellungen und Abschürfungen hatte ich mich nicht verletzt, die Stimmung im Team war gut und ich hatte einen kleinen Teil zum Erfolg des Teams beigetragen.
Und auch die Teamleitung war augenscheinlich zufrieden mit mir, denn ich erhielt per Post eine kurze Mitteilung, dass man den Vertrag aufgrund der Option einseitig für ein Jahr zu gleichen Bezügen verlängert habe.
Gerüchteweise soll sich auch ein anderes Team für mich interessiert haben, aber davon habe ich seitens der Teamleitung keine Bestätigung erhalten.
Als ich mit meiner Frau in den wohlverdienten Urlaub flog, war ich innerlich mit mir ausgeglichen. Ich hatte zwar nichts Großartiges vollbracht, aber ich war konstant gefahren.

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elexi
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Beitrag: # 420356Beitrag elexi
16.4.2007 - 20:19

Mir gefällt dein AAR Super- besonders die Rückblicke in die Vergangenheit find ich gut. Mach weiter so!!
Jan Ullrich- einer unter vielen.....

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Schreckus
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Beitrag: # 420493Beitrag Schreckus
17.4.2007 - 18:50

@ elexi

Vielen Dank für das Lob!
Freut mich riesig, dass ich endlich ein Feedback erhalten hab ;)

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Alejandro V.
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Beitrag: # 420500Beitrag Alejandro V.
17.4.2007 - 19:51

Ich habe mir gestern mal den AAR durchgelesen und finde ihn bisher ebenfalls sehr schön geschrieben. Elexi hat Recht, die Rückblicke bieten eine schöne Abwechslung zu den ab und zu langatmigen Berichten aus dem Trainingslager. Dennoch bisher sehr gut.
Bill Simmons über den WAS-ATL-Trade: "There's only one silver lining: the chance that Bibby and Rashard Lewis will run their high screen in Washington and immediately get attacked by cadaver-sniffing dogs."

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Schreckus
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Beitrag: # 420640Beitrag Schreckus
18.4.2007 - 17:34

@ Alejandro
Vielen Dank für die Kritik...werde mich bemühen, die Langatmigkeit aus den Berichten zu verbannen.

Es würde mich freuen, wenn auch zukünftig Mitteilungen darüber kommen, was gut und was nicht so gut ist, und was ich verbessern kann.
Ist mein erster AAR und meine erste Geschichte überhaupt...insofern kann ich nur lernen und mich verbessern.

So...weiter gehts :)

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Beitrag: # 420659Beitrag Schreckus
18.4.2007 - 19:10

29.
Die Rennen Anfang des Jahres 2006 im Februar und März waren von unserem Team einigermaßen erfolgreich abgeschlossen worden.
Gute Platzierungen gab es unter anderem bei der Tour Méditeranéen, einem französischen Etappenrennen, was seit 1974 immer im Februar ausgetragen wird und durch die französischen Mittelmeerregionen und teilweise durch die italienische Riviera führt.
Hier konnte der „Kurze“ (Daniel) einen hervorragenden dritten Platz im Gesamtklassement holen.
Dieser Erfolg führte erst zu dem großen und noch immer andauernden Interesse der Schweizer Medien, welche ihm seitdem eine große Zukunft prophezeiten. Mit diesem Erfolg hatte in der Schweiz de facto keiner gerechnet…auch ich nicht…aber er machte den bis dahin vollkommen unbekannten Daniel Blanc in der Schweiz erst berühmt.
Erster und Zweiter der Rundfahrt waren immerhin auch keine unbekannten, nämlich Jose Louis Arrieta von AG2R und David Moncoutie von Cofidis.

Aber auch Miguel machte von sich Reden, als er am 26.03.2006 den GP Lugano, ein hügeliges Schweizer Eintagesrennen für sich entscheiden konnte.
Und auch beim ersten Pro-Tour-Rennen des Jahres, dem „Rennen zur Sonne“, konnte Miguel einen achtbaren neunten Platz belegen. Sieger von Paris-Nizza 2006 allerdings wurde Jens Voigt vor Samuel Sanchez und Fränk Schleck.

Insgesamt war also das erste Viertel des Jahres von unserem Team Phonak nicht unbedingt schlecht absolviert worden. Durch den Sieg beim GP Lugano hatten wir sogar eines der für uns so wichtigen „Heimspiele“ dominiert und auch gewonnen.
Viel wichtiger war aber letztlich, dass durch den furiosen 3. Platz von Daniel und dem damit verbundenen Medieninteresse auch unser Sponsor im Rampenlicht der Öffentlichkeit stand.
Und dies ist für jeden Sponsor ein wichtiger Punkt für die Weiterführung seines Engagements…

Auch die am heutigen Tage absolvierte 4. Etappe der Baskenlandrundfahrt von Vitoria Gasteiz nach Altsasu sorgte bei mir nicht unbedingt für schlechte Stimmung. Zwar konnte Miguel seine Siege von gestern und vorgestern nicht wiederholen, allerdings kam er als Vierter zeitgleich mit den drei erstplatzierten ins Ziel. Sieger war heute Kurt-Asle Arvesen von CSC vor Stefan Schumacher und Salvatore Comesso von Lampre. Damit war Miguel immer noch Gesamtführender mit 45 Sekunden Vorsprung vor Schumacher und Samuel Sanchez.

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Beitrag: # 420884Beitrag Schreckus
20.4.2007 - 16:16

30. Rückblick
Das neue Jahr, das Jahr 1999, begann für mich mit einem Nackenschlag.

Die spanischen Zeitungen berichteten über mein Once-Team, und gaben eine Einschätzung der möglichen Leistungen und der Fahrer ab.
Die Kritik fiel bei allen Fahrern recht positiv aus.
Lediglich bei mir war die Kritik der Fachzeitschriften recht negativ.
Ich wurde als ewiges Talent abgestempelt, welches zwar durchschnittliche Leistungen vollbrachte, aber bei dem nicht zu erwarten sei, dass sich noch mal ein größerer Sieg einstellen könnte. Man berichtete nochmals über mein Verhalten in der Vergangenheit und meine dort gemachten Fehler.
Natürlich ließ mich die Kritik nicht kalt, aber auf der anderen Seite blieb ich von wirklich schwerwiegenden Vorwürfen verschont. Im Gegensatz zu den Vorjahren, wo man mich als Schmarotzer, Nestbeschmutzer und geldgeilen Rennfahrer tituliert hatte, fiel die Kritik also ziemlich moderat, ja fast objektiv aus.
Die Trainingslager begannen, und ich merkte, wie ich wieder Spaß am Training bekam. Die Stimmung in der Mannschaft stimmte und ich verstand mich mit allen Fahrern gut.
Bei der Saisonplanung merkte ich außerdem, dass die Teamleitung wieder soviel Vertrauen gefasst hatte, dass man mich für vier größere Eintagesrennen und sogar eine Rundfahrt vornominiert hatte.
Mein Rennprogramm sah folgendermaßen aus. Neben der Teilnahme bei zahlreichen kleinen Rennen, sollte ich bei „Mailand - San Remo“ und bei „Rund um den Henninger Turm“ starten. Beim ersten Rennen sollte ich meinen Kapitän unterstützen, beim Rennen in Frankfurt möglicherweise auf eigene Verantwortung fahren dürfen.
Sofern meine Leistungen bis dahin zufrieden stellend waren, könnten die „HEW Cyclassics“ in Hamburg sowie die Deutschland-Tour folgen.
Außerdem wurde mir, was mich persönlich sehr glücklich machte, die Teilnahme an der Vuelta Espana in Aussicht gestellt. Mit 28 Jahren wäre dies meine erste große Rundfahrt-Teilnahme.
Gründe für die Nominierungen suchte ich aber nicht allein in meinen Leistungen.
Eine nicht zu verleugnende Rolle spielte dabei offensichtlich auch, dass meine Mannschaft mit einer großen deutschen Bankgesellschaft einen Co-Sponsor hatte, welcher natürlich die Teilnahme an Rennen in Deutschland (am Besten mit einem deutschen Fahrer) forderte.

Die Aussichten auf dieses Radsportjahr motivierten mich trotzdem in meinen Trainingsleistungen und ich erhielt viel Unterstützung durch meinen Trainer, der mir zu verstehen gab, dass ich die in mich gesetzten Erwartungen durchaus erfüllen kann.
Apropos! Es war durchaus Zeit, meinem Trainer zu danken. Schließlich hatte er mein Training auf flaches und bergiges Terrain ausgerichtet, und mich in diesen Disziplinen hervorragend aufgebaut. Nur aufgrund dieser Trainingsfokussierung war es mir möglich geworden, die entsprechenden Leistungen zu bringen und somit auch für die entsprechenden Rennen nominiert zu werden. Aber egal, von welcher Seite man meine Situation betrachtete; ich freute mich auf die vor mir liegende Saison.

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Beitrag: # 421103Beitrag Schreckus
22.4.2007 - 12:48

31. Rückblick
Die Freude an der neuen Saison dauerte nicht lange…genau genommen bis Anfang März.
Nachdem ich bei einigen kleineren Rennen mitgerollt war, um für den Frühjahrsklassiker „Mailand - San Remo“ am 20.03.1999 in Form zu kommen, erwischte mich eine schlimme Erkältung. Der Teamarzt setzte mich gleich unter Medikamente und verordnete mir 5 Tage Bettruhe.
Man kann sich vorstellen, wie rastlos ich war.
Im Gegensatz zu einer Sturzverletzung kann man bei einer Erkältung nie genau sagen, woher sie denn kommt. Anstatt aber einfach die Krankheit hinzunehmen, dachte ich die ganze Zeit darüber nach, wo ich sie mir geholt haben könnte. Ich war innerlich nicht ruhig zu bekommen, weil ich die ganze Zeit daran denken musste, wie meine Form von Tag zu Tag ohne Training schlechter wurde. Darunter litt natürlich meine Regeneration.
Nachdem ich die Erkältung überwunden hatte, machte ich mich sofort wieder ans Training, allerdings merkte ich ziemlich schnell, dass die 5 Tage Bettruhe meiner Kondition ziemlich zugesetzt hatten.
Es war geplant gewesen, dass ich bei „Mailand – San Remo“ meinen Rennkapitän bis zum „Poggio di San Remo“ oder zumindest bis zur „Cipressa“ schützen sollte.
Aufgrund meiner angeschlagenen Fitness wurde dann aber entschieden, dass ich am Anfang des Rennens Führungsarbeit und letztlich solange Helferdienste leisten sollte, bis ich keine Kraft mehr hatte.
Am Tag des Rennens fühlte ich mich grundsätzlich fähig, das Rennen bis zum Ende fahren zu können. Ich leistete aber, wie vorher besprochen, von Beginn an Führungsarbeit und versuchte, das Feld beisammen zu halten bzw. einem Teamkollegen einen Ausreißversuch zu ermöglichen.
Aber wie von meinem Trainer und meinem Teamarzt prognostiziert, merkte ich schon am Anstieg des Passo del Turchino, dass meine Kräfte heute nicht reichen sollten. Ich schaffte es noch bis zum Anstieg Savona, ca. 100 km vor dem Ziel, meine Helferdienste zu verrichten, aber danach musste ich mich zurückfallen lassen.
Weit abgeschlagen in einer Gruppe gab ich, nach Rücksprache mit meinem Teamarzt, das Rennen auf.
Letztlich hatte sich meine Arbeit auch nicht gelohnt, denn mit dem Ausgang des Rennens hatte unser Team nicht viel zu tun. Es gewann Andrei Tchmil vom Team Lotto-Adecco vor Erik Zabel vom Team Telekom.

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Beitrag: # 421505Beitrag Schreckus
24.4.2007 - 20:16

32. Baskenlandrundfahrt (5. Etappe: Altasu - Alto de Aranzatzu)

Heute lief die fünfte Etappe der Baskenlandrundfahrt. Wie die vorangegangenen Etappen führte sie wieder durch hügeliges Terrain, bevor am morgigen Tag das letzte Teilstück in Form eines Zeitfahrens stattfand.

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Ich wollte mir das Rennen unbedingt live anschauen, weil Miguel heute nochmals seinen Vorsprung vergrößern musste, wollte er das gelbe Trikot behalten. Zeitfahren war nämlich nicht wirklich seine Stärke.
Als ich die ersten Bilder sah, musste ich grinsen, denn es schüttete geradezu. Genau das Wetter, was Miguel überhaupt nicht leiden konnte. Er tat mir jetzt schon leid…
Nach ca. 30 km erfolgte aus dem Feld der erste erfolgreiche Angriff und eine Gruppe von zwei Fahrern, Engels und Velo, konnte sich absetzen.

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Während unser Team in Form von Benny (McCarthy), Martin (Elminger) und Victor (Hugo Pena) Nachführarbeit leistete, bauten die beiden Ausreißer einen ungefähren Vorsprung von knapp zwölf Minuten auf. Uns war es egal, denn beide Fahrer hatten einen Rückstand von fast 30 Minuten auf Miguel.
Beim ersten Anstieg des Tages griffen dann Fahrer an, die eher die Möglichkeit hatten, unserem gelben Trikot gefährlich zu werden. Mit Botcharov, Leblacher, Voeckler, Fernandez und Garzelli waren Namen im Spiel, die gut und gerne für einen Solosieg in Frage kamen. Außerdem hatte Botcharov nur knapp 11 Minuten Rückstand auf Miguel. Daher forcierten unsere Tempomacher etwas die Geschwindigkeit am Berg und bekamen dabei Unterstützung von Gerolsteiner, die auch drei Fahrer nach vorne schickten

Bild

Da der Abstand aber größer zu werden drohte, beorderte unser sportlicher Leiter nun auch Johann (Tschopp) und Steve (Zampieri) nach vorne.
Insgesamt wurde nun richtig Druck auf die Ausreißer gemacht, denen es aber trotzdem gelang, zu Engels und Velo aufzuschließen.
Die nun vorhandene Spitzengruppe hatte nun knapp fünf Minuten Vorsprung, welcher aber schwand, je näher es dem Ziel ging.
Außerdem schwanden einigen Ausreißern die Kräfte, so dass 15 km vor dem Ziel lediglich Garzelli, Fernandez und Voeckler vorne waren. Nachdem klar war, dass auch diese Gruppe nicht gefährlich werden konnte, hatten sich Victor, Axel und Martin zum gelben Trikot zurückfallen lassen und beschützten es nun zusammen mit Aurelian Clerc.

Bild

Die besagten 15 km vor dem Ziel hatte die Ausreißergruppe um Garzelli lediglich noch eine halbe Minute Vorsprung und war natürlich in Sichtweite.
Wie ich bereits vermutet hatte, gab nun Miguel noch einmal Gas und versuchte, einen größeren Vorsprung für das Zeitfahren heraus zu holen.
Erstaunlicherweise ging weder Schumacher noch Samuel Sanchez hinterher, so dass sich Miguel alleine über den Berg kämpfen musste.
Hinten machten die Mannschaften von Euskatel und Gerolsteiner nun ordentlich Tempo, so dass sich der Vorsprung von Miguel bei knapp einer Minute einpendelte.
Dieser Vorsprung sollte auch nicht mehr kleiner werden. Den letzten kurzen Anstieg vor dem Ziel flog Miguel geradezu hinauf und kam relativ unbehelligt auf die Zielgeraden.
Ohne vorhandene Konkurrenz feierte Miguel seinen 3. Etappensieg bei dieser Rundfahrt.

Bild

Erwähnenswert ist hierbei noch, dass der zweite bis vierte Platz von Wegmann, Schumacher und Rebellin belegt wurde. Ein hervorragendes Ergebnis für die Sprudeltruppe. Im Ziel betrug der Vorsprung von Miguel 1:34 min auf den Rest des Feldes. Im Gesamtklassement hatte sich Miguel damit ein Polster von 2:16 min auf Schumi und Sanchez aufgebaut und konnte einigermaßen beruhigt dem Zeitfahren entgegensehen.

Ergebnis 5. Etappe:
1 Miguel Ángel M. Perdiguero PHO 4h28'47
2 Fabian Wegmann GST + 1'31
3 Stefan Schumacher GST s.t.
4 Davide Rebellin GST s.t.
5 Jérôme Pineau BTL s.t.
6 Danilo Di Luca LIQ s.t.
7 Laurent Brochard BGT s.t.
8 Patrice Halgand CA s.t.
9 Riccardo Riccò SDV s.t.
10 Kurt-Asle Arvesen CSC s.t.
11 Johan Vansummeren LOT s.t.
12 Samuel Sánchez G. EUS s.t.
13 Chris Horner LOT s.t.
14 Maxim Iglinskiy MRM s.t.
15 David De la Fuente SDV s.t.
16 Axel Merckx PHO s.t.
17 Kim Kirchen TMO s.t.
18 John Gadret A2R s.t.
19 Alejandro Valverde CEI s.t.
20 Bradley Mc Gee FDJ s.t.

Gesamtwertung:
1 Miguel Ángel M. Perdiguero PHO 19h53'54
2 Stefan Schumacher GST + 2'16
3 Samuel Sánchez G. EUS s.t.
4 Fabian Wegmann GST + 2'33
5 Jens Voigt CSC s.t.
6 Björn Leukemans DVL + 2'48
7 Kim Kirchen TMO + 3'29
8 Alejandro Valverde CEI s.t.
9 Evgueni Petrov LAM + 3'59
10 Andriy Grivko MRM + 4'12
11 Andrea Moletta GST + 4'27
12 Bradley Mc Gee FDJ + 4'37
13 Frank Schleck CSC + 4'48
14 Jérôme Pineau BTL + 4'54
15 Patrik Sinkewitz TMO s.t.
16 Davide Rebellin GST + 5'07
17 Joaquin Rodriguez Oliver CEI + 5'22
18 Matthias Kessler TMO + 5'34
19 Laurent Brochard BTL + 5'50
20 Kurt-Asle Arvesen CSC + 6'09

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Schreckus
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Beitrag: # 421894Beitrag Schreckus
26.4.2007 - 19:43

33. Baskenlandrundfahrt (6. Etappe: EZF Onati - Onati)

Heute Morgen wurde ich durch meine Rückenschmerzen geweckt. Es war also mal wieder soweit und ich bekam erneut Angst, dass mich die Schmerzen auch bei der Tour de Romandie ereilen würden.
Ich sagte also das gemeinsame Training mit Ryder und Daniel ab und spulte mein Pensum alleine ab. Das hatte den Vorteil, dass ich die Strecke sowie die Intensität selbst bestimmen konnte.
Den gesamten Tag über verfolgten mich die Schmerzen, wobei sie nicht die Intensität erreichten, die ich im Trainingslager erlitten hatte.
Als wenn die Schmerzen alleine nicht genug wären, bekam ich nach dem Training auch noch das Ergebnis der letzten Etappe der Baskenlandrundfahrt mit…und es enttäuschte mich sehr.
Das Einzelzeitfahren von Onati nach Onati wurde von Serhiy Honchar gewonnen. Zweiter wurde Rik Verbrugghe, dritter Jens Voigt.
Leider reichten die von Miguel herausgefahrenen Minuten nicht aus, um sein Trikot zu verteidigen. Er hatte beim Zeitfahren einen Rückstand von ca. 4:05 Minuten auf den Sieger kassieren müssen. Dies führte nicht nur dazu, dass er das gelbe Trikot an Stefan Schumacher abgeben musste, sondern er verlor auch noch einen Platz auf dem Treppchen an Jens Voigt und Samuel Sanchez. Es blieb ihm nur der undankbare vierte Platz im Gesamtklassement und der Gewinn des Punktetrikots.

Gesamtklassement:
1 Stefan Schumacher GST 20h32'06
2 Jens Voigt CSC + 11
3 Samuel Sánchez G. EUS + 38
4 Miguel Ángel M. Perdiguero PHO + 1'34
5 Alejandro Valverde CEI + 1'54
6 Bradley Mc Gee FDJ + 2'39
7 Fabian Wegmann GST + 2'49
8 Evgueni Petrov LAM + 2'52
9 Frank Schleck CSC + 3'32
10 Patrik Sinkewitz TMO + 4'29
11 Matthias Kessler TMO + 4'36
12 Kurt-Asle Arvesen CSC + 4'44
13 Laurent Brochard BTL + 4'46
14 Davide Rebellin GST s.t.
15 Andriy Grivko MRM + 5'16
16 Kim Kirchen TMO + 5'27
17 Rik Verbrugghe COF + 5'31
18 Johan Vansummeren DVL + 5'41
19 Björn Leukemans DVL + 5'56
20 Antonio Colom CEI + 6'38

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Beitrag: # 422259Beitrag Schreckus
28.4.2007 - 13:25

34. Rückblick

Am 1. Mai 1999 stand mein zweites großes Rennen auf dem Programm. Der „Henninger Turm“ in Frankfurt. Ein äußerst anspruchsvolles Rennen, vor allem, wenn man ein Spezialist für hügeliges Terrain ist. Das Rennen hat einen markanten Punkt, nämlich den „Mammolshainer Berg“ mit teilweise mehr als 25 % Steigung. Aber auch der Rest des Rennens ist nicht zu verachten, weil es sich zum großen Teil über den Taunus zieht, welcher nicht gerade als ebenerdig zu bezeichnen ist.
Ich für meinen Teil freute mich einerseits über die Nominierung und auf das Rennen, auf der anderen Seite verstand ich aber nicht, warum ich für dieses Rennen eingeplant war. Meine Talente lagen eher auf Flachetappen bzw. im Gebirge, aber nun mal gar nicht auf hügeligen Kursen.
Mein Trainer stimmte mir zu, gab aber zu bedenken, dass ich beachten sollte, dass unser Co-Sponsor nicht nur zum Spaß Geld in unsere Mannschaft steckte, sondern auch in Deutschland bei den Rennen mit einem deutschen Fahrer repräsentiert werden möchte.
Meine Taktik für ein erfolgreiches Rennen sollte hier daher sein, dass ich in eine Ausreißergruppe springen und auf diesem Wege ein gutes Ergebnis einfahren sollte. Wir waren uns einig, dass ich im Peloton mit den ausgewiesenen Hügelspezialisten auf den finalen Kilometern keine Chance haben würde, überhaupt in die Top 50 zu springen. Mein Ziel war allerdings ein Platz unter den Top 30. Das Team stimmte diesem Vorschlag zu. Ich konnte auf eigene Kappe fahren und musste keine Helferdienste leisten.

Im Rennen selber klappte zu Beginn alles wunderbar. Es regnete und es waren für mich angenehme 15 Grad. Genau meine Wetterverhältnisse.
Als ein paar Fahrer ausrissen, war ich unter ihnen. Wir konnten zeitweise einen Vorsprung von 8 Minuten herausfahren. Ca. 50 Kilometer vor dem Ziel wurde allerdings klar, dass uns das Feld rechtzeitig einholen würde. Ich erhielt die Order, nochmals anzugreifen.
Ich konnte mich auch absetzen, allerdings reichte meine Kraft nicht aus, diesen Ausreißversuch erfolgreich umzusetzen. Die kurzen, teils heftigen Anstiege waren für mich tödlich. Als mich das Feld einholte, wurde ich auch direkt durchgereicht und kam in einer abgehängten Gruppe ins Ziel. Mit dem Sieg hatte letztlich weder ich noch meine Mannschaft etwas zu tun. Sieger war erneut ein in diesem Jahr wie entfesselt fahrender Erik Zabel, gefolgt von Leon van Bon.

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Beitrag: # 423857Beitrag Schreckus
5.5.2007 - 10:20

Nach einer Woche bin ich aus meinem Urlaub zurück...jetzt kanns weitergehen:

35. Rückblick
Die Deutschland-Tour, bei der ich eigentlich ebenfalls ein Wörtchen mitreden sollte, fand vom 28.05. – 03.06.1999 statt.
Leider nur zu Beginn mit mir. Auf der zweiten Etappe von Eisleben nach Goslar brach bei mir ein Magen-Darm-Virus aus, der es mir unmöglich machte, überhaupt an einen Sitz auf einem Sattel zu denken. Stattdessen zog ich die Toilettenbrille vor.
Für mich persönlich war es sehr frustrierend, da es die Prämiere der Deutschland-Tour seit 1982 wahr. Es herrschte ein unglaublicher Besucherandrang, insgesamt gesehen sollen ca. 4,2 Millionen Zuschauer die ca. 1.200 km lange Rundfahrt live an der Strecke verfolgt haben.
Die Stimmung am Fernseher fand ich schon atemberaubend; ich hätte sie gerne als Rennfahrer live spüren wollen.
In den Genuss des absoluten Gänsehautgefühls kam aber letztlich Jens Heppner vom Team Telekom, der sich als Sieger vor Andreas Kappes vom Team Agro-Adler Brandenburg und Christian Wegmann durchsetzen konnte.
Es blieb mir somit als nächstes großes Rennen das „HEW-Cyclassics“, welches mir vielleicht den Sprung zur Vuelta ermöglichen könnte.
Die Hamburger Cyclassics fanden am 15.08.1999 statt, und führten wie jedes Jahr quer durch den Stadtstaat Hamburg. Das Streckenprofil ist als flach anzusehen, kleinere Hügel können aber den Antritt erschweren.
Mein Ziel war es, hier meine erste gute Platzierung einzufahren. Ich hielt die ganze Zeit im Peloton mit und konzentrierte mich auf die kleinen Schlussanstiege kurz vor dem Ziel.
Diesmal wollte ich es sehr taktisch angehen und hielt mich in der Nähe von Zabel auf. Mir war klar, dass ich bei seiner momentanen Form keine Chance auf einen Sieg hatte, aber ich erhoffte mir, zumindest in der Nähe zu bleiben und so unter die Top 20 zu kommen.
Soviel zur Theorie. In der Praxis verlief das Rennen aber leider so, dass Zabel gerade bei diesem Rennen kein Glück hatte, so dass am Ende Mirko Celestino vom Team Polti vor Raphael Schweda vom Team Nürnberger und Romans Vainstains vom Team Vini Caldirola gewann. Ich belegte einen Rang, welcher zwar nicht schlecht, aber leider nicht den Erwartungen von mir bzw. dem Team entsprach.

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Beitrag: # 424109Beitrag Schreckus
6.5.2007 - 12:03

36. Rückblick

Alles in allem war trotz dieser Rennverläufe das Jahr für mein Team nicht gerade unerfolgreich verlaufen. Abraham Olano schaffte bei der Tour de France einen guten sechsten Rang im Gesamtklassement und hielt damit die Fahne hoch.
Mir wurde noch im August mitgeteilt, dass man trotz der bisher ausbleibenden guten Platzierung eine Nominierung für die Vuelta Espana beabsichtige.
Ich freute mich riesig und sah nun die Chance, das bisher durch Krankheiten und schlechte Platzierungen verseuchte Jahr zu einem guten Ende zu führen.
Ganz nebenbei war es unsere Aufgabe, den Titel zu verteidigen. Unser Teamkapitän Abraham Olano hatte letztes Jahr furios, allerdings damals noch für das Team Banesto, die Vuelta gewonnen.
Auch in diesem Jahr lief es zu Beginn wunderbar. Olano gewann ein Einzelzeitfahren und war insgesamt ca. anderthalb Wochen im Goldenen Trikot des Gesamtführenden.
Ich stellte mich, so wie es beabsichtigt war, voll und ganz in seinen Dienst und in den Dienst der Mannschaft.
Allerdings machte ich einen entscheidenden Fehler.
Es war die 13. Etappe, eine Bergetappe in den Pyrenäen. Nachdem das Peloton relativ gemächlich die anfänglichen Kilometer abgespult hatte, ragte plötzlich eine Wand vor uns auf…der Passos de Peguera, der finale Anstieg vor dem Ziel in Castellar del Riu. Durch mein Training hatte ich gelernt, vor Anstiegen nur noch Respekt zu empfinden, aber keine Angst. Sofern ich den Gipfel sehen konnte, war ich in der Lage, mich mit „dem Ziel vor Augen“ den Berg hochzuziehen. Ich war zwar kein ausgezeichneter Bergfahrer, aber ich war schon recht passabel, was das Klettern anging. Insofern war ich zu diesem Zeitpunkt noch optimistisch, dass wir am heutigen Tag eine gute Ausgangsposition hatten.
Auch die restlichen Rahmenbedingungen schienen in Ordnung. Der Tag war klar, es schien die Sonne, und ich konnte den Gipfel des Berges sehen. Da konnten mich auch nicht die durchschnittlich 7 % Steigung des 17 Kilometer langen Anstiegs schocken.
Das einzige Problem, was ich sah, war die Hitze von 30 Grad. Ich mag Wärme nicht, sie schlägt auf meine Kondition. Allerdings sah ich das Problem zum Beginn des Anstieges als eher gering an.
So liefen die ersten Kilometer des Anstieges noch ganz gut. Ich befand mich in der Führungsposition und bestimmte die Geschwindigkeit des kletternden Pelotons und zog es einige Kilometer in einem vorbestimmten Tempo den Berg hinauf.
Plötzlich, in der Mitte des Anstieges, erfolgte eine Attacke von ca. 3 Fahrern. Ich erkannte nicht, wer sich letztlich zum Angriff entschloss, allerdings glaubte ich, ein Banesto und ein Kelme-Trikot erkennen zu können.
Ich bekam postwendend den Befehl, das Tempo anzuziehen, um meinen Kapitän an die Gruppe heranzuführen und andere Ausreißversuche zu verhindern.
Und dann passierte es…in der Hektik verschaltete ich mich und die Kette sprang ab. Gleichzeitig erfolgte ein erneuter Angriff weiterer Fahrer. Meine Teamkollegen hinter mir erkannten meinen Fehler und versuchten, mich zu überholen, um die Führungsarbeit zu übernehmen.
Leider machte ich zu genau diesem Zeitpunkt einen Schlenker zur Seite, um Balance zu halten, und fuhr in einen meiner Teamkollegen hinein, welcher durch meinen Stoß gerade noch das Gleichgewicht halten konnte. Dieser kleine Moment reichte aber aus, um erstmal Tempo aus dem Peloton zu nehmen und den Ausreißern Luft zu verschaffen.
Während ich ausscherte, um meine Kette erneut aufzuziehen, hatten meine Kollegen die Initiative ergriffen, und zogen das Feld in einem wahnsinnigen Tempo die Steigung hinauf. Viele konnten dem Tempo nicht folgen, und mussten abreißen lassen.
Nachdem ich die Kette fixiert hatte, fuhr ich in einer Nachfolgegruppe den Berg hinauf.
Die Etappe ging letztlich an Alex Zülle von Banesto, zweiter und dritter wurden Nicola Miceli von Liquigas und Jose Maria Jimenez von Banesto.
Bester Fahrer von uns wurde Martin Perdiguero auf einem 21. Platz. Für einen Spitzenplatz unseres Kapitäns hat es leider, auch wegen meines Fehlers, nicht gereicht. Er beendete die Rundfahrt an diesem Tag.

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