Willst du glücklich sein, dann lerne erst leiden

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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Schreckus
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Willst du glücklich sein, dann lerne erst leiden

Beitrag: # 407267Beitrag Schreckus
28.1.2007 - 15:50

Hallo zusammen!

Ich habe mich nun auch entschlossen, einen AAR zu schreiben, nachdem ich schon längere Zeit stiller Mitleser in diesem Forenbereich war (insbesondere Rot Rigo´s AAR).
Ich hoffe, dass ich bei dem ein oder anderen Leser Interesse wecken kann und man meine Geschichte gerne weiterverfolgt.

Vorab muss ich sagen, dass ich noch niemals vorher Geschichten geschrieben bzw. veröffentlicht habe. Bin also völlig neu auf dem Gebiet.
Deshalb wäre es schön, wenn ihr eure Meinung in Form von Lob und Tadel in diesem Thread posten würdet.
Um blödsinnigen Diskussionen vorzubeugen, erkläre ich jetzt schon, dass ich bei keinem anderen AAR Ideen vorsätzlich geklaut habe bzw. andere AAR´s kopiere.
Außerdem ist die gesamte Geschichte sowie die Hauptperson und ihre Erlebnisse frei erfunden. Die Geschichte ist also rein fiktiv und in keinem Fall real.

Saison 2006:
Spiel: Radsport Manager Pro 2006
Patch: 1.0.0.8
Database: German DB Team Realname V 1.1 (es handelt sich hierbei um die bereinigte Version, weshalb einige wichtige Fahrer fehlen; die Werte des Hauptcharakters sowie einiger anderer Fahrer wurden aufgrund der Geschichte leicht verändert)

Also, ich hoffe, ihr habt viel Spass!
Schreckus

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Schreckus
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Beitrag: # 407270Beitrag Schreckus
28.1.2007 - 15:52

1.
Als ich die Bergspitze erreicht hatte, brachen die ersten Sonnenstrahlen durch das milchige Wetter und die Nebelschwaden, die mir den Aufstieg ziemlich vermiest hatten, verschwanden augrund der Höhe zusehends. Der Gipfel war also erreicht.
Aber irgendwie passte diese ganze Szenerie wunderbar zu meiner Laune, die mich schon die gesamte Fahrt über begleitete.
Denn grau in grau begleitete mich anfangs eine ziemlich genervte Grundstimmung, die am Berganstieg noch zunahm. Dies resultierte vor allem daraus, dass ich vor lauter Nebel weder sehen konnte, wie weit es noch bis oben war, noch das ich erkennen konnte, wie viel Wegstrecke ich seit dem Tal schon hinter mir gelassen hatte. Einzig mein Computer spulte sonor die gefahrenen Kilometer ab und zeigte mir meinen stetig zunehmenden Puls.
Ich kann es nicht leiden, nur anhand der Kilometer zu sehen, wie lange es bis zum Ziel noch dauert. Ich muss mein Ziel mit den Augen greifen können und sehen, wie es stetig erreichbarer wird.
Mit der Zeit aber wurde meine Laune trotz des dichter werdenden Nebels besser…und als ich auf der Bergspitze ankam, hätte ich meine Laune durchaus als „gut“ bezeichnet.
Es ist immer wieder ein Erlebnis, einen Berg durch das Erreichen des Gipfels „überwunden“ zu haben. Dies ist bei mir bis zum heutigen Tage noch so, obwohl ich schon einige hundert Berge, Pässe und Plateaus in meiner Karriere bezwungen habe. Insgeheim, so denke ich, ist es die Hauptmotivation, dem Radsport weiter treu zu bleiben.
Ich will nicht von mir behaupten, eine Bergziege par excellence zu sein…im Gegenteil. Der Berg ist zwar mein Freund…allerdings leidet diese Freundschaft schon arg, je länger der Aufstieg dauert und je steiler die Rampen werden. Aber wie erwähnt….am Gipfel würde ich es fast schon Liebe nennen, die ich gegenüber diesen massiven Steinformationen empfinde.
Trotzdem bin ich mit meinen 1,76m nicht unbedingt für die Berge gemacht worden, allerdings schlage ich mich recht passabel, weshalb man mich unter anderem auch wieder zurückgeholt hat.

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Schreckus
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Beitrag: # 407276Beitrag Schreckus
28.1.2007 - 16:04

2.
Ich fuhr auf einen Rastplatz, der auf der Spitze der Bergkuppe für Wanderer, Autofahrer und sonstige Fans von Bergausblicken angelegt worden war. Während ich also so daher blickte, merkte ich, wie der Puls wieder zurückging und mein Körper etwas ausruhte.
Dieses Ausruhen zu genießen, fällt mir immer ziemlich schwer, da mein Körper darauf eingestellt ist, nach dem harten Aufstieg bereits Kraft für den rasanten Abstieg zu finden.
Daher setzt bei mir immer eine Art Rastlosigkeit ein…die bei Trainingsfahrten wie heute vor allem meinen Teampartnern gehörig auf den Nerv gehen kann.
Und heute kam noch dazu, dass außer Nebelschwaden nicht viel zu sehen war. Das Tal lag unter einer grauen Decke. Ziemlich eintönig das Ganze.
Im Endeffekt beschloss ich daher, lieber die Abfahrt in Angriff zu nehmen.
Abfahrten sind zwangsweise vorhanden, wenn man einen Berg erklommen hat. Und wer hoch steigt, kann auch tief fallen. Bei Fernsehübertragungen wird immer gerne gesagt, dass man bei Abfahrten regenerieren kann. Das mag in körperlicher Hinsicht durchaus stimmen.
Mental ist eine Abfahrt aber durchaus anstrengend.
Man muss gleichzeitig auf seinen Körper, auf das Rad und auf die Umgebung hören, was vor allem bei letzterem durch den Fahrtwind enorm schwierig ist.
Gleichzeitig muss ich sehen, beobachten und fühlen…Beschaffenheit der Strasse, Abstand zum Vordermann, Winkel der Kurve, Feuchtigkeit der Straße usw..
Dann kommt noch ein Gefühl für die Bremsen, für die Herausbeschleunigung aus Kurven und ein Gefühl für die Taktik hinzu.
Und zuletzt fährt auch immer viel Respekt und ein bisschen Angst mit.
Insgesamt muss ich sagen:
Das was man bei Aufstiegen zu viel hat, hat man bei Abfahrten zu wenig
…nämlich Zeit zum Nachdenken…
Mir persönlich liegt trotz dieser Tatsache eher die Kletterei nach oben…eben weil ich immer viel nachdenke.
Wenn man dann die Abfahrt beendet hat und die Straße wieder flach wird, dann erlebt man ein ähnliches Gefühl wie auf der Bergspitze. Allerdings ist hierbei weniger die Freude über den Sieg über den Berg der Grund dafür, sondern eher der Sieg gegen das Schicksal und damit verbunden das Glück, dass man auf der Abfahrt nicht gestürzt ist.
Wie man merkt, bedeuten mir Berge ziemlich viel…und das hat auch Gründe.

Ich begab mich also auf die Abfahrt und beschloss, es heute sehr ruhig angehen zu lassen, da durch den Nebel bestimmt hier und da glitschige Stellen entstanden waren, die mich auf den Boden bringen konnten.
Letztendlich meisterte ich meine Abfahrt aber ganz gut und erreichte ohne größere Probleme nach einer 6-stündigen Trainingseinheit wieder mein Sport- bzw. Wellness-Hotel.
Die Anderen waren schon da. Und es gab endlich lecker Essen. Meine obligatorische Viertelstunde unter der Dusche hatte ich zu diesem Zeitpunkt auch bereits absolviert.

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Schreckus
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Beitrag: # 407313Beitrag Schreckus
28.1.2007 - 19:20

3.
Das Beste nach überstandenen Trainingseinheiten ist das Essen. Gott sei Dank besteht bei Trainingslagern die Möglichkeit, nicht nur möglichst ballaststoffhaltig essen zu müssen, sondern auch den ein oder anderen kulinarischen Höhepunkt genießen zu dürfen.
Die Stimmung im Team war gut…wirklich gut.
Es war Mitte März und die Klassiker lagen in der Luft. Mailand – San Remo kündigte sich mit Riesenschritten an.
Deshalb war auch nur ein Teil unseres Teams bei unserem Trainingslager in der Schweiz anzutreffen. Wir waren vom Rennbetrieb freigestellt, damit wir uns auf die Tour de Romandie, eines unserer drei unbestrittenen Hauptziele in dieser und auch in jeder anderen Saison, vorbereiten konnten.
Ende Juni folgte dann noch die Tour de Suisse und als krönender Abschluss die Tour de France.
Für jedes Team ist es wichtig, bei den Heimatrennen möglichst gut auszusehen und am besten noch wunderbare Resultate einzufahren. Zum einen, weil der Sponsor dies wünscht, zum anderen aber auch, weil man die Fans nicht enttäuschen mag. Dementsprechend liefen die Vorbereitungen für diese Rennen bereits weit im Vorfeld und Spannung und Nervosität nahmen zu, je näher die jeweiligen Rennen kamen.
Auch ich wurde, je näher die Tour de Romandie kam, immer nervöser. Obwohl man täglich trainiert, bleibt eine Restangst, dass man am Tag des Rennbeginns nicht Top fit ist. Hinzu kommt dann außerdem noch eine regelrechte Panik vor Erkältungen und sonstigen Krankheiten, die die Arbeit von Tagen bzw. Wochen des harten Trainings zunichte machten.
Trotz der bereits jetzt spürbaren Anspannung vor den Heimatrennen und des harten Trainings war also die Laune, wie gesagt, wirklich gut.
Das lag zum einen an unserem Trainerstab, zum anderen auch an unseren Betreuern.
Ich habe bisher selten eine derart lockere, aber gleichzeitig seriöse und zuverlässige Trainingsbetreuung erlebt, wie hier und jetzt.
Und ich muss es letztendlich wissen, denn ich bin viel rumgekommen.
Ich erlebte in diesem Team hier wirklich die Schweizer Qualität, die man bisher nur von den besagten Uhren kannte.
Es war also zumindest in dieser Hinsicht kein Fehler gewesen, mich in die Obhut der Eidgenossen zu geben.

Zu unserem hier anwesenden Betreuerteam gehörten zum einen unsere Trainer, Franc Heller und Urs Frei. Sie galten als ein eingespieltes Team, und dies konnte man auch jederzeit spüren. Sie kannten jeden Fahrer genau, wussten um die Stärken und Schwächen und auch um die jeweilige Tagesform. Dabei wirkten sie zum einen relativ entspannt, konnten aber auf der anderen Seite auch harsche Kritik verteilen. Alles in allem muss ich aber sagen, dass genau diese Eigenarten dazu führten, dass man sich immer fair behandelt vorkam. Und es gibt nichts, was einen mehr motivieren könnte.
Franc (The Tank) war mehr der laute, robustere Kerl, der gerne Klartext sprach und auch ab und zu nicht jugendfreie Schimpfwörter über Lautsprecher, Funk und durch offene Fahrzeugfenster brüllte. Von der Statur her sah er weniger wie ein Radfahrer, sondern eher wie ein Footballspieler aus. Die Kombination aus beiden bescherte ihm den obigen Spitznamen, welchen er allerdings selbst nicht unbedingt akzeptierte und noch weniger mochte.
Urs hingegen war der Denker, Analytiker und Statistiker. Manchmal war ich davon überzeugt, dass er den Rennfahrer vielmehr anhand der Daten erkannte, die ihm die Fahrradcomputer lieferten, als anhand des Gesichts. Gespräche mit ihm waren kurz, prägnant und stichhaltig. Er besaß das Talent, für die Darstellung seiner Meinung maximal drei Sätze zu gebrauchen…daher hatte er auch den Spitznamen Spock!

Dann gab es noch unser medizinisches Team, bestehend aus unserem Arzt George Valentin (Spitzname: Pille), sowie drei „Zuarbeitern“. Hierbei möchte ich Gabi hervorheben, welche hauptsächlich für die Massage unserer Beinmuskulatur zuständig war. Blond, schlank und gut aussehend war sie…nicht unbedingt, dafür wusste sie aber, welche Reflexzonen für welche Wehwehchen gut waren. Ganz nebenbei war sie der Kummerkasten der gesamten Mannschaft. Mit ihrem Alter von 47 besaß sie aber auch die dafür notwendige Lebenserfahrung.
Pille selber wusste auf alles und jedes eine Antwort und versuchte immer, die Fahrer gesundheitlich auf Topniveau zu halten. Darüber hinaus ein wirklich guter Geschichtenerzähler.

Der gesamte Betreuer- und Trainerstab war beim Essen ebenso anwesend wie der Rest der am Trainingslager teilnehmenden Fahrer.

Nach dem Essen wurde die Poollandschaft besucht, relaxt und gelesen, Musik gehört und gequatscht. Gegen 21:00 Uhr ging es dann auf die Zimmer.
Als ich meine Vorbereitungen für das Schlafengehen bereits beendet hatte, kam Daniel rein und brachte eine Sportzeitung mit.
Er war total aus dem Häuschen, weil er wieder mal namentlich in der Zeitung erwähnt wurde. Das ist mir auch schon ewig nicht mehr passiert. Allerdings freute es mich trotzdem für meinen jungen Zimmergenossen.

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Beitrag: # 407536Beitrag Schreckus
29.1.2007 - 19:53

4.
In der Zeitung befand sich ein Vorbericht auf die Tour de Romandie.
Es gab einen Ausblick auf die Streckenführung und eine Analyse der Fahrer, die nach Meinung der Zeitung bei dem Rennen eine große Rolle spielen sollten.
Zur Freude von Daniel wurde er ebenfalls genannt, welches für mich nicht überraschend kam, da er ein großes schweizerisches Talent zu sein schien.
In den Bergen war er fast genauso gut wie ich, und auf den hügeligen Etappen hing er mich jedes Mal ab. Dabei erfüllte er sein Pensum mit einer Leichtigkeit, die mich immer wieder erstaunte. Zum einen schien es so, als ob ihn nie eine Sorge quälen würde, zum anderen kam es so vor, als würde er den Druck, der auf ihm lastet, gar nicht merken.
In dieser Hinsicht war er so vollkommen anders als ich, was mich allerdings in meinem Glauben bestärkte, dass wir als Zimmerpartner gut zusammenpassen würden. Den Altersunterschied von ca. 14 Jahren sah ich nicht als Problem an, schließlich tut ein bisschen jugendlicher Leichtsinn um einen herum auch mal ganz gut.
Während sich Daniel also einen Wolf freute und immer und immer wieder die Textpassage zitierte, die ihm einen Etappensieg bei der Rundfahrt in Aussicht stellte, überlegte ich, wann und welcher Artikel mich zuletzt erwähnte…
Währenddessen quatschte Daniel ohne Rücksicht auf meine nachdenkliche Miene weiter auf mich ein…und zitierte das Streckenprofil, welches ich schon längst auswendig kannte.
Während er also noch überlegte, ob der von der Zeitung versprochene Etappensieg für ihn eher während der 3. Etappe, die durch welliges Terrain führte, oder auf der 4. oder 5. Bergetappe möglich war, überlegte ich schon, wie man meinen jungen Zimmernachbarn während des Rennens soweit beruhigen konnte, dass er aufgrund der Vorschusslorbeeren seine Power nicht schon am ersten Hügel gnadenlos verpulverte.
Die Zeitung wählte die üblichen Verdächtigen in den Favoritenkreis und mich wunderte nicht, dass ich nicht aufgeführt war. Trotzdem freute ich mich schon auf die Rundfahrt, weil ich noch mal zeigen wollte, was ich so drauf habe. Ob sich das allerdings umsetzen ließ, davon war ich noch nicht so überzeugt.
Nach ein paar Herumwälzern im Bett fand ich endlich die richtige Liegeposition, die mich in den Schlaf brachte.

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Beitrag: # 407549Beitrag Schreckus
29.1.2007 - 20:25

5.
Der nächste Morgen brach an, und der Nebel vom Vortag hatte sich in den Regen von heute verwandelt.
Ich war, wie immer, einer der ersten am Frühstückstisch und setzte mich zusammen mit meinen drei schon wachen Kollegen möglichst nah an das Buffet.
Diese drei kannte ich vom Namen her schon länger, allerdings war ich ihnen erst Anfang der Saison bei der Präsentation von Phonak persönlich bekannt geworden.
Ich kam wirklich gut mit ihnen aus…
Miguel (Perdiguero), Axel (Merckx), Ryder (Hesjedal) und ich aßen und schwatzten, während wir gleichzeitig auf das Wetter fluchten. Miguel fluchte am lautesten und in allen Variationen, während ich dies am leisesten tat.
Mir persönlich macht Regen nicht viel aus, weil dies meistens auch in Verbindung mit kühlerem Wetter anzutreffen war. Heißes Wetter war für mich als Rennfahrer viel schlimmer als kalte „Hundstage“, und brennende Sonnenstrahlen gefielen mir viel weniger als Dauerregen.
Es machte für mich fast keinen Unterschied…wenn es regnete, war ich aufgrund des Regens nass…bei Hitze war ich aufgrund des Schweißes nass.
Dies allerdings Miguel als Vollblutspanier zu erklären versuchen, brachte mit Sicherheit nichts.
Ryder grinste mich groß an, weil er meine Gedankengänge erraten hatte und ich grinste zurück…Miguel nahm dies als Bestätigung, noch lauter zu fluchen, so dass spaßeshalber auch noch Axel mit einstieg und die Beschwerden erheblich Lautstärke annahm. Als allerdings die Bedienung mit heißen Pfannkuchen, Pflaumenkompott und einem entwaffnenden Grinsen ankam, waren sämtliche Beschwerden mit einem mal vergessen, und dem unzufriedenen Gebrüll folgte ein zufriedenes Schmatzen.
Ryder stürzte sich genauso gierig auf das leckere Essen, wie ich das tat. Wiederum musste ich grinsen und dachte daran, dass wir vor knapp drei Monaten beim Trainingslager zur Saisonvorbereitung Zimmergenossen gewesen waren.
Seitdem war er mir sehr an Herz gewachsen, weil er eine unglaubliche Ruhe ausstrahlte und charakterlich absolut in Ordnung war.
In ihm hatte ich in diesem Team einen Freund gefunden, mit dem man sich auch während der Rundfahrten über Probleme austauschen konnte. Und das Glück blieb uns hold, da unsere Rennkalender nahezu identisch waren.
Neben uns vieren waren noch Koos (Mourenhout), Daniel (Blanc), Florian (Stalder) und Johann (Tschopp) mit ins Trainingslager gekommen.
Florian war als Neo dabei. Er sollte das Ganze hier einmal kennen lernen, aber wahrscheinlich nicht bei der Tour mitfahren. Johann galt neben Daniel als einer der talentiertesten Schweizer Jungfahrer, nutze das Trainingslager allerdings zur Vorbereitung auf die Baskenlandrundfahrt und nicht auf die Tour de Romandie.
Miguel und Axel waren nur zeitweilig dabei, weil sie teilweise noch bei den hügeligen Klassikern eingesetzt werden würden.
Das Stammteam für die TdR bestand als im Großen und Ganzen aus Koos, Daniel, Miguel, Axel, Ryder und mir.
Nach Abschluss der Kopfsteinklassiker würden dann, soweit verletzungsfrei, noch Robert (Hunter) als Sprinter und Bert (Grabsch) als Zeitfahrer und für die Flachetappen hinzugeholt.
Da Bert und ich aus Deutschland kommen, wurden wir sehr schnell passenden Spitznamen zugeordnet…Ernie und Bert…und dass, obwohl ich doch David und nicht Ernie mit Vornamen heiße.

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Beitrag: # 407887Beitrag Schreckus
31.1.2007 - 18:48

6.
Die heutige Trainingsfahrt war nicht allzu lang, was mir persönlich sehr gelegen kam, weil ich wieder diese stechenden Schmerzen im Rücken bekam.
Nachdem wir knapp zwei Stunden durch die Täler der Schweizer Alpen radelten, war wieder eine kleine Bergetappe zwischengeschoben, bevor es nach der Abfahrt den Befehl der Trainer gab, wieder zurück ins heimische Hotel zu fahren.
Aufgrund meiner Rückenschmerzen wurde mir der Aufstieg zur Qual, so dass ich, ähnlich wie gestern, wieder alleine den Berg hinaufkletterte.
Der Rest meiner Trainingsmannschaft fuhr mit einem schnelleren Tempo, so dass ich sie nach ca. fünf Kilometern komplett aus den Augen verlor. Pille kam zwischenzeitlich mit dem Auto vorgefahren und fragte, ob alles in Ordnung sei. Zu diesem Zeitpunkt vermochte ich noch nicht zu sagen, ob ich wirklich schon medizinische Hilfe benötigte. Ich grinste ihn daher mit einem gequälten Gesichtsausdruck an und sagte ihm, dass ich erstmal mein eigenes Tempo fahren müsste. Seine Augen verrieten mir, dass er mir kein Wort glaubte. Gabi auf dem Rücksitz sah so aus, als mache sie sich ihre eigenen Gedanken zu Situation…
Ich hingegen machte mir Sorgen.
Zwar waren mir meine Rückenprobleme mehr als bekannt, allerdings erschien es mir seit einigen Wochen so, als ob die Intensität dieser Schmerzen zugenommen hatten und auch die Abstände immer geringer wurden, Es war bei weitem nicht so, dass meine Rückenschmerzen ständig auftraten. Die Art und Weise, wie sie es aber jetzt taten, waren für mich ungewöhnlich.
Ich quälte mich also den Berg weiter hinauf und merkte langsam, wie ich meine Sitzposition aufgrund der Schmerzen zu verändern begann.
Die Strafe folgte fast postwendend. Ein leichtes Brennen verriet mir, dass meine Haut an einigen Stellen wund wurde. Außerdem bekam ich leichte Schmerzen in den Knien und ein Ziehen in den Waden.
Enttäuschung machte sich bei mir breit.
Das Problem in einer solchen Situation ist, dass neben der Schmerzen, die einem bei einer Alleinfahrt sowieso jeden Kilometer unendlich vorkommen lassen, nun auch noch die Motivation flöten ging.
Ich entschied daher, als ich mich noch ein bis zwei Kilometer weiter den Berg heraufgequält hatte, für heute aufzugeben.
Nicht, dass man mich falsch versteht…
In einer Rennsituation hätte diese Entscheidung für Empörung bei meinen Trainern und dem Sponsor gesorgt. Aber dies war keine Rennsituation.
Als erfahrener Profi, der ich trotz aller Karrieretiefen immer noch war, war diese Entscheidung zur Aufgabe die Richtige.
Es bringt nichts, sich die erworbenen Trainingserfolge durch ein kurzfristig auftretendes, körperliches Problem zunichte zu machen.
Man darf solche Einbrüche nicht ignorieren und so lange weitermachen, bis eine ernsthafte Verletzung auftritt.
Jeder Mensch, der Sportler ist, weiß allerdings, welche Demütigung man erlebt, wenn man AUFGEBEN muss.
Allerdings war es für mich heute nicht an der Zeit, meine persönliche Ehre zu retten und ohne Rücksicht auf Verluste weiterzufahren. Vielmehr war es meine Verpflichtung, an das Team und die bald bevorstehende Rundfahrt zu denken und somit alle meine Energien darauf zu verwenden, an dem Tag, an dem man mich braucht, top fit zu sein.
Aufgrund dieser Gedanken nahm ich also mein Handy und rief „Pille“ an, der sich mit seinem Begleitfahrzeug mittlerweile hinter der vorne fahrenden Trainingsgruppe, und außer Funkreichweite, eingereiht hatte.
Nachdem ich ihm meine Beschwerden und meine Entscheidung mitgeteilt hatte, kam er sofort vorbeigefahren und kehrte mich auf.
Der Regen war stärker geworden, und die Wolken dunkelgrau. Meine Laune stand dem in nichts nach.

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Beitrag: # 408378Beitrag Schreckus
3.2.2007 - 13:23

7.
Der Skodamotor brummte sonor, während ich im Wagen von Pille auf dem Rücksitz den Berg hinauffuhr.
Nicht, dass die Situation nicht schon beschissen genug war. Jetzt konnte ich mir auch noch anschauen, wie meine Teamkollegen weiterhin ohne Probleme ihr Pensum abspulten und dabei noch richtig Spaß hatten.
Pille und Gabi hatten sich in ein Fachgespräch vertieft, wohl auch, um mich erstmal mit meinen Gedanken allein zu lassen.
Zu Beginn zählte ich die Regentröpfchen auf der Beifahrerseite und mummelte mich noch tiefer in meine Decke ein, die mich warm halten sollte. Ich hatte mich bereits vor dem Einsteigen umgezogen und trockene Trainingsklamotten angezogen.
Es kam wieder der Gedanke hoch, welcher mich immer quälte, seit ich Misserfolge einzustecken hatte. War ich wirklich noch fit genug? War ich vielleicht zu alt? Kann man mit 34 Jahren wirklich noch ausreichend Leistung bringen? Lohnt es sich überhaupt, diese ganze Qual noch einmal auf sich zu nehmen? Und was denken die anderen, Trainer, Sponsor und Teamkollegen jetzt über mich…?
Wäre die Situation nicht so schlimm, hätte ich wahrscheinlich über mich gelacht.
War es wirklich schon soweit? War ich mittlerweile in die Jahre gekommen, in der „Mann„ sich fragt, was er hätte anders, besser oder gar nicht machen sollen?
Leider war es seit meinem neuen Engagement bei Phonak wirklich so, dass ich drohte, im Selbstmitleid zu vergehen.
Woran das lag, wusste ich genau.
Meine Karriere begann verheißungsvoll und nahm stetig an Fahrt auf;
…und fuhr letztlich ungebremst gegen die Wand
…und aus den Trümmern, die noch übrig geblieben waren, versuche ich jetzt, am Ende meiner Karriere, noch etwas zu basteln, was mir am Ende meiner Tage vielleicht zu etwas verhilft, was ich noch nie bisher besessen habe;
…Selbstbestätigung
…Achtung vor mir selbst
…Respekt der Anderen
…und letztendlich…
Stolz auf mein Lebenswerk.

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Beitrag: # 409721Beitrag Schreckus
9.2.2007 - 17:29

Hallo!
Mich hatte die letzte Woche der "Noro-Virus" im Griff, weshalb ich nicht schreiben konnte.

Die Geschichte geht aber jetzt weiter...

Ich wollte mal fragen, ob es was zu verbessern gibt...ob der Schreibstil ok ist bzw. nachhören, wie die Geschichte so ankommt?


LG

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Beitrag: # 410089Beitrag Schreckus
11.2.2007 - 11:14

8. Rückblick:

Die Zeitungen überschlugen sich nahezu:
Von einem neuen Tour-de-France Sieger, von einem Allrounder, von einem neuen Lance Armstrong (soweit es den schon gegeben hätte) war die Rede.
Die Rede war von mir. Vor ca. 13 Jahren.
Ich war mit meinen 21 Jahren nach Meinung der Fachpresse geradewegs auf Kurs, um sämtliche Titel im Vorfeld fiktiv abräumen zu können. Zumindest schienen die Zeitungen das zu glauben. Und wenn Zeitungen einen in den Himmel loben, dann ist es schwer, selbst auf dem Boden zu bleiben.
Die Geschichte begann, als ich als Junge von ca. 6 Jahren das Radfahren für mich entdeckte.
Aus dem Spiel wurde ein Hobby, und ich begann tatsächlich, so etwas wie Talent zu entwickeln.
Dies äußerte sich darin, dass ich anfing, erfolgreich an diversen Stadtmeisterschaften teilzunehmen. Dabei war recht schnell klar, dass ich weder ein Sprinterkönig noch eine ausgewiesene Bergziege werden würde. Mein Talent war tatsächlich allumfassend…man bezeichnete mich als Allrounder.
Aus dem Hobby wurde das ernsthafte ausüben einer Sportart…ich bekam meine ersten Amateurverträge bei drittklassigen Rennställen und war sehr erfolgreich bei diversen Rennen. Es zeigte sich manchem Scout allerdings anscheinend sehr schnell, dass ich zu höherem berufen war.
Mit 21 Jahren trat daher im Jahr 1993 das Profiteam TVM an mich heran, um mich als Jungfahrer zu verpflichten.
Gegen den Rat meiner Eltern und Freunde nahm ich diese Herausforderung an.
Die besagten Zeitungen formten aus mir relativ schnell ein Jahrhunderttalent, meine damaligen „Berater“ taten nichts anderes, als diesem Hype zu folgen.
Und tatsächlich: In dieser Mannschaft, in der damals noch unbekannte, aber heute berühmte und klangvolle Namen vorhanden waren, gelangen mir in den ersten zwei Jahren wirklich gute Erfolge.
Ich leistete hervorragende Helferdienste für die „Stars“ und konnte bei kleineren Rennen auch mal erfolgreich auf eigene Kappe fahren. Die Medien wurden derweil nicht müde, mich weiterhin als Jahrhunderttalent zu titulieren. Und auch meine Berater waren nicht unverdrossen, und handelten für mich nach Ablauf meines 2-Jahres-Vertrages einen neuen 2 Jahres Kontrakt aus, der mich finanziell sehr weit nach vorne brachte. Außerdem wurde mir eine einseitige Verlängerungsoption um weitere zwei Jahre zugesprochen.
Mein neues Team, Once, versprach sich sehr viel von mir und bezahlte auch sehr viel.

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Beitrag: # 410688Beitrag Schreckus
14.2.2007 - 18:01

9.
Nachdem die Trainingsgruppe mitsamt mir im „Besenwagen“ das Kurhotel erreichte, begann dasselbe Prozedere wie gestern.
Ich nahm mir wieder meine obligatorische Viertelstunde unter der Dusche und ging dann zum Essen. Der Rest der Mannschaft saß schon und ich wurde mit viel Hallo begrüßt.
Ryder hatte mir an einem Tisch einen Platz freigehalten, so dass ich mich zu ihm setzen konnte.
Nachdem ich mir vom reichhaltigen Abendbuffet die besten Schmankerl herausgesucht und verspeist hatte, kamen wir ins Gespräch.
Er fragte mich nach meinem Befinden und dem Grund, warum ich mich aus der Trainingsgruppe zurückfallen gelassen hatte.
Erst dachte ich daran, eine faule Ausrede zu benutzen…aber als ich die Augen meines Teampartners sah, wusste ich, dass er mir alles andere als die Wahrheit nicht glauben würde.
Daher erzählte ich ihm von meinen Rückenschmerzen, welche mich ab und an, aber in immer wiederkehrender Abfolge, belasteten.
Er hörte mir aufmerksam zu und empfahl mir letztendlich, mich vertrauensvoll an Pille zu wenden. Der Gedanke gefiel mir nicht wirklich. Obwohl mir bisher kein Arzt etwas zu Leide getan hatte, fühlte ich mich bei ihnen nicht wohl. Ich kam mir immer vor wie ein Lamm auf der Schlachtbank.
Meine Bedenken wies Ryder aber mit einem Lächeln zurück…Pille habe schon so manche Verletzung auskurieren können, bei denen andere Ärzte bereits das Handtuch geworfen hätten. Nicht umsonst hätten viele andere Teams versucht, ihn abzuwerben. Allein seinem Patriotismus sei es zu verdanken, dass Pille weiterhin als Schweizer in der Schweiz bei einem Schweizer Team unter Vertrag steht.

Ich beschloss also, den morgigen Tag abzuwarten. Wenn ich dann noch Schmerzen hätte, würde ich mich an Pille wenden.

Mitten in das Gespräch hinein platzte Daniel. Obwohl kein Platz mehr frei war, schnappte er sich einen Stuhl und wuselte und quetschte sich noch an neben uns. Bei sich trug er wieder einmal diverse Sportzeitschriften und Computerausdrucke irgendwelcher Radsportforen.
Die Frage, was er mit dem ganzen Papierkram wolle, erübrigte sich zwar, wurde aber trotzdem von Ryder grinsend gestellt. Daniel hatte die passende Antwort aber parat. Er wolle die „Daten“ auswerten und feststellen, ob er aufgrund der Medienberichte schon jetzt reelle Chancen habe, die Wahl zum Schweizer Radsportler des Jahres zu gewinnen.
Ich verdrehte die Augen, während Ryder vor lachen fast vom Stuhl fiel.
So war unser Kurzer: Völlig unbeeindruckt von jeglichem Medienrummel fixierte er sich nur auf das momentan wichtige für ihn. Die Meinung der Öffentlichkeit.
Ich beneidete ihn fast ein bisschen.
Während ich jeden Tag überlegte, wie die einzelnen Etappen der Rundfahrt am Besten abgespult werden konnten, schien sich Daniel darüber überhaupt keinen Kopf zu machen. Wenn ich ihn lassen würde, würde er wahrscheinlich einfach drauflos radeln und mal schauen, welche Platzierung am Ende für ihn raus springen würde.
Aber ich wollte ihm seine jugendliche Unbedarftheit auch nicht austreiben. Mit 18 Jahren hatte er noch viel Zeit, die notwendige Verantwortung bei Rennen zu lernen.
Diese Rundfahrt ohne viel Überlegen anzugehen, war wahrscheinlich das Beste für ihn.
Ich jedenfalls würde alles tun, um ihn zu unterstützen. Deshalb war ich in diesem Team und deshalb auch mit ihm auf einem Zimmer.
Wir werden sehen, was ich ihm als Ausbilder beibringen kann. Ich freute mich jedenfalls darauf.

Nach dem Essen gab es eine kurze Besprechung mit unserem sportlichen Leiter Frederic Simon, danach ging es ins Bett.
Durch meine weiter andauernden Rückenschmerzen fand ich keinen Schlaf. Ich wälzte mich hin und her und dachte wieder an meine Vergangenheit…

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Beitrag: # 411034Beitrag Schreckus
17.2.2007 - 11:24

10. Rückblick

1995 begann also langsam die Wirklichkeit. Ich war bis dahin immer sehr unbekümmert an die ganze Radsportsache herangegangen und hatte mich nicht selbst unter Druck gesetzt. Der Druck kam aber bis dahin auch nicht von außerhalb, weil ich zwar ein angebliches „Jahrhunderttalent“ war, allerdings noch ohne Anspruchsdenken meine Rennen fahren konnte. Der Erwartungshorizont bei Talenten ist doch halt relativ gering. Hinzu kam, dass mein sportlicher Leiter mich sehr behutsam aufbaute und mir auch das Recht auf Fehler zugestand.

Nun aber, mit einem dicken Vertrag in der Tasche, blies mir der Wind doch sehr stark ins Gesicht. Hinzu kam, dass die spanischen Medien bei weitem nicht so konservativ bzw. mit kontrollierten Emotionen an den Radsport herangingen, wie das vorher die Niederländischen getan haben. Und auch meine sportliche Leitung machte keineswegs einen Hehl daraus, dass man „Großes von mir erwartet“.
Mein erstes Jahr verlief recht unauffällig. Ich war ein gern gesehener Helfer und konnte die in mir gesetzten Erwartungen, was diese Aufgabe anging, auch gut umsetzen.
Allerdings war ich nicht geholt worden, um der bestbezahlte Helfer im Team zu sein.
Bei den Rennen, in der ich als Siegfahrer bestreiten sollte, lief es aber alles andere als gut.
Anstatt sich aber mal Gedanken zu machen und selbstkritisch die eigenen Fehler zu analysieren, begann ich, die Schuld bei der Teamleitung und bei meinen Teamkollegen zu suchen.
Ich war mittlerweile 23 Jahre alt, aber alles andere als erwachsen. Daher nahm ich fast immer den Rat und die Meinung meines Managers an, welche natürlich recht gut an mir verdienten. Allerdings waren sie für mich, im Nachhinein betrachtet, ein absoluter Fehlgriff.
Für meinen Manager lag der Grund für meine fehlenden Siege ebenfalls nur bei dem Team und der Teamleitung. Er verfestigte die Meinung in mir, dass ich als Jahrhunderttalent bei jedem Rennen hervorragend gefahren sei, allerdings aufgrund der mangelnden Unterstützung des Teams und der fehlerhaften Taktik der Teamleitung gar keine Möglichkeit zum Siegen hatte.
So lebte ich langsam in meiner eigenen, isolierten Welt als „Superstar“ auf, und verlor zusehends den Kontakt zu meinen Teamkameraden. Diese merkten natürlich relativ schnell, dass ich mich als Jungprofi für etwas „Besseres“ hielt, so dass man mich nicht mehr akzeptierte.
Nach Abschluss des ersten Jahres wurde ich zu einem Gespräch mit der Teamführung geladen, welche mir deutlich machten, dass sie zwar mit meinen Helferdiensten, aber nicht mit meinen Eigenschaften als Rennkapitän zufrieden waren.
Sie boten mir Hilfe in Form eines eigenen Trainers und eines Psychologen an, welche ich aber, nach Rücksprache mit meinem Manager, ablehnte. Auch den Rat des Teamkapitäns, vielleicht einfach mal den Manager zu wechseln, lehnte ich mit einem herablassenden Lachen ab.
Die Winkerei mit dem Zaunpfahl sowohl vom Team als auch von den Verantwortlichen erkannte ich gar nicht. Ich hatte genug Geld, schwelgte im Luxus, hatte tolle Frauen und tolle Partys. Da kann man so was übersehen…

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Schreckus
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Beitrag: # 411135Beitrag Schreckus
18.2.2007 - 10:32

11. Rückblick

Man darf es aber nicht übersehen.
Die neue Saison 1996 startete, und es ging weiter bergab mit mir.
Nachdem mir mein Manager einredete, dass ich für Helferdienste eindeutig übertalentiert sei, nahm ich diese Dienste auch nicht mehr ernst.
Das Fahren im Wind war mir zu anstrengend, das Klettern am Berg war mir zu kraftaufwändig. Hügeletappen vereinten beide Disziplinen, so dass ich dort erst recht keine Motivation aufbringen konnte.
Meine Teamkameraden sahen mich mittlerweile nicht mehr als Teampartner an, ich as meistens alleine und hatte erhebliche Probleme, einen Zimmernachbarn zu finden. Ich dachte mir immer: „Wenn die auf mein Talent eifersüchtig sind, kann ich es auch nicht ändern!“

Bei den Rennen, bei denen ich Rennkapitän war, forderte ich allerdings alle Helferdienste ein, die ich selbst nicht bereit war, zu geben. Dies sah natürlich keiner meiner Kameraden ein. Dementsprechend fehlte mir die aufopfernde Hilfe meiner Kollegen, mit der man ein Rennen gewinnen kann. Natürlich verweigerten sie nicht ihre Arbeit, aber sie gaben auch nicht das äußerste. Aber wer würde das auch für ein egoistisches, hochnäsiges „Supertalent“, wie ich eine war, tun? KEINER!

Die Saison endete damit, dass ich bei der Lombardeirundfahrt am 19.10.1996, bei der von mir ein Platz auf dem Treppchen erwartet wurde, erst in einer Restgruppe hinter dem Peloton ins Ziel kam. Der Sieger, Andrea Tafi vom italienischen Team Mapei GB, war insgesamt 34:32 min schneller als ich…

Die Mannschaftsleitung offenbarte mir bei der Saisonabschlussbesprechung einstimmig, dass ich in dem Team keine Zukunft mehr haben würde und legte mir nahe, mir ein anderes Team zu suchen.
Ich hörte allerdings erneut auf meinen Manager, und nicht auf den Rat der Teamleitung oder meiner Familie.
Ich zog die Option und verlängerte damit automatisch meinen Vertrag um zwei weitere Jahre zu selben Bezügen. Man kann sich vorstellen, wie das Klima zwischen dem Team und mir anschließend war.
Aber zu diesem Zeitpunkt achtete ich nur auf das Geld, und nicht auf einen Ruf, den man verlieren konnte.
Die spanischen Fachzeitschriften überschlugen sich daraufhin mit Hasstiraden über mich, weil das Team durch diese Vertragsverlängerung finanziell nicht in der Lage war, sich einen anderen guten Fahrer zu verpflichten.

Mit 25 Jahren und zwei weiteren Jahren Vertrag in der Tasche startete ich somit in meine dritte Profisaison 1997.
Zumindest hatte ich es vor. Allerdings kam alles anders als ich dachte.
Bei der Mannschaftspräsentation wurde mein Name erst nach den Neo-Profis genannt, und nach Rücksprache mit der Teamleitung erfuhr ich, dass ich nur für die unterklassigen Rennen eingesetzt werden würde.
Den gesamten Saisonverlauf wurde ich von dem Team nicht richtig gefördert, also erbrachte ich auch keine Leistungen. Zumindest nicht bis September.
Der September allerdings stellte einen Umschwung in meiner Karriere dar.
Als ich dachte, schlimmer kann es nicht mehr werden, kam es noch schlimmer.
Zumindest am Anfang.
Wie sich herausstellte, hatte meine Manager einen höher dotierten Schützling gefunden, so dass er sich nun nicht mehr die Zeit hatte, um sich um mich zu kümmern. Das Vertragsverhältnis war von dem einen zum anderen Tag aufgelöst.
Ich war anfangs wie geplättet. Total desillusioniert brach auf mich die Welt ein, die durch meine Manager bislang immer fern gehalten wurde. Mir fehlten plötzlich ein Ansprechpartner und jemand, der mir sagte, was ich zu tun oder zu lassen habe.
Ich fand mich in einer Welt wieder, in der ich mit Gewissheit nur eines war: ALLEIN.

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Schreckus
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Beitrag: # 411312Beitrag Schreckus
19.2.2007 - 13:35

12.
Es war ein wunderschöner Anblick.
Der Regen der letzten Tage war verschwunden, und die Alpen lagen im strahlenden Sonnenschein. Es waren angenehme Temperaturen und ich hatte seit mehreren Tagen keine Rückenschmerzen mehr. Ich radelte neben Daniel und Ryder auf einer Talstraße auf unseren nächsten Berg zu.
Hinter uns fuhren Koos, Florian und Johann. Im Gegensatz zu den letzten Tagen waren wir momentan nur noch zu sechst im Trainingslager.
Miguel und Axel waren nach Italien geflogen, wo sie mit Fabrizio Guidi, Aurelien Clerc, Martin Elmiger, Steve Zampieri, Uros Murn und Robert Hunter zusammen morgen, am 18.03.2006, beim Klassikerrennen Mailand – San Remo teilnehmen sollten.
Wir waren bereits jetzt schon gespannt, ob wir mit unseren Sprintern in der Lage waren, einen guten Platz herauszufahren. Schlecht wäre es für uns nicht, da wir bis zum jetzigen Zeitpunkt kein wirklich gutes Resultat erreicht hatten.

Unser Trainingslager ging noch bis zum 01.04.2006, bevor ich dann mit Ryder und Daniel bei diversen Rennen zur Vorbereitung auf die Tour de Romandie starten würde. Eines der Rennen sollte „Rund um Köln“ darstellen…für mich nur ein Trainingsrennen, da ich auf hügeligen Terrain nicht so gut klar komme.

Bis dahin spulten wir alle ein Training ab, welches hauptsächlich auf hügeliges bzw. bergiges Terrain fixiert war.
Heute stand ebenfalls wieder eine Passstraße auf dem Programm, allerdings freute ich mich bei diesem Königwetter regelrecht auf den Anstieg.
Ohne uns groß zu unterhalten fuhren wir den Berg hinauf.
Daniel unternahm zwar immer wieder Versuche, die „Schweigepflicht“ zu brechen, aber ich ermahnte ihn jedes Mal, besser still zu sein und lieber alle Kraft in die Beine zu legen.
Natürlich hörte er wieder nicht auf mich…gerade, als er einen neuen Konversationsanlauf starten wollte, fuhr eines der beiden Teamfahrzeuge heran und blieb auf gleicher Höhe mit uns.
Aus den Augenwinkeln sah ich bereits, dass es laut werden würde. Franc´s Halsschlagader schien den Umfang eines Wasserrohres angenommen zu haben. Bereits bevor die Seitenscheibe der Fahrertür runtergelassen wurde, hörte ich das Gebrüll im Inneren des Wagens. Daniel wusste, was ihm blühte, und schaute starr nach vorne. Ryder und ich mussten uns das Lachen verkneifen…unsere Teamkollegen von hinten johlten bereits und machten keinen Hehl daraus, dass die Schadenfreude der Angst vor einem Anschiss des „Tanks“ überwiegte.
Das Inferno brach los, als die Seitenscheibe unten war.
Worte wie Inkompetenz, Faulheit und mangelnder Respekt wurden von zahlreichen nicht jugendfreien Schimpfwörtern begleitet. Sie hätten ein Buch füllen können.
Franc schrie ungefähr 2 Minuten auf Daniel ein, welcher weiterhin nur geradeaus schaute. Nachdem das Inferno vorbei war, sagte Daniel keinen Ton mehr…und zwar die ganze Trainingseinheit lang.
Ich hatte ihn gewarnt…aber ich wusste auch genau, dass es für Daniels Entwicklung eminent wichtig war, zu lernen, auf die Anweisungen der Trainer zu hören.
Franc nahm solche Dinge nicht persönlich, sie machten ihn nur unglaublich wütend. Nachdem er die Wut durch Brüllerei aber losgeworden war, war die Sache für ihn auch regelmäßig gegessen.
Ich würde mit Daniel heute Abend noch mal sprechen. Wichtig war, dass er sich nach so einem Anschiss auch auskotzen konnte.
Letztlich war ich mir aber ziemlich sicher, dass auch Urs, unser zweiter Trainer, den Anschiss registriert hatte. Bei der Datenauswertung wird er beim „Anschisszeitpunkt“ bei Daniel bestimmt einen erhöhten Puls festgestellt haben…

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Beitrag: # 411585Beitrag Schreckus
20.2.2007 - 17:23

13.
Als ich heute Morgen aufwachte, merkte ich bereits eine gewisse Anspannung. Und das, obwohl ich heute ja gar nicht bei Mailand – San Remo am Start stehen würde, sondern nur meine Teamkollegen.
Ich hatte gestern Abend noch mit Daniel gesprochen, aber wie ich bereits dachte, hatte sich der Kurze den gestrigen Anschiss nicht besonders zu Herzen genommen. Ich war mir aber sicher, dass er zukünftig genauer auf die Anweisungen unserer Trainer achten wird.

Nach dem Frühstück stand eine Trainingsfahrt über vier Stunden an, bevor danach, nach einer kurzen Teambesprechung, das Rennen gemeinsam geschaut werden würde. Der Tag war heute eher zur Regeneration gedacht. Daher fuhren wir auch nur die Talstraßen entlang und durften uns heute sogar unterhalten.
Florian, Johann, Daniel und Ryder fuhren vorne weg und redeten über dies und das.
Ich hatte mit Koos eine Zweiergruppe gebildet und unterhielt mich mit ihm ein bisschen über das heutige Rennen und die Gewinnchancen.
Koos war der Meinung, dass es heute eine Sprinterankunft geben würde. Er hatte das Gefühl, dass unsere Jungs vielleicht was reißen könnten. Ich hingegen hatte eher das Gefühl, dass Miguel (Perdiguero) heute an den Anstiegen kurz vor dem Ziel einen Ausreißversuch unternehmen würde. Es würde sich zeigen, wer und ob überhaupt einer von uns beiden Recht behalten würde.
Nachdem wir vom Training zurückgekehrt waren, fand nach dem Mittagessen die Fahrerbesprechung statt. Da unser sportlicher Leiter natürlich in Mailand war, war es diesmal Aufgabe von Urs, die Besprechung zu leiten.
Dementsprechend war die Zusammenkunft auch schnell beendet, und die Fahrer nahmen im luxuriösen Aufenthaltsbereich unseres Hotels Platz und warteten darauf, dass der Sportsender seine Live-Übertragung startete.
Urs und Franc baten mich, noch einen Moment zu bleiben.
Wir sprachen noch ca. 10 Minuten über die Entwicklung und das momentane Befinden von Daniel und Johann. Zu ersterem konnte ich natürlich mehr Auskunft geben, da ich als Zimmerkollege mehr Zeit mit ihm verbrachte und einfach „näher dran“ war.
Es wurde deutlich, dass die Leitung des Team Phonak sehr viel Hoffnung in die beiden großen Talente legte. Sofern beide oder zumindest einer in der Lage waren, bei den folgenden Rennen gute Platzierungen herauszufahren, war damit zu Rechnen, dass zumindest ein kleiner Hype in der Schweiz ausbrechen würde. Anzeichen dafür waren schon bereits erkennbar. Wenn die Sache richtig losging, würde das Team und damit natürlich auch der Sponsor in den Fokus der Öffentlichkeit genommen. Und das war vor allem für den Sponsor ein wichtiges Ziel.
Nachdem wir unser Gespräch beendet hatten, setzten wir uns zu unseren Kollegen. Die Übertragung hatte soeben begonnen.

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Beitrag: # 411632Beitrag Schreckus
20.2.2007 - 19:52

14. Mailand – San Remo (18.03.2006)

Mailand – San Remo hat folgenden Kursverlauf:
Bild

Markantester Punkt des Flachetappenrennens ist der Passo del Turchino, welcher ungefähr zur Hälfte des Rennens mit ca. 532 m in die Höhe ragt. Rennentscheidend ist dieser Berg nicht. Dies trifft eher auf die drei letzten knackigen Anstiege kurz vor dem Ziel zu, dem Capo Berta, der Cipressa und dem Poggio. Hier hat es in der Vergangenheit öfter Ausreißversuche gegeben, welche aber relativ selten Erfolg hatten. Meistens gewinnen die Sprinter…letztes Jahr beispielsweise Alessandro Petacchi. Erik Zabel hat dieses Rennen auch bereits viermal gewinnen können.

Die Teamleitung hatte das Ziel, mit einem unserer Fahrer bei der Sprintankunft eine gute Platzierung herauszufahren. Hierfür hielt ich „Fabrizio“ oder „Robert“ für prädestiniert.
Ich persönlich hatte eher das Gefühl, dass einer unserer Hügelspezialisten heute das Heft in die Hand nehmen würde.
Mein persönlicher Tipp: Miguel (Perdiguero) attackiert am Poggio und holt eine Top 10 Platzierung. Fit genug schien er mir nach den von mir gewonnenen Eindrücken zu sein.
Als die Übertragung startete, war bereits eine Ausreißergruppe vorne, welche in der Spitze teilweise fast 12 min herausfuhr. Diese Zweiergruppe bestand aus Bazayev und Steels und funktionierte bis kurz nach dem Passo del Turchino.
Die beiden Ausreißer hatten sich am Anstieg aber anscheinend die Kräfte nicht richtig eingeteilt, so dass der Vorsprung trotz gleich bleibenden Tempos des Feldes dahin schmolz.
Noch bevor die Gruppe gestellt werden konnte, griff ca. 50 km vor dem Ziel Stefan Schumacher vom Team Gerolsteiner an. Ihm folgten postwendend Flecha, Bernucci, Verbrugge Zanini, Decker und Mori.
Ich für meinen Teil fand den Angriff von Schumi reichlich verfrüht, jedoch zeigte es sich, dass die Gruppe schnell an Abstand gewinnen konnte.
Nach diesem Angriff folgten weitere vereinzelte Attacken von verschiedenen Fahrern, welche jedoch durch Milram und Credit Agricole abgeschmettert werden konnten.
Man merkte relativ schnell, dass beide Mannschaften eine Sprintankunft beabsichtigten. Mit Petacchi, Zabel und Hushovd waren aussichtsreiche Sprinter und Gewinner der letzten Jahre im Peloton.
Nach dem die 50km-Marke vor dem Ziel erreicht wurde, zog das Tempo im Feld merklich an.
Der Vorsprung der Ausreißer wurde langsam kleiner. Nachdem das Feld in einem Wahnsinnstempo in die Hügelformationen kurz vor dem Ziel preschte, erfolgte an der Cipressa ein erneuter Angriff…ich konnte es kaum glauben.
Mit einem kraftvollen Antritt sprang Axel aus dem Feld davon und stampfte in seiner unnachahmlichen Art den Hügel hinauf.

Bild

Das Feld reagierte zunächst nur mit noch mehr Tempo durch Milram, Lotto und Credit Agricole. Allerdings schien es, als ob die Nachführarbeit zu Anfang nicht mit der notwendigen Konsequenz geführt wurde.
Axel konnte sich immer mehr frei strampeln und erreichte in einem Kraftakt die Spitzengruppe.
Der wie entfesselt fahrende Decker sowie Axel wechselten sich bei der Führungsarbeit sofort ab, während der Rest der Gruppe lutschte.

Bild

Empörte Zwischenrufe in unserem Aufenthaltsraum zeigten, dass niemand für diese Aktion Verständnis hatte. Wollten die anderen nicht gewinnen?
Wir fieberten weiter mit, während die Ausreißergruppe den letzten Anstieg, den Poggio, in Angriff nahm.
Dort zeigte sich, warum der Rest der Spitzengruppe keine Führungsarbeit leistete. Es fehlte ihnen die Kraft. Während Schumacher am Hang plötzlich in die Führungsarbeit ging, mussten Decker und der Rest der Fahrer reißen lassen. Lediglich Axel schien nochmals alle Kräfte zu mobilisieren und blieb am Hinterrad.
Die beiden fuhren die letzten Kilometer bis zum Ziel, wobei sich Schumacher nicht mehr an der Führungsarbeit beteiligte, sondern sich nur noch hinter Axel aufhielt. Von hinten jagte bereits das Feld heran.
Axel versuchte zweimal, Schumacher abzuschütteln, aber dieser ließ das natürlich nicht zu.
Knapp 400 Meter vor dem Ziel zog Schumi dann aus dem Windschatten heraus und jagte an Axel vorbei. Dieser versuchte dran zu bleiben, hatte im Sprint allerdings keine Chance.

Bild

Wir jubelten trotzdem, denn mit diesem Resultat hatte niemand gerechnet. Vor allem freute es uns für Axel, der mit diesem Zweiten Platz eines der besten Ergebnisse seiner bisherigen Saison feiern konnte.
Die Sprinterfraktionen gingen heute also fast leer aus, lediglich Petacchi schaffte es als Dritter aufs Treppchen.

Ergebnis:
1 Stefan Schumacher (GST) 7h24'27
2 Axel Merckx (PHO) s.t.
3 Alessandro Petacchi (MRM) +54
4 Robbie McEwen (DVL) s.t.
5 Thor Hushovd (CA) s.t.
6 Oscar Freire (RAB) s.t.
7 Daniele Bennati (LAM) s.t.
8 Erik Zabel (MRM) s.t.
9 Luca Paolini (LIQ) s.t.
10 Paolo Bettini (QST) s.t.
Zuletzt geändert von Schreckus am 14.4.2007 - 10:36, insgesamt 2-mal geändert.

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Beitrag: # 412190Beitrag Schreckus
22.2.2007 - 18:11

15.
Nach dem Rennen gingen wir gesammelt in den Wellness-Bereich des Hotels. Danach war für abends eine kleine Feier wegen des guten Ergebnisses geplant.
Ich ließ es mir bis dahin im Liegestuhl gut gehen und erinnerte mich an meine Vergangenheit zurück, welche bei Weitem nicht solche Höhepunkte wie den heutigen Platz auf dem Podest aufzuweisen hatte:

Rückblick:
Es war nun Mitte des Jahres 1997, und ich sah mich das erste Mal alleine mit meinem Schicksal, und vor allem auch mit dem Resultat meines bisherigen Verhaltens, konfrontiert.

Ab jetzt musste ich mich persönlich mit der Teamleitung, den Teammanagern und den anderen Verantwortlichen auseinandersetzen.
Was tat ich also?
Mutig, wie ich nun einmal war, ging ich jeglichen Gesprächen und Meetings aus dem Weg. Mein Ausweg und Zuflucht war das Training.
Ich trainierte jeden Tag sehr zeitintensiv und ausdauernd, damit die Teamleitung bloß keinen Grund hatte, mich in irgendeiner Art und Weise zu kontaktieren.

Mein damaliger Trainer war ein guter Freund meines Managers. Es stellte sich heraus, dass dies auch der einzige Grund war, warum er mich trainierte. Nachdem mein Manager hinter schwedischen Gardinen saß, war auch mein Trainer nicht mehr für mich zu erreichen. Meine gesamte berufliche Welt war zusammengebrochen. Da ich mich selbst nie um Trainingspläne, Ernährungsfragen, Regenerationszeiten und Fitnessstandards gekümmert hatte und sie mich bis dato auch nie interessiert hatten, stand ich nun vor der Situation, auch hier keine Hilfe mehr zu haben.
Der Teamleitung ging ich aus dem Weg und tat so, alles sei in bester Ordnung. Ich wagte es nicht einmal, meine Probleme dort zu offenbaren. Da man sich auch nicht außerordentlich für mich interessierte, war ich letztlich ein Profiradfahrer ohne Motivation, ohne Erfahrung, ohne Manager und ohne Trainer. Es war also abzusehen, dass ich bald auch noch ein Profiradfahrer ohne Kondition sein würde.

Trotzdem trainierte ich auf eigene Faust und orientierte mich an den Gedankenresten, die mir über das Training mit meinem Trainer im Kopf geblieben waren.
Gleichzeitig fing ich an, mit Hilfe von Fachliteratur ein eigenes Verständnis zu entwickeln, worauf ich bei Training und Ernährung achten muss.

Meine Eigeninitiative und das viele Training führten letztlich zu folgendem Ergebnis:
Ich merkte, wie ich meine Kondition nicht konservieren konnte.
Ich merkte, dass ein von mir aufgestellter Trainingsplan nicht ausreichte,
Ich merkte, dass ich Gewicht zunahm
Ich merkte, dass ich nicht mehr wettkampftauglich war.

Aber ich merkte auch etwas anderes:
Zuletzt geändert von Schreckus am 23.2.2007 - 17:07, insgesamt 2-mal geändert.

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Beitrag: # 412403Beitrag Schreckus
23.2.2007 - 17:06

16. Rückblick
Was ich während der zahllosen, langen und teils frustrierenden Trainingsverläufe feststellte, war folgendes:
Ich versuchte, die Erinnerungen an meine alten Trainingseinheiten und deren Abläufe zu rekonstruieren. Natürlich fehlten mir die Erfahrung und das Fachwissen, aber trotzdem schuf ich mir anhand meiner Erinnerungen und den Tipps aus der Fachliteratur mein eigenes Trainingsprogramm.
Zugegeben, besonders erfolgreich war es nicht. Ich merkte sehr bald, dass ich nicht im Handumdrehen ein wettkampftaugliches Training entwickeln konnte. Ich merkte auch, dass ich dazu wahrscheinlich nie in der Lage sein werde. Dazu gab es halt Fachmänner. Doch anhand meiner fehlschlagenden Trainingseinheiten lernte ich langsam, die Arbeit eben dieser Fachmänner zu schätzen.
Und ich lernte, auf meinen Körper zu hören.
Obwohl ich merkte, dass das Trainingsprogramm für einen Profi-Radsportler nicht ausreichend war, war ich stolz auf mein Training. Und ja: Es machte mir jeden Tag Spaß, meine selbst kreierten Einheiten zu absolvieren. Und ich merkte, wie mein Körper auf bestimmte Aspekte des Trainings reagierte.
Dementsprechend kam zu dem Spaß, den ich hatte, auch noch Stolz dazu.
Stolz, dass ich endlich alleine mein (Sportler-)leben in der Hand hatte und Stolz, dass ich mich aus eigenem Antrieb aufraffen konnte, diese Verantwortung für mein Leben endlich selbst zu übernehmen.
Nebenbei erkannte ich außerdem, welche Fehler ich bisher in meinem Training gemacht hatte und begann, diese auszumerzen.

Kurz gesagt, brachte mir dieses Training eine Art Selbstfindung:
Ich entdeckte mein ICH:

Letztendlich trainierte ich ca. 4 Wochen alleine. Allerdings trainierte ich weniger meinen Körper, auch wenn ich dies versuchte, sondern viel mehr meine Seele.

Eines Abends saß ich auf meinem Sessel, und schaute durch das Dachfenster aus meinem dunklen Zimmer in die Sterne.
Ich überlegte, wie ich die verfahrene Situation, in der meine „Karriere“ momentan steckte, lösen konnte.
Letztendlich entschloss ich mich, die Initiative zu ergreifen.

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Beitrag: # 412547Beitrag Schreckus
24.2.2007 - 12:03

17. Rückblick
Zuerst begann ich, mir einen neuen Trainer zu suchen. Dies war alles andere als leicht, weil mein „guter“ Ruf mir vorauseilte.
Letztlich fand ich aber im weiten Bekanntenkreis meiner Familie einen Bekannten, der bereit war, mich zu trainieren.
Er hatte Sportwissenschaften studiert und war geradezu radsportfanatisch, sowohl im beruflichen als auch im privaten Sinne. Er kannte sich sehr gut aus hinsichtlich Training, Ernährung und Fitness, jedoch war er nach eigenem Bekunden nicht gerade talentiert, wenn es um die taktische Ausrichtung ging.
Außerdem war er charakterlich in Ordnung. Dies merkte ich, nachdem er mir die Bedingungen für sein Engagement offenbarte. Kurz und knapp sagte er nur folgendes: „Wenn ich merke, dass ich mehr Kraft und Enthusiasmus in unser Training stecke als du, dann gehen wir sofort getrennte Wege! Sehe ich aber, dass du genauso professionell arbeitest, wie ich, werden wir viel Spaß miteinander haben.“

Spaß? Wie sich nach den ersten Trainingstagen herausstellte, waren unsere Definitionen von Spaß grundverschieden. Das Training glich einem Bootcamp. Sobald ich drohte, die Konzentration oder Kondition zu verlieren, wurde mir die Hölle heiß gemacht. Dies äußerte sich darin, dass ein entsprechender Anschiss auch gerne mal auf einer voll befahrenen Straße oder bei Pausen an irgendwelchen vollen Rastplätzen erfolgte. Ich kam des Öfteren mit roten Ohren aus dem Training. Was mich dabei immer wieder erstaunte, war, dass der gute Herr Trainer mit 65 Jahren noch über ein dermaßen lautes Organ verfügte, dass ein startender Jumbo im Vergleich wie eine summende Mücke wirkte.

Letztlich erkannte ich aber relativ schnell die Fortschritte meines Trainings. Meine Kondition und Kraft nahm stetig zu; ich fühlte mich wirklich fit.
Im Gegensatz zu den Vorjahren ließ ich mich aber in die Trainingsplanung einbinden. Ich ließ mir genau erklären, welchen Sinn welche Trainingseinheit hat, in welcher Intensität sie zu welchem Zeitpunkt betrieben werden muss und welcher ergänzende Ernährungsplan hierzu am besten passte.

Ich wollte niemals mehr die Kontrolle und Verantwortung für meine Profikarriere aus der Hand geben.

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Beitrag: # 413901Beitrag Schreckus
4.3.2007 - 12:47

18.
Das Trainingslager ist beendet…es ist der 2. April, und heute findet die Flandernrundfahrt statt.
Das Trainingslager hat noch sehr viel Spaß gemacht, und die Trainingseinheiten von Urs und Franc hat Wunder bei mir gewirkt. Ich fühle mich jetzt schon fit. Zwar braucht es wohl noch etwas, um in Wettkampfform zu kommen, aber ich finde, ich stehe schon auf einer soliden Grundlage.
Was mich außerdem besonders glücklich gemacht hat, ist, dass ich bis zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei Rückenprobleme mehr gehabt habe. Ich halte das für ein gutes Omen und hoffe, dass ich diesen Zustand vielleicht bis nach der Tour de Romandie erhalten kann.
Die interessierte Schweizer Radsportöffentlichkeit schien sich auch bereits auf dieses erste Saisonhighlight bei den Eidgenossen zu freuen. In den Medien gab es schon diverse Vorblicke auf die Teamaufstellung, -taktik und –form.
Nicht überraschend für mich kam dabei auch, dass ich natürlich wieder einmal als einziger Kritikpunkt in der Teamaufstellung gesehen wurde. Dabei war natürlich meine Vergangenheit das ausschlaggebende Thema.
Diese Tatsache brachte mich ziemlich auf den Boden, weil ich selber gedacht hatte, die Vergangenheit hier vergessen und in meinen späten Jahren noch einmal einen Neuanfang starten zu können.
Dass die Vergangenheit einen ständig verfolgt, wurde mir nun eindrucksvoll bewiesen.
Im Gegensatz zur Vergangenheit freute es mich allerdings ungemein, dass ich von meinem sportlichen Leiter Frederic Simon vollste Rückendeckung erfuhr. Nachdem er klargestellt hatte, dass meine Nominierung gerechtfertigt sei, konnte ich im Videotext, Internet und Zeitschriften diverse Überschriften Marke: „Phonak gibt Rückendeckung für David Voss“; „Nominierung von Voss steht“; „Voss soll für Phonak klettern“ usw. lesen.
Ich hoffte, dass ich die in mich gesetzten Erwartungen auch erfüllen konnte. Es wäre mir nichts peinlicher, als wenn meine Karriere weiterhin von Verletzungs- bzw. Fehlerseuchen begleitet würde. Ich wollte endlich etwas vollbringen, worauf ich und meine Mannschaft stolz wären.
Das ist das Ziel, welches ich zum Ende meiner Sportlerkarriere noch erreichen möchte, und es ist außerdem der Grund, warum ich überhaupt bei Phonak unterschrieben habe.

In der Radsportwelt fanden natürlich auch Rennen statt, während wir im Trainingslager verweilten. So nahm unsere Mannschaft am Settimana Internazionale teil, welches vom 24.03. – 26.03.2006 stattfand. Gesamtsieger wurde hier Damiano Cunego vor Vincenzo Nibali und Mario Aerts. Unsere Mannschaft hatte mit dem Ausgang des Rennens nichts zu tun.

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Beitrag: # 414119Beitrag Schreckus
6.3.2007 - 19:24

19. Die Flandernrundfahrt (02.04.2006)

Das Streckenprofil der 250 km langen „Ronde“ sieht folgendermaßen aus:

Bild

Das Anfangs vollkommen flache Terrain führt in der zweiten Rennhälfte durch die flämischen Ardennen und wird daher äußerst hügelig. Daher sind hier vor allem die Fahrer Favoriten, die sich auf hügeligem Terrain und auf Kopfsteinpflaster wohl fühlen. Die zahlreichen Hügel (sog. Hellingen) werden begleitet von unasphaltierten Kopfsteinpflasterpassagen (sog. Kasseien), was das Absolvieren der teilweise knapp 20%igen Anstiege vor allem bei Feuchtigkeit äußerst schwierig macht.
Die bekanntesten Hellingen sind bei diesem Rennen der Koppenberg und die „Mauer von Geraadsbergen.
Unser Team besitzt keinen ausgewiesenen Fahrer für Kopfsteinpflaster, weshalb wir uns bei diesem Rennen sowie bei Paris-Roubaix und Gent-Wevelgem keine Chancen auf eine Platzierung unter den Top 50 machten.
Im Gegenteil versuchen unsere Fahrer bei diesen Rennen, möglichst unbeschadet aus der Sache herauszukommen.
Einziger Fahrer, der mit etwas Glück das Rennen nicht unter „ferner liefen“ beenden könnte, war Bert (Grabsch). Aber er hatte keine Chance gegen die Favoriten Boonen, Mattan, Ballan und Hincapie.
Zu Beginn des Rennens entwischte direkt eine Gruppe von fünf Fahrern, welche aber kurz vor Beginn der Hellingen gestellt werden konnte.

Bild

Um Massenstürzen aus dem Weg zu gehen, gliederten sich Bert und Robert relativ schnell in die Führungsarbeit ein, während das Peloton in die flämischen Ardennen einfuhr.

Bild

Als ich die Bilder so sah, war ich wirklich froh, dass unsere Jungs nicht im Regen fahren mussten. Die Pflastersteinpassagen kombiniert mit den unglaublich steilen, kurzen Anstiegen ließen mir schon als Zuschauer den Schweiß auf der Stirn stehen.
Allerdings war ich überrascht, dass sich Bert und Robert schon so früh im Rennen zeigten.
Wie sich herausstellte, war dies bis dahin aber genau die richtige Taktik.
Aus einem Grund, den die Kamera nicht festhielt, gab es ca. 30 km weiter bei einem der zahlreichen Anstiege einen Riss im Feld, den eine größere Gruppe nutzen konnte.
Darunter waren einige Favoriten, u.a. Hincapie, Ballan, Boonen, Mattan, van Petegem, Cancellara und auch unsere beiden Fahrer Bert und Robert.
Die Gruppe konnte einen Vorsprung herausfahren und gab richtig Gas.
Hierbei wurde schnell klar, dass Robert den Kontakt nicht halten konnte. Nach einem Antritt von Ballan verließ er die Spitzengruppe sang und klanglos.
Und auch Bert sah man an, dass er nicht lange Anschluss halten konnte.
30 km vor dem Ziel war es dann soweit. Auch Bert musste reißen lassen.

Bild

Im Peloton, welches noch ca. 30 Fahrer umfasste, machte T-Mobile jetzt richtig Dampf. Leider hatten sie es verpasst, einen Fahrer in die Spitzengruppe springen zu lassen und versuchten nun, den Fehler wieder gut zu machen.
Es war weder von Bert noch von Robert noch etwas zu sehen. Aber das war zu erwarten gewesen.
Nachdem der Abstand zu Spitzengruppe kleiner wurde, nahm sich van Petegem ein Herz und griff an. Er konnte sich absetzen, während die Gruppe hinter ihm auseinander viel.
Kurz vor dem Ziel zeigte er, dass er der Mann für die Kopfsteinpflaster war. Er holte mit knapp einer Minute Vorsprung den Sieg vor Boonen und Ballan.

Bild

Die T-Mobile´s hatten mit ihrer Aufholarbeit dafür gesorgt, dass Steffen Wesemann Sechster des Gesamtklassements wurde.
Er war damit schlussendlich 52 Plätze besser als Bert Grabsch. Robert Hunter hatte sich vollkommen verausgabt und gab an der Mauer von Geeradsbergen auf.

Ergebnis:
1 van Petegem (DVL) 6h25'49
2 Tom Boonen (QST) +59
3 Alessandro Ballan (LAM) s.t
4 Frederic Guesdon (FDJ) +12
5 Juan Antonio Flecha (RAB) +38
6 Steffen Wesemann (TMO) s.t.
7 Fabian Cancellara (CSC) s.t.
8 George Hincapie (DSC) s.t.
9 Nick Nuyens (QST) s.t.
10 Andreas Klier (TMO) +12
Zuletzt geändert von Schreckus am 14.4.2007 - 10:39, insgesamt 1-mal geändert.

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