Jerdona Zeres [Vuelta 2007 - beendet]

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

$$_gibo_$$
Beiträge: 221
Registriert: 18.8.2007 - 14:04
Kontaktdaten:

Beitrag: # 479504Beitrag $$_gibo_$$
10.1.2008 - 19:56

Zu deinen Texten gibt es echt nur eins zu sagen phänomenal...
Die Geschichte hat enormes Potential und vor allem fesselt sie einen wie ich es bei bisher noch keiner anderen AAR erlebt habe
Ich sah den Himmel und mein eigenes Grab,
Ich feierte Siege triumphierte und verlor,
Ich starb aus Liebe.

Benutzeravatar
arkon
Beiträge: 1462
Registriert: 28.6.2005 - 21:07
Kontaktdaten:

Beitrag: # 479803Beitrag arkon
14.1.2008 - 0:04

Es waren die gleichen verdammten Berge, die gleichen verdammten Straßen. Jerdona konnte sich noch erinnern wie er hier bei seinem letzten Besuch entlang gefahren war. Es kam ihm vor wie die Erinnerung an eine längst vergangene, bessere Zeit. Hell und schön waren die Bilder in seinen Kopf eingebrannt. Ein Stück weit sehnte er sich zurück an diese Momente. Die Tour noch vor ihm, die Spannung, der langsame Aufbau hin zum Höhepunkt…
Er hielt an, legte die Arme auf den Lenker und stütze seinen Kopf ab. Ein Stück weit? Nein. Er sehnte sich zur Gänze an diese Zeit zurück. Hatte er die falschen Entscheidungen getroffen? War es Faulheit? Pech? Fehlendes Glück? Was auch immer, es hatte ihn fast vollständig zerstört. Während er auf das Meer blickte, die brütende Sonne über ihm, die auch noch in den frühen Abendstunden die Insel zum kochen brachte, trafen ihn die Emotionen wie ein Lastzug auf der Autobahn. Er weinte nicht. Aber ein Stück weit wünschte er sich, dass er es könnte. Loslassen. Sich in diesen… beschissenen Moment ergeben.
Seit… seit Frankreich, wie er es mittlerweile vor sich selbst zu nennen pflegte, hatte er sich ein Stück weit abgekapselt. Die letzten sieben Tage waren wie ein Vakuum gewesen. Stur hatte er seine Kilometer herunter gespult, sich massieren lassen, ein wenig entspannt nach der dreiwöchigen Höllentortur. Aber psychisch hatte er die Tour noch nicht aufgearbeitet. Vielmehr versuchte er, sie von sich weg zu weisen, auch wenn sie ihn jede Nacht, jeden Tag wieder aufs Neue einholte.
Er schloss die Augen, atmete tief ein und hielt die Luft an. Machte es Sinn, sich mit diesen negativen Gedanken selbst zu sabotieren? Sicherlich nicht, aber ihm fehlte die Kraft, die Ereignisse aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Er atmete aus und setzte sich wieder auf sein Rad. Während er langsam und mit hängendem Kopf bergab rollte versuchte er, Fabian Schmidt nicht die Pest und den Tod an den Hals zu wünschen. Vergeblich.
Bis er in die Nähe seines Bungalows kam hatte er sich schon wieder deutlich gefangen. Er freute sich auf die Dusche und das Abendessen, welches langsam überfällig war. Überrascht bemerkte er einen breiten Schrank in Anzug, der vor seiner Tür stand. Sonnenbrille, breite, unbewegte Pose. War das sogar ein Ohrstöpsel? Bodyguard, ohne lange nach zu denken. Jerdona schob sein Fahrrad zur Tür und begrüßte den… Gast? Dieser antwortete knapp begrüßte den… Gast? Dieser antwortete knapp. Er zuckte die Schultern, stellte sein Rad hinter dem Haus ab und ging durch die, ebenfalls bewachte, Hintertür in sein eigenes Haus.
Im Wohnzimmer, auf dem Weg zur Dusche erwartete ihn dann die eigentliche Überraschung: Chloe lümmelte sich in einen Sessel, ein Cocktail neben ihr. Gegenüber saß Yuri, der seine Begeisterung und Erregung zu verbergen versuchte. Sein Trainingsplan verbot ihm Alkohol, ansonsten hätte er sicherlich die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen. Als sie ihn erblickte sprang sie mit einem Lächeln im Gesicht auf und fiel ihm um den Hals. Jerdona wusste nicht so recht, wie er den Besuch einzuordnen hatte.
„Die beiden Anzüge da draußen gehören zu dir?“
„Ja, ist eine Schwäche von mir. Wenn mir ein Mann gefällt pack ich ihn einfach gleich ein“ gab sie mit einem Zwinkern zurück.
Jerdona verzog sich kurz unter die Dusche. Was wollte sie? Irgendwie erschien es ihm, als ob ihre Absichten relativ klar waren. Ihre Begeisterung für ihn schien ungebrochen und sie roch eine gute Gelegenheit bei ihm Boden gut zu machen. Auf der anderen Seite… irgendetwas in ihm schien entspannter, lockerer zu sein als noch vor der Tour. Ohne den ganzen Druck, ohne seine Millionen Fans, für die er diesen asketischen Lebensstil pflegte, brachen seine Leidenschaften, seine Begierden wesentlich deutlicher hervor. Und was er wollte zeigte sich ihm nun doch deutlich klarer.

„Ich kann kaum glauben, dass du selber kochst. Du wirkst so arrogant. Ich kann mir kaum vorstellen, das es etwas gibt, was du nicht deinen Dienern aufträgst“ Das breite Grinsen, welches Jerdona aufsetzte, als er Chloe stichelte, hielt sie nicht davon ab, ihn freundschaftlich gegen die Schulter zu boxen.
„He, beweis mir, dass ich unrecht habe und zeig mir, wie gut Amerikaner Alk-freie Cocktails machen“ setzte er nach und hielt ihr sein Glas hin.
„Du hast Glück, das ich selber auch grad auf dem trockenen sitze“ gab sie zurück und verzog sich folgsam in die Küche.
Yuri lehnte sich vor. „He, ich dachte immer, da läuft nichts zwischen euch“
„Denken ist falsch, fühlen ist richtig. Und momentan fühl ich mich danach.“ Jerdona räkelte sich ein wenig. Nach dem etwas kindischen Versuchen von Tobias im Frühjahr, sie beide zu verkuppeln, lief es jetzt eigentlich ganz glatt ab.
„Du, ich glaub, ich lass euch beide Hübschen mal alleine. Morgen Training und so“ Yuri zwinkerte seinem Freund zu. Als guter wusste er, wann er gehen musste. Er schaute kurz in die Küche rein und verabschiedete sich von Chloe bevor er sich sein Rad schnappte und zur Türe raus watschelte.
„Wir sehen uns Morgen“
„Ruf mich an, wenn du wach bist. Lass mal noch früh eine Runde drehen, ich fand das heute ganz erbaulich“
Jerdona geduldete sich nicht, bis die Cocktails fertig waren sondern ging hinüber in die Küche. Am Tisch stand Chloe und manschte gerade mit einem Stößel die Limetten für einen Caipirinha zusammen. Ihre kurzen blonden Haare, nach neusten Moderichtlinien gestuft und gefärbt, hingen ihr ins Gesicht. Ihr enger Minirock schmeichelte ihrem knackigen Po. Ihre Brüste wurden von einem raffinierten Top gut in Szene gesetzt. Bislang war es ihm noch nicht aufgefallen, aber sie hatte einfach einen atemberaubenden Körper. Völlig zu Recht war sie als Sexsymbol in der ganzen Welt bekannt. Er schluckte die aufkeimende Panik herunter und klopfte gegen den Türrahmen.
„Klopf, klopf. Schon fertig, schöne Frau?“
Die Änderung in der Atmosphäre war greifbar. Ihr Lächeln war nicht mehr das kindische, gutgelaunte, welches sie eben noch zur Schau getragen hatte. Während sie sich schweigend anschauten telegrafierte ihr Blick eindeutig etwas Anzügliches, Erotisches. Jerdona ging ein paar Schritte auf sie zu. Langsam, bis er direkt vor ihr stand. Da sie beide untersetzt waren war sie nur etwa einen halben Kopf kleiner. Er spürte ihren Atem, ihre Wärme. Noch ganz leicht.
„Du kommst gerade richtig.“ Wieder eine Pause, wieder Spannung, die sich aufbaute. Sie griff neben sich und hielt sein Glas zwischen sie. „Probier mal.“
Er zog den Strohhalm heran.
„Hmmm… gar nicht mal schlecht“ Sie lächelte „Für einen ersten Versuch.“ Er grinste. Sie lächelte. Er stellte das Glas auf den Tisch ab und berührte sie leicht am Oberarm. Obwohl es zwischen ihnen wenig eindeutige Signale gegeben hatte im Laufe des Abends hatte sich doch deutlich die Spannung aufgebaut. Er lehnte sich leicht herein, sie tat es ihm gleich. Es war ein Kuss in Absprache ohne ein Wort, in Einverständnis ohne Vertrag. Sie hatte lange auf den Moment hin gefiebert und brachte, nervös, früh die Zunge mit ins Spiel. Er musste lächeln und zog sich wieder zurück.
„Nervös?“
„Ein wenig“ gab sie offen zu. Statt zu antworten schlang er einen Arm um ihre Hüften und einen um die Schultern und küsste sie erneut, diesmal mit voller Leidenschaft.


Ein Post, vor dem ich mich länger gedrückt habe und der jetzt auch erst unter großem Druck auf mich, bzw. meine Finger entstanden ist. Wieviel ist hier erlaubt, erwünscht? Ich war mal vorsichtig, hab mich an mich selber gehalten und hoffe auf Feedback, um euch zukünftig ein wenig besser einschätzen zu können ;).
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

HamitonFan007
Beiträge: 243
Registriert: 4.2.2007 - 18:12

Beitrag: # 479805Beitrag HamitonFan007
14.1.2008 - 0:29

Ich finde, dass das noch absolut im Rahmen ist. Auch wieder sehr schön geschrieben, ich verschlinge deine Beiträge :)
RPG: Denis Menchov

Benutzeravatar
arkon
Beiträge: 1462
Registriert: 28.6.2005 - 21:07
Kontaktdaten:

Beitrag: # 481771Beitrag arkon
31.1.2008 - 23:55

Er war gerade wieder in die Führung gegangen. Andre Greipel war aus der Reihe ausgeschert und hatte ihm die Spitzenposition überlassen. Fabian konnte fühlen wie der Wind mit einem Ruck von vorne kam. Die ersten Tritte in der Führung waren immer die schwersten. Kurz zuvor war man noch ausgeruht und gut geschützt gewesen, und jetzt musste man sich selber ganz vorne in der Reihe behaupten. Selbst für einen exzellenten Zeitfahrer wie ihn war es jedesmal ein ziemlicher Schlag. Langsam kurbelte er wieder auf Touren.
Die pralle Sonne blendete ihn trotz der Sonnenbrille ein wenig. Sie rauschten an einem Waldrand auf einer Bundesstraße entlang. Einem deutschen Wald, einer deutschen Bundesstraße. Er wollte hier gewinnen, unbedingt. Er wollte Gelb. Er wollte seine eigene Landesrundfahrt gewinnen. Am Straßenrand konnte er die Zuschauer sehen, die Plakate mit seinem Namen hochhielten. Es war ein erhebendes Gefühl. Er war ihr Held. Er war der neue deutsche Radsportfrontmann. Und sie wollten unbedingt, dass er siegte.
Er rauschte in den Wald hinein. Die Luft wurde augenblicklich kühl, das Sonnenlicht blinzelte nur noch ab und zu durch das dichte Dach der Nadeln. Er konnte die leichte Nässe vom Regen der Nacht spüren. Hier war er zuhause. Es war wunderbar.
Die Straße neigte sich leicht nach unten. Automatisch schaltete er fließend hoch, behielt seine Trittfrequenz bei und nahm Geschwindigkeit auf. Er konnte hören, wie seine Teamkameraden hinter ihm hektisch schalteten und stöhnten unter seiner Führung. Es war nicht einfach, hinter ihm zu fahren.
Eine enge Kurve. Er peilte sie sehr scharf an. Erst viel zu spät realisierte er, dass er damit ein dickes Loch zwischen sich und den Rest öffnen würde. Er tippte kurz die Bremse an, um die Kurve defensiv zu nehmen. Für einen Moment versuchte er, stärker zu lenken um die fehlende Haftung auszugleichen. Doch damit besiegelte er nur seinen ohnehin kaum noch aufzuhaltenden Untergang.
Waren es die Blätter, die Nässe, die unpassenden Reifen, der plötzliche Temperaturwechsel? Er würde die nächsten Tage noch viel darüber nachdenken. Für den Moment, in dem die Zeit fast quälend langsam verging, gab es für ihn nur die schiere Panik. Als er dann endlich auf dem Boden aufschlug schien er schon seit Ewigkeiten in dieser Realität zu leben, in der er das Gelbe Trikot vorerst durch eine Dummheit aufgeben musste. Er schlitterte quer über die glatte Strecke, glücklicherweise schnell genug aus dem Weg der Phalanx der Radfahrer, die wie der Wind an ihm vorbei pfiffen.
Dann traf er den Bordstein. Der peitschende Schmerz füllte seinen Körper an. Erst als er einige Meter weiter auf dem Waldboden liegen blieb realisierte er, dass es eigentlich nur sein rechter Arm war, der so brannte. Sein Kopf suchte nach Ordnung, nach Orientierung. Er hob seinen Blick ein Stück weit. Die Schmerzen durchfluteten ihn wieder. Er konnte das Blut in seinen Ohren pochen hören. Es kochte. Sein Herz raste. Noch bevor er wieder einen Versuch unternehmen konnte, wenigstens seinen Kopf ein Stück weit zu heben, war schon jemand bei ihm.
„Alles in Ordnung?“ sagte eine Stimme hinter ihm. Und da durchzuckte es ihn mit einem Male. Er war immer noch in der Deutschlandtour. Er war immer noch auf der Jagd nach dem Sieg.
„Bitte, helf mir auf!“ war alles, was er sagen konnte. Mühevoll hob er seinen Arm. Jemand zog daran. Er drehte sich, hockte sich auf den Boden, sah sich um. Einige Fans hatten sich um ihn versammelt, blickten ihn besorgt an. Sein Rad lag dicht neben ihm. Er streckte wieder einen Arm aus und noch bevor er etwas sagen konnte zerrte man ihn bereits empor. Er konnte die Erleichterung spüren. Er schien den Kampf wieder auf zu nehmen. Kaum stand er drückte man ihm schon wieder sein Fahrrad in die Hand. Er konnte das feine Leder des Sattels in seiner Hand spüren. Mühsam humpelte er die wenigen Schritte zurück zur Straße und versuchte aufzusteigen. Der Schmerz durchzuckte ihn.
Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, ob er sich vielleicht etwas gebrochen hatte? Seine Beine waren offensichtlich in Ordnung… Beim zweiten Versuch war es ihm gelungen, auf sein Fahrrad zu steigen. Keine Zeit für unnötigen Ballast, auf wenn er nur psychisch war. Er schaltet kurz hin und her und nahm dann wieder Fahrt auf.
Die Zeit kehrte allmählich in die angestammten Bahnen zurück. Wie lange war seit dem Sturz vergangen? Er konnte es unmöglich sagen. Sein Team würde warten. Ganz sicher. Wieso hörte er keinen Funk? Offensichtlich war irgendein Kabel beim Sturz kaputt gegangen. Egal. Er trat einfach stur weiter, ignorierte so gut es ging den Schmerz und fokussierte sich auf die Strecke.
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

Benutzeravatar
arkon
Beiträge: 1462
Registriert: 28.6.2005 - 21:07
Kontaktdaten:

Beitrag: # 482629Beitrag arkon
8.2.2008 - 23:30

Heute war der Tag. Wenn er es noch schaffen wollte, dann galt es heute. Fabian machte sich keine Illusionen. Über den Riedbergpass hatte er sich gerade eben so gequält, keine Zeit eingebüßt. Aber was hieß das schon? Er war im Rückstand, über zwei Minuten. Auf Zeres waren es immerhin noch 1:48. Das war zu viel, viel zu viel. Seine einzige Hoffnung war es, heute keine Zeit zu verlieren. Auf die Kletterasse. Und Zeit zu gewinnen auf die Allrounder. Leipheimer war wieder da, Voigt selbstverständlich. Und mit ihnen eine ganze Horde hungriger Radfahrer.
Die Nacht war, wieder einmal, unruhig verlaufen. Unter Schmerzen war er eingeschlafen, unter Schmerzen hatte er sich hin und her gewälzt, unter Schmerzen war er aufgestanden. Die ganzen Massagen halfen nichts. Der Arzt konnte ihn nicht richtig behandeln, sein Körper musste Tag für Tag neue Höllenstrapazen durchstehen. Dabei hatte er noch nicht einmal die Tour ganz verdaut. Warum war er noch nicht vom Rad gestiegen und nach Hause oder in die Sonne gefahren? Fühlte er sich den Fans verpflichtet? Ein wenig. War es geknickter Stolz? Auch das, sicherlich. Aber vor allem wollte er immer noch den Sieg. Er glaubte an sich. Er hatte die Tour gewonnen, er konnte alles erreichen.
Mit grimmigem Gesicht heftete er sich denn auch die gesamte Etappe über an die wichtigen Leute. Jerdona, der wiederrum in Lauerstellung hinter dem gelben Voigt fuhr, Leipheimer, der inmitten einer Phalanx aus Teamkameraden vorne fuhr, Cunego, der nach dem Etappensieg gestern wohl Blut gerochen hatte. Sie waren alle da. Es bildete sich, wieder einmal, eine irrelevante Fluchtgruppe, die darauf spekulierte, Kapital aus der Pattsituation der Spezialisten schlagen zu können. Vergeblich. CSC und Discovery ließen sich nicht auf Spielchen ein und zogen das Tempo früh an.
Mit ordentlich Dampf ging es durch Sölden und schließlich in den Anstieg zum Rettenbachferner. Das Lauern ging natürlich weiter, aber bei der gewählten Geschwindigkeit der Kombattanten konnte man es kaum lauern nennen. Fabian musste schon jetzt schwer schlucken. Sein Bein pochte. Sein Puls schnellte nach oben. Seine übliche Taktik konnte er hier vergessen. Er würde weit über seine Grenzen gehen müssen um hier mithalten zu können. Konnte er auch mehr als nur hinterher fahren?
Zu seiner eigenen Überraschung flachte die Geschwindigkeit wieder ab. Zur Mitte des Anstieges hin hatte sich die Großzahl der Helfer schon verbraucht, was dazu führte, das keiner so recht wusste und keiner so recht wollte. Da es in diesem Jahr nur eine echte Bergetappe gab fuhren alle sehr vorsichtig, hatten sie doch keinen Raum mehr, Fehler auszubügeln.
Und auf einmal wusste er, was er zu tun hatte. Der Gedanke, so verrückt er auch war, kam aus dem Nichts in seinen Kopf. Er war einfach da, anklagend leise. Wenn alle passiv waren und er sowieso schon verloren hatte, warum sollte er es nicht einfach versuchen? Immerhin hatte er sie in der Tour am Berg alle besiegt. Na gut, fast alle.
Er hatte lange nicht mehr angegriffen, aber es kam intuitiv. Flüssig erhöhte er einfach den Druck auf die Pedale, schaltete ein paar Mal hin und her und fuhr dann einfach auf und davon. Kein aufstehen, kein Anlauf, nichts. Aus der zweiten Reihe machte er sich auf und davon. Die anderen schauten sich verdutzt an. War Schmidt nicht verletzt? War er nicht schon so gut wie geschlagen? Die Fans am Straßenrand dagegen rasteten völlig aus. Vom einen Moment zum anderen hatte sich eine schöne Radsportkulisse zu einem Hexenkessel gewandelt. Alle sprangen umher, schrieen und brüllten und grapschten und rannten und hopsten durcheinander. Ein einziger Tumult.
Nachdem Jerdona sich seine Begleiter eine Zeitlang angeschaut hatte ergriff er selber die Initiative. Wenn es schon kein anderer machte blieb es wohl an ihm hängen: Schmidt durfte auf keinen Fall gewinnen. Es war persönlich. Schon gar nicht geschwächt, als Underdog und somit doppelter Publikumsliebling.
Es kostete ihn einige Mühe, aber er konnte die Lücke schließen. Mit hängender Zunge verschnaufte er am Hinterrad des Deutschen. Woher nahm Fabian auf einmal diese Energie? Eben noch schien er, als ob er gleich würde reißen lassen müssen und nun konnte sogar er selbst kaum mit ihm Schritt halten. Er atmete einen Moment durch, schloss seine Augen und konzentrierte sich. Er musste sich ablenken. Ein schönes Bild. Chloes Brüste. Ja, das funktionierte. Augen auf. Sein Puls beruhigte sich etwas, sein Atem wurde tiefer und gleichmäßiger. Angriff.
Wie ein Pfeil schwirrte Jerdona an ihm vorbei. Für einen Moment zögerte er mit seiner Reaktion, wägte kurz Aufwand, Nutzen und Erfolgswahrscheinlichkeit ab. Aber nur einen Moment. Dann gab er alles. Stampfte in die Pedale, als ob es kein Morgen gäbe. Ignorierte die Gedanken, die ihm die Distanz zum Ziel einflüstern wollten. Es gab nur noch das Hinterrad des Basken. Spätestens jetzt war es persönlich.
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

Benutzeravatar
arkon
Beiträge: 1462
Registriert: 28.6.2005 - 21:07
Kontaktdaten:

Beitrag: # 483160Beitrag arkon
12.2.2008 - 23:41

Verdammt, er war spät dran. Gehetzt verabschiedete er sich von den Mechanikern, die ihm sein Rad zusammengebaut in die Hand drückten. Aus vollem Lauf schwang Jerdona darauf. Als er vom Hof des Hotels hinaus auf die Straße rollte glitt sein suchender Blick nach unten: Er hatte sich eine kleine Karte auf seinen Lenker montiert. Diese würde ihn sicher durch Vigo führen.
Es war der letzte Abend vor Beginn der Vuelta und er hatte sich daran erinnert was er vor zwei Jahren getan hatte, ebenfalls am Vorabend des Starts: Ein kleiner Ausflug mit dem Rad den Berg hinauf um die untergehende Sonne zu bewundern. Er hatte sich aus dem Internet die Zeiten und die Karte für die Fahrt herausgesucht und schon konnte es losgehen.
Während er durch die spätsommerliche Hitze des Abends in der kleinen nordspanischen Stadt flitzte ließ er seine Gedanken schweifen. Er hatte Ferien bitter nötig. Aber nicht vor der Vuelta. Er freute sich wie ein kleiner Junge auf ‚seine‘ Landesrundfahrt. Trotz seiner bislang drei Versuche war ihm der Gesamtsieg bislang nicht gegönnt gewesen. Und das bei zwei Podiumsplatzierungen und zahlreichen Etappensiegen.
Und es gab noch einen weiteren Grund, warum er es in diesem Jahr schaffen musste: Nach dem verpassten Toursieg brauchte er Revanche. Und auch Fabian Schmidt stand am Start. Fabian Schmidt. Auch er wollte Revanche. Bei der Deutschlandtour hatte der junge T-Mobile Profi ihn einen Kampf geliefert bis aufs Blut. In den Bergen hatte er ziemlich deutlich zurückstecken müssen. Doch seine Hoffnungen waren nicht gestorben. Im Zeitfahren fuhr er noch einmal voll auf Angriff. Fast zwei Minuten holte er heraus – zu wenig.
Im Blick seines Widersachers stand bei der Zeremonie jedoch nicht nur der Durst nach Rache geschrieben. Jerdona hatte ja selber einige Niederlagen dieser Art einstecken müssen. Doch für Fabian war es anders. Was er sah – es war keine Feindschaft, sondern ein persönlicher Wettkampf nur zwischen ihnen beiden. War die Tour schon der erste Akt gewesen? Für Zeres zumindest. Für Schmidt dagegen begann dieser Wettstreit definitiv mit dem Tag der letzten Etappe der Deutschlandtour.
Und noch etwas anderes hatte sich getan. Nach der Rückreise aus Hannover nach Spanien hatte er sich in Elgea einquartiert, wo er sich in Ruhe vorbereitet hatte. Chloe war ihn Besuchen gekommen – waren sie schon ein Paar? Er wusste es nicht und er wollte auch nicht so Recht darüber nachdenken. Beziehungen verkomplizierten alles.
Vincent Belda, der Kontaktmann des Teams bei Kelme, hatte seine Feindschaft mit Jerdona offiziell gemacht und die Konsequenz gezogen: Die Zukunft des Teams stand, einmal mehr, in den Sternen. Kelme hatte für das nächste Jahr noch nicht unterschrieben, der baskische Radsportverband ebenfalls nicht. Damit kam gerade einmal das Geld der anderen Sponsoren zusammen, was nicht einmal für eine Rumpfmannschaft reichen würde.
Sorgen über Sorgen, die seinen Sport verkomplizierten. Er ging kurz aus dem Sattel, schwang das Rad unter sich hin und her und stieg federleicht den letzten Teil des Berges empor. Erst in der letzten Kurve wurde die Sicht auf das Meer, und damit auch auf die Sonne frei. Die letzten wohlig warmen Strahlen, welche die Welt um ihn in ein tiefes Rot tauchten, wärmten ihn.
Er rollte über das kleine Plateau. In der Ferne konnte er die Wellenbewegungen auf dem Atlantik erahnen. Er schloss die Augen, genoss den satten Rotton, welchen das Blut in seinen Liedern verursachte. Kurz blitzten in seinem Kopf die Aufgaben auf, die auf ihn warteten. Aber nur kurz. Dann war er wieder frei und mit seinem ganzen Fokus auf sich selbst, den Ozean und die Farben des Sonnenuntergangs gerichtet. Es würde seine Vuelta werden.
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

synchronfuzzy
Beiträge: 12
Registriert: 15.5.2007 - 0:04
Kontaktdaten:

Beitrag: # 483808Beitrag synchronfuzzy
19.2.2008 - 8:45

Hi,

um jetzt mal wieder etwas feedback zu bringen:

Ich finde die Geschichte echt klasse und verdammt spannend, der letzte Post war aber einigermaßen enttäuschend. Natürlich ist es verdammt schwer, eine so lange Zeit mal eben in Nebensätzen zusammenzufassen, aber sowas hast du schon besser gemeistert.

Ich hoffe die Vuelta wird besser (und Jerdona schafft den Sieg)

Benutzeravatar
arkon
Beiträge: 1462
Registriert: 28.6.2005 - 21:07
Kontaktdaten:

Beitrag: # 6700851Beitrag arkon
15.5.2008 - 16:50

verdammt.

ich nehm es mir schon seit ewigkeiten vor, aber jetzt mach ich es einfach:
hiermit beende ich diesen aar.
ein dickes, riesen dankeschön an alle, die hier ihre kommentare, gute und vor allem schlechte, reingepostet haben.
ich habe so lange damit gezögert, weil mir die geschichte nach wie vor sehr am herzen hängt. jedesmal, wenn ich hier reinschaue, bekomme ich wieder lust. aber während es vor einem jahr jeweils immer gereicht hat, mich zu einem post zu motivieren und vor einem halben immerhin noch, darüber nach zu denken hält es mich in den letzten monaten nur mehr davon ab, den schlußstrich (schönes, altes ß) zu ziehen. aber auf der anderen seite bindet das einen teil meiner emotionen und ausserdem die gelegenheit, etwas neues zu beginnen.
ob ich das hier in diesem forum tun werde... ka. ich hab einige ideen, aber noch keine pläne. wenn ich woanders schreiben werde werde ich sicher links posten.
also: howdies, cowboys. und nochmal danke. dieser aar hat mich persönlich ein ordentliches stück voran gebracht.
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

Benutzeravatar
Grabba
Beiträge: 2654
Registriert: 3.7.2006 - 22:18
Kontaktdaten:

Beitrag: # 6700928Beitrag Grabba
15.5.2008 - 19:55

:(

Und damit ist das größte Werk dieses Forums eingestellt - unvollendet. Es ist wohl kaum anzunehmen, dass irgendein AAR in der nahen oder fernen Zukunft deinen auch nur annähernd erreichen kann.

Deshalb: Einfach nur chapeau für das, was du hier vollbracht hast.

Benutzeravatar
Valva2999
Beiträge: 454
Registriert: 29.2.2008 - 20:10
Kontaktdaten:

Beitrag: # 6700947Beitrag Valva2999
15.5.2008 - 20:33

Das ist die geilste und schönste AAR aller Zeiten. Danke, das du sie geschrieben hast, danke das ich sie lesen konnte. Wenn meine AAR jemals in die Nähe deiner kommen sollte, ist es auch dein Verdienst. Keine AAR inspiriert andere so wie deine! DANKE
Die Schleck-Brüder haben auf der Tour-Fahrt nach Paris ein besonderes Ziel: Hamburger bei McDonalds und dazu zwei oder drei Bier.
Lenya - mi religion, mi amor

Exelero
Beiträge: 485
Registriert: 26.5.2006 - 12:20

Beitrag: # 6700949Beitrag Exelero
15.5.2008 - 20:38

Da kann ich mich Grabba eigentlich nur anschließen, ich habe mich jedes Mal riesig gefreut wenn ich gesehen hab das etwas neues von dir gekommen ist und jedes Mal wurde man von dir für die Wartezeit entschädigt.
Storytechnisch wahrscheinlich der beste AAR den es hier geben hat bzw. geben wird, einfach unglaublich was du aus einem einfachen AAR gemacht hast, du hast definitiv diesen AAR auf ein anderes Level als die anderen gesetzt. Respekt für das was du hier geleistet hast.
Solltest du ein neues Projekt irgendwo starten, dann bitte ich aber auch um den Link, denn es war immer ein Vergnügen deine Story zu lesen.
Na ja jetzt genug der Lobbudelein, hoffe es wird wenigstens ansatzweise so einen guten AAR in Zukunft noch einmal auftauchen.

eisel92
Beiträge: 1996
Registriert: 15.9.2006 - 19:57
Kontaktdaten:

Beitrag: # 6700963Beitrag eisel92
15.5.2008 - 21:20

Schade, dass du deine tolle Story beendest, Arkon. Damit bleibt es bei Rot Rigo, die Tradition der erfolgreiche, alten AAR-Schreiber fortzusetzen. Deine Geschichte hatte auf mich immer eine besondere Wirkung. Einmal hab ich begeistert mitgelesen, dann war ich wieder weg vom Fenster. De facto aber wohl der beste Hintergrund-AAR den es hier je gab, zumindest von all denjenigen, die ich gelesen habe.
Ich hoffe, du beginnst irgendwann eine neue Story, dass eine Solche wieder ein Erfolg wird steht für mich außer Frage. Ich ziehe auf jeden Fall meinen Hut vor dir, dieser AAR ist wirklich eine Pflichtlektüre für all die jenigen, die sowohl eine tolle Radsportgeschichte als auch eine gute Hintergrundstory lesen wollen ... jetzt klettere ich lieber wieder aus deinen Arsch raus, langsam wirds dunkel hier drinnen! ;)

Hat zwar mit dem AAR nichts zu tun, aber ich möchte keinen zweiten Post nur für den Blödsinn machen: der Artikel von AAR, After Action Report, ist "der", und nicht "die". Wenn die Muttersprache von jemanden der "die AAR" schreibt Deutsch ist, dann geht es wirklich bergab. :roll:
rz: ciclamino giro10 | maillot vert tour16
etappensiege giro [III] & tour [VI]
7 tage ciclamino; 19 tage maillot vert
CdF Buddeberg - EM2012-Europameister

Benutzeravatar
Valva2999
Beiträge: 454
Registriert: 29.2.2008 - 20:10
Kontaktdaten:

Beitrag: # 6701026Beitrag Valva2999
16.5.2008 - 9:22

eisel92 hat geschrieben:Hat zwar mit dem AAR nichts zu tun, aber ich möchte keinen zweiten Post nur für den Blödsinn machen: der Artikel von AAR, After Action Report, ist "der", und nicht "die". Wenn die Muttersprache von jemanden der "die AAR" schreibt Deutsch ist, dann geht es wirklich bergab. :roll:
das hast du ja ganz genau beobachtet, gut gemacht! und sorry, ich bin franzose. die, die es nicht so genau nehmen mit allem, nicht so wie die deutschsprachigen.
ich fand die AAR hörte sich viel schöner an als der AAR, aber natürlich ist es korrekt der AAR zu sagen. und ich will deinen ordnungsinn nicht verletzen und ab jetzt der AAR sagen.

Außerdem echt schade, dass du so was in diesen schönen AAR schreiben musstest.
Die Schleck-Brüder haben auf der Tour-Fahrt nach Paris ein besonderes Ziel: Hamburger bei McDonalds und dazu zwei oder drei Bier.
Lenya - mi religion, mi amor

Rad-Schumi
Beiträge: 8790
Registriert: 17.4.2007 - 17:27
Kontaktdaten:

Beitrag: # 6701064Beitrag Rad-Schumi
16.5.2008 - 12:35

Ein großartiger AAR geht zu Ende, danke für die vielen Posts, die einem das Rennen ins Zimmer geholt haben. Schade, dass er so endet, ich hatte mich bei allen zwiespältigen Gefühlen, schon auf ein künstlerisches Ende dieses AARs gefreut, da ich mir von deinem Ideenreichtum einiges davon versprach. So bleibt die Freude auf dein neues Projekt.
Nochmal, danke für einen wunderbar fesselnden AAR

Antworten