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Steini
24.8.2004 - 17:02
QUELLE: SPORT1
Athen - Das Thema Doping lässt die Sommerspiele in Athen nicht los: Als zweiter Olympiasieger nach Kugelstoßerin Irina Korscharenko ist Diskuswerfer Robert Fazekas der Manipulation überführt worden.
Der Ungar hatte am Montagabend nach seinem Sieg zunächst die Dopingkontrolle verweigern wollen. Anschließend versuchte er, seine Urinprobe gegen Fremdurin auszutauschen. Das bestätigte das Internationale Olympische Komitee (IOC) am Dienstag.
Fazekas wird damit sein Gold verlieren, neuer Olympiasieger ist wie vier Jahre zuvor in Sydney der Litauer Virgilius Alekna.
Schreiber: "Es wird gedopt auf Teufel komm raus"
Der neue Dopingfall ist Wasser auf die Mühlen der Argumentation von NOK-Chefmediziner Prof. Wilfried Kindermann und des leitenden Leichtathletik-Teamarztes Helmut Schreiber.
Die beiden sehen die Ursachen für die in der öffentlichen Wahrnehmung so enttäuschenden Leistungen der deutschen Athleten vor allem im ungelösten Problem Doping.
"Es wird gedopt auf Teufel komm raus mit EPO, Anabolika und Wachstumshormonen. Unsere Leute sind chancenlos. In mir wächst das Gefühl, dass ich keine Lust mehr habe", sagt Schreiber. DLV-Cheftrainer Bernd Schubert fordert "resoluteres Vorgehen gegen Leistungsbetrug".
Eine Verletztenserie
Die Verletzungsmisere im Leichtathletik-Team hatte am Montag mit der Adduktorenverletzung von Atlanta-Olympiasieger Lars Riedel im Diskusfinale, dem Muskelfaserriss von Hürdensprinterin Kirsten Bolm im Halbfinale und dem Bänderriss des früheren Junioren-Weltmeisters Dennis Leyckes im Zehnkampf einen Höhepunkt erreicht. (Gold und Silber haben Sie immer schon gewollt? Der Medaillen-Alarm von Sport1-Mobile!)
Von 79 Nominierten blieben bereits zehn mit lädiertem Bewegungsapparat auf der Strecke, obwohl erst 18 der 46 Leichtathletik-Goldmedaillen vergeben waren. Vornehmlich betroffen: die vor dem Karriereende stehenden Altstars. (Sind Sie Experte? Testen Sie Ihr Fachwissen beim Olympia-Quiz!)
Medaillenanwärter gar nicht erst in Athen dabei
Erst sagten 2-m-Hochspringerin Daniela Rath (Fußprobleme) und Gabriele Rockmeier (Achillessehne) den Olympiastart ab. Dann scheiterten die Ex-Weltmeister Charles Friedek (Oberschenkel) und Franka Dietzsch (Fußverletzung), Riedels Diskus-Kollege Michael Möllenbeck (Hüfte) sowie die 400-m-Hürdenläuferinnen Stephanie Kampf (Ermüdungsbruch) und Ulrike Urbansky (Meniskus).
Vor Athen waren inklusive 800-m-Olympiasieger Nils Schumann (800 m) und der erfolgreichsten deutschen WM-Athletin Annika Becker (Stab) mindestens zehn weitere Olympiaanwärter auf der Strecke geblieben.
Was passiert in Ungarn?
Riedels Trainer Karlheinz Steinmetz sagt angesichts der Verletzungsanfälligkeit, die gerade eine Disziplin wie Diskuswurf mit sich bringt: "Es ist ein Wunder, dass Lars Riedel sich so lange auf diesem Niveau halten konnte und so erfolgreich war. Wir kämpfen doch mit Müsli gegen Atombomben."
Der Trainer des fünfmaligen Diskus-Weltmeisters glaubt mit Blick auf die 70,93 m von Olympiasieger Robert Fazekas und den Olympiadritten Zoltan Kovago: "Auch das, was in Ungarn passiert, geht nicht mit rechten Dingen zu."
Große Defizite im Anti-Doping-Kampf
Wilfried Kindermann sagt trotz der vielen Erfolge an der internationalen Dopingfront: "Ich habe den Eindruck, dass das Ganze durch die strenger gewordenen Kontrollen ungerechter geworden ist."
Dort, wo schon immer nach Verbotenem gesucht wurde, bestehe eine sehr hohe Kontrolldichte. Große Defizite im Anti-Doping-Kampf sieht Kindermann vor allem im Bereich der früheren Sowjetunion, aber nicht nur dort. In den USA sei nach dem Skandal um das kalifornische Doping-Labor Balco sicher Einiges besser geworden, aber noch längst nicht alles.
Aus Sicht von Kindermann bürdet der Leichtathletik-Weltverband IAAF seinen Athleten immer mehr Meisterschaften auf, andererseits stehe er der Lösung des Dopingproblems im Weg.
Vorwürfe an IAAF
"Die Fälle um die Griechen Kenteris und Thanou hätten wir hier nicht gehabt, wenn die IAAF schon bei den ersten starken Anzeichen auf Dopingvergehen 1997 einen Riegel vorgeschoben hätte. Aber sie toleriert offenbar viele Dinge. Es wäre nun Aufgabe der Internationalen Anti-Doping-Agentur Wada, die IAAF anzuschieben. Aber statt stärker nach Wachstumshormonen, Anabolika und EPO zu fahnden, treibt diese einen Riesenaufwand im Kampf gegen die ohnehin nicht wirkungsvollen Asthmasprays."
Kindermann glaubt, dass auch in Athen mit Wachstumshormonen Missbrauch getrieben wird.
"Sie sind viel schwerer feststellbar als Anabolika, wenn auch nicht so effektiv. Niemand weiß, ob das IOC hier wirklich schon einen Nachweis führen kann."
Nächstes Opfer Henry?
Auch aus Sicht von DLV-Cheftrainer Bernd Schubert sind viele Leistungssprünge nur mit Doping zu erklären - Wachstumshormone oder altbekannte Steroide.
Einig sind sich alle Insider, dass diese Hormone im Training die Belastungsgrenzen stark hinausschieben. Kindermann: "Da sind ganz andere Umfänge möglich als bei unseren Athleten."
Nächstes Opfer der DLV-Verletzungswelle könnte Speerwerfer Boris Henry (Saarbrücken) sein. Schreiber, selbst einst Weltklassemann in dieser Disziplin: "Seine Schulter ist seit Ende Mai schwer angeschlagen. Momentan sieht es aber danach aus, dass er starten kann."