Dem stimme ich nicht zu, denn Löw hat gerade bei Turnieren recht oft "experimentiert" und damit Erfolg gehabt.
- 2008 ist man nach der Vorrunde vom 4-4-2 mit Doppelsechs weg zu einem 4-2-3-1 mit einem offensiveren Ballack und Klose als einzigem Stürmer gewechselt. Danach hat man die hoch eingeschätzten Portugiesen und auch gegen die Türken, gegen die die Kroaten sich extrem schwer tateb, geschlagen. Das Team hatte wie 2002 eigentlich nichts im Finale verloren, hatte aber im Gegensatz zu damals keine Individualisten wie Kahn und Ballack, die das Team gezogen hatte. Für mich war 2008 ein klares Overperformen, was mit 4-4-2 schnell vorbei gewesen wäre, da bin ich mir sicher.
- 2010 wurde die Taktik stabil durchgezogen, man musste aber auch nichts anpassen. Der Konterstil konnte in der KO-Runde 8 Tore erzielen, erst das deutlich stärkere Spanien hält wieder die 0, braucht aber ein Kopfball nach einer Ecke. Eigentlich gemessen an den Einschätzungen vor dem Turnier eher auch ein Overperformen, wobei der Platz im Halbfinale verdient war.
- 2012 stellte Löw nach eigentlich erfolgreicher Vorrunde mit Siegen gegen Portugal und die Niederlande und 3 Tore vom "Wundlieger" Gomez vorm Viertelfinale die Offensive um: Anstatt Poldi, Gomez und Müller, die in der Gruppenphase alle Spiele so spielten, spielten Schürrle, Klose und Reus gegen Griechenland und zerlegten diese förmlich. Im Halbfinale kam es dann zur Rochade zu Poldi, Gomez und Kroos, die bekanntermaßen nicht aufging. Allerdings hatte Italien in den ersten 30 Minuten eine Chancenverwertung, die sie weder im Turnier zuvor noch im Spiel wie Turnier danach hatten. Dennoch, das ist das einzige Spiel, das ich Löw wirklich ankreide, man war zumindest für meinen Eindruck übers Turnier besser als Italien und hat falsch im Vergleich zum Viertelfinale umgestellt.
- 2014 gab es natürlich die infame IV-Kette und Lahm im Mittelfeld. Provokante These nach Sonntag: Hat das vielleicht nicht sogar den Titel gebracht, wenn man sieht, wie Kross und Khedira im Turnierspiel 1 nach Schweinsteiger aufgetreten sind? Aber mal ernsthaft: irgendwo während des Turniers habe ich die These gelesen, dass Lahm im DM spielen soll, bis Khedira und vor allem Schweinsteiger wieder fit sind. Keine Ahnung, was da dran war, auch mit Blick auf die Verletzungen im Finale. Weltmeister ist man meiner Meinung nach geworden, weil man das glücklichste Team war. Leistungstechnisch hat sich da für mich keiner über das Turnier hervorgetan, punktuell hatten viele Teams gute Leistungen. Unverdient war das natürlich aber nicht.
- 2016 spiegelte man Italien im Viertelfinale und spielte eine Dreierkette. Italien, damals mit Siegen gegen Belgien und Spanien, hatte eigentlich nicht viel zu melden, bis Gomez verletzt raus musste und Boateng sich beim Basketball wähnte. Am Ende natürlich pures Glück im Elfmeterschießen, auch wenn Simone Zaza wahrscheinlich der einzige Spieler der Geschichte ist, der im Elfmeterschießen mehr Schritte als im Spiel machte. Das Spiel gegen Frankreich ohne Hummels und Gomez sollte man hier jetzt nicht bewerten, wobei es da in meinen Augen ob der Turnierverläufe nicht das falsche Team mit dem Ausscheiden getoffen hat.
Unterm Strich recht viele taktische Kniffe, die in Turnieren gegriffen haben, gegen nur einen, wo es schief ging. Ich kann mir aber dennoch vorstellen, dass Löw eine gewisse Hybris hat, ein Selbstvertrauen, nichts falsch machen zu können, egal wie man aufstellt oder welche Spieler man mitnimmt. Die Vergangenheit gibt ihm ja recht, siehe oben, siehe aber auch die Lieblinge, die er stets im Trainingslager in ansprechende Fitness und Form brachte. Podolski vielleicht ausgeklammert, der 2014 beim 4:0 gegen Portugal 10 Minuten und gegen die USA eine desaströse erste Hälfte spielte und 2016 für 20 Minuten beim Stand von 3:0 gegen die Slowakei reinkam. Der war halt aber dabei, weil er als Teammaskottchen da war, dafür kann man in meinen Augen Kaderplatz 22 oder 23 auch besetzen.
Ich will hier aber nicht nur Löw entschudigen, sondern sehe ihn auch kritisch. Auch ich denke, dass nach 14 Jahren sich da einiges abgeschliffen hat. Umstellungen im Spiel sieht man wirklich nicht häufig, wobei das bei den Franzosen ja nicht anders sein soll. Die verfolge ich aber nicht und kann das nicht bewerten. Auch hat er sich ob der durchaus kontroversen Nominierung (persönliche Meinung: Sané hätte am Sonntag wenig geholfen, Petersen vielleicht eher als Gomez, Wagner habe ich aber vermisst) dieses Mal recht angreifbar gemacht. Beispielhaft im Tor: wenn er schon weiß, dass Leno nicht mit soll, weil der und ter Stegen nicht so gut miteinander können, dann kann man im Frühjahr auch nochmal andere Keeper aufbauen. Zum Doppelländerspiel nimmt man neben MAtS dann halt Fährmann und Horn (Namen sind beliebig auszutauschen) mit, dann kann ich auch einen Trapp vor dem Trainingslager daheim lassen und keiner sagt was, wenn dafür Leno heimfahren muss. Die Causa Özil und Gündogan ist von Löw pragmatisch, aber halt auch ein bisschen mit zweierlei Maß, wie schon in der Vergangenheit. Von einem Spieler kommen Nacktbilder per Leak ins Netz, ein anderer hat wohl im DFB-Hotel eine Escortdame auf dem Zimmer gehabt. Einer fährt mindestens 6 Mal ohne Führerschein und lässt sich dabei blitzen, ein anderer mit der Straßenbahn. Einer gibt Mitspielern eine Backpfeife im Training... Die Liste ist lang und Löw hat immer pragmatisch nach Nutzen für die eigene Mannschaft abgewogen. Den sieht er bei Özil und Gündogan wohl.
Als Schlusswort möchte ich aber Schumi noch zustimmen. Auch wenn man es nicht mehr ind er Hand hat, ist noch nichts Irreperables geschehen, auch ein Dreiervergleich mit 3 Teams à 6 Punkten ist möglich. Und noch ist die Aufstellung ja nicht sicher. Da kann ich mir am Samstag eigentlich zwischen nur Hector kommt rein und exzessiver Spieler- und Systemwechsel viel vorstellen. Einen Weltmeisterkader sah ich da auch vor dem Mexikospiel nicht, da wäre ein Ausscheiden im Achtelfinale gegen Brasilien schon denkbar. Wenn es jetzt mal Deutschland früh treffen sollte, dann kann ich damit leben, gerade angesichts der Serie von Klinsmann und Löw.