9.6.2005 (Dauphinee) – Eine Fahrt in den Himmel:
Totsche hatte bei uns im internen Forum gestern angekündigt, dass er Armstrong heute testen wollte. Am Mont Ventoux aber sind schon viele gescheitert. Dieser Berg ist so unberechenbar wie kaum ein Anderer und die kahlen letzten Kilometer durch eine mondähnliche Felslandschaft hinauf auf 1912 Meter gehören sicher zu den härtesten im gesamten UCI-Kalender – vor allem wenn sie, wie heute, bei 30° und ohne jede Wolke am Himmel bezwungen werden müssen.
Angesichts dieses grässlichen Finales wagte kein Fahrer schon vor dem Schlussanstieg eine Attacke und es kam zum reinen Showdown der Klassement-Fahrer und besten Kletterer.
Den ersten Angriff setzte dann 16 Kilometer vor dem Ziel der spanische Kletterer und siebte im Gesamtklassement, Juan Manuel Garate von Saunier Duval.
Die Konsequenzen seiner Tempoverschärfung waren heftiger als erwartet: Lance Armstrong, von dem wir spätestens dadurch jetzt wissen, dass er wohl auch die Dauphinee gerne gewinnen würde, stieg dem 53 hinter ihm liegenden Spanier hinterher und im Feld entstand Chaos. Lediglich eine Gruppe von 13 Fahrern blieb als „Feld“ nun in der Verfolgung des Ausreißerduos und Fahrer wie Ullrich, Rasmussen, Nozal, Vinokourov oder Sastre begannen die Segel zu streichen. Ihre ernsthaften Leistungstests am Ventoux schienen auszufallen.
Anders verlief es für Klöden, Zubeldia, Mayo und Totsche. Vor allem diese vier sorgten in der Verfolgergruppe immer wieder für ein hohes Tempo und konnten den Abstand zur Spitze sehr gut in Grenzen halten, so dass Armstrong und Garate nie mehr als 40 Sekunden Vorsprung hatten.
Erst als der Weltmeister höchst persönlich sechs Kilometer vor dem Ziel seine Tempo-Arbeit in einen Angriff umswitchte war der Widerstand der Gruppe gebrochen. Totsche hatte den perfekten Moment abgewartet und die Gruppe stehen gelassen, als der Abstand nach vorn relativ gering und die gefährlichsten Begleiter Klöden, Zubeldia und Mayo bereits ziemlich müde waren.
Schnell konnte er der Gruppe davon fahren und sich auf die Aufholjagd konzentrieren. Sekunde um Sekunde nahm er dem Spitzenduo ab, bis er Sichtkontakt hergestellt hatte und schließlich aufschließen konnte. Doch Lance Armstrong schien auf diesen Moment gewartet zu haben – den Moment in dem Totsche einen Tritt ausließ um an Garate’s Hinterrad einen Moment zu verschnaufen. Ein kurzer Blick nach hinten genügte dem Amerikaner und da kam auch schon die Attacke.
Für einen kurzen Moment sahen seine beiden Wiedersacher so aus, als ob sie resignieren würden, doch dann arbeiteten sie zusammen und konnten das Loch zufahren. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube es gab bisher nicht viele, die eine ernsthafte Attacke von Lance Armstrong abwehren konnten – Garate und Totsche hatten es heute geschafft.
Doch damit nicht genug! Totsche ging sofort wieder aus dem Sattel und setzte die Konter-Attacke. Das war in diesem Moment wohl zuviel für Armstrong, denn er konnte nicht nachsetzen. Nur Garate blieb einen Moment am Hinterrad meines Chefs, bis auch er das Weltmeister-Trikot ziehen lassen musste.
Totsche hatte sich durchgesetzt und von Meter zu Meter wurde ich mir gewisser, dass es reichen würde. Armstrong kam zwar noch einmal an Garate heran, doch auch mit vereinten Kräften schienen beide nicht in der Lage zu sein Georg’s Tempo zu halten. Der Abstand wurde größer und größer und als die letzte Spitzkehre passiert war hatte unser Ösi sogar noch die Kraft einen Zielsprint hinzulegen, bevor er die Zieldurchfahrt genoß und mit ausgestreckter linker Faust über die Linie rollte.
Der erste Saisonsieg im Weltmeister-Trikot war damit perfekt und noch mehr: Totsche hatte in der Tour-Vorbereitung alle anwesenden Konkurrenten um den Sieg in Paris geschlagen – allen voran ein Lance Armstrong, der nach dem gestrigen Zeitfahren schon als Tour-Sieger gefeiert wurde!
Bei einem so schönen Etappensieg wird sicher auch die Eroberung des Bergtrikots absolut nebensächlich.
Was Totsche selbst wahrscheinlich gar nicht mehr mitbekam, ich aber dennoch am TV sehen konnte war dann noch, dass auch Garate kurz vor dem Ziel Armstrong distanzieren konnte und Platz zwei belegte – 1’13 hinter dem Sieger!
Und die deutschen Tour-Hoffnungen? Andreas Klöden wurde immerhin Etappensechster, musste aber einen Verlust von 3’24 verzeichnen, während Jan Ullrich als 49. gar 8’29 verlor.
Allerdings habe ich das Gefühl, dass man sich als Deutscher noch keine Sorgen um den Tour-Sieger von 2004 machen muss. Er kam heute doch mit einem relativ lockeren Gesichtsausdruck und in gewohnter Trittfrequenz über die Ziellinie gerollt:
Vielleicht versucht er Armstrong dieses Jahr mit den eigenen Waffen zu schlagen und blufft – möglich wär’s!
Ergebnis:
1 Georg Totschnig Gerolsteiner 4h35'29
2 Juan Manuel Garate Saunier Duval + 1'13
3 Lance Armstrong Discovery Channel + 1'26
4 Mauricio Ardila Davitamon - Lotto + 3'07
5 Sylvain Chavanel Cofidis + 3'16
6 Andreas Klöden T-Mobile Team + 3'24
7 Xavier Zandio Illes Balears s.t.
8 Haimar Zubeldia Euskaltel - Euskadi s.t.
9 Sergio Paulinho Liberty Seguros s.t.
10 Sandy Casar Française des Jeux + 3'42
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12 Iban Mayo Euskaltel - Euskadi + 3'54
19 Carlos Sastre Team CSC + 6'05
23 Michael Rasmussen Rabobank + 6'25
28 Izidro Nozal Liberty Seguros + 6'44
49 Jan Ullrich T-Mobile Team + 8'29
116 Floyd Landis Phonak Hearing Systems + 12'54
131 Alexandre Vinokourov T-Mobile Team + 13'50
GK:
1 Lance Armstrong Discovery Channel 15h18'44
2 Georg Totschnig Gerolsteiner + 29
3 Juan Manuel Garate Saunier Duval + 40
4 Haimar Zubeldia Euskaltel - Euskadi + 2'14
5 Sergio Paulinho Liberty Seguros + 2'34
6 Andreas Klöden T-Mobile Team + 2'58
7 Sylvain Chavanel Cofidis + 3'25
8 Igor Gonzalez De Galdeano Liberty Seguros + 4'01
9 Didier Rous Bouygues Telecom + 4'03
10 Sandy Casar Française des Jeux + 4'07
Berg:
1 Georg Totschnig Gerolsteiner 40
2 Juan Manuel Garate Saunier Duval 35
3 Lance Armstrong Discovery Channel 30