28.5.2005 (Giro – 20.Etappe) – Der Tag des Falken:
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Ich hatte mir fest vorgenommen auf der letzten Bergetappe noch einmal alles zu geben und das habe ich auch getan. Ich hatte mir auch vorgenommen mich ausschließlich auf Oscar Pereiro zu konzentrieren – auch das habe ich getan. Trotzdem verlief die Etappe nach Sestriere alles andere als nach meinen Wünschen! Doch fangen wir wie immer vorne an.
Noch vor dem ersten Anstieg nach Sestriere hatte sich eine sechsköpfige Spitzengruppe gebildet, die im Kampf der Giganten am Ende aber untergehen sollte, weshalb ich nicht viel von ihr zu erzählen brauche. Wichtig wurde es erst am Berg. Dort, etwa bei Kilometer 85 von 188 bildete sich eine sehr starke Verfolgergruppe von 9 Mann, zu denen unter anderem Tom Danielson und Paolo Savoldelli von Discovery, Eddy Mazzoleni und Andrea Tonti von Lampre, Serhiy Honchar von Domina und Thorwald Veneberg von Rabobank gehörten.
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Für mich war diese Gruppe uninteressant, da meine Blicke wie geplant einzig und allein Pereiro galten. Zu diesem Zeitpunkt funktionierte das auch noch wunderbar. Ich konnte mich an seinem Hinterrad festbeißen und spulte die Kilometer dort ab.
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Die erste Sestriere-Passage war kein Problem und nach der langen Abfahrt hatte unser Hauptfeld 5’47 Rückstand auf die inzwischen zusammengewachsene Spitzengruppe aus 14 Fahrern. Doch am steilen Colle delle Finestre kam es wie es kommen musste. Nachdem in der Spitzengruppe einige Attacken, vor allem von Savoldelli, Veneberg, Honchar und Mazzoleni, gestartet worden waren und es den CSC-Helfern im Feld nicht gelang die Lücke nach vorn zu verringern folgten auch im Feld Tempoverschärfungen. Zunächst konnte ich mithalten und blieb an Pereiro’s Hinterrad, doch dann ging der Spanier selbst aus dem Sattel. Er versetzte mir den Todesstoß und es waren noch immer knapp 30 Kilometer bis ins Ziel zurückzulegen!
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Van Huffel, Karpets, Eltink, Guerini, Popovych, Caucchioli, Casagrande und natürlich auch Basso konnten mitgehen, aber für Cioni, Garrido, Cunego, Markus (Fothen) und mich war es vorbei – wir mussten reißen lassen. Von nun an mussten wir versuchen zu fünft der Gruppe der großen Namen hinterher zu eilen, doch so stark Markus auch arbeitete, es war ein Ding der Unmöglichkeit!
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Die Basso-und-Pereiro-Gruppe schien genauso gut zusammen zu arbeiten und am Gipfel des Finestre hatten wir uns bereits einen saftigen Rückstand von 2 Minuten eingefangen. Die Beine brannten natürlich wieder und auch im Herz kamen jetzt große Schmerzen auf, da jede Hoffnung aus den letzten Tagen mit einem Schlag vernichtet war. Im Gegenteil: Ich musste jetzt sogar noch um meinen Podestplatz bangen, denn wenn es so weiter gegangen wäre, dann hätten auch Karpets, Guerini und Popovych noch gute Chancen gehabt an mir vorbei zu ziehen. Immer wieder versuchten Damiano, Markus und ich das Tempo zu erhöhen, denn schließlich kämpfte nicht nur ich um meine Position. Für Damiano war die Gefahr sicher noch viel größer! Er würde bei seiner Heimatrundfahrt so wie es aussah die vierte Position verlieren und irgendwo ans Ende der Top10 durchgereicht werden und auch Markus wollte ja unbedingt die Top15-Platzierung halten, was angesichts der Leistung von Savoldelli und Danielson in der Spitzengruppe auch immer schwerer wurde.
Apropos Spitzengruppe: Dort vorn hatten sich am Finestre letztendlich Savoldelli und Mazzoleni durchgesetzt. Die beiden Italiener stürmten gemeinsam und vor allen anderen in die Abfahrt, wo ihr Vorsprung sicher nicht kleiner werden sollte.
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Jeder weiß, wie stark Paolo Savoldelli ist, wenn es möglichst steil den Berg hinunter geht – nicht umsonst trägt er den Spitznamen „der Falke“. Und eben diesem Spitzname machte Savoldelli heute wieder alle Ehre! In den 10 Kilometern hinunter vom Finestre ließ er den italienischen Meister Mazzoleni alt aussehen und distanzierte seinen Begleiter ganz locker um mehr als 30 Sekunden.
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Ganz allein und mit scheinbar unendlichen Kraftreserven ging er in den Schlussanstieg und ohne auch nur ein einziges mal aus dem Sattel gehen zu müssen marschierte der Falke nun dem Ziel entgegen. Angetrieben von tausenden von Tifosi wollte er seinem Giro ein versöhnliches Ende setzen und den Etappensieg in Sestriere holen.
Doch noch war sein Sieg nicht in trockenen Tüchern! Die Basso-Pereiro-Gruppe hatte in der Abfahrt auch ein Höllentempo hingelegt und konnte einige ehemalige Ausreißer einholen. Als auch sie den Schlussanstieg erreichten ließ Ivan „der Schreckliche“ Basso dann erneut die Muskeln spielen. Als ob er noch nicht genug gewonnen hätte bei diesem Giro, raste er seiner Gruppe davon und ließ schließlich auch Honchar und Mazzoleni einfach stehen.
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Einmal mehr fuhr er den Anstieg hinauf, wie ein Lance Armstrong in seinen besten Tagen und verkürzte den Abstand zu Savoldelli von anfänglich 3 Minuten kontinuierlich immer weiter. Wer erinnert sich noch an Marco Pantani’s Ritt bei der letzten Giro-Bergetappe 1999 hinauf nach Madonna di Campiglio oder an Lance Armstrongs Jagd bei der Tour im Jahr 2000, als er im Regen von Lourdes Hautacam einen riesigen Rückstand am Fuß des Schlussanstiegs noch fast komplett auf fuhr und am Ende dem Spanier Javier Otxoa gerade mal noch 42 Sekunden für den Tagessieg genügen mussten? Genau so muss es heute vor dem TV ausgesehen haben, als Ivan Basso zur Aufholjagd ansetzte und Meter um Meter die Sekunden purzelten. Ob Savoldelli Angst bekommen hat, weiß ich nicht, der Savoldelli-Fan vor den Fernsehern hat es sicherlich!
Letztendlich ging es dem Falke aber so, wie damals Javier Otxoa. Er rettete noch eine gute Minute ins Ziel und war anschließend so kaputt, dass er wohl nicht mal mehr genug Kraft hatte, seinen Sieg gebührend zu feiern.
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Hinter Basso wurde Mazzoleni dritter und Caucchioli sprintete vor Popovych, Guerini und Karpets auf Rang vier.
Doch all das bekam ich gar nicht mit. Ich quälte mich zu diesem Zeitpunkt noch die letzten Kilometer den Berg hinauf und hatte am Ende sogar Probleme den Anschluß an meine „Gruppe der Jungspunde“ zu halten. Damiano Cunego sprintete am Ende als 15. mit 7’39 Rückstand ins Ziel und ich konnte von Glück reden, dass Tom Danielson gegen Ende der Etappe ebenfalls einbrach. Die Gefahr für Markus, seinen 15. Platz zu verlieren war nun nicht mehr sehr groß und so konnte er mir noch Geleitschutz bis auf die Zielgerade geben. Erst dann verließ er mich und holte noch ein paar letzte Sekunden heraus.
Meine Platzierung am Ende dieser letzten Bergetappe war Rang 19 mit 8’54 Rückstand auf Etappensieger Paolo Savoldelli und als ob es nicht schon schlimm genug gewesen wäre musste ich kurz vor dem Zielstrich auch noch x-mal die Namen Basso und Savoldelli lesen.
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Die Mission Attacke war heute also gescheitert, doch wenigstens haben sich die schlimmsten Befürchtungen vom Finestre nicht bewahrheitet: Ich konnte meinen Podestplatz halten und darf somit wenigstens an der Sieger-Zeremonie in Mailand teilnehmen. Auch wenn ich lange Zeit gehofft hatte weiter oben zu stehen, so ist das doch immer noch ein Trostpflaster und wenn ich erstmal etwas Abstand von hier habe, dann merke ich vielleicht auch, dass ein dritter Platz beim Giro d’Italia sehr viel wert ist!
Am meisten leid tut mir heute Damiano Cunego. Ich habe den ganzen Tag mit ihm Seite an Seite gelitten und eine gewisse Sympathie zu dem Italiener aufgebaut. Deshalb tut mir sein großer Verlust heute auch ein bischen weh. Am vorletzten Tag einer Grand-Tours im eigenen Land von Platz 4 auf Platz 9 abzustürzen – schlimmer geht’s nimmer…
Ergebnis:
1 Paolo Savoldelli Discovery Channel 5h21'00
2 Ivan Basso Team CSC + 1'10
3 Eddy Mazzoleni Lampre - Caffita + 2'07
4 Pietro Caucchioli Credit Agricole + 3'18
5 Yaroslav Popovych Discovery Channel s.t.
6 Giuseppe Guerini T-Mobile Team s.t.
7 Vladimir Karpets Illes Balears s.t.
8 Wim Van Huffel Davitamon - Lotto + 3'46
9 Serhiy Honchar Domina Vacanze + 4'08
10 Oscar Pereiro Phonak Hearing Systems + 4'26
11 Andrea Tonti Lampre - Caffita + 5'04
12 Tom Danielson Discovery Channel + 5'34
13 Theo Eltink Rabobank + 6'08
14 Francesco Casagrande Naturino - Sapore Di Mare + 7'22
15 Damiano Cunego Lampre - Caffita + 7'39
16 Dario Cioni Liquigas - Bianchi + 8'02
17 Antonio Garrido Quick Step - Innergetic + 8'39
18 Markus Fothen Gerolsteiner s.t.
19 Rot Rigo Gerolsteiner + 8'54
20 Thorwald Veneberg Rabobank + 9'39
GK:
1 Ivan Basso Team CSC 83h04'40
2 Oscar Pereiro Phonak Hearing Systems + 9'29
3 Rot Rigo Gerolsteiner + 15'24
4 Vladimir Karpets Illes Balears + 19'11
5 Giuseppe Guerini T-Mobile Team + 19'44
6 Yaroslav Popovych Discovery Channel + 20'15
7 Pietro Caucchioli Credit Agricole + 21'49
8 Wim Van Huffel Davitamon - Lotto s.t.
9 Damiano Cunego Lampre - Caffita + 23'48
10 Serhiy Honchar Domina Vacanze + 29'30
11 Paolo Savoldelli Discovery Channel + 30'46
12 Dario Cioni Liquigas - Bianchi + 38'21
13 Eddy Mazzoleni Lampre - Caffita + 38'26
14 Markus Fothen Gerolsteiner + 45'07
15 Leonardo Bertagnolli Cofidis + 47'02
16 Antonio Garrido Quick Step - Innergetic + 49'52
17 Tom Danielson Discovery Channel + 50'32
18 Andrea Tonti Lampre - Caffita + 50'43
19 Francesco Casagrande Naturino - Sapore Di Mare + 53'13
20 David Zabriskie Team CSC + 55'20