Ein Fall für zwei

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6766918Beitrag Valverde3007
13.5.2009 - 14:37

1.-4. Etappe Tirreno-Adriatico - Eine Frage der Sichtweise (E/U)

Bild
Links oben: Die 1.Etappe über 159 Kilometer; Rechts oben: Die 2.Etappe über 184 Kilometer; Links unten: Die 3.Etappe über 215 Kilometer; Rechts unten: Die 4.Etappe über 162 Kilometer

Die Stimmung am Tisch des Team Telekom war generell gut. Jens Heppner und Jan Ullrich scherzten ein bisschen und amüsierten sich über einen ungeschickten Angestellten des Hotels, der gerade einen Teller fallen gelassen hatte. Rudy Pevenage kam dazu und lachte aus purer Gewohnheit einfach mit, ohne den Grund dafür zu kennen. Das löste bei den restlichen Teammitgliedern heiteres Gelächter aus. Nur Ete konnte nicht einstimmen. Er saß mit düsterer Miene am Ende des großen Tisches und schmollte vor sich hin. Nachdem er sich nach den ersten Rennerfolgen in einer guten Form gewähnt hatte, hatten ihm die letzten vier Tage Angst gemacht. Als haushoher Favorit war er zu Tirreno-Adriatico angetreten, nach dem vierten Tagesabschnitt konnte er sich als er große Verlierer sehen. Es hatte nichts, rein gar nichts gepasst. Klar, das Team hatte Erfolge gefeiert. Heppner war auf der zweiten Etappe zweiter geworden und hatte das Bergtrikot erobert, Ulle hatte sich problemlos im vorderen Feld gehalten und Giovanni hatte zwei Platzierungen unter den besten acht ersprintet. Doch er, Ete Zabel, der eigentliche Kapitän der Mannschaft war erfolglos geblieben. Er wusste nicht woran es lag, ob es nur die schlechte Taktik und die Tagesform gewesen waren, aber die Lage war bedenklich. Nur noch sieben Tage blieben bis zu Mailand-San Remo, seinem ersten Saisonhöhepunkt, sieben Tage, an denen er vielleicht noch korrigieren konnte, was im Moment falsch lief.

Auf der ersten Etappe hatte er sich mit seinen Sprinterkollegen verkalkuliert und eine Ausreißergruppe zu weit weggelassen. Das Feld kam der Gruppe auf den letzten Kilometern zwar gefährlich nahe, doch der Belgier Peter van Petegem bewies seine Qualitäten, im Finale der Etappe die letzten Körner aus sich herauszuholen, um den Tagesabschnitt in Klassikermanier zu gewinnen. Im Sprint des Feldes vierzig Sekunden später, hätte Ete trotzdem immerhin noch den zweiten Platz ergattern können. Einige Sprinter, darunter Mario Traversoni und Mario Cipollini waren durch einen Massensturz zurückgefallen. Damit schien der Weg frei zu sein. Typisch für diese unglücklichen Tage, lief es anders, als Ete es sich dachte. Er wurde im Sprint eingeklemmt und landete auf einem enttäuschenden achten Platz, noch hinter seinem Anfahrer Giovanni Lombardi.

Auf der zweiten Etappe lief es kein Stückchen besser. Jens Heppner schaffte es in die Gruppe des Tages, was den Druck vom Team nahm, im Umkehrschluss aber auch bedeutete, dass es noch eine Mannschaft weniger gäbe, die sich um die Arbeit im Feld kümmerte. Der Vorsprung wuchs zwar nie uneinholbar an, doch im Finale der Etappe schaffte es eine illustre Gruppe um Serpellini, Bellini, Gonchar und Balducci zum verbliebenen Spitzenduo Heppner/ Beat Zberg aufzuschließen. Aus dieser Gruppe fiel auf den ansteigenden letzten beiden Kilometern schließlich auch die Entscheidung, wobei sich Heppner, der den ganzen Tag an der Spitze gearbeitet hatte mit einer bravourösen Leistung den zweiten Platz im Tagesklassement hinter Bellini erkämpfte. Weniger gut lief die Schlussphase im Hauptfeld. Lombardi und überraschenderweise Ulle geleiteten Ete zwar vorbildlich auf die letzten Meter und zogen ihm den Sprint perfekt an, doch Ete war nicht stark genug zu vollenden. Er war nicht einmal in der Lage aus dem Windschatten seines Edeldomestiken zu gehen, sondern blieb hinter ihm zurück und beendete die Etappe auf einem enttäuschenden zehnten Platz.


Bild
Am ersten Tag gewann Peter van Petegem (TVM) aus einer Ausreißergruppe, genau so wie Marco Bellini (Asics) auf der zweiten Etappe.

Damit war der Tiefpunkt aber lange noch nicht erreicht. Der dritte Tag war der schlimmste für Ete. Die gesamten 215 Kilometer der Etappe wurden mit höchstem Tempo gefahren, immer wieder entstanden neue Ausreißergruppen mit hochkarätigen Fahrern, erst fuhr Gotti in einer Gruppe mit, später Barbero, Museeuw und Bettini. Die italienischen Teams waren mit keiner dieser Besetzungen einverstanden und ließen mit der Tempoarbeit zu keinem Zeitpunkt der Etappe nach. Als zwanzig Kilometer vor dem Ziel die italienischen Klassikerspezialisten anfingen, um den Sieg zu fahren, war der Akku bei Ete längst alle. Mit Mühe hielt er sich am Schwanz des Feldes, während vorne Faresin, Noe und Bartoli den entscheidenden Angriff setzten. Mit Ulles Hilfe schaffte er es zwar mit höchstem Krafteinsatz auf die finalen ansteigenden zwei Kilometer, es gelang ihm aber nicht, in den Sprint um den Tagessieg einzugreifen. Letztendlich wurde er durchgereicht und beendete das Rennen auf einem enttäuschenden 37. Platz.

Die vierte Etappe bot kein anderes Bild. Escartin, Boogerd und wieder Gotti initiierten eine starke Ausreißergruppe, die vom ersten Kilometer an gejagt wurde. Später folgten Konishev, di Grande und Bartolis Edelhelfer Bettini der Gruppe und stellten fünfzig Kilometer vor dem Schluss den Kontakt her. Das bedingte ein weiterhin hohes Tempo im Feld, das Ete auf den letzten zwanzig Kilometern nicht mehr mitgehen konnte. Während sich an der Spitze eine fünfzehnköpfige Gruppe der Favoriten absetzte, hing Ete in der zweiten Gruppe fest. Lafis, Lombardi und Ulle arbeiteten zwar hart, um den Anschluss herzustellen, doch beim Blick auf die Tafeln der Begleitmotorräder wurde es Ete bewusst, dass eine weitere Chance vertan war. Als er den Sprint seiner Gruppe gewann, war der Tagessieger Bartoli bereits eineinhalb Minuten im Ziel. Das Fazit des Auftakts von Tirreno war klar. Gegen die Kapitäne der italienischen Teams, besonders gegen Michele Bartoli, hätte er in dieser Verfassung keine Chance. Er musste auf ein Wunder hoffen. Bei seinem Formaufbau war irgendetwas schief gelaufen. Er schaute zu Ulle hinüber. Bei ihm schien alles in Ordnung zu sein, er hatte alle Ziele erreicht, die er sich gesteckt hatte.


Bild
Michele Bartoli (MG Technogym) dominierte die hügeligen Etappen, egal ob er gegen Noe im Sprint gewann, oder als Solist erfolgreich war.

Ulle lachte über einen Witz, den sein Zimmerkollege Jens Heppner gerade erzählt hatte. Er hatte richtig gute Laune und genoss die positive Atmosphäre im Team. Alle waren gut gelaunt, bis auf einen. Ete saß mit einem missmutigen Gesicht am Ende des Tisches und sprach kein Wort. Ulle konnte die Laune des Sprinters nachvollziehen. Die letzten Resultate sprachen nicht für ihn und gefährdeten seine gesamte Saisonplanung. Wenn sich nicht bald die Erfolge einstellten und er in San Remo scheiterte, wäre auch die Tour de France für ihn in Gefahr. Auf jeden Fall wäre er dann auf sich alleine gestellt, weil das Team keinen speziellen Helfer für ihn entbehren würde, sondern ganz auf die Gesamtwertung setzen würde. Eigentlich wäre das die perfekte Situation für Ulle gewesen, doch Ete tat ihm im Moment leid. Deshalb hatte Ulle auf den ersten Etappen alles versucht, ihm zu helfen, gute Resultate einzufahren. Auf den ersten beiden Etappen hatte er im Finale hart gearbeitet und mit seinen Zeitfahr- und Bergqualitäten den drittletzten Platz im Sprintzug vor Lombardi und Ete eingenommen. Jedes mal hatte er seine Arbeit gut erledigt, aber Ete konnte kein einziges mal vollenden.

Dadurch war auch Ulle unruhig geworden. Auf der schweren dritten Etappe hatte er schließlich entschieden, auf die eigene Kappe etwas zu probieren. An einem der schweren Anstiege hatte er eine Attacke lanciert und war mit Miceli und Piccoli einige Kilometer vor dem Feld gefahren. Im Finale wurde er zwar von der Gruppe um Bartoli wieder gestellt, trotzdem hatte er ein Ausrufezeichen gesetzt und ein Signal an die Weltspitze gesendet, dass er wieder da war und in eine gute Verfassung kam. Auf der vierten Etappe rollte er ebenso in der Gruppe um Ete knapp eineinhalb Minuten hinter dem Sieger ins Ziel, ohne an seine Grenzen gegangen zu sein. Ulle konnte sich problemlos in der zweiten Gruppe halten und sah keinen Grund, in den roten Bereich zu gehen, um ein paar Sekunden zu gewinnen. Nach vier Etappen lag er auf einem guten 23. Gesamtplatz, mehr erwartete er zu diesem Zeitpunkt der Saison auch nicht. Er hatte sein Formloch des Winters überwunden und war auf dem aufsteigenden Ast. Zwar klaffte immer noch eine Lücke zwischen ihm und der absoluten Spitze, er nahm die Hügel Norditaliens aber nicht besonders ernst. Sobald es schwieriger würde und ins Hochgebirge ging, hätten Fahrer vom Kaliber eines Bartoli keine Chance mehr gegen ihn.


Bild
Ulle ging bereits in die Offensive, während Ete meist hinterherfuhr und im Feld festhing.

Ergebnisse:

1.Etappe

1. Peter van Petegem TVM 3h40:36
2. Andre Korff Festina 0:40
3. Fabio Baldato MG Technogym s.t.
4. Endrio Leoni Aki s.t.
5. Luca Mazzanti Mobilvetta s.t.
10. Erik Zabel Team Deutsche Telekom s.t.
33. Jan Ullrich Team Deutsche Telekom s.t.

2.Etappe

1. Marco Bellini Asics 4h13:52
2. Jens Heppner Team Deutsche Telekom s.t.
3. Beat Zberg Mercatone Uno s.t.
4. Sergei Gonchar Aki s.t.
5. Gabriele Balducci Mobilvetta s.t.
9. Erik Zabel Team Deutsche Telekom 1:05
21. Jan Ullrich Team Deutsche Telekom s.t.

3.Etappe

1. Michele Bartoli 4h58:16
2. Andrea Noe Asics s.t.
3. Gianni Faresin Mapei 0:34
4. Dario Frigo Saeco 0:43
5. Andrea Ferrigato Roslotto s.t.
37. Erik Zabel Team Deutsche Telekom s.t.
44. Jan Ullrich Team Deutsche Telekom s.t.

4.Etappe

1. Michele Bartoli MG Technogym 3h50:14
2. Gianni Faresin Mapei 0:31
3. Mariano Piccoli Brescialat s.t.
4. Dario Frigo Saeco s.t.
5. Andrea Vatteroni Scrigno s.t.
16. Erik Zabel Team Deutsche Telekom 1:35
30. Jan Ullrich Team Deutsche Telekom s.t.

Gesamtwertung:

1. Michele Bartoli 17h00:16
2. Andrea Noe Asics 0:45
3. Gianni Faresin Mapei 1:15
4. Marco Bellini Asics 1:23
5. Mariano Piccoli Brescialat 1:30
6. Dario Frigo Saeco 1:34
7. Gentili Cantina Tollo s.t.
8. Andrea Vatteroni Scrigno s.t.
9. Andrea Ferrigato Roslotto s.t.
10. Bo Hamburger TVM s.t.
17. Erik Zabel Team Deutsche Telekom 2:38
23. Jan Ullrich Team Deutsche Telekom s.t.

Sprintwertung:

1. Michele Bartoli MG Technogym 24
2. Gianni Faresin Mapei 18
3. Peter van Petegem TVM 17

Bergwertung:

1. Michelangelo Cauz 10
2. Jens Heppner Team Deutsche Telekom 5
3. Angel Edo Kelme 5

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6767538Beitrag Valverde3007
16.5.2009 - 15:13

6.Etappe Paris-Nizza - Der Scharfrichter(K)

Der Mont Ventoux ist einer der bekanntesten Anstiege in ganz Europa. Majestätisch ragt er an den letzten Ausläufern der westlichen Alpen beinahe 2000 Meter in die Höhe. Dadurch, dass sich im umliegenden Bereich kaum andere Berge befinden, erscheint der Ventoux im Vergleich noch gigantischer. Doch es ist nicht alleine die Höhe des Berges, die den Anstieg unter Radsportlern legendär und gefürchtet gemacht hat. Besonders die spärliche Vegetation im oberen Bereich des Berges und der dort herrschende Wind erschweren das Befahren enorm und lassen den Gipfel wie eine Mondlandschaft erscheinen. In der Höhe jenseits der Baumgrenze scheiterte schon manch großer Radsportler am knappen Sauerstoff und den schier endlosen Qualen dieses mystischen Berges. Insgesamt gibt es drei Möglichkeiten, den Berg zu befahren, von der Nordseite, der Südseite und der Ostseite, wobei man die Möglichkeit hat, bis ganz nach oben zum Observatorium auf dem Ventoux zu fahren, oder beispielsweise nur bis zum Mont Serein. Für die heutige Etappe hatten die Veranstalter die Variante gewählt, die Fahrer nur bis auf die halbe Strecke fahren zu lassen, von wo aus sie sich in die Abfahrt stürzen durften. Anschließend waren es dann noch achtzig Kilometer bis ins Ziel, wobei weitere kleine Hügel warteten. Nichtsdestotrotz blieb der Ventoux ein Monstrum, das die Rennfahrer aufs äußerste beanspruchen würde.

Wie Karsten es vorher erwartet hatte, wurde der Mont Ventoux zum Scharfrichter dieses fünften Teilabschnittes von Paris-Nizza. Insgesamt standen zwar acht Anstiege auf dem Programm, aber logischerweise konnte es keiner dieser Hügel in der Länge oder der Steilheit mit dem Ventoux aufnehmen. Das Feld war auf der Verfolgung eines Spitzenduos mit vollem Tempo in den Berg hinein gefahren und mit dem ersten Meter begannen die ersten Attacken. Nacheinander versuchten die Favoriten sich vom Feld, das schnell zusammenschmolz, abzusetzen. Erst war es Massimiliano Lelli, darauf folgte Davide Rebellin und schließlich wie so oft in den letzten Tagen, Luc Leblanc. Der Franzose war es, der eine erste konstante Gruppe zustande brachte, in der neben ihm mit Madouas, Tchmil, Mondini und Bruyneel weitere Fahrer waren, die noch Ambitionen hatten, unter die besten zehn der Rundfahrt zu kommen. Eine Weile sah es für sie relativ gut aus und sie schafften es, sich im bewaldeten Bereich des Berges bis auf eine halbe Minute vom Feld abzusetzen, wo Festina alle Kräfte auf die Nachführarbeit bündelte. Die Helfer von Brochard fuhren bereits am Anschlag und versuchten mit aller Kraft, die Führenden einzuholen und das Feld weiter zu dezimieren. Fünf Kilometer vor dem Gipfel schafften sie es, die fünf Fahrer an der Spitze einzuholen, doch die Tempoarbeit hatte Brochard bis auf Laurent Dufaux alle Helfer gekostet. Zwangsläufig sollten die beiden Festinafahrer nun also einen Gang rausnehmen und das Rennen beruhigen.

Die Fahrer verließen nun das bewaldete Gebiet und erreichten den kahlen Oberhang des Ventoux, wo ein starker Wind herrschte. Unter diesen Bedingungen rechneten sowohl die Spitzenfahrer der anderen Teams, als auch Karsten damit, dass das Tempo gedrosselt würde. Stattdessen reagierte Dufaux mit einer weiteren Tempoverschärfung, der nur noch knapp 15 Fahrer folgen konnten. Das Tempo war nun so hoch, dass einer nach dem anderen das Tempo der Gruppe nicht mehr halten konnte und zurückfiel. Vier Kilometer vor der Bergwertung ereilte dieses Schicksal dann auch Dufaux, der seinem immensen Arbeitspensum Tribut zollen musste und aus der Führung ging, wobei er so stark schwankte, dass man fürchten musste, er würde gleich vom Rad fallen. Diesen Augenblick der Isolierung des gelben Trikots wollten seine Gegner nun nutzen. Zuerst setzte sich Cengialtha von der Gruppe ab, in der niemand reagierte. Einige Fahrer fuhren von hinten zur Gruppe auf und die Bemühungen von Festina schienen im nichts zu verpuffen. Laurent Roux, der schon auf der dritten Etappe in der Verfolgergruppe Brochards gewesen war, packte die Gelgeneheit beim Schopf und wagte einen Angriff. Mit Schwung schoss er vom Ende der Gruppe an allen Fahrern vorbei, so dass ihm keiner folgen konnte – außer einem. Brochard zeigte keine Schwäche, sondern konterte den Angriff von Roux, zwar mit etwas Mühe, aber dennoch souverän. Die beiden Franzosen schafften es schnell, sich von den restlichen Fahrern klar abzusetzen und erreichten einen Kilometer vor der Bergwertung auch noch Cengialtha. Als Brochard die Gruppe über den Gipfel führte, hatte sie bereits eineinhalb Minuten Vorsprung auf ihre verbliebenen neun Verfolger, ein Vorsprung, der auf achtzig Kilometern aufzuholen war. Oder zu vergrößern.

Bild
Laurent Brochards Angriff am Ventoux wurde von seinem Team mustergültig vorbereitet.


Die drei Spitzenreiter flogen an dem Banner, das die letzten zehn Kilometer anzeigte, vorbei. Sie hatten seit der Überquerung des Ventoux gut zusammengearbeitet und den Vorsprung auf drei Minuten ausgebaut. Mittlerweile war ihnen klar, dass sie höchstwahrscheinlich das Podium der Rundfahrt stellen würden und sie auf dem Rest der Etappe nur noch die Reihenfolge ausfahren würden. Ein letzter Anstieg sechs Kilometer vor dem Ziel und die ansteigende Zielgerade boten noch die Möglichkeit, für empfindliche Abstände zu sorgen. Der letzte Hügel war etwa drei Kilometer lang und durchschnittlich sechs Prozent steil. Brochard führte das Trio in den Anstieg hinein, schaute sich kurz um und trat sofort humorlos an. Er zeigte keinerlei Absicht, sich mit den dreien zu duellieren, oder ihnen die Chance zu geben, ihn anzugreifen, sondern stellte auf den ersten Metern klar, wer der dominierende Fahrer der diesjährigen Austragung der „Fahrt zur Sonne“ war. Roux versuchte zaghaft, den Angriff zu kontern, musste aber schnell einsehen, dass er keine Chance hatte. Stattdessen versuchte er, einen hohen Rhythmus zu fahren, um möglicherweise Cengialtha, der nun müde zu sein schien, abzuhängen. Währenddessen vergrößerte Brochard Meter für Meter seinen Vorsprung und fuhr einem ungefährdeten Sieg entgegen.

Der letzte Kilometer wurde zu einer einzigen Triumphfahrt für Brochard. Motiviert durch die Großtaten des Franzosen in den letzten Tagen, waren tausende seiner Landsmänner an die Strecke geströmt, um ihr Idol zu sehen. Bereits einige hundert Meter vor dem Ziel winkte er den Fans zu und feierte seinen Sieg. Auf der Ziellinie ballte er die Fäuste und schrie seine Freude aus sich heraus. Mit seinem zweiten Etappensieg hatte er seine Führung beinahe unaufholbar ausgebaut. Jetzt musste er nur noch auf seine Verfolger warten. Erst eine Minute nachdem Brochard die Ziellinie überquert hatte, erreichte ein total abgekämpfter Laurent Roux das Ziel, ebenfalls als Solist. Er hatte auf den letzten Kilometern Cengialtha klar distanzieren können, weil dieser eingebrochen war und noch über eine Minute verloren hatte. Der erste Fahrer der Verfolgergruppe, Giorgio Furlan, kam erst drei Minuten nach Brochard ins Ziel. Brochard jubelte unterdessen schon mit seinen Betreuern über den Erfolg. Wie vorhergesagt war der Ventoux zum Scharfrichter der Etappe, wenn nicht sogar der Rundfahrt geworden und er hatte sie zugunsten von Festina, zugunsten von Brochard entschieden.

Bild
Brochard gewann die Etappe deutlich als Solist mit über einer Minute Vorsprung.

Tageswertung:
1. Laurent Brochard Festina 4h24:03
2. Laurent Roux TVM 1:02
3. Bruno Cengialtha Batik 2:02
4. Giorgio Furlan Saeco 2:50
5. Koos Moerenhout Rabobank 3:04
6. David Etxebarria ONCE 3:15
7. Mauro Gianetti FdJeux s.t.
8. Kevin Livingston Cofidis s.t.
9. Rolf Jaermann Casino 3:39
10. Phillippe Bordenavre Casino 3:54


Gesamtwertung:
1. Laurent Brochard Festina 19h53 :01
2. Laurent Roux TVM 2:01
3. Bruno Cengialtha Batik 3:55
4. Giorgio Furlan Saeco 4:35
5. Kevin Livingston Cofidis 4:57
6. David Etxebarria ONCE 4:58
7. Koos Moerenhout Rabobank 5:03
8. Luc Leblanc Polti 5:06
9. Mauro Gianetti FdJeux 5:11
10. Rolf Jaermann Casino 5:32

Sprintwertung:
1. Marcel Wüst Festina 60
2. Laurent Brochard Festina 57
3. Andrei Tchmil Lotto 56

Bergwertung:
1. Laurent Brochard Festina 20
2. Laurent Roux TVM 13
3. Bruno Cengialtha Batik 12

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6768780Beitrag Valverde3007
23.5.2009 - 0:53

5.Etappe Tirreno-Adriatico - Rollentausch (U/E)


Bild

In der letzten Nacht hatte Ete lange wach gelegen und über die bisherigen Rennen nachgedacht. Dabei war er zu dem Schluss gekommen, dass seine Form nicht ausreichte, um damit ein besseres Ergebnis als Giovanni Lombardi zu erreichen. Deshalb hatte er sich dazu entschlossen, der Mannschaft am Morgen mitzuteilen, dass die Taktik am heutigen Tage umgestellt werden sollte. Er machte Giovanni Mut, im Finale des Rennens selber zu versuchen, den Sieg zu erreichen und sicherte ihm seine unbedingte Unterstützung zu. Außerdem entband er seine Teamkollegen von der Verantwortung, den Tag über Tempo zu machen. Heute sollten sie sich schonen, es gab genug andere Teams, die viel bessere Chancen auf den Tagessieg hatten. Als ihn kurz vor dem Start ein italienischer Journalist um ein Interview bat, erzählte er diesem dieselbe Geschichte. Für das heutige Sprintfinale hatte er keine Ambitionen, er hoffte nur, dass er seinen Teamkollegen nach vorne fahren könnte.

Ulle reihte sich in den vorderen Reihen des Feldes ein. Die Aktion von Ete hatte ihn überrascht. Eigentlich hatte er gar nicht den Eindruck, dass Ete außer Form war, bisher hatte er nur etwas zu viel Pech gehabt. Trotzdem fand er es fair von seinem Teamkollegen, der Mannschaft für den heutigen Tag etwas Ruhe zu gönnen, statt sie stundenlang arbeiten zu lassen, ohne ein zählbares Resultat zu erreichen. Dafür konnten sie entspannt im Feld mitrollen. Ein weiterer Vorteil, der es ihnen ermöglichte, die Verantwortung weiterzugeben war, dass sich nach einer schnellen ersten Rennstunde eine fünf Fahrer umfassende Spitzengruppe gebildet hatte, die durchaus relevant für die Gesamtwertung werden konnte. Volpi, Gonchar und Serpellini hatten zwar schon einiges an Rückstand, doch Bartolis MG-Team wollte ihnen nicht allzu viel Vorsprung gönnen. Ergänzt durch Ballerini und Magnien war die Gruppe nämlich durchaus in der Lage, im Finale der Etappe einen heißen Kampf um den Etappensieg zu führen. In diesen Kampf würde heute statt Ete Lombardi eingreifen. Ulle schüttelte energisch den Kopf. Ete übertrieb es in dieser Angelegenheit. Es war nicht richtig, die Kapitänsrolle jetzt zu überdenken.

Befreit von dem Siegesdruck, den er von der Öffentlichkeit in Deutschland und von sich selber auferlegt bekommen hatte, hatte Ete ein viel besseres Gefühl. Zum ersten mal seit Tagen saß er wieder mit Freude auf dem Rad und ließ sich auch nicht davon abhalten, sich regelmäßig zurückfallen zu lassen, um Wasserflaschen für das Team zu holen. Dabei blieb er während des gesamten Rennens im Kontakt mit Giovanni, der sich sichtbar freute, dass er im Mittelpunkt stehen durfte. Zur Hälfte des Rennens erkundigte sich Ete nach dem Befinden seines eigentlichen Anfahrers und als Giovanni meinte, er habe ein richtig gutes Gefühl, verwarf Ete die letzten Gedanken, im Finale doch noch das Zepter zu übernehmen. Wenn er sowieso nicht siegfähig war, konnte er durch seine Aufopferung für das Team doch noch etwas erreichen. Er sicherte sich die Loyalität des Teams, das sich später in der Saison so für ihn einsetzen würde, wie er es jetzt tat und viel wichtiger, er sicherte sich die Loyalität seines Anfahrers.


Bild
Das Team Telekom fuhr weniger an der Spitze des Feldes, dennoch fokussierten sich andere Siegfahrer wie der italienische Meister Mario Cipollini weiterhin am Hinterrad der Telekomsprinter.

Nach der etwas trostlosen Mannschaftssitzung im Teambus am morgen schienen die beiden Sprinter nun besser drauf zu sein. Ete war voll motiviert, die Lokomotive für Giovanni zu spielen und Giovanni war seinerseits voll motiviert, das Rennen zu gewinnen. Daher waren die Telekomprofis im Finale doch nach vorne gekommen. Mit Henn, Bölts und Heppner hatten sie hervorragende Tempobolzer und er, Ulle, galt nicht umsonst als einer der besten Zeitfahrer seiner Rennfahrergeneration. Gemeinsam mit den Helfern von Cipollini und Baldato hielten sie das Tempo so hoch, das potenziellen Etappenjägern keine Möglichkeit zu einem erfolgreichen Angriff kurz vor dem Tagesziel geboten wurde. Nacheinander gingen sie aus der Führung und schickten den nächsten Fahrer in den Wind. Dabei wurden die Ziffern auf den Bannern, die die Entfernung zum Ziel anzeigten, immer kleiner. Fünf Kilometer, dann drei, dann zwei und schließlich der letzte Kilometer. Die meisten Helfer hatten sich inzwischen erschöpft zurückfallen lassen und vor Ulle fuhr nur noch Silvio Martinello von Saeco. Er schaute sich kurz nach hinten um und sah direkt in Etes Gesicht. Es lief also alles nach Plan. Sie konnten an der Spitze auf die ansteigende Zielgerade gehen. Rudy hatte sie am morgen genau über die letzten Meter der Etappe informiert. 800 Meter vor dem Ziel wartete eine letzte, leichte Kurve und danach eine leichte Steigung bis ins Ziel. Ulle nahm die Kurve mit viel Risiko, wobei er Martinello überholen konnte. Dann beschleunigte er und stürzte sich auf die Steigung. Mit voller Kraft versuchte er sein Tempo so weit wie möglich zu halten. Die jubelnden Fans am Straßenrand nahm er kaum noch war, das einzige, was er noch sah, bevor er zur Seite ausscherte, war ein magentafarbenes Trikot, das mit einem Affenzahn an ihm vorbeirauschte.

Ulle hatte ganze Arbeit geleistet und Ete und Giovanni beinahe bis ins Ziel eskortiert. Als Ete merkte, dass Ulle langsamer wurde, versicherte er sich durch einen kurzen Schulterblick, dass Giovanni noch hinter ihm war. Dann schoss er an Ulle vorbei. Mit voller Kraft stemmte er sich dem Wind entgegen. Die kurze Distanz, die er fahren musste, bis Giovanni an ihm vorbeigehen würde, bot ihm die Möglichkeit, anschließend bis ins Ziel durchzuziehen und womöglich noch einen Platz unter den besten zehn zu erreichen. Giovanni versuchte wie erwartet recht schnell ihn zu überholen und kam mit jedem Tritt ein Stück näher an Ete vorbei. Als das Ziel immer näher kam, hatte Ete nur noch einen Tunnelblick. Er quälte sich jeden Meter Richtung Ziel und versuchte sich im Windschatten von Giovanni zu halten. Der hob unmittelbar vor Ete schon etwa zwanzig Meter vor dem Ziel die Arme zum jubeln, dicht gefolgt von Ete. Mit seiner hohen Endgeschwindigkeit fuhr er nach der Ziellinie an Giovanni vorbei und klopfte ihm aufmuntern auf die Schulter. Dabei schaute er kurz zur Seite und versuchte die Fahrer zu erkennen, die sich die nächsten Plätze gesichert hatten, doch er sah niemanden. Nach einigen Augenblicken der Verwirrung wurde er von seinem jubelnden Teamkollegen aufgeklärt. Sein Tempo hatte tatsächlich dazu gereicht, sich vor den restlichen Sprintern zu halten, Telekom konnte einen Doppelsieg feiern.

Bild
Ete Zabel und Giovanni Lombardi dominieren den Sprint und feiern einen Dopelerfolg

Tageswertung

1.Giovanni Lombardi Team Deutsche Telekom 3h45:13
2.Erik Zabel Team Deutsche Telekom s.t.
3.Endrio Leoni Aki s.t.
4.Mario Cipollini Saeco s.t.
5.Fabio Baldato MG Technogym s.t.
6.Dario Frigo Saeco s.t.
7.Claudio Camin Brescialat s.t.
8.Luca Mazzanti Mobilvetta s.t.
9.Mario Traversoni Mercatone Uno s.t.
10.Massimo Apollonio Scrigno s.t.
31. Jan Ullrich Team Deutsche Telekom s.t.


Gesamtwertung

1. Michele Bartoli 20h45:29
2. Andrea Noe Asics 0:45
3. Gianni Faresin Mapei 1:15
4. Marco Bellini Asics 1:23
5. Mariano Piccoli Brescialat 1:30
6. Dario Frigo Saeco 1:34
7. Gentili Cantina Tollo s.t.
8. Andrea Vatteroni Scrigno s.t.
9. Andrea Ferrigato Roslotto s.t.
10. Bo Hamburger TVM s.t.
16. Erik Zabel Team Deutsche Telekom 2:32
23. Jan Ullrich Team Deutsche Telekom 2:38


Sprintwertung

1.Michele Bartoli MG Technogym 24
2.Dario Frigo Saeco 19
3.Giovanni Lombardi Team Deutsche Telekom 18

Bergwertung

1. Michelangelo Cauz 10
2. Jens Heppner Team Deutsche Telekom 5
3. Angel Edo Kelme 5

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6768977Beitrag Valverde3007
23.5.2009 - 23:39

Bild

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6769600Beitrag Valverde3007
26.5.2009 - 18:59

Bild

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6770169Beitrag Valverde3007
29.5.2009 - 15:27

6.Etappe Tirreno-Adriatico – Bereit für San Remo (U/E)

Bild


Ete warf noch einen kurzen Blick auf die Streckenskizze in seinem „Rennbuch“ und prägte sich die Eckpunkte der heutigen Etappe ein. Der Start fand in Sant’Elpidia statt, anschließend würden sie zwanzig Kilometer an der Küste des Mittelmeeres entlangfahren, bevor sie ins Hinterland einbiegen sollten. Der Rest der Etappe glich auf der Streckenskizze einer Säge mit vielen Zacken. Es würde ein ständiges auf und ab werden, dazu kämen andauernd Tempoverschärfungen von verschiedenen Fahrern, deren Ziel es war, sich in der Spitzengruppe zu platzieren und womöglich die Etappe zu gewinnen. Zwei der längeren Hügel waren als Bergwertungen prämiert, eine nach knapp achtzig Kilometern, die nächste bei Kilometer 137, 30 Kilometer vor dem Ziel. Dort müsste Ete vorne im Feld platziert sein, dann hatte er realistische Chancen das Rennen zu gewinnen. Nach dem zweiten Platz am Vortag war sein Selbstvertrauen wieder intakt und er traute sich zu, heute auf dem Siegespodest ganz oben zu stehen.

Ulle hatte die Etappe eigentlich auf die leichte Schulter genommen und als Flachetappe eingestuft, doch die ersten Kilometer belehrten ihn eines besseren. Der Streckenverlauf erinnerte ihn an das französische Zentralmassiv, wo ebenfalls ein Anstieg auf den nächsten folgte. Verschlimmert wurde das Rennen dadurch, dass es gleich zu Beginn eine zwanzig Fahrer umfassende Ausreißergruppe mit gefährlichen Fahrern wie Mariano Piccoli und Dario Frigo gab, die Bartolis Team gnadenlos verfolgte. Als die Gruppe nach einer Rennstunde endlich gestellt war, hatten die Fahrer schon 44 Kilometer in den Beinen, die sich auf dem schwierigen Kurs noch länger anfühlten. Erst als sechs ungefährliche Fahrer, unter ihnen auch Jens Heppner, sich absetzten, kehrte etwas Ruhe ein. Bartolis Leute ließen sich zurückfallen und übergaben das Zepter an die Sprinterteams.

Die Situation mit Jens Heppner in der Ausreißergruppe war für das Team Telekom ideal. Etes Helfer mussten keinen Meter Führungsarbeit machen und konnten ihre Kräfte für den Endspurt sparen. Außerdem zog Jens durch den Gewinn der ersten Bergwertung mit dem bisherigen Führenden Cauz gleich. Gemeinsam mit den anderen fünf Ausreißern erarbeitete er sich einen Vorsprung von etwa drei Minuten, doch spätestens als fünfzig Kilometer vor dem Ziel die Nachricht kam, dass Siboni in der Spitzengruppe angegriffen hatte und nur Jens mithalten konnte, war Ete klar, dass es zu einem Massensprint kommen würde. Von einem Duo würden sie sich den Sieg nicht nehmen lassen. Das einzige Risiko bestand darin, dass die Gesamtwertungsaspiranten an der letzten Bergwertung noch etwas versuchen könnten. Dann läge es an Totschnig und Ulle, das Feld zusammenzuhalten.


Bild
Der Kampf des Tages – sechs Spitzenreiter gegen das große Feld


Ulle schaute auf die Straßenschilder am Rand. 35 Kilometer bis zum Ziel. Das bedeutete, dass in wenigen Metern der Aufstieg zur zweiten und letzten Bergwertung beginnen würde. Er gab Totsche ein Zeichen und winkte ihn an die Spitze. Er selber setzte sich an das Hinterrad der österreichischen Bergziege. Die ersten Minuten passierte wenig, außer dass Rudy sie begeistert über Funk anschrie, dass eine Gruppe mit den Sprintern Leoni und Baldato abgehängt worden sei. Auch wenn es kurz in seinen Ohren klingelte und er wütend den Funk aus seinem Ohr riss, beflügelte ihn die Nachricht. Jeder Sprinter, der eliminiert wurde, erhöhte die Siegchance für Ete. Einen Kilometer vor der Bergwertung war es dann aber vorbei mit der ereignislosen Führungsarbeit. Totsche drosselte ein wenig das Tempo, da er langsam müde wurde, was die Klassikerspezialisten zum Anlass nahmen anzugreifen. Sofort trat einer an, dann folgten drei weitere Fahrer, darunter Michele Bartoli. Ulle schaltete einen Gang höher und steigerte seine Trittfrequenz. Innerhalb weniger Meter hatte er das Hinterrad von Bartoli erreicht. Dafür hatte er den Rest der Gruppe verloren. Hinter ihm war eine Lücke entstanden. Er war kurz unentschlossen, ob er sich zurückfallen lassen sollte, entschied sich dann aber weiterzufahren. Ete hatte noch genügend andere Helfer.

Das Rennen stand auf Messers Schneide. Fünf Fahrer fuhren etwa dreißig Sekunden vor einer großen, fünfzig Mann starken Gruppe mit Ete, die von seinen Teamkollegen angeführt wurde. Noch war also alles im Plan, aber eine Gruppe mit Ausnahmefahrern wie Bartoli und Ulle durfte man nie aus den Augen lassen. Außerdem wurde die gruppe nun noch von den früheren Ausreißern Siboni und Heppner ergänzt, womit nun sieben Fahrer an der Spitze fuhren. Deshalb registrierte Ete beruhigt, dass der Abstand schnell wieder zusammenschmolz. Da Bartoli als Gesamtführender und Ulle und Heppner als Etes Helfer keinerlei Führungsarbeit übernahmen, war sich die Gruppe schnell uneinig und wurde binnen weniger Kilometer wieder eingeholt. Während Heppner sich sofort wieder an die Spitze des Feldes setzte, meldete Rudy 12 Kilometer vor dem Ziel über Funk: Gruppo compatto.

Nachdem sein kleiner Ausflug nach vorne schnell beendet worden war, ruhte Ulle sich erst einmal ein paar Kilometer aus, um sich drei Kilometer vor dem Ziel wieder in den Zug einzugliedern und eine letzte lange Führung zu fahren. Dabei hielt er sich am linken Straßenrand, um nicht von beiden Seiten von Angriffen überrascht werden zu können. Zwar versuchte der ukrainische Zeitfahrspezialist Sergei Gonchar es mit einem Angriff, Ulle ließ sich aber nicht davon beeindrucken, beschleunigte, holte den Gonchar ein und ging in Sichtweite des Banners für die letzten zwei Kilometer aus der Führung.

Hochkonzentriert hielt Ete das Hinterrad seines Anfahrers Giovanni. Dadurch, dass es kein reines Sprintfinale war, sondern auch die Klassikerfahrer versuchten, ein gutes Tagesresultat zu ergattern, artete der Sprint etwas aus. Dauernd versuchten einige Kamikazefahrer, sich im vorderen Teil des Feldes einzureihen, wo irgendwann nicht mehr genug Platz war. Den besten Platz in diesem Durcheinander hatte Ete, der direkt hinter der Spitze fuhr. Fünfhundert Meter vor der Ziellinie ließ Lafis sich zurückfallen und Lombardi zog den Sprint an. Ete wartete ab, bis Lombardi 250 Meter vor dem Ziel etwas an Tempo verlor und de Geschwindigkeit nicht mehr halten konnte und ging dann selber in die Führung. Er fuhr einen kleinen Schlenker zur gegenüberliegenden Straßenseite, um seinen Gegnern die Möglichkeit zu nehmen, in seinem Windschatten mitzufahren, dann zog er durch. Aus dem Augenwinkel sah er das italienische Meistertrikot an sich heranrücken, weshalb er bis zur Linie durchzog und sich mit einem Tigersprung ins Ziel rettete. Obwohl er es nicht genau gesehen hatte, wusste er, dass er gewonnen hatte, was ihm der Tageszweite Cipollini mit einem beglückwünschenden Schulterklopfen sofort bestätigte. Jetzt war der Knoten endgültig geplatzt, er war bereit für die Via Roma.

Bild
Cipollini lauerte an Etes Hinterrad, schaffte es aber nicht, ihn im Schlusssprint noch zu überholen.

Tageswertung

1.Erik Zabel Team Deutsche Telekom 4h04:17
2.Mario Cipollini Saeco s.t.
3.Bart Voskamp TVM s.t.
4.Giovanni Lombardi Team Deutsche Telekom s.t.
5.Massimo Apollonio Scrigno s.t.
6.Gabriele Balducci Mobilvetta s.t.
7.Denis Zanette Aki s.t.
8.Mauro Santamorita MG Technogym s.t.
9.Luca Mazzanti Mobilvetta s.t.
10.Nicola Minali Batik s.t.
56.Jan Ullrich Team Deutsche Telekom s.t.


Gesamtwertung

1. Michele Bartoli 24h49:46
2. Andrea Noe Asics 0:45
3. Gianni Faresin Mapei 1:15
4. Marco Bellini Asics 1:23
5. Mariano Piccoli Brescialat 1:30
6. Dario Frigo Saeco 1:34
7. Gentili Cantina Tollo s.t.
8. Andrea Vatteroni Scrigno s.t.
9. Andrea Ferrigato Roslotto s.t.
10. Bo Hamburger TVM s.t.
16. Erik Zabel Team Deutsche Telekom 2:22
25. Jan Ullrich Team Deutsche Telekom 2:38


Sprintwertung

1.Erik Zabel Team Deutsche Telekom 26
2.Giovanni Lombardi Team Deutsche Telekom 25
3.Michele Bartoli MG Technogym 24

Bergwertung

1. Jens Heppner Team Deutsche Telekom 13
2. Michelangelo Cauz 10
3. Angel Edo Kelme 5

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6770444Beitrag Valverde3007
31.5.2009 - 12:28

7. Etappe Tirreno-Adriatico - Seriensieger(E)

Zufrieden schaute Ete auf das blaue Wasser der Adria. Er saß in einem gemütlichen Liegestuhl auf dem Balkon seines Hotelzimmers und genoss einige Momente der Ruhe. Dabei reflektierte er innerlich den Verlauf der vergangenen Woche. Die Rundfahrt zwischen den Meeren hatte so unglaublich ernüchternd begonnen, dass Ete schon seinen ersten Saisonhöhepunkt in Gefahr sah. Doch anschließend hatten er und sein Team es an drei aufeinander folgenden Tagen geschafft, die Klassikerfahrer in Schach zu halten und einen Massensprint herbeizuführen. Wenn es dann dazu kam, war Ete momentan ganz klar der stärkste Fahrer. Wenn Giovanni ihm den Sprint so perfekt wie in den letzten Tagen anzog, war er fast nicht zu schlagen. Hier in Italien hatte er die gesamte italienische Sprinterelite deklassiert. Ob Cipollini, Minali oder Traversoni, keiner hatte im Sprint gegen ihn Land gesehen. Am meisten Respekt hatte er mit Blick auf die Primavera am Samstag vor seinem Landsmann Marcel Wüst, der in Frankreich dominierte und seinen stärksten Gegnern Moncassin und Kirsipuu, die er im Vergleich zu sich nicht perfekt einschätzen konnte.

Dafür hatte er heute dafür gesorgt, dass alle, die sich in Frankreich auf Mailand-San Remo vorbereitet hatten, gehörig Respekt vor ihm bekamen. Nach seinem ersten Tagessieg auf der vorletzten Etappe war er heute im „Maglia ciclamino“, dem Trikot des Punktbesten gefahren. Sein Team hatte eine kleine Ausreißergruppe mit Fernando Escartin fahren gelassen und dann das Tempo im Feld kontrolliert. Nach den ersten hügeligen Kilometern hatte Michele Bartoli schließlich eine große Pinkelpause eingeläutet. Ete hatte ebenfalls die Gelegenheit genutzt und hatte etwas Wasser gelassen. Als er wieder ins Feld zurückgekehrt war, kam ihm schnell ein Gerücht zu Ohren, das ihn fast dazu brachte in lautes Lachen auszubrechen. Ivan Quaranta, normalerweise ein ständiger Begleiter des Besenwagens, hatte beide Bergwertungen gewonnen und sich dadurch vor Jens Heppner auf den ersten Platz in der Bergwertung geschoben. Die Vorstellung, dass Quaranta diese Wertung bei einem achttägigen Etappenrennen gewinnen würde, löste im Feld schnell Heiterkeit aus und sorgte für eine gute Stimmung.

Nichtsdestotrotz fing bald darauf die Jagd auf den Bergkönig Quaranta und seine Begleiter an. Der maximale Vorsprung von zehn Minuten schmolz schnell auf fünf Minuten 50 Kilometer vor dem Ziel, dann auf zwei Minuten 30 Kilometer vor dem Ziel und fünf Kilometer vor dem Ziel wurde die Ausreißergruppe schließlich auch gestellt. Es war ein perfektes Timing um im Anschluss den an den Vortagen erfolgreichen Zug aufzubauen. Nacheinander leistete jedes Teammitglied seine Arbeit, bis schließlich Giovanni übernahm. Alles andere war Formsache. Ete konnte sich seines Sieges so sicher sein, dass er bereits einige Meter vor dem Ziel die Arme zum Jubeln in die Höhe hob. Scheinbar mühelos hatte er seine Kontrahenten im Griff gehabt und souverän abgehängt. Giovanni konnte wiederum einen ausgezeichneten sechsten Platz einfahren, da er noch so viel Geschwindigkeit hatte, um sich der italienischen Sprintelite zu erwehren. Nach dem Zieleinlauf war er auch der erste Gratulant für Ete, der sich mit ihm über den dritten Etappensieg in Serie freute.

Die anschließende Siegerehrung konnte er in vollen Zügen genießen. Nachdem er für seinen Tagessieg geehrt wurde, bekam er auch das „Ciclamino“. Grinsend winkte er der begeisterten Menge zu, die ihn wie einen ihrer Landsleute beklatschte. Als er die Bühne verließ, wurde er von seinen restlichen Teamkollegen beglückwünscht. Er sah sogar ein deutsches Fernsehteam, das ihm gratulierte und ein kleines Interview aufzeichnen wollte. Er beantwortete schnell deren Fragen, versicherte, dass er das grüne Trikot bei der Tour holen würde. Nachdem er das Gespräch beendet hatte, sah er, dass Michele Bartoli, der als Gesamtsieger ebenfalls an der Siegerehrung teilgenommen hatte, auf ihn zukam. Etes italienisch war zwar nicht perfekt, aber er verstand, was Bartoli sagen wollte: „Das wird ein schöner Kampf am Samstag, ihr Sprinter gegen uns Klassiker. Viel Glück!“


Tageswertung

1.Erik Zabel Team Deutsche Telekom 4h04:17
2.Nicola Minali Batik s.t.
3.Mario Traversoni Mercatone Uno s.t.
4.Claudio Camin Brescialat s.t.
5.Mario Cipollini Saeco s.t.
6.Giovanni Lombardi Team Deutsche Telekom s.t.
7.Luca Mazzanti Mobilvetta s.t.
8.Marco Zanotti Aki s.t.
9.Andre Korff Festina s.t.
10.Fabio Baldato MG Technogym s.t.
34.Jan Ullrich Team Deutsche Telekom s.t.


Gesamtwertung

1. Michele Bartoli 28h33:49
2. Andrea Noe Asics 0:45
3. Gianni Faresin Mapei 1:15
4. Marco Bellini Asics 1:23
5. Mariano Piccoli Brescialat 1:30
6. Dario Frigo Saeco 1:34
7. Gentili Cantina Tollo s.t.
8. Andrea Vatteroni Scrigno s.t.
9. Andrea Ferrigato Roslotto s.t.
10. Bo Hamburger TVM s.t.
16. Erik Zabel Team Deutsche Telekom 2:12
25. Jan Ullrich Team Deutsche Telekom 2:38


Sprintwertung

1.Erik Zabel Team Deutsche Telekom 38
2.Giovanni Lombardi Team Deutsche Telekom 30
3.Michele Bartoli MG Technogym 24

Bergwertung

1. Ivan Quaranta Polti 14
2. Jens Heppner Team Deutsche Telekom 13
3. Michelangelo Cauz 10

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6770683Beitrag Valverde3007
1.6.2009 - 15:41

Mailand-San Remo - Die Classicissima (Teil 1)(E)

„Denkt dran. Die ersten 250 Kilometer sind taktisch gesehen unwichtig. Es geht nur darum Kräfte zu sparen. Ihr werdet jedes bisschen Energie auf den letzten Kilometern brauchen. Das Ding ist zwar 300 Kilometer lang, aber entschieden wird es auf wenigen hundert Metern. Dann müsst ihr voll auf der Höhe sein.“
Rudy machte eine kurze Pause und ließ seine Worte auf die acht Fahrer einwirken, die im Halbkreis im Teambus saßen. Ete schaute auf seine Streckenskizze und achtete genau auf die letzten Kilometer, auf die Rudy nun zu sprechen kommen würde.
„Der Turchino bei ungefähr der Hälfte ist nicht besonders schwer oder steil, aber dafür mehr als zwanzig Kilometer lang. Brian, Steffen, Rolf, ihr müsst da Tempo machen. Ete, du versteckst dich im Feld. Dann fahren wir runter zum Mittelmeer. Da unten kommt der Wind aus dem Osten, das heißt wir haben Rückenwind. Das macht das Rennen noch schneller. 60-40 Kilometer vor dem Ziel kommen die ersten kleinen Hügel. Die sehen zwar lächerlich aus, gehen aber ganz schön in die Beine, besonders wenn Bartolis oder Jajas Leute da drüber ziehen. Vom Gipfel sind es noch zwölf Kilometer an der Küste entlang, dann biegt ihr ins Landesinnere ab.“
Rolf räusperte sich und unterbrach den sportlichen Leiter.
„Wir schicken niemanden in eine Ausreißergruppe?“
„Nein Rolf, wir werden alle Kräfte brauchen. Spart sie am Anfang, wenn andere sich austoben wollen. Die wichtigen Angriffe kommen sowieso frühestens an der Cipressa.“
Ete betrachtete die angegebenen Parameter für den folgenden Hügel, die Cipressa. 5,8 Kilometer mit einer Steigung von 4,1%, an denen das Feld auseinander fliegen würde.
„Wir fahren mit vollem Tempo in die Cipressa rein. Ich will unbedingt, dass Ete in vorderer Position ist.“ Er wandte sich direkt an Ete. „Wenn die Italiener mit ihren Angriffen anfangen, wirst du eine Menge Boden verlieren. Nach der Cipressa ist wahrscheinlich eine kleine Gruppe vorne, die auf dem Flachstück wieder eingeholt wird, bis wir zum Poggio kommen. Der ist kürzer, aber steiler als die Cipressa. Das tückische ist, dass es vom Gipfel bis ins Ziel keine sechs Kilometer sind. Drei Kilometer Abfahrt mit einigen Haarnadeln, dann drei flache Kilometer. Wenn Ete dann noch vorne ist, gewinnt er das Ding. Es ist eure Aufgabe, ihn bis dorthin zu begleiten.“

Im Startbereich herrschte eine angespannte Stimmung. 200 Fahrer warteten auf den Startschuss, der das Rennen beginnen würde. Punkt 9:20 wurde das Peloton auf die Strecke geschickt, um sieben Stunden später dreihundert Kilometer entfernt in San Remo anzukommen. Obwohl der Himmel wolkenverhangen war, waren die Temperaturen angenehm, in Mailand waren es am morgen 17 Grad, in San Remo sollte es sogar bis zu 23 Grad warm werden. Die kurze Neutralisationsphase nutzte Ete, um sich seine wichtigsten Gegner kurz anzuschauen. Von den Sprintern musste er wohl am meisten Moncassin, Wüst, Cipollini und Abdujaparov beachten, aber nach der Erfahrung der vergangenen Jahre war ein reiner Massensprint so gut wie unmöglich. Das letzte mal, dass ein reiner Sprinter aus einer größeren Gruppe gewonnen hatte, war 1980 gewesen. Seitdem war das Feld jedes Jahr an Cipressa und Poggio zerbrochen, worauf ein Solist oder eine kleine Gruppe um den Sieg gefahren waren. Die Sieger der letzten vier Jahre, Fondriest, Furlan, Jalabert und Colombo waren auch heute wieder am Start und in der Lage, einen ähnlichen Rennverlauf herbeizuführen. Besonders auf Bartoli mussten die Sprinter im Finale achten, da er augenscheinlich die beste Form der Klassikerjäger hatte, was er bei Tirreno-Adriatico bewiesen hatte. Wie er es Ete damals versprochen hatte, würde er alles dafür tun, einen Massensprint zu verteidigen.

Frustriert schüttelte Ete den Kopf. Ein Bauer aus der Region hatte sich einen Spaß erlaubt und ein Schild am Straßenrand angebracht. „200 km all’arrivo“ Normalerweise wäre das die Distanz einer längeren Etappe einer Rundfahrt, heute hatten sie bereits fast hundert Kilometer zurückgelegt. Rolf fuhr gerade von hinten nach vorne und versorgte Ete mit einer Trinkflasche. Außerdem übermittelte er ihm Renninformationen, die er gerade von Rudy bekommen hatte. Das Ausreißerduo Rossato/Barthe hatte schon 13 Minuten herausgefahren, weshalb Telekom nun in die Verfolgungsarbeit einsteigen würde. Das bedeutete, dass die Geschwindigkeit nun langsam aber stetig erhöht werden würde. Ete verständigte sich kurz mit dem italienischen Topsprinter Mario Cipollini, dessen Teamkollegen ebenfalls Tempo machten. Er versuchte möglichst weit vorne in den Passo del Turchino hereinzufahren und mit wenig Kraftaufwand seine Position zu halten, doch die anderen Teams machten ihm das nicht allzu leicht. Nachdem Bartolis Helfer am Fuß des Passes das Tempo schon einmal erhöht hatten, griffen Cipollinis Kollegen an. Als Cipollini ein paar Positionen im Feld verlor, begriff Ete den Sinn der Aktion. Wahrscheinlich war Cipo nicht so gut drauf und das Team fuhr für einen anderen Kapitän. Nicht anders konnte er sich erklären, dass Gotti und Frigo mit Volldampf an der Spitze fuhren, sodass der Abstand bis zum Gipfel auf weniger als fünf Minuten schrumpfte. In der folgenden Abfahrt konnte Ete kurz verschnaufen, aber er wusste, dass die Ruhe nicht lange anhalten würde.

Sie fuhren nun schon seit beinahe achtzig Kilometern auf der Küstenstraße gen Westen wobei das Tempo selten unter 45 Kilometer pro Stunde gefallen war. Der starke Rückenwind sorgte dafür, dass das Feld geradezu über die Straßen flog und dem Ziel in Siebenmeilenstiefeln näher kam. Als das Feld bis auf eine Minute an die Ausreißer herangekommen war, hatte es aus dem Feld einen erfolgreichen Konterangriff von Ekimov und Leysen gegeben, die schnell zu dem bisherigen Duo an der Spitze aufschließen konnten. Das neu entstandene Quartett wehrte sich nun heldenhaft gegen die jagende Meute und doch war der Zusammenschluss nur eine Frage der Zeit. An den nun folgenden drei „Capi“ erwartete Ete weitere Tempoverschärfungen von Saeco und MG. Nach dem ersten Capo stellte das Feld die Ausreißer, am zweiten fuhr ein neues, ungleich besser besetztes Quartett davon. Dabei waren Missaglia, Sciandri, Gaumont und Gasperoni. Am Capo Berta hatten sich die drei einen Vorsprung von einer Minute erarbeitet, doch ihr Unternehmen war zum Scheitern verurteilt. Von nun an waren es noch 39,5 Kilometer bis ins Ziel und 12 Kilometer bis zum Fuße der Cipressa. Etes Kameraden setzten sich nun an die Spitze des Feldes, wobei sich Ete am Hinterrad von Giovanni orientierte. Meter um Meter kamen sie der ersten Schlüsselstelle der Classicissima näher. Wie Rudy es gesagt hatte, das Rennen war 300 Kilometer lang, aber entscheiden würde es sich an wenigen Stellen, die erste davon war der Aufstieg zur Cipressa.

Bei der Abzweigung von der Küstenstraße, an der ein blaues Straßenschild die Entfernung zum Gipfel der Cipressa, 5,7 Kilometer, anzeigte, erreichte der Telekomzug die Ausreißer. Ete warf einen kurzen Blick auf das blaue Meer, das er nun die nächsten zwnazig Minuten nicht mehr zu Gesicht bekommen würde, bis das Feld seinen Ausflug ins Inland über die Cipressa beendet hatte. Noch hatte Ete fünf Männer an seiner Seite, die ihn über die schwierigen Hügel bringen konnten. Jeder von ihnen war wichtig, wenn er auch nur noch eine Trinkflasche weitergeben konnte. Seit nunmehr sechs Stunden saß er im Sattel seiner Rennmaschine und die Distanz zehrte immer weiter an seinen Energiereserven. Er fühlte sich zwar relativ gut für das fortgeschrittene Stadium das Rennens und war, wenn er seine Verfassung mit der des letzten Jahres verglich, relativ zuversichtlich, dennoch hatte er Angst vor dem folgenden Hügel. In wenigen Sekunden würden die ersten Attacken beginnen. Dann zählte jeder Funken Energie, den er mehr gespart hatte als alle anderen. Ete hoffte, dass der Zeitpunkt des ersten Angriffes erst spät erfolgen würde, um wenigstens einen kleinen Teil des Berges in einem moderaten Tempo zu bewältigen, doch er wurde enttäuscht. In dem Moment, als er merkte, dass es steiler wurde, sah er auch schon den ersten Fahrer, der versuchte anzugreifen. Jetzt sollte sich zeigen, wie weit die Taktik des Teams Telekom erfüllen würde. Das Rennen war eröffnet.

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6770784Beitrag Valverde3007
2.6.2009 - 14:12

Mailand-San Remo - Die Classicissima (Teil 2)(E)

Der erste Fahrer, der an Ete vorbeiflitzte, trug das gelbe Trikot der Mannschaft von Mercatone Uno. Der Statur nach zu urteilen war es Sergio Barbero. Sofort setzten Lafis, Heppner und Hundertmarck nach und erhöhten das Tempo drastisch, so dass Barbero nach wenigen Metern wieder eingeholt war. Darauf folgte eine kurze Ruhephase von wenigen Sekunden und dann ging es weiter. Als nächstes probierten es Dario Frigo und der in die Jahre gekommene Maurizio Fondriest, dessen Fähigkeiten als „puncheur“ zum Glück für Ete mit dem Alter schwächer waren als in seinen besten Jahren, so dass er die Gruppe nicht mit einem mal total sprengte. Für Hundertmarck und Heppner war es trotzdem zu viel. Nur Lafis blieb Ete als Helfer. Dafür schalteten sich nun andere Fahrer in die Führungsarbeit ein. Der Vorjahressieger Gabriele Colombo, der ebenfalls mit einem Angriff an der Cipressa das Rennen entschieden hatte, setzte sich an die Spitze der Gruppe und jagte seinen beiden Landsmännern hinterher. Langsam aber sicher zeigte das enorm hohe Tempo bei Ete seine Wirkung und er ließ sich ein paar Positionen zurückfallen, um Kräfte zu sparen, die er am Poggio einsetzen könnte. Trotzdem blieb es eine einzige Tortur. Der dauerhafte Wechsel von kurzen Pausen und folgenden knackigen Antritten ließ das Laktat in seine Beine schießen. Als Fondriest und Frigo eingeholt wurden wusste Ete, dass er damit keine Drosselung des Tempos erwarten durfte, sondern eine klare Erhöhung durch weitere Antritte, die augenblicklich erfolgten. Nun war es Laurent Jalabert, der an der Spitze der Gruppe das Tempo erhöhte, was dazu führte, dass in der Gruppe mehrere kleine Löcher rissen, eins davon direkt vor Ete, der das Hinterrad des vor ihm fahrenden Francesco Casagrande nicht folgen konnten. Verzweifelt musste er mit ansehen, wie die Lücke immer größer wurde, erst zwei Meter, dann fünf, bis von hinten sein Retter in der Not vorbeischoss. Lafis nahm Ete ans Hinterrad und nutzte seine letzte Kraft um seinen Kapitän im Rennen zu halten. Die Klassikerfahrer, die bemerkt hatten, dass er den Anschluss verloren hatte, nahmen das zum Anlass, eine Attacken zu setzen. Michele Bartoli, der Topfavorit ging nun persönlich in die Offensive und konnte sich mit Davide Rebellin und Rolf Sörensen leicht absetzen. Sie holten Jalabert schnell ein, der im Anschluss nicht in der Lage war, das Tempo der drei zu halten und in die zweite, ungefähr 15 Fahrer umfassende, Gruppe zurückfiel. Ete versuchte, das Renngeschehen an der Spitze noch halbwegs im Auge zu behalten, doch im Moment war seine größte Sorge, am Hinterrad von Lafis zu bleiben. Sie befanden sich nun auf den letzten Metern der Cipressa, die erste Schwierigkeit war also bald geschafft. Die Schadensbegrenzung hatte bis jetzt gut funktioniert. Als Lafis auf der Kuppe der Cipressa völlig entkräftet aus der Führung ging, gab Rudy einen Abstand von 15 Sekunden zu der nächsten Gruppe an, ein Abstand, den man in der Abfahrt locker schließen konnte.

Die Abfahrt hatte ihm wie erhofft die Möglichkeit geboten, gemeinsam mit dem Spanier Garcia Acosta wieder zu der Gruppe vor ihm aufzuschließen. Als er deren Ende erreichte, musste er allerdings feststellen, dass das Trio um Bartoli sich um etwa dreißig Sekunden abgesetzt hatte, eine Distanz, die zwar erreichbar, aber äußerst kritisch war. Nun mussten die übrigen Favoriten gut zusammen arbeiten, um die Führenden noch einholen zu können. Ete fuhr sogar selbst in der Führung mit und durch die Harmonie in der Verfolgergruppe gelang es, den Abstand bis zur 15-Kilometermarke, also der Hälfte zwischen der Cipressa und dem Poggio, auf zwölf Sekunden einzugrenzen. Sie fuhren nun wieder durch den Rückenwind bedingt mit einem Affenzahn auf der Küstenstraße parallel zum Meer, was einige Fahrer dennoch nicht davon abhielt, in die Offensive zu gehen. Garcia Acosta, der wenige Minuten zuvor noch mit Ete um den Anschluss an die Spitze des Rennens gekämpft hatte, versuchte sein Glück nun mit einer Attacke, die sofort von Franco Ballerini gekontert wurde. Das Feld, das sich nun wieder auf etwa dreißig Fahrer aufgefüllt hatte, setzte sofort nach und schaffte es, den Abstand nach vorne schnell zu verringern. Bei den Fahrern, die von hinten aufgeschlossen hatten, war auch Hundertmarck gewesen, der eine letzte lange Führung fuhr im das Tempo hochzuhalten, Ete eine Flasche reichte und sich wieder nach hinten verabschiedete. Als das Feld wieder von der Küstenstraße abbog, hatte das Feld also zwar beinahe den Anschluss hergestellt, dafür war Ete nun auf sich alleine gestellt, ohne die Hoffnung darauf, vor dem Zieleinlauf noch einen Teamkollegen an seiner Seite zu sehen. Nun ging es Mann gegen Mann. Er nahm mit viel Schwung die Rechtskurve und arbeitete sich noch vor Beginn der Steigung ein paar Positionen nach vorne. Als er an der dritten Position aus der Kurve kam, sah er schon die fünf Führenden vor sich, die nur noch wenige Sekunden Vorsprung hatten. Aus der Ferne konnte er erkennen, wie Michele Bartoli zu einem weiteren Angriff ansetzte, dann konzentrierte er sich wieder voll auf seine Gruppe, in der das Renngeschehen nun seinen Höhepunkt erreichte.

3,7 Kilometer, 3,7 Prozent Steigung, 136 Höhenmeter. Ete ging in Gedanken noch einmal die Eckdaten des Anstieges zum Poggio di San Remo durch. Als Schlüsselstellen hatte er die beiden Haarnadelkurven zu Beginn ausgemacht, nach denen man neu antreten und in den roten bereich gehen musste. Außerdem boten sie Sichtschutz für Ausreißer, der einen Vorteil bieten konnte. Der zweite wichtige Punkt war der steilste Abschnitt kurz vor dem Kulminationspunkt. Die maximale Steigung von acht Prozent würden gewiss für letzte Angriffe genutzt werden. Wie erwartet, begannen die Attacken unmittelbar vor der ersten Haarnadelkurve. Mit Giorgio Furlan griff der Sieger des Rennens von 1994 mit einem unwiderstehlichen Antritt an und nahm die Kurve mit höchstem Risiko. Ete beschleunigte, doch als er aus der Kurve herauskam, war schon ein Loch entstanden, das nun andere Fahrer versuchten, zu schließen. Pascal Richard und Rodolfo Massi schossen mit Francesco Casagrande am Hinterrad an Ete vorbei und machten sich auf die Verfolgung von Furlan und der Spitzengruppe. Ete musste sich wieder ein Stück zurückfallen lassen und schnappte sich das Hinterrad von Andrei Tchmil. Kurz darauf kamen von vorne Garcia Acosta und Ballerini zurück, die in der Ebene zwar attackieren konnten, am Berg aber keine Chance hatten. Ete wagte einen kurzen Blick nach hinten und stellte fest, dass er beinahe am Ende der Gruppe fuhr. Er überschlug kurz das Renngeschehen. Sieben Fahrer mussten sich noch an der Spitze befinden, die Reste der alten Spitzengruppe, Bartoli, Rebellin und Sörensen, sowie die vier Fahrer die am Poggio attackiert hatten. Danach kam eine Gruppe von zehn Fahrern, die die dritte Gruppe mit Ete und weiteren zwanzig Fahrern einige Meter distanziert hatte. An Etes Hinterrad klebte noch der Altmeister Abdoujaparov, weshalb Tchmil mit vollem Elan Tempo machte und dafür sorgte, dass der Abstand nicht zu groß wurde. Als das Tempo der Gruppe vor ihnen etwas langsamer wurde, schafften sie schließlich auch wieder den Anschluss. Ete griff nach dem Kabel des Funks, das lose an seinem Trikot herabbaumelte, um von Rudy genaue Informationen über die Situation an der Spitze zu bekommen. Sein sportlicher Leiter schrie ihm adrenalingeladen kurz die Abstände zu. Vorne fuhren nur noch Bartoli und Casagrande, die sich alleine abgesetzt hatten, acht Sekunden später die Verfolger, nochmal sechs Sekunden später Etes Gruppe. Sie erreichten nun das Steilstück, an dem Barbero und Colombo versuchten, sich nach vorne abzusetzen. Ete hielt sich so gut er konnte in deren Reichweite und schloss auf dem fast flachen letzten Stück zu ihnen auf. Erleichtert nahm er die Linkskurve am höchsten Punkt des Poggio. Nun waren es noch sechs Kilometer bis ins Ziel, in denen noch vierzehn Sekunden gutzumachen waren. Eine lösbare Aufgabe.

Die technisch äußerst anspruchsvolle Abfahrt nahm all seine Konzentration in Anspruch. Verbissen versuchte er das Hinterrad seines Vordermannes zu halten. Bei der Wahl seiner Linie orientierte er sich an dem jeweils vor ihm fahrenden und auf den Geraden versuchte er einiges an Boden gut zu machen, bis er sich schließlich wieder am Hinterrad von Andrei Tchmil wieder fand. Kurz vor der 4000-Metermarke folgte die letzte Haarnadelkombination, nach der der letzte Kilometer der Abfahrt erreicht sein würde. Vor Ete steuerte Tchmil die Kurve von außen an, bremste ab und rutschte weg. Im denkbar schlechtesten Zeitpunkt stürzte er. Mit einem Reflex wich Ete dem Lottofahrer aus, wobei er allerdings einiges an Geschwindigkeit verlor. Trotzdem konnte er von Glück sprechen, dass er die Schrecksekunde heil überstanden hatte und noch heil im Rennen war. Er stellte schnell wieder den Anschluss zu der Gruppe her, die in der Abfahrt wieder auf 35 Fahrer angewachsen war. Alle Ausreißer außer Casagrande und Bartoli waren eingeholt worden und die beiden hatten ebenfalls nur noch zehn Sekunden Vorsprung vor der jagenden Meute. Ete verschaffte sich kurz einen Überblick darüber, welche Sprinter noch vertreten waren. Die gefährlichsten waren wohl Frederic Moncassin und Djamolin Abdoujaparov, sowie die endschnellen Leute wie Ferrigato, Rebellin und Marcus Zberg. An der Spitze führten nun die Kollegen des Schweizers, um das Spitzenduo noch einzuholen. Meter um Meter verkürzten sie den Abstand. Zwei Kilometer vor dem Ziel waren es noch acht, einen Kilometer vor dem Ziel noch sechs Sekunden. Die Italiener versuchten alles, um an der Spitze zu bleiben, aber das Feld hatte noch gute Chancen, sie einzuholen. Barbero ging nun an die Spitze, während Ete sich an etwa achter Position hinter Abdoujaparov einordnete. Fünfhundert Meter vor dem Ziel kam von hinten ein weiterer Fahrer von Mercatone Uno herangeschossen. Ete ging sofort an sein Hinterrad und ließ sich den Sprint mustergültig anziehen. Während vorne Bartoli den Sprint eröffnete, rückte Ete immer näher. Zweihundert Meter vor dem Ziel ging er selber in die Führung und saugte sich in Bartolis Windschatten an ihn heran, um sofort vorbeizugehen. Fünfzig Meter vor dem Ziel bemerkte er, dass niemand mehr an ihm vorbeikam. Er riss die Arme in die Höhe und genoss das Glücksgefühl, das ihn durchströmte, als er die Ziellinie überquerte. Er hatte es geschafft. Er hatte Mailand-San Remo gewonnen.

Ergebnis:

1.Erik Zabel Team Deutsche Telekom 7h01:28
2.Djamolin Abdujaparov Lotto s.t.
3.Stefano della Santa Mercatone Uno s.t.
4.Frederic Moncassin GAN s.t.
5.Francesco Casagrande Saeco s.t.
6.Maximillian Sciandri FdJeux s.t.
7.Michele Bartoli MG Technogym s.t.
8.Gabriele Colombo Batik s.t.
9.Davide Rebellin FdJeux s.t.
10.Giorgio Furlan Saeco s.t.

Weltcupstand:

1.Erik Zabel Team Deutsche Telekom 100
2.Djamolin Abdujaparov Lotto 70
3.Stefano della Santa Mercatone Uno 50
4.Frederic Moncassin GAN 40
5.Francesco Casagrande Saeco 36
6.Maximillian Sciandri FdJeux 32
7.Michele Bartoli MG Technogym 28
8.Gabriele Colombo Batik 24
9.Davide Rebellin FdJeux 20
10.Giorgio Furlan Saeco 16

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6770875Beitrag Valverde3007
3.6.2009 - 10:26

Criterium International - Das maillot jaune in Reichweite (U)

Geduldig wartete Ulle hinter der Bühne auf seinen Auftritt bei der Siegerehrung. Im Nachhinein konnte er seinen Auftritt beim Criterium International als überaus gelungen ansehen. Er hatte die zweitägige Rundfahrt im Norden Frankreichs eigentlich nur zum Formaufbau und zum Testen seiner Wettkampfhärte benutzen wollen. Dass er sofort erfolgreich sein würde, hatte er sich gewünscht, es hätte ihn aber auch nicht gewundert, wenn er weiter hinten gelandet wäre. So wie es gelaufen war, konnte er zuversichtlich auf die kommenden Wochen schauen. Er genoss die Genugtuung, die er verspürte, als er zur Siegerehrung auf das Podium gerufen wurde. Er winkte den französischen Fans zu, die ihn mit ihrem Applaus bedachten. Er gab den Rennleitern und Ehrengästen die hand und kletterte auf das Podium.

Nach der ereignislosen ersten Etappe, die Jaan Kirsipuu im Massensprint gewann, hatte Ulle auf dem ersten Teilabschnitt der zweiten Etappe, einer 98,5 Kilometer langen bergigen Teiletappe den Grundstein für sein gutes Abschneiden gelegt. Obwohl vom ersten Kilometer an Angriffe gefahren wurden, die alle erfolglos verliefen und doch das Tempo hochtrieben, hatte er gut mithalten können. Er hatte alle Schwierigkeiten des Tages problemlos gemeistert und sich stets vorne im Feld aufgehalten. An der vorletzten Bergwertung, als Giorgio Furlan und Patrick Jonker zum entscheidenden Angriff ansetzten, war er ruhig geblieben und hatte seinem Teamkollegen Bert Dietz freie Fahrt gegeben, damit dieser um den Tagessieg mitkämpfen konnte. Ulle hatte im Rest des Hauptfeldes gewartet und hatte erst am Schlussanstieg das Tempo erhöht. Während Davide Rebellin angriff und das Loch zu den drei Spitzenreitern schloss, führte Ulle die nächste Gruppe mit zwanzig Fahrern den berg hinauf. Letztendlich wurde er zwar von einigen Fahrern übersprintet und landete nur auf Platz 16, das aber zeitgleich mit dem fünften der Etappe, 12 Sekunden hinter Davide Rebellin.

Damit war die Ausgangssituation für das abschließende acht Kilometer lange Zeitfahren ideal gewesen. Allerdings hatte es um die Mittagszeit angefangen zu regnen, weshalb er nicht mit vollem Risiko fuhr. Als er auf die Strecke geschickt wurde, stand die Bestzeit bei 11:24, aufgestellt von Chris Boardman, der bereits bei Paris-Nizza beide Zeitfahren gewonnen hatte. Ulle fuhr zügig, aber vorsichtig durch den Parcours. An der Zwischenzeit bei vier Kilometern hatte er schon sieben Sekunden Rückstand auf Boardman, lag aber vor allen Konkurrenten auf die Gesamtwertung. Im Ziel blieb die Uhr für ihn bei 11:37 stehen, was vorerst den dritten Platz im Tagesklassement bedeutete. Nun musste er nur noch auf die nach ihm gestarteten Fahrer warten und schauen, wie viele seine Zeit schlagen konnten. Er war zwar enttäuscht, als schon unter den nächsten vier Fahrern mit Mondini und Roux zwei Fahrer waren, die schneller gefahren waren als er, dann besserte sich seine Laune aber von Fahrer zu Fahrer. Bis auf die beiden war niemand schneller als Ulle, was bedeutete, dass die beiden auch die einzigen waren, die in der Gesamtwertung vor ihm lagen. Mit seinem Zeitfahren hatte er sich auf einen Podiumsplatz vorgearbeitet und wenn er daran dachte, was er mit vollem Risiko erreicht hätte, konnte er sich über das Abschneiden freuen.

Nun konnte er sich schon an das Gefühl gewöhnen, in Frankreich auf dm Siegertreppchen zu stehen. Nachdem er die Bühne betreten hatte, wurden nun auch Mondini und Roux gerufen, die die anderen beiden Plätze auf dem Treppchen beanspruchten. Ulle gratulierte ihnen und posierte mit ihnen für das Siegerfoto. Äußerlich gab er sich zwar glücklich und gelassen, ein bisschen neidisch war er aber schon auf Laurent Roux, der das heiß begehrte gelbe Leibchen anziehen durfte. Im Juli würde er unter anderen Vorraussetzungen hier stehen, dann wäre er derjenige mit dem gelben Leibchen. Wenn alles so weiter lief wie bisher, hätte er eine gute Chance diesen Traum zu verwirklichen.

Ergebnisse:

1.Etappe:
1.Jaan Kirsipuu Casino 4h03:16
2.Steve de Wolf Lotto s.t.
3.Paolo Fornaciari Saeco s.t.
4.Frank Corvers Team Deutsche Telekom s.t.
5.Jean-Patrick Nazon FdJeux s.t.
51.Jan Ullrich Team Deutsche Telekom s.t.

2a Etappe:

1.Davide Rebellin FdJeux 2h33:16
2.Patrick Jonker Rabobank 0:05
3.Giorgio Furlan Saeco s.t.
4.Bert Dietz Team Deutsche Telekom 0:10
5.Axel Merckx Polti 0:12
16.Jan Ullrich Team Deutsche Telekom s.t.

2b Etappe:

1.Chris Boardman GAN 11:34
2.Laurent Roux TVM 0:03
3.Gianpaolo Mondini Amore&Vita 0:06
4.Erik Breukink Rabobank 0:09
5.Jan Ullrich Team Deutsche Telekom 0:13

Gesamtwertung:

1.Laurent Roux TVM 6h48:18
2.Gianpaolo Mondini Amore&Vita 0:03
3.Jan Ullrich Team Deutsche Telekom 0:10
4.Patrick Jonker Rabobank 0:12
5.Tony Rominger Cofidis 0:17
6.David Millar Cofidis 0:21
7.Davide Rebellin Fdjeux 0:36
8.Stephane Heulot FdJeux s.t.
9.Aitor Garmendia ONCE 0:38
10.Thierry Bourguignon Big Mat 0:39

Sprintwertung:

1.Jaan Kirsipuu Casino 35
2.Laurent Roux TVM 30
3.Davide Rebellin 25

Bergwertung:

1.Ronan Pensec GAN 10
2.Jan Boven Rabobank 8
3.Gilles Maignan Mutuelle 6

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6770999Beitrag Valverde3007
4.6.2009 - 14:39

Monatsbilanz:


Top5:

1.Erik Zabel (TEL): Erik Zabel war der überragende Fahrer im März. Er konnte fünf Rennen gewinnen und erhöhte die Zahl seiner Siege nun schon auf acht. Zuerst überzeugte er bei Tirreno-Adriatico, wo er zwei Etappen und die Sprintwertung gewann und auf einen weiteren Sieg zugunsten seines Anfahrers Lombardi verzichtete. Bei seinem ersten Jahreshöhepunkt, Mailand-San Remo konnte er darauf als erster Sprinter seit 17 Jahren das erste Weltcuprennen der Saison gewinnen. Es folgten noch ein dritter Platz beim Klassiker „Quer durch Flandern“ und zwei Etappensiege bei den Drei Tagen von de Panne, sowie das Sprinttrikot bei der Rundfahrt durch Belgien. Ende März befindet sich Zabel nun an der Spitze der Weltrangliste und des Weltcups.
2.Laurent Brochard (FES): Der Franzose zeigte sich bei seiner Heimatrundfahrt Paris-Nizza in überragender Form. Er gewann beide schweren Etappen und damit auch die Gesamtwertung. Dazu kamen zwei zweite Plätze in den Zeitfahren am ersten und letzten Tag, jeweils knapp hinter dem Zeitfahrspezialisten Chris Boardman.
3.Michele Bartoli (MGT): Was Laurent Brochard in Frankreich schaffte, gelang Bartoli in Italien bei der Rundfahrt Tirreno-Adriatico. Er gewann ebenfalls beide für die Gesamtwertung relevanten Etappen und setzte sich so am Ende deutlich gegen seine Mitstreiter durch. Bei Mailand-San Remo gelang ihm anschließend ein guter siebter Platz, wobei er erst kurz vor dem Ziel vom Sieger Zabel abgefangen wurde.
4.Laurent Roux (TVM): Laurent Roux war der einzige Fahrer, der Brochard auf dem Weg nach Nizza halbwegs die Stirn bieten konnte. Er erreichte zwar mit mehr als drei Minuten Rückstand die Küstenstadt, konnte sich dadurch aber den zweiten Platz sichern. Zum Ende des Monats fuhr er dann seinen ersten Sieg ein. Nachdem er auf der Bergetappe bei den Favoriten geblieben war, konnte er mit dem zweiten Platz im abschließenden Zeitfahren ins gelbe Trikot fahren.
5.Vicente Garcia Acosta (BAN): Garcia Acosta machte im März mit hervorragenden Auftritten bei den Klassikern auf sich aufmerksam. Bei Mailand-San Remo scheiterten seine Bemühungen noch, beim „Brabantse Pijl“ war er der stärkste und gewann den Sprint einer achtköpfigen Gruppe. Zwei Tage später holte er aus ähnlicher Situation einen zweiten Platz bei Paris-Camembert.

Flop3:

1.Mario Cipollini (SAE): Mit großen Erwartungen in den März gegangen, enttäuschte Italiens bester Sprinter auf ganzer Linie. Bei Tirreno-Adriatico kam er nur einmal im Sprint auf das Podest und bei Mailand-San Remo versagte er komplett, fiel schon an der Cipressa zurück und wurde 105.
2.Laurent Jalabert (ONC): Der französische Allrounder wurde im März von einer Erkältung gestoppt und trat daher kaum in Erscheinung. Bei Paris-Nizza konnte er gar nicht an den Start gehen, bei Mailand-San Remo landete er im Hinterfeld.
3.Andrei Tchmil (LOT)/Frederic Moncassin (GAN): Unabhängig von der sportlichen Leistung kostete die beiden ein Sturz bei Mailand-San Remo, beziehungsweise beim „E3 Prijs Harelbeke“ die gesamte Frühjahrssaison. Tchmil und Moncassin fallen wohl beide bis Mitte Mai aus.

Weltrangliste:


Einzel:


1.Erik Zabel TEL 624
2.Michele Bartoli MGT 601
3.Laurent Brochard FES 485
4.Laurent Roux TVM 445
5.Gianni Bugno MAP 419
6.Bart Voskamp TVM 415
7.Frederic Moncassin GAN 329
8.Giorgio Furlan SAE 328
9.Gianni Faresin MAP 324
10.Marcel Wüst FES 290
11.Endrio Leoni AKI 285
12.Niki Aebersold POS 269
13.Peter Meinert Nielsen USP 266
14.Leon van Bon RAB 253
15.Gianpaolo Mondini AMO 250
16.Andrei Tchmil LOT 248
17.Manuel Beltran BAN 245
18.Robbie McEwen RAB 240
19.Wilfried Peeters MAP 225
20.Franco Ballerini MAP 223
21.Andrea Noe ASI 223
22.Magnus Backstedt PAL 219
23.Djamolin Abdoujaparov LOT 218
24.Massimo Donati SAE 214
25.Marco Bellini ASI 207


Teams:


1.Mapei 2305
2.Telekom 1650
3.Festina 1521
4.TVM 1498
5.Saeco 1438
6.Rabobank 1378
7.Lotto 989
8.MG Technogym 988
9.Aki 981
10.US Postal 831

Weltcup:

1.Erik Zabel TEL 100
2.Djamolin Abdujaparov LOT 70
3.Stefano della Santa MER 50
4.Frederic Moncassin GAN 40
5.Francesco Casagrande SAE 36
6.Maximillian Sciandri FDJ 32
7.Michele Bartoli MGT 28
8.Gabriele Colombo BAT 24
9.Davide Rebellin FDJ 20
10.Giorgio Furlan SAE 16


Still to come:

Der April steht unter dem Zeichen der Klassiker. Die ersten beiden Weltcuprennen, die Flandernrundfahrt und Paris-Roubaix werden den Höhepunkt der Kopfsteinpflastersaison bilden. Anschließend folgen die drei Ardennenklassiker, der Fleche Wallone, Lüttich-Bastogne-Lüttich und das Amstel Gold Race, die für eine Vorentscheidung im Weltcup führen können. Neben den Klassikerspezialisten werden nun auch die Rundfahrer endgültig in das Renngeschehen eingreifen. Bei der Trentinorundfahrt und der Tour de Romandie werden die Girofavoriten ihre Form testen, bevor sie im Mai die erste Grand Tour bestreiten.

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6771064Beitrag Valverde3007
5.6.2009 - 14:59

Ronde van Vlaanderen - Acht Fahrer gegen den Rest der Welt (E/K)

Stolz präsentierte er den Zuschauern das weiße Trikot des Weltcupführenden. Eigentlich hatte Ete gar nicht vorgehabt, hier in Brügge an den Start zu gehen, da er sich keine großen Siegchancen ausrechnete, aber die Perspektive eventuell doch ein paar Weltcuppunkte einzufahren und damit das Trikot des Weltcupführenden zu verteidigen, war zu verlockend. Deshalb hatte er sich anders entschieden und war doch nach Belgien gereist. Das total untypische Wetter für diese Region, 23 Grad und Sonnenschein, spielte ihm sicherlich in die Karten und könnte dafür sorgen, dass eine größere Gruppe hinter den rennentscheidenden Fahrern ankommen würde, aus der Ete ein paar Punkte holen könnte. Dafür musste er 256 Kilometer und fünfzehn Anstiege überstehen, wobei er auf die Hilfe von Steffen Wesemann und Brian Holm vertrauen konnte. Als zweiten Kapitän schickte Telekom Rolf Aldag ins Rennen, der später die Attacken der anderen Favoriten mitgehen sollte, um einen Platz unter den besten zehn zu erreichen.

Karsten schaute auf den Tacho des Begleitmotorrades, das gerade eingeblendet wurde, der sich wieder bei 50 km/h eingependelt hatte. In der ersten Rennstunde hatten die Fahrer bereits 48 Kilometer zurückgelegt, was darauf zurückzuführen war, dass keine einzige Gruppe es schaffte sich erfolgreich abzusetzen. Das Team Mapei diktierte ein unglaublich hohes Tempo und übernahm alleine die Arbeit, die Spitzengruppen wieder einzufangen. Wenn sie selber in einer Gruppe vertreten waren, wurden sie selber von den anderen Teams gejagt, die keinen Mapeifahrer in einer Gruppe haben wollten, da jeder ein potenzieller Sieger des Rennens war. Mit Johan Museeuw befand sich der Sieger von 1996 in ihren Reihen, der neben Franco Ballerini der am stärksten einzuschätzende Fahrer des Teams war, wenn er seine Form gefunden haben sollte. Nachdem er Ende Februar bei Het Volk enttäuscht hatte, war er im März stark gefahren, hatte „Quer durch Flandern“ gewonnen und beim E3 Prijs Harelbeke den vierten Platz belegt. Dieses Rennen hatte seinerseits Ballerini gewonnen, während Wilfried Peeters den zweiten Platz belegte. Dazu kamen Andrea Tafi, der schon drei Top10-Plätze bei Klassikern belegen konnte, Bart Leysen, Gianni Faresin, Gabriele Missaglia und der Youngster Franck Vandenbroucke. In Fachkreisen galt dieses Team als unschlagbar, höchstens den belgischen Teams Lotto, TVM mit ihren Kapitänen Jo Planckaert und Peter van Petegem, dem Vorjahressieger Michele Bartoli, sowie den Einzelkämpfern Max Sciandri und Gianluca Bortolami wurden ernsthafte Siegchancen eingerechnet. Bei Rabobank stand hinter Rolf Sörensen ein großes Fragezeichen, da der Däne noch kein zählbares Resultat erbracht hatte. Nur wenn die anderen Teams zusammenarbeiteten und Mapei gemeinsam unter Druck setzten, hatten sie eine reelle Chance, sie zu schlagen. Momentan glaubte Ete nicht daran.

Helling Nummer sechs, der Kluisberg lag nun vor ihnen. Von dessen Spitze waren es noch circa 90 Kilometer ins Ziel, das hieß, dass sie sich nun auf einer Distanz zum Ziel befanden, die einige Fahrer als kurz genug empfunden, um anzugreifen. Es fuhr zwar noch eine fünfköpfige Spitzengruppe bestehend aus de Wolf, Gorini, Scinto, Aus und Medan an der Spitze, doch keiner dieser Namen bürgte für Qualität an den kurzen, steilen Anstiegen Flanderns. An der Spitze befand sich immer noch Mapei, das bis auf eine kurze Unterbrechung nach einer Reifenpanne von Museeuw dauerhaft das Tempo hochhielt. Ete zog einen kurzen Sprint an und versuchte sich noch vor Beginn der Steigung knapp hinter die Spitze der Gruppe zu setzen. Dicht hinter Vandenbroucke und Missaglia fuhr er als dritter in den Anstieg herein. Gleich ab dem ersten Meter spürte er, warum er dieses Rennen nie zu seinen Lieblingsrennen zählen würde. Die Straße stand in der Steilheit keinem Pass der Tour de France etwas nach, dafür wurde viel schneller gefahren. Ohne Rücksicht auf Verluste zog Vandenbroucke wie ein wilder am Horn und ließ das Feld binnen weniger Meter explodieren. An seiner Seite konnte Ete nun Rolf Aldag erkennen, der konzentriert versuchte, das Tempo zu halten. Die einzige positive Eigenschaft des Anstieges war, dass er ebenso schnell zu Ende war, wie er angefangen hatte. Direkt darauf folgte eine steile, kurvige Abfahrt, nach der sich das Feld wieder in der Ebene befand. Da sich am Anstieg und der Abfahrt einige kleine Löcher im Feld gebildet hatten, nutzten einige Fahrer die Situation sofort zum Angriff. Knaven griff an und versuchte sich abzusetzen. Ete versuchte ihm zu folgen und suchte den Windschatten eines weiteren Verfolgers. Nach wenigen Metern schloss er den Abstand zur Spitze. Als er sich umschaute, erkannte er mindestens acht weitere Fahrer, darunter auch Rolf und was besonders wichtig war, mit Vandenbroucke hatte nur ein Mapeiprofi den Sprung in die Gruppe geschafft. Keine allzu schlechte Ausgangssituation.

Karsten versuchte, sich einen Überblick über das Renngeschehen zu verschaffen. Ete Zabel und Rolf Aldag fuhren nun in einer Spitzengruppe mit einigen Favoriten des Rennens, beziehungsweise deren Edelhelfern. Als die Kameraführung langsam durch die Reihe der Fahrer wanderte, sah er den Ex-Mapeifahrer Bortolami, das TVM-Duo van Petegem/Knaven, Wauters von Lotto, Guesdon von FdJeux und Vogels von GAN. Alles in allem war es also eine hochkarätige Gruppe, die eine Chance hatte, der Tempoarbeit von Mapei etwas entgegenzusetzen. Die italienische Mannschaft geriet nun also unter Druck. Sogar Peeters und Tafi schalteten sich bereits in die Führungsarbeit mit ein und sorgte dafür, dass das Feld extrem lang gezogen war. Trotzdem pendelte sich der Abstand auf eine halbe Minute ein und wurde vorerst nicht kleiner. Nach dem Knokteberg hatte sich die Gruppe bereits auf weniger als vierzig Fahrer reduziert und am Kwaremont würde es dies weiter tun. Karsten grinste vor sich hin. Es war ein Klassiker, wie er ihn sehen wollte.

Etes Gruppe hatte gut zusammengearbeitet und den Vorsprung auf das Verfolgerfeld bei dreißig Sekunden halten konnten. Den Knokteberg hatte Ete noch relativ locker passiert, nun wartete der nächste schwere Helling, der berüchtigte Oude Kwaremont. Mit 2200 Metern war er der längste Helling des Tages, wobei 1600 Meter davon über Kopfsteinpflaster führten. Ete versuchte den Anstieg im Sitzen in einem hohen Gang zu fahren, doch es bereitete ihm einige Schwierigkeiten, bergauf über Kopfsteinpflaster zu fahren. Nach etwa der Hälfte des Anstieges war es ihm zu viel. Er verlor den Kontakt zur Gruppe und versuchte einen Rhythmus zu finden, um die letzten Meter alleine zurückzulegen. Doch noch vor der Kuppe wurde er vom Mann im Regenbogentrikot, Johan Museeuw, überholt, der von vier Teamkollegen begleitet wurde und noch weitere sechs Fahrer inklusive Sörensen, Planckaert und zu Etes Freude Steffen Wesemann. Ete versuchte sich an das Ende der Gruppe zu setzen und dort mitzufahren. Auf der Abfahrt füllte sich die Gruppe etwas auf, sodass sie nun 14 Fahrer umfasste, die zwanzig Sekunden hinter den Führenden lag. Nun wurde die Aussicht auf Weltcuppunkte größer, da davon auszugehen war, dass kaum mehr Fahrer von hinten aufschließen würden und die 22 Fahrer in den ersten beiden Gruppen die ersten Plätze unter sich ausmachen würden. Vier Punkte hatte er nach dem momentanen Stand also schon sicher, die Frage war, wie viele es noch werden konnten.

Nach seinen Schwierigkeiten am Kwaremont schaffte Zabel ziemlich schnell wieder den Anschluss. Dafür kamen mit ihm auch die Kapitäne von Mapei wieder nach vorne. Karsten überschlug schnell die Aufgebote der einzelnen Teams. Er zählte noch sage und schreibe sieben Fahrer von Mapei, sonst war Telekom mit drei Fahrern dabei, Rabobank, Lotto, FdJeux und Festina mit jeweils zwei Fahrern. Van Petegem, Gaumont und Vogels waren inzwischen als Einzelkämpfer unterwegs. Im Rennen kehrte nun erstmal etwas Ruhe ein, weder der Paterberg noch der Taieenberg wurden zu einer Attacke genutzt. Mapei diktierte der Gruppe ein hohes Tempo, das alle an ihre Grenzen brachte, aber vorerst noch keine Opfer kostete. Erst am Steeneberg zog das Tempo wieder an und diesmal verloren einige Fahrer den Anschluss.

Bereits an den letzten Hellingen hatte Ete Schwierigkeiten gehabt, dem mörderischen Tempo zu folgen. Von außen sah es für die Fans immer einfach aus, wie die Fahrer über die Straßen flogen, doch auf der Rennmaschine sah man alles aus einem anderen Blickwinkel. Als vorne die Post abging, merkte Ete sofort, dass bei ihm nichts mehr ging. Er scherte aus der Reihe der Fahrer aus und ließ sich zurückfallen. Er stieß zwar noch einen verzweifelten Hilferuf nach Steffen aus, aber dieser schien ihn nicht zu hören. Also verschwendete Ete keine weitere Luft darauf, nach ihm zu rufen, sondern drückte seinen Gang den Hügel hinauf. Er hing sich an das Hinterrad von Vandenbroucke, der nach seiner langen Tempoarbeit nun auch fertig war und nicht mehr folgen konnte. Bis zum Gipfel konnte Ete sich festbeißen, dann atmete er auf, als er registrierte, dass die Straße wieder flacher wurde. Vielleicht war es noch nicht zu spät, um einige Fahrer, die noch zurückfallen würden, einzuholen oder sogar den Anschluss an die erste Gruppe zu finden. Ohne weiter nachzudenken, stürzte Ete sich in die Abfahrt.

Die Führungsgruppe befand sich nun einen Kilometer vor dem Berendries, dem viertletzten Anstieg 30 Kilometer vor dem Ziel. Andrea Tafi lag an der Spitze und zog einen mächtigen Sprint an, dem die anderen Fahrer kaum folgen konnten. Am Fuß des Berendries scherte er aus, worauf Missaglia an ihm vorbeistürmte, Peeters am Hinterrad. Dahinter entstand eine kurze Lücke. Man konnte den übrigen Fahrern nun ansehen, wie sie abwogen, ob sie hinterher gehen sollten. Keiner wollte den taktischen Fehler machen und in der Verfolgung zu viele Kräfte verschwenden, wenn er es nicht unbedingt musste, es wollte aber auch keiner die beiden Mapeifahrer davon fahren lassen. Unschlüssig schauten die Favoriten sich an, bis Vogels die trügerische Ruhe brach und nachsetzte. Sofort sprang Johan Museeuw persönlich an sein Hinterrad, was wiederum den Rest der Verfolger alarmierte. Nun entbrannte ein wahres Feuerwerk an Angriffen. Sörensen konterte den Angriff, dann Ballerini. Dahinter suchten hoch gewettete Spezialisten wie Bortolami und Wauters verzweifelt Anschluss, aber es war ihnen nicht möglich das Loch zu schließen. Als die Verfolger die Kuppe überwanden, hatten sie noch sechs Sekunden Rückstand auf Peeters und Missaglia. Neben Museeuw und Ballerini waren noch drei Fahrer übrig geblieben. Planckaert, Sörensen und Vogels. Sie sahen sich nun der Übermacht von Mapei gegenüber.

Auf dem Flachstück hatte Ete es geschafft, zu Steffen vorzufahren, der nun wertvolle Arbet für ihn verrichtete. In der Ebene war das zwar hilfreich, doch nicht unbedingt notwendig gewesen, am Anstieg war es das dafür umso mehr. Ohne das rettende Hinterrad von Steffen, dachte sich Ete, hätte er sich nicht überwinden können, den Helling zu bezwingen. Vor einigen Minuten hatte er die Hellinge mit den Bergen der Tour verglichen. Nun empfand er sie als schlimmer. Nach der Überquerung des Berendries warteten noch drei weitere Hügel. Tenbosse, die legendäre Muur van Gerardsbergen und der Bosberg. Der Abstand, der sich nun auf etwa zwei Minuten erhöht hatte, ließ auch keine Hoffnungen verbleiben, seine Position noch zu verbessern, wahrscheinlicher war es, dass er noch einiges verlor. Sollte der Rennverlauf es mit ihm gut meinen, wäre aber eventuell ein einziger Punkt ausreichend, um das Trikot zu verteidigen. Dafür lohnte es sich zu kämpfen.

Peeters und Missaglia waren schnell von den drei Einzelkämpfern eingeholt worden und machten im Anschluss Tempo für ihre Kapitäne. Bis zum Beginn von Tenbosse sorgten sie dafür, dass der Abstand zu den nächsten Verfolgern auf eine komfortable Minute anwuchs. An Tenbosse nahmen die Mapeifahrer dann kurz das Tempo raus, Peeters und Missaglia ließen sich zurückfallen und überließen Vogels, Sörensen und Planckaert die ersten Positionen. Die drei zögerten, bis Missaglia schließlich einen weiteren Angriff setzte. Sofort reagierte Rolf Sörensen und ging an das Hinterrad des Italieners. Ballerini folgte ihm, während Planckaert und Vogels sitzen blieben. Schnell wuchs der Abstand zwischen dem Trio vorne und dem Quartett dahinter an, ohne dass eine Reaktion erfolgte. Erst kurz vor der Kuppe war es Planckaert zu viel. Er holte Schwung und nutzte die letzten steilen Meter, um sich abzusetzen. Als er sich oben angekommen umsah, musste er allerdings das frustrierende Bild des gesamten Tages sehen. Mit Museeuw klebte wieder ein Mapeifahrer an seinem Hinterrad und wieder zeigte er keinerlei Interesse daran, ihn in irgendeiner Art und Weise zu unterstützen. Trotzdem musste er durchziehen, wenn er noch Chancen auf den Sieg haben wollte, auch wenn er das Risiko einging, Museeuw zum Sieg zu führen.

Auch wenn Ete um sein eigenes Ergebnis kämpfte, interessierte ihn das Vorgehen an der Spitze des Rennens. Er erkundigte sich bei seinem sportlichen Leiter nach den Führenden und nach Rolfs Position im Renngeschehen. Als die Antwort kam, konnte Ete halbwegs zufrieden sein. Ganz vorne fuhren Sörensen und Ballerini wenige Sekunden vor Planckaert und Museeuw, danach folgten weiter einzelne Fahrer und dann sieben Fahrer um Rolf Aldag, die schon eineinhalb Minuten zurücklagen. Etes Gruppe hatte etwa das doppelte an Rückstand. Ete konnte also nicht mehr weiter nach vorne vorstoßen, sondern höchstens noch den ersten Platz im Sprint seiner Gruppe belegen. Damit wäre er 15. und würde immerhin 11 weitere Weltcuppunkte bekommen. Rolf hatte noch Chancen auf die besten zehn, womit es für das Team auf jeden Fall ein gutes Abschneiden wäre. Es war Ete klar gewesen, dass er keine Wunderdinge erhoffen durfte, momentan schöpften sie ihr Potenzial voll aus.

Am Fuß der Muur lief an der Spitze alles zusammen. Zu Beginn des 475 Meter langen und im Schnitt fast zehn Prozent steilen Aufstiegs hatte Planckaert das Loch zu Sörensen und Ballerini bis auf zwanzig Meter schließen können. Das hatten auch der Italiener und der Däne an der Spitze registriert, weshalb sie es nun mit vollem Tempo versuchten. Zuerst attackierte Sörensen, dann konterte Ballerini den Angriff. Einen Moment sah es so aus, als könnten sie ihren Vorsprung vergrößern, dann wendete sich mit einem mal das Blatt. Museeuw war nun seine passive Rolle satt und zog an Planckaert vorbei. Mit einer den Umständen entsprechend Wahnsinnsgeschwindigkeit jagte er dem Spitzenduo hinterher. Als er die bisherigen Führenden stellte, zögerte er keinen Moment und zog an ihnen vorbei. Ballerini versuchte gar nicht, das Tempo zu halten, wählte aber einen Rhythmus, der es ihm ermöglichte Schadensbegrenzung zu betreiben. Sörensen stand dagegen fast am Steilstück und wurde sogar von Planckaert überholt. Museeuw baute dagegen seinen Vorsprung kontinuierlich aus, sodass er auf der Spitze zehn Sekunden Vorsprung auf Ballerini und Planckaert, der aufgeschlossen hatte und zwanzig Sekunden zu Sörensen hatte. Der König hatte angegriffen und keiner konnte ihm folgen. Nachdem er sich die letzten Kilometer im Windschatten von Planckaert ausruhen konnte, genoss nun Ballerini dieses Privileg, während Museeuw seinem dritten Sieg in Flandern entgegenfuhr.

Ete litt an der Muur wie ein Hund. Nicht einmal einen halben Kilometer ging es bergauf, aber jeder Meter schmerzte ungemein. Es war nicht genug, dass die Steigung erst nach 240 Kilometern in den Rennverlauf integriert war, nein er war auch noch mit den fiesesten Pflastersteinen des Rennens verziert. Jede Erschütterung ging durch Mark und Bein. Trotzdem hielt Ete seinen Lenker fest umklammert, um nicht auf einem der unebenen Steine auszurutschen und die Kontrolle zu verlieren. Vor ihm fuhr immer noch sein treuer Helfer Steffen Wesemann, doch in dieser teuflischen Steigung half ihm auch dieser Beistand nichts. Mühevoll quälte er sich über die scheinbar ewig lange Gerade, bevor er die Linkskurve fuhr, die nicht mehr weit vom Ende der Steigung entfernt war. Nun nahm er sich den Luxus einen Moment seinen Tunnelblick auszuschalten und einen Blick nach rechts und links zu werfen. Was er dort sah, gab ihm einen neuen Motivationsschub und die so genannte zweite Luft. Hunderte Flamen standen am Straßenrand und schrieen jeden Fahrer, ob Belgier oder nicht, mit aller Kraft nach oben. Als sie den Weltcupführenden sahen, schienen sie noch enthusiastischer zu werden. Ein Fan mit einer Krone und einem Mapeitrikot, der offensichtlich ein großer Fan von Museeuw war, machte keinen Unterschied zwischen seinem Idol und seinem momentan größten Gegner im Weltcup, sondern rannte ein paar Meter neben ihm her und schrie ihm aufmunternde Worte vor. Die letzten Meter ließ Ete sich von der Welle der Begeisterung tragen, dann verließ er den gepflasterten Bereich und erreichte die Abfahrt. Noch 16 Kilometer.

Der Bosberg hatte keine Veränderung gebracht. Die Muur hatte wie im Vorjahr die Entscheidung gebracht. Museeuw hatte im Fernduell mit den ausgelaugten Planckaert und Sörensen schnell Boden gutmachen können und seinen Vorsprung auf eine Minute ausbauen können. Angetrieben von Tausenden seiner Landsleute an den Hängen, war es auf den letzten Kilometern ein einziger Triumphzug. Er erreichte nun Meerbeke, den Zielort, hatte es also fast geschafft. Er erlaubte es sich nun sogar, seinen Fans zuzuwinken, worauf deren Anfeuerungen den Höhepunkt erreichten. Man sah, wie Patrick Lefevre neben ihn fuhr und ihn zu Contenance ermahnte und tatsächlich riss König Johan sich bis auf die Zielgerade zusammen und fuhr weiter sein Tempo. Dann richtete er sich auf, schloss das schlammige Trikot, um den Sponsor zu präsentieren und reckte die Hände in die Höhe. Seine erste Mission war erfüllt, er hatte sein Heimrennen gewonnen. Nach der Ziellinie wendete er sofort und wartete auf die nächsten Fahrer. Als er Ballerini vor allen anderen auftauchen sah, brach er in noch lautere Jubelschreie aus. Sein Teamkollege hatte sich auf der Zielgeraden vom völlig ausgelaugten Planckaert lösen und den zweiten Platz sichern können. Das bedeutete den Doppelsieg für Mapei.

Einen Kilometer vor dem Ziel bekam Ete die ernüchternde Nachricht. Aldag war im Schlusssprint seiner Gruppe drei Minuten nach der Zieldurchfahrt Museeuws nur 11. geworden und hatte den angepeilten Platz unter den besten zehn damit verfehlt. Dafür war für Ete noch der 15. Platz im Bereich des möglichen. Steffen Wesemann zog ihm den Sprint an und als Max Sciandri den Sprint eröffnete, ging Ete an dessen Hinterrad. Obwohl er eigentlich der bessere Sprinter war, bemerkte er nun, 256 Kilometer nach dem Start, nichts mehr davon. Der Spurt glich keinem normalen Sprint, wo die Endschnelligkeit von Bedeutung war, jetzt zählten nur die Energiereserven und der Wille. Ete versuchte alle Kraft, die er noch hatte in die Waagschale zu werfen, wobei ein weißes Trikot vor seinem geistigen Auge ihn zu einer Höchstleistung trieb. Das wirkte. Er schaffte es an Sciandri vorbei und sicherte sich Platz 15. Im Ziel fiel er beinahe vom Rad und musste von einem Betreuer gestützt werden. Total entkräftet erkundigte er sich nach seinem Trikot, als ihm gesagt wurde, dass er mit 15 Punkten Vorsprung an der Spitze blieb, atmete er erleichtert auf. Dann wurde es ihm schwarz vor Augen.


Ergebnis:

1.Johan Museeuw Mapei 6h38:59
2.Franco Ballerini Mapei 0:55
3.Jo Planckaert Lotto 1:06
4.Rolf Sörensen Rabobank 2:01
5.Henk Vogels GAN s.t.
6.Gianluca Bortolami Festina 2:49
7.Marc Wauters Lottos.t.
8.Gabriele Missaglia Mapei 3:10
9.Wilfried Peeters Mapei s.t.
10.Peter van Petegem TVM s.t.
15.Erik Zabel Telekom 5:34

Weltcupstand:
1.Erik Zabel Telekom 111
2.Johan Museeuw Mapei 100
3.Franco Ballerini Mapei 70
4.Djamolin Abdoujaparov Lotto 70
5.Jo Planckaert Lotto 50
6.Stefano della Santa Mercatone Uno 50
7.Max Sciandri FdJeux 42
8.Rolf Sörensen Rabobank 40
9.Frederic Moncassin GAN 40
10.Henk Vogels GAN 36

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6771242Beitrag Valverde3007
7.6.2009 - 11:45

Gent-Wevelgem - Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte (E/K)

Nässe, Kälte, heftiger Wind, das Rennen bot alle Seiten, die die Frühjahresklassiker so schwierig machen konnten. Nachdem das Wetter am Sonntag bei der Flandernrundfahrt stabil gewesen, war, öffneten sich heute die Schleusen des Himmels, so dass es gnadenlos auf die 176 gestarteten Fahrer herabregnete. Die Strecke führte über 203 Kilometer von Gent nach Wevelgem und stellte den letzten Test für Paris-Roubaix am nächsten Sonntag dar. Einige Fahrer würden versuchen im Vorübergehen diesen Halbklassiker mitzunehmen, andere nutzten das Rennen nur als bessere Trainingseinheit. Da nur vier Hellinge auf dem Weg nach Wevelgem zu überqueren waren, galten die Sprinter, also auch Ete als die Favoriten. Wenn das Wetter besser gewesen wäre, wäre es mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu einem Sprint einer größeren Gruppe gekommen. Durch die schwierigen Witterungsbedingungen sank die Chance auf einen Massensprint zwar, es waren aber auch kein langer Soloritt oder ein Großangriff wie der von Mapei bei der Flandernrundfahrt zu erwarten. Doch trotz der schlechten Witterungsbedingungen rechnete Ete sich einiges aus. Eigentlich hatte er zu Mailand-San Remo in Topform sein wollen, er fühlte sich aber so, als würde er jetzt erst sein Leistungsmaximum erreichen. Auf alle Fälle war er gut gewappnet.

Das Rennen hielt bisher nicht, was Karsten sich versprochen hatte. Es hatte eine Ausreißergruppe gegeben, die aber inzwischen schon wieder eingeholt war. Nun beäugten sich die Fahrer im Feld gegenseitig, es wagte aber niemand anzugreifen. 150 Kilometer waren bereits zurückgelegt und die Fahrer näherten sich nun zum ersten Mal dem Kemmelberg, dem 500 Meter langen gepflasterten ersten Helling, der später ein zweites Mal überquert werden musste. Das schwierigste am Kemmelberg war aber besonders bei Regen nicht die Steigung, sondern die folgende schwierige Abfahrt, die ebenfalls mit Pflastersteinen bedeckt war und in ihrem nassen Zustand ein großes Sturzrisiko mit sich trug. Deshalb versuchten alle Fahrer nun in vorderer Position den Hügel zu erreichen, um nicht vom fahrerischen Geschick des Vordermannes abhängig zu sein. Zabel befand sich relativ weit vorne im Feld und sah noch recht frisch aus. Er orientierte sich am Hinterrad Museeuws, der mit seinem Mapeiteam direkt hinter dem führenden TVM-Team herfuhr. Das Rennen nahm nun etwas an Fahrt auf und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Unruhe im Peloton sich wieder in Angriffen entladen würde.

Ete hatte es geschafft, vorne in den Kemmelberg hinein zu fahren. Er musste zwar wieder gehörig beißen, hielt dafür auch seine gute Position. Servais Knaven attackierte ziemlich früh in der Steigung, was augenblicklich eine Reaktion von Mapei nach sich zog. Doch heute waren sie nicht mit einer zahlenmäßigen Übermacht an der Spitze des Feldes, sondern nur mit drei Mann, den Weltmeister Museeuw eingerechnet. Sie kontrollierten den Abstand zu Knaven und sorgten dafür, dass weiter hinten das Feld zersplitterte. Ete fuhr in etwa an 15. Stelle über den Hügel und konzentrierte sich voll auf das anspruchsvolle Gefälle. Sie befanden sich noch nicht wieder am flachen, da passierte das unvermeidbare. Unmittelbar hinter sich hörte Ete es scheppern und die Schmerzensschreie einiger Fahrer. Er wagte es nicht sich umzuschauen, denn er wusste genau, was ihn erwarten würde. Irgendein Fahrer war auf den glitschigen Steinen ausgerutscht und ins Fallen gekommen, die hinter ihm fahrenden konnten wahrscheinlich auch nicht mehr ausweichen. Dadurch entstand eine Lücke im Feld, was die Männer von TVM sofort zu nutzen versuchten. Dadurch, dass sich der Sturz ziemlich weit vorne ereignet hatte, war die Gruppe auf zwanzig Fahrer geschrumpft. Dafür zog das Tempo nun an, da man vermeiden wollte, dass die Gruppe schnell wieder gestellt wurde.

Die Gruppe war kontinuierlich weiter zusammen geschrumpft, weil schwächere Fahrer, die mit Glück in der vorderten Gruppe gelandet waren, nun zurückfielen. Soeben hatten die verbliebenen elf Fahrer an der Spitze die zweite Passage des Kemmelbergs überstanden. Entgegen der letzten Kopfsteinpflasterrennen war die Verteilung der Fahrer heute nahzu ausgeglichen. Mapei war mit Museeuw, Tafi und Leysen, Telekom mit Aldag und Zabel, Festina mit Magnien und Bortolami und FdJeux mit Sciandri und Guesdon vertreten. Dazu kamen van Bon und van Petegem. Der Abstand zum großen Feld mit den übrigen Favoriten betrug nun schon etwas mehr als drei Minuten, die Chance, dass einer der elf an der Spitze gewinnen würde, strebte gegen hundert Prozent. Als letzte ernst zu nehmende Hürde stand nur noch der Monteberg an. Doch die Fahrer schienen ihre Kräfte zu schonen und legten ein moderates Tempo vor und überquerten den letzten Helling gemeinsam. Bis zwanzig Kilometer vor dem Ziel arbeiteten sie noch gut zusammen, dann kam der erste Angriff. Guesdon und Aldag versuchten sich von ihren Begleitern zu lösen und schafften es schnell, etwa zwanzig Sekunden zwischen sich und die Verfolger zu legen, bis dort Magnien und Leysen begannen für ihre Kapitäne Tempo zu machen.

Ete hielt sich am Ende der Gruppe im Windschatten der anderen. Dadurch, dass Rolf ausgerissen war, hatte er keine Verantwortung mehr für das Tempo, sondern konnte die anderen arbeiten lassen und Kraft für den Endspurt sparen. Interessiert verfolgte er, wie auf den Kreidetafeln der Begleitmotorräder ein immer größerer Abstand eingeblendet wurde. 15 Kilometer vor dem Ziel betrug er vierzig Sekunden, was durchaus reichen konnte, um durchzukommen. Museeuw und Tafi erkannten den Ernst der Lage und animierten nun Bortolami und die beiden Einzelkämpfer van Petegem und van Bon in die Tempoarbeit einzusteigen. Museeuw selbst übernahm nun einen großen Teil der Führungsarbeit und so wunderte Ete sich nicht, als sich die Tendenz des Abstandes in die andere Richtung wendete. Auf jedem Kilometer kamen sie nun wieder näher an das Duo heran. Zehn Kilometer vor dem Ziel waren es 33 Sekunden, bei fünf Kilometern 19 Sekunden und zwei Kilometer vor dem Ziel waren sie schließlich gestellt. Das Tempo schlief nun ein, bis tausend Meter vor dem Ziel Peter van Petegem attackierte, Nur van Bon setzte nach, der Rest der Gruppe schaute sich gegenseitig an. Die Helfer waren zu erschöpft um nachzusetzen, die Kapitäne wollten nicht. Museeuw schüttelte den Kopf und winkte Ete in die Führung, da er nicht gewillt war, ihm einen Sprint anzuziehen. Ete hatte allerdings auch nicht mehr die Kraft, an van Petegem und van Bon heranzufahren und auch noch den Sprint gewinnen. Also wurde der Abstand immer größer und Ete fand sich damit ab, mit dem Ausgang des Rennens nichts mehr zu tun zu haben. Es war zwar eine dumme taktische Situation, doch daran konnte man nichts mehr ändern. Rolf kam nun noch einmal an die Spitze und zog den Sprint für Ete an. In der Ferne konnte er schon sehen, wie van Bon die Arme hochriss und seinen Sprintsieg bejubelte. Ete hatte weniger Glück und wurde von Bortolami übersprintet. Es war nicht sein Tag gewesen und ob er nun dritter oder vierter wurde, war auch egal. Sauer schlug er auf seinen Lenker. Er hatte nur einen Moment zu lange gezögert und dadurch den Sieg verschenkt. Hätte er mit Museeuw zusammengearbeitet, hätten sie gewinnen können. Dadurch, dass beide sich quer gestellt hatten und nicht für den anderen arbeiten wollten, verloren sie das Rennen.

Ergebnis:

1.Leon van Bon Rabobank 5h01:52
2.Peter van Petegem TVM s.t.
3.Gianluca Bortolami Festina 0:12
4.Erik Zabel Telekom s.t.
5.Max Sciandri FdJeux s.t.
6.Johan Museeuw Mapei s.t.
7.Bart Leysen Mapei s.t.
8.Emmanuel Magnien Festina s.t.
9.Andrea Tafi Mapei s.t.
10.Frederic Guesdon FdJeux s.t.

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6772119Beitrag Valverde3007
15.6.2009 - 20:20

Die Hölle des Nordens (Teil 1) (K/E)

Nicht umsonst galt Paris-Roubaix als vielleicht das klassischste Rennen und als das neben Lüttich-Bastogne-Lüttich wichtigste Monument im Radsport. Fast fünfzig Kilometer der insgesamt zurückzulegenden 266 Kilometer führten über das berüchtigte Kopfsteinpflaster des Nordens. In 27 Sektionen aufgeteilt warteten die Pflastersteine über das gesamte Rennen verteilt. Teilweise gab es leichtere Stücke, die sich immer wieder mit schwereren wie dem Wald von Arenberg abwechselten. Insgesamt war es eine Tortur, die im Radsport ihresgleichen suchte. Verschlimmert wurde die Situation durch das äußerst bescheidene Wetter der letzten Tage. Noch in der vorigen Nacht hatte es heftig geregnet, so dass die Straßen nun schlammig waren. Außerdem machte der Regen die Kopfsteinpflasterpassagen noch aufgeweichter und die sandigen, im trockenen Zustand angenehmer zu fahrenden Bereiche unbefahrbar. 184 Fahrer aus 23 Teams würden sich auf den Parcours begeben, wie viele ins Ziel kämen, war bei den Bedingungen ungewiss. Vielleicht würden es fünfzig sein, wahrscheinlich weniger.

Ete erinnerte sich allzu gut an die letztjährige Austragung von Paris-Roubaix zurück. Zu Beginn des Rennens hatte er sich gut gefühlt und war in einer Ausreißergruppe mitgefahren, die lange das Rennen bestimmen konnte. Doch später musste er dem Einsatz Tribut zollen und bekam zu spüren, warum es nicht umsonst den begriff „Hölle des Nordens“ gab. Vollkommen erschöpft war er mit mehreren Minuten Rückstand auf dem 36. Platz ins Ziel gekommen und hatte sich geschworen, nie mehr wieder zu kommen. Er konnte dem Ruf des Rennens allerdings nicht entgehen. Die Beziehung eines Radsportlers zu diesem Rennen wurde oft als Hassliebe bezeichnet und diese Beschreibung traf exakt ins Schwarze. Ete hasste die Pflastersteine, doch wenn er das Velodrom in Roubaix erreichte, fühlte er sich als Sieger, auch wenn er das Rennen nicht gewann. Dieses Jahr hatte er trotz seiner Topform keine Ambitionen zu gewinnen, aber mit seinen starken Helfern wollte er wieder für den Weltcup punkten. Für Telekom waren neben ihm der frühere 7. des Rennens, Brian Holm, der ehemalige 9. Rolf Aldag und der junge Steffen Wesemann dabei. Zu viert sollten sie gute Karten auf ein gutes Resultat haben, auch wenn der Sieg utopisch schien.

Als sein Sender am Wald von Arenberg ins Renngeschehen einstieg, stellte Karsten fest, dass die Spitzengruppe bereits überraschend klein war. Die Selektion, die erst jetzt stattfinden sollte, war schon vorher geschehen, so dass nun nur noch dreißig Fahrer zusammen in der ersten Gruppe fuhren. Etwa drei Minuten hinter den Führenden kämpfte eine zweite Gruppe mit Bortolami und van Petegem um den Anschluss, was Karste allerdings als einen hoffnungslosen Versuch ansah. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Spitze und versuchte die einzelnen Fahrer zu erkennen. Wie gewohnt wurde die Gruppe von Mapei dominiert, dazu waren die üblichen Favoriten vertreten, aber auch einige überraschende Fahrer wie der erst 22-jährige David Millar von Cofidis. Von Telekom sah Karsten noch drei Trikots, ergänzt durch das Trikot des Weltcupführenden. Noch bevor er alle Namen notieren konnte, durchbrach Wilfried Peeters die ruhige Rennsituation mit einem Anngriff. Auf der Stelle setzten einige Fahrer nach, doch der Belgier konnte sich als Solist einige Meter absetzen. Dahinter waren nun alle Teams in die Führung gezwungen und kurz vor der nächsten Werbeunterbrechung sah Karsten noch, wie Wesemann und Holm sich vorne einreihten.

Vor ihm lag er, der Wald von Arenberg, der Beginn des ewig langen Finales von Paris-Roubaix. Über 2000 Meter des schlimmsten Kopfsteinpflasters lagen vor ihm und seinen nun noch 25 Begleitern. Die Nachwirkungen des schlimmen Wetters waren hier noch mehr zu sehen, als an anderen Stellen des Rennens, da das Wasser am Rand der Straße teilweise höher stand als die Pflastersteine. Noch dazu hatte es vor einigen Minuten wieder angefangen, leicht zu regnen, was dazu führte, dass von Ete von den Reifen seines Vordermannes kalten, nassen Schlamm ins Gesicht gesprüht bekam. Trotz seines gefederten Lenkers spürte er jede Erschütterung. Es war ihm bewusst, dass er den Lenker viel zu verkrampft hielt, doch er hatte zu große Angst, die Kontrolle über seine Rennmaschine zu verlieren, als dass er etwas lockerer geblieben wäre. Er ignorierte die Schmerzen in seinen Beinen und Armen und behielt stets das Hinterrad des vor ihm fahrenden im Blick. Wie durch ein Wunder überstanden alle Fahrer den Abschnitt ohne Defekt oder Sturz und blieben bis zum Ende zusammen. Als sie um die letzte Linkskurve fuhren, die wieder auf die asphaltierten Straßen führte, wurde an der Spitze bereits wieder das Tempo herausgenommen. Niemand wollte schon so früh alles riskieren und auf eine Karte setzen, stattdessen warteten sie ab und beäugten sich gegenseitig misstrauisch. Ete war schon so strapaziert, dass er an den taktischen Spielchen nicht mehr teilnahm, sondern sich darauf beschränkte, sich in der Gruppe zu halten.

Es hatte zwar zehn Kilometer gedauert, bis wieder Aktion ins Rennen kam, dafür ging es jetzt richtig rund. Jo Planckaert initiierte eine neue Gruppe von acht Fahrern, die sich etwas von ihren Begleitern lösen konnten. Mit dabei waren Guesdon, Ekimov, van Bon, Gaumont, Vogels, sowie von Mapei Peeters und Leysen, dafür aber kein einziger Fahrer des Teams Telekom. Deshalb musste die Truppe in den magentafarbenen Trikots nun die Verfolgung übernehmen und sich im Wind aufreiben. Ihr Vorhaben wurde jedoch dadurch bestärkt, dass an der Spitze keine Einigkeit herrschte. Die meisten Fahrer beäugten skeptisch die beiden Mapeifahrer und den Drittplatzierten aus Flandern, Planckaert, der auch heute ein Topfavorit war. Dafür vernachlässigten sie ihre eigene Arbeit, was dazu führte, dass die beiden Gruppen sich immer näher kamen. In dem Moment, als der Zusammenschluss hergestellt wurde, mussten die Verfolger entsetzt feststellen, dass sich bereits zwei Fahrer nach vorne davon gemacht hatten, Guesdon und Vogels. Dafür fing nun die Pannenserie in der Gruppe an. Sofort auf den ersten Metern erwischte es einen der Kapitäne.

Ete stieß einen lauten Fluch aus, als er bemerkte, dass sein Hinterrad platt war. Er signalisierte seinem sportlichen Leiter, dass er ein Rad wechseln wollte und scherte aus der Reihe der Fahrer aus. Verzweifelt zählte er die Sekunden am Straßenrand, bis ihn ein Mechaniker erreichte und ein neues Rad montierte. Sofort schwang er sich wieder auf den Sattel und beschleunigte. Ein Stückchen weiter vorne hatte Brian Holm auf ihn gewartet und konnte ihn nun unterstützen. Noch bestand die Chance, dass in der großen Gruppe wieder das Tempo herausgenommen würde und Ete die Situation nutzen konnte, um den Anschluss herzustellen. Die Abstandsanzeigen auf den nächsten Kilometern zeigten eine umgekehrte Tendenz. Der Abstand wuchs schnell auf über eine Minute und hörte nicht auf, sich zu vergrößern. Innerlich konnte Ete das Rennen nun aufgeben und sich wie bei der Flandernrundfahrt auf Schadensbegrenzung beschränken. Sicher würden noch einige Fahrer von mechanischen Problemen wie den seinen betroffen sein, andere würden nach getaner Arbeit entkräftet zurückfallen. Die Chance auf Weltcuppunkte und das Trikot war also weiterhin gegeben.

Guesdon lag nun, 65 Kilometer vor dem Ziel, eine halbe Minute vor Henk Vogels, der eine weitere Minute Vorsprung auf die Verfolgergruppe hatte, in der wieder Mapei Dampf machte. Inzwischen waren noch 17 Fahrer beisammen, dahinter folgte eine kleine Gruppe um Erik Zabel. Die Gesichter der Fahrer wirkten bereits gezeichnet von den schweren 200 bis hierhin zurückgelegten kilometern, doch das Wetter blieb erbarmungslos. Der Regen hatte sich verstärkt und machte das Rennen unberechenbar. Jederzeit konnte man von einem Defekt heimgesucht werden oder stürzen, ohne daran Schuld zu sein. Nun zählte nicht mehr allein das Können, nun zählte auch das Glück. Bis jetzt war alles glimpflich ausgegangen, aber Karsten war sich sicher, dass noch manches Unglück passieren würde. Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, folgte ein Fahrer seinen Worten und stürzte. Aber dieses Mal war es nicht der ohnehin chancenlose Erik Zabel, dieses Mal war es ein Hochkaräter, einer der Topfavoriten.

Der Sektor 14, der in Tilloy begann, war eigentlich als einer der leichteren Abschnitte bekannt. Er hatte die Form eines „L“, führte als o erst gerade aus, bevor er um 90 Grad abknickte. In eben dieser Kurve war es trotz des akzeptablen Kopfsteinpflasters augenscheinlich zu einem Sturz gekommen. Ete musste stark bremsen, als er um die Kurve fuhr, damit er nicht in die parkenden Begleitmotorräder fuhr und sich zu seinen gestürzten Kollegen hinzugesellte. Er stieg ab, schob sein Rad an den Motorrädern vorbei und bedachte sie aufgebracht mit den wenigen französischen Flüchen, die er kannte. Außerdem warf er einen Blick auf die beiden gestürzten Rennfahrer. Mit Wauters war der wichtigste Helfer von Planckaert gestürzt, aber noch wichtiger, der Weltmeister Johan Museeuw war zu Fall gekommen und es sah im Moment nicht danach aus, dass der Sieger der Flandernrundfahrt das Rennen fortsetzen konnte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht umklammerte er sein rechtes Handgelenk, das er anscheinend nicht mehr bewegen konnte. Dadurch wurde er gleichzeitig fahrunfähig und war nicht mehr in der Lage den angestrebten Doppelsieg im Norden einzufahren. Auch wenn Ete Museeuw auf keinen Fall einen Sturz gewünscht hatte, beflügelte ihn dessen Ausfall, da immerhin sein schärfster Verfolger der Hölle des Nordens zum Opfer gefallen war.

Mons-en-Pevele war der zweite von nur drei Kopfsteinpflasterabschnitten, die von der Organisation mit fünf Sternen bewertet worden waren. Mit drei Kilometern war er ziemlich lang, dazu kam, dass der erste Kilometer leicht anstieg, bevor ein leichtes Gefälle folgte. Guesdon ging mit zweieinhalb Minuten Vorsprung auf die Verfolgergruppe in diesen Abschnitt, dazwischen lag immer noch Vogels. Nachdem Mapei zunächst geschockt vom Sturz Museeuws gewesen war und das Tempo gedrosselt hatte, gab das Team nun richtig Gas. Bart Leysen forcierte einen Angriff, der von Gaumont gekontert wurde. Die anderen Fahrer schauten sich kurz an und wägten ab, ob es notwendig war, Leysen zu verfolgen, als ein anderer Fahrer ihnen die Entscheidung abnahm. Tafi setzte nach und sprengte die Gruppe. An seinem Hinterrad blieben nur die beiden Rabobankfahrer Sörensen, van Bon und der zweite verbliebene Kapitän von Mapei, Ballerini. Dahinter klaffte schnell eine Lücke. Die drei Fahrer von Mapei und das Rabobankduo erkannten die Chance alle anderen Favoriten uneinholbar zu distanzierten und arbeiteten gut zusammen. Insbesondere Leysen rieb sich für seine Kapitäne auf und sorgte für ein wahnsinniges Tempo. Am Ausgang des zehnten Sektors hatten sie die Rennsituation somit zu ihren Gunsten verändert. Guesdon hatte auf der Passage Schwierigkeiten gehabt und bekam durch die lange Fahrt im Wind einen schweren Tritt, so dass sein Vorsprung auf eineinhalb Minuten geschmolzen war. Vogels befand sich bereits in Reichweite der Verfolger, die nun auch Gaumont losgeworden waren. Die übrigen Favoriten hatten weitere dreißig Sekunden Rückstand. Die Vorentscheidung war getroffen, nun kam es zum Duell Rabobank gegen Mapei.

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6772204Beitrag Valverde3007
16.6.2009 - 19:09

Die Hölle des Nordens (Teil 2) (K/E)

Die Situation blieb unverändert. Guesdon behauptete einen kleinen Vorsprung auf Vogels, den die fünf Verfolger nun einzuholen drohten. Sie arbeiteten weiter perfekt zusammen und verringerten den Abstand kontinuierlich. Die Regie wechselte in dieser hektischen Phase des Rennens schnell zwischen den verschiedenen Kameraperspektiven, die ihr zur Verfügung standen, um einen kompletten Überblick über das Rennen zu erhalten. Karsten versuchte sich alle Namen und die Konstellationen in den einzelnen Gruppen zu notieren, doch er war schnell überfordert. Hinter der Gruppe mit Sörensen hatte sich ein Verfolgertrio gebildet. Planckaert und zu Karstens Erstaunen der junge David Millar versuchten, den Anschluss nach vorne herzustellen, was ihm aber kaum möglich schien, so lange es vorne keine Reihe von Pannen und Defekten geben würde. Begleitet wurden die beiden von Wilfried Peeters, der konsequent an der letzten Position in der Gruppe fuhren. Anschließend wechselte der Schnitt auf Zabels Gruppe, bevor ein Mapeifahrer mit Defekt gezeigt wurde. Karsten überlegte kurz, wer es sein konnte und spekulierte wild, wer es sein konnte. Zunächst hielt er den vom Pech verfolgten Fahrer für Missaglia, bis ihn die Einblendung des Namens auf seinen Fehler aufmerksam machte. Es war nicht Missaglia, sondern wie so oft Franco Ballerini.

Ete hörte die verzweifelten Ansagen von Rolf und Steffen, als sie die nächsten Attacken von Planckaert und Millar nicht parieren konnten. Genau so interessiert horchte er auf, als er von der Panne Ballerinis hörte. Ausgerechnet jener Ballerini, der in den letzten Jahren so oft vom Pech verfolgt war und den erst im Vorjahr mehrere Defekte an einer besseren Platzierung als seinem fünften Platz gehindert hatten, war heute wieder vom Pech verfolgt. Ete hatte vorhin am eigenen Leib spüren müssen, was es bedeutete, machtlos miterleben zu müssen, wie einer seiner Reifen immer platter wurde, so dass ein Weiterfahren unmöglich war. Wenigstens hatte Ballerini wahrscheinlich das Glück, dass unmittelbar hinter ihm ein Teamwagen von Mapei gefahren war. So würde ihn das Missgeschick etwa dreißig Sekunden kosten, war aber noch nicht entscheidend. Tafi würde nun bestimmt nicht mehr mitführen, sodass alles offen blieb. Der nächste Sektor nahte, deshalb riss Ete sich von seinen Gedanken los und konzentrierte sich wieder auf sein Rennen.

Unmittelbar nach Ballerinis Panne hatte van Bon attackiert und dafür gesorgt, dass Leysen aus dem Quartett zurückfiel. Der Belgier ließ sich zurückfallen und wartete auf Ballerini, um dem Italiener mit seinen letzten Kraftreserven nach vorne zu helfen. Unterdessen überholte van Bon Vogels, der es nur mit Mühe schaffte, seinen ehemaligen Verfolgern zu folgen. Trotzdem kam Ballerini immer näher und es schien, als könne er die Lücke bald zufahren. Als Guesdon in Sichtweite geriet, griff Sörensen deshalb ein weiteres Mal an und schaffte es, alleine zu dem Franzosen vorzustoßen, während Tafi keine Anstalten machte zu folgen. Nach der langen Führungsarbeit schien er etwas erschöpft, doch das war zu diesem Zeitpunkt des Rennens nahezu jeder Fahrer. Daher vermutete Karsten, dass er sich aus taktischem Kalkül zu Ballerini zurückfallen ließ, um gemeinsam Sörensen einzuholen. Der Däne schaffte es, Guesdon weiter zur Mitarbeit zu animieren, so dass der Abstand konstant bei etwa zwanzig Sekunden blieb. Auf den nächsten Kilometern entwickelte sich ein mitreißendes Fernduell zwischen dem ersten französischen Sieganwärter seit Gilbert Duclos-Lassalle, Guesdon und dem dänischen Routinier Sörensen, beziehungsweise dem Mapeiduo Tafi/Ballerini, das noch van Bon im Schlepptau hatte. Kilometer um Kilometer verkürzten die beiden Italiener den Abstand, bis sie zu Beginn des sechsten Sektors in Cysoing noch sechs Sekunden Abstand hatten. Sörensen schaute sich nun resignierend um und ließ ein paar Tritte aus bis die Verfolger den Anschluss schafften. Zu seinem Vorteil war wenigstens mit van Bon ein Helfer nach vorne zu kommen, aber Mapei zeigte sofort, dass es kein Interesse an einer taktischen Chancengleichheit hatte. Tafi attackierte als erstes und zwang Sörensen alleine nachzufahren, während Guesdon und van Bon abreißen ließen. Als Sörensen an Tafi herankam, setzte Ballerini unverzüglich eine Gegenattacke, die der Däne nicht mehr zu kontern vermochte. Er musste Ballerini einige Meter Vorsprung gewähren und versuchte ein konstant hohes Tempo anzuschlagen. An seinem Gesicht, das nun eine schlammverschmierte, schmerzverzerrte Grimasse darstellte, konnte man sehen, dass er sowohl physisch als auch mental am Ende war und gegen einen Ballerini in dieser Form keine Chance haben würde.

Camphin-en-Pévèle. Der fünfte Sektor war noch einmal knapp zwei Kilometer lang und mit vier Sternen schwer zu fahren. Die Straße, die quer durch die nordfranzösischen Felder führte, war an vielen Stellen mit sehr schlechtem Untergrund bedeckt und durch das Wasser noch weiter aufgeweicht. Der Schlamm bedeckte mittlerweile Etes komplettes Gesicht und sein Trikot, was ihn inzwischen aber kaum noch interessierte. Zwanzig Kilometer musste er noch aushalten, bevor er das Velodrom in Roubaix erreichen würde. Er bremste stark, als er die scharfe Rechtskurve des Abschnittes erreichte, um direkt danach wieder so gut es auf dem Kopfsteinpflaster ging zu beschleunigen. Am Straßenrand sah er einige tobende belgische Fans, die ein Laufrad wie eine Trophäe in die Höhe hielten. Ete schaute sich nach Missaglia um, der in seiner Gruppe fuhr. Vor sechs Minuten, als die Spitzengruppe hier vorbeigefahren sein musste, hatte sein italienischer Kollege laut angefangen zu fluchen. Ete hatte sich bei ihm erkundigt, was passiert sei. Die Antwort erklärte die Enttäuschung von Missaglia. Ballerini hatte eine zweite Reifenpanne gehabt und war wieder zurückgefallen. Nun bestand dieselbe Situation wie vor zwanzig Kilometern, Sörensen und Tafi fuhren fünfzehn Sekunden vor Ballerini.

Sörensen fuhr nun wie beflügelt. Die Tatsache, dass er Ballerini überholt hatte, schien in ihm weitere Kräfte freizusetzen und seine Schmerzschwelle weiter heraufzusetzen. Verbissen kämpfte er um seinen Vorsprung, sodass er bis zum letzten schweren Pavé-Sektor zehn Sekunden an Vorsprung behielt. Jetzt, 17 Kilometer vor dem Ziel folgte der letzte Sektor mit fünf Sternen, Carrefour de l’Arbre. Hier würde sich vielleicht die letzte Chance für Sörensen bieten, sich seines Begleiters zu entledigen. Andererseits konnte Ballerini aufholen und damit die Siegchancen mit einem Mal minimieren. Es kam nun nicht mehr auf die reine Kraft oder Spritzigkeit an, sondern auf den Willen, sich durchzubeißen und die Fähigkeit, die perfekte Linie zu wählen, um einem Defekt zu entgehen. Zunächst schien es so, als könne Sörensen es tatsächlich schaffen, Ballerini fernzuhalten und als er kurz vor Schluss des Sektors einen Angriff lancierte und Tafi distanzierte, war die Sensation perfekt. Karsten überschlug sich vor seinem Mikrofon beinahe und schrie begeistert den dänischen Kapitän von Rabobank nach vorne. Doch der Erfolg des Außenseiters war von kurzer Dauer. In dem Moment, in dem Ballerini und Tafi wieder zusammen fuhren, nahmen sie gehörig Tempo auf und setzten alles daran, die mühsam erarbeiteten sieben Sekunden Vorsprung von Sörensen zunichte zu machen. Nun bot sich das gleiche Bild wie nach Ballerinis Attacke, nur umgekehrt. Rabobank fuhr an der Spitze und Mapei jagte hinterher.

Wenn Ete richtig mitgezählt hatte, war er nun an zwanzigster Stelle. In der Spitzengruppe fuhr Ballerini, der bereits 70 Punkte für den Weltcup gesammelt hatte. Das hieß, dass er nun darauf hoffen musste, dass Ballerini nicht auf die ersten beiden Plätze kam. Außerdem durfte Sörensen nach seinem vierten Platz in der letzten Woche nicht gewinnen. Wenn also nicht die Kombination Tafi vor Sörensen und Ballerini eintrat, hätte Ete das Trikot verloren. Verzweifelt stemmte er sich weiter gegen den Wind. Der Rückstand auf die nächste Gruppe betrug etwa drei Minuten und die Chance, weitere Plätze gut zu machen, strebte gegen null. Trotzdem wollte Ete nicht aufgeben. 250 Kilometer hatte er sich bereits geschunden mit dem einzigen Ziel, sein verdrecktes, weißes Leibchen zu sichern. Die weiteren Fahrer des Teams Telekom waren auch nicht besser dran. Hinter den drei Führenden fuhren zwei weitere Trios mit Guesdon, van Bon und Vogels, beziehungsweise Millar, Planckaert und Peeters, bevor die Gruppe um Aldag kam. Ete ging aus der Führung. Das Rennen war gelaufen.

Ballerini und Tafi jagten nun über den letzten symbolischen Sektor Charles Crupelandt. Sie hatten den Abstand auf Sörensen bis auf fünfzig Meter verringern können und hatten das Loch fast geschlossen. Hilflos sah der Däne sich nach hinten um und ging wieder aus dem Sattel um das Tempo anzuziehen. Über 15 Kilometer hatte er sich erwehren können und nun wurde es doch wieder knapp. Mit viel Schwung nahm er die erste Rechtskurve und verließ das Blickfeld der Verfolger. Wieder beschleunigte er und stürzte sich um die letzte Kurve ins Velodrom von Paris. Dort warf er einen kurzen Blick über die Schulter und erstarrte vor Angst. Tafi und Ballerini hatten sein Hinterrad erreicht. Sörensen ließ ihnen die Innenbahn und setzte sich an das Ende des Trios. Das nahm Ballerini sofort zum Anlass, früh anzugreifen und nicht bis zum letzten Meter zu warten. Als das Glockenzeichen für die letzte Runde ertönte, war der Däne geschlagen. Er hatte keine Kraft mehr um den taktisch überlegenen Gegnern nach dem langen Kampf etwas entgegenzusetzen. Stattdessen musste er mit ansehen, wie auch Tafi an ihm vorbeiflog und das Loch zu Ballerini schloss. Die beiden Italiener schauten sich kurz an, dann blickten sie zurück um sich zu vergewissern, dass der Vorsprung groß genug war und fuhren wie im Vorjahr Hand in Hand ins Ziel. Ballerini ließ den jüngeren Tafi dabei als erstes die Ziellinie überqueren, damit dieser sich den Pflasterstein sichern konnte. Nachdem Tafi nach beiden Defekten Rücksicht auf seinen Kapitän genommen hatte und ihm wieder nach vorne geholfen hatte, begnügte der ältere Ballerini sich mit dem Trikot des Weltcupführenden. Nach dem Schlussstrich rollten sie aus, stiegen ab und fielen sich in die Arme. Sie hatten das unmögliche war gemacht und den zweiten Sieg nach Flandern wahr gemacht. Obwohl mit Museeuw der absolute Topfavorit und Vorjahressieger ausgefallen war, waren sie dominant gewesen und konnten sich nun ohne Scham ihre Freudentränen und ihren Jubel erlauben. Währenddessen kamen die nächsten Fahrer ins Ziel. Van Bon gewann den Sprint um Platz vier vor Henk Vogels und rundete das gute Resultat für Rabobank damit ab. Guesdon sicherte sich nach langer Solofahrt immerhin den sechsten Platz, bevor der Rest Fahrer um Fahrer eintrudelte. Sie alle hatten großes geleistet, aber die Helden des Tages hießen Andrea Tafi und Franco Ballerini.

Ete bekam eine Gänsehaut, als er das Velodrom erreichte. Die Zuschauer bejubelten auch jede abgehängte Gruppe, die sich bis zum Ende durchgebissen hatte. Ete versuchte die Atmosphäre der letzten Runde zu genießen, auch wenn er sich noch auf den Sprint konzentrieren musste. Nachdem Bortolami Defekt gehabt hatte und Holm ebenfalls zurückgefallen war, konnte nur noch Missaglia sein Hinterrad halten. Der Italiener, der auf den letzten Kilometern gut mit Ete zusammengearbeitet hatte gab ihm ein Zeichen, dass er Ete den 18. Platz nicht mehr streitig machen würde. Stattdessen gratulierten sie sich gegenseitig zu ihrem guten Rennen, dass unter den widrigen Bedingungen nicht viele Fahrer beendeten. Ete und Missaglia hatten bereits zehn Minuten Rückstand, der letzte gewertete Fahrer auf Platz 42 sollte erst eine halbe Stunde später eintreffen. Das Rennen hatte gehalten, was es versprochen hatte, es war die Hölle gewesen, als die es berüchtigt war. Am heutigen Tag war großer Radsport geboten worden und Ete war stolz sich im Vorderfeld behauptet zu haben.

Ergebnis:

1.Andrea Tafi Mapei 6h12:46
2.Franco Ballerini Mapei s.t.
3.Rolf Sörensen Rabobank 0:07
4.Leon van Bon Rabobank 2:35
5.Henk Vogels GAN s.t.
6.Frederic Guesdon FdJeux 3:20
7.Wilfried Peeters Mapei 3:44
8. David Millar Cofidis 4:01
9.Jo Planckaert Lotto s.t.
10.Emanuel Magnien Festina 4:28
18.Erik Zabel Telekom 9:50

Weltcupstand:
1.Franco Ballerini Mapei 140
2.Erik Zabel Telekom 119
3.Andrea Tafi Mapei 112
4.Johan Museeuw Mapei 100
5.Rolf Sörensen Rabobank 90
6.Henk Vogels GAN 72
7.Jo Planckaert Lotto 70
8.Djamolin Abdoujaparov Lotto 70
9.Max Sciandri FdJeux 55
10.Stefano della Santa Mercatone Uno 50


Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6773202Beitrag Valverde3007
22.6.2009 - 16:33

Fleche Wallone - Formtest an der Muur (U)

Die Muur de Huy zählte mit der Mauer von Geraardsbergen und der Redoute mit Sicherheit zu den berühmtesten und schwersten Steigungen der Frühjahrsklassiker. Doch während die übrigen Hügel jeweils nur einmal zu befahren waren, stand die Muur de Huy im Verlauf des Fleche Wallone drei Mal im Programm. Spätestens wenn das Feld ganz zum Schluss zum dritten und letzten Mal die Steigung in Angriff nehmen würde, würde sich das Rennen entscheiden. Zu diesem Zeitpunkt würde Ulle wahrscheinlich längst nicht mehr mit den besten mithalten können. Die besten, das sollten heute die Spezialisten für welliges Terrain sein. Die Liste der Kandidaten reichte lang, von Laurent Jalabert und Francesco Casagrande bis zu Gabriele Colombo, Michele Bartoli und Davide Rebellin. Außerdem waren zahlreiche starke Rundfahrer zu dem Rennen angetreten, die in den Ardennen ihre Form testen wollten. So standen mit Ivan Gotti, Pavel Tonkov und Marco Pantani die drei großen Favoriten für den Giro d’Italia und mit Richard Virenque und ihm, Jan Ullrich, zwei der Podiumsanwärter für die Tour de France am Start. Mit jenen Rundfahrern wollte Ulle sich heute messen und, wenn er schon nicht mit der absoluten Spitze mithalten konnte, wollte er sich wenigstens beweisen, dass er schon besser drauf war als manch anderer Spitzenrennfahrer. Bisher bot sich noch keine Gelegenheit dazu, weil das Rennen relativ ruhig verlief, doch nun bei der Hälfte des Rennens stand zum zweiten Mal die Muur an. Dort wollte Ulle sich in den vorderen Reihen des Hauptfeldes halten, um möglicherweise einmal die Konkurrenz zu testen.

Richard Virenque hatte offenbar ähnliche Gedanken wie Ulle gehabt und griff auf den ersten ansteigenden Metern zur Muur an. Ulle hängte sich sofort an das junge italienische Klassikertalent Paolo Bettini und fuhr gemeinsam mit dem Italiener wieder zu Virenque vor. Ein kurzer Blick über die Schulter verriet ihm, dass nur noch ein weiterer Fahrer die Tempoverschärfung mitgegangen war, Marco Pantani. Elefantino, wie er von seinen Gegnern spöttisch genannt wurde, wollte das Prestigeduell nicht verlieren und blieb an Ulles Hinterrad. Unter dem frenetischen Jubel der belgischen Fans erklommen sie Schulter an Schulter die Mauer, wobei keiner klein beigeben wollte. Nachdem sie auf halber Strecke noch Bettini abgehängt hatten, kamen sie schließlich zu dritt oben an. Ulle beschleunigte noch einmal und ließ sich von den Massen der Fans tragen, die begeistert über das Spektakel an der Spitze waren. Ulle erreichte die Abfahrt mit wenigen Metern Vorsprung und ließ anschließend ausrollen. Er hatte nicht vor, weiter Tempo zu machen und Pantanis Gestik zeigte ihm, dass er dieselben Gedanken hatte. Es war nur ein Prestigeduell gewesen, das richtige Rennen sollten die anderen fahren.

An der letzten der prämierten Bergwertungen, der Côte de Bohisseau 35 Kilometer vor dem Ziel begannen die Favoriten mit den ernsthaften Attacken. Kurz vorher hatte sich eine gefährliche Gruppe mit Sunderland, Brochard, Ferrigato, Furlan und Elli gebildet, die sich dreißig Sekunden vor dem Feld behaupten konnte. Dahinter machte Jalaberts ONCE-Team das Tempo. An der Spitze legte David Etxebarria ein Höllentempo vor, dass Ulle den Atem raubte. Er scherte aus der Reihe der Fahrer aus und ließ sich ein wenig zurückfallen. Aus der Ferne konnte er erkennen, wie Etxebarria aus der Führung ging und sein Kapitän Jalabert angriff, aber er konnte nichts dagegen tun. Mit den absoluten Spitzenfahrern konnte er noch nicht mithalten. Also suchte er seinen Rhythmus und kämpfte sich die Steigung hinauf. Oben angekommen schaute er sich seine Begleiter an. Pantani fuhr weiterhin an seinem Hinterrad, außerdem erkannte er Fahrer wie Gianni Bugno und Stefano della Santa, die ein gutes Frühjahr gehabt hatten und von Experten hoch eingeschätzte Leute wie Beat Zberg. Er hielt sich also bisher ganz gut und hatte auf dem nächsten Flachstück sogar die Chance etwas weiter nach vorne zu kommen. Trotzdem hatten ihm seine Schwierigkeiten an der Steigung gezeigt, dass es heute besser wäre, den Schlussanstieg zur Muur nicht in vollem Tempo zu fahren, sondern besser gemütlich auszurollen.

Auf dem Flachstück hatte eine kleine Gruppe um Totschnig zu Ulle aufschließen können und gemeinsam hatten sie nach und nach die enteilten Fahrer ein bis nur noch die sechsköpfige Spitzengruppe vor ihnen lag. Jalaberts Attacke war von Casagrande und Barbero gekontert worden, danach konnte noch ein Trio um Colombo, Rebellin und Richard aufschließen. Anschließend hatten sich Elli und Furlan für ihre Kapitäne aufgerieben, so dass der Vorsprung der Gruppe größer wurde. Nachdem die beiden Helfer sich entkräftet zurückfallen lassen mussten, blieb ein Sextett übrig, das eine Minuten Vorsprung auf die 25 Fahrer umfassende Gruppe um Ulle hatte. Er ging nun regelmäßig durch die Führung, um ein gutes Tempo in der Gruppe zu halten. Trotzdem war klar, dass die Sache höchstwahrscheinlich gegessen war, da die Gruppe an der Spitze zu gut besetzt war. Bartoli, der den Sprung nach vorne verpasst hatte, versuchte es zwar mit einer Verzweiflungsattacke, die aber wenig Erfolg hatte. Ulle verfolgte ihn im Stile eines Einzelzeitfahrers und erreichte ihn kurz vor der vorletzten Steigung, der Côte d’Ahin. Bartoli schaute sich entsetzt um und schien einen zu resignieren. Er ließ sich zurückfallen und ordnete sich am Ende der Gruppe ein. Obwohl Ulle eher Energie sparen wollte, verspürte er nun doch wieder die Motivation, die Grenzen seiner Gegner auszutesten. Ohne sich umzusehen erhöhte er die Trittfrequenz und legte an Tempo zu. Seinen Rhythmus hielt er bis zum Gipfel des Hügels, dann wagte er einen Blick nach hinten. Bartoli war ihm gefolgt, dazu kamen acht weitere Fahrer. Gemeinsam begaben sie sich nun auf die letzten Kilometer.

An der Muur de Huy hielten seine Gegner zunächst still, was Ulle dazu veranlasste, von der Spitze weg die Gruppe aufwärts zu führen. Auch als Bartoli und Sunderland zum finalen Angriff ansetzten, um sich den sechsten Platz zu sichern, blieb Ulle ruhig. Wenn es um den Sieg gegangen wäre, wäre er unter Umständen ans Limit gegangen, doch so ließ er die Ausreißer gewähren. Kurz später folgten Gonchenkov und Dominguez dem Vorbild des Duos und verabschiedeten sich ebenfalls nach vorne. Ulle dagegen fuhr ruhig den Anstieg hoch und genoss das Gefühl, relativ locker unter die besten 15 Fahrer eines Ardennenklassikers zu kommen. Auf dem Flachstück für der Muur hatte er festgestellt, dass Virenque und Pantani in seiner Gruppe fehlten. Er war also im Plan. Die letzten Meter zog er sein Tempo noch ein wenig an und überquerte als dritter in seiner Gruppe auf Platz 13 die Ziellinie. Unmittelbar danach orientierte er sich zu einer Videowand, die im Zielbereich aufgestellt war und auf der gerade der letzte Kilometer der Spitzengruppe wiederholt wurde. Casagrande hatte 900 Meter vor dem Ziel die erste Attacke gesetzt, bei der nur noch Barbero, Colombo und Jalabert hinterher gingen, während Rebellin und Richard zurückfielen. Doch so einfach wollte sich Jalabert nicht geschlagen geben. Er schaffte es das Loch immer weiter zu verkleinern, bis er 300 Meter vor dem Ziel Casagrande erreichte und überholte. Doch dann schlug der Mann mit dem Hammer bei ihm zu. Er hatte sich wohl überanstrengt und blieb beinahe stehen. Das nutzte Casagrande, um zu kontern und wieder die Spitze zu übernehmen. Jalabert verlor nun noch einige Sekunden und wurde sogar noch von Barbero auf den dritten Platz verdrängt, während Casagrande seinen Sieg feiern konnte. Als er im Ziel ausgelassen jubelte, musste Ulle grinsen. Für Casagrande war es vielleicht ein wichtiger Sieg, die größten Rennen folgten aber erst. Dann würde Ulle gewinnen.

Ergebnis:
1.Francesco Casagrande 5h03:27
2.Sergio Barbero Mercatone Uno 0:05
3.Laurent Jalabert ONCE 0:07
4.Gabriele Colombo Batik 0:11
5.Pascal Richard Casino 0:19
6.Davide Rebellin FdJeux 0:37
7.Michele Bartoli MG Technogym 2:22
8.Scott Sunderland GAN s.t.
9.Alexandre Gontchenkov Roslotto 2:45
10.Juan Carlos Dominguez Kelme s.t.
13.Jan Ullrich Telekom 3:12




Frage an die Leser: Besteht Interesse an längeren Berichten über Lüttich, Amstel und Romandie (ohne Ulle&Ete), oder soll es eher schnell mit dem Henninger Turm (Ulle) und dem Giro weitergehen?

Benutzeravatar
Alejandro V.
Beiträge: 4718
Registriert: 9.4.2005 - 23:28
Kontaktdaten:

Beitrag: # 6773219Beitrag Alejandro V.
22.6.2009 - 18:14

Ich finde nicht, dass für diese Rennen bei dieser Konzeptionierung des AARs längere Berichte nötig sind. Stattdessen könntest du ja auf die Website zurückgreifen, die schon bei Paris-Nizza verwendet wurde.

Generell geällt mir der AAR weiterhin richtig gut und es macht trotz der langen Berichte immer sehr viel Spaß, hier zu lesen. Allerdings fände ich es schöner, wenn wieder ein oder zwei Screenshots pro Rennen eingestreut werden. Zum einen lockert das allgemein die Reportage ein bisschen auf, da man sich nicht reinen Textkolonnen gegenüber sieht. Zum anderen wären Motive wie Pantani, Ullrich und Virenque an der Mur de Huy (sofern es diese Attacke tatsächlich gab und nicht aus Spannungselementen mit eingebaut wurde) sicherlich zum einen nützlich, um schon einmal die Vorfreude auf die Tour zu wecken. Sonst gibt es von meiner Seite aus eigentlich nichts zu kritisieren!
Bill Simmons über den WAS-ATL-Trade: "There's only one silver lining: the chance that Bibby and Rashard Lewis will run their high screen in Washington and immediately get attacked by cadaver-sniffing dogs."

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6773676Beitrag Valverde3007
25.6.2009 - 15:52

Bild

Valverde3007
Beiträge: 1783
Registriert: 20.5.2006 - 11:53

Beitrag: # 6773761Beitrag Valverde3007
26.6.2009 - 12:26

Bild

Fus87
Beiträge: 589
Registriert: 15.5.2008 - 21:52

Beitrag: # 6773773Beitrag Fus87
26.6.2009 - 12:48

Immer wieder schön, über diese Zeiten zu lesen. Ich wusste z.B. gar nicht, dass Colombo damals so gut war.

Sehr hohes Niveau, Weiter so!

Benutzeravatar
Österreicher
Beiträge: 579
Registriert: 18.6.2007 - 16:09
Kontaktdaten:

Beitrag: # 6773786Beitrag Österreicher
26.6.2009 - 13:47

Jalabert ist wohl wirklich zu stark für den Rest.

Aber wie alle deine AARs bisher gefällt mir auch dieser wieder sehr gut. Weiter so! ;)
DanyHilarious
Bananen Sind Kalt. Echt?!.

Antworten