Jerdona Zeres [Vuelta 2007 - beendet]

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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arkon
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Beitrag: # 403808Beitrag arkon
6.1.2007 - 11:49

selbstredend...
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arkon
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Beitrag: # 404151Beitrag arkon
8.1.2007 - 9:18

Es war das erwartete große Schaulaufen. Alle waren da. Jerdona kam sich vor, wie ein Filmschauspieler auf dem Weg zur Oscarverleihung. Emanuel hatte ihnen eine große Limousine organisiert, natürlich nicht ohne ein Blitzen kindlicher Freude in seinen Augen, als der angeforderte Wagen dann auch am Flughafen bereitstand. Jerdona wäre alleine nie auf die Idee gekommen, aber war jetzt, als sie aus dem Wagen ausstiegen und wahrhaftig auf einem roten Teppich standen, doch ganz froh, dass sie nicht aus einem kleinen, klapprigen Mietwagen geklettert kamen!
Die jubelnde Menge, die blitzenden Kameras, all das gehörte zu seiner neuen Welt, aber so richtig daran gewöhnt hatte er sich immer noch nicht. Als Toursieger, dessen sportliche Zukunft im nächsten Jahr auch weiterhin unklar war, war er natürlich ein gefragter Interviewpartner. Zahlreiche Mikrofone und Kameras reckten sich ihm entgegen, und alles, was er ihnen auf die bohrenden Fragen entgegnen konnte, waren Vertröstungen auf später.
Drinnen war es etwas ruhiger. Er erkannte eine ganze Menge anderer Radprofis, prominente Gesichter, die er aber kaum erkannte, als sie sich ihm da in Anzug mit Hemd und Krawatte präsentierten. Sein Sitzplatz war ihm selbstverständlich zugewiesen worden, glücklicherweise zwischen Emanuel und Christoph Moreau, der heute Abend auch da war. Da sie in der ersten Reihe saßen, mussten sie noch eine ganze Reihe von Fotos und Fragen über sich ergehen lassen, bis die Veranstaltung endlich begann.
Zunächst kam die übliche Einführung, ein kurzes Resümee über die letzte Tour, allerdings mehr auf allgemeinem Niveau. Ein paar Namen fielen, aber nicht allzu viele. Jerdona musste seine Langeweile nicht unterdrücken, die Spannung, die sich im Raum breit machte, ergriff ihn gleichermaßen. Wie würde das Profil aussehen? Was war mit den Zeitfahren? Der Prolog? Die Berge? Es würde mit darüber entscheiden, ob eine Titelverteidigung überhaupt möglich war.
[...]
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arkon
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Beitrag: # 404308Beitrag arkon
8.1.2007 - 22:30

[...]„Der Prolog findet, wie schon im Vorfeld bekannt wurde, in London statt“ begann schließlich Prudhomme. „Der Prolog ist dieses Jahr wieder etwas länger und damit, genau genommen, die erste Etappe. Über 22 km schlängelt sich der Kurs durch London, vorbei an fast allen Sehenswürdigkeiten der Stadt. Los geht es in Greenwich, dann entlang der Themse…“
Prudhomme verlor sich ein wenig in der Beschreibung des Kurses. Die Radfahrer hörten desinteressiert weg, während die Journalisten fleißig mitschrieben. Fabian saß schon wieder vorne auf der Stuhlkante. Ein 22 km langer Prolog war eigentlich genau sein Ding. Keines dieser kurzen Dinger, auf denen man kaum etwas herausholen konnte. Hier waren schon echt seine Fähigkeiten als Zeitfahrer gefragt.
Es folgten die üblichen Flachetappen, erst in Großbritannien, dann in Frankreich. Jerdona hörte gelangweilt weg. Für ihn bedeuteten die ersten Tage ohnehin nur Limitierung des Schadens. Er würde versuchen, im Prolog alles zu geben und sich dann ohne Sturz durch Frankreich bis zu den Bergen zu schlagen. Erst da würde es für ihn interessant werden.
„Nach diesem leichten Einstieg in das Gebirge steht nun also die erste echte Prüfung bevor, der sich alle unterziehen müssen, die in der Gesamtwertung vorne mitspielen wollen: Die Etappe von Annemasse nach Les Arcs: Sie beginnt wie die klassische Morzine-Etappe, nur ohne den Joux-Plane und in umgekehrter Reihenfolge. Der Col de Colombiere, Col de Aravis und der Col de Saisies sind nur die Einstimmung auf ein Finale der Superlative. Zunächst gilt es mit dem Cormet de Roselend einen echten Giganten der Tourgeschichte zu überwinden. Dieser Berg ist mit unter den schwersten, die die Alpen zu bieten haben. Danach aber kommt die Krönung dieser ersten Prüfung: Der Anstieg hinauf nach Les Arcs 2000.“ Prudhomme fuchtelte ausufernd mit seinen Armen umher und
„Hier, an dieser Stelle endete 1996 die Ära Indurain, ebenfalls nach der Anfahrt über der Roselend. Aber in dem Jahr, als der große Spanier einen Hungerast an den Hängen des Skiortes erlitt, standen den Fahrer nur die Qualen bis auf 1700 m, in den Ort selbst bevor. Dieses Jahr jedoch geht die Fahrt hinauf bis auf 2130 m. Eine wahrhaft eindrucksvolle erste Bergetappe, auf der schon wie damals gut eine Entscheidung fallen könnte.“
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Jerdona zog überrascht die Augenbrauen hoch. Das roch doch mal nach einer echten Prüfung. Zweifelsohne eine der schwersten Etappen der letzten Jahre. Und der Schlussanstieg… lang und hart, viel Abwechslung, so, wie er es mochte. Es musste auf diesen 25 Kilometer langen Mörderanstieg sicher ohne Ende Gelegenheiten geben, zu attackieren… Er verliebte sich augenblicklich in die Etappe. Den Sieg wollte er holen.
„Am nächsten Tag geht es direkt weiter mit dem kleinen historischen Ausflug in das Jahr 1996: Das Bergzeitfahren von Bourg-Saint-Maurice nach Val-d'Isere stand auch damals am nächsten Tag an: Es ist kein reines Bergzeitfahren, sondern eher ein Kurs, der dem stärksten Fahrer zu gute kommt. Es gibt einige flache Passagen, die sich mit den steilen Stellen abwechseln. Die reinen Zeitfahrer haben sicher keine Chance, um den Sieg mit zu fahren, aber die Bergfahrer, die gestern mithalten konnten und im Zeitfahren stark sind, können sich heute sicher einen dicken Vorsprung herausfahren.“
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Fabian musste unwillkürlich in sich hinein grinsen: Wer sonst könnte damit gemeint sein als er? Vielleicht Ullrich, Basso und dergleichen. Aber als er das Profil sah… Auf dieser Strecke würde er sicher das ein oder andere Mal trainieren. Sein Ehrgeiz war geweckt.
„Der nächste Tag ist ein Ruhetag und wird gleichzeitig zum nicht sehr weiten Transfer nach Sestriere genutzt werden. Ein idealer Weg, um seine Beine mit ein oder zwei Pässen nicht einschlafen zu lassen.
Zum Abschluss reicht der Veranstalter dann noch eine Etappe von Sestriere nach Albertville. Dabei geht es zunächst über den kleineren Col de Montgenevre, von Italien nach Frankreich. Dann folgt die lange Anfahrt hinauf zum Col du Galibier, einmal mehr das Dach der Tour und damit der Ort ‚Souvenir Henry Desgrange’. Es folgt der Col du Madeleine, womit zwei der schwersten Berge der Alpen und vielleicht sogar ganz Frankreichs in einer Etappe zusammen befahren werden. Trotz der flachen Zielankunft dürfte hier also viel Spielraum gegeben sein, um auch im Gesamtklassement noch etwas zu bewegen. Es wird die letzte Chance sein für einige Zeit, denn nach diesen drei Etappen verlässt das Feld die Alpen und macht sich auf den Weg zu den Pyrenäen.“
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Es folgte eine etwas zähe Beschreibung der Übergangetappen. Von Tallard nach Marseille, nach Montpellier, nach Castres, und schließlich nach Toulouse. Von hier aus stand dann der Einstieg in die Pyrenäen an.
„Die erste Pyrenäenprüfung führt uns nach Andorra. Durch das Ariège-Tal geht es hinauf zum Port de Envalira, wo die französische Grenze zu Andorra überschritten wird. In dem Zwergstaat wird dann keiner der klassischen Gipfel angefahren, auch der Anstieg hinauf nach Arcalis wird dieses Mal nicht Ziel des Abstechers sein. Diesmal mal wird der kleine Anstieg nach Els Cortals in Angriff genommen. Nach einem solchen gigantischen Gipfel wie dem Envalira nur ein Hügel, aber möglicherweise ein entscheidender.“
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Diese Etappe war etwas komisch. Schwierig zu kontrollieren, sollte er bis dahin schon in Gelb fahren, gut zum Angreifen, aber schwierig einzuschätzen. Wo die Attacke setzen? Konnte man ohne Mitstreiter Erfolg haben? Außerdem würde man sicher Kraft für die nächsten Tage brauchen. Ein Tag, um sich abzutasten und zu sehen, wer auf den nächsten Etappen die Entscheidung möglicherweise herbeiführen würde.
„Als nächste Herausforderung wartet auf die Fahrer eine Etappe über 203 km und durch 3 Länder: Von Andorra aus geht es zunächst nach Spanien, über den Coll del Canto und dann hinauf über einen langen, aber nicht übermäßig steilen Anstieg zum Puerto de la Bonaigua: Über 1300 Höhenmeter verteilt auf fast 40 km. Dann kommt endlich über den Col du Portillon der Sprung zurück nach Frankreich. Hier wird dann auch das Finale stattfinden, wiederum ein Sprung zurück in die Geschichte der Tour: Den Anstieg nach Superbagnères, der im Jahre 1986 die Tour mit entschied, gilt es zu bewältigen. Ein historischer Ort, der 1989 zum letzten Mal Teil der großen Schleife war. Wir können gespannt sein, was bei dieser Ausgabe der Geschichte des Berges für Dramen hinzugefügt werden können.“
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Perfekt. Jerdona wusste schon, was er auf dieser Etappe vorhatte… Superbagnères war ein sehr unregelmäßiger Anstieg, immer wieder über 10%, wie gemacht für ihn. Und besonders so Fahrertypen wie Ullrich sollten hier ihre Probleme bekommen, seinem Tempodiktat zu folgen.
„Es folgt wieder ein Ruhetag, rechtzeitig vor dem krönenden Abschluss der Bergetappen dieser Tour: Es steht ein Ausflug in das Jahr 1999 an: St Gaudens nach Piau Engaly, damals Ort des ersten und einzigen Etappensieges bei der Tour von Fernando Escartin. Mit einer ganzen Reihe mittlerer Gipfel ein Teilstück wie gemacht für ein Solo, welches wir damals auch geboten bekamen. Für die Kletterspezialisten, die noch eine Rechnung offen haben, eine tolle Chance, noch etwas an dem Klassement zu drehen.“
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Das war eine Etappe, wie er sie überhaupt nicht abhaben konnte. Fabian wurde schon beim Gedanken, sich hier verteidigen zu müssen, schlecht. Ein Schlussanstieg, der aussah wie die Zahnleiste von Frankensteins Monster, davor mehr Hügel als beim Amstel Gold Race. Wer hier attackierte, musste stark sein. Aber wir hier verteidigen würde, brauchte ein exzellentes Team und Drahtseile als Nerven. Nicht unbedingt etwas, auf das er sich freute.
Es folgten zwei Flachetappen vor dem abschließenden Zeitfahren, dem einzigen langen, flachen bei dieser Tour. Hier würde er sich dann wirklich zu Hause fühlen… Insgesamt ein Parcours, bei dem er weniger Vorteile hatte als dieses Jahr. Die Berge waren schon bissiger, besonders die Pyrenäen hatten zugelegt. Aber er hatte schon schlimmere Rundfahrten gesehen und auch selber gefahren. Das Bergzeitfahren war für ihn die spannendste Etappe, da konnte er die Tour gewinnen oder verlieren. Im weiteren Verlauf würde er mehr auf eine Schwäche der Gegner hoffen müssen… Es war nicht sein Parcours. Er brauchte wohl noch mindestens ein Jahr, bis er bei der Tour ganz nach vorne würde fahren können. Aber er hatte ja noch einige Jahre vor sich, in denen er sich würde entwickeln können…
Für Jerdona hingegen waren die Aussichten rosig. Wenn er es dieses Jahr mit zwei Zeitfahren und leichteren Bergen geschafft hatte, dann würde er es dieses Jahr erst recht schaffen. Und mindestens drei der Bergetappen gefielen ihm gleich außerordentlich gut. Selbst wenn er also im Bergzeitfahren eine Menge Zeit verlieren würde, hätte er noch eine Menge Chancen, das Blatt noch zu drehen.
So, die Überraschung ist mir hoffentlich gelungen. Allerdings kann ich euch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mit meinem Tourpack erfreuen: Einige Etappen sind nicht fertig und der AAR muss weitergehen, trotz meiner zeitlichen defizite als stage-designer. wenn alles nach plan geht werdet ihr aber zum start der tour in diesem aar ein pack als custom-tour von mir vorliegen haben, auf der dann jeder begeisterte fan (ja, ihr heerscharen, strömt hinzu!) das ding nachspielen kann. die db könnt ihr euch selber basteln, meine gibts eh nie (ich lass mir nicht in die karten schauen... *g*).
für die stages gehen schonmal credits raus an:
- svam, aus dessen 'Tour de Alpes' ich die Galibier/Madelaine-Etappe stibizt habe. das profil ist von ihm, das design ist von mir und entsteht gerade...
- zwei unbekannten künstlern, aus deren federn die historischen profile für das bergzeitfahren und das die 99'er etappe stammen.


Edit: Das Tourpack ist fertig und steht unter http://user.cs.tu-berlin.de/~jpeters/aa ... 7arkon.rar zum download bereit. viel spass damit!
Zuletzt geändert von arkon am 31.1.2007 - 0:52, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag: # 404319Beitrag Grabba
8.1.2007 - 23:22

Genial. Echt mal, das ist eine Tour, wie ich sie mir von der ASO wirklich wünschen würde. Ich freue mich auf jeden Fall schon auf diese Custom Tour, die ich ganz sicherlich fahren werde. Man darf wirklich gespannt sein, wie diese Tour verlaufen wird.

Ich weiß echt nicht, was ich noch groß sagen soll, aber mit dieser Tourvorstellung, die auch sprachlich wieder mal außerordentlich genial gelungen ist, topst du meines Erachtens wirklich alles bisher an AAR Geschriebene. Mehr als beeindruckend.

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Beitrag: # 404681Beitrag arkon
11.1.2007 - 14:12

Für ihn persönlich war die Entscheidung weder schwer noch schwer abzusehen gewesen. Aber er hatte den anderen Mitbewerbern eine Gelegenheit einräumen wollen, ihn mit guten Angeboten zu ködern. Dabei herumgekommen war nicht viel. Die endgültige Entscheidung zwischen T-Mobile und Gerolsteiner war dann doch etwas in die Länge gezogen worden, aber das neue Führungsduo an der Spitze des größten deutschen Rennstalls hatte ihn schließlich dann doch begeistern können: Er würde im nächsten Jahr für T-Mobile fahren.
Jetzt rückblickend kam es ihm fast etwas langweilig vor: Er hatte die Möglichkeit gehabt, für CSC zu fahren, für Discovery Channel. Zwei der besten Teams der Welt hatten bei ihm angeklopft, aber er hatte ihnen beiden einen Korb gegeben für eine Mannschaft, die in der Vergangenheit wie keine zweite als Talentvernichter in der Kritik gestanden hatte. Aber Rolf Aldag und Bob Stapleton hatten ihn von ihrem Konzept überzeugen können.
Beginnen würde für ihn alles in absehbarer Zeit mit einigen Trainingslagern mit der neuen Equipe zusammen. Südafrika, Mallorca, private Einheiten mit einzelnen Fahrern: Es würde ihm nicht an Gesellschaft für die eigentlich eher langweiligen Winterausfahrten fehlen. Aber vorher musste er noch etwas anderes erledigen…
Mittlerweile hatte sich bei ihm eine gewisse Vorfreude eingestellt, wie immer, wenn er ein neues Fahrrad zu sehen und zu fahren bekommen würde. Die Räder von Giant würden erst im Laufe der nächsten Woche zu Verfügung stehen, sie mussten schließlich speziell auf seine Maße angefertigt werden. Somit hatte er einen realen Bedarf an einem neuen Zeitfahrrad. Er erwartete nicht unbedingt, dass ihn hier draußen, im Schwabenland, der Weisheit letzten Schluss in Sachen Fahrradbau finden würde, aber es war allemal einen Versuch wert.
Er musste zweimal umsteigen, bis ihn die Bahn, die über eine Eingleisige Nebenstrecke rumpelte, absetzen konnte. „Bad Schussenried“ lass er. So ähnlich musste das Ende der Welt aussehen. Auf dem Bahnsteig kam ein Mann auf ihn zu. Das musste Michael Zaun sein. Er war groß, breit gebaut, nicht unbedingt der typische Wissenschaftler. Ein raues Gesicht, beherrscht von einer unförmig großen Nase, stak aus einer Kapuze hervor. Der Anorak, der alles andere als modisch war, dafür aber sicher höllisch praktisch, war das einzige, das ihn als Ingenieur auswies. Sie begrüßten sich mit Handschlag.
Die Fahrt im Auto dauerte gerade einmal 15 Minuten, aber sie führte über herbstliche, leere Landschaften. Abgeerntete Felder, kahle Bäume, grauer Himmel. Es war alles andere als gemütlich draußen. Umso verdutzter schaute Fabian, als sie schließlich vor einem hellen, freundlichen Haus hielten. Er hatte eine kleine Absteige, einen Hinterhof erwartet, in dem Michael Zaun an irgendwelchen Rahmen herumfeilte. Als ihn dann auch noch eine Frau Zaun begrüßte, als er das Haus betrat, musste er seine Vorurteile erst einmal über Bord werfen. Ein kurzer Plausch, Fabian würde doch zum Mittagessen bleiben, ja gerne. Dann gingen sie endlich hinab, in das wahre Reich des Nachwuchsingenieurs.
Hier sah es in etwa so aus, wie der frischgebackene T-Mobile-Kapitän es erwartet hatte: Werkbänke aus unbehandeltem Holz, selbstgezimmert, überall hingen unbehandelte Karbon-Rahmen von der Decke. Das Werkzeug war ordentlich aufgeräumt, und in mehrfacher Ausführung jederzeit griffbereit an den Wänden. Halogenlampen sorgten für eine taghelle Ausleuchtung der kleinen Werkstatt. In einer Ecke konnte er die Entwicklungsabteilung ausmachen: Mehrere Computer, dicke Kabelstränge, Sensoren und zahlreiche kompliziert aussehende Apparaturen aus schwarz lackiertem Metall. In einer anderen Ecke befand sich der einzige lackierte Rahmen im ganzen Zimmer.
Der Rahmen hing von der Decke an. Die eleganten, lang gezogenen Linien weckten sein Interesse. Langsam ging er darauf zu. Die weiße Lackierung wurde durch rote Linien ergänzt. Man konnte sehen, dass hier einige Mühe alleine schon in die optische Erscheinung gesteckt worden war.
„Ich nehme an, dass ist das Rad, um das es geht?“
„Ja, selbstverständlich“ Herr Zaun sprang etwas linkisch an die Seite seines Besuchers.
„Und was macht es so schnell?“ fragte der herausfordernd und konnte sehen, wie der Hausherr sich in seinem Element wieder fand.
„Wie sie sehen, habe ich eine Menge des üblichen Spielzeugs verbaut, das auch in normalen Zeitfahrrahmen vorkommt. Ich habe nur sehr wenig Zeit in einem Windkanal zur Verfügung, deswegen helfe ich mir mit Computern über mein Handicap hinweg.
Eines der wichtigen Verbesserungen meines Rades sehen sie hier, an den Vorderrädern: Wie ihnen sicherlich auffällt, fehlen die Schnellspanner“
„Keine Schnellspanner? Und wie soll man dann in einem Rennen das Rad wechseln?“
„Gar nicht“ kam die ziemlich direkte, knappe Antwort. „Man muss komplette Wechselräder mitführen. Nur ein Rad zu wechseln ist auf die schnelle nicht möglich. Die Schraube liegt etwas verborgen hier unter einer Plastikabdeckung“ Er wies auf eine kleine, schwarze Abdeckung an der Achse des Vorderrades.
„Hinten natürlich das gleiche. Wie sie hier weiter sehen verfügt das Rad nur über 5 Ritzel. Das ist natürlich besonders für einen Fahrertyp wie sie es sind eine Einschränkung, aber glauben sie mir, es lohnt sich, sogar für sie: Durch die geringere Breite auf der Hinterachse kann die Kette näher an den Rahmen heranrücken, wodurch ich auch das Tretlager schmaler bauen kann. Insgesamt eine sehr wichtige Verbesserung, welche die Aerodynamik im Bereich der Kette entscheidend verbessert.“
Fabian zog anerkennend die Augenbrauen hoch. Er war zwar nicht unbedingt überzeugt, dass sich das Weglassen von zwei der sieben Gänge auch bei einem Vielschalter wie ihm lohnte, aber es würde sicher eine Menge Spaß machen, das Prinzip in der Realität auszuprobieren.
„Der Rahmen selbst ist mein größtes Kunstwerk. Sehen sie, die meisten Hersteller rennen zur NASA, zu Boeing, zu Airbus, zu Autoherstellern und vielem mehr, nur, um das beste, teuerste, stabilste und leichteste Karbon der Welt verbauen zu können. Ich kenne mich in diesem Bereich aus und habe jahrelang nicht verstanden, warum sie so versessen darauf sind. Ich verstehe es auch heute noch nicht, werde aber nicht müde, darüber zu rätseln.
Mein Rad geht andere Wege. Sie wissen sicherlich, warum ein Strohhalm so stabil ist? Richtig, er gibt nach. Das tut mein Rad auch. Der gesamte Rahmen befindet sich in einer Art labilem Gleichgewicht. Das heißt: Der Rahmen fängt die Stöße nicht auf und muss dabei erhebliche Menge mechanischer Verformungsenergie selber kompensieren, vielmehr federt er eine große Menge ab und leitet den Rest weiter. Das Karbon, das ich verbaue, braucht damit natürlich auch nicht ganz so schwer zu sein wie das gewöhnliche, es wird weniger Material von einem leichten Werkstoff verbaut, und das Rad übersteht trotzdem größere Belastungen. Natürlich schwingt der Rahmen leicht, beispielsweise wenn sie aus einer Kurve heraus beschleunigen. Aber solange sie hauptsächlich ruhig auf der Maschine sitzen und treten werden sie es kaum bemerken. Das Fahrgefühl ist schon ein anderes, und ich habe deswegen einige Leute das Rad Probe fahren lassen: Es ist gewöhnungsbedürftig, aber durchaus zu meistern. Zu einer endgültigen Beurteilung bräuchte ich jedoch das Urteil eines Profis, was einer der Gründe ist, weshalb sie hier sind.“
Fabian sah ihn erstaunt an. Er hatte erwartet, sich hier Reden über Aerodynamik anhören zu müssen. Aber das, was ihm der Ingenieur da erzählte, hörte sich alles andere als trocken an. Er schien sich wirklich erheblich viele Gedanken um Fahrräder gemacht zu haben. Wie würde sich diese Maschine bloß fahren?
„Natürlich gibt es noch andere Gimmicks an dem Rahmen. Zum Beispiel sind die Brems- und Schaltzüge komplett im inneren verlegt. Das ist natürlich ein bisschen kniffelig, besonders am Steuerrohr. Aber es gibt im Inneren Aussparungen, durch welche die Züge geführt werden. Der maximale Winkel, in dem man lenken kann, verringert sich natürlich, aber das ist in einem normalen Zeitfahren irrelevant.“
Jetzt war er es, der wie ein kleiner Junge an Weihnachten um das Fahrrad herumging und die Details mit großen Augen betrachtete. Zum Beispiel die Bremsblöcke, die vorne dicht hinter der Gabel lagen und von einer kleinen Plastikabdeckung abgeschirmt wurde. Oder das Tretlager, das wesentlich enger als bei seinem alten Rad war und scheinbar wie in einem Fluss in den Hinterbau überging. Es war wunderschön. Jedenfalls so schön, wie ein Zeitfahrrad werden konnte.
„Kann ich es mal Probe fahren?“
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MichelinR
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Beitrag: # 404712Beitrag MichelinR
11.1.2007 - 15:03

Wow, viel mehr fällt mir hier nicht ein. Selten einen so tollen Bericht neben den Rennen gelesen, der Schreibstil ist genial, man kann sich alles vorstellen. Unglaublich. Die Situation bei T-Mobile ist sicher was neues und ich finde es gut, dass Jerdona und Fabian nicht beim gleichen Team fahren. Weiter so, dass Schreibtempo ist in letzter Zeit super und die Länge mancher Beiträge super. Man möchte unbedingt wissen wie es weiter geht. Hut ab!

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arkon
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Beitrag: # 405002Beitrag arkon
13.1.2007 - 13:52

Langsam ging es darum, mit dem Training zu beginnen. Jerdona wusste sehr genau, das es gerade für Toursieger ein kritischer Moment war. Ullrich war nur das populärste Beispiel. Aber für jeden Gewinner der vergangenen Saison war der Moment, in dem man wieder hart fahren musste, der wahre Prüfstein. Nur, wer jetzt die gleiche Motivation aufbringen konnte wie in der Woche vor der Tour konnte sich erhoffen, sein Leistungsniveau zu halten.
Und Jerdona wusste, das es für ihn verdammt hart werden würde. Er hatte ein paar Kilos zuviel, was an für sich ja noch normal war. Aber auf der anderen Seite war er es gewohnt, ganz vorne zu fahren. Das letzte Mal, als er in einem Rennen gefahren war, war das immerhin der Fall gewesen. Aber jetzt musste er sich wieder in Geduld üben, Kilometer für Kilometer runterspulen und mit ansehen, wie seine Teamgefährten besser in Form kamen, hoffentlich. Denn er würde später in die Saison starten.
Bei Kelme-Euskadi war man allgemein der Auffassung, dass er als der Kapitän solche Entscheidungen übernehmen sollte. Das Team würde ohnehin in den Ort fahren, den er wählte. Dabei aber seine eigenen Wünsche auszuleben wäre unprofessionell und für das Team nur schwerlich von Vorteil gewesen. Er seufzte. Eigentlich war er nie gut in solchen Dingen gewesen. Eine Führerpersönlichkeit sein, Verantwortung für andere übernehmen. Die letzten Jahre hatte er sich immer selber durchbeißen müssen und die Bevormundung durch Manager, erfahrenere Teamkollegen, Trainer… Seine Aufgabe bestand eigentlich immer nur darin, aufzupassen, zu folgen und gegen die Mauern anzurennen. Auch bei Credit Agricole hatte er zwar einige Entscheidungen selber treffen müssen, aber nur für sich und selbst diese nicht in Hülle und Fülle. Man hatte ihn unterstützt in den wichtigen Punkten bis zur Tour, aber ihm das meiste abgenommen.
Hier würde das anders werden: Die geteilte Teamleitung, die noch nicht verwachsenen Strukturen hinter der Bühne, das fehlende Gesamtbild und –Konzept, all das arbeitete gegen einen schnellen Entscheidungsfluss. Und als Fahrerkapitän war es eigentlich relativ klar seine Aufgabe, an dieser Lücke anzusetzen und Initiative zu übernehmen. Es mussten Rennen verteilt, Helfer bestimmt, Ziele gesetzt, Material gefunden, Fahrer aussortiert, ein Hauptquartier gefunden werden. Vieles war schlicht und ergreifend doppelt vorhanden, in vielen Fällen wurde einfach mehr oder weniger willkürlich eines genommen. Der Euskaltel-Arzt, die Kelme-Reifen, Euskaltel-Autos, Kelme-Helme (das Wortspiel war einfach zu eingängig, um darauf zu verzichten). Meistens wurde nicht abgewogen sondern entschieden. Jerdona griff sich alles, was er lieb gewonnen hatte und dem er vertraute und schuf zumindest für sich selber ein Umfeld, in dem er gut arbeiten konnte.
Die kleinen Fahrer hatten dieses Privileg natürlich nicht. Das führte zum Beispiel schon zu den Problemen, dass man sich an neue Tachometer gewöhnen musste. Die meisten verwendeten einfach ihre alten weiter. Ähnlich wurde auch bei den Schuhen, Pedalen, Tretlagern und vielem mehr verfahren. Veränderung war zwar gut, aber zu viel raubte den Fahrern einfach die Konzentration. Und während sie also trainieren sollten, schraubten viele immer noch an den Rädern herum. Alleine, weil der Mechaniker die Technik oft noch schlechter kannte. Er war schließlich anderes Material gewöhnt.
Mit dem Trainingslager bekam Jerdona also nun die Chance zu gespielt, selber für Ordnung zu sorgen. Gemeinsam mit Emanuel setzte er sich hin und ging erst einmal seine eigene Saisonplanung durch: Die Tour natürlich an erster Stelle, die Vuelta in Reserve. Das Double war ein Ziel, für das er kämpfen würde. Aber natürlich war das nur das grobe Grundgerüst: Die Frühjahrsklassiker waren wieder nicht vertreten, zu groß das Risiko, durch einen frühen Formhöhepunkt Körner für die Tour zu verschießen. Die Dauphine, respektive die Tour de Suisse, davor noch einige kleinere Rennen, die spanische Meisterschaft.
Das kritische Moment war, die Mannschaft für die Tour zusammen zu stellen und einzuschwören. Im letzten Jahr hatte das recht gut funktioniert, aber mit einem neuen Team war das natürlich etwas völlig anderes. Und ohne die entsprechende Unterstützung nützte ihm auch der beste Formaufbau nichts. Damit kamen sie mitten in die Detaillarbeit hinein: Ein erstes Teamfindungscamp, Formbestimmungen, erste Streckenbesichtigungen, weitere Formaufbaucamps, abschließende Runden auf der Tourstrecke… sie hatten eine Menge Optionen und schon eine grobe Ahnung…
Eine andere Sache war die Fahrerplanung. Lange hatte er zusammen mit Emanuel rumgerätselt, wie die beiden Kader am besten zusammen passen könnten, auch in finanzieller Hinsicht. Schließlich hatten sie ihr Traumrezept zusammen und hatten es an die neue Teamleitung geschickt. Dort, zu Überraschung und Enttäuschung des Kapitäns, hatte man das Blatt Papier gleich wieder in den Mülleimer gesteckt. Offensichtlich wollte man direkt ein Zeichen setzen, dass Jerdona zwar der beste Fahrer war, aber nicht die Teamleitung ersetzen konnte. Gerade nach der Anfrage für die Trainingslager war es ein unerwarteter Rückschlag im Kampf um die Macht im Team. Der hatte nämlich schon längst bekommen: Julian Gorospe und Vicente Belda waren die beiden Köpfe der Teams gewesen, vor dem Zusammenschluss. Durch Druck der Sponsoren, insbesondere von Kelme, war Julian Gorospe zum neuen Manager ernannt worden. Belda war durch seine Verstrickungen in die früheren Dopingaffären im Team zu unpopulär, um den Posten offiziell zu bekleiden. So hatte man ihn einfach im Team behalten, unter der schönen Bezeichnung „Assistent in radsportlichen Belangen“ und ihm einige Freiheiten, besonders im Umgang mit den Fahrern, gegeben. Seine Fähigkeiten als Talent-Förderer und Entdecker waren legendär, und um keinen Preis wollte man eine so wertvolle Ressource des Teams wegschenken. Damit aber war den Streitigkeiten Tür und Tor geöffnet: Beide wollten entscheiden, beide wollten Macht. Und als dann noch der Vorstand des baskischen Radsportfonds, aus dem die Gelder für den ‚Euskadi’ Aufdruck auf den Trikots kam, im Vorhaben, den Streit zu schlichten, Jerdona Zeres mit in die Führung einbeziehen wollte, war es um die Ordnung im Team geschehen.
Bislang trug sich das Chaos auf Ebenen zu, von denen Jerdona nichts mit bekam, aber schon alleine die offensichtliche Diskrepanz zwischen der Aufforderung, sich um die Trainingslager zu kümmern, und die Ignorierung seines Vorschlags Betreff des neuen Kaders ließ die Probleme erkennen.
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arkon
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Beitrag: # 405241Beitrag arkon
14.1.2007 - 23:00

Er hatte nie für möglich gehalten, sich so auf den Trainingsbeginn zu freuen. Aber seit Fabian von der Saison mehr erwarten konnte als nur durch Zufall einmal ins Rampenlicht zu fahren, wusste er auch, wofür es sich zu kämpfen lohnte.
Er musste grinsen, als er aus dem Flugzeugfenster heraus Mallorca erkennen konnte. Eine typische, grau-braune Insel im spanischen Mittelmeer. Ein sprichwörtliches Mekka für deutsche Billigurlauber. Ein fast ebenso starker Anziehungspunkt für Radsportler. Und für ihn eine ideale Trainingsumgebung, jedenfalls für die nächsten Wochen.
Linus Gerdemann neben ihm wollte auch rausschauen, aber sein Gurt hielt ihn zurück. Fabian beugte sich nach vorne, damit sein Mannschaftskollege auch heraus schauen konnte. Gemeinsam mit Patrick Sinkewitz und noch ein paar anderen jungen Fahrern aus der Magentatruppe würden sie hier ihr intensives Training hin zum Saisonstart beginnen. Für die meisten seiner Mitstreiter würde es schon wesentlich früher ernst werden als für ihn: Er würde sich in diesem Jahr ganz auf die Tour vorbereiten, wodurch er das Frühjahr auslassen konnte. Der damit ausbleibende Druck, in Form zu kommen oder Erfolge einzufahren, kam ihm schon jetzt gelegen. Er durfte nur nicht riskieren, bis in den Juli den Anschluss zur Weltspitze zu Verlieren.
Vom Flughafen aus wurden sie von einem Teamfahrzeug abgeholt. Da nicht alle Platz hatten setzte er sich mit dem Rest in ein nahes Cafe. Es war ihm fast unbehaglich, dass er nun als Mannschaftskapitän den anderen übergeordnet war. Zum großen Teil waren sie wesentlich älter und hatten auch schon mehr Erfolge eingefahren als er. Vier Etappensiege bei der Tour, das war nicht wenig aber es fiel ihm schwer, sich selber als neuen Ullrich zu sehen. Hatte er es wirklich in sich? War er ein Anführer, ein Alphamännchen? Nachdenklich schlürfte er an seinem Cappuccino und lauschte mit einem Ohr den Blödeleien der anderen. Er musste zwar im Frühjahr keine Leistung bringen und würde während der Tour ein ganzes Team an seiner Seite haben, eines der Stärksten der Welt. Aber das damit ausgesprochene Vertrauen konnte nur er alleine rechtfertigen. Was ihn beschäftigte war nicht die Angst davor, selber zu versagen, sondern viel mehr sein Team zu enttäuschen, ihre Arbeit weg zu werfen.
Es gab für ihn momentan nur einen Weg, wie er das verhindern konnte: Arbeiten, hart Arbeiten. Seine Diät einhalten, seine Kilometer abfahren, Pausen machen, seine Form kontinuierlich steigern. Dann langsam der Einstieg in die Rennpraxis, vorsichtiges mitrollen, kein Verletzungsrisiko, das Training steigern, die Tourstrecke besichtigen und auswendig lernen, die Zeitfahrstrecken wirklich genau inspizieren, die letzten Vorbereitungsrennen mitfahren, die letzten Wochen und Tage noch einmal zum Formaufbau nutzen, keine Verletzungen mehr, ja keinen Infekt. Es hieß für ihn, Louise weniger und weniger zu sehen. Jetzt, wo sie gerade glücklich miteinander waren. Es hieß viel zu reisen. Es hieß, ab sofort kein Risiko mehr einzugehen. Er würde ein hartes, diszipliniertes Leben müssen. Das Leben eines Radprofis.
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Petacchi
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Beitrag: # 405290Beitrag Petacchi
15.1.2007 - 14:01

Echt geil du solltest dich mal als Autor versuchen (soweit noch nicht geschehen) Nur ein Tip von mir: Man kann Texte mit mehreren Absätzen besser lesen und kategorisieren. Ich gebe zu dass ich das bei meinen letzten Posts auch vernachlässigt habe, aber ich würde dir ans Herz legen einfach mal 2,3 Absätze zu machen. Natürlich sollte die Stelle schon geeignet sein :lol:
"In ihrem zweiten Leben sollten die Verantwortlichen von Cyanide Käfer züchten, so viele Bugs wie sie in ihre Spiele einbauen!"

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Beitrag: # 405368Beitrag arkon
15.1.2007 - 18:38

Fast musste er fluchen. Gerade hatte er mit dem Training begonnen, da musste er auch schon wieder eine Pause einlegen. Vorgestern hatte er zum ersten Mal eine Ausfahrt unternommen durch die vertrauten Hügel rund um Elgea herum. Er hatte es locker angehen lassen, war aber abends trotzdem geschafft gewesen wie seit langem nicht mehr. Gestern hatte er sich schon etwas mehr zu gemutet, aber er konnte schon deutlich spüren, das es noch eine lange Zeit dauern würde, bis er wieder auf sein altes Niveau zurück kehren würde.
Heute stand aber die Teampräsentation des neuen Rennstalls in Bilbao an. Bisher war so gut wie nichts nach draußen gesickert. Ungewöhnlich, dass Journalisten so unvorbereitet wie heute zu einer Pressekonferenz erschienen. Aber das konnte ihm nur Recht sein: Weniger dumme Fragen, mehr erstaunte Gesichter.
Er wurde durch einen Hintereingang in das Gebäude geführt, wo die anderen schon warteten. Haimar Zubeldia, Sammy Sanchez und viele andere Gesichter, die ihm noch gut vertraut waren aus ihrer gemeinsamen Zeit bei Euskaltel. Bei einigen war ihm der Abschied schwer gefallen, und froh, wieder in einem Team fahren zu können, umarmte man sich. Dann tauchte aus dem Hintergrund Julian Gorospe auf. Etwas unsicher, wie er sich verhalten sollte, stand er vor seinem alten Teamchef. Der Abschied im letzten Jahr war nicht im Streit geschehen, aber infolge mehrerer Konflikte. Es war nicht wirklich eine Feindschaft, die sie auseinander getrieben hatte, vielmehr die Einsicht, dass zwei Charaktere wie sie in einem Team nicht unbedingt Platz hatten. Jetzt aber sah das ganze anders aus. Jerdona war der Kapitän und hatte selber eine Menge zu sagen. Ob es gut gehen würde konnte noch keiner der beiden wirklich sagen.
Julian reichte ihm zur Begrüßung die Hand und Jerdona ergriff sie. „Willkommen zu Hause“ sagte sein neuer Teamchef. „Schön, wieder hier zu sein“ entgegnete er. Gorospe klopfte ihm noch einmal auf die Schulter, bevor er auf die Bühne kletterte.
„Meine Damen und Herren, schön, dass sie heute kommen konnten. Auf dieser Pressekonferenz werden wir über die Zukunft der Euskaltel-Euskadi Rennstalls reden. Wie sie sicherlich mitbekommen haben, hat aufgrund der Bestechungsaffäre der letzten Monate der Hauptsponsor Euskaltel seinen Hut genommen. Der Vertrag läuft zwar noch bis zum Ende der Saison, aber ab da steht unser Team ohne Geld da. Daher haben wir die letzte Zeit mit der Suche nach neuen Sponsoren verbracht. Dabei sind wir vor allem auf einen Partner gestoßen. Wie bereits durchgesickert ist werden wir unser Team fusionieren. Aber nicht mit Phonak, sondern mit einem anderen angeschlagenen spanischen Rennstall. Die Rede ist, wie sich manche sicher schon gedacht haben, von Communidad Valenciana. Das Team hatte ebenfalls den Absprung des Hauptsponsors zu beklagen, woraufhin ein Zusammenschluss zum ersten Mal zumindest eine gedankliche Option wurde. Als dann noch die Rückkehr des Ehemaligen Sponsors Kelme in den Radsport fest gemacht werden konnte, war das neue Team geboren. Meine Damen und Herren, es ist mir eine Freude, ihnen Kelme-Euskadi präsentieren zu können!“
Das Licht verlosch und auf einer Leinwand über Gorospe fing ein kleiner Werbefilm an zu laufen, auf denen die Fahrer des Teams in ihren neuen Trikots durch offensichtlich baskische Landstriche fuhren. Applaus am Ende des Films, der erste Akt schien geglückt.
Als nächstes präsentierte Julian das Trikot, das man schon im Film hatte sehen können: Es war an die klassische Kelme-Streifen-Optik angelehnt, hatte aber die baskischen Farben. Auch hier Applaus, irgendwo zwischen höflich und zurückhaltend. So recht wollte der Gedanke an das Kelme-Comeback doch noch nicht gefallen.
Bild
Nun aber kam der entscheidende Teil: Die Fahrer. Julian rief zunächst Haimar Zubeldia und Samuel Sanchez, die beiden stärksten Euskaltel-Fahrer der letzten Saison. Die Zuschauer, sichtlich erleichtert, das wenigstens der Kern des Teams aus den orangenen Publikumslieblingen bestehen würde, klatschen lauten Beifall.
„Und nun meine Damen und Herren darf ich ihnen den neuen Star des Teams präsentieren. Er ist der wohl beste baskische Radprofi derzeit. In diesem Jahr gewann er eindrucksvoll die Tour de France und fuhr bei der Vuelta a Espana auf einen hervorragenden dritten Platz. Sie haben seinen Namen natürlich längst erraten. Ich präsentiere ihnen Jerdona Zeres!“ Der letzte Satz war kaum mehr verständlich, als die Menge in kreischenden Jubel ausbrach. Im Hintergrund wurden baskische Fahnen geschwenkt. Die Journalisten, offensichtlich zwischen Radsportfans eingeklemmt, sahen sich etwas beunruhigt an, stimmten dann aber in den Jubel mit ein, als vorne Jerdona Zeres von der Seite da Podium betrat. Er trug, wie die anderen Fahrer auch, das neue Teamtrikot und winkte stolz in die Menge.
Die letzten Wochen hatte er sich den Rummel immer ganz gut vom Leib gehalten, aber nun stürzte er auf ihn herein. Seit der Siegesfeier in Bilbao nach der Vuelta hatte er keine größere Menschenmenge mehr gesehen, und die Wirkung überraschte ihn. Nach dem Stress der Saison hatte er nun genügend Abstand, um seinen Ruhm selber zu genießen. Und es war ein tolles Gefühl. Mit einem übergroßen Grinsen setzte er sich auf seinen Platz und stellte sich den Fragen der Reporter. Er war der Kapitän und würde seine Mannschaft zum Sieg führen. Dieser Gedanke breitete sich in seinem Kopf aus und wirkte wie eine Droge.
Nach und nach füllte sich das Podium und all seine Teamkollegen erschienen. Die Mannschaft bestand eigentlich aus dem alten Euskaltel-Team, das um einige wertvolle Fahrer aus dem Comunidad-Rennstall ergänzt wurde. Darunter befanden sich David Bernabeu, Eladio Jiménez, David Blanco, José Antonio Pecharromán und David Latasa. Yuri Madarkady war nicht im Kader, noch nicht, wie sich Jerdona ausdrückte, als ihn ein Reporter danach fragte. „Es gab größere Widerstände als erwartet auf allen Seiten. Aber das wichtigste ist, das er selber gerne mit mir in einem Team fahren würde. Der Rest wird sich noch ergeben“. Julian drückte das alles etwas vorsichtiger aus „Credit Agricole ist selbstverständlich daran interessiert, Yuri zu halten. Und er selber hat auch schon zahlreiche andere Angebote vorliegen. Er ist ein sehr talentierter Fahrer. Wir dagegen haben schon eine große Zahl an Talenten in unserem Rennstall. Vor allem finanziell sind uns damit schon große Fesseln angelegt.“ Jerdona verkniff sich eine Erwiderung. Er würde tun, was zu tun war.
Nach und nach wurden jetzt die wichtigsten Männer von hinter den Kulissen aufgerufen, höflich beklatscht und kaum registriert. Dann endlich war die Pressekonferenz vorbei. Noch hinter den Bühnen knöpfte sich Julian Jerdona vor.
„Was sollte das denn schon wieder? Hast du gar nichts gelernt? Du stellst mich schon wieder vor der Weltpresse bloß und untergräbst meine Autorität!“
„Ich habe sehr wohl etwas gelernt, und zwar, wie man die Tour gewinnt.“ Keifte Jerdona zurück „Ich bin deine Lokomotive für das nächste Jahr, und ich hole ins Team wen ich will. Halt dich lieber zurück, wenn du deinen Posten behalten willst!“
Noch bevor Julian etwas erwidern konnte stürmte schon ein Bekannter hinzu und beglückwünschte Gorospe zu dem tollen, neuen Posten. Jerdona wandte sich ab und ging. Er war vielleicht zu grob gewesen, aber auf der anderen Seite war Yuri ein wichtiger Faktor, wenn es um die Titelverteidigung ging. Er war nicht nur ein toller Fahrer, er war auch ein guter Freund. Und gerade jetzt, wo es so ruppig um ihn herum wurde, brauchte er ein stabiles Umfeld.
Noch bevor er das Gebäude verlassen hatte kehrte er um. Er zerrte Julian beiseite, der im Smalltalk mit immer mehr Menschen verstrickt war. „Ich wollte dich nicht so hart angreifen, es tut mir leid. Aber ich brauche Yuri nun einmal“ entschuldigte er sich.
„Wir haben schlicht und ergreifend kein Geld mehr. Du bist ja nicht der einzige, der sich mit Wünschen an mich wendet. Der Sponsor, Vicente Belda, die Presse, die Basken, alle wollen sie mir vorschreiben, wen ich ins Team nehmen soll. Aber letztlich ist das meine Verantwortung wenn der Erfolg ausbleibt. Der Toursieg ist ja nicht das einzige Ziel, das uns gesteckt wird. Und mit einem Fahrer wie dir steigen einfach die Erwartungen.“
„Dann zahle ich ihn halt“
Eine Weile schaute ihn Gorospe ungläubig an. „Ok…“ Erwiderte er dann etwas lahm. „Wenn dir da so wichtig ist, scheint mir das die beste Lösung.“
Damit verabschiedeten sie sich und Jerdona stampfte ab. Super, dachte er bei sich, da komme ich in mein altes Team zurück und schon auf der ersten Pressekonferenz gibt es schon wieder Streit… Vielleicht war er einfach nicht dafür gemacht, unter anderen zu fahren?
Sorry, das es jetzt ein bisschen wie gedankenklau aussieht. aber ich denke, grad dadurch, das in dem once-milram-fall die entscheidende idee erst vor ein paar stunden gepostet wurde werden mir die meisten glauben, das ich meine trikots schon länger in der schublade hatte.
danke für ihre aufmerksamkeit
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Beitrag: # 405680Beitrag arkon
18.1.2007 - 0:17

Yuri Madarkady selbst war schon längst am trainieren. Es war ihm eigentlich egal, für wen er fahren würde. Er wollte nur gut fahren. Und dafür war er bereit, sich zu quälen. Sein Aufstieg kam ihm selber immer noch vor wie ein Märchen: Noch letztes Jahr hatte er in Russland trainiert, ohne Aussicht darauf, im Ausland Rennen fahren zu können. Und jetzt war er hier, wenn auch noch ohne Team, so doch mit fast sicherem Startplatz bei der Tour de France. Er war damals fast zufällig ausgewählt worden. Vielleicht, weil er unbekannt und doch nicht ganz unbegabt war. Er war als Vehikel erwählt worden, seinen ‚persönlichen Betreuer’ in ein ProTour-Team einzuschleusen. Erst mit der Bestechungsaffäre im Spätsommer war er seinen unliebsamen Schatten losgeworden und konnte sich wieder darauf konzentrieren, Rennen zu fahren. Und das würde er auch. Die Tatsache alleine, das sein Aufstieg so rasch von statten gegangen war verleitete ihn nicht zu der Annahme, das es so weitergehen würde. Auch war er nicht mit dem erreichten zufrieden: Er konnte mehr. Und das wollte und musste er zeigen. Und dieses Jahr war die beste Gelegenheit dazu.
Nach seinem Saisonende hatte er seine Koffer gepackt und war hierher gefahren, nach Nordfrankreich. Er drehte Runde um Runde, hatte gar nicht angefangen damit, sich eine Auszeit zu gönnen. Alleine schon die Aussicht darauf, im nächsten Jahr wieder ganz vorne mit reinhalten zu können beflügelte ihn. Natürlich musste er aufpassen, dass er sich nicht schon jetzt auspowerte und aufgrund der fehlenden Pause trocken lief, bevor die Saison überhaupt begonnen hatte. Sein Training konzentrierte sich derzeit auf eine allgemeine Grundausdauer. Die würde er brauchen, vor allem, da er noch keine Ahnung hatte, welche Rennen er bestreiten würde. Er hatte hier die Möglichkeit, auf seinen Touren die eine oder andere Strecke an Kopfsteinpflaster mit zu nehmen, aber das war nicht wirklich sein Terrain. Er war sehr an den Klassikern interessiert, aber aufgrund seiner fehlenden Erfahrung auf den Paves war er wohl dazu verdonnert in den Ardennen sein Glück zu suchen. Nach seinen nicht unerfreulichen Erfahrungen im Zeitfahren schätzte er seine Chancen nicht schlecht ein: Er war ein Allrounder, sogar im Sprint hatte er etwas zu sagen. Damit war er quasi prädestiniert für Klassiker. Rundfahrten… kamen für ihn erst einmal an zweiter Stelle. Vor allem, wenn er wieder mit Jerdona in einem Team fahren würde und bei den Rundfahrten selber maximal eine Helferrolle einnehmen konnte. Er wollte gewinnen. Selber.
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Beitrag: # 406045Beitrag arkon
20.1.2007 - 17:06

Das schlimmste waren die Lichter. So grell, das er Mühe hatte, die Augen nicht zuzukneifen, und so warm, das er in seinem Anzug schwitzte. Aber Jerdona fügte sich. Da hatte er schon viel schlimmere Sachen durchgemacht als ein Fotoshooting für Kelme.
Ein wenig geärgert hatte er sich natürlich schon, dass er wieder vom Training abkommandiert wurde. Er kam zurzeit nicht sonderlich viel zum Fahren. Vielleicht hätte er ein wenig früher anfangen sollen? Oder würde es reichen, wenn die Zeit, die er weniger hatte einfach mehr fuhr? Emanuel, er musste wieder mit ihm ein bisschen arbeiten. Sein persönlicher Trainer war in den letzten Tagen nicht so wirklich persönlich gewesen: Er hatte seine Ferien ein bisschen ausgedehnt, hier und da mit ein paar anderen Sportlern gearbeitet. Nach seinem Toursieg war natürlich auch Emanuel berühmt geworden. Auch daran würde er sich erst noch gewöhnen müssen.
Endlich, das Shooting war vorbei. Jetzt hatte er eine kleine Pause, bevor sie einen kleinen Spot drehen würden. Das wiederum fand er ganz lustig: Die Vorstellung, in Anzug und Krawatte auf einem Rennrad durch das Vorabendprogramm zu fahren gefiel ihm. Und er bekam ganz gut Geld von Kelme, obwohl sie schon das Team bezahlten. In diesem Zusammenhang wurde es ihm noch mehr zum Vorteil, sich bisher aus dem Werberummel draußen gehalten zu haben.
Als er so da saß, ein wenig nachdachte, den Anmerkungen des Regisseurs lauschte und einen Schluck Wasser trank kam ein sehr wichtig aussehender Mann hinzu. Er begrüßte ihn und stellte sich als Vincent Belda vor, der Verantwortliche für die Werbeabteilung von Kelme. Er zog Jerdona ein bisschen beiseite und begann das Gespräch zunächst mit ein bisschen Smalltalk. Nach der obligatorischen Einleitung, die Jerdona über sich ergehen ließ, kam sein Gegenüber dann aus der Deckung: „Ich habe mir die Pressekonferenz in Bilbao neulich angeschaut“.
„Und, hat es ihnen gefallen, wofür sie ihr Geld bezahlen?“
„Genau darum geht es: Ich bezahle das Geld, und zwar eine ganze Menge. Euskadi ist Pro-Forma noch als Sponsor mit aufgeführt, aber finanziell ist das Team vor allem von Kelme abhängig. Und damit letztlich von mir. Und mir gefällt eben nicht, was ich gesehen habe“ Der Plauderton war unmerklich einem harten, schneidendem Geschäftston gewichen. Jerdona konnte sich in diesem Moment sehr gut vorstellen, wie Vincent Belda seine Gegner schon alleine mit dem Klang seiner Stimme kaltstellen konnte. „Ich will ein harmonisches Team. Ich will ein gutes Team. Mir sind selbstverständlich ihre Streitigkeiten mit Julian Gorospe bekannt, und ich habe kein Interesse daran, diese alte Sache in meinem Team wieder auf die Tapete zu bringen. Verhalten sie sich ruhig und gewinnen sie, meinetwegen auch die Tour, die Vuelta und die Weltmeisterschaft. Aber wenn sie noch einmal das Klima im Team in Mitleidenschaft ziehen werden sie merken, wie dünn der Bonus als Kapitän doch ist.“ Als Belda geendet hatte, war seine Stimme schon fast ein züngeln gewesen. Die Assoziation mit einer Schlange lag nicht fern. Ein gefährlicher Gegner.
„Passen sie mal gut auf: Ich bin der Kapitän. Ich gewinne für sie. Ich sage, was ich will. Wenn sie mich feuern wollen: Nur zu! Ich finde ein neues Team innerhalb einer halben Woche und ihnen ist der beste Fahrer ihrer Mannschaft abgängig. Ohne mich ist ihr Kader ziemlich dürftig. B-Fahrer, Helfer. Potenzielle Sieger maximal in zweitklassigen Rennen, und selbst das bedarf einer Menge Glück. Mit mir haben sie, besonders mit dem Profil, den alten und neuen Tourchampion unter Vertrag. Also pissen sie mir nicht ans Bein!“
Ohne noch ein Wort oder eine Antwort abzuwarten zu verlieren schlenderte Jerdona wieder herüber zu den Fotografen und Stylisten, die ihn schon sehnsüchtig erwarteten.
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Exelero
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Beitrag: # 406066Beitrag Exelero
20.1.2007 - 20:26

Sehr geil geschrieben. Vorallem finde ich gut das Jerdona sich nicht unterkriegen lässt. Einfach Klasse, wie immer.

Barnetta
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Beitrag: # 406144Beitrag Barnetta
21.1.2007 - 12:39

Seine Art mit der Teramleitung umzugehen gleicht irgendwie Lance Armstrong seiner Art und Weise mit Journalisten umzugehen.
Ich find es klasse und es zeigt gut, dass der Radsport Typen braucht und keine "Ja-Sager".

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Beitrag: # 406162Beitrag arkon
21.1.2007 - 14:16

Es war wieder einmal längere Zeit her, das Tobias Jerdona das letzte Mal besucht hatte. Er las zwar einiges über seinen Freund, aber wirklich Zeit, sich persönlich zu sehen, konnten beide nur selten entbehren. Heute würden sie sich in Madrid über den Weg laufen: Tobias auf dem Flug nach Mallorca (der Direktflug wäre zwar günstiger gewesen, aber so konnte er Jerdona besuchen und musste die Touristen nicht ertragen), Jerdona zwischen zwei Terminen bei Sponsoren. Obwohl er nicht besonders viele Werbeverträge am laufen hatte musste er doch einiges tun, um diese am Leben zu erhalten. Unterm Strich investierte er auch mehr Arbeitszeit. Der Vorteil war schon rein optisch zu erkennen: Ein wenig abgehetzt kletterte Jerdona aus einem Taxi, blätterte dem Fahrer einige Scheine in die Hand und wartete gar nicht auf das Wechselgeld, sondern ging direkt herüber zum Cafe, wo Tobias schon auf ihn wartete.
Jerdona sah wirklich gehetzt aus. Seine üblicherweise sehr schlanke Figur war etwas aufgegangen, aber das war noch vor Beginn der eigentlichen Trainingsphase mehr als in Ordnung. Dennoch fiel es Tobias ins Auge, war ihm doch nur allzu deutlich noch das Bild aus dem vorigen Winter im Gedächtnis: Damals war Jerdona zwar auch einige Zeit aus dem Training heraus gekommen und hatte viel Stress gehabt. Zugelegt hatte er damals aber nur minimal.
„Wie ich sehe, lässt du’s dir gut gehen?“ meinte er, halb stichelnd, halb mahnend. Jerdona hatte dergleichen wohl schon erwartet und war es gewöhnt, denn er winkte routiniert ab „Tja, der Winter ist auch nicht mehr das, was er früher einmal war.“
Tobias versuchte, mit ihm eine Weile über Training- und Rennplanung zu reden, aber der Baske reagierte mehr entnervt. „Ich habe einfach zu wenig Zeit. Ich mache zwar ein Heidengeld und habe auch etwas für mein Bild in der Öffentlichkeit getan, aber mittlerweile sehne ich mich nach letztem Jahr zurück, als ich einfach in Ruhe trainieren konnte. Ich war zwar nicht unbekannt, aber zumindest in Elgea war ich alleine. Und diese ganzen verfluchten Werbeauftritte… Ich werde bei der nächsten Tour als Multimillionär starten.“
Erstaunt hob Tobias eine Augenbraue. Er hatte gehört, das Jerdona eine Menge Schotter verdiente, aber das er gleich in die vollen griff, noch bevor er sportlich sein ganzes Potential ausgeschöpft hatte, erstaunte ihn dennoch. Jerdona bemerkte die Reaktion mit einer gewissen Unzufriedenheit. Auf der einen Seite war es schön, viel Geld zu haben und damit wohl endgültig eine Sorge in seinem Leben hinter sich zu lassen. Aber auf der anderen Seite wollte er nie der Mensch sein, der sich mit seinen Millionen in andere Gesellschaften einkauft. Er mochte sein Leben, und auch wenn er sich verändern würde, das war ihm sehr wohl bewusst, so wollte er doch wenigstens sein Umfeld behalten. Und wenn es Tobias schon jetzt so halb erschrocken aufnahm… dabei wusste er noch nichts von der Zweistelligkeit der Millionenbeträge, die sich bis zur Tour wohl bei ihm ansammeln würden. Er war nun einmal der neue baskische Volksheld und wurde in ganz Spanien groß gefeiert. Wo er hinkam erkannte man ihn und gratulierte ihm auch zu seinen Siegen. Sein Auftritt bei der Vuelta hatte das Fass der ihm entgegenschlagenden Sympathie zum überlaufen gebracht und nun drohte er in dem entstehenden Strudel zu versinken.
„Es gibt sicherlich schlimmere Schicksale“ durchbrach Tobias die Stille. „Der Gegensatz macht wohl zum Ende des Jahres dicht. Das Geld geht langsam aus und die Redaktion will sich lieber in Ehren verabschieden als im Stillen zu sterben. Ich werde bei allen GT’s dabei sein. Wenn du noch Tribünenkarten für den Giro brauchst… “ Er grinste. „Ich werde sicherlich woanders unterkommen. Ich bin zwar nicht als fleißig bekannt, aber meine Stärken liegen auch in anderen Bereichen.“
Jerdona bekundete Mitgefühl und stellte die üblichen Nachfragen, aber es kam Tobias hölzern und unecht vor. Sein Freund war mit seinen Gedanken woanders. Aus dem jungen, unbeschwerten Jungen vom letzten Jahr war ein Superstar geworden, der noch zu unerfahren war, um mit dem Ruhm umgehen zu können.
„He, Jerdona, was hältst du von Urlaub? Ich weiß, du hast grad welchen gemacht und mehr als genug zu tun. Aber ich glaube, du hast ihn nötig. Nicht Ferien am Strand, sondern Ferien zum Radfahren. Du musst trainieren, nicht nur wegen deiner Form. Du musst dich ganz dringend bewegen und andere Sachen tun als nur am Schreibtisch sitzen und Fotos und Filme machen.“ Als Jerdona zögerte schob er nach „Ehrlich, du bist verkrampft, abgehetzt, du bist nicht mehr der alte. Und der alte hat immerhin die Tour gewonnen. Wen kümmert es, ob du mit einer oder vier Millionen an den Start gehst? Reich bist du allemal, und der beste Weg zu mehr Geld führt über den zweiten Toursieg.
Viele gute Fahrer haben die Tour gewonnen, aber nur den besten gelang die Titelverteidigung. Ich will ehrlich nicht mit ansehen müssen, wie du an den Zielen, die du dir selber schon als völlig selbstverständlich gesetzt hast, scheiterst. Nimm dir `ne Auszeit, finde dich wieder ein wenig selber und dann hast du auch den nötigen Respekt vor deinen Gegnern.“
Auch für ihn selber würde es nicht einfach werden, sich einfach ein, zwei Wochen frei zu nehmen, aber das musste er tun. Schon alleine, um seinem Freund beizustehen. Und noch bevor Jerdona antworten konnte Tobias an seinem Gesichtsausdruck ablesen, das er gewonnen hatte.
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Beitrag: # 406387Beitrag arkon
22.1.2007 - 19:52

Techniktraining. Zeitfahrtraining. Er war extra mit Michael Rogers nach Berlin gefahren, um hier in einem Windkanal zu arbeiten. Michael Zaun hatte sein Rad rechtzeitig fertig bekommen und war mit dem Kunstwerk und reichlich Werkzeug in einem Wohnmobil angereist. Seine Frau musste wirklich Nerven haben, um Sachen wie den Missbrauch des gemeinsamen Ferienmobils zu tolerieren. Aber ansonsten wäre sie wohl auch nie mit einem solchen Mann zusammen gekommen.
Er parkte sein Gefährt vor dem Gebäude. Drinnen fanden die Tests statt und dort schraubte er am Feintuning des Rades herum, draußen in seinem Wohnmobil feilte er nach jedem Dienstschluss auch an dem Rahmen selbst herum. Die eigentlichen Leiter der Tests von Giant ignorierte er fortwährend und legte sich auch ganz gerne mit ihnen an. So umging er sie einfach und schloss seinen Laptop direkt an den Rechner des Kanals an um die Daten direkt zu erhalten. Die Techniker des Weltkonzerns sahen es natürlich nicht gerne, dass der designierte Kapitän des Teams auf einer anderen Maschine fuhr, aber nach und nach trollten sie sich. Fabian selbst musste nur ein paar Mal einschreiten, was er auch entsprechend ungern tat.
In den Tests selber überraschte ihn das Rad: Es war leicht und fuhr sich angenehm, gerade über holprige Strecken, wo Michael Zaun jedoch jedes Mal fast einen Herzinfarkt bekam. Aber auch in Sachen Aerodynamik konnte es mit der übermächtigen Konkurrenz mithalten. Mehr und mehr interessierte sich auch Michael Rogers für das Gefährt, was den Konstrukteur nur noch mehr mit Stolz erfüllte: Hier standen 3 Weltmeistertitel im Zeitfahren versammelt und zogen sein Rad dem des Multimillionenkonzerns vor. Ganz so weit war es natürlich noch nicht: Michael Rogers drehte ein paar Runden auf dem Rad von Fabian, konnte sich aber nicht so recht für die Fahreigenschaften begeistern. Schließlich war es auch nicht auf ihn zugeschnitten.
Im Anschluss an die Windkanaltests machten sie noch einen Ausflug auf eine Radrennbahn: Hier sollte unter realen Bedingungen getestet werden, wie sich die verschiedenen erarbeiteten Optionen auswirkten. Schließlich musste in der Realität nicht nur auf einer Rolle immer geradeaus getreten werden. Hier taten sich wieder die Giant-Techniker hervor, indem sie mit einer wahren Materialschlacht ein Vielfaches mehr an Daten über ihr Rad herausbekamen.
Michael hätte auch gerne die Apparaturen zur Verfügung gehabt. Aber das Fragen brachte er schon nicht mit seinem Stolz überein, ganz davon abgesehen, dass er auch unbezahlbares Spezialequipment benötigt hätte, da ja die meisten Komponenten an seiner Maschine individuell angepasst waren.
So fuhr er mit Fabian zusammen einfach Stadtauswärts zu einer geraden, flachen Strecke. Hier richtete er Zeitmesspunkte ein und installierte am dem Rad einen Leistungsmesser. Drei Tage werkelten sie hier fleißig herum. Beide schliefen im Wohnwagen zwischen dem gesammelten Material, Werkzeug und Ersatzrahmen. Es war alles andere als angenehm, aber Fabian fühlte, wie sehr ihn diese Arbeit voranbrachte. Er hätte lieber einfach so Trainingskilometer abgerissen, ohne viel nachzudenken. Aber durch diese Arbeit wurde er auch schneller, und zwar auf einem Niveau, welches er mit Training nie würde erreichen können.
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Beitrag: # 406472Beitrag arkon
23.1.2007 - 14:20

Noch ein letzter, kurzer Anruf, bevor er seine gepackten Koffer in ein Taxi verfrachten würde. Er tastete noch einmal kurz nach seinem Flugticket in der Hosentasche. Die Wahl war schließlich auf Gran Canaria gefallen: Dort gab es Berge, die mehr als hoch genug waren, um seine Bergfähigkeiten zu trainieren. Es war vor allem nicht überlaufen von Touristen und Radfahrern so wie Mallorca. Und: Tobias konnte gut ausspannen.
Es war ihm erst etwas spät klar geworden, dass eigentlich auch sein Freund eine Gelegenheit brauchte, um auszuspannen, und ihm der Vorwand, für und mit Jerdona wegzufahren, gerade Recht kam. Die Probleme bei seiner Zeitung beunruhigten ihn schon ein wenig, obwohl er es nicht zeigen wollte. Die Anstellungen als Journalist, die auch direkt mit dem Radsport zu tun hatten, waren rar gesät und sehr begehrt. Es bedurfte nicht nur exzellenter Fertigkeiten und einwandfreier Reputationen, nicht nur einer Stelle, die überhaupt frei war. Hinzu kam noch der niemals zu unterschätzende Faktor Glück: Er musste einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Jerdona hoffte zwar das Beste für ihn, aber es sah bei weitem nicht so gut aus, wie Tobias es selber dargestellt hatte. Aber zunächst konnte er einem Menschen eine frohe Nachricht überbringen.
„Ja, Hallo Yuri, hier ist Jerdona“
Das Gespräch dauerte nicht sehr lange. Yuri hatte schon länger darauf gewartet und gehofft, das Jerdona ihm eine Stelle anbieten würde. Es war zwischen ihnen eine Art Versprechen gewesen, auch im nächsten Jahr im gleichen Rennstall zu fahren. Das er nicht direkt im Rennstall angestellt sein würde kümmerte ihn wenig: Er wollte hauptsächlich Rennen fahren. Überzeugt von seinem Talent war er sich sicher, früher oder später ohnehin abgeworben zu werden.
„Ist ja klasse. Ähm, mein Anwalt schickt dir die Tage einen Entwurf vom Vertrag zu. Ließ ihn dir gut durch. Ich fahre erstmal weg. Aber du kannst mich jederzeit erreichen. Einfach auf die Mailbox sprechen, ich ruf dich zurück. Änderungen am Vertrag sind wirklich drin. Und da ich weiß, das wir über das Geld nicht groß zu streiten brauchen sind die wichtigsten Punkte sowieso schon klar.“
„He danke, hört sich gut an. Dann trainier mal schön und wir sprechen uns die Tage.“
„Machs gut, bis dann“
So, jetzt konnte es wirklich losgehen.
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Beitrag: # 406584Beitrag arkon
24.1.2007 - 13:44

Der letzte Schritt in die Saison stand an: Das gemeinsame Trainingslager, während dem auch die Präsentation gegenüber der Presse stattfinden sollte. Für Schmidt und seine Trainingskollegen hieß das lediglich, dass sie in ein anderes Hotel umzogen und dort von früh bis spät von der Presse umlagert wurden. Warum die Fotografen nicht die vorigen Wochen wahrgenommen hatten, um an gute Fotos zu kommen, konnte er allerdings nicht sagen.
So durchlebten sie also eher stressige und im Bezug auf die Rennform unproduktivere Tage. Aber auf der anderen Seite war nun das ganze Team versammelt und Fabian konnte zahlreiche neue Gesichter kennen lernen. Dazu spaltete die Leitung den Kader in kleinere Gruppen von 5 bis 10 Mann auf, die getrennt die Ausfahrten bestritten. Ab und zu begleitete sie noch ein Auto mit Fotografen, aber üblicherweise waren sie bis auf das Begleitfahrzeug des Teams alleine unterwegs. Auch kein schlechtes Gefühl.
Durch das relativ lockere Tempo konnte er sich viel mit seinen Mannen unterhalten. Unter den neuen befanden sich eine ganze Reihe Fahrer, die gerne zur Tour würden, aber es wahrscheinlich nicht schaffen konnten. Die Mannschaft war zwar schwächer als die der letzten Jahre, aber es gab noch mehr als genug Leistungsträger. Und mit ihm gab es auch einen eindeutigen Kapitän.
Diese Rolle machte ihm zumindest während des gemeinsamen Trainingslagers viel Freude: Alle rissen sich um ihn, die Fotografen wuselten wie ein Schwarm Mücken um ihn herum, aber standen ihm eigentlich niemals im Weg. Offensichtlich hatte er eine Aura an sich, die sie wegstieß. Er bemühte sich wirklich, seine offene und freundliche Art an den Tag zu legen und so viele Menschen wie möglich kennen zu lernen, aber die Pressevertreter hätten einfach sein Zeitbudget gesprengt.
Louise Douar war nicht da. Leider. Sie hatte sich schon eine ganze Zeit nicht mehr gesehen. Aber wenn er wieder nach Europa durfte würde er sich bei ihr einquartieren. Sie telefonierten unregelmäßig aber häufig. Zeit hatte keiner von ihnen aber man musste sie sich eben einfach nehmen. Oft hatte Fabian während der Massage ein Headset im Ohr. Dort war er zwar nicht alleine, aber Eule, die alte T-Mobile Legende, galt als sehr vertrauenswürdig.
Der erste Teil des Jahres würde für ihn ein echter Motivationsfresser werden: Ewiges Training, wenig Renneinsätze und viele Streckenbesichtigungen der Tour. Nach den Erfahrungen der Vorjahre setzte man diesmal auf die Waffen der siegreichen Gegner: Es stand nicht nur ein einfaches Abfahren an; sie würden vielmehr ein paar Wochen lang nur in den Alpen und Pyrenäen trainieren. Zwei ehemalige Radprofis würden für das Team die Flachetappen abfahren, damit man auch dort vor unliebsamen Überraschungen gefeit war. Nach Armstrong, der dieses Spielchen mit der Zeit perfektioniert hatte, und Zeres, der im letzten Jahr ebenfalls seine Zeit mit dem Team in den Bergen verbracht hatte, war man motivierter denn je, sich diese Art der Vorbereitung zu eigen zu machen. Außerdem würde die Zeit als gratis Höhenlager fungieren.
Fabian Schmidt fühlte sich also wirklich gut umsorgt. Nur durchhalten musste er alleine.
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Barnetta
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Beitrag: # 406585Beitrag Barnetta
24.1.2007 - 13:47

Ich bin verdammt gespannt auf die Entwicklung von Fabian Schmidt.
Und durch deine Texte förderst du die Spannung nochmal auf extremste Art und Weise.

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Beitrag: # 406779Beitrag arkon
25.1.2007 - 15:11

Er fuhr einfach so drauflos. Er hatte zwar auch eine Karte dabei, aber er glaubte nicht, dass er sie brauchen würde. Er wollte nach oben, auf die Spitze der Insel, dem Pico de Las Nieves. Er war gestern schon hinauf gefahren, aber über eine andere Route. Heute wollte er es ohne Karte schaffen. Von Maspalomas, wo sie wohnten, fuhr er einfach ins innere der Insel hinein. Gestern hatte er absichtlich eine indirekte Route gewählt, damit er heute nicht über die gleiche Strecke fahren würde. Die Insel war nicht so groß, als das man sich ernsthaft würde verfahren können. Mit dem Fahrrad glaubte er, innerhalb von ein paar Stunden überall hinzugelangen.
Los ging es über einen Felskamm, gekrönt von einem Aussichtspunkt. Er hielt kurz an und stellte sich zu den Touristen, die von hier den Blick auf Maspalomas und das Meer genossen. Ein kurzer Schluck aus einer Trinkflasche und weiter ging es. Sein Tacho zeigte noch keine 10 Kilometer an, Zeit für ein wenig Action. Er bretterte eine kurze Abfahrt hinab, hinein in ein Tal. Die Straße, auf der er entlang fuhr, war voll von Inselrundfahrten. Immer wieder überholten ihn Busse und Autos. Einmal blieb ein Wagen auf gleicher Höhe und ein paar spanische Jugendliche, die ihn offensichtlich erkannt hatten, feuerten ihn zu einem kleinen Zwischensprint an.
Hinaus aus dem Tal zu einer zweiten Aussichtsplattform. Er war mittlerweile auf 900 Höhenmetern, war aber trotzdem erst 22 km gefahren. Lange Strecken mussten sich auf dieser Insel zwangsläufig wiederholen. Also weiter über einen kleinen Sattel, bevor er dann die nächste Steilwand in Angriff nehmen konnte. Die Straße war relativ gut ausgebaut und so konnte er hier ein gutes Tempo vorlegen. Immer wieder aufstehen, ein paar Meter den Berg hochsprinten, wieder setzen und das Tempo konsolidieren. Seine typische Fahrweise, mit der er während der Tour einen Verfolger nach dem anderen zermürbt hatte und aufgrund derer ihn viele mit Pantani verglichen war über den Winter zwar etwas eingeschlafen, aber immer noch vorhanden.
Die Strecke zog sich in einem stetigen auf und ab an den Hängen entlang, bis er schließlich das kleine Plateau erreichte, welches den höchsten Punkt der Insel markierte. Er kannte die Stelle von gestern. Die Aussicht war zwar nicht berauschend, aber davon hatte er auf der Fahrt hierher schon genügend mitbekommen. Knapp 50 Kilometer und 1700 Höhenmeter. Nicht schlecht. Das letzte Mal hatte er seine Tour mit einer Abfahrt nach Westen und einer Viertelumrundung der Insel komplettiert. Diesmal machte er sich nach Norden auf, von wo aus er eine halbe Runde um das Ferienparadies würde drehen müssen. Oder halt mit dem Bus abkürzen, grinste er in sich hinein.
Los ging es also mit der etwa 50 Kilometer langen Fahrt Richtung Norden nach Galdar. Dort würde er seine Trinkflaschen wieder auffüllen um dann seine bisher eher gemächliche Ausfahrt mit dem halben Umrundung der Insel zu einem würdigen Ende zu führen. Die Westküste bot eine spektakuläre, hügelige Route sehr dicht am Meer entlang. Und wenn er dann schließlich wieder sein Hotel erreichen würde war er wirklich reif für ein Bad im Pool. Aber soweit war er noch nicht.
Noch während er fuhr konnte er deutlich spüren, wie die Sonne ihren Zenit erreichte. Sein Schatten brannte sich vor ihm in den mittlerweile kochenden Asphalt. Ab und zu durchquerte er Teerlaken und konnte hinter sich deutlich die Spur seines eigenen Reifens erkennen. Bloß vorsichtig, schoss es ihm durch den Kopf. Auf ähnlichem Terrain war 2003 Joseba Beloki gestürzt, damals die größte baskische Tourhoffnung. Vorsichtig tastete er sich weiter und erreicht schließlich die Küste. In freudiger Erwartung der nahenden Pause legte er noch einen kurzen Sprint hinein in die Stadt ein.
Bei einem Cafe hielt er schließlich, parkte sein Fahrrad in einem Hinterzimmer, erfrischte sich kurz auf der Toilette und setzte sich mit einem großen Wasser und einer ordentlichen Portion Nudeln in die Sonne. Wieder einmal hatte er deutlich die positiveren Auswirkungen des berühmt seins zu spüren bekommen. Und als er hier im Schatten saß und mit geschlossenen Augen ein wenig dösen wollte setzten sich nach und nach immer wieder Leute zu ihm um kurz zu plauschen. Meistens bekam er nur Glückwünsche zu hören, für vergangenes, für zukünftiges. Ein Fan von Basso redete ihm hart in sein Gewissen, ein Moreau-Liebhaber schüttelte ihm die Hand wie dem lebendigen Gott. Das waren eben die nicht zu vermeidenden Auswirkungen. Aber an sich genoss er auch diesen Nebeneffekt. Es gab schließlich schlimmeres als nie alleine zu sein.
Als er dann fühlte, wie die Mittagshitze langsam wieder abklang, zog es ihn wieder hinaus. Er war bei weitem noch nicht genug gefahren und hatte sich für die Tage hier viel vorgenommen. Er bedankte sich und verschwand mit zwei vollen Wasserflaschen in Richtung Heimat. Tobias würde wohl immer noch im Hotel auf einer Liege herumdösen. Oder war er wieder einmal kurz in das Meer gesprungen? Oder kurierte er immer noch seinen Kater von gestern im dunklen Hotelzimmer aus?
Die Rückfahrt war viel spektakulärer: Er fuhr stetig an der Küste entlang, auf einer sich immerfort windenden Straße. Mal fiel sie bis auf 40 Meter und weniger ab, dann musste er ihr wieder bis auf 200 Meter empor folgen. Auf dem höchsten Punkt erreichte sie sogar 550 Meter. Also alles andere als eine ruhige Rückfahrt. Und er ging es sportlich an: Immer wieder kurze Sprints bergauf, dann wieder ruhige, fast ängstliche Abfahrten. Kein Risiko, maximal Qual für den Körper. Und er kam schnell auf Temperatur. Auf der ersten Etappe hatte er sich noch etwas schläfrig gefühlt, aber jetzt ließ er es richtig krachen. Die Pause schob er immer weiter vor sich her. Jetzt war er fast 40 Kilometer alleine mit Volldampf unterwegs. Und er merkte es.
Gerade befand er sich in einem langen Anstieg. Er wand sich ein paar Mal in die Felswand hinein, dann wieder heraus. Unten war er noch an einem Strand vorbeigefahren, jetzt konnte er langsam den Wind spüren. Eigentlich fehlte ihm die Motivation jetzt noch, nach gut 140 Trainingskilometern, noch mit richtig Druck den Hang zu bezwingen. Er suchte kurz nach einem Zwischenziel… Da sah er es: Eine kleine Gruppe Hobbyfahrer befand sich ein paar Kurven vor ihm. Mindestens bis er sie erreichte würde er alles versuchen. Und dann würden ihn die neidischen Blicke, die sie ihm hinterher werfen würden, noch einmal ein wenig tragen. Nichts war besser als Hobbysportler noch nach 150 Kilometer locker stehen zu lassen.
Er schaltete kurz ein wenig rum, bis er den richtigen, runden Tritt gefunden hatte. Und hier konnte er bleiben. Den Antritt hob er sich für den Moment des Überholens auf. Näher kam er auch so schnell genug. Erst waren es gut 500 Meter, dann 300, dann schließlich konnte er bei einer Serpentine einen Blick auf seine Gegenspieler werfen. Drei Fahrer, eine Frau. Aber der Anführer an der Spitze… woher kannte er ihn?
Er war bis auf Rufweite heran, dann schon fast im Windschatten. Locker und leicht fuhr er auf, dann vorbei… Bevor er ihn erkennen konnte, wurde er selber schon angesprochen. Fernando Escartin führte da ganz locker die Gruppe an. Er kannte den spanischen Kletterkönig bisher nur flüchtig, aber nichtsdestotrotz fiel ihre Begrüßung relativ herzlich aus. Schließlich trafen hier zwei der besten Kletterer ihrer Zeit aufeinander.
„Fernando, was machst du denn hier? Trainierst du für ein Comeback in der Liga der gemischten?“ meinte Jerdona leicht spöttisch mit Blick nach hinten.
„Ich muss mir meine Rente ein wenig aufbessern und spiel dafür den Privatcoach. Aber he, wie wär’s, kleiner Sprint?“
Jerdona musste schmunzeln. So ganz wich der Wettkampfgedanke wohl nie aus einem Radsportler. Und Fernando musste relativ gut in Form sein, wenn er hier den Winter über nichts anderes tat, als irgendwelchen Touristen die Insel zu zeigen. Auch sah er so aus.
„Geht klar. Aber nur bis zu dem Tunnel da vorne, wir wollen ja deine Kunden nicht alleine lassen.“ Mit einem Blick zurück erkannte er, dass diese die kleine Pause ebenfalls zu einem Plausch nutzten. Mit einer Handbewegung ließ er Fernando vor und hängte sich dann an sein Hinterrad. Schnell zog er vorbei, um den Sprint von vorne fahren zu können. Es war ihm fast schon peinlich, wie leicht und locker er den Etappensieger der Tour hinter sich ließ. Nur mit Mühe konnte dieser sein Hinterrad halten, von einem Gegenangriff ganz zu schweigen. Bis zum Tunnel nahm Jerdona dann raus und so rollten sie zusammen in die kleine Galerie hinein.
„Na, so wirst du die Tour sicher nicht gewinnen. Wenn du dich noch nicht einmal traust, einen Radsportopa zu distanzieren.“ Offensichtlich wurmte ihn die väterliche Art und Weise, mit der Jerdona ihn dominiert hatte.
„Ich wollte dich ja nicht vor deinen Schüler demütigen“ stichelte dieser zurück.
Noch während sie plauschten konnte er von hinten die beiden erkennen, wie sie gemeinsam um Anschluss an die Radveteranen kämpften.
„Wenn man vom Teufel spricht…“
Jerdona wollte sich gerade schon wieder nach vorne verabschieden als die Frau von hinten aufschloss. Sie sah gut aus, wirklich gut. Nur irgendwie… wusste sie das auch, auf jeden fall wirkte sie nicht sehr gehemmt. Blond, klein, nicht so wirklich sein Typ. Aber das Gesicht… Mit Sicherheit aber machte sie diese Radtour, damit sie so blieb, wie sie war.
„He, du bist doch Jerdona Zeres?“ schoss sie offen heraus.
„Ja, der bin ich.“ Noch bevor er etwas nachschieben konnte fiel sie ihm ins Wort.
„Hy, ich bin Chloe Anderson.“ Und reichte ihm noch im fahren die Hand. Eindeutig eine Amerikanerin. Jerdona ergriff die Hand etwas verdutzt. Irgendwoher kannte er den Namen…
„Ich bin ein großer Fan von dir. Eigentlich dachte ich, nach Armstrong kann die Tour nur noch langweilig sein, aber wie du durch die Alpen gefahren bist… inspirierend.“
„Sitzen sie deswegen auf dem Rad, wegen Armstrong?“
„Ja, absolut. Er ist ein großes Vorbild für mich. Für viele Menschen. Er hat einfach eine Aura… Er wirkt so stur. So amerikanisch.“ Zeres konnte verstehen, was sie meinte. Er war zwar nie ein Fan gewesen, aber bewundern musste ihn eigentlich jeder Radsportler. Selber in einem Rennen getroffen hatte er ihn nur einmal, während der Dauphine vor zwei Jahren.
„Ja, er war schon eine der herausragenden Persönlichkeiten im Peloton“
„Sie kannten ihn? Ach ja, die Dauphine 2005, klar. Wie war das damals, neu in der Liga der Besten, Seite an Seite mit den absoluten Superhelden?“
Da hatte jemand seine Hausaufgaben gemacht!
„Hmm… es war unglaublich! Besonders am Ventoux. Ich dachte bis zum Schluss, dass jeden Moment die entscheidende Tempoverschärfung kommen würde, dass auf einmal meine Beine zu machen würden. Auf dieser Etappe habe ich mir die Moral für die nächsten Tage geholt…“ Er dachte kurz zurück an diese glorreichen Etappen, auf denen er zum ersten Mal sein Potential im Hochgebirge wirklich andeutete. „Es war wirklich irre. Besonders jetzt im Rückblick“
„Du würdest es am liebsten noch einmal erleben, oder?“
„Ja“ stimmte er nach einer kurzen Denkpause zu. „Ja, besonders mit dem Toursieg im Rücken“
Chloe redete zwar viel, aber es war interessant. Und sie hörte gerne zu. Sein Vorhaben, die Gruppe stehen zu lassen, verschob er bis auf weiteres. Besser gesagt, er vergaß es einfach. Bis zum Gipfel des Berges sprachen sie über Radsport. Chloe nach und nach kurzatmiger, Jerdona mehr und mehr selber interessiert. Fernando kümmerte sich derweil um den männlichen Begleiter der Gruppe, einen bulligen Kerl, der sein Rad nur mit Mühe den Berg hochstemmte. Er wirkte eher wie der typische Bodybuilder.
Nach der Abfahrt ins Tal und einer kurzen Strecke in den nächsten Ort bestand seine Begleitung auf eine Pause. Sie suchten sich eine Leitplanke und verschnauften kurz. Jerdona dachte mittlerweile gar nicht mehr daran, sein Training planmäßig fort zuführen. Chloe erzählte sie seien heute Morgen mit dem Bus nach Galdar gefahren. Die gut 100 Kilometer von dort waren für sie genug. So erfuhr er auch, dass sie im Club Anfi wohnte. An den Namen konnte er sich noch dunkel erinnern, und auf einer so touristischen Insel hieß das einiges. Offenbar eine sehr noble Adresse. Aber Jerdona war es irgendwie trotz seiner Millionen immer noch peinlich, über Geld zu reden, und schnitt daher das Thema. Schließlich machten sie sich wieder auf. Zum Abschied gab es eine Umarmung und ein „hoffentlich treffen wir uns bald wieder!“.
Noch im wegfahren war ein bisschen enttäuscht, dass sie so überhaupt nicht sein Typ war. Denn ansonsten hätte er sich wohl Hals über Kopf verliebt. Sie sah nicht nur wahnsinnig gut aus, sie war auch einfach… sie hatte es einfach. Komisch, während er das Aussehen noch einfach als gut klassifizieren konnte waren die berühmten inneren Werte bei weitem nicht so gut zu fassen. Anna, seine letzte Freundin, hätte er ebenso wenig beschreiben können. Er war Radfahrer, kein Buchautor. Und obwohl er viele Sachen empfinden konnte war es ihm oft schlicht und ergreifend unmöglich, sie nur annähernd in Worte zu verpacken. Genauso wie jetzt… was war es? Schwer zu sagen…

jeez, der post ist doch ein bisschen länger geworden... aber beschwert euch nicht, ihr drängt mich dazu!
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

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