Das Favoritenbarometer 0/21
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**** Klöden
*** Winokourov / Valverde / Evans
** Menchov / Sastre
* Contador / F. Schleck / Rogers / Rasmussen
Unberücksichtigt: Moreau / Karpets / Leipheimer
Das Favoritenbarometer meldet sich einigermaßen pünktlich zurück und erklärt in schöner Regelmäßigkeit einen Deutschen zum Topfavoriten. Zuletzt habe ich das wahrscheinlich 2002 anders gesehen. Was die außergewöhnliche Qualität meiner Prognosen beweist. Demnach gewinnt dann also Leipheimer
Einen bei dieser Tour ganz entscheidenden Faktor kann ich leider nicht berücksichtigen: Die Reaktion auf Ruhetage. Dass diese auf verschiedene Fahrer ganz unterschiedlich wirken, davon weiß Pavel Tonkov ein Lied zu singen, meistens fällt das aber nicht auf, weil auf die keine entscheidende Etappe folgt. Das ist in diesem Jahr ganz anders, und könnten manchen Favoriten ins straucheln bringen. Wer das sein könnte, dafür fehlen allerdings die Anhaltspunkte.
**** Klöden
Der einzige Fahrer im Starterfeld, der auf einer Stufe mit den Dominatoren der letzten 10 Jahre steht. Siegfähig sowohl am Berg als auch im Zeitfahren. Zudem hat er schon zwei mal bewiesen, dass er konstant stark über zwei Hochgebirge kommt, dass kann ein Großteil der Konkurrenz nicht behaupten. Mit diesen Voraussetzungen automatisch Topfavorit auf den Toursieg, Teamstrategie und gesundheitliche Anfälligkeit verbleiben als Fragezeichen und kosten den fünften Stern.
*** Winokourov / Valverde / Evans
Winokourov wird wohl gemeinhin als Topfavorit gehandelt. Ich kann das nicht ganz teilen, sicherlich verfügt er über ein ausgesprochen starkes Team und wird in diesem zunächst auch die Kapitänsrolle innehaben, aber die Einschätzung seiner Rundfahrerqualitäten bleibt trotz Vueltasieg unverändert. Noch nie hat der Kasache 21 Etappen auf gleichmäßig hohem Niveau bestritten, auch bei der Vuelta hatte er einen richtig schlechten Tag nach Bejar. Da verlor auch wegen des Unvermögens seiner Konkurrenten nicht entscheidend an Boden, bei der Tour wäre das sicher anders. Für spektakuläre Momente wird der Kasache aber mit Sicherheit sorgen und allein das macht seine Teilnahem wertvoll.
Valverde hat ganz ähnliche Probleme wie Winokourov. Er baute gegen Ende der letzten Vuelta doch ziemlich ab und wird zudem spürbar Zeit in den Zeitfahren verlieren. Die müsste er am Berg wieder herausfahren, allerdings hat er dort noch nie große Soli gezeigt. Seine Erfolge errang er eigentlich immer, indem er auf dem letzten Kilometer eine Spitzengruppe ausspurtete. Das wird kaum reichen, mag er sich in den Alpen noch an den Gegnern orientieren können, muss er spätestens in den Pyrenäen selbst in die Offensive gehen.
Evans ist ein ganz anderer Typ als Winokourov und Valverde. Sind es bei diesen ihre Erfolge, so ist beim Australier allenfalls seine Haltung auf dem Rad spektakulär. Aber Evans hat etwas anderes zu bieten: Konstanz. Und das könnte bei dieser Tour ganz entscheidend sein, Evans jedenfalls der erste Kandidat auf einen Toursieg ohne Etappensieg. Die Spanier und Menchov hängt er im Zeitfahren ab, in den Bergen kann er ihr Hinterrad halten – allein das könnte schon reichen.
** Menchov / Sastre
Von den anderen Protagonisten des Vorjahres besticht Menchov durch einzelne großartige Tage. Erwischt er die, kann er am Berg jedem aus diesem Feld folgen. Im Zeitfahren allerdings sehe ich spürbare Defizite, die Vuelta sollte da nicht täuschen, da gab es keine nennenswerte Konkurrenz. Mag aber davon profitieren, dass das erste Zeitfahren erst nach den Alpen ansteht.
Selbiges gilt auch für Sastre, der wiederum ein Muster an Konstanz darstellt, dem aber die Brillanz fehlt, mal zwei Minuten auf einer Etappe herauszufahren. Er hat zwar gezeigt, dass er eine Etappe vor allen anderen Favoriten beenden kann – allerdings muss er dafür wahnsinnig investieren. Was Valverde durch einen schnellen Kilometer gewinnen kann, dafür braucht Sastre 7-8 Kilometer eines Anstiegs. Daher kann er allenfalls durch die Rafinesse seines Teams gewinnen.
* Contador / F. Schleck / Rogers / Rasmussen
Die chancenreichen Außenseiter. Wenn Contador die Leichtfüßigkeit des Col d’Eze mit zur Tour bringt, kann er in den Bergen die Tour zu seinen Gunsten entscheiden, zumal er in den Zeitfahren nicht zu viel verlieren wird. Topfavorit auf weiß.
Schleck hat mich bei der Tour de Suisse nach Malbun sehr beeindruckt. Das Potential in den Bergen ist sicherlich vorhanden, die Vorbereitung passt. Und wer weiß, vielleicht kann CSC schon morgen oder auf Etappe fünf ein Auseinanderbrechen des Feldes provozieren – Spezialisten sind sie ja. Allerdings hat Schleck doch ziemliche Defizite im Zeitfahren, da ist ihm auch Teamkollege Sastre überlegen.
Ganz anders ist das bei Michael Rogers, der neben Klöden der einzige echte Zeitfahrspezialist im Favoritenkreis ist. Für ihn kommen die Zeitfahren allerdings etwas spät, so muss er den Prolog schon fast gewinnen, um in Grand-Bornand gelb zu übernehmen. Sollte ihm das aber gelingen, halte ich alles für möglich, die Alpen kann er durchaus ohne Zeitverlust überstehen, in den Pyrenäen müsste er den Schaden dann minimieren.
Ganz ein anderer Typ ist Rasmussen. Ich sehe nicht ein, warum er sich ausschließlich auf das Bergtrikot fokussieren sollte, insbesondere, wenn er praktisch zeitgleich mit der Konkurrenz in die Alpen fahren wird. Für die Mannschaft wird er vor dem Roselend keinen Meter Arbeit leisten müssen und eine Attacke dort könnte das Rennen entscheidend prägen – wie auch eine Galibier. Aus einem Erbsenjäger so ein ernstzunehmender Podiumskandidat werden.
Unberücksichtigt: Moreau / Karpets / Leipheimer
Die Franzosen stellen Moreau schon auf Favoriten-Stufe, das ist fast so albern wie seine Interpretation als Botschafter eines sauberen Radsports. Er hatte ein großes Jahr, von Juli 2000-Juni 2001, seitdem hat sich konsequent seinen Wurststatus verdient. Allein in den Zeitfahren verliert er inzwischen mehrere Minuten auf alle Konkurrenten, die Form, die am Berg herauszufahren hatte er nie und bekommt sie auch nicht mehr.
Dass bei den Vorbereitungsrundfahrten wieder normale Zeiten einkehren, beweist auch Karpets: Da gewinnen ganz gute Fahrer, die sich reinhängen gegen Tourfavoriten, die nur ihre Form testen. Solche Siege sollte man nicht überbewerten.
Leipheimer sei Discovery-Kapitän, so hört man. Das bleibt er nur eine Woche. Oberes Mittelfeld am Berg wie im Zeitfahren, das reicht selbst bei dieser mäßigen Besetzung nicht für einen Podiumsplatz.
Die Prognose, man könne keine Prognose wagen, teile ich jedenfalls nicht. Wir werden eine ähnlich kontrollierte Tour wie in den letzten Jahren erleben, nichts mit Anarchie, dafür werden allein Caisse d' Epargne und Astana sorgen. Es fehlt ja sogar an agressiven Klettererteams, das macht es für das Team des Leaders sogar noch einfacher. Die Bergankünfte werden also wieder entscheiden. Schade eigentlich.
"Wittgenstein pondered what time it could be on the sun (it was a nonsensical question, he concluded)." - The Economist