Der ewige Fels in der Brandung

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

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Grabba
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Der ewige Fels in der Brandung

Beitrag: # 422741Beitrag Grabba
30.4.2007 - 14:39

Ich schreibe nun auch einmal einen AAR. Ich hatte mir schon einige Male etwas vorgenommen, war mir aber immer sicher, dass ich einen gigantischen Karriere-AAR niemals würde durchziehen können, und ließ es dementsprechend bleiben. Vor einiger Zeit hatte ich nun aber eine Idee, als ich eine Diskussion hier im Forum las. Credits an denjenigen, der mir mit seinem Post den Anstoß zur Idee dieses AARs gab werden folgen, doch ich will noch nicht zu viel verraten.
Die Grundidee dieses AARs ist schlichtweg Innovation. Ich wollte etwas schreiben, was von den klassischen Rennberichten weggeht und... einfach anders ist. Ob es gut oder schlecht ist, ob spannend oder nicht, das vermag ist selbst kaum zu sagen, und dementsprechend würde ich mich über jedwedes Feedback freuen.
Alle in diesem AAR präsentierten Rennergebnisse sind rein fiktiv. Ich habe jedoch auch einige reale Begebenheiten modifiziert und an den AAR angepasst. Durch die Modifizierung sind auch dieser Begebenheiten fiktiv geworden - jedoch wird der aufmerksame Leser viele Dinge wiedererkennen können.
Mag dieser AAR anfangs noch sehr skurril und undurchschaubar klingen, so wird sich dies im Laufe der Zeit langsam auflösen und entschlüsseln. Viele Dinge sind bewusst so gemacht, dass sie anfangs unverständlich scheinen und erst bei einem zweiten Lesen eine deutlichere Sprache sprechen würden. Lasst euch einfach überraschen.

Hinweis: Der AAR ist mittlerweile beendet (nicht aufgegeben sondern abgeschlossen). Den letzten Beitrag findet ihr auf Seite 3. Dennoch solltet ihr, wenn euch die Geschichte interessiert, natürlich alles lesen.






Präambel - Meine Bestimmung

Das Gewicht Tausender lastet auf mir. Sie drohen mich zu erdrücken. Solch eine Last. Sie alle haben sich gegen mich verschworen. Jeder von ihnen will seinen Heroen helfen, mich in die Knie zu zwingen. Alles und jeder kämpft gegen mich, jeder auf seine eigene Weise. Doch auch ich kämpfe gegen jeden einzelnen von ihnen. Ja, ein einsamer Kämpfer bin ich, und selten nur waren andere erfolgreich gegen mich. Ihr ewiges Bestreben, mich zu besiegen, führt sie meist nur in die Irre. So ist es, und genau so soll es sein, für immer: Ich, alleine gegen alle anderen.




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Zuletzt geändert von Grabba am 28.11.2007 - 20:56, insgesamt 5-mal geändert.

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Beitrag: # 422931Beitrag Grabba
1.5.2007 - 0:17

Goldener Herbst, der Bote des Winters

Gerade noch war es ein schöner Tag im Spätherbst. Die goldenen Sonnenstrahlen fielen durch das dichte Blätterdach auf mich hernieder. Sie wärmten mich. Es ist die Zeit, in der Tage wie Sekunden verstreichen, und man den Unterschied kaum merken kann. Doch war es eben noch so traumhaft schön, so beginnt der Himmel nun bereits sich zu verdichten. Ein düsterer, grauer Schleier verdeckt die eben noch so strahlend helle Sonne. Die dunklen Wolken ziehen sich schnell zu, und der eisig kalte Wind weht alle Farben der Freude und des Glücks hinfort. Die goldene Zeit ist vorbei, und der Herbst weicht nun endgültig seinem eisig kalten Nachkömmling.

Der Regen prasselt hernieder. In Strömen läuft er an mir hinab. Er nässt alles, was ich habe. Mein ganzes Antlitz ist von seiner Nässe gezeichnet. Wasser, überall Wasser. Und an einer Stelle mischt sich nun auch Blut dazu. Welch wohltuender Geschmack. Ich vernehme die Schmerzensschreie. Unvorsichtiger Narr. Und doch, doch habe ich Mitleid mit diesem tapferen Kämpfer und Helden, dem ich nun meine ganze Macht gezeigt habe, und dem ich durch meine Gewalt all seine Chancen genommen habe. Zwei große Rennen wollte er noch siegreich beenden in diesem Herbst, doch nun war es für ihn vorbei. In Zürich wollte er seine Klasse demonstrieren, es in seinem neu eroberten Trikot des Regenbogens allen zeigen, um schließlich am Comer See einem glanzvollen Jahr die Krone aufzusetzen.
Die belgischen Zeitfahrmeisterschaften waren sein erster großer Auftritt gewesen, und mit Minutenvorsprung hatte er gesiegt, nachdem er sich zuvor in der Schweiz eingerollt hatte. Die Tour ließ er bewusst aus, hatte man ihm in seinem Team doch alle Freiheiten gewährt. In San Sebastian gelang ihm dann der erste große Coup, und der Sieg war sein. Zum ersten Mal in seiner Karriere hatte er einen der großen Klassiker gewonnen. Es folgte ein beeindruckender Sieg im abschließenden Zeitfahren der Eneco-Tour, die er somit erstmals gewinnen konnte. Für die Vuelta war er bestens gerüstet. Lief es im Prolog noch nicht so, wie er es sich erträumt hatte, so wurde es danach von Tag zu Tag besser. Letztes Jahr hatte er sich mit Ach und Krach auf den siebten Platz gekämpft, nein, vielmehr gewuchtet, was bei seinem stämmigen Körperbau schon eine großartige Leistung gewesen war. Doch dieses Mal hatte ihn am Berg nur ein einziger bezwingen können, und das war Alan Guerao, der wohl beste spanische Rundfahrer, den es derzeit gibt. Am Ende war es Platz zwei in der Gesamtwertung nebst drei Etappensiegen, die er sich erarbeitet hatte.
Lange Jahre hatte er als das größte belgische Talent seit Eddy Merckx gegolten. Bereits mit 18 Jahren holte er große Erfolge in den Zeitfahren und bewies auch sonst seine Klasse. Doch schnell war es vorbei mit all der Herrlichkeit. Zwei Jahre lang schien er sich keinen Schritt mehr weiterzuentwickeln, und außer einigen ordentlichen Platzierungen in diversen Zeitfahren sprang nichts Zählbares heraus. Doch in seinem Team hatte man immer an ihn geglaubt. Die belgischen Zeitfahrmeisterschaften hatte er letztes Jahr erneut nicht für sich entscheiden können, und auch bei der Tour konnte er im Kampf gegen die Uhr nicht in die Entscheidung mit eingreifen, doch immerhin hatte er seine Kameraden im gemeinsamen Wettstreit gegen die Uhr zum Sieg geführt und seinen Kapitänen hervorragende Arbeit geleistet.
Aber dann kam der Herbst, und endlich platze der Knoten. Er hatte sich den Sieg in einem der drei Zeitfahren der Vuelta als Ziel gesetzt. Daran war er gescheitert. Doch zwei zweite und ein dritter Platz in den drei Prüfungen waren eine solide, rundum zufriedenstellende Leistung. Doch dies war nicht der springende Punkt. Er hatte sich die Anstiege hinaufgequält, hatte erstmals bewiesen, dass er auch im Gesamtklassement einer großen Rundfahrt unter den besten landen kann - Platz sieben war es geworden. Und die gesamte Radsportwelt hatte er mit einem grandiosen Soloritt auf der schweren 17. Etappe durch die spanischen Mittelgebirge beeindruckt, und sich so doch den so lange ersehnten Etappensieg förmlich erkämpft.
Dieses Jahr hatte es also zum zweiten Platz bei der Spanienrundfahrt gereicht. Überglücklich ging er in die Weltmeisterschaften, denn erstmals hatte man ihn nominiert. War er im letzten Jahr noch so verbittert gewesen, dass man ihn trotz seiner guten Leistungen und der Chance auf einen Sieg im Zeitfahren nicht berücksichtigt hatte, so wollte er es in diesem Jahr allen beweisen. Und es gelang ihm. Im Zeitfahren verhinderte nur ein plattes Hinterrad seinen völligen Durchmarsch, sodass es ein zweiter Platz hinter dem stark aufgelegten kasachischen Toursieger wurde. Im Straßenrennen ging er als Joker und Edelhelfer für Tom Boonen an den Start. Dieser wollte nach 2006 endlich zum zweiten Mal Weltmeister auf der Straße werden. Das einigermaßen flache Profil sprach mehr für Boonen, als es dies in den letzten Jahren getan hatte, doch die Konkurrenz war riesig gewesen. Als die entscheidenden Attacken gingen und Boonen im Feld wartete, auf einen Sprint hoffend, da ging er selbst mit, so wie es seine Aufgabe war, und als er die Spitze erreicht hatte und in einem kleinen Gegenhang noch einmal das Tempo anzog, da konnte ihm niemand mehr folgen. Alle anderen Ausreißer wurden noch eingeholt, und Boonen dominierte den Sprint des dezimierten Hauptfeldes. Doch gewonnen hatte nicht Tom Boonen, sondern der Joker der Belgier. Auch jetzt schossen ihm die Bilder dieses größten Triumphes seiner Karriere noch einmal durch den Kopf.

Das „Rennen der fallenden Blätter“ war sein letztes großes Ziel gewesen in diesem Jahr, und nun war er selbst gefallen, lange noch bevor das Rennen begonnen hatte. Den Kampf hatte er verloren, noch bevor er ihn aufgenommen hatte. Der Winter war gekommen - zu früh. Zu früh für all jene, die die Zeit noch hatten genießen wollen. Zu früh für alle Radrennfahrer, die noch auf einen sonnigen und erfolgreichen Herbst gehofft hatten. Und zu früh vor allem für ihn, den frischgebackenen Weltmeister, Yvan Teppers, das größte belgische Radtalent seit Eddy Merckx.

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Beitrag: # 422974Beitrag Grabba
1.5.2007 - 10:37

Wintergedanken

Es ist wieder Winter. Die Zeit des Schnees, der Kälte, doch auch der Ruhe und der Gedanken. Einsam stehe ich hier, und eine dicke Schneeschicht bedeckt mein Haupt. Die tiefe Ruhe ist eingekehrt. Keine Radfahrer sind mehr unterwegs. Heute sei Weihnachten, habe ich gehört. Sei es. Mich stört das weniger, denn ganz gleich ob in meiner langen Ruhe heute Weihnachten ist oder erst morgen, meine Gedanken sind die gleichen, und sie gehören nur mir allein. Und ich denke mehr, als man mir zutraut. Stets sieht man in mir nur den großen Kontrahenten, gegen den es zu bestehen gilt. Doch ich selbst sehe deutlich mehr in mir. Es fällt mir schwer, diese Gedanken in die richtigen Worte zu fassen, doch vielleicht mögen diese Verse helfen, mich zu verstehen.



Heroen werden an mir geboren,
Und auch gebrochen.
So viele hassen mich,
Und wenige nur lieben.
So viele Hoffnungen an mir zerschellt,
Doch manch ein Traum ward wahr.

So stark ein jeder leidet,
So schwach sie alle werden.
Die Schmerzen vieler spüre ich,
Und Freud an mir nur selten wird,
Den Armen die sich mühen,
Am Ende doch zuteil.

Und so wie ewig sie
Mit vollen Kräften trachten,
Danach mich zu bezwingen,
So ist auch mir das einzig’ Ziel
Sie alle klein zu kriegen,
Und am End’ zu siegen.

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Beitrag: # 423255Beitrag Grabba
2.5.2007 - 13:15

Dauphiné Liberé

Es ist wieder Sommer. Noch ist die allergrößte Hitze nicht angebrochen, aber es ist sehr warm. Hervorragendes Radfahrwetter also. Vor drei Tagen waren es die Spezialisten im Kampf gegen die Uhr, die den Prolog der Dauphiné Liberé unter sich ausgemacht hatten. Thomas Dekker spielte einmal mehr seine exzellenten Fähigkeiten in solchen kurzen Prologen aus und gewann überlegen. Gestern und vorgestern war es dann zu einer Sprintankunft gekommen. Einmal war es der junge Enni Tentella, der dieses Jahr bereits in Italien überzeugt hatte, und das andere Mal war es der überaus endschnelle Danilo Napolitano, der seinen sechsten Saisonsieg einfahren konnte.
Doch all das war nur das Vorspiel. Ich habe es lediglich müde belächelt. Denn heute war mein Tag. Ich habe es genossen, sie alle leiden zu sehen. So schön zu wissen, dass man stärker ist. Denn reihenweise habe ich sie gebrochen. All die Schwergewichte, die man so übertrieben bewundernd schnelle Männer nennt. Sei es nun ein Napolitano, ein Tentella, ein Bennati oder wer auch immer. Erst wankten sie, dann begannen sie zu zittern, dann versuchten sie sich an mir hinaufzuschlängeln. Richtige Schlangenlinien fuhren sie. Wenn man überhaupt noch von Fahren reden konnte. Und ich lache dabei, ich lache immer wieder und immer wieder. Selten nur komme ich in diesen Genuß.
Und schließlich bleiben sie stehen, steigen von ihren Rädern. Man hört ein Geräusch, krtsch, und die Startnummer ist ab. Bei manchen dauert es länger, wenn sie durch den Schweiß am Körper festgeklebt ist, bei anderen geht es schneller. Manchmal fällt eine Träne herab, doch so heiß ist der aufgeweichte Asphalt, dass niemand etwas bemerkt. Dann steigen sie in ein Auto und ohne den eigenen gebrochenen Willen zu beanspruchen fahren sie hinauf.
Vorne jedoch fahren andere Männer. Männer, denen man, dem bloßen Anschein nach zu urteilen, nicht zutrauen würde das, worauf sie da zu sitzen pflegen, zu tragen. Doch oft vermögen gerade sie ungeahnte Kräfte freizusetzen und mich zu bezwingen. Ja, man vermag mich zu bezwingen. Manche sind sogar in der Lage, auf mir noch gegenseitige Kämpfe auszutragen. Mein tiefer Respekt gehört ihnen. Auch heute gab es wieder manche, die stärker waren. Allen voran Jose Rujano. Dieses Leichtgewicht aus dem fernen Süden Amerikas.
Zum ersten Mal seit fünf Jahren war er in Italien nicht siegreich gewesen. Lächerlich gering war sein Rückstand gewesen. Doch seine Wut war unermesslich, und heute ließ er alle anderen, mich selbst eingeschlossen, diese Wut spüren. Er flog hinauf, verschnaufte kein einziges Mal, und kam so lange vor allen anderen ins Ziel. Wenn jemandem mein Respekt gebührt, dann ihm. Doch auch der junge Baske Guerao, der letztjährige Sieger der Spanienrundfahrt, fuhr ein exzellentes Rennen, ebenso wie der Franzose David Brogniart. Diese beiden wollen die in Frankreich, bei der großen Schleife, zeigen, dass niemand sie aufhalten kann. Nach ihnen klaffte erneut eine kleinere Lücke. Hinter ihnen schleppte sich Volker Ruland ins Ziel. Ich erinnere mich noch an den jungen Jan Ullrich, als sei er erst gestern gefahren. Ruland ist ein ähnliches Kaliber. Schwer und muskelbepackt, doch die Hänge vermag er sich hinaufzuquälen. Er ist ein wahrer Rundfahrer, und drei Wochen auf höchstem Niveau durchzuhalten vermag er wie nur wenige andere. Seine größte Stärke ist der Kampf gegen sich selbst, ohne sichtbaren Gegner auf der Straße, doch auch wenn es hinauf geht zeigt er sich stark. In den letzten drei Jahren stand er viermal auf dem Siegertreppchen einer großen Rundfahrt. Und das mit seiner Statur - Respekt. Auch ihn wird man in Frankreich auf der Rechnung haben müssen. Hinter ihm kam Damiano Cunego ins Ziel. Hatte er vor Jahren noch als das größte Talent gegolten, so war auf seinen Girosieg noch ein zweiter gefolgt, und im darauffolgenden Jahr ein Toursieg, doch dann hatte Rujano ihn in die Schranken gewiesen. Seither hatte der Italiener nur ein weiteres Mal zu seiner Klasse zurückgefunden, als er die Weltmeisterschaften und die Klassiker im Herbst dominierte. Dieses Jahr nun war er endlich einmal wieder auf den dritten Platz bei seiner Heimrundfahrt gefahren. Doch in Frankreich wird er wohl nicht einmal an den Start gehen.
Genauso wie diese Helden heute gewonnen und die Protagonisten der letzten Tage heute so kläglich gescheitert sind, so gab es auch unzählige, die in der heutigen knallharten Sonne ins graue Mittelmaß versunken sind. Sie haben sich abgemüht, den Kampf gegen mich aufgenommen. Die Qualen standen ihnen ins Gesicht geschrieben. Und auch wenn sie gegen mich nicht den Hauch einer Chance hatten, so konnten sie sich doch wenigstens quälen, zumindest so lange, bis sie hinter der Ziellinie vor Erschöpfung zusammenbrachen. Einer von ihnen war jener Mann, der noch vor drei Tagen so strahlend auf dem Podest gestanden hatte. Thomas Dekker brach heute erneut ein. Er wird es niemals schaffen, mich zu bezwingen, und auch in Frankreich braucht er nur am ersten Tag zu fahren, denn sobald es hoch hinauf geht ist seine Zeit abgelaufen.
Die Dauphiné Liberé des Jahres 2013 jedenfalls scheint mit dem heutigen Tage bereits entschieden zu sein, zumindest was den Sieger anbelangt, und genauso die großen Verlierer. Wieder einmal gab es einige wenige, denen ich meinen tiefsten Respekt zolle für ihre Leistungen, doch so viele, die ich nur verspotten kann. So viel Freude wie am heutigen Tag hatte ich selten zuvor, und ich hoffe nur, dass es in rund sechs Wochen erneut solch ein spaßiger Tag werden wird. Meine Vorfreude auf die Tour de France jedenfalls ist mit dem heutigen Tag noch um ein großes Stück angewachsen.
Zuletzt geändert von Grabba am 5.5.2007 - 13:21, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitrag: # 423445Beitrag Grabba
2.5.2007 - 20:14

Rückblick - der Baske

Im Jahre 2003 krönte ich ihn zum König. Wie er die Hänge hinaufgeschossen war, wie er selbst den großen Armstrong in seiner unglaublichen Manier besiegt hatte, und wie er seine Arme in die Höhe gerissen hatte, nach dem größten Triumph seiner Karriere. In diesem Jahr wäre es ihm wirklich zuzutrauen gewesen, dass er eines Tages die Tour de France gewinnt. Doch bereits im darauffolgenden Jahr war es vorbei mit der Herrlichkeit des Basken. Er quälte sich die Anstiege hinauf.
War es 2004 noch ein harter Kampf, so konnte ich ihn im darauffolgenden Jahr bereits verspotten, wie ich wollte, denn seine Moral war völlig verloren. 2006 war es dann nur noch pure Resignation, als Iban Mayo an den Anstiegen der Tour de France erneut scheiterte wie ein kleiner Schuljunge. Immer wieder und wieder konnte ich ihn in seine Schranken weisen, auch 2007. Zwar fuhr er nun für Saunier Duval, doch die Erfolge blieben nach wie vor aus. Man hatte ihn schon völlig abgeschrieben, doch ich allein wusste, dass in ihm noch immer die Fähigkeiten schlummerten, die ihn bei seinem Sieg in L’Alpe d’Huez ausgezeichnet hatten.
Als man ihn schon fast ausgesondert hatte nahm sich ein junger Spanischer Trainer seiner an. José Arriondo hatte sein Studium der Sportwissenschaften mit Schwerpunkt Psychologie gerade erst mit Auszeichnung abgeschlossen, als Saunier ihn bat, sich um den mental gebrochenen Star zu kümmern. Er entschied sich, mit dem Basken einen völlig neuen Weg zu gehen. So wurden die Tour de France und alle anderen Grande Tours restlos aus Iban Mayos Rennkalender gestrichen. Und der Erfolg sollte nicht ausbleiben. 2008 gewann er eine Bergankunft einer kleineren Rundfahrt. 2009 gewann er gar zwei kleine Rundfahrten, und auch bei der Dauphiné Liberé und bei der Tour de Romandie zeigte er sich endlich wieder stark am Berg. 2010 gelang ihm endlich die völlige Rückkehr in die Elite der Kletterer, indem er die Gesamtwertung von Paris-Nizza für sich entscheiden und in Lüttich als Dritter das Podium besteigen durfte. 2011 gewann er die Dauphiné Liberé und einige kleinere Rennen, und erstmals ging er wieder bei einer großen Landesrundfahrt an den Start. Die Vuelta a Espana beendete er auf dem sechsten Gesamtrang - mitsamt Etappenerfolg.
Nun sah man auch bei Saunier die Zeit gekommen, dass Iban wieder den Kampf mit den großen Landesrundfahrten aufnehmen sollte. Im Schatten der Stars des Teams, allen voran dem jungen José Angel Gomez Marchante, einem der besten Rundfahrer des letzten Jahrzehnts, hatte er sich langsam wieder an die Weltspitze heranarbeiten können. Und wäre da nicht José Arriondo gewesen, so wäre Iban Mayo bereits im letzten Jahr wieder bei der Tour an den Start gegangen. Ich verstehe es nicht, denn mir schien er gerüstet. In den letzten beiden Jahren wirkte er mir zwar lange nicht mehr so spritzig wie es noch 2003 der Fall gewesen war, doch er war stark geworden, stark und zäh, und die Jahre des Verzichts hatten ihn gezeichnet. Doch am Berg konnte er erneut mit den besten mithalten. Doch Arriondo hatte darauf bestanden, dass sein Schützling die Tour noch nicht wieder fahren darf. Vielleicht weiß er tatsächlich mehr als ich. Sollte er Recht behalten, so gebührt ihm meine Bewunderung. Es ist wie eine Wette, von der er nichts weiß. Ich sage Mayo, der in wenigen Wochen in Versailles am Start der Tour stehen wird, vermag uns dieses eine Mal alle zu überzeugen, doch sein persönlicher Trainer Arriondo setzt dagegen - als einziger. Denn nachdem er letztes Jahr, am 13. September 2012, einem glühend heißen Freitag im Spätsommer, sein beeindruckendes Solo zum Sieg der 17. Etappe der Vuelta a Espana abgeliefert und damit den Grundstein für seinen dritten Gesamtrang gelegt hatte, zweifelte niemand mehr an den Fähigkeiten des Basken. War er letztes Jahr bei seiner Heimrundfahrt so erfolgreich, wieso sollte er es nicht auch in diesem Jahr bei der Tour sein? Ich jedenfalls weiß, dass er mich besiegen kann.

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Beitrag: # 423618Beitrag Grabba
3.5.2007 - 21:14

Rückblick - Feiglinge und Betrüger

Es traf mich, als wäre ein Blitz in die älteste aller Eichen, die ich trage, eingeschlagen. Tagelang konnte ich keinerlei Kraft aufbringen für meinen ewigen Kampf. Wie gelähmt stand ich einsam und allein, dem, was da kam, schutzlos ausgeliefert. Bis heute kann ich es nicht fassen. Wie konnten sie nur? Wie konnten sie alle nur die Dreistheit besitzen, auf diese Art und Weise jeden täuschen zu wollen? Wie konnten sie nur so dreist sein, mich mit unlauteren Mitteln, mit ihren medizinischen Wunderwerken, besiegen zu wollen? Doch so viele haben es getan.
Knapp drei Jahre lang stand der Radsport am Rande eines Abgrundes, wie selbst ich ihn nicht steiler, tiefer und gefährlicher bieten könnte. Die Affäre um die Feiglinge, die sich um die Anstrengungen mit Hilfe von Medizin drücken wollten, konnte erst nach dieser Zeit restlos aufgeklärt werden. All die Zeit zuvor kam man nur Schritt für Schritt voran, doch schließlich nahm sich ein mutiger und entschlossener Mann, der weit mehr verdient als unser aller Hochachtung, all seine Energie zusammen und sorgte dafür, dass so etwas nie wieder passieren würde. Ein Gremium, bestehend aus vielen, die für den internationalen Straßenradsport für Bedeutung waren und sind, suchte nicht nur potente Geldgeber, die die unzähligen Millionen aufbringen sollten, sondern auch die besten Forscher und Mediziner. Es galt, ein Mittel zu entwickeln, mit dem man alle Täuschungen der Profis aufdecken und auf den Tag genau bestimmen kann. Und es gelang. Es gelang! Seit dem 21. März 2008 stehe ich in der Gewissheit, dass keiner derer, die mich schlagen, ein Betrüger ist.
Die „Operación Puerto“ wurde bis ins letzte Detail abgeschlossen, und auch andere ungeklärte Fälle wurden neu aufgerollt. Es hatte einige Irrtümer gegeben, doch vieles, leider zu vieles, hatte sich als wahr herausgestellt. Die Betrüger und Verräter an ihrem Sport erhielten Strafen. Die Menschen redeten von gerechten Strafen, doch ich fand sie lächerlich. Was sind schon zwei Jahre in der Ewigkeit dieser Welt? Und was sind zwei Jahre verglichen mit dem, was sie ihrem Sport, ihrem Leben angetan hatten? Manche von ihnen beendeten ihre Laufbahn, andere sitzen noch immer auf dem Rad. Gerne sehe ich sie wahrlich nicht, zeigte sich doch kein einziger von ihnen wirklich reuig. Doch seit jenem 21. März 2008 gibt es keine unlauteren Medikamente mehr im internationalen Radsport, und so viel ist sicher: Mich betrügt heute niemand mehr.

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Beitrag: # 423906Beitrag Grabba
5.5.2007 - 14:12

Streckenbesichtigung

Heute waren sie hier. Sie wollten sehen, was sie in den nächsten zwei Wochen erwarten wird. Und wieder einmal waren es solche Radfahrer, denen ich meine Bewunderung zollen muss. Doch dieses Mal galt die Bewunderung sicherlich nicht den Rennfahrern selbst, sondern vielmehr ihrem Team, dass nun schon seit 15 Jahren unverändert existiert und seit 10 Jahren ununterbrochen in der Weltspitze fährt. Die Teamleitung ist die gleiche, und auch die sportlichen Leiter bleiben, und mit ihnen der Erfolg. In all die Skandale, die der Radsport in den letzten beiden Jahrzehnten durchleben musste, waren sie von allen professionellen Teams am wenigsten verwickelt. Viele junge Fahrer haben sich bei ihnen frei entfalten und entwickeln können, und auch heute noch gehören sie zu den stärksten Teams.
Und nicht nur deshalb sind sie mir eine der sympathischsten Mannschaften. In den Steigungen, egal ob kurz oder lang, sind sie stark aufgestellt. Der Kampf gegen die Uhr liegt ihnen gut, und auch über drei Wochen sind sie stark. Ihr schnellster Mann ist zwar schnell vor allem in der Ebene, doch auch den Kampf gegen mich scheut er nicht. Einzig und allein auf diesen eigenartigen flandrischen Pavées können sie nicht bestehen, doch das tut meiner Sympathie keinen Abbruch - was die Leute immer wieder an diesen Rennen finden ist mir noch immer schleierhaft. Sei es drum.
Heute jedenfalls haben sie mich besucht. Sie wollten die Steigungen auskundschaften, und sehen, was für sie möglich ist. Und für sie ist sicherlich einiges möglich. Drei Kapitäne haben sie: Bernhard Kohl, den österreichischen Kletterer, Markus Fothen, den deutschen Rundfahrer, und Tim Schwarzenbeck, den König der Ardennen. Heinrich Haussler ist der Kapitän in den Massensprints. Die Erfolgsliste dieser Stars und somit des gesamten Teams ist lang.

2004 hatte es begonnen mit Davide Rebellins Dreifachsieg in den Ardennen - 2007 war das Team hier ähnlich stark, mit Stefan Schumacher und Rebellin. 2008 ging dann der Stern des erst 22 jährigen Deutschen Tim Schwarzenbeck auf, der bei der Baskenlandrundfahrt eine Etappe gewann und den dritten Gesamtrang erkämpfen konnte. Man wollte mit einer Viererspitze in die Ardennenklassiker gehen, doch Schwarzenbeck stürzte noch vor dem Amstel Gold Race und brach sich das Schlüsselbein. In den Ardennen blieb der erhoffte Sieg aus, aber immerhin wurde Rebellin noch einmal zweiter in Lüttich - einige Monate später beendete er seine Karriere. Schumacher wechselte am Jahresende zu Milram und Wegmann, wenngleich ein guter Klassikerfahrer, gelang nie der ganz große Schlag. Mit Andrea Moletta und Francesco Failli hat das Team zwei weitere gute Klassikerfahrer aus Rebellins Heimatland, doch auch sie konnten noch keinen der ganz großen Klassiker gewinnen.
Doch dafür haben sie Tim Schwarzenbeck. 2008 kämpfte er sich zurück und fuhr einen grandiosen Herbst, in dem er drei kleinere Klassiker für sich entscheiden konnte. Nach fünften Plätzen in Zürich und Tours beendete er die Lombardeirundfahrt auf Platz zwei - hinter Paolo Bettini, der hier seine großartige Karriere mit einem riesigen Sieg beendete. 2009 gelangen Schwarzenbeck viele gute Klassikerresultate, doch der erhoffte große Sieg blieb aus. Zweiter wurde er in Plouay und in Tours, dritter in Hamburg, in Zürich und in der Lombardei und fünfter in San Sebastian. In den Ardennen konnte er lediglich einen siebten Platz in Lüttich erringen, doch bereits 2010 sollte sich dies ändern. War ihm beim Amstel Gold Race nur der fünfte Rang geblieben, so setzte er sich an der Mur de Huy und in Lüttich eindrucksvoll durch. Bei der Tour holte er noch einmal ganz groß aus und siegte an zwei Tagen. 2011 gewann Schwarzenbeck das Amstel Gold Race, wurde zweiter in Huy und wiederholte seinen Sieg in Lüttich. Erstmals machte er auch als Rundfahrer auf sich aufmerksam indem er die Tour de Romandie und die Katalonien Rundfahrt gewann - nun hatte er sich meine Achtung und meinen Respekt erarbeitet. Im darauffolgenden Jahr gelang ihm nach dem Sieg bei der Baskenlandrundfahrt erstmals das Triple in den Ardennen - und wieder gewann er die Tour de Romandie, die Katalonien Rundfahrt und nun sogar die Tour de Suisse.
Doch dieses Jahr sollte alles anders werden. Keinen Ardennenklassiker war er gefahren, keine Baskenlandrundfahrt, keine Tour de Romandie. Erst in Katalonien war er ins Renngeschehen eingestiegen, doch immerhin hatte er den Gesamtsieg erkämpfen können. Er gewann noch eine kleinere Rundfahrt in Portugal und wurde schließlich wie bereits vor zwei Jahren Deutscher Meister. Denn dieses Jahr hat der vielleicht stärkste deutsche Radrennfahrer sein ganzes Augenmerk auf die Tour de France gelegt. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem er sich in Katalonien das Führungstrikot erobert hatte. Einer von diesen Reportern, die sich selbst niemals auf ein Fahrrad setzen würden sondern stets nur erschütternde Fragen stellen können wollte den Grund für diese Umstellung der Ziele wissen. Die Antwort habe ich bis heute nicht verstanden.
„Fragen sie zehn Leute in Deutschland, so werden neun davon Jan Ullrich kennen, fünf vielleicht kennen Markus Fothen, Volker Ruland, Heinrich Haussler oder Gerald Ciolek. Und vielleicht hat einer den Namen Tim Schwarzenbeck noch in Erinnerung, der ja vor einigen Jahren zwei Etappen bei der Tour gewonnen hat. So ist das nun einmal in Deutschland. Fährst du die Tour, so bist du ein Held. Gewinnst du zehn große Klassiker und kleinere Rundfahrten, so kennt dich niemand.“
Ist dies seine ganze Motivation, den Toursieg in Angriff zu nehmen? Ist das wirklich alles? Ich hoffe, dass er sich eines besseren besinnen wird, denn wenn er gegen mich kämpfen muss, dann wird dies alleine ihm nicht reichen. Ich jedenfalls freue mich schon darauf, erstmals ernsthaft gegen ihn antreten zu müssen. Ja, dieses Jahr wird ein Heidenspaß werden.

Doch auch die anderen in seinem Team sind nicht ohne. Markus Fothen ist immer stark gefahren, und auf seiner Erfolgsliste stehen vier Top-Ten Platzierungen bei der Tour, darunter der zweite Platz 2011. 2010 fuhr man im Team für Bernhad Kohl, der 2009 die Tour auf dem dritten Rang beendet hatte. Fothen fuhr in diesem Jahr Giro und Vuelta und wurde hier vierter und zweiter. Doch für den ganz großen Sieg haben ihm in der entscheidenden letzten Woche immer ein paar Körner am Berg gefehlt. Kohl hatte vor seinem dritten Gesamtrang in Frankreich bereits die Vuelta auf Rang drei beendet. Fothen ist noch immer für einen Podestplatz, vielleicht sogar für den Gesamtsieg, in Frankreich gut. Kohls beste Zeit jedoch scheint bereits hinter dem Österreicher zu liegen, doch ein starker Joker ist er noch immer - das hat er beim diesjährigen Giro mit dem Gewinn des Bergtrikots bewiesen.
Auch Heinrich Haussler wurde mit den Jahren immer stärker und schneller, und in den letzten vier Jahren war er immer erfolgreich bei der Tour dabei und gewann so insgesamt fünf Etappen. Das grüne Trikot ist sein großes Ziel in diesem Jahr, doch die Konkurrenz schläft nicht. Unterstützen sollen ihn vor allem der Italiener Oscar Gatto, Robert Förster, der hier seine letzte Tour bestreiten wird, und die deutsche Sprinterhoffnung der Zukunft, Toma Schöckel. Ich bin zwar gespannt, wie es ausgeht, doch wirklich begeistern kann ich mich für diese Sprinterkämpfe nach wie vor nicht. In den Bergen soll in erster Linie Oliver Zaugg Helverdienste verrichten, doch wenn es darauf ankommt werden auch zwei der drei Kapitäne mithelfen. In erster Linie fährt das Team für Tim Schwarzenbeck. Er will voll und ganz auf Angriff fahren, und gerade die hügeligen und jene durch die Mittelgebirge sollten ganz nach seinem Geschmack sein. Was er dann im Hochgebirge zu leisten vermag wird man sehen - und sollte er scheitern, so wird Markus Fothen die Kapitänsrolle übernehmen.

Eine ganze Stunde lang haben sie meine Hänge nun erkundet. Die Nachmittagssonne scheint hell und brennend heiß auch mich hernieder. Während die Betreuer gesammelte Informationen auswerten haben sich die Fahrer in den Schatten einer meiner größten Kiefern zurückgezogen, um in Gedanken bereits einige Wochen voraus zu sein. Tim Schwarzenbeck hat sich mitten im saftigen Gras ausgebreitet, und so ist er mit mir verbunden. Ich spüre die Kraft, die ihn durchströmt. Und ich spüre den feurigen Willen in seinem Herzen. Er hat die Möglichkeit, in diesem Jahr den ganz großen Sieg zu landen, das weiß ich, das spüre ich. Wenn er an sich selbst glaubt und ohne Fehler bleibt, so vermag er gegen mich zu bestehen.
Viele Minuten haben sie nun hier geruht, und jede einzelne davon habe ich genossen. Drei meiner größten Gegner kenne ich nun, und endlich vermag ich ihre Stärke einzuschätzen. Die Duelle mit ihnen sehne ich nun mehr herbei als jemals zuvor. Tim Schwarzenbeck hat sich erhoben. Noch einmal nimmt er einen kräftigen Schluck aus seiner Sprudelflasche, bevor er sich wieder auf sein Fahrrad schwingt und seinen Weg fortsetzt. Ja, er und sein Team sind gerüstet für die Tour de France, und für den Kampf gegen mich. Die Tour wird zeigen, ob er sein Ziel erreichen kann.

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Beitrag: # 423954Beitrag Grabba
5.5.2007 - 19:23

An dieser Stelle ist denke ich ein kurzer Zwischenpost angebracht. Mittlerweile sollte eigentlich klargeworden sein, dass die Hauptinnovation des AARs darin besteht, dass der Ich-Erzähler ein Berg ist. Anfangs wollte ich einen einzigen Berg als Erzähler nehmen, doch das wäre vielleicht etwas zu eintönig geworden, denn welcher Berg wird schon bei mehreren wichtigen Rennen im Jahr befahren? Deshalb habe ich mich entschieden, den "Berg" als abstrakten Begriff, der für jeden bedeutenden Anstieg (aber immer nur für einen gleichzeitig) stehen kann zu verwenden. Da ist dann halt auch immer etwas Phantasie erforderlich.

Anfangs wollte ich das Ganze doch recht kurz gestalten, ohne Rennberichte und alles, aber mittlerweile juckt es mich doch, da etwas mehr zu machen. Es wird definitiv noch einiges folgen - eine TdF zumindest ist fest geplant.
Die Inhalte des AARs beruhen zum Teil auf einer Karriere, die ich bis 2013 gespielt habe, aber eben nur zum Teil. Vieles habe ich für den AAR abgeändert und einiges natürlich auch völlig selbst erdacht. Ist eigentlich für den Verlauf der Geschichte aber auch völlig irrelevant.

Es ist auch an der Zeit, demjenigen, der mir, ohne es zu wissen, die Idee zu diesem AAR gegeben hat, zu danken: Danke Exelero, denn folgender Beitrag (Link) hat mich zu diesem AAR gebracht:
"Man kann nunmal nur aus der Sicht eines Fahrers oder Teammanager schreiben! Es sei denn jemand schafft es aus der Sicht des Vorderrads zu schreiben, könnte doch sehr interessant und amüsant zu sein!"
Bei mir ist es eben nicht das Vorderrad sondern der Berg.

Außerdem möchte ich arkon danken, der mir bisher als einziger Feedback zu dem AAR gegeben hat. Ich würde mich wirklich sehr über weitere (kurze oder lange) Rückmeldungen freuen - egal was sie aussagen. Denn so hänge ich quasi in der Luft, und weiß nicht mal, ob das hier überhaupt irgendwer verfolgt, was der Motivation natürlich auch nicht unbedingt förderlich ist. Wäre sehr nett. :)

Rad-Schumi
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Beitrag: # 424007Beitrag Rad-Schumi
5.5.2007 - 21:13

Ich finde den AAR bisher wirklich gut gelungen. Auch die Idee ist seht interessant, besonders gespannt bin ich auf die Rennberichte, wie du das hinkriegen wirst. Die Zusammenfassungen des bisher Geschehenen fande ich sehr spannend, aber am besten fand ich bisher das Gedicht(hast du das selber geschrieben?). Ich hoffe du wirst mehr als nur die Tour machen, denn der AAR ist bisher sehr verheißungsvoll. Verzeihung, dass ich nicht früher etwas zu deinem AAR gesagt habe :oops: :oops: , ich wollte aber erstmal abwarten, was passiert. Doch da du um Feedback bittest, wollte ich dir doch sagen, dass mir das alles sehr gut gefällt. Ich hoffe, du kannst dieses Niveau beibehalten und, wie gesagt, dass du noch lange weiter machst.
Also, von mir ein großes Lob und mach einfach weiter so!!

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Grabba
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Beitrag: # 424048Beitrag Grabba
5.5.2007 - 22:53

Vielen Dank für das große Lob. So was motiviert natürlich, direkt noch einen weiteren Beitrag zu verfassen. Das Gedicht habe ich selbst geschrieben. Wenn das wirklich so gut gefällt (hatte eigentlich eher das Gegenteil erwartet - gerade deshalb freut mich dieses Lob um so mehr) werde ich schauen, ob sich so etwas noch das eine oder andere Mal einbringen lässt.
Auf die Rennberichte bin ich selbst gespannt. Ich überlege derzeit noch, ob ich einen Spielstand vom 30.6.2013 nehmen, die Database umbauen und die Tour durchspielen oder ob ich mir lieber alles ganz aus den Fingern saugen soll - mal schauen. Für die Art der Berichte habe ich mir schon einiges überlegt, um sie abwechslungsreich zu halten. Dass dabei auf den Bergetappen ein besonderes Augenmerk liegen wird sollte klar sein.
Ob ich den AAR danach noch weiter fortführen werde oder nicht, das kann ich jetzt noch nicht sagen. Das wird sich zeigen. Also dann, vielen lieben Dank für das Lob, ich werde mich mal wieder ans Schreiben machen. :)

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Grabba
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Beitrag: # 424055Beitrag Grabba
5.5.2007 - 23:39

Neue Schikanen

So groß wie in diesem Jahr war der Andrang auf den Thron der Tour de France selten. Denn der Thron ist wieder frei. Erstmals seit drei Jahren wird die Tour nicht mehr von einem Mann dominiert werden. Und für die Spannung ist das gut. Doch für mich bedeutet es viel Arbeit. Denn es gilt, den würdigsten unter ihnen zum Sieger zu krönen. In den letzten Jahren war es einfach, denn der Sieger stand fest, ob ich es wollte oder nicht. Doch dieses Jahr liegt das gelbe Trikot wahrlich auf meinem Gipfel. Sie werden es nicht leicht haben, dafür werde ich schon sorgen. Mehr als einem Dutzend Fahrern ist der Sieg tatsächlich zuzutrauen. Klar gibt es einige, denen man mehr zutraut, und andere, deren Chancen man geringer sieht, doch möglich ist vieles. Auch darf man sich fragen, ob eine einzelne Mannschaft das Feld überhaupt kontrollieren kann. In den letzten Jahren war es der Kampf um Platz zwei, der die Spannung aufrechterhielt, doch dieses Jahr steht erstmals wieder der Sieg auf dem Spiel.
Doch was kann ich tun? Liegt es denn in meiner Macht, das Wetter zu bestimmen? Ohne Zweifel kann ich die Wolken über mir sammeln, und ich allein bin in der Lage, sie sich über mich ergießen zu lassen. Und bin ich erst einmal von dieser ewigen Flut überschwemmt, so mag es den einen oder anderen zu Fall bringen. Oder ich kann alle Wolken von mir halten und die Strahlen der feurigen Sonne auf meinem Gipfel bündeln, und mich selbst zum Glühen bringen. Sicherlich, den einen oder anderen werde ich so schon den Zahn ziehen können, oder vielleicht auch das Bein brechen, doch reicht das aus, um einen Toursieger zu ermitteln? Sicherlich nicht.

Ein Bein zu brechen. Noch immer hallt das Krachen in meinen Ohren wieder. Niemals werde ich diesen Knall vergessen oder verdrängen können. Es war im Sommer 2003, als es heißer war als jemals zuvor, als Iban Mayo in l’Alpe d’Huez gesiegt hatte, und als der Dominator erstmals Schwächen zeigte. Sein größter Kontrahent war stärker denn je zuvor. Bis ich ihn zu Fall brachte. Atemberaubend schnell flog er an meiner Flanke hinab. Gemeinsam mit all den anderen raste er zu Tale. Er wollte alles oder nichts - und ich gab ihm alles, und für ihn wurde es nichts.
Ein Sturz, ein Krachen lauter als ein in die Tiefe fallender Felsen, ein markerschütternder Schrei. Ein vor Schmerzen gekrümmter Star am Boden, sein Traum vom Sieg gebrochen, genauso wie sein Oberschenkel. Ich wollte ihn nicht oben sehen, und so habe ich ihn den Thron nicht erklimmen lassen. Ich wollte andere ins Rampenlicht rücken, und ihm all seine Chancen nehmen. Und das habe ich an diesem Tag getan. Denn nie mehr konnte er hernach zu alter Klasse zurückfinden. Niemals mehr konnte er um den Sieg mitkämpfen, niemals mehr in die Nähe des Erfolges fahren. Auch hier hatte ich gesiegt, wenngleich auf dramatisch andere Weise, als es sonst meine Art ist.

Doch dieser Erfolg ist Vergangenheit, denn zu lange liegt er schon zurück. Um jeden Preis muss ich in diesem Jahr verhindern, dass der Sieger der Rundfahrt im Kampf gegen die Uhr gekrönt wird. Wäre dies der Fall, so würde man mit der Zeit das Interesse an mir verlieren. Vor zwei Jahren bestand bereits diese Gefahr, als sich zwei deutsche Zeitfahrer neben meinem ewigen Bezwinger auf dem Podium in der Metropole der Seine bejubeln lassen durften. So etwas darf mir nicht noch ein weiteres Mal passieren. Ich muss mir Neues erdenken, ja ich muss. Und ich werde. Morgen werden sie einen Teil des Pfades, der an meiner Seite hinaufführt, mit einer neuen flüssigen Masse überziehen. Vorher lasse ich über Nacht ein wenig Erde herabrollen, ja, das tue ich. Und wenn die Erde dort liegt, dann werden sie auch sie unter ihrer flüssigen Masse begraben, und schon gibt es eine neue, noch viel steilere Rampe, die es zu bezwingen gilt. Ein-, zwei- oder dreimal, und schon wird es schwieriger werden für die Tempobolzer. Und manche werden stehenbleiben, oder wie Schlangen hinaufkurven, wo es ihnen zu schwer wird. Doch was noch, um auch die anderen zu bezwingen? Sollte es nicht mein Ziel sein, ihre Qualen nicht nur zu mehren sondern auch zu verlängern? Wenn ich die alte Straße zertrümmere, den Weg versperre, dann sind sie gezwungen, einen anderen, längeren, und härteren Weg zu bauen. Und es wird meine Gegner noch mehr Anstrengungen kosten. Länger und steiler werde ich ihnen den Aufstieg bereiten, auf dass nur die besten Freude daran finden werden, und dass am Ende nur der allerstärkste allein zu jubeln vermag.

TSB-ARG
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Beitrag: # 424122Beitrag TSB-ARG
6.5.2007 - 13:09

Ein Kunstwerk, ganz grosses Kino. Tolle Idee, perfekte Ausfuehrung! Spiel das so in der Karriere und die Etappe mit "dir" dann natuerlich sehr sehr ausfuerhlich. Was bleibt noch zu sagen? Einfach stark!

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Grabba
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Beitrag: # 424756Beitrag Grabba
8.5.2007 - 22:56

Ich bitte die Leser meines AARs um Entschuldigung, dass dieser Beitrag so lange auf sich hat warten lassen. Aber Abiturprüfungen und dann noch eine Erkrankung am Weisheitszahn kann man nun mal leider nicht ignorieren...
Wie dem auch sei, hier jedenfalls der nächste Beitrag. Vorab möchte ich mich aber noch riesig bei dir, TSB-ARG, für dein Feedback bedanken. So viele Lobpreisungen in einem einzigen Satz verpackt - das ehrt mich auf jeden Fall ungemein. Die Etappe mit dem Ich-Erzähler wird selbstverständlich in akribischster Detailtreue und mit den ausuferndsten Ausführungen beschrieben - ich sehe die vielen Seiten Text schon vor mir. Vielen lieben Dank jedenfalls für dein riesen Lob, glaub mir, das zu lesen motiviert jedes Mal aufs Neue. :)






Der Franzosen letzte Hoffnung

Lange liegt er zurück, der letzte französische Toursieg. Noch länger liegen sie zurück, die großen französischen Helden, die Anquetils, die Fignons, die Hinaults. Und über eine Dekade ist seit der Glanzzeit des Richard Virenque vergangen. Seither tappen die Franzosen völlig im Düsteren, waren bei ihrer Heimrundfahrt, der größten der Welt, nichts als bloße Statisten. Reichte es in den Sprints oder den anderen flachen Strecken doch das eine oder andere Mal zu einem Sieg oder zu einer guten Platzierung, so scheitern sie an meinen gnadenlosen Hängen schon seit langer Zeit Jahr für Jahr aufs Neue kläglich. Viele im Lande der so wohlklingenden und gleichfalls unaussprechlichen Sprache zweifelten an den Erfolgen der anderen, nannten sie Betrüger. Sicherlich lagen sie nicht alle gänzlich daneben, wie die Zeit bewiesen hat, doch ist dies nur ein Teil der Wahrheit. Denn das, was wirklich stimmt, und das wissen sie alle selbst, ist, dass es ihren Fahrern an der Kraft und am Können mangelte, es mit mir aufzunehmen.
Doch niemals haben die Franzosen die Hoffnung auf ihren neuen Toursieger aufgegeben. Und in diesem Jahr können sie erstmals wieder wahrhaftig hoffen. Ein junger Fahrer hatte sich über viele Jahre hinweg mit konstantem Eifer entwickelt. Vor zwei Jahren dann hatte Vladimir Crémont auf sich aufmerksam gemacht, mit dem 11. Gesamtrang in Nizza, dem 9. Platz in der Romandie und der 12. Position in Katalonien. Doch bis zur Dauphiné Liberée war er nur richtigen Experten ein Begriff, wenngleich ich schon lange auf ihn aufmerksam geworden war. Bewies er zwar nicht den großartigsten Stil, wenn es gegen mich anzutreten galt, doch immerhin ein wahres Kämpferherz. Doch dann, bei der wichtigsten Rundfahrt in Vorbereitung auf die große Schleife schlug er zu - der vierte Gesamtrang attestierte ihm die Topform, und nur der übermächtigen Doppelspitze CSCs und dem späteren Toursieger musste er sich beugen. Weder bei der Tour noch in Spanien folgten die ganz großen Auftritte, doch ein solider Kampf gegen mich war es, den er ablieferte. Im letzten Jahr zeigte er sich bei der Tour noch ein Stückchen stärker, doch der große Schlag blieb aus. Auch in diesem Jahr blieb er bis jetzt alle Erwartungen seiner Heimat schuldig, doch bin ich mir sicher, dass er sich mir nicht kampflos geschlagen geben wird - denn ein ganzes Jahr lang hat er nun einzig und allein auf diese Duelle mit mir hingearbeitet. Vladimir Crémont wird das Team Agritubel in Frankreich anführen, und ein Platz unter den ersten zehn ist ihm allemal zuzutrauen.

Aber es ist nicht Crémont, dem die Franzosen ihre Hoffnung schenken. Bei der letztjährigen Schweizer Rundfahrt konnte sich David Brogniart von Landbouwkrediet erstmals zeigen. Nach einem unauffälligen ersten Profijahr bei LPR und zwei völlig blassen Lehrjahren in Diensten einer kleinen spanischen Mannschaft war er zu den Belgiern gewechselt - und hier zeigte er sein Können. Nachdem der Belgier Luis Steyaert als vierter des Giros sein Können gezeigt hatte trumpfte Brogniart in der Schweiz mit einer starken Leistung in den Bergen und einem sechsten Gesamtrang auf. Bei der Tour wurde es ein siebter Platz, und damit das beste französische Ergebnis seit Jahren. In diesem Jahr ist Steyaert beim Giro nicht in Topform gefahren, und so konnte er sich gerade noch unter die ersten zehn schieben, was ihm jedoch ein hohes Grundniveau attestiert. Bei der Tour will er seine Bestform erreichen, um seinem Kapitän zum ersten französischen Erfolg seit Ewigkeiten zu verhelfen. Brogniart selbst wurde in diesem Jahr nach einigen unauffälligen kleineren Rundfahrten dritter der Dauphiné und zeigte damit, dass der Formaufbau in Richtung Frankreich perfekt zu sein scheint.
Nun bleibt abzuwarten, was er wirklich kann, doch vielleicht, ja, vielleicht wird er so stark sein, dass die Franzosen endlich wieder jubeln dürfen. Ich weiß, dass er ein ganz großer ist im Kampf gegen mich. Seine Ästhetik auf dem Rennrad, selbst an den steilsten Hängen. Sein gleichmäßiger, runder Tritt, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. Seine spritzigen Antritte, die Freund und Feind gleichermaßen schocken und in Staunen versetzen. Sein Kampfgeist, den er im letzten Jahr nie bezähmen konnte, doch den er nun fest im Griff hat und der zu einer mächtigen Waffe geworden ist. Seine Fähigkeiten bergab, die ihn die steilsten Hänge hinabschießen lassen. Seine windschnittige Position auf dem Rennrad, die ihm auch im Duell mit Zeit hilft. Sein Gesicht, das stets ungezeichnet ist, dem man nichts anmerken kann. Und vor allem seine innere Stärke, seine Kraft des Herzens und des Geistes. Er ist kein reiner Kämpfer, er ist kein pures Kraftpaket, kein asketischer Dominator. Er ist ein intelligenter Stilist, zurückhaltend und auf seine Stärken besonnen. Wäre da nicht der größte Rundfahrer dieser Zeit, der Sieger der letzten drei Jahre, so könnte man vielleicht sogar ihn, David Brogniart als den stärksten für die großen Rundfahrten bezeichnen. Allemal jedoch gehört er in diesem Jahr zu den heißesten Favoriten von allen, und es wird sich zeigen, wer sich ihm stellen kann, wenn es mich zu überwinden gilt, wenn es die Straße meines Überganges zu erklimmen gilt, wenn die Luft dünn wird, wenn ich ihnen alles in den Weg lege, was in meiner Macht steht, wenn ich bis zum Letzten kämpfe und versuche, sie aufzuhalten, mit allem, was ich irgend aufzubringen vermag, wenn die unsichtbaren Sterne am Himmel sie zu erdrücken scheinen, und wenn sie den Kampf mit der Zeit zu verlieren drohen. Wenn er dann noch antritt, wer sonst würde mithalten können?

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Grabba
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Beitrag: # 425225Beitrag Grabba
10.5.2007 - 22:52

Rückblick - Eine schmerzhafte Absage

Heute ist sein Geburtstag, der mich schmerzlich an diesen mit Trauer belasteten Tag zurückerinnert. Die ganze Saison über hatte ich mich darauf gefreut. Gefreut auf neuerliche Duelle gegen den größten Meister seiner Zunft, gegen jenen einen, der sie in den letzten drei Jahren alle überragt hatte. Und ich freute mich schon darauf, ihn erneut zum Sieger küren zu dürfen, nachdem wir so oft grandios miteinander gefochten hätten. Ich freute mich, bis zu jenem verheißungsvollen 29. Mai. Ich freute mich, bis Arslan Tynyanov die Teilnahme an der diesjährigen Tour absagte.

Klar wie ein Buch ist sein Weg vor meinem Auge und Herzen ausgebreitet, hat er doch stets nur über mich geführt. 2007 begann er als Neuling beim Team Unibet aus Schweden. In seinem kleinen Heimatdorf im Herzen seines Landes kannte man ihn nur als „den Radfahrer“. Eines Tages wurde ein Talentesucher auf ihn aufmerksam. So zogen sie ihn ins Team, zu Unibet, und da man sich hilflos sah, den anderen Teams kampflos an den Bergen Italiens ausgeliefert, nahm man seinen jüngsten, damals erst siebzehnjährigen, Fahrer mit in die härteste Rundfahrt des Jahres, auf die Gefahr hin, das größte Juwel des internationalen Radsports zu verheizen.
Überdimensional stark fuhr Jose Rujano. Auf einer der ersten Etappen, in denen es schwindelerregende Höhen zu erklimmen galt, trat Tynyanov früh an, um sich sein ehrenhaftes grünes Hemd, das er zwei Tage zuvor erobert hatte, zu verteidigen. Er zog mit einer guten Gewalt über die Gipfel. Doch früh bereits trat auch Rujano aus dem großen Feld heraus an und stiefelte seinem großen Rivalen Damiano Cunego davon. Als er Tynyanov erreichte zog dieser ihn den Berg hinauf und geleitete ihn sicher hinab ins Tal und durch dieses hindurch, bevor er sich am nächsten Anstieg zurückfallen ließ. Rujano gewann die Etappe mit Vorsprung, doch nicht den Giro. Dennoch war sein zweiter Gesamtrang aller Ehren wert und mehr als er sich erhofft hatte. Doch weder beeindruckte mich das großartige Duell von Cunego und Rujano, noch irgendetwas Anderes, außer jenem siebzehnjährigen Kasachen. Der Stil, mit dem er mich nicht bezwang sondern schier ignorierte, die Galanz seiner Antritte, der nimmermüde Kampfeswille seiner Beine, das zielstrebigste Gesicht, das einer seines Alters sich wünschen könnte. Sah man ihm in die Augen, so erblickte man dort Weisheit und Erfahrung, und nicht die torhafte Jugend eines Siebzehnjährigen. Für seine stete Aktivität entlohnte ich ihn nicht nur mit der Trophäe für denjenigen, der sich am besten gegen mich zu behaupten vermochte, sondern auch mit dem Sieg auf der 17. Etappe - wie passend zu seinem Alter.
Er fuhr noch ein starkes Jahr, in dem er die Schweizer Rundfahrt auf dem vierten Gesamtrang beenden und auch in Österreich gut mitrollen konnte. Das nächste Jahr ward zu einem bloßen Lehrjahr, und viele närrige Menschen begannen, zu vergessen. Doch wer einmal sein wahres Herz offenbart hatte, den sollte man nicht wieder vergessen. Denn 2009 bereits, in der „Tour des Ostens“, wie viele sie nannten, die Popovych vor Braijkovic gewann, eroberte Arslan Tynyanov erneut die höchste Anerkennung, die ich einem Radfahrer verleihen kann - hier die roten Punkte auf weißem Grund. In einem kleinen Interview am Rand erwähnte er, dass er im nächsten Jahr wiederzukommen gedenke - um die Tour de France für sich zu entscheiden. Er sagte dies so voller echter Selbstsicherheit und ohne irgendeine aufgelegte Mine, dass der Reporter es bloß in einer Randnotiz erwähnte, so unspektakulär und unreal wirkte diese Ankündigung.

Doch ich... ich sah es ihm an. Er meinte es ernst. Niemals hatte er gelogen, niemals einen anderen zu täuschen versucht. Über all seinem Kampfesgeist und all seinen anderen Prinzipien stand stets die Ehre an allererster Stelle. Und ich alleine spürte die Kraft, die in ihm schlummerte und die langsam endgültig ans Tageslicht gelangte. Er war gereift. Zwar war er noch nicht ausgereift, doch sicher war ich mir, dass er meine Erwartungen im nächsten Jahr nicht enttäuschen würde.
Und so kam es. Neun Etappen gewann er, und überlegen eroberte er das gelbe Trikot, gegen das er gerne sein kasachisches Meistertrikot eintauschte. Auch in den beiden darauffolgenden Jahren war die Tour seine Domäne, und mehr noch als einst Armstrong zeigte er allen anderen bloß das Hinterrad. Doch im Gegensatz zu Armstrong hegte an ihm, an seinen Errungenschaften und an seinen Leistungen niemals ein anderer Verdacht, noch kam Neid auf, so ehrlich und ehrenhaft fuhr er.
Sein Stil stellt alles Andere in den Schatten. Zum ersten Mal seit ewig langer Zeit habe ich wieder einen Gegner, der mich nicht mit wilder Kraft bekämpft, sondern der mich zu verstehen und mit seinem Kopf zu bezwingen versucht. Und es gelingt ihm. Armstrong war ein Kämpfer, in allen Bereichen des Lebens. Und schlau war er, klug und clever. Auch Tynyanov ist ein Kämpfer, mehr noch als Armstrong es je war. Auch intelligent ist er, intelligenter und weiser als Armstrong es in hundert Jahren sein könnte. Doch über all diesem ist er der größte Stilist, der je meine Hänge befahren hat. Und das mit gerade einmal 24 Jahren.

Doch dieses Jahr 2013 war nicht wie alle zuvor geprägt vom bloßen Willen nach der Tour. Es war vielmehr geprägt vom Wunsch, all seinen Kritikern und Zweiflern zu beweisen, dass er wahrhaftig mehr ist als Armstrong es je war, dass er mehr gewinnen kann als nur die große Rundfahrt durch Frankreich. Auch die Ardennen erklärte er in diesem Jahr zu seinem Metier, und er trat die Nachfolge von Tim Schwarzenbeck an. Drei große Rennen, stark besetzt wie selten zuvor, auf nur einen großen Star des Geländes verzichtend, und dreimal gewann Arslan Tynyanov. Und als wäre dies nicht genug gewesen, so konnte er seine Kräfte konservieren, und in der Westschweiz seine allgegenwärtige Überlegenheit demonstrieren. Und auch die Italienrundfahrt nahm er in Angriff. Und Angriff ist das rechte Wort. Vom ersten Tag an fuhr er seine Konkurrenten in Grund und Boden, ungeachtet aller Hindernisse, die seinen Weg blockierten. Der zehnte Tag war der Kampf gegen die Uhr, und zwei Minuten konnte er hier als Weltmeister gegen alle anderen herausfahren. Langsam begannen seine Kräfte ihn zu verlassen, doch längst war es zu spät für einen erstmals seit vielen Jahren wieder schwächelnden Jose Rujano, diesen entfesselten Kletterer aus Kasachstan noch abzufangen.
Doch nachdem Arslan Tynyanov, mittlerweile schon länger im Trikot seiner heimatlichen Hauptstadt Astana fahrend, das rosane Trikot in Empfang genommen hatte kündigte er an, nicht in Frankreich an den Start zu gehen. Er wolle die große Schleife nur im Vollbesitz seiner Kräfte in Angriff nehmen , was ihm in diesem Jahr nicht mehr möglich sei. Und wenngleich mich diese Entscheidung schmerzt wie nur wenig Anderes, so muss ich ihr doch tief in meinem Inneren nichts als Respekt zollen. Denn auch sie zeugt von seinem übermäßigen Ehrgefühl. Er besitzt nicht die Dreistheit, sich geschwächt gegen mich vorzuwagen. Nur im Vollbesitz seiner Kräfte will er sich mit mir messen, um unsere Duelle nicht zu verfälschen. Das ehrt uns beide gleichermaßen. Und schon im nächsten Jahr, da bin ich mir sicher, wird er wieder meine Hänge hinaufeilen, er, Arslan Tynyanov, mein würdigster Gegner aller Zeiten.





War dieser Beitrag noch ein recht normaler, standardmäßiger, so habe ich mir für den nächsten etwas ganze Neues ausgedacht, das zwar noch nicht geschrieben, dafür aber in mir bereits gut ausgereift ist. Ich bin gespannt, wie das ankommen wird.
Aufgrund der (bisher leider noch immer nicht zahlreichen) sehr positiven Rückmeldungen bin ich fest entschlossen, den AAR zumindest bis zur Tour de France und durch diese hindurch mit bestmöglicher Ausführlichkeit und Liebe zum Detail fortzuführen. Was danach kommt weiß ich noch nicht, aber bis dahin wird noch einige Zeit und viele Beiträge ins Land gehen. Und nach wie vor gilt: Ich freue mich über jedwedes Feedback. ;)

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José Miguel
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Beitrag: # 425501Beitrag José Miguel
11.5.2007 - 22:18

Tja eigentlich kann man nur hoffen, dass du das weiterhin durchziehst, denn die Qualität ist sehr gut.
RZ: Punktewertung Vuelta 2006 und 2008, Etappensieg TdF 2010, 2011 und Giro 2012&2014, Berg Giro 2012, 2013, 2014 / Rad-Tipp: Giro dell'Emilia, Paris-Tours 2008, Tour de Romandie 2011, Eneco-Tour 2011, WM-Zeitfahren 2011 / Frauenfussball-Weltmeisterschaft 2007 / Fussball-Bundesliga 11-12
SKI: Whitney Houston Award 10/11, 11/12, 12/13, 13/14

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T-MobileFan
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Beitrag: # 425949Beitrag T-MobileFan
13.5.2007 - 13:10

Sehr guter AAR!
Einfach ein top Schreibstil und schöne Nebengeschichten.

Dein AAR ist einer der wenigen, den ich hier regelmäßig verfolge. :D
Ob wir siegen oder verlieren, wir stehen immer hinter dir!

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Grabba
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Beitrag: # 426100Beitrag Grabba
13.5.2007 - 20:16

Von Zeit und Ewigkeit und dem Lauf der Dinge

Die grauen Steine ruhen, doch niemals werden sie vergessen, was sie in den Gezeiten dieser Welt erdulden mussten. Aus flüssigen Quellen geformt, alleine ruhend in Jahrtausenden, einsam wartend und nichts als die leere, graue Zeit vor Augen. Von ewigem Eis bedeckt, und von den grausamen Fluten des Himmels feuchten Extraktes durch die leere Welt getragen. Von Strömen der Kräfte, die selbst die Zeit nicht aufzubringen vermag, durchzogen und durchsetzt, kontrolliert und bestimmt, geschlagen und geschaffen. Von Kräften, deren Wandel die Zeit stocken ließ, und deren Bedeutung noch immer abhanden ist. Alleine auf den Gipfeln ruhend, die schon die Ewigkeit durchlebt hatten, geschaffen durch die Ruhe, das Herz der Einsamkeit, sahen sie aus des blauen Wassers ewiger Fluten die ersten Wellen grüner Reinheit erwachsen, die fortan die Welt bedecken sollten. Und seit das Leben von der Erde Besitz ergriffen hat, sie in seinem roten Mantel steter Bewegung und Veränderung gefangen hält, vergeht selbst für sie die Zeit, die vorher wartete, starr wie sie selbst, und kälter als das Eis.
Eine einsame Knospe erscheint, wächst und wird dicker. Erstrahlte sie zuerst noch im prächtigsten Hellgrün, so reift ihr Äußeres mit der Zeit, bis sie schließlich aufspringt, sich ausbreitet, zu ihrer völligen Entfaltung gelangt und blüht, in den schillerndsten Farben des Spektrums der Sonne. Um mich herum blüht nun vieles, und wenige Knospen sind noch zu sehen, denn die Vergangenheit liegt weit zurück, und wo die Zukunft noch gestern so weit entfernt wirkte wie die Sonne am Himmel, so liegt sie heute schon greifbar nahe. Vor mir. Ich sehe vieles, mehr als je zuvor, doch die Erkenntnis bleibt noch immer aus. Doch dies Eine weiß ich: Dass es nicht mehr lange dauern wird, bis auch ich verstehe, bis das Ende der Zeit gekommen ist, als hätte aller Sand die obere Schale vollends verlassen und die letzten Körner würden nun langsam vor mir auf den Boden rieseln, bis schließlich alle Zeit und alles Leben ruht.
Doch noch ist dieser Tag nicht gekommen. Noch immer vernehme ich das ferne Rauschen des Meeres, die wogenden Wellen, die ich nur an den klarsten und reinsten Tagen zu Gesicht bekomme. Doch auch das Rascheln des Windes im Laube, das Leichte Tapsen der Pfoten des kleinen Kaninchens, das prasselnde Herniederrollen und der tiefe, lange Fall eines Kiesels und das sanfte, dumpfe Tröpfeln des Regens erfüllt mich. Ich bin eins mit der Welt um mich, und die Welt ist mit mir. Ich bin der Herr über Welt und Land, bin ihm König und Krone zugleich, einsam wie ich hier stehe, wartend auf das Ende. Und das lodernde Feuer steigt langsam auf, erhitzt mein kaltes Gemüt, bis es schließlich zu dampfenden Schwaden verpufft. Am blutrot getränkten Horizont geht langsam die goldene Sonne unter und lässt den Tag vergehen, der nun der Nacht weichen wird. Und noch immer stehe ich. Und warte.





So viel Lob, und das bei erst so wenigen Beiträgen. Ich muss mich ja beinahe schämen, dass ich nicht schon mehr geschrieben habe. Aber auch wenn nicht stetig neue Beiträge erscheinen, so reift doch der AAR in meinen Gedanken mehr und mehr. So habe ich heute bereits den letzten Beitrag konzipiert, gewissermaßen das Ende meiner ganz spezifischen AAR-Story, losgelöst von den Rennen an sich. Damit steht dann auch fest, dass der AAR an einem gewissen Punkt an sein Ende gelangen wird - wann genau, das wird sich zeigen. Dieser Post hier ist die erste wirkliche Hinführung auf das, was ich mir als Ende erdacht habe. Es wirkt im Moment garantiert noch völlig unverständlich und skurril, und vor allem hat es weder mit Radsport noch mit AAR wirklich etwas zu tun, aber dennoch finde ich, dass es gut ins Gesamtkonstrukt meines "ewigen Felses in der Brandung" passt und würde dementsprechend natürlich sehr gerne eure Meinungen hören, auch weiterhin. An dieser Stelle also noch einmal vielen lieben Dank für die ganzen positiven Rückmeldungen, insbesondere den beiden neuesten von dir, José Miguel und von dir, T-MobileFan - dankeschön.
In den nächsten Tagen sollte es hier auch wieder etwas stetiger vorangehen - mal schauen.

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Beitrag: # 426356Beitrag Grabba
14.5.2007 - 19:15

Gnadenlose Ausscheidung

Noch ist einige Zeit bis zum Beginn der großen Schleife. Doch schon heute wurde ich besucht, von einer Mannschaft, die durchaus ihre Ambitionen hat. Doch man besuchte mich nicht, um sich zu vergewissern, dass man mich auch in die Knie zwingen kann, oder gar, um herauszufinden, wie man es gegen mich in einigen Wochen am besten angehen sollte. Heute war das Team Caisse d’Epargne zu Besuch, und es fand ein gnadenloses Ausscheidungsfahren der drei Kapitäne statt. Man wollte sichergehen, während der Rundfahrt den richtigen zu unterstützen. Nachdem Alejandro Valverde, im letzten Jahr bei der Tour ambitioniert angetreten, früh gestürzt doch bei der Vuelta schließlich nur knapp am Podest gescheitert, zurückgetreten war galt es nun, den neuen Anwärter auf das Podium in Paris zu finden. Im letzten Jahr war der Australier Bayung Singh für Valverde in die Bresche gesprungen. Kein einziges Mal fuhr er herausragend, doch kein einziges Mal konnte ich ihm genügend Steine in den Weg legen, um ihn aufzuhalten, kein einziges Mal brach er ein. Der neunte Gesamtrang, und man war sehr angetan bei seinen Verantwortlichen. Zu Saisonbeginn verpflichtete man Michael Rogers, der in den letzten sieben Jahren sechs Mal zu den besten zehn gehörte - doch über Platz fünf war er nie hinausgekommen - zu schwach war er an meinen Anstiegen jedes Jahr aufs Neue gewesen. Doch noch ein anderer Star drängte sich auf. Der Niederländer Kai Reus, schon längst ein stärkerer Zeitfahrer als Rogers, hatte nun auch endlich bergauf so sehr zugelegt, wie man es sich schon seit Jahren von ihm erhofft hatte. Alle drei wollen nun in Frankreich angreifen, und so galt es für die Verantwortlichen, den Stärksten zu ermitteln. Und wieder einmal sollte ich den Richter spielen. Dankend nahm ich an, war es mir doch eine unermessliche Freude, den Fahrern die Qualen der Hölle schon auf Erde aufzuerlegen.

Im Flachland war es ihr Sprinter Francisco Ventoso, der sie an den Berg heranführte und dabei forderte. War er heute mein heimlicher Diener, der meine Gegner schon ermattete, lange bevor sie den Aufstieg in Angriff nahmen? Wie auch immer, ich war bereit, und nach und nach kamen die Helfer und spulten ihren kräftigen Tritt den Berg hinauf, bis schließlich mit dem jungen Basken Galder Royo der letzte Adjutant vor den drei großen Kapitänen als einziger verblieb. Und als es nur noch acht Kilometer bis hinauf zu meinem Gipfel zurückzulegen galt trat Royo noch ein letztes Mal an, und in einem fulminanten Sprint zog er weitere 500 Meter durch, bis er sich schließlich völlig erschöpft zurückfallen ließ. Ich bewunderte den Ehrgeiz, den Einsatz und den kämpferischen Willen des jungen Basken, nicht mehr und nicht weniger. Doch er hatte seine Aufgabe erfüllt, und das mehr als souverän.
Schon zu Beginn des Anstieges hatte ich sie gespürt, die nassen, salzigen Tropfen, die zuerst von seinem Gesicht, dann auch von seinen Armen und Beinen und allen anderen Bestandteilen seiner kläglichen Hülle auf meinen Asphalt tropften. Sein Atem ging keuchend, sein sonst so gleichmäßiger Tritt wurde unrunder. Und sein Gewicht begann ihn mehr und mehr herniederzudrücken. Er kämpfte, biss, wollte sich keine Blöße geben, und ließ sich nichts anmerken. All seine Energie pumpte er aus sich heraus, sammelte sie, ließ sie durch seinen Körper in seine Beine strömen und doch, es reichte nicht. Als Galder Royo schließlich kräftiger in die Pedale trat, als er seinen letzten Nadelstich setzte, da fiel Michael Rogers zurück. Ich spürte seinen Schmerz, sowohl im Körper als auch in der Seele. Ein letztes Mal hatte er bei der Tour das Podest angreifen wollen, und nun hatten ihn die Zeichen des Alters am Ende doch eingeholt. Ich spürte, wie die Tränen ihm in die Augen stiegen, und als er schließlich merkte, dass seine beiden jungen Kontrahenten mehr und mehr entschwanden, da stieg er vom Rad, tränenüberströmt, denn er wusste, dass sein Traum geplatzt war und er heute die letzte Chance seines Lebens auf einen Podestplatz am Ende der Tour de France verspielt hatte. Beinahe fühlte ich Mitleid mit ihm, doch nur beinahe. Denn wer wäre ich, würde ich mich meiner eigenen Siege nicht mehr erfreuen können, würde ich mit meinen Opfern fühlen? Auch ich bin letztlich nichts als ein Diener höherer Ideale, der seine Aufgabe erfüllt. Und so ist es nun einmal das Ergebnis meiner Arbeit und Mühen, dass Michael Rogers in diesem Jahr gescheitert ist.
Doch während er am Straßenrand winselte ging vorne der Kampf erst richtig los. Man merkte es den beiden Kontrahenten an, dass sie alles gaben. Von Schmerzen durchströmt quälten sie sich meine steilen Serpentinen hinauf, kämpften gegen sich selbst, gegen das eigene Leiden, kämpften gegeneinander und vor allem gegen mich. Meter um Meter versuchten sie mir abzuringen, über jeden Zentimeter, der hinter ihnen lag, freuten sie sich. Sie wuchteten ihre Räder über mich hinweg, an mir hinauf, mit einem steten, festen Ziel vor Augen. Und sie nässten die Straße, doch in der sengenden Hitze verpuffte das Wasser schneller als alles Andere zu Luft, und was blieb, war nur der salzige Belag auf meinen Straßen, der Vorbote der großen Tour der Leiden. Und leiden tut nun auch Kai Reus. Und der junge Australier Bayung Singh sieht es, oder spürt es zumindest, vielleicht rein instinktiv. Und er tritt an, langsam aber sicher beschleunigt er, indem er die letzten Reserven aus sich herauspumpt. Er weiß, dass er es nicht mehr weit hat bis ins Ziel, und er zieht durch, immer darauf bedacht, mehr und mehr Abstand zwischen sich und seinen Verfolger zu bringen. Und Reus, wenngleich das Gesicht schon von allen Qualen gezeichnet, zu einer gepeinigten Fratze verzerrt, am ganzen Leibe zitternd, findet doch seinen Rhythmus und windet sich hinauf, seinen Kontrahenten nie aus den Augen lassend. Und auch bei diesem zeichnen sich nun die Folgen der Anstrengungen ab. Doch weit ist es nicht mehr, denn kurz vor seinem Ziel steht er nun, und nur noch wenige Meter muss er gegen mich ankämpfen.
Und er kämpft und kämpft, und schließlich siegt er. Doch knapp nur ist sein Vorsprung, und so steht die Entscheidung: Eine Doppelspitze soll es sein. Bitte, wenn sie dies für sinnvoll erachten, dann sollen sie es tun, doch ich weiß, dass keiner derer, die hier heute gegen mich angetreten sind, um den Sieg mitkämpfen wird. Und ich lache innerlich. Denn immerhin war es ein großartiger Vorgeschmack auf die nächsten Wochen, und der erste große Kampf, der mich von meiner Einsamkeit abgelenkt hat, und meine Freude hatte ich. Wenn die Tour das hält, was sie verspricht, so wird sie sich in meine Erinnerung einbrennen und auf ewig dort haften. So hitzig ist meine Freude, dass ich kaum noch zu warten vermag. Und dennoch kann ich die Zeit nicht beeinflussen sondern muss dem harren, was da kommen mag.

Exelero
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Beitrag: # 426400Beitrag Exelero
14.5.2007 - 20:40

Erst einmal, find ich es toll das du dich zum schreiben eines AAR entschieden hast. Dann natürlich find ich es toll, das ich dir den Anstoss zu deiner Idee gegeben habe, zwar ist es nicht das Vorderrad sondern der "Berg", aber immerhin mal was neues.
Ich find es interessant zu lesen und deine Qualität ist echt gut, ich werde auf jeden Fall den AAR weiter verfolgen und hoffe doch, das du ihn länger als viele andere (mich darin eingeschlossen) durchziehst und den Spaß und deine Motivation weiterhin anhält.

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Grabba
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Beitrag: # 426644Beitrag Grabba
15.5.2007 - 19:23

Der Abgrund des Schmerzes

Er leidet. Mehr denn je zuvor. Ich spüre die Trauer, die ihn und seinen ganzen Körper durchströmt. Die Anstrengungen der letzten Stunden haben ihn gebeugt, doch zerbrochen hatte man seine Seele schon zuvor. So groß waren seine Hoffnungen gewesen, und um so gewaltiger nun die Enttäuschung. Das ganze Jahr über, sein zweites Profijahr, hatte er für die Tour trainiert, gearbeitet und gelitten, und nun hatte man ihm die Absage erteilt.
Die Tränenbäche wallen über sein Gesicht, strömen an seinen Seiten hinab, und ungeachtet seines Lebens lässt er ihnen freien Lauf. So einsam ist er, einsam und verlassen, von der Welt um ihn herum verraten, alleine gelassen, umgeben von nichts als Schmerz und Leiden. Wenn er seine Augen schließt erblickt er nichts als feurige Abgründe voller Trauer und Vergänglichkeit. Wenn er seine Ohren von den Geräuschen der Welt abschirmt hört er nichts als die verzerrten Leidensschreie der Sphären um ihn herum, die aus ihm selbst zu strömen scheinen. Fühlt er über sein Gesicht, so fühlt er die Grausamkeit der Niederlage. Er hat verloren, und nun sitzt er hier, so alleine und einsam.
Heute morgen war der Hammerschlag herniedergegangen. Fünf Stunden war er hernach unablässig durch die Berge gefahren, schneller denn je zuvor, und in seinem Inneren nur Schmerz und Leere. Schließlich hatten seine Erschöpfung, die feurig heiße, glühende Mittagssonne und der Wassermangel ihren Tribut gezollt und ihn in die Knie gezwungen. Eine halbe Ewigkeit sitzt er nun schon hier, und langsam beginnt das Leiden abzuebben, langsam beginnt der Verstand wieder einzusetzen. Zurück kommen die Gedanken, und ist sein ganzer gesammelter Schmerz doch noch immer allgegenwärtig, so ist er nun doch wieder er selbst. In Österreich solle er antreten, als Kapitän seines Teams sogar. Lernen solle er dort. Für die Tour sei er noch nicht reif. Er lacht. Doch es ist kein frohes Lachen, sondern das grimmige Auflachen eines gepeinigten Opfers, voller Sarkasmus und Wut, voller Bosheit und Verachtung für jeden außer sich selbst. Er verlacht die Welt, verlacht all die Unsinnigkeit um sich herum. Ja, in Österreich wird er antreten. Und während seine Teamkameraden hier in Frankreich ihrem Untergang entgegenfahren wird er dort siegen, und man wird es bereuen, ihn vernachlässigt zu haben. Und im nächsten Jahr kommt er wieder nach Frankreich, und als Kapitän einer anderen Mannschaft wird er siegen.
In der kühlen Abendstunde stemmt er sich vom Boden auf, beugt sich hinab, sammelt seine Kraft um sein Fahrrad zu sich hinaufzuziehen, schwingt sich elanlos in den Sattel und rollt meine Hänge wieder hinab. Er will siegen, es allen beweisen? Dann sollte er nicht so unachtsam mit mir verfahren. Ein wenig Wasser nur träufle ich auf den Asphalt, doch es reicht. Er stürzt, bricht sich den Oberschenkel, und so schnell wird er kein Rennen mehr gewinnen. Meine Aufgabe habe ich bravourös gemeistert, und zufrieden begebe ich mich am heutigen Abend zur Ruhe.





Dieser Beitrag hier war eigentlich überhaupt nicht vorgesehen sondern dient lediglich der Frustbewältigung einer völlig in den Sand gesetzten mündlichen Abiprüfung. Seis drum, gefällt mir dennoch gut.
Dir, Exelero, vielen Dank für dein Lob. Ich bin mir schon sicher, dass ich den AAR durchziehen werde, schließlich habe ich erstens ein klares Ziel und Ende vor Augen und habe ihn zweitens nur begonnen, weil ich mir sicher war, dass ich nicht auf halber Strecke zum Stillstand kommen würde. Ich bin da schon zuversichtlich.

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José Miguel
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Beitrag: # 426646Beitrag José Miguel
15.5.2007 - 19:32

Großartig, selten hat mich ein AAR so ergriffen.
RZ: Punktewertung Vuelta 2006 und 2008, Etappensieg TdF 2010, 2011 und Giro 2012&2014, Berg Giro 2012, 2013, 2014 / Rad-Tipp: Giro dell'Emilia, Paris-Tours 2008, Tour de Romandie 2011, Eneco-Tour 2011, WM-Zeitfahren 2011 / Frauenfussball-Weltmeisterschaft 2007 / Fussball-Bundesliga 11-12
SKI: Whitney Houston Award 10/11, 11/12, 12/13, 13/14

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