Nach der am heutigen (20. März) Nachmittag zu Ende gegangenen Tirreno-Adriatico fahren Klaus-Peter Thaler und ich mit einem Teil der Mannschaft nach Mailand zum ersten Weltcuprennen, während sich der andere Teil nach Deutschland zu Didi Thurau auf den Weg macht, wo dann fleißig mit dem restlichen Teil der Mannschaft trainiert wird. Einzig Alejandro Valverde fuhr heute morgen zusammen mit einem Spezialtrainer, den Alejandro noch aus Jugendzeiten kannte und mit ihm schon gut gearbeitet hat, nach Andalusien in die Sierra Nevada, wo er sich mit speziellem Bergtraining auf die Tour de France bzw. die Vuelta vorbereitet. Am 26. März (Mittwoch), nach sechs Tagen also, kehrt er jedoch wieder nach Deutschland zurück, da er sich noch einen Tick Rennhärte beim Criterium International (ab. 28. März) holen will und dementsprechend dort startet.
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Heute, 22. März, stand das erste ganz große Rennen der Saison an. Die 293 km zwischen Mailand und San Remo waren die ersten Weltcupkilometer des Jahres und dementsprechend angespannt waren alle. Wie jedes Jahr vermuteten die Experten, dass das Rennen wieder ein Kampf zwischen den Sprintern und den Ausreißern, die ihre Chance auf den letzten 60 km – wie immer – suchen sollen, werden würde. Denn auf den letzten Kilometern warten fünf giftige Anstiege auf die Fahrer, allen voran die Cipressa (nach 270 km, der längste und schwerste der angesprochenen fünf) und der Poggio (nach 290 km, hier fiel im vergangenen Jahr die Entscheidung). Nicht zu vergessen, aber doch eher mit einer geringen bis gar keiner Chance, das Rennen zu entscheiden, ist der Passo di Turchino – und das trotzt 20 km Länge des Anstieges. Jedoch erweckt seine zu geringe Steilheit (nur knapp vier Prozent) und der Zeitpunkt des Gipfels (nach 143 km) keinen Anlass für die Top-Leute, hier das Rennen entscheiden zu wollen.
Doch schon vor dem Start, warteten die erstem Überraschungen: Paolo Bettini, Vorjahressieger und Top-Favorit musste das Rennen aufgrund einer Grippe absagen, Mario Cipollinis (Sieger 2002) Domina-Vacanze-Mannschaft konnte wegen Fahrermangel nicht am Geschehen teilnehmen.
Francisco Gutierrez Alvarez und Giuliano Figueras waren unsere beiden Trümpfe in Norditalien. Für Giuliano, der als Saisonziel den Weltcup anstrebt ist es eines der wichtigsten Rennen der Saison, da er hier zu hause ist und er sich so seinen Landsleuten besser beweisen kann als nirgendwo anders. Und das will er, denn unter den vielen starken italienischen Berufsradfahrern ist Giuliano noch einer der unbekannteren – und das will er natürlich ändern. Die konkrete Vorbereitung – wenn auch nicht spezifisch, da selbige auch den weiteren Frühjahrsrennen galt bzw. gilt – auf dieses Rennen lief seit Mitte Januar und begann mit der Tour Down Under. Neben dem harten Training hatte er sich bis hier hin nur noch die Tirreno-Adriatico als Zwischenziel ausgesucht. Zwar wollte er beide gewinnen, landete am Ende jedoch jeweils auf Rang fünf, doch bewies er beide male sehr gute Form. Vor allem zwischen dem tyrrhenischen und adriatischen Meer zeigte er sich in starker Verfassung, was er mir in einem Vier-Augen-Gespräch noch einmal ausdrücklich erklärte und mir sagte, in absoluter Top-Form zu sein. Bei Francisco sieht die Welt schon ein wenig anders aus. Seine Form ist zwar gut, lange aber auch noch nicht sehr gut – wäre auch schlecht wenn, da seine Hauptsaisonziele erst im Juni beginnen und von der Tour über die Vuelta bis Paris-Tours verlaufen. Außerdem sind die kleinen Anstiege kurz vor dem Ziel
überhaupt nicht seine Welt und dort den Anschluss zum Peloton zu halten, sehe ich selbst auch als ein extrem schwieriges Unterfangen an. Vorraussetzung für eine Top-Platzierung bei ihm ist natürlich eine Massenankunft, die Giuliano verhindern will. Wir planen also zweigleisig. Mit Andy Flickinger, Xavier Florencio, Thomas Liese und Yuri Krivtsov haben wir außerdem noch eine extrem starke Helfer-Equipe in Italien dabei, die mit Gruppen mitgehen und eventuell für Tempo im Feld sorgen sollen.
Nach anfänglich gescheiterten Attacken verschiedener Fahrer und verschiedener Gruppen, denen wir mit Yuri und Thomas immer einen unserer Fahrer hinterherschickten, entwickelte sich das Rennen zu einem langweiligen Herumtrödeln von 160 Mann, die sich in Richtung Süden bewegten. Man fühlte sich nicht wie bei Mailand-San Remo, sondern wie bei irgendeinem Kirmesrennen, bei dem keiner so richtig Lust hatte, sich zu überanstrengen oder seinen Körper zu hart zu belasten. Dies kam uns natürlich nur entgegen. Kein Tempo machen bedeutete nicht so viel arbeiten und sich die Körner für das Finale aufbewahren – anscheinend dachten so wohl alle Teams.
Das Feld fuhr lange Zeit geschlossen Richtung Mittelmeer.
Derartige Langweile verbreitete sich auf den ersten 230 km, erst auf den letzten sechzig, als der Capo Mele angefahren wurde, machte sich Unruhe im Feld breit und erste Favoriten, begannen, sich vorne im Feld zu platzieren. Doch weder am angesprochenen Capo Mele, noch am direkt nach dessen Abfahrt folgenden Anstieg Capo Cervo, passierte entscheidendes. Die Favoriten beäugten und belauerten sich einzig – und das Tempo wurde natürlich immer höher. Kein Team wollte Risiko gehen und namenlosen Ausreißern jetzt noch eine Chance bieten.
Am Capo Berta, dem nächsten, 40 km vor dem Ziel zu überquerenden Anstieg, konnte Davide Rebellin seine Beine nicht länger im Griff halten und attackierte. Alle namhaften Favoriten sprangen wie auf Knopfdruck hinter. Eine dreizehnköpfige Spitzengruppe bildete sich daraus, neben Rebellin waren auch Camenzind, Astarloa, Kessler oder auch Bartoli unter diesen. Wir spekulierten noch. Giuliano ging nicht mit, obwohl er hätte hinterher gehen können. Wir vermuteten, dass der Zeitpunkt von Rebellins Attacke zu früh für eine Entscheidung war und so hatten wir Xavier Florencio als Aufpasser der Gruppe hinterhergeschickt.
13 Fahrer hatten sich am Capo Berta gelöst – die Favoriten darunter.
Nach der Abfahrt des drittletzten Anstieges waren noch zwölf Kilometer zu fahren, ehe die Cipressa auf die Fahrer wartete. Doch bis zu diesem Anstieg, waren die Ausreißer fast wieder eingeholt – aber nur fast, denn am Gipfel des Cipressa waren sie wieder vor dem Feld – Zeit dafür, dass bei uns die Alramglocken läuteten. Die Tempoarbeit zogen wir nun durch, trotzt eines Mannes vorne an de Spitze, aber Giuliano, so muss man ehrlicherweise sagen, hat wohl am Poggio, als auch im Spurt mehr als Xavier zu bieten.
Bis zum Poggio hatten wir den Rückstand bis auf ein paar Sekunden verringert und gingen nun aus der Führungsarbeit, da Giuliano die Arbeit nun selbst in die Hand nahm und mit seinen vergleichsweise noch frischen Beinen zur Spitzengruppe aufschloss – mit Michael Boogerd, der sich wie Giuliano bis hierhin zurückgehalten hatte, im Schlepptau. Die Spitzengruppe hielt sich bis zum Gipfel vorne und ging in mehreren kleinen Grüppchen, von Matthias Kessler angeführt, über den letzten Gipfel des Tages. Giuliano war ganz vorne mit dabei.
Doch wie man das Rennen kennt, kam auf der Abfahrt vom Poggio wieder alles enger beisammen und bis zum Ziel wuchs die erste Gruppe auf 21 Fahrer an – wir hatten Xavier und Giuliano dabei. Eine perfekte Ausgangsposition für den Sprint der Gruppe, der das Rennen entscheiden sollte, denn die Sprinter im Hauptfeld kamen nicht mehr ran, so viel stand fest. Dass Giuliano schnelle Beine hat, ist bekannt, doch die Favoriten waren eher Vicioso, Pozzato und vor allem Astarloa, der sich bis hierhin enorm stark präsentierte. Und so machte Giuliano auch das taktisch beste, was er machen konnte: Er suchte sich das Hinterrad des Weltmeisters aus und ging den Sprint auch aus dieser Position an.
Was sich dann auf den letzten 200 Metern abspielte, war der reinste Wahnsinn. Astarloa war der erste, der aus dem Sattel ging, Giuliano direkt dahinter. Vicioso hatte jedoch auf der vom Ziel aus gesehen linken Seite die meiste Fahrt aufgenommen und lag vorne, doch Astarloa kassierte ihn schnell und 80 Meter vor dem Ziel, ging Giuliano dann hinter Astarloa weg und gewann mit ein paar Zentimetern Vorsprung. Er hatte die noch größere Kraft, die aufgrund des erst späten Attackierens und ausgenutzten Windschattens zustande kam, perfekt genutzt und den Spanier geschlagen. Moreni wurde noch vor Vicioso dritter. Xavier, den ich selbst für nicht so stark gehalten hatte, wurde noch sensationeller sechster.
Giuliano gewann vor Astarloa und Moreni.
Ergebnis:
1 Giuliano Figueras (ALT) 7:56:25
2 Igor Astarloa (COF) s.t.
3 Cristian Moreni (ALB) s.t.
4 Angel Vicioso (LIB) s.t.
5 Filippo Pozzato (FAS) s.t.
6 Xavier Florencio (ALT) s.t.
7 Matthias Kessler (MOB) s.t.
8 Davide Rebellin (GST) s.t.
9 Michael Boogerd (RAB) s.t.
10 Michele Bartoli (CSC) s.t.
11 Daniele Nardello (MOB) s.t.
12 Oscar Camenzind (PHO) s.t.
13 Eddy Mazzoleni (SAE) s.t.
14 Xavier Zandio (IBB) s.t.
15 Kim Kirchen (FAS) s.t.
16 Oscar Pereiro (PHO) s.t.
17 David Moncoutie (COF) s.t.
18 Didier Rous (BLB) s.t.
19 Sergio Barbero (LAM) s.t.
20 Mario Aerts (MOB) + 2:19
21 Denis Lunghi (ALB) s.t.
22 Marcus Zberg (GST) + 2:58
23 Erik Zabel (MOB) s.t.
24 Jan Svorada (LAM) s.t.
25 Fabio Baldato (ALB) s.t.
Weltcupstand:
1 Giuliano Figueras (ALT) 100
2 Igor Astarloa (COF) 70
3 Cristian Moreni (ALB) 50
4 Angel Vicioso (LIB) 40
5 Filippo Pozzato (FAS) 36
6 Xavier Florencio (ALT) 32
7 Matthias Kessler (MOB) 28
8 Davide Rebellin (GST) 24
9 Michael Boogerd (RAB) 20
10 Michele Bartoli (CSC) 16
Wir haben bis zum Ende spekuliert – und gewonnen. Am Ende hatte Giuliano im Gegensatz zu denjenigen, die schon von Anfang an vorne in der Spitzengruppe dabei waren (und dazu zählten alle Top-Favoriten) einfach die stärkeren Beine und da er auch ein passabler Sprinter ist, hat er am Ende gewonnen. Einfach Wahnsinn! Das ist unser erster ganz großer Sieg und bei uns ist natürlich nun Euphorie angesagt. Doch bevor wir alle nur Giuliano feiern, möchte ich auch ein riesiges Lob an Xavier loswerden. Er hat seine Arbeit gemacht und dass er am Ende noch die Kraft hat, sich besser als ein Boogerd oder Rebellin zu platzieren – alle Achtung. Wie auch vor dem Rest des Teams.
"There are only 10 types of people in the world: Those who understand binary, and those who don't."