Das Kulturcafé

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wflo
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Beitrag: # 335019Beitrag wflo
6.3.2006 - 14:54

Martin Suter – Ein perfekter Freund
~350 Seiten

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Als der Journalist Fabio Rossi erwacht hat er weder eine Ahnung davon wo er sich befindet noch davon was in der letzten Zeit passiert ist. 50 Tage fehlen ihm, 50 Tage welche ihn total verändert haben sollen. Das beginnt schon mit der Frau die ihm im Krankenhaus besucht. Sie sagt sie wäre seine Freundin und heiße Marlen. Doch Fabio weiß doch genau dass Norina seine Freundin ist und diese Marlen hat er ja zuvor noch nie gesehen.
Nachdem Fabio aus dem Krankenhaus entlassen wird beginnt für ihn ein neues Leben. Personen mit denen er vor 2 Monaten nicht einmal gesprochen hätte bezeichnen sich jetzt als seine Freunde und seine früheren Freunde sind schlecht auf ihn zu sprechen.
Und welche Rolle spielt sein bester Freund Lucas Jäger, welcher jetzt mit Norina zusammen ist, in der Geschichte?
Was zum Teufel ist in den 50 Tagen passiert, was hatte Fabio angestellt?

„Ein perfekter Freund“ beschäftigt sich mit dem Gedächtnisverlust, nur das der Protagonist Fabio Rossi nicht nur sein Gedächtnis verliert, nein er verliert seine neue Identität. Vor dem Unfall hat sich ein dramatischer Lebenswechsel bei ihm vollzogen, und nun steckt er mitten in diesem neuen Leben und hat keine Ahnung davon warum. Alles kommt ihm fremd vor. Fabio ist also nicht nur auf der Suche nach den 50 Tagen, nein er sucht auch sich selbst.

Wir haben es hier mit einem sehr spannenden Roman zu tun. Suter schreibt präzise, der Roman ist leicht zu lesen und versteht es durchaus einen in seinen Bann zu ziehen. Hinzu kommt noch eine Brise Sozialkritik, Kritik an den Praktiken der großen Unternehmen.
Ein Buch das wie dafür geschaffen zu sein scheint einem verregneten Wochenende eines auszuwischen.

Es war vor allem der Geruch, der ihn davon abhielt, die Augen zu öffnen. Es roch nach Krankenhaus. Er würde noch früh genug erfahren, weshalb er hier war.
Das nächste, was durch das Dunkel drang, war eine Stimme. "Herr Rooossi" rief sie, wie vom anderen Ufer eines Flusses. So weit weg, dass er sie ignorieren konnte, ohne unhöflich zu erscheinen.
"Sicher gibt das böses Blut, doch Sprache ist, dass wissen wir, das allerhöchste Gut
und ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg."


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wflo
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Beitrag: # 335043Beitrag wflo
6.3.2006 - 17:32

Tomte – Hinter all diesen Fenstern
, das ist nicht die Sonne die untergeht, sondern die Erde die sich dreht

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Und die Zeit versucht zu trösten und die Liebe versucht zu bewahren, das man weiß, dass man drüber hinweg kommt, wie man früher einmal war. Schau ein einziges Mal nach oben schau ein einziges Mal nach vorn. Du wirst Dinge sehen von denen du dachtest, sie seien noch nicht geboren. Also Schluss mit dem ewigen in der Vergangenheit leben wenn doch die Gegenwart auf uns wartet. So ganz stimmt das beim 3ten Tomte Album dann doch nicht, sind seit seinem Erscheinen doch schon wieder drei Winter über das Land gezogen. Auch musikalisch schließt man an die Vergangenheit, also das Vorgängeralbum, an. Also kein Umbruch sowie er von „Du weißt was ich meine“ auf „Eine sonnige Nacht“ erfolgte.
Mit den ersten Worten geht’s gleich zurück auf den harten Boden der Realität, tu das was du am besten kannst, leben in einer gewöhnlichen Welt. Für so manchen sicher eine bittere Pille, wer will den schon gewöhnlich sein, aber irgendwie beruhigend zugleich. Auf alle Fälle ein Weckruf sich endlich der Welt zu stellen, allerdings ein Weckruf der einen nebenbei eine Träne in die Augen treibt. So geht’s dann auch weiter.
Das Thema des Albums könnte man getrost als das Leben als solches zu bezeichnen. Leben oder Liebe, sei es jetzt dem Lebenspartner, den Eltern oder einem Haustier gegenüber.
Die Grundstimmung könnte man wohl als melancholisch bezeichnen, die unglücklich machende Sorte Liebe halt, deren Unglück auch durch den Verlauf der Zeit nicht wirklich zu gemindert werden scheint. Seit 5 Jahren halt ich mein Herz in kochendes Wasser, doch es scheint nichts zu nützen, denn so abgebrüht bin ich noch lange nicht.
9 Songs lang wird versucht Traurigkeit aufzubauen, was auch vortrefflich gelingt, und am Ende wird ihr dann einfach ins Gesicht gelacht. Die Schönheit der Chance, für mich mit Abstand der beste Tomte Song, bringt die Hoffnung zurück, zeigt dass man die Dinge einfach mit ein bisschen Distanz betrachten und einschätzen muss den es ist immerhin die Schönheit der Chance, das wir unser Leben lieben so spät es auch ist… und das ist nicht die Sonne die untergeht, sondern die Erde die sich dreht. Also Kopf hoch Blick nach vorne, der Wind und die Sonne trocknen deine Tränen, und der Schmerz wird auch irgendwann vergehen.

Highlights
Schreit den Namen meiner Mutter; Die Bastarde, die dich jetzt nach Hause bringen; Du bist den ganzen Weg gerannt; Die Schönheit der Chance

Fazit
Von vielen als das beste Tomtealbum bezeichnet, ich bevorzuge aber doch „Eine sonnige Nacht“ welches mehr herausragende Songs zu bieten scheint. Nichtsdestotrotz handelt es sich um ein wahnsinnig gutes Album, vor allem dank „die Schönheit der Chance“ sowie „die Bastarde, die dich jetzt nach Hause bringen“ und vor allem auf Grund der Tatsache dass die Skip Taste nicht benötigt wird.
Wie für die anderen Tomte Alben gilt aber auch hier: lange Anlaufzeit, dafür hat man nach dieser viel Freude daran
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wflo
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Beitrag: # 335529Beitrag wflo
8.3.2006 - 23:35

1. Kulturcaféprojekt

Es wird Zeit für das erste Projekt im Rahmen des Cafés. Die Entscheidung fiel auf die deutschsprachige Diskographie von Element of Crime. Um dies zu realisieren werden vom Kulturcafé Schreiber gesucht.

Folgende Alben wären noch zu vergeben:
Damals hinterm Mond
Weißes Papier
An einem Sonntag im April
Die schönen Rosen
Psycho

Für Romantik wurde bereits ein Gastschreiber verpflichtet, Mittelpunkt der Welt wurde ja schon reviewed.
Interessenten mögen sich bitte per PN melden.
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ETXE
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Beitrag: # 335550Beitrag ETXE
9.3.2006 - 6:30

Ein Sachbuch? Ein Buch über Sport? Ja, es ist kein Roman und beschreibt das Fußballgeschehen!

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Mal abgesehen davon, daß die Autorin mit mir zusammen die Schulbank eines kleinen unbedeutenden westfälischen Gymnasiums gedrückt hat (wir brachten zusammen die Schülerzeitung heraus), ich also somit eine gewisse emotionale Verbundenheit spüre, halte ich dieses Buch nicht nur für lesenswert, sondern auch für unterhaltsam!

Es beinhaltet alles, was man zum "Calcio" wissen muß. Die Ursprünge des Spiels in Italien, China und anderswo, den neuzeitlichen Neubeginn, die Verquickung des Spiels mit Politik und Kultur, das Spiel als Lebensinhalt ganz kleiner und ganz großer Leute, den Tifoso und leider auch den zunehmenden rechten Hooliganismus.
Es dreht sich u.a. um die großen Klubs wie Juventus Turin oder AC Mailand, legendäre Spieler wie Rivera oder Maldini und über einen Fußball zwischen grandiosen Triumphen und tragischem Scheitern.
Um die gesellschaftliche Mischung des Calcio und des Tifo zu verstehen, muß man ein wenig Italien verstehen. Und niemand kann das besser erklären als Birgit, die seit 14 Jahren in Rom lebt, liebt und arbeitet.

Das Buch ist in einem angenehmen Stil geschrieben und liest sich, auch aufgrund kleinerer ironischer Spitzen, sehr gut und ist schnell verschlungen. Erstaunlich, wie unterhaltsam ein "Sachbuch" sein kann.

Wer sich also für Italien und italienische Lebensart im allgemeinen, sowie Fußball, italienischen Fußball im speziellen interessiert, für denjenigen ist dieses Buch ein unbedingtes Muß.
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wflo
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Beitrag: # 336494Beitrag wflo
15.3.2006 - 14:49

Tomte – Buchstaben über der Stadt

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Da ich ja gesagt habe bis zum Tomtekonzert schaffe ich alle Alben und wir heute an diesem Punkt angekommen sind, hier ihr neuestes Werk „Buchstaben über der Stadt“ in einer Kurzzusammenfassung (die Zeit ist diese Woche einfach zu schnell unterwegs):

Thees Uhlmann ist glücklich, so könnte man die Veränderungen seit dem letzten Album am besten zusammenfassen. Wie immer in einem solchen Fall werden die Texte dann auch "sonniger".
Ein Großteil der Melancholie weicht, ersetzt wird sie durch Songs wie „Walter & Gail“, einer Ode an ein altes Ehe- und auch noch immer Liebespaar (ebenfalls in diese Richtung geht „Geigen bei Wonderful World"), oder „So soll es sein“ mit Zeilen wie Und wir konnten es kaum glauben, wie die Sonne die Wolken schiebt oder Wir werden pro und simple lachen, wir werden schwimmen im Geld.
Natürlich ist auch dieses Album nicht nur Liebe, Freude und Sonnenschein. „Sie lachen zu Recht und wir lachen auch“ zum Beispiel schlägt dann doch eher die traurige Schiene an, Ich sah dich so unglaublich fallen, du brachst fast vor meinen Augen in zwei.
Ein schlechter Song ist auf dem Album eigentlich nicht auszumachen, was aber fehlt sind wirklich ganz großen Hymnen (abgesehen von, unter Umständen, New York) kein „Wilhelm das war nichts“ geschweige denn eine „Schönheit der Chance“, dafür viele gute bis sehr gute (und ein, zwei mittelmäßige).
Insgesamt ein Album das man ohne Mute-Tastenverwendung hören kann, das allerdings nie ganz die Regionen von „Eine sonnige Nacht“ oder „Hinter all diesen Fenstern“ erreicht. Wer Tomte bisher aber mochte kann auch ohne Bedenken bei der neuen Platte zugreifen, wenn man sich allerdings mal ein Album zulegen möchte dann sollte man eines der vorhin genannten kaufen.

Highlights:
New York, Walter & Gail
"Sicher gibt das böses Blut, doch Sprache ist, dass wissen wir, das allerhöchste Gut
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Kim Kirchen
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Beitrag: # 342135Beitrag Kim Kirchen
10.4.2006 - 16:59

Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär

Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär ist der erste Zamonienroman von Walter Moers. Okay, den Blaubär wird wohl jeder aus der Sendung mit der Maus kennen und auch Moers wird den meisten mit dem kleinen Arschloch bekannt sein. Aber Zamonien? Zamonien, das ist der Kontinent auf dem alle Lebewesen wohnen, die aus unserem Leben verbannt wurden. Es ist ein kleiner Abenteuerspielplatz für Moers: bisweilen sind 4 Bücher über Zamonien entstanden (Käpt'n Blaubär, Ensel und Krete, Rumo, Die Stadt der Träumenden Bücher) - d.h. dass nicht irgendein Lebewesen die Hauptfigur der Bücher ist, sondern eine Gegend!

Und diese Gegend dürfen wir mit Käpt'n Blaubär erkundschaften. Ein Blaubär hat 27 Leben, dies ist also die halbe Biographie.
Angefangen hat alles mit einer Geburt - halt, Geburt? Nein unser Käpt'n Blaubär war einfach plötzlich da, in einer Walnuss. Aufgezogen wird er bei den Zwergpiraten, danach gelangt er zu den Klabautergeistern. Diese ergötzen sich an der Angst wehrloser Kreaturen und sind gierig nach Tränen. Blaubär gelingt es, durch künstlerisch ausgestaltete Wein-Vorführungen, das Wohlwollen der Klabautergeister zu erhalten. Doch das ist keine Wahl fürs Leben, also flüchtet Blaubär. Unterwegs bringen Tratschwellen ihm das Sprechen und die Finessen der Sprache bei. Vom Tyrannowalfisch Rex gelangt er auf die Feinschmeckerinsel. Diese Insel mästet ihn und als er zu dick zum Laufen ist will sie ihn fressen. Doch in letzter Sekunde wird er durch einen Pterodaktylus Salvatus gerettet. Diesem schließt er sich an; Salvatus ist ein Rettungssaurier und rettet Leute in letzter Sekunde. Auf dem Rücken der rettenden Flugechse reisend lernt Blaubär ganz Zamonien kennen.
Nachdem dieser sich zur Rente setzt, drückt Blaubär die Schulbank in den Finsterbergen, in der Nachtschule von Prof.Dr. Abdul Nachtigaller (Wissen ist Nacht!). Die Schule abgeschlossen lebt er einige Zeit im großen Wald wo er beinahe von einer Waldspinnehexe gefressen wird. Doch er rettet sich in ein Dimensionsloch. Das achte Kapitel beschreibt also die Gefühle eines Blaubärens in einem Dimensionsloch. : Er schließt sich den herumziehenden Gimpeln an, die auf der Suche nach der Stadt Anagrom Ataf sind. Nachdem er den Gimpeln das Erreichen ihrer ersehnten Stadt ermöglicht hat, zieht Blaubär weiter. An einer Haltstelle besteigt er einen ortsfesten Tornado - und begegnet dort viele Leute die diesen Fehler begangen haben, denn die Haltestelle sollte möglichst die Leute vertreiben und nicht aufforden, in den Tornado zu steigen. Blaubär wird der Erste sein, der aus diesem Tornado wieder "aussteigen" kann.
Endlich entscheidet er sich, wohin er ziehen will: nach Atlantis, der Hauptstadt Zamoniens. Doch zuerst muss er den großen Kopf des Bollogs durchqueren. In Atlantis dann arbeitet Blaubär als Fellkämmer, Etikettierer in einer Blutpfandleihe, als Gruselschreier in einem Wachfigurenkabinett und als Pizzabäcker. Schließlich wird er der erfolgreichste Lügengladiator aller Zeiten. Er scheitert jedoch an den mafiosen Strukturen des Lügengewerbes und wird zur Verbannung auf das Riesenschiff, die Moloch, verurteilt. Moloch wird beherrscht vom Zamomin, einer zerstörerischen Substanz, die als Gegenkraft Abdul Nachtigallers segensreiches Wirken zunichte machen will, letztendlich aber von Nachtigaller besiegt wird. Alle Insassen der Moloch werden befreit, Blaubär erfährt die Geschichte seiner Herkunft und verbindet sich mit einem befreiten Buntbärenmädchen. Das Mädchen ist dann das letzte halbe Kapital - über die restlichen Leben des Käpt'n Blaubärs kann man nur munkeln.

Ihr habt nun meine Zeilen gelesen? Ihr fragt euch, was ist ein Bollog? Tja, dann habt ihr eine große Wissenslücke in der zamonischen Geschichte - aber das kann man ändern mit diesem Buch. Diese paar Zeilen die ich mir zusammengereimt habe sollen euch nur einen Hauch dessen wiedergeben, was euch in diesem Buch vorfindet. Moers hat eine ganz eigene Welt erschaffen, und die Türen zu Zamonien werden euch mit diesem Buch geöffnet.

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Kim Kirchen
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Beitrag: # 342140Beitrag Kim Kirchen
10.4.2006 - 17:12

Mal zur Abwechslung eine Comicvorstellung :D
Ich will euch Don Rosas Meisterwerk


Onkel Dagobert - Sein Leben, seine Milliarden


vorstellen.
"Ich mag nicht die Duck-Geschichten, sondern die Comics von Carl Barks" (Zitat Don Rosa) Zur Info: Carl Barks ist der Erschaffer von Dagobert Duck und es ist eben Barks, der Rosa zum Schreiben bzw. Malen von Comics geführt hat. 1991 hat sein Verlag Rosa gebeten das Leben von Dagobert mal in eine Reihenfolge zu bringen und eine Biografie über Bertel zu schreiben. Rosa hat sich dabei fast ausschließlich von Barks'sche Fakten bedient.

[Ich hab das nochmal gelesen, und das überzeugt mich nicht wirklich :? - muss nochmal dran arbeiten]

Für mich ist dieses Buch der beste Duckcomic der je geschrieben wurde. Im übrigen kenne ich keinen Leser, der dieses Buch nicht genial fand. Aber man muss sich schon für Comics im Allgemeinen, für die Ducks im Speziellen interessieren um Geschmack an diesem Buch zu finden. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann man ein einmaliges Buch lesen.

Warum so schnell ein Beitrag nach dem Blaubär? Naja, ich hatte diese Rezension schon länger auf meinem PC und die musste ich heute loswerden.

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ETXE
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Beitrag: # 400028Beitrag ETXE
4.12.2006 - 15:41

Krimis aus dem hohen Norden

Der Boom der skandinavischen Krimis!


Einleitung

Wenn es momentan ums literarische Genre des Kriminalromans geht, kommt man an ihnen nicht vorbei. In keiner Region Europas werden momentan so viele Krimis geschrieben und veröffentlicht wie in Skandinavien, allen voran dabei die schwedischen Autor/inn/en.
Ich habe mittlerweile fast 100 Krimis gelesen, wobei ich den Hype, der um diese skandinavische Welle gemacht wird, nur teilweise nachvollziehen kann.
Zwar fallen viele der Romane durch ein hohes literarisches Niveau auf, aber es finden sich auch etliche Trittbrettfahrer.


Wenn es um Krimis aus Skandinavien geht, denkt man zunächst fast zwangsläufig an Schweden, an sozialkritische, unzufriedene Kriminalbeamte wie Martin Beck oder Kurt Wallander.
Nach den Schweden-Krimis kamen die Krimis der anderen Länder nach und nach auf den mitteleuropäischen, speziell den deutschen Markt. Zunächst wurde Norwegen "entdeckt" (Gunnar Staalesen, Kjell-Ola Dahl), zur gleichen Zeit kamen auch relativ viele dänische Werke in Deutschland heraus (Poul Ørum, Dan Turèll).
Etwas später stürzte man sich auf die Krimiszene Finnlands, die vom Stil her zwar finnische Eigentümlichkeiten aufweist, aber, v.a. der Atmosphäre wegen, zu Skandinavien gerechnet werden kann (Arto Paasilinna, Harri Nykänen, Leena Lehtolainen).
Seit etwa 3 Jahren kam eine weitere Krimiwelle aus dem hohen Norden, diesmal von der Atlantikinsel Island. Senkrechtstarter dieser Szene war Arnaldur Indriðasson.
Zuletzt wurden auch noch die Färöer-Inseln entdeckt (Jogvan Isaksen). Somit fehlen eigentlich nur noch die zu Finnland gehörenden, aber überwiegend schwedisch sprechenden Åland-Inseln. Aber man kann gewiss sein, daß auch diese verträumten Eilande Orte finsteren Geschehens sind, so daß der deutschsprachige Krimi-Freund auch hiermit noch erfreut werden dürfte!

Einen umfassenden Artikel zur skandinavischen Szene kann niemand schreiben, mittlerweile ist das Feld zu komplex geworden. Ich werde allerdings versuchen, anhand der mir bekannten Autoren einen minimalen Überblick zu geben.

Nun, wie kurz erwähnt, kann man eigentlich nicht von einem einheitlichen skandinavischen Stil sprechen, wobei bestimmte Elemente in fast allen Romanen auftauchen. So ist die Atmosphäre der allermeisten Krimis vom "typischen" Wetter des hohen Nordens geprägt, d.h. es ist oft dunkel, regnet oder schneit sehr viel. Daraus resultiert eine Stimmung, die sich häufig im (sozialen) Verhalten der Protagonisten widerspiegelt (so viele Alkoholiker wie in sehr vielen skandinavischen Geschichten gibt es noch nicht einmal in britischen Krimis). Ferner wird den "Skandinaviern", vermutlich wegen der langen Dunkelperioden im Winter ein Hang zur Depression, zumindest zum Mißmut, untergeschoben.


Teil 1 - Schweden

Obwohl der vermutlich erste nordische Kriminalroman aus der Feder eines Norwegers stammt (Mauritz Christopher Hansen), gelten die Schweden als Klassiker des Genres. Prins Pierre machte bereits im 19. Jh. den Anfang mit Detektivgeschichten, ebenfalls in dieser Tradition schrieben Stein Riverton und Gunnar Serner, wobei alle genannten Autoren eher den britisch geprägten Kriminalgeschichten-Stil verkörperten.
Als den Klassiker des modernen schwedischen Kriminalromans muß man wohl das Werk des Autorenehepaars Maj Sjöwall und Per Wahlöö ansehen. Sie sind sozusagen die Eltern des sozialkritischen schwedischen Kriminalromans, nebenbei aber auch des Serienkrimis aus Schweden. 10 Bände um Kommissar Martin Beck, Gunvald Larsson und all die anderen Charaktere der Stockholmer Mordkommission sind erschienen, die zwischen 1965 und 1975 geschrieben wurden. Selbstverständlich entwickeln sich diese Charaktere von Roman zu Roman weiter und ihre "Psychogramme" werden mehr und mehr vertieft. Doch bereits der erste Roman Die Tote im Götakanal ist absolut lesenswert. Ab dem 4. Roman, Endstation für neun, erreichen die Bücher eine Tiefe, die man von Krimis bis dahin nicht erwartet hat. Die Persönlichkeit jeder Hauptfigur wird nach und nach soweit verdichtet, daß man manchmal das Gefühl bekommt, jede dieser Figuren sehr gut zu kennen. Ebenfalls gut beschrieben wird das soziale und politische Klima in Stockholm und ganz Schweden in den 60er- und 70er-Jahren.
Die Highlights dieser Reihe sind für mich der 8. Band, Verschlossen und verriegelt, da er kriminalistisch alles vom Kommissar, aber auch vom Leser fordert, und der letzte Band, Die Terroristen, da er als würdiger Abschluß der Reihe den Rundumschlag zum schwedischen System darstellt. Auch für Anhänger der us-amerikanischen "Schwarzen Serie" à la Hammett und Chandler geben die Bücher einiges her.
Ich empfehle, die Romane in der chronologischen Reihenfolge zu lesen, da sich so am ehesten ein Zustand der Familiarität einstellt und die Entwicklung der Figuren am besten nachvollzogen werden kann. Das Angenehme an den Sjöwall/Wahlöö-Büchern ist die Tatsache, daß trotz der offensichtlichen Schwermut und deutlichen Kritik am schwedischen Sozialsystem fast alle Figuren mit einer gehörigen Portion an (schwarzem) Humor ausgestattet sind.

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Wenn man über schwedische Krimis spricht, dann kommt man momentan nicht an Henning Mankell vorbei. Ich muß allerdings sofort zugeben, daß ich Mankells Bücher nicht so mag und ich mit seinem wichtigsten Protagonisten Kurt Wallander nicht warm werde.
Mankells Schreibweise ist der von Sjöwall/Wahlöö ähnlich, jedoch sind seine Stories wesentlich düsterer, sein Held Wallander wird zu sehr von seinen Zweifeln geprägt und v.a. kommt mir in den Geschichten der Humor viel zu kurz. Häufig quält man sich durch die sehr langatmigen Handlungsstränge und oft bin ich von der gefundenen Lösung nicht überzeugt. Man braucht eine gewisse Zähigkeit, um die Bücher nicht nach dem ersten gelesenen Drittel verzweifelt aus der Hand zu legen. Dann allerdings gibt es häufig eine Wende und es kann passieren, daß man doch noch gefesselt wird vom Geschehen. Von daher empfehle ich, die Wallander-Reihe, wenn möglich, als Hörbücher zu genießen!
Persönlich empfehlen kann ich nur drei der neun Kurt-Wallander-Romane, und zwar Band 4, Der Mann, der lächelte, Band 6, Die fünfte Frau sowie Band 7, Mittsommermord.

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Mein Favorit unter den schwedischen Krimiautoren ist Håkan Nesser. Obwohl er und sein Serien-Kommissar Van Veteren immer wieder mit Mankell/Wallander verglichen und daran gemessen werden, hinken diese Vergleiche etwas. Nessers Figuren sind keine verzweifelten, gedanklichen Klassenkämpfer, obwohl auch sie fast alle depressiv erscheinen. Sie haben allerdings Humor. Das Spezielle am Nesser-Œuvre: Die Geschichten um Van Veteren spielen alle in einem fiktiven Land, welches vermutlich Holland ist (zumindest ist dort der Gulden die Währungseinheit), neben typisch niederländischen Namen tauchen aber auch skandinavische, deutsche und polnische Namen auf.
Hauptkommissar Van Veteren aus Maardam ist ein sehr griesgrämiger Zeitgenosse, der alle seine Fälle (bis auf eine Ausnahme) gelöst hat, zumeist mit seiner herausragenden Gabe der Intuition. Er hat ein interessantes und sehr menschliches Team um sich, die man in leider sehr ausführlich beschriebenen, elendig langen Sitzungen sehr gut kennenlernt. Hier liegt eventuell die Schwäche der meisten Nesser-Krimis, denn, ähnlich wie bei Mankell, verläuft die Handlung zäh dahin und es fällt schwer, als Leser am Ball zu bleiben. Gelegentlich stört auch das allzu kaugummi-artig beschriebene "Innenleben" der Figuren. Oftmals wird man irritiert durch grobe Schnitte, so werden Kapitel eingestreut, die weit in die Vergangenheit zurück reichen. Interessant hingegen sind die gerne verwendeten Perspektivwechsel. So erfährt man einiges über den handelnden Mörder, ohne zu ahnen, um wen es sich dabei handelt.
Es ist wichtig, bei der Van-Veteren-Reihe die Chronologie der Romane einzuhalten, wenngleich sie in Deutschland nicht chronologisch erschienen sind! Hier erkennt man dann die Entwicklung Nessers vom zunächst etwas holprigen Krimiautor zu einem der besten aktuellen Autoren der Szene. Richtig gut wird die Van-Veteren-Reihe ab dem Zeitpunkt, als der Hauptkommissar sich entschließt, seinen Beruf an den Nagel zu hängen und Buchhändler zu werden. Es ist jedoch sicher, daß VV nicht gänzlich aus dem Geschehen raus ist. Aber seine bis dato "Komparsen" können sich nun zu echten Charakteren entwickeln, womit die Romane eine ganz andere Tiefe entwickeln können.
Zehn Bände mit Van Veteren sind insgesamt erschienen und nachdem sie zu Beginn, wie gesagt, etwas holprig, teilweise sogar unlogisch wirkten, die Intuition des Kommissars zu willkürlich benutzt wurde, so werden die Geschichten ab Band 6, Münsters Fall, immer besser. Die Bände 7 und 8, Der unglückliche Mörder und Der Tote vom Strand halten das bis dahin erreichte Niveau und sind bereits deutlich witziger als die ersten Bände.
Ein absolutes Highlight der Serie ist dann Band 9, Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod! Band 10, Sein letzter Fall, schafft es, dieses hohe Niveau zu halten, obwohl er am Ende etwas "zusammen geschustert" wirkt.
Resumée: Håkan Nesser, für Krimifreunde ein unbedingtes Muss!

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Åke Edwardson ist der Aufsteiger der schwedischen Krimi-Szene. Er begann 1995 mit zwei Büchern, deren Hauptfigur ein Privatdetektiv namens Jonathan Wide war. Diese Romane fielen schlichtweg durch. Kein Verlag wollte sie veröffentlichen.
Also entschloss sich Edwardson, aufs bekannte Schweden-Schema zu setzen. Ein etwa 50-jähriger, altlinker, natürlich geschiedener Kommissar musste her, den er Mallander (!) nannte. Das ging natürlich nicht, denn inzwischen gab es ja bereits Kurt Wallander. Aus Mallander wurde Erik Winter. Und mit eben jenem Winter sind bisher 7 Romane und ein Band mit Kurzgeschichten erschienen, die im 9-Millionen-Land Schweden bereits 1,5-Millionen mal verkauft wurden.
Nun, Edwardson schreibt zwar typisch skandinavisch-melancholisch, was die Szenerie angeht, doch sein Serien-Held ist davon nicht so betroffen wie die der Vorgenannten. Ansonsten pflegt Edwardson einen sehr schnörkellosen Stil, beinahe schon direkt, wenn nicht immer wieder Rückblenden den Fortlauf der Geschichte etwas beeinträchtigen würden. Sehr gut gefällt an Edwardsons Protagonisten, daß sie in kein Schwarz-Weiß-Schema passen, sondern die vielen Grautöne einer Persönlichkeit in einfacher Sprache heraus gearbeitet werden.
Ich persönlich finde Edwardsons Krimis noch ausbaufähig, habe aber feststellen müssen, daß er, im Gegensatz zu Nesser, keine kontinuierliche Verbesserung in der Chronologie seiner Werke hat. Es gibt eben gute und mittelmäßige Erik-Winter-Geschichten. Bereits der erste Winter, Tanz mit dem Engel, wusste zu gefallen und der zweite Roman der Reihe, Die Schattenfrau, war eindeutig der Beste. Der 4. und 5. Roman, In alle Ewigkeit und Himmel auf Erden, erreichen zwar nicht das hohe Niveau von Band 1 und 2, sind aber durchaus lesenswert. Die folgenden Bücher kann man getrost vergessen, erst das zuletzt erschienene Buch, Zimmer Nr. 10, halte ich wieder für lesenswert.

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Schweden gilt als aufgeklärtes Land und somit ist auch klar, daß nicht nur Männer dem Krimi-Genre frönen, wie ja auch Maj Sjöwall bereits bewiesen hat. Die derzeit angesagteste Krimi-Autorin ist die Nordschwedin Liza Marklund. Nachdem ihr erster Kriminalroman zunächst keinen Verlag fand, hat sie diesen mit ihrem Mann zusammen im Eigenverlag herausgebracht. Diese ersten 4000 Stück gingen dann aber weg wie die sprichwörtlichen "warmen Semmeln". Nachdem nun plötzlich die Großverlage vor der Tür standen, jedoch nur mit Knebelverträgen, gründete Liza Marklund mit Gleichgesinnten den Piratförlaget (Piratenverlag) als autonomes Gegengewicht zu den Großverlagen.
Marklunds Roman-Heldin heißt Annika Bengtzon und ist, wie Marklund selber, Journalistin. Leider hat Marklund ihre 5 bisher erschienenen Krimis nicht in chronologischer Reihenfolge geschrieben und herausgebracht. Das irritiert manchmal, da z.B. eine Noch-Zeitungspraktikantin Bengtzon einen reiferen und abgeklärteren Eindruck hinterlässt als die bereits gestandene Zeitungsfrau Bengtzon im zuerst erschienenen Roman.
Dennoch würde ich empfehlen, die Romane, die durchweg gut und erfrischend, v.a. aber auch extrem spannend sind, in der "chronologischen Entwicklung" der Serien-Heldin zu lesen. Es lohnt sich.
Demnach beginnt die Serienstory mit Studio 6 (Band 2 der Reihe), dann käme Paradies (Band 3), gefolgt von Prime Time (Band 4). Ihr bislang bester Roman, Band 1 nach Erscheinungsdatum, Olympisches Feuer, folgt erst jetzt in der Chronologie. Zu guter Letzt folgt der auch zuletzt erschienene Roman Der rote Wolf.
Obwohl Olympisches Feuer schon allein wegen der Handlung und des enormen Tempos Marklunds beste Krimi ist, kann ich alle 5 in Deutschland erschienenen Bücher allen Krimifreunden nur wärmstens empfehlen.

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Teil 2 beschäftigt sich dann mit Norwegen

Fortsetzung folgt in Bälde ...
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ETXE
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Beitrag: # 400144Beitrag ETXE
5.12.2006 - 17:45

Krimis aus dem hohen Norden

Der Boom der skandinavischen Krimis!


Teil 2 - Norwegen

Schwedische Krimis gelten als typisch nordisch! Soviel ist sicher, und sie haben einen Stil geprägt. Viele dieser Krimis sind auch sehr hart, teilweise sinnlos, so könnte man meinen, brutal.
Was auf die schwedische Krimizunft zutrifft, das können die norwegischen Schreiber schon längst. Also auch hier findet man die "skandinavische" Mischung aus Düsternis (im langen Winter), aber auch unerträglicher Hitze (im hellen Sommer), durchgeknallten Menschen, sozialer Ungerechtigkeit und sinnlos erscheinender Brutalität. Und bei den Norwegern wirkt dies alles noch etwas unverfälschter als bei den Schweden.

Erste Krimis aus Norwegen, die so etwas wie ein typisch nordisches Flair aufwiesen, stammten aus der Feder von Bernhard Borge. Dabei handelt es sich um ein Pseudonym des Zeitungsroman-Schreibers und Hobby-Abenteurers André Bjerke, einem Mann, der bereits in den 1940er-Jahren seine Traktate schrieb.
Die wenigen Krimis darunter sind heutzutage schwer zu bekommen. Es sei gleich gesagt, daß sie keine Highlights darstellen, da sie aber ein Wendepunkt in der skandinavischen Krimi-Welt darstellen, nämlich weg von der puren Kopie des klassischen britischen Kriminalromans hin zur nordischen Linie, müssen diese Bücher erwähnt werden.
Borge ist in diesen Büchern der Ich-Erzähler und beschäftigt sich sehr mit Psychologie und Psychoanalyse, teilweise sogar mit dem, was man heute Mystery nennt. Zumeist aber wird in die seltsamen Geschehnisse eine klassische Detektivgeschichte verstrickt.
In den 60er-Jahren firmierten diese Stories in Deutschland unter Psycho-Thriller. Packt man dann noch etwas Spuk dazu, so hat man die Essenz der Werke. Drei Bücher habe ich gelesen, die es netterweise in den 70er-Jahren, in einem Sammelband zusammengefasst, zu kaufen gab. Die einzelnen Geschichten erschienen im Original 1941, Der Nachtmensch, eine psychologisch aufgepeppte echte Detektivstory, 1942, Tod im Blausee, ein echter Horror-Thriller mit kriminalistischen Elementen, sowie 1947, Tote Männer gehen an Land, hierbei handelt es sich um eine echte Spukgeschichte, die eine rationale Aufklärung erfordert.

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Am nächsten dran an schwedischen Krimis, was Stil und Atmosphäre angeht, ist sicherlich Kjell Ola Dahl, ein ehemaliger Lehrer, der sich seit 2000 nur noch dem Schreiben und seinem Bauernhof widmet. Er hat mit Kommissar Gunnarstranda und dessen Assistenten Frank Frølich ein geradzu archetypisches Kriminalen-Duo erschaffen. An diese beiden sehr verschiedenen Menschen, die etwas an Martin Beck und Gunvald Larsson aus den Fernsehkrimis erinnern, kann man sich sehr schnell gewöhnen. Kommen sie doch sehr menschlich, auch mit vielen menschlichen Schwächen behaftet, daher und sorgen so, manchmal eher unfreiwillig, für viele komische Momente.
Der Inhalt eines jeden Krimis ist interessant, die Ausführung häufig aber zu gewöhnlich, der Handlungsstrang meistens etwas zu zäh. Dennoch macht es immer wieder Spaß, die Geschichten zu verfolgen, v.a. auch, weil sich Dahl nicht in allzu gewaltige Psychogramme seiner Hauptfiguren verstrickt. Der Kommissar denkt eben wie ein alternder Kommissar, sein Assistent ist eben ein draufgängerischer Assistent. Die inneren Beweggründe werden nicht besonders hinterfragt und das ist in diesem Fall auch gut so.
Von bislang 9 Romanen mit dem Duo Gunnarstranda/Frølich sind in deutscher Sprache inzwischen 6 erschienen, doch, wie leider so oft, nicht in der richtigen chronologischen Reihenfolge. Um es nochmal zu sagen, es handelt sich nicht um herausragende Werke der Kriminalliteratur, aber wenn man gerne logisch konstruierte und dabei unterhltsame Krimis mag, liegt man bei Dahls Büchern richtig.
Schon das Erstlingswerk, Tödliche Investitionen, weiß durch eine gewisse Frische zu überzeugen. Die nächsten beiden Bücher gibt es (noch) nicht auf Deutsch, es folgt Ein letzter Schatten von Zweifel, das dadurch sehr interessant wird, als daß die "Kripo-Bullen" nur Randfiguren einer echten Gangsterstory sind. Sommernachtstod erhielt zurecht den Riverton-Preis, Skandinaviens höchste Krimi-Auszeichnung, Schaufenstermord fällt dagegen etwas ab, ist aber durchaus lesbar, wenn es einem gelingt, die Längen der Geschichte zu überwinden. Das nächste auf Deutsch erschienene Buch ist Lügenmeer, das wiederum von den Protagonisten lebt, welche während des gesamten Falles ihre Unlust, den Fall zu lösen, von sich geben und deswegen reichlich Fehler machen, die sie letztlich in große Gefahr bringen. Der letzte Roman, Knochengrab, hingegen ist für mich Dahls Meisterwerk. Inspektor Frølich gerät durch Intrigen und eigenes Verschulden an den Abgrund...!

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Seit gut 10 Jahren wird die Gemeinde der Krimifreunde durch die Sandefjorderin Karin Fossum erfreut. Bereits ihr erster auf Deutsch erschienener Roman Evas Auge schlug ein wie eine Bombe.
Eigentlich ist Fossum eine, wie sie sagte, "ernsthafte Schriftstellerin und Lyrikerin". So erschienen bereits Anfang der 80er 2 kleine Gedichtbände von ihr. Zu dieser Zeit verdiente sie ihr Geld als Taxifahrerin, eine Erfahrung, die ihr später bei den Krimis zugute kam. Sie bekam zwei Kinder und verschwand von der schriftstellerischen Bühne für mehr als 10 Jahre, bis sie 1995 ihre Reihe mit Kommissar Konrad Sejer begann.
Ein zunächst sehr verwirrender, sehr psychologisch gehaltener Krimi mit einem ungewöhnlich wechselhaften Erzählstil. Der Plot ist allerdings extrem einfach gehalten, was dem Roman im Ganzen nicht so gut tut. Doch die Protagonisten, speziell Kommissar Sejer, machen einen überdurchschnittlichen Krimi aus Evas Auge.
Seitdem hat Fossum an ihrem Stil, der sehr stark auf zwischenmenschliche Noten setzt, gefeilt und diesen dadurch verbessert, daß zum eh guten Setting nun auch die Plots komplexer wurden. Von den bisher 7 Krimis mit Konrad Sejer, der netterweise selten im Mittelpunkt des Geschehens steht, dort finden sich zumeist die Opfer, fallen eigentlich nur 2 Krimis nach unten raus, wenn man mal vom ersten Roman mit seinen "Anfängerfehlern" absieht. Die übrigen 4 Romane aber sind alle Krimis der Extraklasse, aus denen der letzte, Der Mord an Harriet Krohn, nochmal ein Stückchen weiter herausragt. Bereits ihr zweiter Krimi, Fremde Blicke, fällt durch eine starke Dichte auf, die man nach dem Erstling kaum erwarten konnte. Der vierte Krimi, Dunkler Schlaf, knüpft an diese Atmo an und zementiert Fossums wunderbaren Stil. Der sechste Band, Schwarze Sekunden, steht dem nicht nach.
Wer Krimis mit gut beschriebenen "inneren und äußeren Landschaften" mag und dabei trotzdem das klassische "whodunit" liebt, kommt mit Fossums Romanen voll auf seine Kosten!

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Eine weitere "große Frau" des norwegischen Krimis ist die inzwischen 53-jährige ehemalige Polizistin, Rechtsanwältin und norwegische Justizministerin (!) Anne Holt.
Sie hat inzwischen 2 Serienfiguren kreiert, nämlich Hanne Wilhelmsen, Polizeikommissarin aus Oslo, und Yngvar Stubø, seines Zeichens Ermittler der Osloer Fahndung.
Holt schlägt, was den Stil angeht, nicht gerade eine feine Klinge, dafür gelingt es ihr, sehr vielschichtig die Charaktere zu beschreiben, eine sehr komplexe Handlung mit schönen und derben Momenten zu entwickeln und sie bleibt trotz hoher Komplexität sehr logisch, dennoch ist man immer wieder über den Schluß ihrer Krimis überrascht. Sie legt sehr viel Augenmerk auf die Motive der Täter, weniger aufs klassische "whodunit".
Es ist eine echte Wohltat, ihre Romane zu lesen, wenn man die stilistischen Ungeschliffenheiten in Kauf zu nehmen bereit ist. Ihre Art und Weise zu schreiben, beschreibt sie selber so:
Anne Holt hat geschrieben:"Das Erfinden und Ausschmücken der Figuren liebe ich am meisten am Schreiben. Schreiben an sich macht keinen Spaß - tatsächlich hasse ich es sogar. Aber mir Charaktere und einen Plot auszudenken, das liebe ich sehr. Ich mache das immer im Sommer, und es macht wirklich Spaß. So ungefähr um den 1. September herum setze ich mich dann hin und schreibe das dazugehörige Buch, einen langen langweiligen Winter lang."
Es ist bei Holt aber auch offenbar eine Frage der "Tagesform" und die lässt bei einigen ihrer Romane doch zu wünschen übrig. Die Hanne-Wilhelmsen-Romane können manchmal nur durch das sehr gute Profil eben dieser Romanheldin als lesbar bezeichnet werden, dennoch finden sich auch überdurchschnittliche Bände darunter, die auch vom Plot und den Täterbeschreibungen sowie von der Spannung her überzeugen. Dazu gehören der Erstling Blinde Göttin, Im Zeichen des Löwen, für mich die Nummer 1 der Wilhelmsen-Reihe, Das letzte Mahl ist eher etwas für eingefleischte Wilhelmsen-Fans. Die Wahrheit dahinter allerdings ist ein richtig guter Kriminalroman.
Yngvar Stubøs ersten Fall, In kalter Absicht, kann man als sehr gelungenen Psychothriller ansehen. Holts bester Roman ist meiner Meinung nach ganz eindeutig Hauptkommissar Stubøs und Polizeipsychologin Inger Johanne Viks zweiter Fall, Was niemals geschah. Bei diesem Krimi stimmt ausnahmsweise einmal alles. Grandios!

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Zu guter Letzt möchte ich etwas zu Gunnar Staalesen sagen. Der Mann aus Bergen ist ein ehemaliger Theaterdramaturg und, laut eigener Beschreibung, ein echter "Bücherwurm".
Seine Romane sind sowohl echte Privatdetektiv-Romane, als auch typisch norwegische oder, besser noch, Bergener Geschichten, denn bis auf ganz wenige Ausnahmen spielen die Stories in der norwegischen Hafenstadt.
Der wichtigste Protagonist in Staalesens Geschichten ist Privatdetektiv Varg Veum, ein klassischer "privat-eye" in bester Krimitradition. Veum arbeitete früher beim Jugendamt und betreute drogenabhängige Jugendliche, die "auf die schiefe Bahn" geraten waren. Aus dieser Zeit stammen seine Kontakte zur Kriminalpolizei, speziell die Haßliebe zu Kommissar Dankert Muus hat hier ihren Ursprung. Es kam, wie es kommen musste. Varg Veum war einem großen Dealer im Weg, der Kontakte zur oberen Bürokratie hatte. Kurzerhand quittierte Veum seinen Dienst und wurde Privatdetektiv.
Und Veum ist wirklich ein Schnüffler, der sich durchaus mit Sam Spade und Philipp Marlowe messen kann, ohne allerdings wirklich deren Klasse zu erreichen. Er teilt das Leid der meisten Schnüffler, nämlich ständige Ebbe in der Kasse zu haben, was auch daher rührt, daß er es strikt ablehnt, "Scheidungssachen" zu übernehmen.
Letzten Endes ist er aber ein guter Detektiv und "Tough Guy", natürlich mit dem nötigen Glück ausgestattet. Er und Kommissar Muus entwickeln sich zu einem schrulligen und erfolgreichen Team.
12 Detektivromane sind es inzwischen geworden. Und man muß Privatdetektivgeschichten schon mögen, wenn man Staalesens Bücher lesen möchte. Wirklich hervorragende Krimiliteratur darf man aber nicht erwarten. Die Romane leben eher von der besonderen Stimmung der weniger schönen Viertel Bergens, speziell der Hafenregion, der unfreiwilligen Komik der Figuren und deren liebevoller Beschreibung. Die Action kommt auch nicht zu kurz, kriminalistischen Feinsinn sollte man aber nicht erwarten.
5 der 12 Bände finde ich aber durchaus lesenswert, da hier neben dem Humor auch eine gute, logische und spannende Handlung zu finden ist.
Ein muß ist der erste Band, Das Haus mit der grünen Tür, schon deswegen, um die "Helden" der Romane kennenzulernen. Band 3, Dornröschen schlief wohl hundert Jahr, und Band 4, Die Frau im Kühlschrank, gefallen durch ihren trockenen Humor und durch die Trampeligkeit des Detektivs. Ein echtes Meisterwerk ist Band 8, Gefallene Engel. Varg Veum muß sich hier mit seiner eigenen (Schul-)Vergangenheit auseinandersetzen, denn plötzlich geht der Tod um unter seinen alten Schulkameraden. Band 12, Tote haben's gut, ist eine Hommage an Chandlers großen Philipp-Marlowe-Roman "The Big Sleep / Tote schlafen fest", und als solches ist er auch beim Lesen ein wahrer Genuß.

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Teil 3 beschäftigt sich dann mit Finnland

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6.12.2006 - 18:02

Krimis aus dem hohen Norden

Der Boom der skandinavischen Krimis!


Teil 3 - Finnland

Finnland ist etwas ganz Besonderes. Das Land der vielen tausend Seen kann getrost als das schrulligste unter den skandinavischen Ländern bezeichnet werden. Das liegt zum Teil daran, daß hier keine germanische Sprache gesprochen wird (nun ja, ein Sechstel der Bevölkerung spricht Schwedisch), es liegt aber v.a. daran, daß Finnland "so weit ab" liegt.
Finnland ist ein Land der Extreme. Relativ zur Bevölkerung gesehen, gibt es in Finnland die meisten Leistungssportler der Welt, bekannt sind die Skispringer, die Eishockeyspieler und die Leichtathleten. Finnland führt aber auch eher zweifelhafte Statistiken an, zumindest im Vergleich zu den anderen nordischen Ländern. So gibt es hier die höchste Alkoholikerrate Europas, die höchste Selbstmordrate Europas und die höchste Schwerverbrecherrate Skandinaviens.
Die Anzahl der "Durchgeknallten" ist Legion. Daß dies auch positive Folgen hat, sieht man an der Kunst des Landes. Großartige Musiker wie Leningrad Cowboys, Klamydia und Apocalyptica hat das Land hervorgebracht, Filmkünstler wie die Kaurismäkis oder Matti Pelonpää.

Zuletzt hat man nun auch Finnland als Herkunftsland wundervoller Kriminalromane entdeckt. Diese Romane aus Finnland sind sowohl typisch skandinavisch als auch eigensinnig finnisch und genau diese Mischung macht die Bücher so interessant.
Ein kleines Problem tut sich beim Lesen finnischer Krimis auf, und zwar die Unaussprechlichkeit finnischer Namen, was dazu führt, daß der gemeine Mitteleuropäer ab und an der Handlung nicht folgen kann, da er zunächst versuchen muß, die Namen den Handelnden zuzuordnen. Aber wenn man sich daran gewöhnt hat, tut sich einem eine phantastische (Krimi-)Welt auf.


Am ehesten bekannt aus der finnischen Krimi-Zunft ist Leena Lehtolainen. Sie schreibt wohl auch die skandinavischsten Krimis aller Finn/inn/en. Ihre Bücher ähneln denen der Norwegerin Anne Holt, was die Thematik mancher Geschichten angeht.
Auch sie hat eine weibliche Serien-Heldin erschaffen, nämlich Maria Kallio. Zunächst ist Kallio Jura-Studentin, wird aber bald, eher zufällig, Kommissarin und später Hauptkommissarin. Sie ist eine extrem patente Frau, aber auch sehr "tough", was sie fast sofort sympathisch macht. Sie hat Probleme mit ihrer männlichen Umwelt, geht aber von Roman zu Roman souveräner damit um.
Lehtolainen hat sich für eine Serienheldin entschieden, was es den Lesern zum einen leicht macht, zum anderen aber wird die Persönlichkeit Kallios bis ins kleinste Detail vertieft, so daß manche Romane mehr Privates beinhalten als sich um den Fortgang des Falles zu bemühen. Nicht immer gelingt es Lehtolainen, die eigentliche Handlung so voranzutreiben, wie es sich so mancher Leser wünschen würde. Und eines darf man bei ihren Stories nicht erwarten: Action und übermässige, prickelnde Spannung.
Dennoch macht es Spaß, ihren Figuren durch die Geschichten zu folgen, denn die gute Beschreibung der Protagonisten bis in die tiefsten Winkel der Psyche ist Lehtolainens Sache. Das kann sie wie sonst kaum jemand.
Im Januar wird der 10. Kallio-Roman in deutscher Sprache erscheinen. Da es rechtliche Probleme zwischen dem Ariadne-Verlag und Rowohlt gab und immer noch gibt, sind auch diese Romane nicht in der richtigen Reihenfolge erschienen. Auch die Nummerierung der Fälle bei Rowohlt stimmt somit nicht, denn das erste Buch auf Deutsch erschien bei Ariadne, war aber eigentlich schon der 4. Fall der Kommissarin.
Als lesenswert herausheben möchte ich Kallios 1. Fall, Alle singen im Chor, eine sehr an Agatha Christies Miss-Marple-Romane erinnernde Geschichte. Der 3. Fall, Kupferglanz, bietet einem wunderbare Bilder und Landschaften. Die Theatervariante wird seit vielen Jahren in einem kleinen finnischen Dorf im Original-Kupferbergwerk gespielt. Kallios 6. Fall (für Rowohlt der 5. Fall [sic!]) ist Der Wind über den Klippen gilt für viele Krimileser als der Beste. Ich sehe das etwas anders, da es in diesem Buch fast ausschließlich um Kallios private Probleme geht und hier nicht viel für die Stringenz der Geschichte getan wird. Der nächste Fall, Zeit zu sterben, gefällt mir am Besten. Dies ist ein echter Frauenkrimi, der aufzeigt, wie Frauen mit der Thematik "Häusliche Gewalt" und "Vergewaltigung" umgehen könnten. Ein wirklich großartiger Roman mit verblüffendem Ende. Der 9. Fall, Im schwarzen See, ist eigentlich schon der 11. Fall und es ist zunächst ein etwas zu alltäglicher Fall, gegen Ende entwickelt sich die Geschichte aber zu einer überdurchschnittlichen Story. Im Januar erscheint nun Wer sich nicht fügen will, mit sehr viel Vorschußloorbeeren bedacht. Man wird sehen. Echte Lehtolainen-Kallio-Fans lesen es ohnehin. Ein Fehler ist das auf keinen Fall!

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Nicht mehr ganz ein Insider-Tipp ist der ehemalige Polizeireporter Harri Nykänen. In Finnland ist er der momentan erfolgreichste Krimiautor. Eine Fernsehserie und ein Kinofilm sind bereits auf der Basis seiner Geschichten entstanden.
Und seine Geschichten sind alles andere als gewöhnliche Krimis. Zwar tauchen auch in seiner Krimi-Serie Polizisten auf, z.B. der Kommissar Jansson und sein stümperhafter Assistent Huusko, der mehr Wert darauf legt, der Damenwelt zu gefallen, als auf die Schnüffelei, die Hauptfigur seiner Serie ist aber der junge, bereits sagenumwobene Auftragsgangster Raid. Ein Mann für alle schweren Fälle der Unterwelt, der vom Auftragsmord über Bodyguard bis zum Einbruch alles für die Bosse erledigt, solange es seiner eigenen Moralvorstellung entspricht. Und das ist nicht einfach, denn Raid hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und so kommt es vor, daß er auch schon mal statt des anvisierten Opfers den Auftraggeber aus dem Weg räumt.
Ihn verbindet eine leicht mysteriöse Freundschaft mit Kommissar Jansson, was bei der Polizei von Helsinki schon lange als Gerücht kursiert. Wieso ist es wohl noch nicht gelungen, Raid dingfest zu machen?
Die Raid-Romane sind durchweg spannend und lustig, die Stories haben, wenn auch verquer, Hand und Fuß. Und Raid ist der sympathischste Gauner seit Tom Ripley oder Arsene Lupin.
5 Romane sind es mittlerweile und ich kann keinen davon als besonders schlecht oder besonders gut herausheben, denn sie sind alle gut und jeder überrascht den Leser mit neuen Gimmicks. Eines ist aber klar: Den Leser erwartet großartige Unterhaltung!

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Ein lange Zeit im eigenen Land von den Kritikern verkannter bzw. nicht beachteter Literat ist Arto Paasilinna aus Kittilä in Lappland. Er entstammt einer achtköpfigen Kinderschar und verdiente sein Geld zunächst als Zeitungsredakteur. Seit seine Bücher in Frankreich erfolgreich waren, ist er auch in Finnland groß herausgekommen, vermutlich ist er der meistgelesene finnische Autor. Über 40 Romane sind es inzwischen geworden, von denen einige auch verfilmt wurden.
Jedes Jahr im Herbst erscheint ein neues Buch von Paasilinna, das ist in Finnland so sicher wie der Schnee in Lappland.
Paasilinna könnte man als den Kaurismäki der Literatur ansehen. Seine geschichten sind allesamt am besten mit dem Wort "schräg" zu bezeichnen. Sie sprühen vor Humor, teilweise tiefschwarzem Humor, sie sind skurril und etliche Geschichten verlassen sehr schnell den Boden des klassischen Krimi-Genres, oftmals auch den Boden jedweder Realität.
Aber eins bleibt festzuhalten: Ich habe mich bei jedem Buch beinahe bepisst vor Lachen.
Im Grunde kann man alle seiner auf Deutsch erschienenen Bücher als unbedingt lesenswert betrachten. Ich habe hier mal 5 der schrägsten Geschichten herausgesucht, die den Meister in Bestform repräsentieren!
Wie das Anfahren eines Hoppeltieres zur Ursache eines unglaublichen, echt finnischen Abenteuers werden kann, beschreibt Das Jahr des Hasen. Ein kleiner Gauner, der seine Komplizen übers Ohr gehauen hat, und ein desertierter Major treffen sich in der Einöde Nordfinnlands, und zwar Im Wald der gehenkten Füchse. Wenn die altfinnischen Götter sauer werden, da die Finnen nur noch dem Aberglauben des Christentums frönen, müssen sie eingreifen. Der Sohn des Donnergottes ist gefragt. Ein echtes Roadmovie um zwei zufällige Freunde, von denen der eine an Demenz leidet, beschreibt Der Sommer der lachenden Kühe. Ein Flugzeug stürzt ab, die Passagiere überleben und können wichtige Dinge aus dem Flugzeug bergen, so z.B. Millionen von Verhütungsspiralen. Nach etlichen Monaten auf einer einsamen Insel planen sie ihre Rettung. Vorstandssitzung im Paradies ist das vermutlich menschlichste seiner Bücher.

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Ilkka Remes gehört zu den Autoren, die sich ziemlich rar machen. In den letzten 10 Jahren hat er 3 Interviews gegeben. Remes' Geschichten sind echte Thriller, aber solche mit finnischem Touch, und obwohl ich die Thematik und den Inhalt der Bücher nicht so sehr mag, muß festgehalten werden, daß es sich um durchweg sehr gut gemachte, actiongeladene und spannende Geschichten handelt. Remes' Protagonist ist Nortamo, ein Beinahe-James-Bond, der für die EU-Anti-Terror-Einheit TERA unterwegs ist. Wie gesagt, nicht mein Ding, aber wer stringente Spionage-Action-Thriller mag, wird die Bücher von Remes mögen.
3 Romane sind in Deutschland herausgekommen. Ewige Nacht, Das Hiroshima-Tor und Höllensturz, ein weiterer Roman, Blutglocke, wird im kommenden Sommer erscheinen.

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Einer der finnischen Autoren mit großem Renomée, in Deutschland aber noch fast unbekannt, ist Pentti Kirstilä aus Turku. Er widmet sich dem echten Polizeiroman, sein Held ist der vollkommen desillusionierte Eigenbrötler, Kriminalhauptwachtmeister Lauri Hanhivaara, durch lange Jahre ernüchternder "Bullentätigkeit" zum Zyniker geworden.
Das klingt abgedroschen, ist es auch, zumindest ein wenig. In Finnland aber ist es erfolgreich, die finnische Seele wird immer wieder schön beschrieben und gestreichelt.
Dem deutschsprachigen Leser entzieht sich leider die Entwicklung der Figuren, da erst 3 der 11 Romane auf Deutsch erhältlich sind und einem der Erstling Jäähyväiset rakkaimmalle ("Abschied von der Liebsten") fehlt.
Der Vollständigkeit halber seien aber die 3 Romane erwähnt, da sie jedenfalls nicht zu den schlechtesten Krimis zählen. Nur diejenigen, die etwas gegen zähe Beschreibungen der normalen Polizeiarbeit haben, sollten die Finger davon lassen.
Sehr angenehm an Hanhivaara ist, der er nicht perfekt ist, sondern auch schon mal Fehler begeht, auch solche, die sich als verhängnisvoll herausstellen. Dies passiert ihm bei einem Fall im hohen Norden, Tage ohne Ende ist ein sehr stimmungsvoller, aber auch sehr trauriger Krimi. Um Irrungen und Wirrungen der partnerschaftlichen Art geht es in Nachtschatten. Um Verschwörungen gar geht es in Schwarzer Frühling.
Allesamt solide Krimikost!

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Zum Abschluß kommen wir wieder zu einer Frau, die bereits 1973 ihren ersten Krimi schrieb. Outi Pakkanen ist aus der finnischen Szene gar nicht wegzudenken.
Sie hat keinen Serienhelden erschaffen, wenn man von der Werbegrafikerin Anna Laine absieht, die zumindest als Randfigur immer auftaucht. Ihre Krimis haben eins gemeinsam. Sie spielen alle in Helsinki und an jeder der Geschichten sind Prominente beteiligt. Es sind aber keineswegs nur "Obere-Zehntausend"-Geschichten.
Ihre Romane sind hart, haben ein hohes Tempo und eine hohe psychologische Dichte. Leider sind in Deutschland bisher erst 4 Romane erschienen. Die haben es dafür in sich.
In Party-Killer gerät eine Geburtstagsfeier außer Kontrolle und endet mit dem Tod der Gastgeberin, einer echten Power-Frau. Ein müder Kommissar übernimmt die Ermittlungen. Macbeth ist tot spielt im Theatermillieu mit seinen kleinen und großen Eifersüchteleien, erreicht aber nicht die Klasse von Party-Killer. Aus dem Spiel ist mir für einen Psychokrimi etwas zu kuschelig. Der rote Sessel hingegen ist ein sehr guter Krimi mit sehr viel Tiefgang und einer Menge typischer einsamer Menschen der Großstadt.

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Teil 4 beschäftigt sich dann mit Island & Dänemark

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7.12.2006 - 16:31

Krimis aus dem hohen Norden

Der Boom der skandinavischen Krimis!


Teil 4 - Dänemark, Island & Färöer

Dänemark
Eigentlich ist Dänemark eine echte Krimi-Hochburg, allerdings sind erst recht wenige der dänischen Kriminalromane zu internationalen Ehren gekommen. Doch im Zuge des Skandinavien-Booms ändert sich das so nach und nach.
Die Dänen sind die Südländer Skandinaviens, denn sie gelten als besonders weltoffen und dem süßen Leben gegenüber aufgeschlossen. Das merkt man auch an ihrer Krimikultur.

In den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts hieß, zumindest für Fernsehzuschauer, Krimis aus Dänemark gleich "Olsen-Bande", also Krimi-Klamauk. Ich möchte Egon, Benny und Kjell nicht schlechtmachen, keineswegs, doch bereits zu jener Zeit gab es mehr als Kriminalkomödien in Dänemark.
Ein Vertreter des "neuen skandinavischen Stils" war Poul Ørum, sozusagen Dänemarks Sjöwall/Wahlöö in einer Person. Wie beim Schweden-Paar zeigten auch seine Krimis ein hohes soziales Engagement und psychologische Tiefe in der Beschreibung der Figuren, sowohl, was die Kriminellen als auch die Kriminalen angeht (die Romane schrieb er zwischen 1965 und 1973, etwa zur gleichen Zeit wie die Schweden). Jonas Mørk war der ermittelnde Kommissar. Doch offenbar war die Krimiwelt noch nicht bereit für einen zweiten Martin Beck. Zwar sind in Deutschland mehrere Romane Ørums erschienen, alle zu Beginn der Achtziger, keines davon jedoch bekam eine Zweite Auflage. Die erste Auflage erhält man höchstens noch auf Flohmärkten oder bei Internet-Börsen.
Der Vollständigkeit halber seien die Titel erwähnt. Galgenfrist erschien als erster Ørum-Roman in deutscher Sprache. Es handelt sich jedoch eher um ein Märchen als um einen Krimi. Mit Einer soll geopfert werden ging es los, es folgten Der Schatten neben Dir und Nach Einbruch der Dunkelheit, alles beste skandinavische Krimikost. Blinde Fenster, Am kritischen Punkt und Das elfte Gebot tendieren schon sehr in Richtung Thriller, wenngleich ohne allzu temporeiche Geschehnisse. Die Action kommt schließlich beim Roman Die letzte Flucht dazu, den man getrost als den besten Ørum-Roman bezeichnen kann!

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Ein Großer der dänischen Szene ist Leif Davidsen, ehemaliger Journalist und Korrespondent (in Moskau und Madrid), inzwischen nur noch Schriftsteller. Sein Metier sind lupenreine Thriller mit einem Hauch von Spionage und Verschwörungstheorie, aber in einer gesunden, nicht esoterischen Portion. Drei seiner frühen Romane gehören zur sogenannten Moskau-Trilogie und sind bislang nicht auf Deutsch erschienen. Ferner gibt es das sogenannte Spanische Duo, dessen zweiter Teil auf Deutsche erschienen ist. Allerdings gehören diese Romane nicht wirklich zusammen, Buch Nr. 1, sein allererster Krimi, stammt aus dem Jahre 1984, Nr. 2 ist von 1997! Einige Figuren tauchen in beiden Romanen auf, es gibt kaum Handlungsüberschnitte.
Das 2. Buch, Der Augenblick der Wahrheit, ist ein leidlich guter Thriller. Es hat leider einige Schwächen in der Logik der Story, ist aber spannend und enthält die richtige Mischung aus Politik, Halbwelt, Korruption und Verschwörung, dazu einen Helden, der als Paparazzo sein Geld verdient, also auch nicht gerade ein Kind von Traurigkeit ist.
Die typische Davidsen-Mischung enthält auch der Polit-Thriller Der Fluch der bösen Tat, ein schnell verschlungenes Buch, daß den Leser durch Tempo bei Laune hält. Die guten Schwestern könnte man als traurige Familiengeschichte ansehen, die aber durch die Verstrickung in komplexe politische Geschichten auch eher zum Polit-Thriller geriert. Für mich etwas zu langatmig, aber mit viel Gefühl geschrieben. Der Feind im Spiegel wirkt zunächst etwas überfrachtet, da hier mehrere reale Geschichten wie der 11. September mit einfließen, die Handlungsfäden werden aber so geschickt geknüpft, daß nicht nur ein nahezu kosmopolitischer Thriller daraus wird, sondern auch Davidsens bester Roman!

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Kommen wir zu dem dänischen Kult-Autor, zu "Onkel Danny", wie er auch liebevoll genannt wird. Dan Turèll war eindeutig die Nummer 1 unter Dänemarks Krimiautoren. Leider verstarb er, erst 47-jährig, 1993. Aber er hat Dänemark und der Welt ein großes Œuvre hinterlassen. Schwarzer Humor, Ironie und viel Liebe für seinen Stadtteil Vesterbro sowie Gespür für dänische Eigenarten zeichnen seine Bücher aus, sein Genre ist der "Privatschnüffler"-Roman, denn diese uramerikanische Spezialität hat er wunderbar nach Kopenhagen verlagert und ihr den dänischen Anstrich verpasst.
Turèlls Serienheld ist ein Ich-Erzähler, dessen Namen man nie erfährt. Ein Mann, der mehr schlecht als recht von seinen Verdiensten als freier Journalist eines großen Kopenhagener Boulevardblatts lebt, und der sich lieber in den Bars und Cafés seines "Kiezes" Vesterbro aufhält als einem geregelten Zeitvertreib nachzugehen, wenn man denn Trinken nicht als solchen ansehen sollte.
Der Namenlose hat ein Problem. Ständig stolpert er unfreiwillig über Leichen, zumeist Mordopfer. Das bringt ihn im ersten Fall dieser Art unter Mordverdacht, aber sein späterer Kumpel Kommissar Ehlers von der Kripo hilft ihm aus der Patsche. Von da an sind die Beiden ein seltsames Gespann, ein "Pärchen wie Paul und Klärchen"!
Man muß die beiden Hauptfiguren schon mögen, genauso, wie man Kaschemmen, billige Absteigen und Vesterbro (Kopenhagens Neukölln) mögen sollte. Man sollte auch einen feinen Sinn für teils derben, teils schwarzen Humor haben. Dann, und nur dann wird man Turèlls Romane lieben.
Besondere Empfehlungen in dieser Reihe auszusprechen, fällt mir schwer. "Kennste einen, kennste alle" trifft es zwar ganz gut, dennoch sind alle Romane doch wieder verschieden. 9 Stück (in Deutschland) mittlerweile. Alle haben einen Titel, der mit "Mord ..." beginnt.
Um einigermaßen in die Szenerie reinzukommen, sollte man den ersten Roman, Mord im Dunkeln, gelesen haben. Der 3. Band, Mord auf Malta, ist der einzige, der nicht überwiegend in Vesterbro spielt. Da er außerdem etwas mehr Einblick in die Vergangenheit des Protagonisten gibt, sollte auch er gelesen werden. Band 4, Mord am Rondell, ist ein überraschend spannender Hammer. Der fünfte Roman, Mord im März, ist sehr witzig und auch überdurchschnittlich dicht von der Atmosphäre her. Danach hat sich eine gewisse Schreibroutine eingeschlichen, so daß die überraschenden wie die lustigen Momente etwas weniger werden. Im Februar erscheint nun auch Band 9 auf Deutsch, Mord im Straßengraben, welcher auf jeden Fall auf meinem Merkzettel steht!

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Eine dänische Krimiautorin, welche ebenfalls die "neue skandinavische Welle" vertritt, ist Kirsten Holst. Leider kann ich nur ihren Namen erwähnen, da ich noch keines ihrer bislang 7 Bücher gelesen habe. Aber mir wurde glaubhaft versichert, daß sie eine hintergründig witzige Erzählerin ist und die Bücher durchweg sehr spannend seien! Ihre Spezialität sind Power-Frauen vom Lande.

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Island
Die einsame atlantische Vulkaninsel hat einen ganz besonderen Menschenschlag hervorgebracht, der bei genauerer Betrachtung als besonders typisch skandinavisch gelten kann. Auf der 300.000-Einwohner-Insel duzt jeder den anderen und nennt ihn fast ausschließlich beim Vornamen, denn vermutlich ist auch jeder mit jedem irgendwie verwandt. Trotz dieser Familiarität treiben Einsamkeit und Verschrobenheit extreme Blüten. Ebenso verhält es sich mit dem Verbrechen. Irgendwie sind die Gewaltverbrechen auf Island zwar sehr selten, dafür aber besonders extrem, besonders schlampig und besonders eklig. Von daher haben auch die Kriminalromane der Insel diese Attribute verdient, denn auch die Bullen und die Schnüffler sind ausgesprochen seltsame Typen.

Die Island-Welle kam mit Arnaldur Indriðason nach Mitteleuropa. Der frühere Filmkritiker und Journalist hat fast alle nordischen Krimipreise eingeheimst und gilt als Kandidat für den nächsten isländischen Literaturnobelpreis. Ihm ist es gelungen, mit dem Reykjaviker Ermittlerteam um Kommissar Erlendur (Sveinsson) und die Assistent/inn/en Sigurður Óli und Elínborg eine ganz spezielle Krimi-Serie zu kreieren. Erlendur ist ein wahrer Stinkstiefel, mit sich und der Welt unzufrieden. Seit Ewigkeiten geschieden und mit erwachsenen Problemkindern "gestraft" (sein Sohn ist Alkoholiker, seine Tochter drogenabhängig), trägt er außerdem ein Uralt-Trauma mit sich herum und man fragt sich, wie solche Gestalten überhaupt in den Polizeidienst gelangen konnten?
Aber Erlendur ist ein herausragender Ermittler, seine Spezialität sind Verbrechen, die oftmals weit in der Vergangenheit zurückliegen. Die sterblichen Überreste der Opfer sind demnach sehr spärlich, Skelette oder gar nur einzelne Knochen, die Umstände der Verbrechen liegen im Dunkeln. Erlendur entwickelt bei diesen Fällen eine besondere Zähigkeit, die zumeist Licht ins Dunkel bringt. In den Romanen werden immer wieder Rückblenden zu diesen Verbrechen eingebaut, die dem Leser auch erst nach und nach Aufschlüsse geben, bis der Zusammenhang mit den aktuellen Ermittlungen klarer wird.
Manchmal nervt es schon, wenn Erlendurs tiefschwarzes Seelenleben exzessiv beschrieben wird. Andererseits braucht es aber eine Erklärung für seine zuweilen auftauchende soziale Inkompetenz. Gelegentlich ist man geneigt, zu sagen: "Harte Schale, weicher Keks!" Jedoch muß man auch festhalten, daß die Figur Erlendur in vielerlei Hinsicht an sich arbeitet und nach und nach auch Sympathiepunkte einheimsen kann.
Vom kriminalistischen Standpunkt her, sind jedenfalls alle 5 Erlendur-Romane, der sechste kommt im nächsten Frühling, sehr gute Bücher, bei denen es zwar oft sehr langsam vorangeht, aber selten die Spannung verloren geht. Die Handlung ist stringent, die Umgebung stimmt und auch die etwas "widerlich" düstere Stimmung gehört dahin. Viel kann man jedenfalls an der Machart der Werke nicht aussetzen.
Der erste Erlendur war Menschensöhne, bereits ein toller Krimi, dessen Schluß zwar etwas ins Futuristische abzurutschen droht und somit seltsam erscheint, der aber dennoch viel Spannung und Stimmung bietet. Kein Reißer, das erwartet auch niemand, aber irgendwie dann doch reißerisch. Nordermoor, Erlendur-Krimi Nummer 2, hat viele Preise bekommen, und das zurecht. Hier stimmt wirklich alles, sogar die leicht philosophischen Ansätze am Schluß. Band 3, Todeshauch, hält dieses sehr hohe Niveau und bringt auch noch die private Note besser ins Spiel, denn während der Zeit der Ermittlungen in einem uralten Fall muß sich Erlendur mit der Gegenwart beschäftigen - seine Tochter Eva Lind ringt nach einer Fehlgeburt auf der Intensivstation mit dem Tode! Engelsstimme ist ein schöner Weihnachtskrimi, für dessen Auflöung der Leser schon auf jede Nuance und jedes Detail achten sollte. Bislang mein Lieblingsroman! Kältezone spielt mit einem Teil der isländischen Vergangenheit, welcher vermutlich noch nicht einmal den Isländern besonders bekannt sein dürfte. Traurigkeit, Spannung und Rückblende lösen einander ab, dazu kommt die isländische Geschichte während des "kalten Krieges". Ein weiteres Meisterwerk!
Aber Indriðason hat auch noch andere Romane geschrieben. Über den einen hülle ich lieber den Mantel des Schweigens, jeder macht mal Fehler. Der andere hingegen, Gletschergrab, ist ein Thriller von durchaus internationalem Format. Wenngleich die Heldin des Buches, eigentlich eine "Sesselpupserin" im Außenministerium, für meinen Geschmack zu cool agiert, so stimmt der Rest jedoch. Eine Hintergrundgeschichte, die es in sich hat, ungewöhnlich viel Action, eine schöne, spannend gehaltene Story und ein Überraschungsmoment zum Schluß. Schönes Buch!

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Kommen wir zu Stella Blómkvist. Ein Pseudonym. Zu wem es gehört, konnte bislang nicht gelüftet werden. Jedenfalls verfügt Blómkvist über enormes Insiderwissen, was den Verdacht nahelegt, sie könne eine bekannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens sein, eventuell eine Politikerin?
Die Hauptfigur ihrer bislang 4 Romane heißt auch Stella Blómkvist und ist eine alleinstehende, gut aussehende Anwältin. Sie ist keinesfalls nonchalant. Im Gegenteil, wenn es darum geht, einen flotten Spruch zu machen, ist sie die Erste. Oftmals rettet sie ihre Schlagfertigkeit auch in heiklen Situationen. Ihre "Fälle" spielen sich sehr oft im VIP-Millieu ab. So geht es um Ministeriums-Angestellte, die tot im Plenarsaal liegen, Moderatorinnen, die vergiftet vor laufender Kamera zusammenbrechen, eine tote Prostituierte im Zimmer des obersten Richters und Neonazis in hohen Positionen.
Die sehr hohen Auflagen der Bücher verkaufen sich in ganz Skandinavien ausgezeichnet. Stella ist aber auch eine Figur, die alles vom Leser fordert. Bei der Polizei sind ihre Alleingänge gefürchtet, gerät sie doch nicht selten dabei in größte Gefahr. Wer flotte Geschichten über Korruption, politische Intrigen und Eifersüchteleien mit dekadenten High-Society-Ekeln mag, ist bei diesen Büchern genau richtig. Am Stil könnte noch etwas gefeilt werden, aber vielleicht kommt das ja noch. In deutscher Sprache sind bislang erhältlich Die Bronzestatue, Das ideale Verbrechen, Der falsche Mörder und Der falsche Zeuge. Allesamt Bücher, die man in einer langen schlaflosen Nacht verschlingen kann!

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Viktor Arnar Ingólfsson ist Hobbyschriftsteller. Er ist Bauingenieur und arbeitet bei der isländischen Straßenverwaltung. Er stammt vom Lande, aus Akureyri im Norden Islands, um genau zu sein. Er schreibt so nebenbei schon lange Bücher, darunter auch Thriller. In Deutschland kam er erst im Gefolge von Indriðason auf den Markt. Allerdings mit einem richtigen Hammer. Das Rätsel von Flatey ist so ziemlich das Beste, was ich bisher an Krimis gelesen habe. 1961: Flatey ist eine kleine Insel (500 m x 1,5 km) im großen Westfjord vor Island. Und genau hier spielt der Roman. Es gibt einen Toten auf einer unbewohnten Nachbarinsel, einen dänischen Professor, der vor etwa einem halben Jahr Flatey besucht hatte, um das berühmte 'Rätsel von Flatey' zu lösen. Dabei geht es um das wichtigste Werk des isländischen Mittelalters, einer Schriftensammlung namens Flateyjarbok. Diese hatten die dänischen Kolonialherren nach Kopenhagen gebracht, um sie zu erforschern, aber bis 1961 nicht nach Island zurück gebracht (inzwischen ist es wieder da, wo es hingehört). Zu diesem Buch gibt es einen Rätselcodex, welcher jedoch auf Flatey liegt. Dieses Rätsel darf nur in den Räumen, wo es beherbergt wird, gelöst werden und es dürfen keine Abschriften davon gemacht werden ...
Eine ungeheuer stimmungsvolle und spannende Geschichte entspinnt sich. Das Ganze wird verwoben mit alter isländischer Mythologie und erhält somit eine Dichte, wie ich es bei Krimis noch nicht erlebt habe. Bei diesem Buch stimmt einfach alles. Setting, Plot, Story. Die Protagonisten werden wundervoll beschrieben, die Landschaft und das karge Leben dort. Zu guter Letzt wartet auch noch eine überraschende Auflösung auf die Leser, welche einen schaalen Beigeschmack hinterlässt.
Lest es, Leute! Es lohnt sich wirklich.
Der andere Krimi, Bevor der Morgen graut, ist eine vollkommen andere Geschichte und in ganz anderem Stil gehalten. Schnell, stringent chronologisch, Action-geladen. Aber alles in allem um Längen hinter Flatey zurück.

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Der Vollständigkeit halber sei noch der einzige föringische Krimi-Autor, Jógvan Isaksen, erwähnt! Sein Buch, Endstation Färöer, kann eigentlich nur etwas für eingefleischte Exotenkrimi-Freunde sein bzw. für Freunde der Inseln im Nordatlantik! Zumindest die rauen Lebensbedingungen dort werden sehr gut und pittoresk geschildert. Für eine halbwegs interessante Story hat es auch noch gereicht. Man kann diesen Krimi lesen, ohne sich dabei etwas zu vergeben. Man vermisst es aber auch nicht, wenn man ihn nicht gelesen hat! Immerhin bereichert der Roman, der bereits 1975 geschrieben wurde, die skandinavische Krimi-Szenerie um eine weitere Nuance.

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Giro 2005 + Bergtrikot
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wflo
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Beitrag: # 409408Beitrag wflo
8.2.2007 - 14:40

Stephen Roche hat geschrieben:Alles, was wir geben mussten
Kazuo Ishiguro

[...]

Prädikat: uneingeschränkt empfehlenswert.
Da kann ich Roche nur zustimmen (und mich für diesen Buchtipp bedanken). Ein sehr gelungenes Buch, regt zum Denken an und ist auch noch sehr spannend (vor allem am Ende). Ishiguro gefällt mir als Autor sehr gut. Charakteristisch bei ihm ist wohl das Spiel mit den Zeiten. Da kommt öfter mal ein Blick in die Vergangenheit, der die momentane Geschichte unterbricht. Das fordert dem Leser natürlich Konzentration ab (nicht wirklich ein Nachteil). Ich bin inzwischen schon bei meinem 4ten Ishigurobuch und bereut hab ich noch keines. "Alles, was wir geben mussten" hat mir bis dato aber am besten gefallen.
"Sicher gibt das böses Blut, doch Sprache ist, dass wissen wir, das allerhöchste Gut
und ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg."


HC of the Krieglach Bucs:
10 Seasons / 7 POs / 3-time CHAMPION

HC of the Krieglach BB Bucs:
8 Seasons / 6 POs / 0-time CHAMPION

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