Ein halbes Jahr

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Klaus und Tony
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Ein halbes Jahr

Beitrag: # 261381Beitrag Klaus und Tony
26.6.2005 - 13:32

Ein halbes Jahr

März bis Juni

Wenn am 24. Juli 2005 in Paris die Tour de France zu Ende geht, dann wird Deutschland, so Jan Ullrich nicht vorher ausscheidet, sein jährlich grassierendes dreiwöchiges Radsportfieber langsam ausgeschwitzt haben.

Nur wenige Kilometer vom Siegerpodest im Herzen der französischen Hauptstadt entfernt hatte am 6. März, einem klaren, aber kalten Spätwintertag, ein Projekt begonnen, das heftig umstritten war, nach einem halben Jahr aber leidlich akzeptiert scheint: Die ProTour des Weltradsportverbandes UCI.

An jenem Sonntag im März fand der Prolog zu Paris-Nizza statt, ein kurzes Zeitfahren über 4 km, das aus zwei Gründen geadelt schien: Zum einen sah man den Toursieger der letzten sechs Jahre, Lance Armstrong, erstmals im Hellblau-Weiß seines neuen Teamsponsors Discovery Channel, zum anderen wussten eifrige Reporter zu berichten, dass der Fahrer, der diese viertausend Meter am schnellsten zurücklegen würde, eines Tages, wenn die ProTour zehn, dreißig oder fünfzig Jahre alt sein würde, heldenhaft seinen Namen als allererster Sieger eines PT-Rennens würde präsentieren können.

Sollte der ProTour tatsächlich ein solch langfristiger Erfolg beschieden sein, dann hätte es zweifellos den richtigen Fahrer getroffen: Den Prolog gewann der Deutsche Jens Voigt aus dem dänischen CSC-Team, ein Radsportler der alten Schule, der im Frühjahr sein Rad an den Start schiebt, um nicht nur an möglichst vielen Rennen teilzunehmen, was ihn heutzutage schon außergewöhnlich macht, sondern um diese Rennen auch zu gewinnen. Taktisches Einteilen der Kräfte für ein, zwei Jahreshöhepunkte gehört nicht zu seiner Sicht auf den Sport. Gestoppt wird Voigts Elan selten vor Oktober, wenn die Räder wieder in den Keller kommen.

Dass der Radsport auch ein Kampf der harten Männer gegen elementarste Naturgewalten ist, wird dem Publikum meist im April demonstriert, wenn sich die Elite der Welt über verschlammte Kopfsteinpflasterwege in Europas Nordwesten quält. Im Jahre 2005 jedoch wurde der Beweis schon früher angetreten: Paris-Nizza, die "Fahrt in die Sonne" in Richtung Mittelmeer, wurde zu einer Autofahrt durch den Schnee. Mehrere Etappen wurden stark verkürzt, weil Wetter und Straßenbedingungen nicht zumutbar erschienen und der erste Profiteur dieser Erleichterungen war ein junger Belgier, den man im April nocht oft würde bewundern dürfen. Tom Boonen gewann die Etappen eins und zwei, hatte aber mit der Gesamtwertung nichts zu tun. Die holte sich mit Robert "Bobby" Julich ein Teamkollege von Jens Voigt und einer der zahlreichen Fahrer in der Weltspitze, die die schlechtesten Jahre ihrer Karriere beim deutschen Rennstall Telekom/T-Mobile hatten. Es sollte nicht das letzte Comeback eines Ex-Magentas im Jahre 2005 sein.

Der Profirennstall aus Bonn versuchte sich zeitgleich mit seinem schnellsten Mann bei der italienischen "Sprinterrundfahrt", die vom Tyrrhenischen an das Adriatische Meer führt, bekam dort aber präsentiert, dass die Tage, an denen Erik Zabel mit den weltbesten Sprintern mithalten kann, immer seltener werden. Der Rundfahrtsieg ging an den doppelten Weltmeister Oscar Freire aus Spanien.

Auch als die Frühjahrssaison der großen Eintagesrennen mit Mailand-SanRemo, Zabels Haus- und Hofrennen, begann, konnte die nachlassende Endschnelligkeit des Deutschen nicht übersehen werden. Platz 14 ließ von alten, besseren Tagen träumen, während der aktuelle Star der Sprinterszene, Italiens Alessandro Petacchi einen Heimsieg feierte. Bester der Geschlagenen war der Deutsche Danilo Hondo vom Gerolsteiner-Team, aber innerhalb weniger Tage wurde er zum Schlechtesten der Geschlagenen. 2006, wenn er seine akzeptierte Dopingsperre abgesessen haben wird, werden wir ihn wieder sehen.

Die Karawane zog auch ohne Hondo, der für das gesamte Frühjahr viel versprochen hatte, von den sonnigen Stränden des Mittelmeeres in das rauhe Klima Flanderns. Die Hoffnungen der Deutschen lagen nun wieder vollkommen auf ihren Landsleuten in magenta und sie wurden nicht enttäuscht: Mit Steffen Wesemann, Andreas Klier und Erik Zabel haben sich im Lauf der letzten Jahre Spezialisten für diese eigenwilligen, Kraft, Mut und Glück fordernden Rennen in Flandern und Nordfrankreich gefunden, deren radsportliche Weltklasse von der deutschen Öffentlichkeit leider nur sehr dezent und leider nur im April wahrgenommen wird.

Als Andreas Klier beim E3-Preis von Flandern nur von Tom Boonen, mit dem er zu zweit in Richtung Ziel fuhr, geschlagen werden konnte und Steffen Wesemann im gleichen Rennen kontrollierender Sechster wurde, gleichzeitig mit David Kopp vom Team Wiesenhof ein weiterer Deutscher Vierter wurde, war dies zwar kein ProTour-Rennen, aber eines mit versammelter Weltklasse am Start. Dem deutschen Interesse freilich war Kopps Sieg zwei Tage später in Köln wichtiger, obwohl von Weltspitze dort schwer die Rede sein konnte.

Jedoch: Die ersten Karten waren ausgespielt und Rest des Blattes hielt, was sie versprochen hatten. Bei der Flandern-Rundfahrt war es wieder nur Tom Boonen, der Andreas Klier schlagen konnte. Erik Zabel wurde nach überragendem Rennen Vierter. Für Steffen Wesemann jedoch begann ein Frühjahr aus Stürzen und Pech, weder in Flandern, noch bei Paris-Roubaix, wo er just im Moment der entscheidenden Attacke nicht in der Spitze präsent war, konnte er an seine alten Erfolge anknüpfen. Der erste große Held des ProTour-Jahres aber war Tom Boonen, der mit im Radsport pubertär anmutenden 24 Jahren innerhalb einer Woche Flandern und Roubaix gewann und seinen Platz im Radsporthimmel somit schon gesichert hat.

Mitte April werden die Kopfsteine seltener und die Hügel zahlreicher: Mit dem Amstel Gold Race in den Niederlanden, dass in Sachen Tradition nicht mit den belgischen und nordfranzösischen Frühjahrsklassikern mithalten kann, aber mit Holland immerhin eine große Radsportnation repräsentiert, waren die Zeiten des Tom Boonen Vergangenheit und ein neuer (aber altbekannter) Stern überstrahlte die Weltelite des Radsports 2005. Danilo di Luca, Italiener mit Höhen und Tiefen in der Karriere, dominierte die nächsten sechs, sieben Wochen des Radsports.
Waren seine Siege beim Amstel und beim Wallonischen Pfeil noch leidlich planbar, so überraschte seine offensive und erfolgreiche Fahrweise bis in die Hochgebirge des Giro d'Italia im Mai um so mehr.

Doch würdigen wir noch den umstrittensten Sieger und die beiden unglücklichsten Zweiten des April:
Beim belgischen Halbklassiker Gent-Wevelgem war es dem Lokalmatador Nico Mattan gelungen, den führenden Juan Flecha auf der Zielgerade zu passieren - ein fragwürdiger Sieg, da er recht eindeutig vom Windschatten der Begleitfahrzeuge profitierte.
Zum Abschluss der Klassikersaison zeigte einmal mehr Jens Voigt, aus welchem Holz er geschnitzt ist. Eine unwiderstehliche Flucht bei Lüttich-Bastogne-Lüttich, dem ältesten und vielleicht bedeutendstem Frühjahrsklassiker, wurde nur deswegen nicht vom Sieg gekrönt, weil er im Kasachen Alexander Vinokourov einen Begleiter hatte, dessen Lust zur Attacke der des Deutschen gleichkommt und dessen Talent für giftige Anstiege und Sprints möglicherweise einen Deut größer ist.

Als der April sich in den Mai neigte, verteilte sich das Feld der ProTour auf verschiedene europäische Schauplätze, um Rundfahrten zu absolvieren, die im Gegensatz zu den Eintagesklassikern an ihrer schwer zu vollziehenden Einstufbarkeit leiden. Wer fährt nur mit, um zu trainieren? Wer will diese Rundfahrt wirklich gewinnen und riskiert dafür etwas? Welche Teams schicken hier ihre Helfer hart in den Wind?
Es dürfte der ProTour auch in Zukunft schwerfallen, dieses Problem zu lösen, aber man muss ihr zugute halten, dass sie es nicht geschaffen hat. Die Zeiten eines Eddy Merckx sind vorbei und Fahrer wie Jens Voigt sind nicht beliebig reproduzierbar.

Unterdessen siegte in der Romandie, der französischsprachigen Westschweiz, mit Santiago Botero ein weiterer Fahrer aus der großen Gruppe derer, die es in Bonn bei T-Mobile versucht hatten und ihre dortigen Jahre als verschenkt betrachten dürfen.

Während das östliche Mitteleuropa im Mai 2005 etwas traurig an seine Traditionen dachte, ohne sie verfolgen zu können, denn die ruhmreiche Friedensfahrt war Anwälten, Geldsorgen und Eitelkeiten zum Opfer gefallen, erlebte die Radsportwelt beim dreiwöchigen Giro d' Italia eine Renaissance des dramatischen Sports auf hohem Niveau.
Der April, der mit seinen (wiewohl heldenhaften) recht vorhersagbaren Rennausgängen fast an die Planbarkeit des Spitzenradsports hatte glauben lassen, wurde von einem furiosen Mai abgelöst.
Nein, man kann nicht sagen, dass der Giro die besten Rundfahrer der Welt in seinem Feld vereinigte, aber man kann, man muss sagen, dass dieses Rennen eine Seele hat, dass seine Streckenplaner den Sport um seiner selbst Willen lieben und dass seine Teilnehmer an die Recken aus längst vergangenen Zeiten erinnern.
Wenn sich Klassementfahrer in der ersten Woche um ein paar Sekunden prügeln, wenn Klassikerfahrer zu Hochgebirgshelden werden, wenn Kletterziegen, die keinen Zentner wiegen, um den Gesamtsieg fahren und wenn die Entscheidung der Rundfahrt auf einer wahrhaft epischen Etappe mit virtuellem Verlust und reeller Wiedererringung des Rosa Trikots fällt, dann muss zurückstehen, dass Paolo Savoldelli, der Sieger dieses edlen Streites, im französischen Juli womöglich nur noch ein kaum beachteter Helfer des großen Armstrong sein wird.
Wenn der Radsport nicht nur die Besten gewinnen lassen will, sondern auch seine Faszination auf ein euphorisches Publikum braucht, dann war dieser Giro ein Maßstab.

Doch Eines ist schwer zu ändern: Der Mai geht, der Juni kommt - und alles, was im Radsport geschieht, scheint nur noch Vorbereitung auf die Tour de France zu sein. Sowohl in Südostfrankreich als auch in der Schweiz werden mit der Dauphiné Libéré und der Tour de Suisse Hochgebirgs-Rundfahrten gefahren, von denen sich die Welt Fingerzeige über die Form der potentiellen Juli-Helden verspricht. Sind diese Rundfahrten vorbei, beeilen sich freilich alle zu versichern, dass die Ergebnisse zu vernachlässigen sind. Der ProTour aber können die Sieger recht sein: Denn mit Inigo Landaluze und Aitor Gonzalez gewannen ausgerechnet Fahrer aus dem baskischen Euskaltel-Team, von dem man drei Monate lang glauben musste, dass es die ProTour durch permanente Ambitions- und daraus folgender Erfolgslosigkeit boykottiere.

Und das hätte sie nun auch nicht verdient.
Zuletzt geändert von Klaus und Tony am 18.10.2005 - 19:41, insgesamt 2-mal geändert.

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Beitrag: # 270032Beitrag Hoffi
8.7.2005 - 22:35

Wahrlich, wenn Ende Juli nach der Tour de France der Radsport-Boom hierzulande allmählich abflacht, um nur zwölf Monate später abermals wiederzukehren, sind die Deutschen entweder enttäuscht ob einer erneut nicht den Erwartungen entsprechenden Leistung Jan Ullrichs, behagt, aber dennoch unglücklich, weil Ullrich zwar á la bonne heure gefahren ist und zum Sieger der Herzen avancierte, ein Amerikaner jedoch wie so oft schneller war, oder aber – welch abstruse Vorstellung – vollkommen aus dem Häuschen, weil tags zuvor „der Jan“ in Gelb Paris erreichte.

Doch unabhängig von Ullrichs, Vinokourovs und Co.s Leistung bei der Frankreich-Rundfahrt – für die t-mobilen Pedaleure aus Bonn entpuppte sich der erste Teil der Saison 2005 als, leicht, aber auch nur leicht überspitzt formuliert, Blamage; was primär die Teamleitung zu verantworten hatte. Denn weitaus schlimmer als die mitunter desaströsen Leistungen manches T-Mobile-Profi grassierte, mit noch dramatischeren Ausmaßen als bereits in den Jahren zuvor, das Telekom/T-Mobile-Syndorm im Peloton. Während in Bonn stets die fabelhafte und lediglich mit 1997 zu vergleichende Form Ullrich geadelt wurde (anbei verbannte die Teamleitung Zabel kurzerhand aus dem Tourkader) und sich die Mannschaft in sportlicher Hinsicht erst bei den Frühjahrsklassiker fing – als Andreas Klier sowie Erik Zabel, zudem Henninger-Turm-Sieger, bei der Flandern-Rundfahrt brillierten und kurz darauf Alexandre Vinokourov die Doyenne gewann – fuhren deren ehemalige, in Magenta elendig schwache und erfolglose Teamkollegen ein um den anderen Erfolg ein.

So hatte Santiago Botero maßgeblichen Anteil daran, dass seine neue Mannschaft, Phonak Hearing Systems, nach einem halben Jahr die Spitzenposition in der ProTour-Teamweltrangliste inne hat und die erste Hälfte der Saison in der Schweiz in die Kategorie der Besseren zu subsumieren ist. Nach zwei verkorksten Jahren in Magenta konnte der ehemalige Tour-Vierte und Zeitfahrweltmeister an alte, erfolgreichere Kelme-Zeiten anknüpfen und neben seiner „Auferstehung“ beim Tour-de-Romandie-Sieg auch einen zweiten Platz bei der Dauphiné Libere feiern – nun gilt der 32-Jährige als Anwärter auf eine vordere Platzierung in Paris. Ebenso wie zwei seiner Teamkollegen, Oscar Pereiro und Floyd Landis, Neuzugang von Lance Armstrongs US-Postal-Team, deren bisherige Auftritte einzig der Tour-Vorbereitung galten. Anders dagegen ein weiterer Top-Neuzugang, Miguel Angel Martin Perdiguero, der bei Phonak zwar noch sieglos ist, jedoch reihenweise unter den Top 10 landete.

Ebenfalls konstant war heuer auch Tadej Valjavec unterwegs, für den es sowohl bei der Tour de Suisse als auch beim Giro d’Italia zwar nicht zu den absoluten Top-Platzierungen, so doch zu respektablen Ergebnissen langte. Bei eben jener Italien-Rundfahrt hatte sich zuvor eine weitere Auferstehung eines T-Mobile-Geschädigten vollzogen. Paolo Savoldelli, ebenfalls nach zwei von Verletzungen und Erfolglosigkeit dominierten Jahren in Bonn ins Ausland, zu Lance Armstrongs neuer Mannschaft, Discovery Channel, US-Postal-Nachfolger, geflüchtet, hatte nach einer heißumkämpfen Sekundenschlacht in den Alpen die Nase um den Hauch von 28 Sekunden vorne – laut eigener Aussage lediglich, um sich für die Tour de France zu präparieren.

Der Italiener scheint somit schon vorab für etwaige Helferdienste auf Frankreichs Straßen belohnt worden sein, die Armstrong meistenteils mit einer Kapitänsrolle bei Rennen im Spätsommer und Herbst prämiert – ebenso wie George Hincapie, der zwar auch bei seinem elften Anlauf den angestrebten Sieg bei der „Königin der Klassiker“, Paris-Roubaix, als Zweiter zwar knapp verfehlte, in Belgien (zudem Siebter der Flandern-Rundfahrt) und Nordfrankreich dennoch überzeugen konnte. Zumal ihm eine Hilfe zuteil wurde, die im Laufe ihrer Karriere nur wenige genießen konnten: Lance Armstrong hatte seinem langjährigen Weggefährten und Freund bei der Ronde höchstpersönlich als Edeladjudant zur Seite gestanden.

Für den US-Postal-Nachfolger hat jedoch auch in diesem Jahr die Tour de France oberste Priorität, im Juli soll nicht nur Armstrong, sondern auch seine achtköpfige Helfercrew Top-Form aufweisen können. Zu dieser zählt neben Savoldelli und Hincapie heuer auch erstmals Neuzugang Yaroslaw Popovych, der in den Vorjahren noch stets den Girosieg anvisiert hatte. Die neue Mannschaft erheischt von dem 25-jährigen Ukrainer jedoch eine ideale Verfassung zur Tour de France – um seinen Kapitän, der sich auch in diesem Jahr bislang gewohnt akribisch auf die Frankreich-Rundfahrt (vor der ein vollständiges und aussagekräftiges Bilanzieren von Discoverys Saison aufgrund der starken Tour-Lastigkeit unmöglich scheint) vorbereitete, wie sich anhand von Armstrongs Vorstellung bei der Dauphiné-Rundfahrt festmachen lässt, bestmöglich zu unterstützen.

Dessen ärgster Konkurrent wird im Jahr seiner sechsten Titelverteidigung wohl – neben dem notorischen Dauer-Rivalen Jan Ullrich – Ivan Basso sein. Im Vorjahr Dritter, wagte sich der Italiener vom Team CSC im Mai erstmals mit Siegesambitionen zu seiner Heimatrundfahrt, dem Giro; nach einem furiosen Auftakt mit der Rosa-Übernahme machten Magenprobleme am Stelvio-Pass sämtliche Hoffnung auf einen sich anbahnenden Giro-Sieg zunichte – nun will sich Basso bei der Tour revanchieren. Sollte sich der bei Bjarne Riis in intensive Zeitfahrschulungen gegangene Italiener ähnlich imponierend wie beim Giro präsentieren, würde Basso ein bis dato famoses Jahr der dänischen CSCler bereits perfekt machen. Vorrangig die bisherigen Vorstellungen der Zimmerkollegen Jens Voigt und Bobby Julich, beide gerne mit einem Wein – „je älter desto besser“ – verglichen, sind symptomatisch für den bisherigen Saisonverlauf der CSC-Mannschaft.

Während Julich – ebenfalls in Folge der schwachen Leistungen beim Bonner Rennstall nach Dänemark transferiert – sein bereits exzellentes Vorjahr durch die Gesamtsiege bei Paris-Nizza und dem Critérium International sowie starken Auftritten bei der Tour of Georgia und der Vuelta al Pais Vasco zusätzlich garnieren konnte, verfehlte Voigt zwar den Sieg bei eben jenen beiden erstgenannten Rundfahrten, triumphierte jedoch bei der Tour Méditerranéen und brillierte zudem erstmals als erfolgreicher Frühjahrsklassiker-Jäger: Nach einer gemeinsamen 55-km-Flucht mit Alexandre Vinokourov hatte der Kämpfer aus Berliner bei Lüttich-Bastogne-Lüttich erst auf der Zielgeraden gegenüber dem Kasachen zurückstecken müssen und wurde auf Rang zwei verwiesen – für Voigt dennoch ein Erfolg.

Hätte er gewonnen, wäre es, retrospektiv betrachtet, der nunmehr 24. Saisonsieg für die unter Riis aufblühende Equipe gewesen – eine abermals grandiose Saison der Dänen, obgleich sie somit lediglich nichtmal eine handvoll mehr Siege als Alessandro Petacchi allein auf dem Konto hätten. Der italienische Superstar von Fassa Bortolo war auch im dritten Jahr seiner absolutistischen Sprintherrschaft drückend überlegen, feierte zwanzig Saisonsiege, und es war wohl lediglich der Giro-Organisation zu verdanken, dass er nicht noch häufiger auf der Zielgeraden die Arme in die Höhe recken durfte. Als dreifacher Tirreno-Adriatico- und Valencia-Rundfahrt- sowie als zweifacher Romandie-, Aragon-Rundfahrt- und Ruta-del-Sol-Etappensieger war Petacchi zum Giro gereist – überdies mit der Belastung von neun Vorjahres-Etappensiegen. Dass er seinen „Rekord für die Ewigkeit“ nicht egalisieren oder gar verbessern konnte, sondern in Mailand nur vier Tageserfolge zubuche standen, war eine fiese erste Woche entschuld, in der zu Rennende zumeist zahlreiche Hügelchen passiert werden mussten, die Petacchis Pläne, partout einen Massenspurt zu erzwingen, konterkarierten.

Doch der 31-jährige Sprintstar wird die heuer nicht so üppig ausgefallenen Etappensiege bei seiner Heimatrundfahrt wohl verschmerzt haben, schließlich hatte Petacchi sich und Teamchef Ferretti zuvor im März einen großen Traum erfüllt: die Primavera, Mailand-San Remo, gewonnen, und somit den ersten Sieg bei einem großen Klassiker gefeiert. Neben dem großen und erfolgreichen Sprintstar blieb die Mannschaft zwar nicht vollkommen blass, Siege, die nicht von Petacchi eingefahren wurden, waren jedoch rar. Marzio Bruseghin versuchte Cioni zu imitieren und beim Giro neben seinen Helferdiensten für Petacchi auch stets mit einem Auge aufs Klassement zu schielen – am Ende wurde er Neunter. Dagegen wussten Juan Antonio Flecha und Fabian Cancellara bei den Frühjahrsklassikern zu überzeugen; zweimal zwei Top-10-Platzierungen – so lautet Fassas Roubaix-Wevelgem-Bilanz. Der Spanier kam gar zweimal aufs Podest, und einen Sieg Flechas bei Gent-Wevelgem konnten lediglich skurrile Umstände verhindern: In Führung liegend, wurde der 27-Jährige wenige hundert Meter vor dem Ziel von seinem ummittelbaren Verfolger Nico Mattan, der unverkennbar vom Windschatten der Begleitwagen- und motorräder profitiert hatte, eingeholt und auf Rang zwei verwiesen – ein regelwidriger Sieg, der dennoch in die Wertung einging.

Tragisch für Fassa Bortolo, doch Nico Mattan zählt wohl zu jenen Fahrern, denen man einen Sieg bei Gent-Wevelgem am meisten gegönnt hätte, obgleich das letztendliche Zustandekommen einen kleinen, aber bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Der zumeist auf Kopfsteinpflaster und im Kampf gegen die Uhr mehr oder minder erfolgreiche Belgier, vor Saisonbeginn zu Davitamon-Lotto gewechselt, fuhr seit nunmehr zwei Jahren, die von mehr Tiefen denn Höhen geplagt waren, einem Sieg hinterher – im April triumphierte er dann quasi vor seiner eigenen Haustür. Das blieb seinem Teamkollegen Peter van Petegem, Roubaix- und Ronde-Sieger 2003, heuer verwehrt. Nach einem dritten Platz bei der Flandern-Rundfahrt wollte er sich bei der Königin für den verpassten Sieg revanchieren, stürzte jedoch und gab das Rennen auf – ein Frühjahr, das wie schon 2004 nicht ganz nach seinen Vorstellungen verlief.

Zufriedener, da mit weniger hohen Ansprüchen ausgestattet, durfte nach der ersten Saisonhälfte dagegen Wim van Huffel dreinblicken. Der 26-jährige Belgier avancierte beim Giro d’Italia zum einem der Aufsteiger des Jahres, als er nach einer prächtigen Vorstellung bei der ersten Bergankunft in Zoldo Alto mit Rang sechs zur Überraschung Vieler auch die zweite Giro-Woche auf konstant hohem Niveau imstande war durchzustehen und in Mailand mit dem elften Platz belohnt wurde – van Huffel scheint jener Mann zu sein, der die seit Jahren in seinem Heimatland gehegten Hoffnungen auf einen starken Klassementfahrer erfüllen könnte; sein bestes Radsportalter hat er jedenfalls noch vor sich. Neben dem belgischen Trio hat vornehmlich Star-Sprinter Robbie McEwen eine bis dato überdurchschnittlich gute Saison der Davitamon-Mannen zu verantworten. Elf Siege fuhr der Australier, 33, in diesem Jahr ein, und etablierte sich zudem als einer der wenigen Sprinter, die sich gegen Petacchis schier unschlagbar anmutende Regentschaft zur Wehr setzen – und zwar höchst erfolgreich, wie die drei Giro-Etappensiege des Sprint-Rambos dokumentieren.

Ähnlich viele Etappensiege bei der diesjährigen Italien-Rundfahrt hat auch Danilo di Luca vorzuweisen; zweimal konnte 29-Jährige von Liquigas-Bianchi dort triumphieren – im Laufe der Saison jedoch weitaus häufiger. Nach seinem Sieg bei der Vuelta a Pais Vasco war er als Top-Favorit in die drei Ardennen-Klassiker gestartet, wo er die zweifellos hohen Erwartungen noch übertreffen konnte und sowohl das Amstel Gold Race als auch den Fléche Wallone gewann. Kurz darauf beim Giro d’Italia hatte man ihm sodann Etappensiege zugetraut, gewiss aber nicht eine solche Vorstellung, die der Frauenschwarm letztlich ablieferte. Denn di Luca, einst lediglich als Hügelspezialist verschrien, konnte nach einer starken ersten Hälfte mit fünf Rosa-Tagen auch im Hochgebirge mithalten, schien am vorletzten Tag am selektiven Colle delle Finestre der Stärkste, ehe ihn Krämpfe heimsuchten und er in Mailand auf den undankbaren vierten Rang verwiesen wurde.

Allein aufgrund von di Lucas furiosen Vorstellungen kann die Saison bei Liquigas nicht als eine schlechte gelten, obgleich es abseits des entsprechend seinen Erfolgen unangefochten an der Sitze der ProTour-Einzelwertung rangierenden Italieners kaum Positives zu berichten gibt. Pellizotti möchte erst bei der Tour attackieren, Garzelli, Noè und Cioni, immerhin noch 13., fuhren bei der Italien-Rundfahrt den Erwartungen hinterher, und der große Mario Cipollini trat zu selbiger nicht mehr an, sondern beendete seine höchst erfolgreiche, mit 189 Siegen (darunter 42 Tageserfolge beim Giro – Rekord!) bespickte Karriere unmittelbar vor dem Start in Reggio di Calabria. Mithin entpuppte sich di Lucas erster Start bei seiner Heimrundfahrt seit 2001 als Glücksgriff – ähnlich wie für Paolo Bettini, 31, von der belgischen Quickstep-Mannschaft, der zuletzt 2002 beim Giro gestartet war. Mit einem Etappenerfolg, dem maglia-ciclamino-Sieg und vier rosanen Tagen revanchierte sich der dreimalige Weltcupsieger für seine schwachen Leistungen bei den Ardennenklassikern, als er lediglich auf den vierten Platz bei der Doyenne gefahren war.

Obwohl Bettini heuer bei den Eintagesrennen schwächelte, wurde die belgische Vorzeigemannschaft ihrem Ruf als exzellentes Klassikerteam abermals gerecht (wenngleich mit Patrick Sinkewitz und Michael Rogers, Zweiter der Tour de Suisse, nunmehr auch zwei junge, im Gebirge talentierte Fahrer im Kader stehen) – vordergründig aufgrund des jungen belgischen Duos Nuyens/Boonen. Ersterer gewann den Omloop Het Volk und Letzterer konnte bereits mit 24 Jahren jene Hoffnungen realisieren, die die Radsportwelt aufgrund Boonens Talent erst in zwei bis drei Jahren zu einer Erwartung hätte mutieren lassen – er gewann nicht nur die Flandern-Rundfahrt, sondern auch Paris-Roubaix, und zwar in einem Jahr; ein 24-Jähriger als lebende Radsport-Legende. Doch Boonens überragende Fähigkeiten reichen über sein Können, das Kopfsteinpflaster so stark zu bezwingen wie momentan niemand in der Radsport-Szene, hinaus. Denn mittlerweile zählt er auch zur Weltelite der Sprinter, und spätestens nach seinen Etappenerfolgen bei der Tour de France, in Folge der er das maillot vert überstreifen durfte, sehen ihn zahlreiche Experten als legitimen Nachfolger Alessandro Petacchis an.

Zum einem großen Duell der beiden Top-Sprinter kam es heuer derweil erst einmal, bei Mailand-San Remo, als Petacchi siegte und Boonen auf Rang acht verwiesen wurde – den Italiener bezwingen konnte er heuer noch nicht. Anders dagegen der Spanier Oscar Freire. Der Rabobank-Sprinter konnte nicht nur den Gesamtsieg bei der Tirreno-Adriatico feiern, sondern bei seinen drei Etappensiegen auch stets über Petacchi triumphieren; der revanchierte sich jedoch ebenfalls mit drei Tageserfolgen bei der Rundfahrt zwischen den beiden Meeren. Später verletzte sich der Weltmeister jedoch, so dass er bei Giro und Tour pausieren musste – zumindest, wird ihm Teamkollege Michael Boogerd gesagt haben, kann er so gegen die starke Konkurrenz um McEwen, Boonen und Hushovd bei Sprintankünften als Zweiter nicht mehr der erste Verlierer werden (immerhin auch von Vorteil). Und der Niederländer würde wissen, wovon er spricht. Der „ewige Zweite“, der in den letzten Jahren stets versuchte, beim Amstel Gold Race seinen Sieg von 1999 zu wiederholen, fand heuer in Danilo di Luca seinen Meister (freilich wurde er Zweiter), und als er eine Woche später bei Lüttich-Bastogne-Lüttich der Stärkste aus dem Favoriten-Reigen schien, machten ihm einen potenziellen Triumph zwei Ausreißer zunichte – Boogerd wurde Dritter. Und langsam läuft ihm die Zeit davon, auch Boogerd ist bereits 33. Sechs Jahre älter als Denis Menchov, Neuzugang von Illes Balears, der nach einem elften Platz bei der Tour de France 2003 sowie einer akribischen Vorbereitung mit einem starken Romandie-Ergebnis heuer die Top 10 anvisiert und bei einem Gelingen eine bis dato gute, gleichwohl aber keine überragende Rabobank-Saisonhälfte abrunden würde.

Der 27-jährige Russe war vor der Saison in die Niederlande als Ersatz für den Amerikaner Levi Leipheimer gewechselt, der in der Eifel bei Gerolsteiner einen Kontrakt unterschrieben hatte. Um gemeinsam mit Georg Totschnig ebenfalls auf Frankreichs Straßen um eine vordere Gesamtplatzierung zu kämpfen, eventuell gar mit einem halben Auge auf das Podium in Paris zu schielen – auch seine Vorbereitung verlief jedenfalls makellos. Gute Ergebnisse mussten daher die Teamkollegen einfahren, vornehmlich junge deutsche Talente taten sich bei Gerolsteiner hervor. Markus Fothen beendete den Giro auf Rang zwölf, Robert Förster fährt, auch bei Giro und Tour, akzeptable Sprintplatzierungen ein, und auch Heinrich Haussler sowie Sven Krauss präsentierten sich im Frühjahr als Fahrer, die man für die Zukunft einkalkulieren muss. Die Youngster zählten bei Gerolsteiner zu den Garanten für eine bislang ordentliche Saison – selbstredend neben Davide Rebellin. Der zurückhaltende Star der Mannschaft, 2004 noch Triple-Sieger bei den Ardennenklassikern, war an selber Stelle auch heuer wieder einer der Stärksten, obschon er sieglos blieb.

Nach drei Jahren Existenz in der höchsten Radsportklasse suchte Teamchef Hans-Michael Holczer im April auch erstmals eine harte Krise heim – Sprinter Danilo Hondo, der nach seinem zweiten Platz bei der Primavera Erik Zabel den Rang als besten deutschen Sprinter abzulaufen schien, wurde positiv auf das Dopingpräparat Carphedon getestet und später für ein Jahr bis April 2006 gesperrt.

Ähnlich wie Rabobank und Gerolsteiner präsentierten sich in der ersten Saisonhälfte auch die spanische ProTour-Fraktion – durchschnittlich gut, obgleich nicht überragend. Liberty Seguros konnte vornehmlich mit Alberto Contador glänzen, der spanische Jungstar gewann die Setmana Catalana und fuhr in der Romandie und im Baskenland jeweils unter die ersten Fünf – der Durchbruch für den 22-Jährigen? Saiz’ Stars dagegen blieben heuer noch weitgehend blass: Roberto Heras bereitete sich auf die Tour vor und Joseba Beloki laboriert noch immer an den Folgen seines schlimmen Sturzes vor zwei Jahren, ist aber nunmehr auf dem Wege der Besserung – konkurrenzfähig jedoch frühestens zur Vuelta oder im kommenden Jahr. So waren es, neben Contador, die Basken Koldo Gil, Angel Vicioso und David Etxebarria, die bis dato beachtenswerte Resultate einfuhren.

Auch bei Illes Balears hielt sich der Star der Equipe, Francisco Mancebo, ebenfalls aufgrund der Tour-Vorbereitung, bislang dezent zurück – die Kollegen mussten akzeptable Resultate heimfahren. Dies gelang Vladimir Karpets, der Siebenter des Giro wurde, oder Aitor Osa, der lediglich knapp am Sieg bei der Baskenland-Rundfahrt scheiterte, wo Alejandro Valverde, Zweiter von Paris-Nizza, gleich doppelt triumphierte und zwei Etappen gewann. Die Saison von Euskaltel-Euskadi schien derweil in einem totalen Fiasko zu kulminieren, weil es schlicht an guten Resultaten mangelte – auch Iban Mayo punktete nicht, um nicht die gleichen Fehler wie im Vorjahr zu begehen, als er bereits vor der Frankreich-Rundfahrt am Form-Höhepunkt angelangt war. Erst als der Juni – und mit ihm die Rundfahrten – kam, konnten die Basken das Ruder noch umreißen. Der Wiederauferstandene Vuelta-Sieger von 2002, Aitor Gonzalez, siegte bei der Tour de Suisse, und Iñigo Landaluze verblüffte, als er Armstrong, Botero, Vinokourov und Co. den Sieg bei der Dauphiné Libéré wegschnappte. Doch aus sämtlichen Schlamasseln befreit ist die Traditionsmannschaft einstweilen erst, wenn auch Mayo be der Tour in den Alpen und Pyrenäen Leistung zeigt.

Die vierte spanische Mannschaft, Saunier Duval, konnte derweil nicht ganz an die Vorjahresresultate anknüpfen und hat eine mittelmäßige Saison hinter sich, wohl vorrangig aufgrund des Weggangs von Martin Perdiguero. Zwei Bergspezialisten mimten für die Equipe mit den gelb-weißen Jerseys die elementaren Leistungsträger: Leonardo Piepoli, Katalonien-Rundfahrt-Zweiter mitsamt Etappensieg, und Juan Manuel Garate, spanischer Meister und Giro-Fünfter. Auch Jeker, Horner und Gomez Marchante konnten größtenteils akzeptable Ergebnisse einfahren, summa summarum eine nur knapp durchschnittliche Saison für Saunier Duval aber nicht verhindern. Selbiges haben auch drei französische Teams zu berichten. Bei der Versicherungsgesellschaft Cofidis konnten David Moncoutie, der nach zuletzt schwachen Jahren gar fast eine Auferstehung hinter sich hat, Stuart O’Grady, der vor allem bei den Klassikern jedoch unter seinen Möglichkeiten blieb, und Daniel Atienza, der bisher seine erfolgreichste Saison fährt, weitgehend überzeugen, zuweilen auch Casper und Chavanel.

Bei FDJeux muss man indes die Tour abwarten, um adäquat zu urteilen, da sich das Inventar der Mannschaft auf eben jene Frankreich-Rundfahrt fokussiert – Eisel, immerhin Etappensieger bei der Tour de Suisse, Cooke, mitunter beim Giro vorn dabei, und McGee, Achter der Schweiz-Rundfahrt. Wobei nach der ersten Woche zu konstatieren war (Viele taten dies behagt und erleichtert), dass ersteren Beiden bei Massenankünften die notwendige Endgeschwindigkeit fehlt, um einen Etappensieg zu feiern. So zeichnet sich auch bei FDJeux eine mäßige erste Saisonhälfte ab, zumal der Belgier Philippe Gilbert neben Eisel, Cooke und McGee der einzige Pedaleur zu sein scheint, dem man Siegfähigkeit attestieren kann.

Dies kann man zwar bei einer weiteren französischen Mannschaft, Crédit Agricole, zwar auch nicht vielmehr Athleten, nichtsdestotrotz erwies sich C. A. als die bis dato stärkste Equipe aus Frankreich. Weil Pietro Caucchioli einen ordentlichen Auftritt beim Giro hatte, den er als Achter beendete und bei dem Christophe Le Mevel sich überdies als Etappensieger feiern lassen konnte, und Thor Hushovd bereits zwei ProTour-Siege aufzuweisen hat; ferner zählt Crédit Agricole wohl zu jenen wenigen (vor allem: französischen) Teams, bei denen man berechtigt große Hoffnungen mit Blick auf die Tour hegen darf – schließlich versprechen die bisherigen Vorstellungen von Bodrogi, Hushovd, Kirsipuu und mitunter auch Moreau Einiges.

Zu jenen Mannschaften, die am meisten enttäuschten und die enttäuscht von sich selbst sein dürfen, wird indes wohl das italienische Lampre-Caffita-Team zählen. Zum einen, da neben den beiden Aushängeschildern der Equipe, Cunego und Simoni, einzig Alessandro Ballan adäquate Resultate vorweisen kann, und zum anderen, da der angepeilte Giro-Sieg Simonis verfehlt und Cunegos Tour-Start abgesagt werden musste aufgrund des Pfeiffer’schen Drüsenfiebers – den Erwartungen wurden die Mannschaft jedenfalls nicht gerecht.

Die ärgsten Kritiker mögen nun sagen, dass die letzten beiden, noch fehlenden Equipen, Bouygues Telecom und Domina Vacanze den (Erwartungen) zwar (gerecht) wurden, trotzdem als schwächste Teams der ersten Saisonhälfte gelten dürften – weil der Kader schlicht nicht mehr zuließ. Während bei Domina Vacanze immerhin noch Celestino (bei den Frühjahrsklassikern) und Gonchar (beim Giro) – zumindest in Relation zu ihren Teamkollegen – reüssierten, kann man Bouygues lediglich auf den von Brochard und Rous herangezogenen Nachwuchs hoffen. Und auf die zweite Saisonhälfte.
"There are only 10 types of people in the world: Those who understand binary, and those who don't."

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Beitrag: # 314477Beitrag Klaus und Tony
18.10.2005 - 13:05

Noch ein halbes Jahr

Juli bis Oktober

Es war vorbei, ehe es begonnen hatte. In Noirmoutier-en-l'Ile beendete Jan Ullrich als letzter Fahrer des Starterfeldes den Prolog zur Tour de France.
Für den Deutschen war dies nur als Debakel zu werten, denn der sechsfache Tour-Sieger Lance Armstrong war eine Minute nach ihm gestartet und hatte ihn überholt, distanziert und gedemütigt.

Gut möglich, dass ein schwerer Trainingssturz Ullrichs als Ursache genannt werden muss, aber die gesamte Tour de France war in diesem Zeitfahren bereits symbolisch vorweggenommen: Aufkeimende Hoffnungen der Armstrong-Herausforderer werden humorlos abgeschmettert.

Die Tour hatte durchaus ihre großen Momente: Eine Isolierung Armstrongs im Mittelgebirge (Gérardmer) zeigte, dass sein Team nicht die Klasse früherer Tage hat, führt aber auch zu dem Irrtum, dass dies irgendetwas am Ausgang der Tour ändern könnte. Bereits am ersten Zielberg der Tour (Courchevel) zerschmetterte Armstrong seine schärfsten Konkurrenten Ullrich und Basso.
T-Mobiles Jokerhoffnung Vinokourov bekam über fünf Minuten aufgebrummt und durfte von nun an als nicht ernstzunehmender Außenseiter für die Etappensiege der Magentas sorgen.

Erst in den Pyrenäen sah sich Armstrongs Konkurrenz in der Lage, ihm ein letztes mal einen ernstgemeinten Fehdehandschuh ins Gesicht zu werfen. Der von T-Mobile inszenierte Angriff auf der Etappe nach Ax-3 Domaines war zweifellos der spannendste Augenblick der Tour de France 2005. Kurz schien es, dass ein starkes T-Mobile-Team mit wechselnden Angriffen den Amerikaner tatsächlich gefährden konnte.
Doch der stärkste Fahrer bleibt der stärkste Fahrer - weder Ullrich noch Basso waren letztendlich in der Lage, Armstrong Zeit abzunehmen.

Die Tour war endgültig entschieden und eine leichte Enttäuschung des auf Spannung versessenen Publikums konnte in einer eher langweiligen letzten Woche nicht verborgen bleiben.

Wenigstens wurde auf der Ziellinie in Paris großer Sport geboten: Einem sprintenden Hauptfeld auf den Champs-Élysées zu entwischen, kann zu den spektakulärsten Radsport-Taten des Jahres 2005 gezählt werden, und ein zwischen Hoffnungen, Ansprüchen und Jan Ullrich hin- und hergerissener Alexander Vinokourov war es, dem dieser Coup gelang.


Die Schlagzeilen gehörten zu Recht Lance Armstrong, der seine siebente Tour in Folge gewann und in Paris seine Karriere als Profiradsportler beendete.
Dass er für viele weitere Wochen eigene Zeitungsseiten bekam, hatte unschönere Gründe, soll hier aber nicht näher kommentiert werden, da Informationsart, Stil und (sport-)politische Interessen für eine Atmosphäre sorgten, die nur Schwarzweißmalern gefallen kann.


Die ProTour erschien in Hamburg und wertete das Rennen dadurch auf, dass mit den Quicksteps Filippo Pozzato und Luca Paolini zwei Fahrer des Teams ganz vorn landeten, das in Sachen Eintagesrennen die Konkurrenz des Jahres 2005 deutlich wie selten dominierte.


Die neugeschaffenene BeNeLux-Tour tat im August alles, den ProTour-Kritikern Wasser auf die Mühlen zu liefern. Katastrophale Organisation, unmotivierte Fahrer, wenig selektive Streckenführung. Am Ende lagen ausnahmslos Zeitfahr-Spezialisten vorn, und so wichtig diese Teildisziplin des Radsports auch sein mag, so wenig benötigt sie eine Woche Rahmenprogramm.
CSC-Fahrer Bobby Julich konnte immerhin seinen zweiten Rundfahrt-Sieg des Jahres feiern und damit ein wichtiges Comeback-Jahr veredeln.


Bedeutend erfreulicher las sich das Resultat der Clasica San Sebastian, wo mit Tino Zaballa (Saunier-Duval) nicht nur ein Fahrer des deutlich besten Teams des Tages siegte, sondern auch einer derjenigen, die sich unverdrossen mit guten Platzierungen durch das gesamte Klassikerprogramm des Jahres kämpfen und dafür viel zu selten Lob und Aufmerksamkeit erhalten.


Seit Jahren spaltet die Deutschland-Tour die Gemüter der Radsportfans. Den Traditionalisten, die ihre sportliche Bedeutung in etwa auf dem Niveau der Katalonien-Rundfahrt ansiedeln, stehen die optimistischen Patrioten gegenüber, die von einem großen deutschen Markt, einem quantitativ erstklassigem Publikum und einer deutlichen verbesserten sportlichen Stellung des deutschen Radsports sprechen. Unverhältnismäßig euphorisch wird letztere Gruppe von den entweder ahnungslosen oder böswillig manipulierenden deutschen Medien und den weltfremden Organisatoren unterstützt.
Beiden Gruppierungen sind recht extreme Positionen eigen, die Wahrheit dürfte aber, wie so oft, in der Mitte liegen.

In jedem Fall darf man als Betrachter der Rundfahrt dankbar sein, dass sich mit Gerolsteiner (Sieg durch Levy Leipheimer) ein Team in Deutschland gefunden hat, das mit T-Mobile auf Augenhöhe ist und den deutschen Rennen eine Spannung geben kann, die akzeptabel ist und (auf breiterer Basis) bei Giro und Vuelta zwischen den italienischen und spanischen Mannschaften auch immer gang und gäbe war.


Bei der Vuelta 2005 wurde schon gefahren, als George Hincapie vom Discovery-Chanel-Team in der Bretagne mit dem Sieg beim GP Plouay eine starke Saison (2. Paris-Roubaix, Tour-Etappensieg in den Pyrenäen) krönte.


Die Vuelta jedoch krönte wenig, wenn man von der Ausnahmestellung Roberto Heras' absieht. Eine einzige verregnete Etappe in den Bergen Asturiens, auf der Heras dank einer genialen Mannschaftstaktik die Vuelta gewann, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Spanien-Rundfahrt drauf und dran ist, den sportlichen Anschluss an den Giro d'Italia zu verlieren. Unattraktiv und offenbar auch unpopulär präsentierte sich diese Grand Tour als eine nicht enden wollende Gleichmacherei von spanischen Bergziegen, die außerhalb ihrer Heimat wenig gewonnen haben und wenig gewinnen werden.


Wie es die Polen-Rundfahrt in die ProTour geschafft hatte, wusste schon zu Beginn des Jahres niemand zu sagen. Auch in der Nachbetrachtung fällt es schwer, Gründe zu finden.
Zeitgleich mit einer dreiwöchigen Rundfahrt gestartet, dadurch medial kaum präsent und zuguterletzt auch noch mit Wetterpech geschlagen, konnte die Polen-Rundfahrt, die von Kim Kirchen gewonnen wurde, keine Sympathiepunkte bei Fahrern und Zuschauern gewinnen.


Bei den jährlich veranstalteten Weltmeisterschaften entledigen sich die Fahrer ihrer Profiteamtrikots, um ein mal im Jahr für ihr Land zu fahren.
Wie interessant und spannend diese so ganz andere Konstellation sein kann, bewies das Debakel der Italiener bei der WM in Madrid. Sie verfügten über den besten Sprinter im Feld und den besten Fahrer im Feld. Durch falsche Kommunikation aber gewann der beste Sprinter innerhalb der besten Fahrer: Tom Boonen (Quickstep) aus Belgien, der mit seinem 2005-Triple Flandern-Roubaix-WM trotz eines Danilo Di Luca (Pro-Tour-Sieg) als Fahrer des Jahres betrachtet werden darf.

Ein weiterer Quickstep-Fahrer holte Gold für Australien: Michael Rogers gelang es zum dritten mal, eine akzeptable Herbstform aufzubauen und die WM im Zeitfahren zu gewinnen.


Doch das Quickstep-Team hatte sein Pulver noch nicht verschossen und gewann durch Paolo Bettini die beiden attraktivsten Rennen des Herbstes, die Züri-Metzgete und das Monument Lombardei-Rundfahrt. Dieser Doppelsieg gehört zu den überragenden Leistungen des Jahres, zumal er in einer beängstigenden Überlegenheit herausgefahren wurde.


Am Sonntag zwischen den beiden Triumphfahrten des kleinen Bettini erlebte der deutsche Radsport seinen emotionalsten Moment des Jahres. Erik Zabel, Seriensieger in 13 Jahren Telekom/T-Mobile, war im Juli nicht für die Tour nominiert worden, hatte daraufhin seinen Abschied für 2006 verkündet und siegte tatsächlich noch einmal bei Paris-Tours, dem französischen Flach-Klassiker, seinem letzten Rennen in magenta und just jenem Rennen, bei dem 1994 sein Klassikerjägerkarriere begonnen hatte.



Mit Bettinis Sieg beim "Rennen der fallenden Blätter" ist die erste ProTour-Saison beendet. Dominiert wurde sie von Quickstep bei den Eintagesrennen, Discovery Channel bei den Grand Tours (Sieg bei Giro und Tour), Alessandro Petacchi in den Sprints (incl. Mailand-San Remo) und Danilo di Luca, einem würdigen Sieger der Punktewertung.

Das Publikum hat denkwürdige Tage ebenso erlebt wie langweilige Pflichtrennen. Und wenn im nächsten März der Prolog zu Paris-Nizza gefahren wird, dann wird niemand mehr sagen als:
"Die ProTour geht wieder los."

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