Teil III: Langsamer Abstieg und Karriereende
Nach den beiden unglücklichen Niederlagen beim Giro beschloss Tonkov,
1999 neue Wege zu gehen. Erstmals verzichtete der Mapei-Kapitän auf eine Teilnahme am Giro, um sich konsequent auf die Tour vorzubereiten. Sein erstes beachtenswertes Ergebnis auf dem Weg zur Tour erreichte er beim Giro dell’Apenninio im Juni, bei dem er sich in diesem Jahr allerdings mit Platz zwei begnügen musste. Den letzten Test vor der Frankreich-Rundfahrt absolvierte er bei der Tour de Suisse, bei der einen vierten Rang bei der Bergankunft in Arosa erreichte und insgesamt Zehnter wurde. Zwar plagten ihn in der letzten Woche vor dem Tourbeginn Schmerzen im rechten Knie, aber dennoch ging er optimistisch an den Start. Sein Ziel sei das Podium und ein Etappensieg, verkündete er im Vorfeld. Kein unrealistisches Ziel, fehlten der Tour im Jahr 1999 doch die großen Favoriten. Kein ehemaliger Sieger stand am Start und hinter Zülle und Virenque stand nach der Festina-Affäre ein Fragezeichen. Größter Favorit war daher der Vorjahresdritte Bobby Julich, sicher kein Fahrer, vor dem sich Tonkov fürchten musste. Er begann die Rundfahrt als Zwanzigster des Prologs, den Lance Armstrong gewann. Den vorentscheidenden Sturz in der Passage du Gois überstand Tonkov unbeschadet, sodass seine Hoffnungen am Ende der ersten Woche absolut intakt waren. Dann verlief das lange Zeitfahren von Metz jedoch ziemlich enttäuschend für den Russen, der als Siebzehnter mehr als viereinhalb Minuten auf Armstrong verlor und auch den Bergspezialisten kaum Zeit abnehmen konnte. Noch schlimmer kam es auf der nach einem Ruhetag folgenden Bergankunft in Sestriere, bei der Tonkov sich nur als 23. klassieren konnte. Dennoch lag er jetzt auf Platz zehn der Gesamtwertung. Prächtig erholt zeigte er sich am folgenden Tag auf dem Weg nach Alpe d’Huez: Er beendete die Etappe als Zweiter hinter Guerini und lag in der Gesamtwertung nun auf Platz sieben, das Podium in Blickweite.
Tonkov und Armstrong
Nach einigen Überführungsetappen stand ein erneuter Ruhetag an, ehe es am nächsten Tag in die Pyrenäen ging. Und wiederum beendete Tonkov die folgende Etappe auf dem 23. Platz, während Fernando Escartin einen tollen Etappensieg herausfuhr. Doch diesmal war der Schaden für Tonkov irreparabel. Er stürzte auf Platz zwölf der Gesamtwertung, ohne Aussicht, noch einmal in die ersten acht zu kommen. Zwar revanchierte er sich am folgenden Tag mit einer starken Leistung am Tourmalet und Etappenplatz acht in Pau, doch am nächsten Tag trat er wegen eines Trauerfalls in der Familie nicht mehr an und beendete eine verkorkste Tour vorzeitig. Er kündigte an, im nächsten Jahr wiederkommen zu wollen, doch tatsächlich war dies bereits Tonkovs Abschied von der Tour.
Am ersten August gewann Tonkov den Luk-Cup in Bühl, sein einziger Sieg in dieser Saison und einer seiner seltenen Siege bei Eintagesrennen. Danach begann er die Vorbereitung auf die Vuelta, bei der er sich für die misslungene Tour revanchieren wollte. Tonkov begann das Rennen solide, büßte im ersten langen Zeitfahren dann allerdings vier Minuten auf Etappensieger Olano ein, der als Gesamtführender ins Gebirge ging. Doch zwei Tage später stand zum ersten Mal der Angliru im Vueltakurs, perfektes Terrain für den Mortirolo-erprobten Tonkov. Durch strömenden Regen ging es zu dem extrem steilen Berg in Asturien hinauf. Das Wetter forderte als erstes Opfer den einheimischen Mitfavoriten Escartin, der in einer Abfahrt stürzte und das Rennen aufgeben musste. Am Fuß des Angliru ging Tonkov in die Offensive und löste sich leichtfüßig aus der Gruppe um Olano. Bald sah er wie der sichere Etappensieger aus, ehe fünf Kilometer vor dem Ziel Jose-Maria Jimenez die Verfolgung aufnahm. Während sich alle anderen Profis die Rampen sichtbar hinaufquälten, flog er regelrecht den Berg hinauf. Praktisch auf der Ziellinie fing er Tonkov noch ab und gewann die Etappe vor dem enttäuschten Russen, der sich nicht ganz zu unrecht durch die Begleitautos behindert fühlte. Immerhin konnte er sich mit dem Sprung auf Rang drei der Gesamtwertung trösten, die Olano vor Ullrich anführte.
Tonkov fehlen nur wenige Meter zum Sieg am Angliru
Drei Bergankünfte in den Pyrenäen folgten wenige Tage später. Die erste am Pla de Beret erreichten alle Favoriten außer Olano zugleich. Der Spanier zeigte erste Schwächen und verlor 30 Sekunden. Damit lag Tonkov jetzt nur noch zweieinhalb Minuten zurück. Am nächsten Tag ging es nach Andorra-Arcalis, in den Ort, in dem Ullrich 1997 die Tour entschieden hatte. Olano brach auf dieser Königsetappe unter den ständigen Angriffen von Banesto völlig zusammen. Tonkov und Ullrich fuhren an den Hinterrädern der Banestofahrer an die Spitze der Gesamtwertung, allein Igor Gonzalez de Galdeano schob sich als Etappensieger noch zwischen sie auf Platz zwei. Tonkov lag jetzt nur 48 Sekunden hinter dem neuen Führenden Ullrich. Doch seine Hoffnungen zerstoben bereits am folgenden Tag. Bei der Bergankunft am Rasos de Peguera verlor er drei Minuten auf seine Konkurrenten und fiel auf Rang fünf zurück. Er erklärte seinen Einbruch mit erneut aufgetretenen Knieproblemen. Den bis zum Schluss möglichen Sprung aufs Podium verpasste Tonkov schließlich beim Abschlusszeitfahren, als er sogar Zeit auf den schwächer Eingeschätzten Heras verlor und sich nur noch auf Rang vier vorarbeiten konnte. Ohne seinen Einbruch hätte er am Ende wohl auf Platz zwei stehen können, aber auch so war diese Vuelta durchaus ein Erfolg für den Russen. Erstmals beendete er eine andere große Landesrundfahrt als den Giro ganz vorne und zeigte damit, dass weiterhin mit ihm zu rechnen sein würde. Nach der Vuelta setzte sich Tonkov die WM zum Ziel, im Straßenrennen verpasste er im Finale jedoch den Anschluss an die stärksten Fahrer und wurde schließlich 18., auf die Teilnahme am Zeitfahren hatte er verzichtet. Tonkov beendete eine durchwachsene Saison mit einem 19. Platz bei der Lombardei-Rundfahrt.
Zwar hatte Tonkov angekündigt, im Jahr
2000 zur Tour zurückkehren zu wollen, doch es kam anders. Stattdessen peilte er den Giro und erneut die Vuelta an. In einer diskreten Vorbereitung auf den Giro war der zwölfte Gesamtrang bei der Tour de Romandie das herausragende Ergebnis.
Bei der ersten schweren Bergetappe des Giro in den Apenninen erreichte Tonkov gemeinsam mit fast allen anderen Favoriten das Ziel, allerdings mit mehr als anderthalb Minuten Rückstand auf den enteilten Casagrande, der damit das rosa Trikot übernahm. Durch einen starken sechsten Platz im ersten flachen Zeitfahren des Giro konnte Tonkov diesen Rückstand aber fast vollständig wettmachen, er belegte jetzt Platz drei, nur sieben Sekunden hinter Casagrande.
Die Protagonisten des Giro 2000
Doch bereits die erste Dolomitenetappe nach Wolkenstein brachte den nächsten Rückschlag für Tonkov, im Aufstieg zum Sellajoch verlor er eine Minute auf seine Hauptkonkurrenten Casagrande und Garzelli. Noch schlimmer kam es am nächsten Tag am Gavia, auf dem Weg nach Bormio verlor Tonkov weitere anderthalb Minuten und fiel auf Platz sieben zurück. Drei Flachetappen boten ihm die Gelegenheit zu regenerieren, ehe in den Piemonteser Alpen die Entscheidung fallen sollte. Und tatsächlich meldete er sich mit den Plätzen fünf in Pratonevoso und sechs in Briancon an der Spitze zurück. Er lag jetzt auf Platz vier der Gesamtwertung, allerdings schon zwei Minuten hinter dem drittplatzierten Simoni. Dieser, Casagrande und Garzelli lagen immer noch innerhalb einer Minute, die Entscheidung musste also beim Bergzeitfahren nach Sestriere fallen. Und während Garzelli auf dieser Etappe noch an Casagrande vorbeiging und diesem den sicher geglaubten Girosieg abnahm, hatte Tonkov einen schwarzen Tag. Er belegte nur den 21. Platz mit mehr als vier Minuten Rückstand und fiel auf Platz fünf der Gesamtwertung zurück, noch hinter seinen Edelhelfer Noe, was ihm vernichtende Kritik von Mapeipatron Giorgio Squinzi einbrachte. Erstmals kursierte das Gerücht, Tonkov werde Mapei am Ende des Jahres verlassen. Doch der Russe schlug zurück: Er bereitete sich konsequent auf die Vuelta vor und bewies mit einem zwölften Platz in der Burgos-Rundfahrt, dass der Formaufbau stimmte.
Wie bei fast allen großen Landesrundfahrten seiner Karriere blieb Tonkov in den ersten Tagen unauffällig. Erstmals zeigte er sich bei der schweren Etappe nach Xorret de Cati und kletterte auf Rang acht der noch unkonturierten Gesamtwertung. Diesen Platz nahm er auch nach dem ersten langen Zeitfahren ein und fuhr mit gut drei Minuten Rückstand auf den wiederum führenden Olano in die Pyrenäen. Die erste Bergankunft in La Molina brachte wegen des leichten Schlussanstiegs keine nennenswerten Veränderungen in der Gesamtwertung. Bei der großen Bergetappe nach Arcalis ging dann das Kelmeteam in die Offensive und demontierte die Mannschaften der nationalen Konkurrenten ONCE und Banesto. Tonkov hielt sich dagegen gut, verlor nur knapp eine Minute auf Kelmekapitän Heras und schob sich auf Rang sechs der von Angel-Luis Casero angeführten Gesamtwertung. Auch an den Lagos de Covadonga, die drei Tage später angefahren wurden, zeigte er eine starke Leistung und rangierte jetzt auf Platz fünf, während Heras die Gesamtführung vor dem zeitgleichen Casero übernahm. Dann stand erneut der Angliru im Programm. Und wie im Vorjahr zeigte Tonkov an diesem Berg seine stärkste Leistung. Während Simoni aus einer Spitzengruppe heraus die Etappe gewann, griff Tonkov an und zeigte von allen Favoriten die zweitbeste Leistung, nur der brillant kletternde Heras konnte ihn abhängen. Seinen direkten Konkurrenten um einen Podiumsplatz konnte Tonkov dagegen wertvolle Zeit abnehmen und kletterte auf den dritten Platz der Gesamtwertung. Der Podiumsplatz war ihm damit kaum noch zu nehmen. Die letzte Bergankunft auf dem Alto de Abantos beendete er als Siebter, sodass ihm der dritte Platz vor dem abschließenden Zeitfahren nach Madrid quasi sicher war. Auf den 38 flachen Kilometern nach Madrid fuhr Tonkov schließlich eines der besten Zeitfahren seiner Laufbahn, er belegte Platz fünf und verteidigte seinen Podiumsplatz damit endgültig gegen den überraschend starken Santos Gonzalez, während Heras seinen ersten Vueltasieg feierte. Es war das letzte Mal, dass Tonkov eine große Rundfahrt auf dem Podium beendete. Nach der Vuelta nahm Tonkov noch die olympischen Spiele in Angriff, konnte sich als 29. des Straßenrennens aber nicht in Szene setzen.
Nach vier Jahren bei Mapei nahm Tonkov die Saison
2001 in einem neuen Team in Angriff. Bereits während der Vuelta hatte er seinen Wechsel zum neugegründeten Mercury-Team bekannt gegeben, eine logische Trennung nach dem Konflikt beim Giro. Mercury war als Folge der Toursiege Armstrongs als zweites amerikanisches Topteam gegründet worden und hatte neben Tonkov unter anderem die Klassikerspezialisten van Petegem und van Bon verpflichtet. Ziel des Teams war die Teilnahme an der Tour. Dementsprechend richtete Tonkov seine Saison aus. Er bestritt im Frühjahr die Baskenlandrundfahrt und gewann das Bergtrikot, fuhr als 16. ein starkes Lüttich-Bastogne und beendete die Tour de Romandie auf dem 15. Platz, womit er bewies, dass die Formkurve nach oben zeigte. Trotz teilweise starker Leistungen seiner Teamkollegen, etwa bei Paris-Nizza, wurde Mercury jedoch nicht zur Tour eingeladen, ein harter Schlag für das Team. Damit wurde der Juni, der eigentlich zur Tourvorbereitung dienen sollte, zum ersten und unglücklicherweise auch letzten Saisonhöhepunkt Tonkovs. Dementsprechend zeigte er einige sehr starke Leistungen. Zu Beginn des Monats beendete er die spanische Rundfahrt Euskal Bizikleta auf dem fünften Platz. Kurz darauf belegte er beim schweren Alpenklassiker Platz drei hinter Iban Mayo und Lance Armstrong. Seinen stärksten Auftritt sollte er jedoch bei der Dauphine Libere haben. Nach dem Prolog, einer schweren Etappe nach Carpentras mit Ventouxüberquerung und dem langen Zeitfahren lag Tonkov bereits auf dem fünften Platz der Gesamtwertung. Die wirklich schweren Tage sollten aber noch folgen. So die Etappe nach Grenoble, bei der Tonkov im Aufstieg nach Chamrousse attackierte, er beendete die Etappe als Vierter und schob sich in der Gesamtwertung an die zweite Stelle, nur eine Sekunde hinter Christophe Moreau. Am nächsten Tag ging es über den Galibier nach Briancon, wiederum ideales Terrain für eine Attacke. Tatsächlich konnte Tonkov alle seine Kontrahenten distanzieren, allein Moreau ließ sich nicht abschütteln. Schließlich gewann Mayo die Etappe, während Tonkov und Moreau Seite an Seite die Plätze zwei und drei belegten. Damit blieb Tonkov nur noch die Etappe nach Chambery. Unermüdlich attackierte er den Franzosen auch an diesem letzten Tag, doch waren die Berge auf dieser Etappe nicht mehr hoch genug, um Moreau abhängen zu können. Wiederum erreichten sie gemeinsam das Ziel, wodurch Moreau seine hauchdünne Gesamtführung behielt. Tonkov hatte einen weiteren Triumph bei einer wichtigen Rundfahrt denkbar knapp verpasst.
Duell am Galibier: Tonkov und Moreau trennt nur eine Sekunde
Zwar war die Nichteinladung zur Tour ein Schlag für Tonkov, doch stellte sich dieser als harmlos heraus, gemessen an dem, was folgen sollte. Das Team geriet nach dem Ausstieg des Co-Sponsors Viatel in finanzielle Schwierigkeiten und konnte die Gehälter nicht mehr bezahlen. Eine Situation, wie zwei Jahre später beim Team Coast, nur, dass sich kein Nachfolgesponsor fand. Am ersten Oktober wurde das Team von der UCI vom Rennbetrieb ausgeschlossen. Die Saison 2001 war für Tonkov also ein verlorenes Jahr, trotz seines starken Juni. Der inzwischen 32-jährige hatte damit seine vielleicht letzte Chance verpasst, noch einmal bei einer großen Rundfahrt auf das Podium zu steigen. Nach dem Fiasko bei Mercury kehrte Tonkov zurück zu Giuseppe Saronni und dem Lampre-Team.
Lampres Planungen für das Jahr
2002 hatten ursprünglich vorgesehen, beim Giro mit einer Doppelspitze Simoni/Tonkov anzugreifen, doch hatte Simoni das Team schließlich verlassen, sodass sich Tonkov erneut in der Kapitänsrolle wiederfand. Seine Ergebnisse in der Vorbereitung auf den Giro waren zu vernachlässigen, zudem hatte Tonkov seit fast zwei Jahren keine große Rundfahrt mehr bestritten, am Start des Giro in Groningen stand also ein dickes Fragezeichen hinter den Aussichten des Russen. Die Italienrundfahrt hatte in diesem Jahr einen ungewöhnlich leichten Kurs mit nur zwei Hochgebirgsetappen in der letzten Woche, dafür aber drei Bergankünften im Mittelgebirge im ersten Teil des Rennens. Bei diesen zeigte sich, dass Tonkov tatsächlich noch Defizite hatte. Zwar verlor er nie bedeutend Zeit, doch konnte er auch keine absoluten Spitzenleistungen zeigen. Abgesehen von einer kurzen und erfolglosen Attacke im Aufstieg nach San Giacomo war er innerhalb der ersten zwei Wochen praktisch nicht zu sehen. Damit lag er nach 14 Etappen auf Platz 20, viereinhalb Minuten hinter der Spitze. Die sechzehnte Etappe führte über vier Pässe in das Herz der Dolomiten und während der Mexikaner Perez-Cuapio nach einer grandiosen Alleinfahrt triumphierte, verlor Tonkov als Sechzehnter erstmals deutlich Zeit, dennoch lag er jetzt nur sechs Minuten hinter dem Überraschungsführenden Evans. Die Entscheidung des Giro musste bei der schweren Bergankunft in Folgaria fallen. Und diese wurde für Tonkov zu einer wahrhaften Auferstehung: Gemeinsam mit Perez-Cuapio setzte er sich am vorletzten Anstieg der Etappe aus der Favoritengruppe ab, bis zum Fuß des 16 Kilometer langen Schlussanstiegs fuhren die beiden einen Vorsprung von 2,18 Minuten heraus. Bereits auf den ersten Kilometern des extrem harten Schlussanstiegs ließ Tonkov den ausgelaugten Perez-Cuapio stehen und baute seinen Vorsprung auf die noch abwartenden Favoriten auf drei Minuten aus. Dann jedoch begann der Kampf der Gesamtwertungsfahrer, von denen sich Savoldelli als der Beste erwies. Und tatsächlich war er der einzige Fahrer, der Tonkov im zweiten Teil des Anstiegs Zeit abnehmen konnte, obwohl der Russe bereits seit 40 Kilometern an der Spitze fuhr. Tonkov zeigte auf dieser Etappe seine wohl beste Leistung seit 1998, gewann mit zwei Minuten Vorsprung auf Savoldelli und schob sich noch auf den fünften Platz der Gesamtwertung nach vorne.
Die Rückkehr: Triumphahler Sieg in Folgaria
Er war nun offenkundig in Topform, doch leider war die letzte Girowoche in diesem Jahr ungewöhnlich leicht. Mit weiteren harten Bergetappen hätte er durchaus noch auf einen Podiumsplatz spekulieren können. Dennoch bedeutete sein fünfter Gesamtrang in Mailand ein tolles Comeback, das allerdings fast verblasste gegenüber der Wiederauferstehung Savoldellis.
Bei der Tour de Suisse bestätigte Tonkov seine Leistung vom Giro, während Alex Zülle seinen letzten großen Sieg feierte. Der Russe zeigte starke Leistungen auf den Bergetappen, verlor in den Zeitfahren jedoch recht viel Zeit und beendete die Rundfahrt auf Platz sechs.
Kaum eine Erwähnung verdient dagegen Tonkovs Teilnahme an der Vuelta, die er auf Platz 67 beendete, ohne auch nur auf einzelnen Etappen zu glänzen. So hatte er zwar bewiesen, dass er noch nicht abgeschrieben werden durfte, ein ganzes Jahr konnte er jedoch nicht mehr auf höchstem Niveau bestreiten.
Trotz seines starken Comebacks im Vorjahr trennten sich Lampre und Tonkov vor der Saison
2003. Das Team setzte beim kommenden Giro auf die neuverpflichteten Casagrande und Belli. Tonkov fand Unterschlupf beim kleinen polnischen CCC-Team, das aber zum Giro eingeladen war. Daher galt seine Konzentration wiederum der Italienrundfahrt. Wieder war der Giro dell’Apennino, den er als Dritter beendete, ein Indikator für Tonkovs Form. Und tatsächlich begann er auch den Giro in starker Verfassung. Die erste Bergankunft am Terminillo beendete er als Etappenvierter und durfte sich fortan realistische Hoffnungen auf den dritten Platz hinter den Kontrahenten Simoni und Garzelli machen.
Noch einmal Podium? Tonkov kann mit Simoni und Garzelli mithalten
Doch wurde der Russe in der zweiten Woche von Rückenschmerzen geplagt und verlor am extrem steilen Zoncolan viele Minuten. Zwei Tage später gab er das Rennen auf, nachdem er auf der großen Dolomitenetappe noch eine verzweifelte Flucht gefahren war. Enttäuscht verließ er die Rundfahrt noch am selben Tag. Auch bei der Tour de Suisse konnte Tonkov sich nicht zurückmelden, ebenso wenig im weiteren Saisonverlauf. Durch altersbedingte Verletzungsanfälligkeit war diese Saison nach vielversprechendem Beginn erneut ein verlorenes Jahr für Tonkov. Hinzu kam, dass er erneut in Konflikt mit seinem Team geriet, dass ihn wegen angeblich mangelhafter Leistungen nicht mehr weiter bezahlen wollte. Deshalb beendete er seine Saison bereits im Sommer. Aber Tonkov gab nicht auf, schließlich konnte er immer noch mithalten, wenn er denn gesund war.
So versuchte sich Tonkov im Jahr
2004 wieder am Giro, doch war er inzwischen zu einem Dasein als Weltenbummler verurteilt, dieses Jahr ging er für Vini-Caldirola an den Start, wo er als Edelhelfer für Stefano Garzelli vorgesehen war.
In der Vorbereitung beendete er den Giro del Trentino als Fünfter, auffälliger als diese Leistung war jedoch, dass der stets kurzhaarige Russe sich eine lange Mähne hatte wachsen lassen. Damit gehörte er äußerlich zu den auffälligsten Gestalten beim Giro. Auch sportlich meldete er sich bei den ersten Bergankünften im Mittelgebirge zurück, da er sich jedoch nach getaner Arbeit für Garzelli zurückfallen ließ, belegte er nach dem ersten Zeitfahren nur den 21. Platz, die Gesamtwertung war offensichtlich nicht sein Ziel. Da sein Kapitän Garzelli aber spürbar schwächelte, war die Situation des Teams vor den Dolomitenetappen alles andere als erfreulich. Doch auf der zweiten von vier schweren Etappen durch die italienische Bergwelt schlug Tonkovs große Stunde. Auf dieser leichtesten der Bergetappen stellte der Mendelpass das größte Hindernis dar, diesen nutzte Tonkov zu einer Attacke aus dem Feld, fuhr zu dem Ausreißer Bertolini auf und ließ diesen bald darauf stehen. Die letzten 15 km der Etappe absolvierte er als Solist und erreichte das Ziel mit zwei Minuten Vorsprung auf Bertolini. Er zelebrierte seinen Sieg mit einer emotionalen Geste, die Befremden bei den Kommentatoren auslöste und die er als Zeichen an seine Kritiker erklärte. Zugleich schob er sich damit auf den vierzehnten Platz der Gesamtwertung.
Rüde Geste: Tonkovs letzter großer Sieg
Nach zwei superschweren Etappen, bei denen auch Kapitän Garzelli noch einen Sieg feiern konnte, beendete Tonkov seinen letzten Giro schließlich als Dreizehnter, während der junge Cunego sich als Sieger in die Herzen der Tifosi fuhr.
Danach ging Tonkov noch an den Start der Tour de Suisse, die er als Zwanzigster beendete. Schließlich musste er wegen der dünnen Personaldecke seines Team auch an der Vuelta teilnahmen, ohne Form gab er jedoch auf der zwölften Etappe auf.
Nach dieser Saison wäre vielleicht der richtige Zeitpunkt gewesen, abzutreten, aber Tonkov hängte ein weiteres Jahr dran. Offenbar fiel ihm der Abschied vom Radsport schwer.
Vini-Caldirola zog sich zur Saison
2005 als Sponsor zurück. Daraufhin war Tonkov lange bei Liquigas im Gespräch, ehe die Hoffnung, dort einen ProTour-Rennstall zu finden, sich zerschlug. Schließlich fand Tonkov beim kleinen LPR-Team Unterschlupf. Durch die neugeschaffene ProTour war dieses Team jedoch nicht zum Giro zugelassen, sodass Tonkov nicht an „seinem“ Rennen teilnehmen konnte. So wurde die kleine Clasica Alcobendas zum Highlight von Tonkovs Abschiedssaison. Bei der Dreietappenfahrt in der Nähe von Madrid gewann Tonkov die Bergankunft auf dem Navacerrada und feierte nach einem soliden Zeitfahren auch den Gesamtsieg, den er vor Gomez Marchante und Martin Perdiguero errang. Da er sich auch die Berg- und die Kombinationswertung sicherte, nahm er vom letzten Erfolg seiner Karriere gleich ein ganzes Arsenal an Trikots mit nach Hause. Bei der Euskal Bizikleta lag er zwischenzeitlich auf Rang sechs der Gesamtwertung, gab dann aber auf. Im weiteren Verlauf der Saison blieb der Russe blass, sein letztes Rennen fuhr er bei der Lombardei-Rundfahrt, die er nicht beendete. Kurz darauf gab er seinen Rücktritt vom aktiven Sport bekannt.
Der Schwerpunkt von Tonkovs Karriere war eindeutig der Giro. Insgesamt ging er elf mal an den Start, zehn mal beendete er die Rundfahrt, dabei neun mal in den ersten zehn, sieben mal sogar unter den Top5. Er feierte sieben Etappensiege und trug zwanzig Tage das Maglia Rosa. Damit war er in den neunziger Jahren beim Giro erfolgreicher als jeder Italiener. Bei drei seiner Teilnahmen an der Vuelta glänzte Tonkov ebenfalls, nur bei der Tour blieb der Russe blass. Dafür konnte er auch bei den anderen wichtigen Rundfahrten glänzen, seine Siege bei den beiden schweizer Rundfahrten runden seine Palmares ab. Bei Eintagesrennen blieb Tonkov dagegen blass, da diese seinen Stärken nicht entsprachen. Tonkov lagen die langen Anstiege, vor allem, wenn sie steil waren. So zeigte er an Mortirolo und Angliru einige der stärksten Leistungen seiner Laufbahn. Dennoch war Tonkov kein eigentlicher Kletterer, sondern wurde oft als Rouleur charakterisiert, auch wenn er nicht zu den besten Zeitfahrern gehörte. Allerdings konnte er gegenüber kletterstarken Konkurrenten durchaus wichtige Zeit im Kampf gegen die Uhr gutmachen. So war Tonkov ein Fahrer, der sich weder als„Bergfahrer“ noch als „Zeitfahrer“ einordnen ließ und seine Erfolge mal der einen, mal der anderen Teildisziplin zu verdanken hatte.
Mit etwas mehr Glück hätte Tonkovs Bilanz noch imposanter ausfallen können, kamen seine zweiten Plätze bei Giro und Dauphine doch sehr unglücklich zustande. Dennoch ist Tonkov zweifellos einer der ganz großen Rundfahrer der neunziger Jahre und bis heute der erfolgreichste Profi aus der ehemaligen Sowjetunion.
"Wittgenstein pondered what time it could be on the sun (it was a nonsensical question, he concluded)." - The Economist