Die Karriere des Rot Rigo [L-B-L 2008]

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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pfanne
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Beitrag: # 6752566Beitrag pfanne
22.1.2009 - 14:30

Ja, letztes Jahr hat Rot nach dem 19. Januar gut 8 Monate seinen AAR nicht fortgesetzt. :cry:
Aber ich bin da sehr optimistisch, dass Rot trotz seiner Zeitmangel dieses Jahr wieder öfter schreiben wird.

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soerenrudi
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Beitrag: # 6752579Beitrag soerenrudi
22.1.2009 - 16:10

kommt er hat jetzt 3 Tage nichts geschrieben. Er kann halt nicht jeden Tag einen Post bringen!!!

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pfanne
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Beitrag: # 6752584Beitrag pfanne
22.1.2009 - 16:43

Das mein ich ja auch nicht.
Das Datum hat mich bloß "erschrocken" :wink:
So, genug davon.
Rot, ich habe Deinen AAR jetzt zum 4. Mal komplett durchgelesen. Unglaublich, wie er Einen immer noch fesseln kann. 8O

RotRigo
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Beitrag: # 6752631Beitrag RotRigo
22.1.2009 - 22:09

Ich bin froh, wenn ich es schaffe alle drei Tage etwas zu posten. Es gibt wichtigeres als das Schreiben dieses AARs... ;)

22.2.2008 (Solvang) – Zeitfahrmaschine:
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Einzelzeitfahren sind seit Beginn meiner Profi-Karriere eine meiner größten Stärken. Umso bedauerlicher ist es eigentlich, dass ich ausgerechnet beim Prolog der Tour of California meine schlechteste Leistung der bisherigen Woche abgeliefert habe. 41 Sekunden hatte ich an der Stanford University gegenüber Tyler eingebüßt. Bei einer Streckenlänge von gerade mal knapp vier Kilometern ist das eine erschreckend hohe Zahl. Hochgerechnet auf die 26 Kilometer, die heute auf dem Programm stehen sollten, ergäbe das einen Rückstand von mehr als vier Minuten. Eins war klar: Auch wenn es für mich in der Gesamtwertung um nichts mehr geht durfte es soweit auf keinen Fall kommen!

Ich war mir zwar sicher, dass ich es heute deutlich besser machen würde, doch ein wenig Nervosität machte sich dennoch breit, als ich die Startrampe betrat. Zu diesem Zeitpunkt rollten sich alle Favoriten noch gemütlich auf der Rolle ein. Sie hatten schließlich noch viel Zeit, bis es auch für sie losgehen würde. Ich hingegen musste jetzt vorlegen. Die einzig interessante Zeit war bisher Benjamin Day von Toyota United Cycling gefahren, aber wer kennt schon Benjamin Day? Ein echter Richtwert konnte das nicht sein. Mein Ziel war es, sowohl an der Zwischenzeit, als auch im Ziel die Führung zu übernehmen – und zwar deutlich. Bereits auf den ersten 1000 Metern spürte ich, dass meine Beine bereit waren ihre Leistung zu bringen. Ich beschleunigte sofort auf ein möglichst hohes Tempo und machte so viel Druck, wie es mir möglich war. Bei Kilometer 10 beruhigte mich Michael Ball schließlich per Funk. „Rot, komm runter. Das Tempo kannst du doch niemals bis zum Ende durchziehen!“ Er hatte recht. Vor lauter Euphorie hatte ich vergessen, dass es wichtig war, sich seine Kräfte ordentlich einzuteilen. Wenn ich so weiter gefahren wäre, wie bisher, dann wäre ich spätestens am schwierigen Anstieg zwischen Kilometer 15 und 17 zusammen gebrochen. Ich nahm sofort etwas raus und sorgte dafür, dass sich meine Pumpe erholen konnte. Der Puls ging runter und mein Körper dankte mir für die weise Entscheidung indem er mir deutlich zeigte wie gut eine solche Erholungsphase tun kann.
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Ich erreichte schließlich bei noch immer gedrosseltem Tempo die erste Zwischenzeit und übernahm die Führung mit 25 Sekunden Vorsprung auf Day. Es lief gut und ich hatte ja auch noch einige Reserven. Jetzt stand die schwierigste Prüfung des Tages an: Der knapp über einem Kilometer lange Anstieg hinein in den Ballard Canyon. Ich hörte kurz in meinen Körper hinein und nahm mir dann vor, die gesamte Passage mit Höchstgeschwindigkeit hinauf zu donnern. Es war Zeit ein Zeichen zu setzen. Hier konnte ich auf Day sicher in kürzester Zeit bis zu einer Minute heraus fahren und auch gegenüber den anderen Favoriten war ich am Berg ja schon in einer guten Position, wie die letzten Tage bewiesen hatten. Ich gab alles und flog die Rampe hinauf, als ob es nichts wäre. Erst auf den letzten 150 Metern tat ich mich etwas schwerer und musste die aerodynamische Position verlassen um in den Wiegetritt zu wechseln. Jetzt brannten natürlich auch meine Oberschenkel gehörig, aber ich biss mich durch und nutzte schließlich die kurze Abfahrt im Anschluss um mich zu erholen.
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Als es wieder flacher wurde lobte mich Ball per Funk in höchsten Tönen: „Das war großartig! Wenn du so weiter machst, dann landest du heute ganz weit vorne, Junge!“ Und ich machte so weiter. Nach und nach fuhr ich mich nun in einen Rausch und bemerkte fast nicht, wie die Kilometer weniger wurden. Plötzlich sah ich vor mir das große aufblasbare Plastik-Tor, das die letzten 1000 Meter einläutete. Ich war positiv überrascht und erhöhte meine Schlagzahl nochmal ein wenig – ja, ich hatte tatsächlich noch Reserven. Mit voller Geschwindigkeit und wie wild schlagendem Herzen raste ich auf die Zielgerade und über den weißen Strich. 36 Minuten und 23 Sekunden hatte ich gebraucht und war somit 1’41 schneller als Benjamin Day – Bestzeit!

Von nun an hieß es warten. Warten auf Zeitfahrweltmeister Cancellara und die fünf Jungs von der Spitze der Gesamtwertung, die allesamt vorzügliche Zeitfahrer sind. Der Schweizer erreichte die Zwischenzeit auf die Sekunde genau so schnell wie ich und zauberte somit ein Lächeln auf mein Gesicht. „Auf der zweiten Hälfte sollte ich ihn schlagen können“, dachte ich mir und erinnerte mich an meinen starken Auftritt am Berg. Tatsächlich: Cancellara hatte im Ziel 35 Sekunden Rückstand auf mich und ich blieb in Führung. Der nächste interessante Gegner war der Australier Michael Rogers. Dass seine Form schon so früh in der Saison nicht die Schlechteste sein konnte, hatte er vor gut einem Monat bei seinen Landesmeisterschaften unter Beweis gestellt, als er sich den Titel sicherte. Bisher hatte er sich bei dieser Rundfahrt jedoch bedeckt gehalten und so konnte ich nicht sicher sein, wie ernst er heute machen würde. Seine Zwischenzeit machte dann deutlich, dass er Ambitionen auf den Etappensieg anmelden wollte: Er war acht Sekunden schneller als ich. Doch als Rogers die Zielgerade erreichte und zum Spurt ansetzte, lief meine Zeit gerade ab. Ich blieb mit 15 Sekunden Vorsprung weiter in Führung!
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Auch Arvesen, Kirchen und mein Teamkollege Santiago Botero scheiterten auf dem zweiten Streckenabschnitt an meiner Leistung und so stand ich drei Fahrer vor Schluss noch immer an der Spitze. Ich konnte es kaum glauben! Sollte ich tatsächlich schon im Februar meinen ersten Saisonsieg feiern? An der Zwischenzeit hatten Leipheimer und Gusev zwar ebenfalls einige Sekunden Vorsprung eingefahren, doch beide waren langsamer als Botero und das schürte meine Hoffnungen erneut. Doch dann kam Tyler und walzte alles platt. Wie eine Maschine stampfte er in die Pedalen und platzierte sich bei Kilometer 15 tatsächlich fast eine Minute vor allen anderen – mir selbst nahm er 1’31 ab. Meine Siegchancen schrumpften von einer auf die andere Sekunde gen null. Einige Minuten später war es dann sicher: Aus einem Sieg wurde nichts. Doch es war nicht Tyler, der meine Zeit unterbot, sondern Levi Leipheimer. Der Titelverteidiger rettete von seinen 25 Sekunden an der Zwischenzeit noch deren vier ins Ziel und übernahm die Führung haarscharf. Ich hätte mich ärgern können, dass ich so knapp am Sieg vorbei zu rutschen drohte, aber ich wusste es ja schon jetzt besser: Tyler war heute unschlagbar!
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Unser Kapitän hatte sich auf den ersten Kilometern etwas übernommen, was den zunächst astronomisch großen Vorsprung erklären dürfte, doch seine Reserven genügten um sich noch als Spitzenreiter ins Ziel zu retten. Zwar überquerte er den Strich mit einer um 5 km/h niedrigeren Geschwindigkeit als ich, doch was zählt ist die Zeit, die man für die gesamte Strecke benötigt – und die war 21 Sekunden schneller als meine. Respekt, Chef. Starkes Ding!

So schade es auch war, dass ich trotz einer überragenden Leistung nicht zum Sieg fahren konnte, so sehr hatten wir heute Abend auch Grund zur Freude: Vladimir Gusev hatte 53 Sekunden gegen Tyler verloren und unser Kapitän liegt nun in der Gesamtwertung 30 Sekunden vor seinem ersten Verfolger, Levi Leipheimer. Das erste große Saisonziel scheint zum greifen nah zu sein!

Tour of California – 6. Etappe:
1 Tyler Hamilton Rock Racing 36'02
2 Levi Leipheimer Astana Cycling Team + 17
3 Rot Rigo Rock Racing + 21
4 Michael Rogers Team Columbia + 46
5 Santiago Botero Rock Racing + 47
6 Vladimir Gusev Astana Cycling Team + 53
7 Fabian Cancellara Team CSC - Saxo Bank + 56
8 Kim Kirchen Team Columbia + 1'04
9 Victor Hugo Pena Rock Racing + 1'08
10 Joost Posthuma Rabobank + 1'12

Tour of California - Gesamtwertung:
1 Tyler Hamilton Rock Racing 18h40'02
2 Levi Leipheimer Astana Cycling Team + 30
3 Vladimir Gusev Astana Cycling Team + 54
4 Santiago Botero Rock Racing + 1'12
5 Kim Kirchen Team Columbia + 2'02
6 Michael Rogers Team Columbia + 2'06
7 Joost Posthuma Rabobank + 2'13
8 Kurt-Asle Arvesen Team CSC - Saxo Bank + 2'15
9 Stuart O'Grady Team CSC - Saxo Bank + 2'31
10 Janez Brajkovic Astana Cycling Team + 2'39
...
36 Rot Rigo Rock Racing + 9'04

Tour of California - Bergwertung:
1 Rot Rigo Rock Racing 32
2 Tyler Hamilton Rock Racing 22
3 Vladimir Gusev Astana Cycling Team 21


Rock-Racing-Victory-Counter: 13

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soerenrudi
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Beitrag: # 6752633Beitrag soerenrudi
22.1.2009 - 22:19

schade das es so knapp nicht gereicht hat!

RotRigo
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Beitrag: # 6752973Beitrag RotRigo
25.1.2009 - 17:14

23.2.2008 (Santa Clarita) – Easy going:
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Vom Profil her sollte die siebte Etappe zwischen Santa Barbara und Santa Clarita eine Angelegenheit für die Sprinter werden. Aber „auch Ausreißergruppen könnten heute zum Zug“ kommen, erklärte uns Michael Ball am Morgen die Situation. Schließlich gab es vier kleine Bergwertungen, die zum angreifen einluden und vor allem unzählige Fahrer im Feld, die einen riesigen Rückstand in der Gesamtwertung zu verbuchen hatten. „Wenn eine Gruppe geht, deren bester Mann mehr als zehn Minuten zurück liegt, dann lassen wir die fahren“, wies uns unser Teamchef an. Der Etappensieg konnte uns egal sein. Sollten doch die Sprinter-Teams die Arbeit machen. Die einzige Angst, die ich hatte war, dass jemand mein Bergtrikot angreifen könnte – immerhin gab es heute 21 Punkte zu gewinnen.

Als sich sehr früh lediglich ein Duo abgesetzt hatte, erledigten sich meine Befürchtungen aber wie von selbst. Gregory Rast (Astana) und Karsten Kroon (CSC) waren zwar durchaus keine schwachen Fahrer, doch in der Bergwertung hatten sie bisher nichts zu melden gehabt. Außerdem hatte ich immer noch die Möglichkeit aus dem Feld heraus um Platz drei an den Wertungen zu sprinten. Das größere Problem war, dass Karsten Kroon in der Gesamtwertung 10’31 hinter Tyler zurück lag. Zwar waren das 31 Sekunden mehr als die von Ball angesprochenen 10 Minuten, aber eben nur genau 31 Sekunden. Wir beschlossen zunächst ruhig zu bleiben und dann bei Bedarf zu reagieren.
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Kroon holte sich alle vier Bergwertungen und wurde hinter Rast jeweils Zweiter an den beiden Sprintwertungen. Dadurch verringerte sich sein Rückstand auf 10’23, aber die Sprinter-Teams machten ihren Job gut. Die Ausreißer hatten nie mehr als acht Minuten Vorsprung und passierten den letzten Zwischensprint 35 Kilometer vor dem Ziel mit nur noch 3 Minuten Rückstand. Tylers Führungstrikot war so gut wie verteidigt und wir konnten uns einen ruhigen Tag machen. Natürlich zeigten wir uns trotzdem immer wieder in den vorderen Reihen um zu signalisieren, dass wir uns nicht vollständig unserer Verantwortung entzogen, doch Kräfte kostete dieses Verhalten nicht wirklich. Der anstrengendere Teil meiner Arbeit an diesem Tag war, dass ich mich mehrmals durch das gesamte Feld nach vorn kämpfen musste, weil ich im Schnick-Schnack-Schnuck spielen nicht unbedingt der Größte bin. Schnick-Schnack-Schnuck? Ja, richtig verstanden. Getrieben von unendlicher Langeweile spielten wir teamintern darum, wer als nächstes zum Mannschaftswagen nach hinten fahren musste um Trinkflaschen zu besorgen – ich verlor gleich drei Mal! Aus dem Träger des Bergtrikots und Zeitfahrdritten von gestern wurde auf diese Weise ganz schnell ein klassischer Wasserträger. Auch da muss man manchmal durch. Der Stimmung im Team hat es jedenfalls gut getan, dass auch mal ein Anderer den Kellner spielte.
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Es war zwar ziemlich anstrengend, sich immer wieder durch die Menge kämpfen zu müssen, doch es erhöhte meinen Respekt vor Doug Ollerenshaw und Sterling Magnell, die den Job in den letzten Tagen meist zu erledigen hatten, um ein vielfaches. Das ist harte Arbeit. Da waren meine vier Sprints, die mir an den Bergwertungen jeweils den dritten Platz gesichert hatten ein Klacks dagegen!

Als wir Karsten Kroon und Gregory Rast 15 Kilometer vor dem Ziel eingeholt hatten, lag hinter den beiden Ausreißern eine lange Flucht. Ihr Lohn blieb ihnen, bis auf ein paar Bergpunkte, verwehrt. Auch das war ein Vorteil unserer Taktik. Wir waren heute nicht die Bösen, die Kroon und Rast eiskalt den Sieg weg nahmen – im Gegenteil: Wir hätten sie gerne gewinnen lassen. So gewinnt man Sympathiepunkte im Feld. Wir wollten nicht alles zerstören, sondern lediglich die Gesamtführung behalten. Die Zerstörer hießen heute Silence-Lotto, Milram, Quick Step und Columbia. Diese vier Mannschaften hatten sich darum gekümmert, dass es zum Massensprint kommen konnte und diese vier Mannschaften machten die ersten Plätze am Ende auch unter sich aus. Am Ende setzte sich Robbie McEwen gegen Zabel, Boonen und Cavendish problemlos durch. Alessandro Ballan belegte Rang sechs und rückte in der Punktewertung auf acht Punkte an Tyler heran. Wenn es morgen wieder zum Sprint kommt, dann wird der Italiener sich das Grüne Trikot wohl doch noch sichern können. Tyler wird es egal sein – denn das hieße auch, dass er die Tour of California dann gewonnen hätte.

Tour of California – 7. Etappe:
1 Robbie McEwen Silence - Lotto 3h36'08
2 Erik Zabel Team Milram s.t.
3 Tom Boonen Quickstep s.t.
4 Mark Cavendish Team Columbia s.t.
5 Bernhard Eisel Team Columbia s.t.
6 Alessandro Ballan Lampre s.t.
7 Stuart O'Grady Team CSC - Saxo Bank s.t.
8 Danilo Napolitano Lampre s.t.
9 Paolo Bettini Quickstep s.t.
10 Greg Van Avermaet Silence - Lotto s.t.

Tour of California – Gesamtwertung:
1 Tyler Hamilton Rock Racing 22h16'10
2 Levi Leipheimer Astana Cycling Team + 30
3 Vladimir Gusev Astana Cycling Team + 54
4 Santiago Botero Rock Racing + 1'12
5 Kim Kirchen Team Columbia + 2'02
6 Michael Rogers Team Columbia + 2'06
7 Joost Posthuma Rabobank + 2'13
8 Kurt-Asle Arvesen Team CSC - Saxo Bank + 2'15
9 Stuart O'Grady Team CSC - Saxo Bank + 2'31
10 Janez Brajkovic Astana Cycling Team + 2'39
...
36 Rot Rigo Rock Racing + 9'04

Tour of California – Bergwertung:
1 Rot Rigo Rock Racing 37
2 Tyler Hamilton Rock Racing 22
3 Karsten Kroon Team CSC - Saxo Bank 22
4 Vladimir Gusev Astana Cycling Team 21
5 Santiago Botero Rock Racing 16

Tour of California – Punktewertung:
1 Tyler Hamilton Rock Racing 76
2 Alessandro Ballan Lampre 68
3 Vladimir Gusev Astana Cycling Team 57

RotRigo
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Beitrag: # 6753283Beitrag RotRigo
28.1.2009 - 10:47

24.2.2008 (Pasadena) – Furioses Finale:
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Heute ging es nochmal rund. Die letzte Etappe stand an und anders als zum Beispiel bei der Tour de France gibt es bei kleineren Rundfahrten kein Friedensabkommen zwischen den Top-Favoriten, welches einen Angriff verbieten würde. Im Gegenteil: Es war klar, dass Levi Leipheimer und sein Astana-Team noch einmal alles versuchen würden um Tyler aus dem Trikot zu fahren. Das Profil der Etappe lud regelrecht dazu ein. Der lange Anstieg zum Millcreek-Summit bot die perfekte Möglichkeit für eine Groß-Offensive der ganzen Mannschaft und wenn sie uns dort nicht abschütteln könnten, dann hatte Levi auf den letzten 40 Hügel-Kilometern die Möglichkeit es allein nochmal zu probieren – genau wie vor drei Tagen in San Luis Obispo. Es galt also den ganzen Tag auf der Hut zu sein. Jede Schwächephase konnte den Verlust des Leadertrikots bedeuten. Von Anfang an bewegten wir uns in den ersten Reihen und schon nach 25 Kilometern kam die Bestätigung: Astana wollte es wissen.

Antonio Colom griff als Erster an und sofort waren wir versucht uns an die Spitze zu schieben um den Spanier zu verfolgen. Doch Michael Ball bremste unsere Euphorie: „Nicht alle auf einmal! Wenn wir jetzt zu viele Kräfte verbrauchen um Colom zu verfolgen, dann machen wir genau das, was Astana erreichen will. Sie wollen unsere Mannschaft schwächen um Tyler im Finale isolieren zu können. Victor nach vorn bitte, der Rest wartet ab!“ Ball’s Erklärung klang logisch und so war es keine Frage, dass wir die Anweisung befolgten. Nur Victor Hugo Pena spannte sich vor das Feld und versuchte das Tempo von Colom zu halten um den Astana-Mann nicht zu weit davon kommen zu lassen. Immerhin war er mit 3’55 Rückstand auf Platz 25 auch kein ganz und gar ungefährlicher Mann. Zu unserem großen Glück fand Pena an der Spitze des Feldes schließlich aber auch noch Unterstützung durch eine andere Mannschaft: Das CSC-Team schaltete sich mit drei Mann in die Führung ein und war unserem Kolumbianer somit eine große Hilfe bei der Verfolgung des Flüchtigen. Warum CSC das tat, weiß ich nicht. Ich habe lediglich den Verdacht, dass Bjarne Riis als Teamchef des bisher stärksten Teams der Welt den Rundfahrt-Erfolg des großen Konkurrenten Astana verhindern wollte. Es könnte sein, dass sich da eine kleine Fehde anbahnt – uns konnte es heute nur recht sein.
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CSC und Pena hielten das Tempo am Millcreek-Summit enorm hoch und so schafften sie es nicht nur, Colom kurz nach der Bergwertung zu stellen, sondern vor allem auch den Astana-Jungs jegliche Lust auf weitere Angriffe zu nehmen. Es passierte bis ins Tal nichts mehr und so konnte ich am Gipfel auch problemlos die Punkte für Platz zwei einstreichen, so dass mir das Bergtrikot nun nicht mehr zu nehmen war. Beim überqueren des Wertungsstrichs ballte ich die linke Hand zur Faust um der Befriedigung meines Verlangens nach einem ersten Saison-Erfolg Ausdruck zu verleihen. Die Bergwertung der Tour of California genießt zwar nicht das Prestige eines Etappensieges in Frankreich, aber immerhin gibt es nun wieder eine Ergebnisliste, auf der ich ganz oben stehe. Das Comeback läuft auf Hochtouren!

Im Tal angekommen musste ich mich jetzt aber darum kümmern, dass auch das Comeback eines Teamkollegen weiter voran getrieben wurde. Wir erreichten das ununterbrochen hügelige 40-Kilometer-Finale und legten uns in den ersten Reihen des Feldes auf die Lauer. Noch bestimmte CSC das Tempo, aber uns war klar, dass bei einer weiteren Astana-Attacke nun auch wir mit der ganzen Mannschaft gefragt waren Vollgas zu geben. Zunächst kehrte zwar etwas Ruhe ein, doch Ball schien dem Frieden nicht zu trauen. Immer wieder wies er uns an, die Augen nach vorn zu richten und vor allem Levi Leipheimer zu beobachten. Der amerikanische Meister bewegte sich die ganze Zeit am rechten Straßenrand und hatte immer mindestens einen Teamkollegen an seiner Seite. An der 30 Kilometer Marke war es dann schließlich soweit. Als in einem kurzen Anstieg der Franzose Pierrick Fedrigo von Bouygues Telecom aus dem Sattel ging, nutzte Levi die Gelegenheit und blies ebenfalls zum Angriff.
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Jetzt waren wir gefragt. Auf CSC konnten wir uns nicht mehr verlassen, weil mit Kurt-Asle Arvesen einer der Dänen selbst mit in die Fluchtgruppe gegangen war. Auch sonst schien keine Mannschaft ernsthaft Interesse daran zu haben, die Ausreißer zu verfolgen. Nicht einmal Lampre, die bei einem Massensprint noch gute Chancen hatten durch Ballan die Punktewertung zu gewinnen. Es zahlte sich aus, dass wir am Millcreek Summit unsere Kräfte geschont hatten, denn jetzt brauchten wir voll aufgeladene Akkus in jeder Muskelfaser unseres Körpers. Victor konnte uns zwar nicht mehr helfen, doch Santiago und ich wechselten uns regelmäßig ab und spielten nun alle Zeitfahrqualitäten aus. Wir schafften es, den Abstand zur Spitzengruppe um Levi, Fedrigo, Arvesen, Kirchen und Van Summeren konstant unter 30 Sekunden zu halten, so dass Tyler virtuell noch immer die Gesamtführung halten konnte. Doch uns war auch bewusst, dass es im Ziel Zeitgutschriften für die ersten drei geben würde. Leipheimer musste, um sich den Gesamtsieg zu holen, lediglich den dritten Platz belegen, wenn der Vorsprung so groß bleiben sollte - sicher eine lösbare Aufgabe!
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Unser Job war es nun also den Rückstand nicht nur konstant zu halten, sondern nach Möglichkeit auch noch deutlich zu verringern. Santiago blieb in der Folge etwas länger in der Führung und machte noch mehr Tempo als zuvor, während ich mich immer etwas länger erholen konnte um im Finale noch genug Kräfte zu haben. Michael Ball wollte, dass Tyler und ich auf den letzten zehn Kilometern mit all unseren Kräften ein Paarzeitfahren veranstalteten um zu zweit nach vorn aufzuschließen, wenn wir es vorher nicht mit der gesamten Gruppe schaffen sollten. Santiago machte auf den folgenden Kilometern hervorragende Arbeit und verkürzte den Abstand bald auf knapp 15 Sekunden. Doch es reichte noch immer nicht um den Gesamtsieg in trockenen Tüchern zu haben. Das große aufblasbare Plastik-Tor mit der Aufschrift „6 Miles to go“ war dann schließlich das Alarm-Signal. Ball wollte ein Paarzeitfahren sehen und wir mussten es ihm jetzt bieten. An einem kleinen Anstieg ging Tyler aus dem Sattel und beschleunigte mit voller Kraft um aus der Gruppe heraus zu kommen, während ich mich darauf konzentrierte sein Hinterrad zu erwischen und im Windschatten mit zu springen. Sofort ging Santiago in der Verfolgergruppe aus dem Wind, so dass es uns leichter fallen sollte davon zu fliegen. Auf der nächsten Kuppe konnten wir Leipheimer und seine vier Begleiter bereits sehen und so wuchs die Motivation ins Unermessliche. Wir hatten unser Ziel vor Augen und konnten nun alle Kräfte mobilisieren. Ich zog an Tyler vorbei und trat weiter mit allem was ich hatte in die Pedale. Der Abstand wurde immer kleiner und als wir nur noch eine Meile vom Ziel entfernt waren, hatten wir es geschafft. Durch hervorragendes Teamwork erreichten Tyler und ich das Hinterrad von Kim Kirchen am Ende der Spitzengruppe und nahmen sofort die Beine hoch. Wir schauten uns an und brachten trotz völliger Verausgabung ein Lächeln über die Lippen: Wir hatten es geschafft! Wenn Tyler nun an Levi’s Hinterrad kleben bleiben würde, dann hatte er den Gesamtsieg sicher.
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Durch unsere Ankunft war auch die Motivation des Titelverteidigers zerstört und so erfolgte keine weitere Attacke mehr. Levi reichte Tyler einen Kilometer vor dem Ziel die Hand und gratulierte ihm zum Gesamtsieg, während Arvesen, Van Summeren, Fedrigo und Kirchen weiter dafür sorgten, dass das Tempo nicht total einschlief. Dennoch kam das Feld immer näher und schloss die Lücke noch auf der ansteigenden Zielgeraden. Doch unsere vier Begleiter, die unbedingt die Etappe gewinnen wollten, hatten den Sprint bereits eröffnet und so schafften sie es tatsächlich, sich vor dem Feld ins Ziel zu retten. Kurt-Asle Arvesen belohnte das CSC-Team für die hervorragende Arbeit im Verlauf des Tages und holte den Etappensieg vor Fedrigo und Kirchen nach Dänemark.
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Ich wurde siebenter, Levi achter und Tyler rollte auf Rang neun ins Ziel. Damit stand es fest: Tyler Hamilton hat für Rock Racing die Tour of California gewonnen! Ein großer Schritt in Richtung Tour de France könnte damit bereits getan sein…

Tour of California – 8. Etappe:
1 Kurt-Asle Arvesen Team CSC - Saxo Bank 3h55'41
2 Pierrick Fédrigo Bouygues Télécom s.t.
3 Kim Kirchen Team Columbia s.t.
4 Carlos Sastre Team CSC - Saxo Bank s.t.
5 Johan Van Summeren Silence - Lotto s.t.
6 Paolo Bettini Quickstep s.t.
7 Rot Rigo Rock Racing s.t.
8 Levi Leipheimer Astana Cycling Team s.t.
9 Tyler Hamilton Rock Racing s.t.
10 Joost Posthuma Rabobank s.t.

Tour of California – Endstand:
1 Tyler Hamilton Rock Racing 26h11'51
2 Levi Leipheimer Astana Cycling Team + 30
3 Vladimir Gusev Astana Cycling Team + 54
4 Santiago Botero Rock Racing + 1'10
5 Kim Kirchen Team Columbia + 1'54
6 Kurt-Asle Arvesen Team CSC - Saxo Bank + 1'55
7 Michael Rogers Team Columbia + 2'06
8 Joost Posthuma Rabobank + 2'13
9 Stuart O'Grady Team CSC - Saxo Bank + 2'31
10 Janez Brajkovic Astana Cycling Team + 2'39
...
34 Rot Rigo Rock Racing + 9'04

Tour of California – Bergwertung:
1 Rot Rigo Rock Racing 49
2 Karsten Kroon Team CSC - Saxo Bank 26
3 Antonio Colom Mas Astana Cycling Team 25
4 Tyler Hamilton Rock Racing 22
5 Vladimir Gusev Astana Cycling Team 21

Tour of California – Punktewertung:
1 Tyler Hamilton Rock Racing 83
2 Kurt-Asle Arvesen Team CSC - Saxo Bank 77
3 Alessandro Ballan Lampre 74
4 Erik Zabel Team Milram 62
5 Vladimir Gusev Astana Cycling Team 61

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Beitrag: # 6753580Beitrag RotRigo
31.1.2009 - 10:43

25.2.2008 (Los Angeles) – Feierlaune:

Nachdem wir gestern Abend in einem edlen Club die Erfolge beim ersten großen Saisonhöhepunkt mit Cocktails begossen hatten, war heute Morgen ausschlafen angesagt. Danach gönnte ich mir einen Wellness-Tag zur Entspannung und verzichtete darauf auch nur einen einzigen Meter mit dem Rad zurück zu legen. Ich ließ bis 17 Uhr die Seele baumeln und ging dann ins Internet um meine E-Mails zu lesen. Was mich sehr freute war, dass Fabian (Wegmann) und Gabi mir aus Deutschland geschrieben hatten. Sie gratulierten mir zum Gewinn der Bergwertung und dem Erfolg meiner Mannschaft bei ihrem ersten richtig großen Auftritt. Außerdem konnte es sich Fabian nicht verkneifen zum Abschluss darauf hinzuweisen, dass wir dann wohl tatsächlich im Juli in Frankreich Konkurrenten sein würden. Ich musste grinsen und malte mir aus, wie großartig es werden könnte. Allerdings versuchte ich mich innerlich ein wenig zu bremsen. Natürlich hatten wir einen großen Erfolg gefeiert, aber die Tour of California ist noch kein besonders wichtiges Rennen. Hier zu dominieren war noch lange nicht gleichbedeutend mit einer Wildcard für die Tour de France. Bewusst bescheiden antwortete ich, dass wir das wohl erstmal abwarten müssten, fügte aber in Klammern hinzu, dass es schließlich auch noch gar nicht sicher sei ob er zum Tour-Aufgebot von Gerolsteiner gehöre. Rein objektiv betrachtet hatte ich damit ja sogar recht. In einem ProTour-Team muss sich jeder Fahrer in jeder Saison aufs neue beweisen um einen der begehrten Startplätze zu bekommen und Fabians Visitenkarte für 2008 war Ende Februar noch relativ leer. Ich erwartete zwar, dass er auf jeden Fall dabei sein würde, doch ein wenig Motivation konnte auch ihm sicher nicht schaden. Es wäre schließlich zu schade, wenn wir es schaffen, mein bester Freund am Ende dann aber doch nicht zu meinen Kontrahenten zählen würde.

Kaum hatte ich mich in meinen Gedankengängen daran gewöhnt, die vorschnellen Wildcard-Glückwünsche herunter zu spielen, da klingelte mein Telefon. Es war niemand geringeres als der Chef persönlich: „Rot, wir haben einen Fuß in der Tür.“, eröffnete Ball das Gespräch. Ich wusste nicht genau was er meinte und fragte vorsichtig nach um dann aufgeklärt zu werden: „Die ASO hat uns eine Wildcard gegeben.“ Ich war dermaßen begeistert, dass ich ihn sofort unterbrach: „Das ist ja Wahnsinn! Jetzt schon?! Ich steige sofort wieder aufs Rad! Ich muss trainieren! Bin ich im Kader?“ Meine Worte überschlugen sich und Ball fing an zu lachen. „Come down, boy“, versuchte er mich zu beruhigen. „Ich weiß noch nicht ob ich dich mitnehme, aber es geht erstmal auch gar nicht um die Tour de France.“ So langsam dämmerte mir, dass Ball mich ein wenig auf den Arm nehmen wollte. „Wir starten in zwei Wochen bei Paris-Nizza und dürfen uns dort beweisen. Ich sage ja: Wir haben einen Fuß in der Tür.“ Ich realisierte seine Aussagen und bemerkte auch schnell, dass es völlig unrealistisch war, jetzt bereits das Tour-Ticket geschenkt zu bekommen. Die ASO war schließlich kein Wohlfahrtsverein! „Oh, okay. Logisch.“, antwortete ich etwas vorsichtig. Dann sammelte ich meine Worte und legte nach. „Wenn du mich dabei haben willst, dann sag bescheid. Ich glaube du hast gesehen, dass ich schon relativ fit bin. Ich würde sehr, sehr gern nach Paris reisen.“ Ball versprach, dass er es sich gut überlegen würde und wies mich darauf hin, dass die Nominierung für das Rennen zur Sonne nicht nur leistungsabhängig sei. „Es kann gut sein, dass ich dich und deine Stärken im März für andere Rennen brauche. Schließlich müssen wir überall gute Leistungen zeigen.“ Das verstand ich natürlich. Wir verabschiedeten uns und ich hatte von diesem Moment an den ganzen Tag ein breites Grinsen im Gesicht. Ich hoffe, dass ich dabei sein werde, wenn ein Teil unserer Mannschaft in zehn Tagen nach Paris fliegt.

RotRigo
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Beitrag: # 6753930Beitrag RotRigo
3.2.2009 - 12:41

29.2.2008 (Los Angeles) – Grün oder Gelb?:

Heute traf sich die gesamte Mannschaft im L.A.-Headquarter um die Renneinsätze für März zu planen. Zu meiner Überraschung hatte Ball nur Mario Cipollini und mich darüber informiert, dass wir zu Paris-Nizza eingeladen worden waren. Alle anderen wollte er heute beim Meeting mit der Information überraschen – was ihm sehr gut gelang. Wie es so seine Art ist, hatte er für die Besprechung im Konferenzraum eine Powerpoint-Präsentation gebastelt und diese mit dem Beamer an die Wand geworfen. Ball stand am Rednerpult und wir Fahrer saßen in mehreren Reihen auf Plastik-Klappstühlen wie die Journalisten bei einer Pressekonferenz. Zunächst erzählte uns der Chef, wie gut ihm unser bisheriger Auftritt gefallen hat. Besonders stolz sei er natürlich auf das hervorragende Abschneiden in Kalifornien, aber auch das was Oscar Sevilla in seiner Heimat bisher geleistet hat, mache ihn sehr glücklich, sagte Ball. Immerhin hat der Spanier in Andalusien und bei der Valencia-Rundfahrt einen vierten und einen siebenten Gesamtrang belegt und alle drei Bergetappen auf dem Podest beendet. „Außerdem verdanken wir es unseren Sprintern Cipollini, Rodriguez und Bahati, dass wir mit 13 Siegen momentan zu den erfolgreichsten Teams der Welt zählen.“, fügte er fast beiläufig an. 13 Siege am Ende des Februars sind tatsächlich ein hervorragendes Ergebnis. Das schaffen nur die wenigsten Pro-Tour-Mannschaften! Ball hatte in seinem kurzen Ergebnis-Rückblick nichts vergessen und auch psychologisch war kein Fehler zu erkennen. Schließlich wies er auch darauf hin, dass die tollen Ergebnisse ein Produkt des hervorragenden Zusammenspiels zwischen Helfern und Kapitänen waren. Noch einmal betonte der Modemacher, der in den letzten Wochen großes Radsport-Verständnis bewiesen hatte, dass er unsere Leistungen sehr hoch einschätzte und dann kam der entscheidende Satz: „Das sehe scheinbar nicht nur ich so, sondern auch die Verantwortlichen der ASO. Patrice Clerc hat nämlich vor vier Tagen bei mir angerufen und mir mitgeteilt, dass man uns sehr gerne am Start von Paris-Nizza begrüßen würde. Natürlich habe ich zugesagt.“ Ein raunen ging durch die Menge und Ball hielt kurz inne um den Moment voll auszukosten. Die gesamte Mannschaft war vollkommen beeindruckt von der erfreulichen Neuigkeit und sofort gingen die Spekulationen los. War das schon die halbe Miete für die Tour de France? Mit denselben Worten, mit denen Ball auch mich am Telefon bereits gebremst hatte, tat er es auch diesmal dem gesamten Team gegenüber: „Wir haben also einen Fuß in der Tür. Das ist natürlich eine perfekte Situation für uns, aber wir sollten uns nicht zu sicher fühlen. Ein starker Auftritt beim Rennen zur Sonne ist Pflicht!“ Dann klickte er seine Präsentation weiter und wir sahen eine Grafik vor uns, die den Terminplan für den Monat März aufzeigte.
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Wir konnten sehen, dass die Rennen in zwei Gruppen aufgeteilt waren und vor allem, dass neben Paris-Nizza mit Mailand-San Remo auch noch ein zweites ProTour-Event aufgeführt war. Allerdings war das Lieblingsrennen von Mario Cipollini noch mit einem Fragezeichen versehen. „Ob wir auch in Mailand am Start stehen dürfen ist noch nicht sicher, aber die Verhandlungen laufen und ich bin zuversichtlich. Wenn alles läuft wie geplant, dann kann Mario in San Remo um den Sieg kämpfen.“, erklärte Ball. Aufmerksam und erwartungsvoll lauschten wir seinen Worten. „Er soll endlich sagen, wer wo fahren wird“, flüsterte ich Tyler zu. Ich konnte es nicht abwarten, aber Ball ging zunächst auch noch auf das zweite Fragezeichen ein. „Die Organisatoren des Pfeils von Brabant würden uns gerne am Start begrüßen, aber ich warte mit der Zusage noch ab, wie es im März läuft und ob wir vielleicht eine Wildcard für Flandern, Wevelgem oder Roubaix bekommen. Wenn dem nicht so ist, dann macht es wenig Sinn, extra nach Belgien zu reisen.“ Alles was er sagte war logisch, aber interessierte mich nicht wirklich. Schließlich erlöste uns Ball aber doch. „Ich habe die Rennen in eine grüne und eine gelbe Gruppe aufgeteilt. Für jede Gruppe sind zwei unserer Klassement-Kapitäne fest eingeteilt, während alle anderen Fahrer zwischen den Gruppen wechseln werden. Die gelben, meist iberischen, Rennen bestreiten Oscar Sevilla und Santiago Botero und bei den grünen Rennen sollen Tyler Hamilton und Rot Rigo ihr Glück versuchen.“ Es war raus: Ich fahre Paris - Nizza und Rund um Köln, sowie vielleicht Mailand - San Remo. Ich atmete einmal tief durch und lehnte mich dann genüßlich und zufrieden zurück. Der März kann kommen!

RotRigo
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Beitrag: # 6754326Beitrag RotRigo
6.2.2009 - 18:06

8.3.2008 (Paris) – 180er Puls, nach dem Rennen:

Zwei Wettkämpfe habe ich in dieser Woche bestritten, aber keiner von ihnen hat mir so viel abverlangt, wie die Hektik nach der Zielankunft in Siena und die anschließende Autofahrt zum Flughafen von Rom. Knapp zwei Stunden saß ich zusammen mit Tyler Hamilton und Fred Rodriguez auf der Rückbank eines unserer Cadillacs, während Mario Cipollini es sich auf dem Beifahrersitz gemütlich gemacht hatte. Ich kann von Glück reden, dass Rock Racing über derart geräumige Mannschaftswagen verfügt, denn in einem kleinen Fiat wären wir wohl eingegangen! Als ich um 15.57 Uhr im Ziel des Klassikers Monte Paschi Eroica angekommen war, hatten wir noch genau vier Stunden Zeit, bis am Flughafen in Florenz unsere Maschine in Richtung Paris abheben sollte. In Windeseile duschte ich mich ab, zog trockene Kleidung an und setzte mich zu den Jungs ins Auto. Zum ersten Mal in meiner Karriere war ich froh, dass es keiner von meinen Teamkollegen auf das Sieger-Podest geschafft hatte, denn sonst hätten wir wohl noch etwas länger warten müssen und der Zeitdruck wäre umso größer geworden. Die Strecke vom Zielort Siena zum Flughafen in Florenz führt zunächst rund 70 Kilometer quer durch die Pampa, bevor man den Fiorentiner Autobahn-Ring erreicht. Von dort aus ist es dann nur noch ein Katzensprung: Einmal rund um die gesamte Stadt und schon hat man den „Aeroporto“ erreicht. Zum Glück ist heute Samstag und so hatten wir auf dem Ring noch nicht einmal mit Berufsverkehr zu kämpfen. Doch die 70 Kilometer, die wir vorher auf italienischen Landstraßen zurückzulegen hatten waren umso härter. In den kleinen Städten mussten wir ununterbrochen aufpassen, dass wir keine Vespa überrollten und außerorts machten uns LKWs und Traktoren das Leben schwer. Überholen war auf den kurvigen Straßen so gut wie unmöglich und George, unser Fahrer, erfand ununterbrochen neue Schimpfwort-Kreationen um den Verhältnissen gerecht zu werden. Als wir um 19.03 Uhr aus dem Wagen aussteigen durften, hätte ich am liebsten noch einmal eine Dusche genommen, aber dafür war nun wirklich keine Zeit mehr. Wir mussten auf schnellstem Weg zum Check-In, wo Curry, Creed, Ollerenshaw und Grajales bereits auf uns warteten. Unsere vier Teamkollegen konnten in Siena etwas früher aufbrechen, weil sie das Rennen aufgegeben hatten, als ihre Arbeit getan und sie selbst zurückgefallen waren. Sie sahen wesentlich entspannter aus als wir und machten sich einen riesigen Spaß daraus, uns jetzt auch noch zusätzlich einzuheizen. „Los Jungs, wir haben nicht viel Zeit! Die Taschen da hin, was zu trinken könnt ihr euch dort besorgen und dann ab zur Passkontrolle! Zack Zack!“ Ein letztes Mal erreichte ich für mehrere Minuten meinen Maximalpuls und dann ließ ich mich endlich in meinen Flugzeug-Sessel fallen. Geschafft!
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Meine Devise in dieser Woche lautete: Kräfte sparen und Kilometer sammeln. Vor allem auf den schwierigen Schotter-Passagen in Italien wollte ich kein Risiko eingehen.

Die Ankunft in Paris und der Transfer zu unserem Hotel für die letzte Nacht vor Paris-Nizza war Gott sei Dank deutlich entspannter und jetzt wo ich in meinem Zimmer auf dem Bett sitze und den Laptop auf dem Schoß habe, kehrt endgültig Ruhe ein. Es ist Zeit, dass ich bald schlafen gehe, damit ich morgen beim Prolog meiner ersten ProTour-Veranstaltung seit anderthalb Jahren fit bin. Trotzdem will ich euch natürlich nicht vorenthalten, was sich bei unseren Auftritten in dieser Woche so getan hat. Ich selbst habe mich zwar sowohl beim belgischen Eintagesrennen „Le Samyn“ am Mittwoch, als auch heute in der Toskana vornehmen zurück gehalten, Fred Rodriguez aber wollte bei beiden Rennen aufs Podest fahren und hielt dementsprechend jeweils voll rein. Trotzdem verpasste er das Treppchen sowohl am Mittwoch, als auch heute knapp. Während er am Mittwoch im Massensprint hinter Romain Feillu, Nico Eeckhout und Borut Bozic Platz vier belegte, reichte es heute nach einer hervorragenden Leistung über die gesamte Distanz am Ende „nur“ zu Rang fünf. Fred hatte das Rennen entscheidend mitbestimmt und sich rund 15 Kilometer vor Schluss, auf dem letzten der berüchtigten Schotter-Abschnitte der Eroica, gemeinsam mit vier Kontrahenten vom stark dezimierten Feld abgesetzt.
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Gemeinsam mit Sven Krauss und Markus Zberg von Gerolsteiner, sowie Murilo Fischer (Liquigas) und Sebastien Rosseler (Quick Step) raste Fred dem Ziel entgegen, doch am kurzen knackigen Schlussanstieg vor den Toren von Siena musste er sich schließlich allen vieren geschlagen geben. Ihm fehlte nach dem harten Rennen, das teilweise wirklich über „Stock und Stein“ geführt hatte, einfach die nötige Frische um explosiv genug sprinten zu können. Frisch genug war hingegen Markus Zberg. Der Schweizer setzte sich problemlos durch und trug seinen ersten Saisonsieg davon.

Ergebnis – Le Samyn:
1 Romain Feillu Agritubel 3h23'37
2 Nico Eeckhout Topsport Vlaanderen s.t.
3 Borut Bozic Cyce Collstrop s.t.
4 Fred Rodriguez Rock Racing s.t.
5 David Kopp Cyce Collstrop s.t.
...
68 Rot Rigo Rock Racing s.t.

Ergebnis – Monte Paschi Eroica:
1 Markus Zberg Gerolsteiner 5h46'43
2 Murilo Fischer Liquigas s.t.
3 Sven Krauss Gerolsteiner s.t.
4 Sébastien Rosseler Quickstep s.t.
5 Fred Rodriguez Rock Racing s.t.
...
72 Rot Rigo Rock Racing + 12'59

RotRigo
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Beitrag: # 6754865Beitrag RotRigo
10.2.2009 - 17:04

9.3.2008 (Amilly) – Bärenstark und trotzdem nicht genug?:

Ich bin ein guter Zeitfahrer. Ich denke das habe ich in meiner bisherigen Karriere unter Beweis stellen können. Auch bei der Tour of California war der Auftritt im langen Einzelzeitfahren wohl meine beste Leistung der gesamten Rundfahrt. Dementsprechend wenig Angst hatte ich auch vor dem heutigen Prolog bei Paris-Nizza. Dass mein Name in der Ergebnisliste des kurzen Auftaktzeitfahrens in Kalifornien erst weit hinten zu finden war, habe ich inzwischen als Ausrutscher abgehakt. Ich hatte einfach keinen guten Tag, aber meine Form war schon dort nicht von schlechten Eltern. Deshalb war es auch heute in Amilly vor den Toren der französischen Hauptstadt mein Ziel eine gute Position zu erkämpfen um eine gute Ausgangsposition für die restliche Rundfahrt zu haben. Dass das Rennen zur Sonne nicht heute, sondern erst am Mont Ventoux entschieden würde, ist mir klar. Aber ein Ausrufezeichen zu Beginn wäre nicht nur für meine eigene Moral, sondern auch für unser Ansehen bei der ASO von großem Vorteil. Ich hatte mir vorgenommen, alles zu geben. Zwar fühlten sich meine Beine etwas schwer an, als ich heute Mittag zum Start rollte, doch das sollte nichts heißen. Nach dem anstrengenden gestrigen Tag war klar, dass ich nicht hundertprozentig fit sein würde. Trotzdem wollte ich um den Sieg kämpfen – schließlich sind Anfang März die wenigsten Rundfahrer schon in Top-Form.

Für eine besondere Motivation sorgte heute, dass ich beim Einschreiben Fabian getroffen hatte. Er spielt hier in Frankreich den Edelhelfer für Mit-Favorit Stefan Schumacher und startete den Prolog direkt hinter mir. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass er mich nicht einholen würde, doch die Tatsache, dass mein bester Kumpel in meinem Nacken sitzt spornte mich nochmal gehörig an. Ich spurtete von der Startrampe und trieb meinen Puls von Beginn an zu Höchstwerten. Bei einem kurzen Prolog-Zeitfahren braucht man sich seine Kräfte kaum einzuteilen. Eigentlich fährt man von Anfang an am Anschlag und der Sieger ist derjenige, der über die meiste Tempohärte verfügt.
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Die weißen Begrenzungslinien in der Mitte der Straße schossen mit Höchstgeschwindigkeit unter mir durch und ich hatte ein gutes Gefühl, als ich auf die Zielgerade einbog. Das musste einfach eine gute Zeit werden! Tatsächlich ging ich in Führung, als ich den Zielstrich passierte – mit einer Sekunde Vorsprung auf Sebastien Rosseler, der gestern bei der Eroica ja bereits unter Beweis gestellt hat, dass er in guter Form ist. Auch Rosseler ist kein schlechter Zeitfahrer und so war ich durchaus zufrieden mit meiner Leistung. Alles lief nach Plan!

Doch ich sollte nicht an der Spitze bleiben. Gerade als ich mir etwas warems angezogen hatte und den Mannschaftsbus wieder verließ, passierte Kim Kirchen das Ziel und war einige Zehntel schneller als ich. Den Etappensieg konnte ich mir somit abschminken, aber die Ausgangssituation war noch immer gut. Kirchen ist ein starker Rundfahrer, aber am Ventoux sollte er zu knacken sein. Ihm liegen eher die kurzen steilen Rampen in den Ardennen, als ein 20 Kilometer langer Mörder-Berg. Ich begab mich in die Nähe der Ziellinie um die weiteren Fahrer bei der Ankunft zu beobachten. Einer nach dem anderen kam vorbei geschossen, aber niemand schaffte es, sich an Kirchen und mir vorbei zu schieben. Dann bog Zeitfahrweltmeister Cancellara auf die Zielgerade ein. Der Schweizer war sehr schnell und bei einem Blick auf die Anzeige wurde mir bewusst, dass meine Zeit zwar gut, aber noch lange nicht das Optimum gewesen war. Cancellara flog an mir vorbei und hatte 13 Sekunden Vorsprung heraus gefahren. Das war wirklich stark und ich war scheinbar nicht der einzige, der ihn schon jetzt für den Sieger hielt. Alle umstehenden Fahrer und sonstigen Wichtigtuer nickten mit dem Kopf und vermerkten den CSC-Mann auf ihren Notizblöcken bereits als Sieger.
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Stefan Schumacher bestätigte zwar seine Stellung als Gerolsteiner-Kapitän indem er Fabian 33 Sekunden abnahm und kann durchaus weiterhin als Mit-Favorit bezeichnet werden, da er sich auf Rang zwei einordnete, aber gegen Cancellara hatte auch er keine Chance. Sieben Sekunden trennten den Glatzkopf von der Bestzeit. In der Folge sortierten sich auch Posthuma, Hushovd und Devolder noch zwischen Schumi und mir ein, aber niemand war so schnell wie Cancellara. Fast niemand! Denn einer stand noch in den Startlöchern: Tyler. Mein Teamkollege hatte schon heute morgen angekündigt, Michael Ball eine große Freude bereiten zu wollen und hielt sein Versprechen schließlich auch ein. Er flog über die Straßen als hätte er einen kleinen Motor an seinem Rad angebracht und brannte in 7’19 eine neue Bestzeit in den rauen Asphalt. Zwei Sekunden hatte er Cancellara damit abgenommen und was viel wichtiger war: Er machte sich selbst zum größten Favoriten auf den Gesamtsieg, denn dass er auch am Berg bereits jetzt stark genug war um gegen jeden zu bestehen, hatte er ja bereits in Kalifornien bewiesen.
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Für mich bedeutet Tylers Auftritt, dass ich trotz des starken achten Ranges erneut in seinem Schatten stehen werde und den Edelhelfer spielen muss. Solange das dazu beiträgt, dass ich im Juli zur Tour de France fahren darf, macht mir das nichts aus. Aber so stark wie Tyler ist, befürchte ich, dass ich unter Umständen auch dort nicht den Kapitän spielen darf. Welcher Teamchef entscheidet sich schon für einen 22-Jährigen, wenn er den deutlich erfahreneren Tyler Hamilton in der Mannschaft hat, der außerdem die Tour of California und Paris-Nizza gewonnen hat? Ich sitze jetzt in einer kleinen Zwickmühle. Wenn ich Tyler zum Sieg verhelfe, dann bedroht das meinen eigenen Posten, aber wenn ich es nicht tue könnte es sein, dass wir gar nicht erst bei der Tour antreten dürfen.

Wie schwer es ist, eine Einladung zu einem großen Rennen zu ergattern mussten wir schließlich heute auch lernen. Für Mailand – San Remo erhielten wir eine Absage, obwohl wir mit Mario Cipollini einen absoluten Publikumsliebling an den Start gebracht hätten und obwohl wir mit jetzt 14 Saisonsiegen eine der bisher erfolgreichsten Mannschaften der Saison sind. Es muss also unser Ziel sein als Mannschaft so viel Aufsehen wir möglich zu erregen. Das ist unsere einzige Chance! Auch deshalb hat Michael Ball uns heute morgen mitgeteilt, dass er für alle großen Rennen eine Bewerbung einreichen werde. „Je mehr Rennen wir fahren, desto mehr Chancen haben wir, uns zu profilieren. Die Giro-Organisatoren RCS haben morgen einen Brief von mir auf ihrem Tisch liegen. Wenn wir bis Anfang Mai noch keine Wildcard für Frankreich haben, dann werden wir um Rosa kämpfen! Ein starker Giro wird die ASO beeindrucken und vielleicht bekommen wir dann noch auf den letzten Drücker die Einladung.“, sagte er. Hoffentlich heißt das dann nicht, dass wir im Juli bereits völlig ausgelaugt sind.

Für weitere gute Resultate sorgte derweil Oscar Sevilla in Spanien. Unser Kletterer belegte den vierten Rang bei der Murcia-Rundfahrt und hält damit seinen guten Schnitt bei den kleinen Rundfahrten in seiner Heimat.

Ergebnis - Prolog Paris-Nizza:
1 Tyler Hamilton Rock Racing 7'19
2 Fabian Cancellara Team CSC - Saxo Bank + 2
3 Stefan Schumacher Gerolsteiner + 9
4 Joost Posthuma Rabobank + 12
5 Thor Hushovd Credit Agricole s.t.
6 Stijn Devolder Quickstep + 13
7 Kim Kirchen Team Columbia + 15
8 Rot Rigo Rock Racing + 16
9 Sébastien Rosseler Quickstep + 17
10 Sylvain Chavanel Cofidis, le Credit Par Telephone s.t.

Endstand - Vuelta Murcia:
1 Ezequiel Mosquera Miguez Karpin - Galicia 15h57'38
2 Christian Vandevelde Garmin Chipotle presented by H30 + 16
3 Andy Schleck Team CSC - Saxo Bank + 23
4 Oscar Sevilla Rock Racing + 46
5 Andreas Klöden Astana Cycling Team + 51


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RotRigo
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Beitrag: # 6755560Beitrag RotRigo
14.2.2009 - 23:18

10.3.2008 (Nevers) – Einrollen:

Paris-Nizza besteht aus acht Etappen. Nach dem kurzen Prolog-Zeitfahren enden sechs der weiteren sieben Teilstücke im Tal. Lediglich die fünfte Etappe am Donnerstag hält mit dem Mont Ventoux eine Bergankunft bereit. Hier wird sich das Rennen wahrscheinlich entscheiden. Doch auch die anderen Abschnitte darf man nicht unterschätzen. Die Etappen drei, vier, sieben und acht gleichen zumindest im Finale jeweils einer echten Berg- und Talfahrt und bieten somit jede Menge Möglichkeiten zur Attacke. Auch dort kann man viel Zeit gewinnen beziehungsweise verlieren. Gerade die kurzen Anstiege werden oft unterschätzt und ehe man sich versieht hat sich der eine oder andere Spezialist für hügelige Klassiker abgesetzt und jagt dem Sieg entgegen – Fahrer wie Schumacher, Kirchen oder auch Fabian. Wir müssen also ständig auf der Hut sein um das Trikot von Tyler zu verteidigen.

Heute hingegen stand von Amilly nach Nevers eine von zwei reinen Flachetappen auf dem Programm. In der Gesamtwertung hatten wir nichts zu befürchten und so konnten Tyler, Cesar (Grajales) und ich, die Bergfahrer im Team, den Tag noch einmal nutzen um Kräfte zu sammeln. Curry, Ollerenshaw, Rodriguez und Creed beteiligten sich während dessen immer wieder an der Führungsarbeit um den Ausreißern des Tages nicht zu viel Vorsprung zu gewähren und Cipollini bereitete sich den ganzen Tag darauf vor, im Etappenfinale vorn dabei zu sein.

Als 20 Kilometer vor dem Ziel mit Bram Tankink von Rabobank auch der letzte Ausreißer gestellt war, hieß es aufzupassen. Jetzt ging auch ich nochmal nach vorn in den Wind um das Tempo hoch zu halten. Eine Attacke von einem Fahrer wie Fabian Cancellara auf den letzten Kilometern einer Flachetappe kann sehr gefährlich sein. Der Schweizer verfügt über die nötige Tempohärte um das Feld zu besiegen und bei gerade mal zwei Sekunden Rückstand auf Gelb hätte er sich geradezu eingeladen fühlen können, wenn das Tempo im Feld für einen Moment eingeschlafen wäre. Aber ich machte meinen Job gut und Cancellara ließ die Beine hängen – Glück gehabt.

Auf den letzten drei Kilometern war es dann einzig und allein an den Sprintern, sich vorn zu positionieren. Mario machte sich auf die Suche nach einem guten Hinterrad und wurde bei Tom Boonen fündig. Eigentlich ist das so ziemlich das beste Hinterrad, das man erwischen kann, doch heute war Boonen nicht der Stärkste. Der Belgier wurde nur Sechster und weil Mario es nicht schaffte, aus seinem Windschatten heraus zu springen, blieb für unseren Sprint-Star nur Rang zehn. Das ist kein tolles Ergebnis, aber auch kein Beinbruch, wenn man sich ansieht, welch großartige Sprint-Konkurrenz hier in Frankreich am Start steht: Cavendish, McEwen, Hushovd, O’Grady, Pozzato, Petacchi und Weltmeister Bettini verleihen dem Rennen zur Sonne fast schon einen Hauch von Tour de France. Vielleicht hat Mario eine Chance, wenn die Sprinter in vier Tagen, mit dem Ventoux in den Beinen, um den Sieg in Sisteron kämpfen. Heute jedenfalls war er einfach nicht stark genug. Ganz anders Filippo Pozzato. Der Italiener von Liquigas sprintete von der Spitze weg zum Etappensieg und ließ es sich nicht nehmen, beim jubeln einen hämischen Blick nach hinten zu werfen – eine überlegene Vorstellung!
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Ergebnis – 2. Etappe Paris-Nizza:
1 Filippo Pozzato Liquigas 4h23'23
2 Robbie McEwen Silence - Lotto s.t.
3 Thor Hushovd Credit Agricole s.t.
4 Sylvain Chavanel Cofidis, le Credit Par Telephone s.t.
5 Mark Cavendish Team Columbia s.t.
6 Tom Boonen Quickstep s.t.
7 Romain Feillu Agritubel s.t.
8 Mathieu Sprick Bouygues Télécom s.t.
9 Mickael Buffaz Cofidis, le Credit Par Telephone s.t.
10 Mario Cipollini Rock Racing s.t.

Gesamtwertung - Paris-Nizza:
1 Tyler Hamilton Rock Racing 4h30'42
2 Fabian Cancellara Team CSC - Saxo Bank + 2
3 Stefan Schumacher Gerolsteiner + 9
4 Thor Hushovd Credit Agricole + 10
5 Joost Posthuma Rabobank + 12
...
9 Rot Rigo Rock Racing + 16

RotRigo
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Beitrag: # 6756874Beitrag RotRigo
22.2.2009 - 17:35

11.3.2008 (Belleville) – Einfach unterschätzt:
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Das kleine Städtchen Belleville im Herzen des Weinbaugebiets Beaujolais ist die Heimat von gerade mal rund 7.000 Menschen. Dennoch waren die Straßen von Zuschauern gesäumt, als wir heute Nachmittag bei zwar sonnigem Wetter, jedoch leidiglich 13° Celsius, das Ziel der dritten Etappe auf der Rue de la République erreichten. Man hatte das Gefühl, dass der gesamte Ort aus seinen Häusern gekommen war und gemeinsam unsere Ankunft feierte. So kam tatsächlich schon Anfang März ein wenig Tour-Flair auf und ich war beeindruckt, als ich meinen Blick nach der Zielpassage umher schweifen ließ. Auf den Kilometern zuvor hatte ich jedoch nicht die Zeit gehabt, mich umzuschauen und an den Zuschauern zu erfreuen: Wir mussten das Trikot von Tyler verteidigen!

Eigentlich hatte das Rennen relativ ruhig begonnen. Die ersten 150 Kilometer waren nicht sehr bergig und auch der Rennverlauf forderte uns nicht besonders. Eine recht ungefährliche zehnköpfige Spitzengruppe hatte sich gebildet und im Feld galt es daher lediglich den Abstand in Grenzen zu halten. Weitere Angriffe waren nicht zu erwarten und so rollten wir einfach nur dahin. Doch dann stand das Finale durch die hügeligen Gegenden des Beaujolais an und die Situation änderte sich komplett. Einige interessante Fahrer, die auch im Kampf um die Gesamtwertung eine Rolle spielen könnten, machten uns das Leben schwer und versuchten immer wieder, sich vom Feld abzusetzen. Gott sei Dank bekamen wir Unterstützung von Cadel Evans‘ Silence-Lotto-Team und so gelang es zunächst, alle Angriffe abzuwehren. Dennoch war es harte Arbeit und vor allem ziemlich unangenehm, immer wieder beschleunigen zu müssen.
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Als am letzten Anstieg des Tages, knapp 20 Kilometer vor dem Ziel, Joaquim Rodriguez von Caisse d’Epargne attackierte, signalisierten Cesar Grajales und Doug Ollerenshaw, dass sie nicht mehr hinterher gehen konnten. Es lag also, abgesehen von den anderen Teams, nur noch an Fred Rodriguez, Tyler und mir, den Spanier wieder einzufangen. Ich spannte mich gemeinsam mit Fred vor das Feld und versuchte das Tempo des spanischen Meisters zu halten. Aber das Loch vor mir wurde größer und Rodriguez verschwand hinter der nächsten Ecke. Ball peitschte uns über die Ohrstöpsel an: „Gebt nochmal alles Jungs! Wenn ihr an der Bergwertung weniger als 30 Sekunden Rückstand habt, dann können wir ihn während der Abfahrt oder im Flachen zurück holen.“ Genervt riss ich mir die Ohrstöpsel heraus, trat aber trotzdem nochmal heftiger in die Pedale. „Klar geben wir alles! Was glaubst du denn?!“, dachte ich. Oben angekommen hatten wir tatsächlich nur zehn Sekunden auf Rodriguez verloren und so war es ein leichtes, durch geschicktes Windschattenfahren in der Abfahrt wieder heran zu kommen. Das spanische Meistertrikot des Flüchtigen kam näher und bald hatten wir ihn gestellt.
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Trotzdem war die Verfolgungsjagd noch nicht vorbei, denn auch die zehn Ausreißer vom Etappenbeginn fuhren noch immer an der Spitze und konnten an der Bergwertung noch einen Vorsprung von bis zu zwei Minuten aufweisen. Auch dort vorn hatte es in den Weinbergen einige Attacken gegeben und so war die Gruppe in drei Grüppchen zerfallen. Die Führung hatte dabei ein französisches Trio übernommen und es sah ganz danach aus, als könnten Mathieu Ladagnous, Benoit Salmon und Maryan Hary den Sieg unter sich aus machen. Wenn sie dabei mehr als 20 Sekunden Vorsprung auf uns ins Ziel bringen würden, konnte Ladagnous sogar die Gesamtführung übernehmen – und 20 Sekunden würden sie wohl sicher nach Hause bringen. Es war also an uns, dafür zu sorgen, dass Tylers Rückstand nicht zu groß werden sollte. Schließlich ist auch Ladagnous kein schlechter Kletterer. Wer weiß, welch ungeahnte Kräfte der Franzose am Mont Ventoux wird freisetzen können. Kaum hatten wir uns damit abgefunden, das Trikot abgeben zu müssen, da trudelte die Nachricht im Mannschaftswagen ein: Ladagnous war in der Abfahrt gestürzt und in die zweite Gruppe zurück gefallen. Von ihm ging kaum noch eine Gefahr aus. Tyler unterrichtete mich über Balls neue Anweisungen und ich trat in meiner Führungsarbeit etwas kürzer. Am Ende erreichten wir das Ziel mit 1’14 Rückstand auf Etappensieger Maryan Hary und genau 21 Sekunden hinter Ladagnous. Der fdjeux-Fahrer sollte zwar dennoch um drei Sekunden an Tyler vorbei rutschen, doch das war weniger tragisch. Ärgerlicher war, dass Ball den Etappensieger unterschätzt hatte. Er hatte ihn in der Gesamtwertung übersehen und als „ungefährlich“ eingestuft, doch der Etappensieg spülte Hary weit nach vorn – genau genommen um 48 Sekunden an Tyler vorbei ins Gelbe Trikot. Hoffentlich kann der Kerl nicht klettern, sonst wird die Ventoux-Etappe alles andere als ein Selbstläufer!
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Ergebnis - 3. Etappe Paris-Nizza:
1 Maryan Hary Cofidis, le Credit Par Telephone 4h27'21
2 Benoît Salmon Agritubel + 19
3 Mathieu Ladagnous Francaise Des Jeux + 53
4 Stephan Schreck Gerolsteiner s.t.
5 Alessandro Vanotti Liquigas s.t.
6 Michael Barry Team Columbia s.t.
7 Alessandro Petacchi Team Milram s.t.
8 Steve Morabito Astana Cycling Team s.t.
9 René Mandri Ag2r - La Mondiale s.t.
10 José Angel Gómez Gómez Scott - American Beef s.t.
11 Stijn Devolder Quickstep + 1'14
...
23 Rot Rigo Rock Racing s.t.

Gesamtwertung - Paris-Nizza:
1 Maryan Hary Cofidis, le Credit Par Telephone 8h58'29
2 Mathieu Ladagnous Francaise Des Jeux + 45
3 Tyler Hamilton Rock Racing + 48
4 Fabian Cancellara Team CSC - Saxo Bank + 50
5 Steve Morabito Astana Cycling Team + 52
...
12 Rot Rigo Rock Racing + 1'04

RotRigo
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Beitrag: # 6757643Beitrag RotRigo
27.2.2009 - 16:00

12.3.2008 (Saint Etienne) – Freundesfreuden:
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Es ist kälter geworden in Frankreich. Heute zeigte das Thermometer an meinem Rad-Computer während der gesamten Etappe nicht mehr als 4° Celsius an. Von wegen „Rennen zur Sonne“! Wenn man aus Kalifornien hier her kommt, dann hat man eher das Gefühl man bestreite ein Rennen zurück in den Winter. Wenn das morgen so weiter geht, dann wird die Fahrt hinauf zum Ventoux ein absoluter Alptraum. Schon heute retteten lediglich einige Sonnenstrahlen am bisher höchsten Berg der Rundfahrt, dem Col de la Croix de Chaubouret, meine Motivation. Spaß macht es, zumindest mir, bei diesem Wetter nicht. Vor allem, wenn es nicht wirklich etwas zu feiern gibt.

Als an eben jenem Berg rund 25 Kilometer vor dem Ziel zunächst Juan José Cobo Acebo und wenig später auch Michael Rasmussen attackierten, trieb es mich trotzdem wieder zu Höchstleistungen. Urplötzlich war mir die Kälte egal und meine Beine wollten dafür sorgen, dass es vielleicht doch etwas zu feiern geben würde. Ich manövrierte mein Rad durch das Feld und fuhr an die Spitze. Schließlich war mir klar, welch große Gefahr morgen von den beiden Kletter-Assen ausgehen würde, wenn sie schon heute Boden gut machen könnten. Beide liegen in der Gesamtwertung nur 32 Sekunden hinter Tyler beziehungsweise 16 hinter mir und beide besitzen die Fähigkeit uns an einem guten Tag am Berg problemlos abzuhängen. Rasmussen hat nicht umsonst im vergangenen Jahr um den Sieg bei der Tour de France gekämpft, bevor er das Rennen aufgeben musste. Er ist ein Kletterer der Extraklasse. Ihn heute gewähren zu lassen, wäre ein großer Fehler – es wäre, als würden wir den möglichen Gesamtsieg einfach so verschenken. Meine Gedanken wurden wilder und sorgten dafür, dass auch meine Beine sich schneller und kräftiger bewegten.
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An meiner Seite hatten sich mit Cesar und Fred zwei Mitstreiter eingefunden und so führten wir das Feld jetzt zu dritt an. Immer schön abwechselnd ging ein anderer nach vorn und diktierte für einen Moment das Tempo, während sich die anderen beiden an seinem Hinterrad eine kurze Pause gönnen und sich darauf verlassen konnten, dass der Kollege schon alles richtig machte. Doch Rasmussen hatte Cobo an der Spitze inzwischen eingeholt und so konnten auch diese zwei sich abwechseln und gegenseitig anstacheln. Unser psychischer Vorteil war quasi dahin. Dann aber bekamen wir Unterstützung von weiteren Fahrern. Vor allem das Columbia-Team wollte für seinen Kapitän Kim Kirchen, der in der Gesamtwertung eine Sekunde vor mir lag, den Abstand zu Rasmussen und Cobo verkürzen. Auch ihnen wurde die Sache zu heiß, denn auch Kirchen befürchtete scheinbar, am Ventoux einige Sekunden gegen Rasmussen zu verlieren. Die Zahl der führungswilligen Fahrer im Feld wuchs, die Dauer der Verschnaufpausen stieg deutlich an und somit war auch der psychische Vorteil gegenüber dem Ausreißer-Duo wieder hergestellt: Wir waren mehr – sie hatten keine Chance.
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Doch nicht nur psychisch waren die Verschnaufpausen wichtig. Je länger ich mich einfach nur an den Hinterrädern meiner Mitstreiter festklammern musste, desto frischer waren meine Beine, wenn ich selbst vorn zu fahren hatte. Ich konnte ein höheres Tempo veranschlagen. Wir alle konnten ein höheres Tempo veranschlagen. Zu spüren bekamen das nicht nur die beiden Flüchtigen, deren Abstand kontinuierlich zu schmelzen begann, sondern auch diejenigen, die am Ende des Feldes fuhren und einer nach dem anderen reißen lassen mussten. Einen Kilometer vor dem Gipfel des Chaubouret hatten wir es dann schließlich geschafft. Cobo und Rasmussen waren wieder in Sichtweite und wir konnten davon ausgehen, dass wir sie rechtzeitig würden stellen können – was wir sogar noch vor der Bergwertung schafften. Auf der Abfahrt ließ ich dann noch einmal die Beine baumeln und verschenkte einige Positionen an mutigere Downhill-Spezialisten.

Ich hielt ein wenig Abstand zu meinen Vordermännern und schaute mich in der Gruppe um. Das Feld war deutlich geschrumpft und umfasste lediglich noch etwa 40 Mann. Ich hielt Ausschau nach dem Gelben Trikot von Maryan Hary, wurde aber nicht fündig. Stattdessen erkannte ich plötzlich das deutsche Meistertrikot einige Plätze vor mir. Fabian war noch dabei! Sofort kämpfte ich mich zu ihm durch um ein wenig zu quatschen. Er fühle sich gut, ließ er mich wissen und bot schon nach wenigen Sätzen eine kleine Wette an. Er wollte vor mir den Zielstrich überqueren. Kurz musste ich grinsen und fast hätte ich eingeschlagen. Dann aber besann ich mich und wurde vernünftig: „Ne Fabian, lass mal. Es wird zum Sprint kommen und da will ich kein Risiko eingehen. Aber wir können es so machen: Ich wette, dass ich morgen auf dem Ventoux weiter vorn ankomme, als du heute. Okay?“ Fabian musste laut lachen, weil er merkte, dass ich die Idee einer Wette angenommen hatte und lediglich um den Einsatz feilschte. „Okay, alles klar. Der Verlierer zahlt am Sonntag das Abendessen in Nizza!“, rief er mir zu und trat kräftiger in die Pedale. Ich hielt mich von nun an aus allen Scharmützeln raus und versuchte lediglich aus der Ferne immer mal wieder zu beobachten, wo sich das Trikot mit den schwarz-rot-goldenen Streifen herum trieb. Er wuselte in den ersten Reihen hin und her und hielt sich dabei immer in der Nähe von Stefan Schumacher auf. Es war sehr wahrscheinlich, dass Fabian für Stefan den Sprint würde anziehen müssen und so sollte am Ende wohl keine all zu gute Position für ihn heraus springen – die Top 15 sollte ich am Ventoux wahrscheinlich ja auch knacken können.

Dann ging es auf die letzten zwei Kilometer und ich verlor Fabian aus den Augen. Ich orientierte mich mit Tyler am Ende der Gruppe und passte an seiner Seite darauf auf, dass wir beide nicht in irgendwelche Stürze verwickelt wurden. Vorn ging während dessen die Post ab. Tatsächlich war es Fabians Aufgabe, den Sprint für Stefan zu lancieren, aber in der letzten Kurve passierte etwas Unerwartetes. Hinter den beiden rutschte Andrea Tonti, der Anfahrer von Weltmeister Paolo Bettini, aus der Pedale und sorgte dafür, dass eine kleine Lücke ins Feld riss. Genau in diesem Moment beschleunigte Fabian mit voller Kraft und die Lücke wurde zu einem Loch. Meine zwei Ex-Teamkollegen waren plötzlich völlig allein auf weiter Flur und sprinteten dem Ziel entgegen. Wie geplant scherte Stefan aus Fabians Windschatten aus und ging 100 Meter vor dem Ziel vorbei. Er gewann die Etappe und reckte die Arme in den Himmel, aber auch Fabian schob sein Vorderrad gerade noch vor den heranstürmenden Kontrahenten über die Linie und wurde Zweiter. Was für ein Ergebnis für Gerolsteiner!
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Für einen kurzen Moment erinnerte ich mich daran, wie Hans Holczer damals immer durchs Mikrofon gejubelt hatte, wenn einer unserer Jungs einen großen Sieg eingefahren hatte. Es lief mir eiskalt den Rücken herunter und ich wurde fast ein wenig wehmütig. Doch dann klopfte mir Tyler auf die Schulter und holte mich in die Realität zurück. „Good Job, Rot.“, lobte er mich. „Dein Tempo am Berg hat Hary zerstört. Er musste reißen lassen und wir haben das Gelbe wieder. Danke Mann!“ Ich nickte zufrieden und steuerte auf Fabian zu. Ich umarmte ihn und gratulierte zu diesem tollen Ergebnis. Die Wette hatte ich schon ganz vergessen, doch dann erinnerte mich Fabian: „Na viel Spaß beim Etappensieg morgen. Oder soll ich dir lieber gleich viel Glück beim Sparen wünschen? Das Essen in Nizza wird nicht billig…“ Ich grinste und verkündete scherzhaft, aber doch mit breiter Brust, dass er sich keine Sorgen machen brauche: „Am Ventoux zu gewinnen ist die leichteste meiner Übungen!“ Wir verabschiedeten uns und ich bereute schon auf dem Weg zum Mannschaftsbus, was ich gerade gesagt hatte. So sehr ich die Aussage durch meine Art auch selbst ins Lächerliche gezogen hatte, die Worte waren über meine Lippen gekommen. Ich habe davon gesprochen, die Königsetappe von Paris-Nizza zu gewinnen – und das als Edelhelfer von Tyler. Selbst wenn ich die nötige Kraft dazu hätte, wie sollte ich es bitte anstellen, ohne einen Machtkampf im Team zu entfachen?

Ergebnis – 4. Etappe Paris-Nizza:
1 Stefan Schumacher Gerolsteiner 4h28'25
2 Fabian Wegmann Gerolsteiner s.t.
3 Sylvain Chavanel Cofidis, le Credit Par Telephone s.t.
4 Cyril Dessel Ag2r - La Mondiale s.t.
5 Stijn Devolder Quickstep s.t.
6 Iban Mayo Euskaltel - Euskadi s.t.
7 Damiano Cunego Lampre s.t.
8 Yaroslav Popovych Silence - Lotto s.t.
9 Thomas Voeckler Bouygues Télécom s.t.
10 Kim Kirchen Team Columbia s.t.
...
35 Rot Rigo Rock Racing s.t.

Gesamtwertung – Paris-Nizza:
1 Tyler Hamilton Rock Racing 13h27'42
2 Fabian Cancellara Team CSC - Saxo Bank + 2
3 Stefan Schumacher Gerolsteiner + 3
4 Stijn Devolder Quickstep + 13
5 Sylvain Chavanel Cofidis, le Credit Par Telephone + 15
6 Kim Kirchen Team Columbia s.t.
7 Rot Rigo Rock Racing + 16
...
15 Iban Mayo Euskaltel - Euskadi + 31
16 Michael Rasmussen Rabobank + 32
17 Juan José Cobo Acebo Scott - American Beef s.t.
23 Fabian Wegmann Gerolsteiner + 38
26 Cadel Evans Silence - Lotto + 42
35 Damiano Cunego Lampre + 57
37 Carlos Sastre Team CSC - Saxo Bank s.t.
43 Riccardo Riccò Scott - American Beef + 1'13
53 Thomas Dekker Rabobank + 1'59
55 Denis Menchov Rabobank + 2'02

Punktewertung – Paris-Nizza:
1 Sylvain Chavanel Cofidis, le Credit Par Telephone 56
2 Stefan Schumacher Gerolsteiner 45
3 Stijn Devolder Quickstep 41
4 Thor Hushovd Credit Agricole 36
5 Fabian Cancellara Team CSC - Saxo Bank 34

Bergwertung – Paris-Nizza:
1 Oliver Zaugg Gerolsteiner 15
2 Alessandro Vanotti Liquigas 10
3 Joaquin Rodriguez Oliver Caisse d'Epargne 10
Zuletzt geändert von RotRigo am 27.2.2009 - 17:29, insgesamt 1-mal geändert.

Andy92
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Beitrag: # 6757644Beitrag Andy92
27.2.2009 - 16:26

Das riecht ja nach nem weiteren Doppelsieg! :D
Ach schön, so ähnlich muss es sein, wenn die Sportler in die Kamera lächeln, nachdem sie gewonnen haben: Ja, es gab da ne Wette...;)
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RotRigo
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Beitrag: # 6758312Beitrag RotRigo
5.3.2009 - 15:29

:) Na dann hoffe ich, dass ich die Erwartungen mit dem folgenden Bericht von der Königsetappe nicht enttäusche...?

13.3.2008 (Ventoux) – Das Ego-Problem:
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Es ist zwar erst März, aber die Wetterumschwünge geben einem das Gefühl, wir steckten mitten im April. Nach der Kälte und dem Wind von gestern, hatte ich mich heute morgen, als ich aus dem Bett gekrochen bin, schon fest darauf eingestellt, beim Verlassen des Hotels stark zu frieren. Ich packte mich in dicke Klamotten ein, ging zum Frühstück herunter und trat kurz vor die Tür um meinen Verdacht zu bestätigen. Doch in Montelimar hatte es schon um 10 Uhr etwa 10°. Die Temperatur stieg im Verlauf des Tages noch etwas an und so wurde aus der befürchteten Schneeballschlacht am Ventoux letztlich doch ein ganz normales Radrennen. Am Fuß des „Riesen der Provence“, in Bedoin, zeigte mein Rad-Computer sogar 16° an – es war fast sommerlich.

Weil wir es gestern geschafft hatten, Tylers Führungstrikot zu verteidigen und auch ich in der Spitzengruppe das Ziel erreichte, durften wir heute erneut zwei Wertungstrikots unser eigen nennen: Das Gelbe von Tyler und das Weiße auf meinen Schultern. Die Prioritäten waren allerdings klar. Wenn nötig müsste ich das Weiße opfern um das Gelbe zu retten. Ball’s Ansagen waren eindeutig und Tyler somit der unumstrittene Kapitän. Meine Gedanken aus dem Prolog hatten hier heute nichts mehr verloren. Ich musste sie ganz einfach ausknipsen. Der Sieg bei Paris-Nizza wäre für das Team Gold wert und auch wenn Tyler ihn davon tragen würde, so böten sich mir noch genug Möglichkeiten in den kommenden Monaten meine Ansprüche auf die Kapitänsrolle im Juli zu unterstreichen. Wichtig ist, dass wir uns überhaupt erstmal als Mannschaft für die Tour empfehlen. Ich nahm mir am Start also fest vor, heute bis zum Schluss für Tyler zu arbeiten und mich den Mannschaftsinteressen unterzuordnen. Doch da gab es noch ein anderes Problem: Mein Ego. Die Wette mit Fabian sollte zwar eigentlich viel weniger Bedeutung haben, als die Bewerbung für eine Tour-Wildcard, doch sie stachelte mich gehörig an. Ich hatte keine Lust, das Essen am Sonntag in Nizza zu bezahlen. Es ging mir nicht um das Geld, sondern um die Ehre. Ich wollte die Wette gewinnen und irgendwie, so malte ich es mir aus, würde das ja auch unsere Bewerbung voran treiben – schließlich wäre ich dann Etappensieger am Mont Ventoux! Aber rollen wir die Königsetappe von Paris-Nizza chronologisch auf:

Dadurch, dass der Ventoux in der Provence ziemlich allein auf weiter Flur steht, sind Etappen die über ihn hinweg oder auf ihn hinauf führen meist bis zum Fuß des weißen Riesen relativ flach. Das bietet schwächeren Fahrern die Chance, sich in einer Ausreißergruppe weit vom Feld zu entfernen und dadurch mit Vorsprung den Anstieg in Angriff zu nehmen. So fallen sie nicht aus dem Zeitlimit und erreichen unter Umständen sogar ein, für ihre Verhältnisse, ziemlich gutes Ergebnis auf einer Bergetappe. Wie nicht anders zu erwarten, versuchten also auch heute vier Fahrer schon ziemlich früh nach dem Start ihr Glück: George Hincapie (Columbia, Platz 121, +14’03), Wladimir Miholjevic (Liquigas, 123., +14’05), Patrice Halgand (Credit Agricole, 130., +14’23) und Alberto Fernandez Ramos (Scott, 138., +14’52). Das Quartett war aufgrund der großen Rückstände in der Gesamtwertung geradezu prädestiniert dazu, fahren gelassen zu werden und den Ventoux mit einigen Minuten Vorsprung zu erreichen. Im Feld wurde kein allzu hohes Tempo veranschlagt und auch Michael Ball schickte nur gelegentlich Michael Creed, Doug Ollerenshaw und Brock Curry nach vorn um sich an der Führungsarbeit zu beteiligen. Für Tyler, Cesar und mich war ruhiges mitrollen angesagt. Wir mussten hauptsächlich darauf aufpassen, in keinen Sturz verwickelt zu werden und konnten uns die meiste Zeit am Anblick des Mont Ventoux ergötzen, den man dank des guten Wetters während der gesamten Etappe sehen konnte.
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Rund 70 Kilometer vor dem Ziel wurde es dann aber hektisch. Das Tempo im Feld erhöhte sich schlagartig und ich fragte Ball per Funk was los sei. Die Antwort kam sofort: „Angriff von drei Fahrern! Das sind Moncoutie, Dekker und einer von Lampre. Spilak ist es!“ Die Alarmglocken gingen an. Spilak lag lediglich 28 Sekunden hinter Tyler auf Rang 14 der Gesamtwertung und auch Dekker und Moncoutie waren nicht zu unterschätzen. Alle anderen Teams drückten sich vor der Verantwortung und unsere Jungs mussten allein die Verfolgung aufnehmen. Ball wies Cesar an, sich nun ebenfalls an der Jagd zu beteiligen und mir wurde schon zu diesem Zeitpunkt etwas mulmig. Wenn Cesar schon jetzt Kräfte verschleudern musste, konnte er mir dann im Finale überhaupt noch helfen? Ich bereitete mich gedanklich darauf vor, den größten Teil des Ventoux allein an der Spitze fahren zu müssen. Das konnte lustig werden! Das Trio erreichte Bedoin schließlich, trotz unserer Verfolgungsarbeit, mit 1’30 Vorsprung und Tylers Gesamtführung begann bedenklich zu wackeln.
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Bedoin ist ein kleiner Ort an der Westseite des Ventoux. Er schmiegt sich an die Ausläufer des heiligen Berges der Provence und seine Hauptstraße, die in der Ortsmitte eher einem „Sträßchen“ gleicht, ist gesäumt von Cafés und Souvenir-Geschäften. Es dauert nur einige Sekunden bis man im Renntempo die Ortsmitte durchquert hat, aber es war auch heute wieder ein magischer Moment. Von diesem Augenblick an weiß man, dass es ernst wird. Man erreicht den kleinen Kreisel am alten Marktplatz, biegt nach rechts ab und verlässt die Zivilisation um sich in Richtung Mond auf zu machen. Das Ortsausgangsschild ist der Startpunkt einer mörderischen Klettertour über 21 Kilometer und 1.600 Höhenmeter. Doch zunächst merkt man davon nicht viel. Die ersten Kilometer führen bei relativ niedrigen Steigungsprozenten geradewegs durch die Landwirtschaftsgebiete der Gegend und man läuft Gefahr, wenn man die Gegend nicht kennt, sich zu weit hinten im Feld aufzuhalten. Dann geht meistens am Waldrand die Post ab und man verpasst den richtigen Zug. Also jagten Tyler und ich auf den recht breiten Straßen im Zick-Zack-Kurs durch das Feld nach vorn. Es war ein harter Kampf, aber wir erreichten unser Ziel, die ersten drei Reihen des Feldes, gerade noch rechtzeitig, bevor die Bäume ihren Schatten auf die Straße werfen und der Asphalt sich immer steiler in den Wald hinein bohrt. Den Startschuss für das Bergrennen am „Col de Tempetes“ gab, wie erwartet, die Kehre von Saint-Estève, wo sich Landwirtschaft und Forstwirtschaft die Hand reichen. Iban Mayo blickte sich auf der rechten Straßenseite kurz um, ging aus dem Sattel und trat mit voller Kraft in die Pedale. Problemlos entfernte er sich vom Feld, wo nun abermals das Tempo erhöht wurde und diejenigen, die am Berg Probleme haben, sich endgültig verabschieden mussten. Außer Tyler und mir war nur noch Cesar vorn dabei und ich bekam schon Angst, dass ich bereits jetzt die Führung würde übernehmen müssen. Doch dann meldete sich Fabian an meiner Seite. „Hey Rot, wir wollen ja nicht, dass du schon hier unten unsere Wette verlierst, oder?“, rief er mir zu und übernahm tatsächlich die Führungsarbeit. Ich war perplex. Gerolsteiner hatte außer Stefan Schumacher niemanden dabei, der am Ventoux auch nur den Hauch einer Chance hatte um den Sieg zu kämpfen und trotzdem nahm Fabian die Verfolgung von Mayo auf. Das war ein Freundschaftsdienst, keine Frage!
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Gemeinsam mit Cesar schaffte Fabian es tatsächlich, den Vorsprung von Iban Mayo in Grenzen zu halten und ihn schließlich sogar zurück zu holen. Auch die nächsten Angriffe von Chavanel, Szmyd, Rodriguez und sogar Rasmussen konnte das Duo abwehren, ohne dass ich selbst in die Führung einsteigen musste. Ich fuhr an dritter Position und kontrollierte lediglich das Tempo um die beiden bei Bedarf nochmal etwas anzustacheln. Dann holten wir Moncoutie ein und kamen auch immer näher an Spilak und Dekker heran. Fabian und Cesar pfiffen allerdings inzwischen aus dem letzten Loch und als das tschechisch-holländische Duo in Sichtweite war, ging ihnen die Puste endgültig aus. Ausgerechnet in diesem Moment versuchte Juan Jose Cobo Acebo von Scott sein Glück und setzte die nächste Attacke. Er flog an Spilak und Dekker vorbei, ließ Mayo, Cunego und Devolder, die sich an sein Hinterrad hängen wollten, stehen und flog uns davon. Ich übernahm die Führung im nur noch 30 Mann starken Feld und versuchte Cobo immer in Sichtweite zu halten. Als ich meinen Rhythmus gefunden hatte und Cobo sich nicht mehr weiter zu entfernen schien, kontaktierte ich Michael Ball um zu erfahren, was mit Cesar und Fabian passiert war und vor allem, wo Tyler sich momentan befand – ihn hatte ich schon seit einigen Kilometern nicht mehr an meiner Seite gesehen. „Cesar und dein Kumpel sind bei der Attacke von Cobo explodiert. Die beiden kannst du jetzt vergessen. Die kommen nicht mehr zurück. Tyler ist da. Er hält sich weiter hinten auf und beobachtet das Geschehen. Mach so weiter. Hol Cobo zurück!“, antwortete mein Chef. „Alles klar“, dachte ich. Für einen kurzen Moment hatte ich gehofft, dass Tyler nicht mehr dabei war und ich nun unser Mann für die Gesamtwertung sein würde, aber ich hatte mich getäuscht. Tyler zeigte keine Schwäche, sondern versuchte am Ende unserer Gruppe lediglich seine Kontrahenten zu beobachten.
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Die folgenden zwei Kilometer hin zum Chalet Reynard und auch die ersten 1000 Meter nach der Skistation waren nicht mehr ganz so steil. Die Steigungsangaben auf dem Streckenprofil fielen unter neun Prozent und die kurze Erholungsphase kam mir entgegen. Vor allem die 300 komplett flachen Meter am Chalet konnte ich nutzen um neue Kraft zu tanken und danach den Rückstand auf Cobo wieder zu verkleinern. Zwar hatte ich Angst, dass im Moment des Zusammenschlusses ein weiterer Angriff, zum Beispiel von Cobos Teamkollege Riccardo Ricco, folgen würde, doch das half nichts. Cobo bedrohte das Gelbe Trikot und deshalb hatte seine Verfolgung höchste Priorität. Ich schloss die Lücke in der Mondlandschaft der kahlen letzten sechs Kilometer des Anstiegs und war ein wenig erstaunt, dass niemand an mir vorbei geschossen kam. Dann erblickte ich ein Vorderrad an meiner Seite und wollte fast schon aus dem Sattel gehen um den Angriff abzuwenden, als Tyler mich ansprach: „Das war großartig, Rot. Die sind alle am Ende. Keiner traut sich zu attackieren. Super!“ Tyler hatte sich zu mir nach vorn begeben um mich zu loben und er hatte scheinbar recht. Keiner attackierte – alle hatten genug damit zu tun, meinem Tempo zu folgen. Für einen kurzen Moment dachte ich daran, dass ich vielleicht tatsächlich stark genug war um meine Wette gewinnen zu können, doch dann riss mich Tyler mit einem weiteren Satz aus den Träumen. „Die vier Jungs da vorne werden wir zwar nicht mehr einholen können, aber der Etappensieg sollte uns heute sowieso egal sein.“

Die vier Jungs da vorne? Richtig! Die hatte ich ganz vergessen! Hincapie, Miholjevic, Halgand und Ramos, die vier Ausreißer von heute Vormittag lagen ja noch immer an der Spitze. Sie waren mit knapp sieben Minuten Vorsprung nach Bedoin gekommen und hatten sich bis jetzt problemlos behaupten können. Der Spanier Ramos hatte seine Begleiter inzwischen abgeschüttelt und lag drei Kilometer vor dem Ziel noch immer weit über drei Minuten vor uns. Der Sieg sollte ihm nicht mehr zu nehmen sein und meine Wette war somit verloren.
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Trotz der Enttäuschung, dass ich eine so große Chance – schließlich war ich offensichtlich einer der stärksten im Feld – nicht nutzen konnte, weil wir die Ausreißer unterschätzt hatten, durfte ich meine Beine nicht hängen lassen. Sobald ich den Druck verringerte wuchs automatisch die Gefahr eines erneuten Angriffs auf Tyler. Ich pedalierte weiter wie bisher, demonstrierte meine Stärke und festigte mein Ego dadurch, dass weiterhin niemand an mir vorbei fahren wollte beziehungsweise konnte. Dann aber brachen die letzten zwei Kilometer an und es fand sich doch noch ein Fahrer, der genug Kraftreserven hatte: Carlos Sastre. Der Spanier von CSC-Saxo Bank stiefelte ungefähr auf Höhe des Tom Simpson-Gedenksteins an mir vorbei und ließ uns alle alt aussehen. Er raste davon und wir sollten ihn erst im Ziel wiedersehen.
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Sastre hatte 57 Sekunden Rückstand auf Tyler mit in die Etappe gebracht und bei seinem Antritt befürchtete mein Teamkollege nun scheinbar, dass der Spanier ihn ernsthaft in Gefahr bringen würde. Auch er beteiligte sich jetzt an der Führungsarbeit und sorgte dafür, dass der Abstand nicht zu groß wurde. Wir kämpften gemeinsam um jede Sekunde und rund 300 Meter vor dem Ziel kam der erlösende Funkspruch von Ball: „Sastre ist durch, aber Tyler sollte in Gelb bleiben, wenn ihr jetzt keinen Scheiß mehr macht!“ Der Druck fiel wie ein großer Stein von uns herab und irgendwie schien dadurch auf den letzten Metern die nötige Spannung in den Muskeln zu fehlen. Wir erreichten die letzte Rechtskurve, an der sich die Straßen aus Bedoin und Maulacene treffen, und urplötzlich war der Saft sowohl bei Tyler als auch bei mir leer. Wir wurden übersprintet und schafften es schließlich nur als 14. beziehungsweise 21. ins Ziel – ich zwei Sekunden vor Tyler.
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Ich hatte meine Wette verloren, aber Tylers Trikot verteidigt. Es war ein Erfolg für das Team, und höchstens eine kleine Niederlage für mein Ego. Immerhin war ich, abgesehen von Sastre, „heute der Stärkste Mann im Feld“ – wie Michael Ball im Ziel konstatierte. Es war ein guter Tag.

Ergebnis - 5. Etappe Paris-Nizza:
1 Alberto Fernández Ramos Scott - American Beef 4h46'25
2 Patrice Halgand Credit Agricole + 1'07
3 George Hincapie Team Columbia + 1'43
4 Wladimir Miholjevic Liquigas + 1'48
5 Carlos Sastre Team CSC - Saxo Bank + 2'01
6 Stijn Devolder Quickstep + 2'24
7 Kim Kirchen Team Columbia s.t.
8 Amaël Moinard Cofidis, le Credit Par Telephone s.t.
9 Juan José Cobo Acebo Scott - American Beef s.t.
10 Rémi Pauriol Credit Agricole + 2'26
11 Sylvain Chavanel Cofidis, le Credit Par Telephone + 2'27
12 Joaquin Rodriguez Oliver Caisse d'Epargne s.t.
13 Thomas Dekker Rabobank s.t.
14 Rot Rigo Rock Racing + 2'28
15 Iban Mayo Euskaltel - Euskadi s.t.
16 Sylvester Szmyd Lampre s.t.
17 Riccardo Riccò Scott - American Beef s.t.
18 Damiano Cunego Lampre s.t.
19 Michael Rasmussen Rabobank + 2'29
20 Patxi Vila Lampre s.t.
21 Tyler Hamilton Rock Racing + 2'30
22 Igor Anton Hernandez Euskaltel - Euskadi + 2'32
23 Janez Brajkovic Astana Cycling Team + 3'08
24 Cyril Dessel Ag2r - La Mondiale + 3'14
25 Johann Tschopp Bouygues Télécom + 3'19
26 Stefan Schumacher Gerolsteiner s.t.
27 Pierre Rolland Credit Agricole + 3'21
28 Simon Spilak Lampre s.t.
29 Konstantin Siutsou Team Columbia s.t.
30 Antonio Colom Mas Astana Cycling Team s.t.

Gesamtwertung - Paris-Nizza:
1 Tyler Hamilton Rock Racing 18h16'37
2 Stijn Devolder Quickstep + 7
3 Kim Kirchen Team Columbia + 9
4 Sylvain Chavanel Cofidis, le Credit Par Telephone + 12
5 Amaël Moinard Cofidis, le Credit Par Telephone + 14
6 Rot Rigo Rock Racing s.t.
7 Juan José Cobo Acebo Scott - American Beef + 26
8 Carlos Sastre Team CSC - Saxo Bank + 28
9 Iban Mayo Euskaltel - Euskadi + 29
10 Michael Rasmussen Rabobank + 31
11 Sylvester Szmyd Lampre + 34
12 Patxi Vila Lampre s.t.
13 Joaquin Rodriguez Oliver Caisse d'Epargne + 39
14 Rémi Pauriol Credit Agricole + 41
15 Stefan Schumacher Gerolsteiner + 52

Punktewertung - Paris-Nizza:
1 Sylvain Chavanel Cofidis, le Credit Par Telephone 66
2 Stijn Devolder Quickstep 56
3 Stefan Schumacher Gerolsteiner 45
4 Kim Kirchen Team Columbia 39
5 Amaël Moinard Cofidis, le Credit Par Telephone 36

Bergwertung - Paris-Nizza:
1 Alberto Fernández Ramos Scott - American Beef 21
2 George Hincapie Team Columbia 20
3 Wladimir Miholjevic Liquigas 17
4 Oliver Zaugg Gerolsteiner 15
5 Patrice Halgand Credit Agricole 15
Zuletzt geändert von RotRigo am 5.3.2009 - 23:08, insgesamt 1-mal geändert.

Gerrit
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Beitrag: # 6758319Beitrag Gerrit
5.3.2009 - 16:11

Einer der besten Berichte die ich je gelesen habe. Du bist einfach auf jedes Detail eingangen, da hat es sich gelohnt so lange zu warten. Das war ein Bericht erster Klasse, und die Screens, haben mir ebenfalls sehr gefallen. Vor allem der erste ist super !

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Beitrag: # 6758325Beitrag Krypton
5.3.2009 - 16:34

Auch von mir ein großes Kompliment, habe am Ende auch ganz vergessen gehabt, dass noch 4 Ausreißer unterwegs waren und dachte, dass Rot sich das Ding holen würde :)
Wie auch immer, der AAR ist klasse und ich hoffe, du behältst ihn noch lange bei
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Beitrag: # 6758361Beitrag juri
5.3.2009 - 22:30

RotRigo hat geschrieben:...wie Michael Ball im Ziel konsternierte. Es war ein guter Tag.
Sorry, ist nicht böse gemeint...ich fand den Verschreiber (?) blos zu amüsant...du meintest "..konstatierte..." oder? :D Konsterniert ist aber auch geil :lol:

Aber natürlich auch von mir ein Lob für den tollen Bericht!

RotRigo
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Beitrag: # 6758366Beitrag RotRigo
5.3.2009 - 23:10

Oh danke... Dummer Fehler und wieder was gelernt. :oops:

RotRigo
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Beitrag: # 6758753Beitrag RotRigo
9.3.2009 - 19:09

14.3.2008 (Sisteron) – Entlastungsarbeit a la Ball:
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Von Athen des Paluds, westlich des Mont Ventoux, machte die Strecke heute einen großen Bogen um die Südseite des heiligen Berges. Nachdem wir Col de Murs und Col de Javon überquert hatten, konnten wir an der Cote de Sault die „Mondlandschaft“ noch einmal aus südöstlicher Richtung bewundern und dann ging es geradewegs nach Osten zum Etappenziel in Sisteron. Als ich in Sault den Abzweig in Richtung Chalet Reynard sah, war ich froh, dass wir heute nicht nochmal hinauf mussten. Egal wie stark ich gestern gewesen war – erstens hätte es heute schon wieder ganz anders aussehen können und zweitens ist eine derartige Kletter-Partie so gut wie nie wirklich angenehm. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich jemals auf einen schweren Anstieg richtig freuen werde. Zu groß sind die Schmerzen, die man dort erleidet.

Damit die Nachwehen von gestern heute etwas gelindert werden konnten, hatte Michael Ball sich etwas ganz besonderes ausgedacht. Er wollte das Team davor schützen, die Führungsarbeit im Feld verrichten zu müssen. Eigentlich war das ein netter Gedanke, doch es bedeutete auch, dass einer unserer Jungs heute in eine Spitzengruppe gehen sollte. „Angriff ist die beste Verteidigung!“, begründete Ball seine Idee. Einer musste sich also opfern, damit die Regeneration der anderen besser voranschreiten konnte. Das sind die Momente, die zeigen, dass Radsport ein Teamsport ist, aber eben auch die Momente, in denen ich mich bei der Mannschaftsbesprechung am liebsten unsichtbar machen würde. „Bitte nicht ich“, dachte ich mir, als uns Ball seinen Plan offenbarte. Aber eigentlich hatte ich wenig zu befürchten. Angesichts meines geringen Rückstandes in der Gesamtwertung wäre eine Gruppe, der ich beiwohnen würde, ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen. Das sah auch mein Chef offenbar so und daher konnte ich mich nach einem kurzen Moment der inneren Unruhe wieder entspannen. Fred Rodriguez hatte die Aufgabe zugetragen bekommen. Ich war erleichtert, aber mein Mitleid für den Amerikaner hielt sich in Grenzen. Mein Gewissen war überzeugt davon, dass ich auch kein Mitgefühl zu zeigen hatte. Schließlich habe ich ja bereits gestern alles gegeben, während er sich ausruhen konnte – dass man von „ausruhen“ am Ventoux niemals sprechen kann, verdrängte ich in diesem Moment geschickt.

Wie geplant attackierte Fred bereits ein ganzes Stück vor dem Anstieg zum Col de Murs um keine Kletterer auf die Idee zu bringen, ihm hinterher zu steigen. Das hätte unseren Plan schließlich durchkreuzen können. Es funktionierte. Mit Peter Wrölich und Wladimir Bileka fanden sich zwei Begleiter, die in der Gesamtwertung sogar noch hinter Fred postiert waren und so entstand eine Situation, die komfortabler nicht hätte sein können: Wir müssten keinen Meter Nachführarbeit leisten, egal wie groß der Vorsprung werden sollte. Im schlimmsten Fall hätte einfach Fred die Gesamtführung von Tyler übernommen.
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Doch dazu sollte es nicht kommen. Zwar baute das Trio seinen Vorsprung auf dem Weg nach Sault recht schnell aus, doch mehr als neun von 14 Minuten Gesamtrückstand konnten sie zu keinem Zeitpunkt aufholen. Auf den relativ flachen letzten 90 Kilometern schmolz der Abstand dann wieder kontinuierlich zusammen und als 40 Kilometer vor dem Ziel die Sprinter-Teams begannen ernst zu machen, war der Tag für Fred gelaufen. Er hatte seinen Job ideal durchgezogen, aber er war ziemlich am Ende, als das Trio 17 Kilometer vor dem Ziel gestellt wurde. Sofort wurde er durchgereicht und schon kurze Zeit später verlor er den Anschluss ans rasend schnelle Peloton. Am Ende sollte er mit 3’10 Rückstand auf Platz 146 im Ziel eintrudeln – total entkräftet und ziemlich unsicher ob eine Fortsetzung der Fernfahrt am morgigen Tag für ihn überhaupt noch Sinn machen würde. Tyler klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und bedankte sich: „Good job, Fred! The team thanks you!” Fred schaute auf, lächelte und nickte. Ja, die Stimmung in unserem Team ist wirklich gut.

Noch besser könnte sie allerdings sein, wenn die Zielgerade 200 Meter kürzer gewesen wäre. Denn dann hätten wir nach der tollen Vorstellung von Rodriguez sogar noch einen Etappensieg zu feiern gehabt. Nachdem Milram, Quick Step und Credit Agricole das Feld auf die Zielgerade geführt hatten, eröffnete Mario Cipollini den Sprint sehr früh und konnte sogar eine kleine Lücke zu den Konkurrenten reißen. Er hatte einen guten Moment erwischt und alle überrascht, aber am Ende fehlte dem „alten Mann“ doch die nötige Ausdauer um sich an der Spitze behaupten zu können. Sowohl seine Landsmänner Petacchi und Pozzato, als auch der Franzose Feillu und Thor Hushovd aus Norwegen flogen an Mario vorbei und so wurde unser Top-Sprinter Etappenfünfter. Den Sieg sicherte sich Credit-Agricole-Hüne Hushovd mit einer Radlänge Vorsprung vor Feillu.
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Dafür, dass unser Rock-Racing-Victory-Counter heute trotzdem von 14 auf 15 nach oben geschraubt wurde, sorgte Rahsaan Bahati in Portugal. Er setzte sich auf der zweiten von vier Etappen bei der Santarem-Rundfahrt gegen Caethoven, Duque und Hutarovich durch. Ein starker Auftritt von ihm und vor allem schon jetzt eine sehr starke Saison-Bilanz für das Team. 15 Siege und gerade mal Anfang März – wenn das keine gute Bewerbungs-Grundlage für die ASO ist, dann weiß ich auch nicht…

Ergebnis - 6. Etappe Paris-Nizza:
1 Thor Hushovd Credit Agricole 4h20'29
2 Romain Feillu Agritubel s.t.
3 Filippo Pozzato Liquigas s.t.
4 Alessandro Petacchi Team Milram s.t.
5 Mario Cipollini Rock Racing s.t.

Gesamtwertung - Paris-Nizza:
1 Tyler Hamilton Rock Racing 22h37'06
2 Stijn Devolder Quickstep + 7
3 Kim Kirchen Team Columbia + 9

Punktewertung - Paris-Nizza:
1 Sylvain Chavanel Cofidis, le Credit Par Telephone 66
2 Thor Hushovd Credit Agricole 64
3 Stijn Devolder Quickstep 56

Bergwertung - Paris-Nizza:
1 Alberto Fernández Ramos Scott - American Beef 21
2 George Hincapie Team Columbia 20
3 Wladimir Miholjevic Liquigas 17


Ergebnis - 2. Etappe Santarem-Rundfahrt:
1 Rahsaan Bahati Rock Racing 4h16'13
2 Steven Caethoven Agritubel s.t.
3 Leonardo Duque Cofidis, le Credit Par Telephone s.t.
4 Yauheni Hutarovich Francaise Des Jeux s.t.
5 Mikel Gaztanaga Echevarria Agritubel s.t.

Gesamtwertung - Santarem-Rundfahrt:
1 Rahsaan Bahati Rock Racing 8h56'46
2 Leonardo Duque Cofidis, le Credit Par Telephone s.t.
3 Steven Caethoven Agritubel + 20


Rock-Racing-Victory-Counter: 15

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