Wodka, Nutten und das Maillot Jaune

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

sciby
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Wodka, Nutten und das Maillot Jaune

Beitrag: # 6830603Beitrag sciby
4.9.2010 - 16:45

Ich würde hier gerne einen AAR beginnen. Nachdem der RSM 10 nun endlich spielbar zu sein scheint, wird es wieder ein mehr oder weniger klassischer AAR mit Grundlage auf einer Karriere mit (hoffentlich) fantastischer Geschichte um die Hauptperson.

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„Ruslan, wo bist du?“
„King's Club. Warum fragst du, Papa?“
„Ich bin gerade in St. Moritz eingetroffen.“
„Was machst du denn hier? Bist du nicht zu alt für so etwas?“
„Ich zu alt?! Für so etwas ist man nie zu alt. Aber ich bin nicht zum Feiern hier. Ich muss mich mit Franco Giattini treffen. Wichtige Geschäfte für neue Beziehungen nach Italien. Du verstehst?“
„Natürlich. Doch wieso rufst du dann mich an?“
„Ich würde dich gerne gleich sehen. Wir haben etwas wichtiges zu besprechen.“
„Jetzt? Geht das nicht Morgen?“
„Morgen früh treffe ich mich mit Franco und mein Flug nach St. Petersburg geht bereits um 11 Uhr. Wie ich dich kenne schaffst du es nicht vor 15 Uhr aufzustehen.“
„Aber was soll ich mit Lucy und Silvetta machen?“
„Mein Junge, du bist wie ich vor 30 Jahren. Gib den Schlampen ein bisschen Geld und den Schlüssel zu deinem Hotelzimmer. Sie werden auf dich warten.“
„Deine Vorschläge sind immer noch die besten. Wo treffen wir uns?“
„Kempinski. Sei in der nächsten halben Stunde in der Lounge.“
„Alles klar. До скорого!“
„Komm nicht zu spät! До скорого!“

Ich musste mich beeilen. Lucy bekam den Schlüssel, Silvetta 500€. Ich ging kurz an der Bar vorbei und nahm mir eine Dose Red Bull mit. Ich wusste nicht, was so wichtig sein sollte, aber ich wollte auf jeden Fall wach sein. Mein Chauffeur Sergio wusste anscheinend schon Bescheid und wartete bereits mit offener Tür am Bentley. Als er mich sah schmiss er seine Zigarette schnell auf den Boden, denn nichts hasse ich mehr als den Rauch von brennendem Tabak. Als Sportler kann ich es mir nicht erlauben auch nur ein einziges Mal meine Lunge davon schädigen zu lassen.
Sergio ist mein treuester Mann. Wenn es etwas zu erledigen gibt, braucht man ihm nur etwas Trinkgeld zuzustecken und in wenigen Sekunden ist das Problem beseitigt. Sein Vater arbeitete bereits für meinen, bis dieser tragisch zu Tode kam. Als Dank für seine hervorragenden Dienste bekam sein Sohn dann den Job bei mir.

„Wollen Sie sich so mit Ihrem Vater treffen? Ihr Hemd ist ganz verschwitzt. Auf dem Rücksitz befindet sich ein neuer Anzug. Sie können sich während der Fahrt umziehen.“
Mit einem kleinen Schein bedankte ich mich beim Einsteigen für die Aufmerksamkeit. Prada, maßgeschneidert! Ich begann mich umzuziehen und entdeckte einen goldenen Kugelschreiber in der Brusttasche des Hemdes. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Anscheinend war es wirklich extrem wichtig was mein Vater mit mir bereden wollte.
„Sie sind eingeweiht oder, Sergio? Komm verraten Sie es mir!“
„Ich weiß von nichts.“
Ich wedelte mit mehreren Geldscheinen vor seinem Innenspiegel, doch auch das konnte ihn nicht überreden.
„Es tut mir Leid Ruslan. Ich versprach Ihrem Vater nichts zu verraten.“
Sergio konnte schweigen wie ein Grab, wenn es sein Auftrag so von Ihm verlangte. Ich war neugierig und wurde immer aufgeregter je näher wir dem Kempinski Hotel kamen. Als wir endlich vor dem Eingang vorfuhren, öffnete nicht Sergio sondern der Portier die Türe des Bentleys.
„Herr Goichev, wir sind erfreut Sie in Unserem Haus begrüßen zu dürfen und haben Sie bereits erwartet. Bitte folgen Sie mir zu Ihrem Vater.“
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Stef98
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Beitrag: # 6830639Beitrag Stef98
4.9.2010 - 19:25

hört sich gut an werde ich weiterverfolgen

sciby
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Beitrag: # 6830660Beitrag sciby
4.9.2010 - 21:38

Der Portier führte mich in einen Seminarraum hinter der Lounge. Mein Vater und zwei Männer saßen am Tisch und diskutierten. Wie ich hören konnte ging es um Geld und Kredite. Erst als der Portier sie darauf aufmerksam machte, dass ich den Raum betreten hatte, stand mein Vater auf und begrüßte mich.
„Schön, dass du gekommen bist. Ich möchte dir Andrej Tschmil und seinen Anwalt vorstellen. Ich denke du kennst ihn bereits, nicht wahr?“
„Herr Tschmil, es freut mich sehr Sie kennen zu lernen. Sie waren einer der ersten Radprofis, der unser Land auf den Weg zu einer Radsportnation führte.“
Er schaute etwas verwundert, doch stand dann ebenfalls auf und begrüßte mich.
„Ich bin ebenso erfreut, Herr Goichev Junior. Doch Russland ist noch längst keine Radsportnation. Ich hoffe jedoch, dass ich dazu einen wichtigen Beitrag leisten kann. Sie könnten mir dabei behilflich sein.“
„Inwiefern?“
„Setzen wir uns doch zunächst einmal.“
Ich wusste, dass Herr Tschmil Teammanager des Katjusha Teams ist, doch in dem Moment konnte ich es nicht wirklich fassen. Ich dachte gar nicht an die Möglichkeit, dass er mir auch nur im weitesten Sinne einen Vertrag anbieten wollte.
„Bevor du dich setzt, Ruslan, streichen wir das Sie. Unter guten Geschäftspartnern und Freunden duzt man sich. Du bist doch damit einverstanden, Andrej?“
„Von mir aus. Setz' dich Ruslan.“
Ich setzte mich gegenüber der beiden. Mein Vater nahm neben mir Platz.
„Es ist schon spät und dein Vater hat leider nur selten Zeit. Er wollte unbedingt dabei sein. Also machen wir schnell und kommen direkt zur Sache. Wir haben dich bereits seit zwei Jahren beobachtet und waren beeindruckt wie du fast jedes Rennen in Russland bestimmt hast. Dein Vater hat nun den Kontakt zu uns hergestellt und wir würden uns freuen wenn du im nächsten Jahr für unser Team fahren würdest. Bisher bist du ja nur für kleine russische Teams gefahren. Ich denke bei uns bist du besser aufgehoben. Was sagst du?“
So wortgewandt ich sonst immer bin, aber in diesem Augenblick fehlten mir einfach die Worte.
„Ich glaube, das heißt ja“, funkte mein Vater dazwischen.
„Ich kann für mich selber sprechen. Ich fühle mich geehrt von diesem Angebot. Natürlich nehme ich es unter jeglichen Umständen an.“
„Wir haben bereits mit deinem Vater die Modalitäten geklärt. Es wäre ein Zwei-Jahresvertrag. Ich denke, das Gehalt sollte nicht die größte Rolle spielen. Du müsstest nur noch unterschreiben, am besten gleich jetzt, denn wir sind schon spät dran. Normalerweise war unsere Kaderplanung längst abgeschlossen, aber weil du es bist kannst du auch noch jetzt im Dezember unterschreiben.“
„Das wäre wundervoll. Da kann ich nicht nein sagen. Wo muss ich unterschreiben?“
„So gefällt mir das.“
Sein Anwalt holte ein paar Papiere aus einem Koffer und ich holte den goldenen Kugelschreiber, den ich von Sergio bekommen hatte, aus der Hemdtasche. Er zeigte mir, wo ich zu unterschreiben hatte, doch wie ich von meinem Vater gelernt hatte las ich mir zunächst alles aufmerksam durch. Mein Vater erzählte mir oft von den Tricks der Geschäftsleute, die in jedem noch so unscheinbarem Satz wichtige Informationen verstecken, so dass sich die Konditionen schlagartig ändern.
Doch wie ich erwartet habe war alles in bester Ordnung. Ich setzte den Stift an.

„Ich bin erfreut nun für Ihr Team … Moment einmal.“
Ich stutzte über den letzten Satz des Dokuments, der unter dem Unterschriftsfeld stand.
'Damit begrüßen wir Sie herzlich bei Itera-Katjuscha'
Itera? Zunächst ging ich von einem Fehler aus, doch dann prüfte ich den Rest des Formulars und anscheinend hatte ich in all' der Vorfreude überlesen, dass es sich nicht um das Pro-Tour Team, sondern um eines der Farmteams handelte. Vor lauter Wut zerriss ich das Papier und schmiss den Stift in Richtung meines Vaters.
Andrej sprang auf und ihm war anzumerken, dass er im nächsten Moment auf mich los gegangen wäre, doch mein Vater packte mich und versuchte mich zu beruhigen.
„Was ist in dich gefahren? Willst du diese große Chance einfach so ausschlagen? Wofür mache ich den Scheiss hier eigentlich?!“
„Itera, Papa. Das ist das Continental-Team. Für junge russische Fahrer, die noch nichts geleistet haben. Ich bin bereits erfolgreich und gehöre in die Pro-Tour. Das lasse ich nicht mit mir machen. Kläre das oder...“
„Oder was? Oder ich streiche dir all' das Geld? Dann kannst du mal zusehen wie du klarkommst. Dann ist da nichts mehr mit den ganzen Diskotheken und Feiern.“
„Papa, du weißt, dass es mein Traum ist. Du wolltest ihn mir ermöglichen...“
„Ich war dabei, doch du machst alles kaputt. Raus mit dir, паразит!“
Wütend rannte ich heraus und stieß dabei zwei Stühle um und knallte die Türe zu. In der Lounge schauten alle auf mich. Der Hotelmanager kam auf mich zu als ich mich an die Bar setzen wollte.
„Ruslan, du willst doch nicht deine Wut wieder in Alkohol ertränken...“
„Gibt es eine andere Möglichkeit Herr Müller?“
„Durchaus. Du weißt, dass dein Vater alles für dich tut. Ich kenne ihn bereits länger als du. Ich kannte auch deine Mutter. Er tut alles nur wegen Ihr. Er erfüllt dir jeden Wunsch und das weißt du auch.“
„Mama.... Mein Wunsch ist ein Vertrag in einem Pro-Tour Team, nicht bei diesem unterklassigen Junioren-Team.“
„Habe Vertrauen in deinen Vater. Ich gehe davon aus, dass er es regeln wird. Vielleicht kann ich dir zeigen was ich meine.“
„Wie willst du das tun?“
„Folge mir, aber du musst dieses Geheimnis für dich behalten. Ich hoffe, ich kann dir vertrauen.“
„Ich habe mit Sergio das beste Vorbild in Sachen schweigen. Ich sage niemandem etwas.“
„Gut. Hier geht’s lang.“

Ich musste schon lange nicht mehr an Mutter denken. Wie Herr Müller war auch sie aus Deutschland. Mein Vater lernte sie vor 25 Jahren auf einer Geschäftsreise in Frankfurt kennen. Ein Jahr später heirateten sie. Zwei Jahre nach der Hochzeit kam ich zur Welt und meine Mutter verließ dieselbige. Sie starb bei meiner Geburt. Es gab Komplikationen und die Ärzte konnten nur noch mein Leben retten.
Für meinen Vater konnte es immer nur das beste vom Besten sein, doch ich sollte unbedingt in Russland geboren werden und so schlug er meiner Mutter den Wunsch, mich in Deutschland zur Welt zu bringen, aus und ich wurde in St. Petersburg geboren. An meinem 18. Geburtstag erzählte mir mein Vater, dass er es noch immer bereut und glaubt, dass meine Mutter bei deutschen Ärzten noch am Leben wäre.
Seit dem Tod meiner Mutter hatte er nie wieder Glück bei Frauen. Alle wollten nur an sein Geld. Ich würde alles dafür hergeben meine Mutter kennen gelernt zu haben. Mein Vater erzählte mir in meiner Kindheit fast täglich wie schön, toll und warmherzig sie war. Trotzdessen muss ich zugeben, dass ich eine wunderbare Kindheit genossen habe und das Leben in Saus und Braus voll und ganz genieße. Mir fehlt nur noch eine Sache zum absoluten Glück. Radprofi in der Pro-Tour. Dafür hätte ich sogar mein derzeitiges Leben aufgegeben.

Herr Müller zeigte mir in einem engen Treppenhaus eine unscheinbare Tür, die als Notausgang gekennzeichnet war. Sie war verschlossen. Ich wunderte mich warum ein Notausgang abgeschlossen ist, doch als Herr Müller mit dem einzigen Schlüssel die Tür aufschloss und wir einem schmalen Gang folgten war mir klar wieso man diese Tür nicht einfach für jeden offen lässt.
Wir befanden uns in einem Raum mit einem großen Fenster, durch welches man jedoch nicht gucken konnte, da es komplett milchig war. Herr Müller steckte einen Schlüssel in eine Vorrichtung an der Seite und das Glas wurde klar. Ich konnte nicht glauben, was ich dann sah.
Ich erkannte meinen Vater und Andrej Tschmil in dem Konferenzraum, in dem auch ich zuvor war.
„Ist das legal?“
„Ich denke nicht, aber es ist besser wenn du keine Fragen stellst. Du kannst sie auch hören. Drück mal hinter dir den grünen Knopf. Und bitte: Du weißt nichts von diesem Raum.“
„Welcher Raum?“
Ich drückte den Knopf.
„Putin sagte mir, dass das Team auf einer soliden finanziellen Stütze liegt. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass der ein oder andere Euro mehr nicht schaden kann.“
„Nunja, da haben Sie Recht.“
„Herr Tschmil, wir können kein Geld unter dem Tisch annehmen.“
„Das meinte ich doch gar nicht. Ich würde ihr Team mit meiner Firma unterstützen. Als ganz normaler Co-Sponsor. Ein kleines Logo auf dem Trikot ist noch nicht mal nötig. Eine kurze Pressemitteilung rausgeben und einwilligen, dass ich Ihnen monatlich 200.000€ überweise.“
„Das wäre durchaus ein lukratives Angebot. Das sollten wir annehmen. Das wäre doch machbar, Herr Madov?“
„Natürlich. Ich kläre das noch heute mit Herrn Goichev. Kümmern Sie sich um den Jungen.“

Ich konnte es nicht ganz glauben, aber es hatte den Anschein als hätte mein Vater wirklich alles regeln können.
„Was habe ich dir gesagt?! Und jetzt los. Du bist eigentlich in der Lounge und trinkst dir einen.“
„Ich danke Ihnen Herr Müller. Sie haben etwas gut bei mir.“
Ich beeilte mich um noch vor meinem Vater in der Lounge zu sein. Als ich mich an die Bar setzte kam er auch schon und beorderte mich in den Konferenzraum.
„Danke Papa. Du bist der Beste.“

Eine Viertelstunde später verließ ich zusammen mit Andrej den Raum und hielt stolz meinen ersten Profivertrag in Händen. Herr Müller zwinkerte mir zu.
„Das ist ein Grund zu feiern mein Junge. Wie hießt nochmal der Laden wo du eben warst?“
„King's Club.“
„Nichts wie hin da. Mit Franco kann man auch ohne Schlaf Geschäfte machen. Andrej, du kommst doch auch mit oder?“
„Nein danke. Ich hoffe, das ist das letzte Mal, dass du so ausgelassen feierst, Ruslan. Im Februar wird dein erstes Rennen anstehen. Wir sprechen uns im Januar. Du solltest so langsam richtig mit dem Training beginnen.“
„Keine Sorge Andrej, ich bin immer fit.“
„Ab sofort wieder Herr Tschmil. Wir werden im Trainingslager sehen wie fit du bist.“
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bavarian
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Beitrag: # 6830738Beitrag bavarian
5.9.2010 - 14:37

liest sich sehr spannend. bin schon gespannt auf die fortsetzung :)

sciby
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Beitrag: # 6830769Beitrag sciby
5.9.2010 - 18:30

Melbourne 16. Januar 2010

Heute stand der letzte Tag des Trainingslagers in Australien auf dem Plan. Seit dem 3. Januar waren wir bereits in Down Under. Das Wetter war großartig. Bis zu 40 Grad im Schatten. Das war mir egal. Wetter spielt keine Rolle. Ich trainierte bereits vorher wieder richtig hart. St. Moritz verließ ich zwei Tage nach dem Vertragsabschluss und wohnte bis Weihnachten in meinem Ferienhaus auf Mallorca. Wie ich Herrn Tschmil versprochen hatte war ich kein einziges Mal in einer Disco. Ich habe jeden Tag trainiert. Bei angenehmen 15 Grad war das bestens möglich. Ich fühlte mich richtig stark. Über die Feiertage habe ich dann das Training etwas schleifen lassen, denn wie jedes Jahr habe ich Weihnachten in Deutschland mit der Familie meiner Mutter verbracht. Mein Vater mietete ein Schloss in Bayern und es waren wundervolle warmherzige, familiäre Tage.
Von diesen konnte ich mich dann an Silvester erholen. Ich feierte mit Freunden in Moskau und war von mir selbst überrascht, denn ich überstand den Tag ohne einen einzigen Schluck Alkohol. So musste es sein. Immerhin bin ich nun Hochleistungssportler. Ich wollte in Australien meinen Teamkollegen zeigen, dass ich in der Lage bin in vielen Rennen Kapitän zu sein, so dass sie für mich fahren müssen.
Am 2. Januar ging es dann nach Melbourne. Sergio war bereits einen Tag zuvor hingeflogen um alles vor Ort zu regeln. Er holte mich am Flughafen ab und fuhr mich zum Teamhotel. Es lag einige Kilometer außerhalb der Stadt. Es war mitten in der Pampa. Das ganze Hotel, wenn man es denn so nennen darf, war für unser Team gebucht. Sergio führte mich auf mein Zimmer, wo bereits mein Zimmerkollege Mikhail Ignatiev wartete. Ich kam mir vor wie zu meiner Internatszeit. Das Zimmer war klein, eng und alt. Ich fragte mich, was mit den 200.000€ extra von meinem Vater gemacht wird. Bessere Hotels wurden auf jeden Fall schon mal nicht gebucht. Doch ich musste mich damit abfinden.
Am ersten Tag standen zunächst Pressetermine an. Es wurden Fotos von jedem Fahrer und dem Team gemacht und die neuen Fahrer, Mechaniker und sonstigen Helfer vorgestellt. Als mein Name von Tschmil aufgerufen wurde schauten einige mit spöttischen Blicken in Richtung Sergio, der auf der anderen Straßenseite an meinem Bentley stand. Ich hatte ihn neu lackieren lassen. Da er hier nicht so dreckig werden sollte in all' den staubigen Straßen, habe ich einen Speziallack auftragen lassen, der beständiger gegen das harte Klima in Australien ist.
Wir bekamen einen neuen Satz an Trikots und Ausrüstung und wurden danach zum Ausfahren geschickt. Ich sollte mit einigen anderen Fahrern im Hotel bleiben. Die Teamleitung wollte die Aufgaben und Zielsetzungen mit den Fahrern besprechen.
Dmitri Konychev sprach mit mir in einem kleinen Nebenraum. Er erklärte mir, dass ich als einer der vielen russischen Fahrer wohl keine Integrationsschwierigkeiten haben werde, doch als Neoprofi, wie er mich nannte, sollte ich in meinem ersten Jahr zunächst einmal größtenteils lernen. Dabei glaubte er, könne ich wichtige Helferdienste in so manchen Rennen leisten. Ich bin mir nicht zu schade dafür, das Tempo für stärkere Fahrer zu machen, doch ich wusste auch, dass es nicht viele Fahrer geben wird, die wesentlich stärker sind als ich. Ich fragte ihn nach möglichen Rennen, bei denen ich der Kapitän sein werde, doch er meinte, dass ich zunächst einmal beweisen solle, dass ich eine solche Rolle verdient habe.
Die erste Chance dafür soll sich im Februar auf Mallorca ergeben. Nach dem Trainingslager wollte ich zurück auf die Balearen um dort meine Form weiter für mein erstes Profirennen zu verfeinern. Ich kannte auf Mallorca beinahe jede Straße, denn es ist mein bevorzugtes Trainingsgebiet im Winter. Im Sommer bin ich meistens in Russland oder auch mal Deutschland oder den Alpen unterwegs. Mein Vater zahlte die Unterkünfte und Reisen.
Die Ausfahrten im Trainingslager waren sehr unterhaltsam. Die ersten Tage waren sehr locker und wir konnten uns viel unterhalten. Mit beinahe jedem Fahrer verstehe ich mich gut. Dadurch dass ich Russisch, Deutsch, Englisch und Italienisch spreche hatte ich keinerlei Probleme mit der Kommunikation. Ich frage mich jedoch, wieso keiner über die schlechte Unterkunft meckerte. Ich wollte aber auch keine schlechte Meinung über mich riskieren, also hielt ich lieber meinen Mund.
Ich bemerkte bereits, dass einige schlecht von mir redeten. Sie waren glaube ich neidisch, dass Sergio mich überall hinfuhr und ich immer die beste Kleidung trug wenn wir mal nicht trainierten. Ich wusste, dass es schwer werden wird, denn nicht alle haben so viel Geld wie ich, doch Sergio riet mir, dass ich das nicht so sehr zeigen solle. Er meinte, ich könne es mir erst so richtig erlauben, wenn ich große Leistung vollbringe. Also kann ich nach Mallorca wieder Prada und Gautier tragen.
Im Training hatte ich meistens keinerlei Probleme mit den anderen mitzuhalten. Ich wusste, dass ich einer der stärksten im Team bin. Und ich werde noch viel besser. Am 10. Januar flog McEwen zur Australischen Meisterschaft, konnte aber leider dem Tempo der Spitzenfahrer nicht folgen. Es siegte Cadel Evans.
Am letzten Tag des Trainingslager stand dann heute eine Befahrung des Kurses der Weltmeisterschaft statt. Wir fuhren zunächst die knapp 80km „Einrollstrecke“ ab und fuhren dann dreimal die Schlussrunde. Die Strecke liegt mir. Zwei harte Anstiege, an denen wir alle unsere Form testeten. Filippo war klar der beste, aber ich konnte in einer Gruppe mit Purito, Kim und Sergey mithalten. Einige waren anscheinend von meiner Leistung überrascht und Filipo wollte mich unbedingt in Australien bei der Tour Down Under dabei haben, doch Dmitri meinte ich sei fest für Mallorca eingeplant und es wäre besser wenn mein erstes Rennen nicht gleich auf ganz so hohem Niveau sein würde. Ich war einverstanden, denn in Australien hätte ich nur den Helfer für Pozzato und McEwen spielen müssen.
Am Ende des Tages reiste ich nach Mallorca weiter und das Team um Filipo und Robbie blieb in Australien um sich auf die Rundfahrt vorzubereiten. Ich tat selbiges auf Mallorca, doch hatte noch gut zwei Wochen bis zu meinem ersten Rennen Zeit.
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sciby
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Beitrag: # 6830786Beitrag sciby
5.9.2010 - 19:53

Palma de Mallorca – unter Druck

Heute war es endlich so weit. Mein erstes Profirennen. Die Vorbereitung lief sehr gut. Ich fuhr jede der fünf Etappen im Training ab und weiß genau an welchen Anstiegen man das Tempo forcieren muss. Ich bin zwar nicht als Kapitän eingeplant, aber ich denke, dass ich trotzdem das ein oder andere Mal attackieren werde.
In Mallorca dürfen wir uns nicht hängen lassen und einfach nur mitfahren, denn in den vorherigen Rennen war unser Team bereits sehr erfolgreich. Darauf wollen wir uns nicht ausruhen. Nachdem auf den ersten beiden Tagen in Down Under die Siege im Sprint an Cavendish gingen und McEwen nur den vierten Rang belegen konnte und auch am dritten Tag Filipo sich mit Rang fünf hinter dem Sieger Freire begnügen musste, konnte Robbie einen Tag später bereits den ersten Saisonsieg einfahren. Filipo leistete hervorragende Arbeit und konnte sogar noch Dritter werden. Die schwere fünfte Etappe gewann er dann selber im Sprint einer großen Gruppe. Leider war Cavendish ebenfalls in dieser Gruppe und hatte durch die Sprintbonifikationen der ersten Tage noch sechs Sekunden Vorsprung auf ihn.
Auf der Schlussetappe konnte erneut Robbie den Sieg im Massensprint holen. Relativ unerwartet gab es den Doppelsieg für uns. Filipo gab im Sprint alles und konnte so wichtige Sekunden sammeln und war am Ende sogar Gesamtsieger der Tour Down Under. Ich freute mich sehr über die Siege und weiß nun, dass ich im richtigen Team bin. Wir haben für jedes Rennen mindestens einen Fahrer, der gewinnen kann, mich eingeschlossen.
Ähnlich ging es dann in Italien beim Giro di Reggio Calabria weiter. Zwar verlor Pozzato auf der ersten Etappe über eine Minute auf Ricco und Nibali, die die Gesamtwertung unter sich ausmachten, doch durch die erneut starke Arbeit des gesamten Teams konnte unser Sprinter Napolitano auf der zweiten und vierten Etappe den Sieg im Massensprint holen. Leider reichte es in der Gesamtwertung für Pozzato nur zum achten Platz.
Am gestrigen Tage zeigten beide beim GP Costa degli Etruschi erneut eine starke Leistung, doch Danilo wurde auf den letzten Metern von seinen Landsmännern Bennati und Petacchi übersprintet. Trotzdem war es eine hervorragende Vorstellung des Teams in Australien und Italien zu Beginn der Saison, was uns auch den ersten Platz in der Weltrangliste bescherte.
Heute wollten wir in Spanien nachlegen. Robbie und Purito sind unsere Kapitäne und sollen vor allem für Etappensiege sorgen. Auf den ersten beiden Etappen werden Massensprints erwarten, bei denen Robbie einer der Topfavoriten auf den Sieg ist. Rodriguez will auf den schweren Etappen eine wichtige Rolle spielen. Ich soll ihm dabei helfen. Wenn ich jedoch merke, dass ich stärker bin als er, dann werde ich attackieren.
Der Stadtkurs in Mallorcas Hauptstadt bot keine wirklichen Schwierigkeiten. Wir gingen mit der klaren Zielsetzung, für einen Massensprint zu sorgen, ins Rennen. Die ersten Kilometer waren sehr schnell. Jeder Fahrer wollte in der Spitzengruppe des Tages sein, doch sie wurden alle wieder gestellt. Der enge Stadtkurs hatte so einige Tücken parat. Ich musste höllisch aufpassen, dass ich in keinen der zahlreichen Stürze geriet. Zum Glück wurde unser Team davon verschont. Wir hielten uns ziemlich weit vorne auf um den Stürzen zu entkommen.
Nach drei Runden kehrte etwas Ruhe ins Feld ein und bis zu fünfzehn Fahrer befanden sich an der Spitze. In dieser Phase konnten wir uns etwas entspannen und Getränke besorgen. Ein Glück, dass ich nicht für diese Arbeit vorgesehen war. Die Ausreißer wurden nie weiter als zwei Minuten weggelassen und alle bereiteten sich auf einen Massensprint vor.
Ich wusste, dass es in den engen Straße mit den vielen Zuschauern sehr hektisch werden würde. Rodriguez riet mir dazu nicht in die Sprintvorbereitung einzugreifen. Ich war froh über seinen Rat, denn so musste ich nicht Robbie in Position bringen. Das war meistens sowieso nicht nötig und auch heute zeigte er eindrucksvoll, dass er keinen Sprintzug benötigt. Die Ausreißer waren 10km vor dem Ziel eingeholt und ich hielt mich neben Rodriguez an etwa 20. Position auf. Wir konnten die Sprintvorbereitung der anderen Teams perfekt beobachten. Robbie schlängelte sich zwischen die Reihen und wechselte von Hinterrad zu Hinterrad. Vor allem Rabobank war auf den letzten Kilometern sehr aktiv.
Wir wussten, dass Robbie unsere Hilfe nicht benötigen wird und es sowieso bevorzugt, ohne Teamkollegen zu sprinten. Auf der breiten Zielgerade war es sein Landsmann Graeme Brown, der den Sprint für seinen Teamkollegen Freire anziehen wollte, doch anstatt dass der Spanier an seinem Hinterrad war, gelang es unserem Fuchs in bester Position zu sein. So schwach er auch am Berg ist, die beste Position im Sprint hat immer McEwen. Thor Hushovd versuchte an Brown vorbeizuziehen und Robbie sprang in seinen Windschatten und fuhr auf den letzten Metern souverän an ihm vorbei und feierte seinen dritten Saisonsieg.
Wie ich später erfuhr reichte es für mich sogar zum 20. Platz und das ohne großartige Kraftanstrengung. Im Ziel beglückwünschte ich Robbie und fuhr zügig zum Teambus. Dmitri freute sich sehr gleich bei seinem ersten Einsatz als Sportlicher Leiter in diesem Jahr einen Sieg feiern zu können. Robbie knüpfte an die starke Leistung im Januar an und wir müssen nun das Trikot von ihm verteidigen und ihm einen zweiten Erfolg ermöglichen. Ich hoffe, dass ich nicht zu viel arbeiten muss, denn übermorgen möchte ich testen wie gut es an den Anstiegen läuft.

1. Robbie McEwen 2h36'26''
2. Thor Hushovd s.t.
3. Aitor Galdos s.t.
4. Xavier Florencio s.t.
5. Greg Henderson s.t.

20. Ruslan Goichev s.t.
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sciby
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Beitrag: # 6830827Beitrag sciby
6.9.2010 - 0:05

Der Schnellste ist nicht immer der Erste – außer mit meiner Hilfe

Bild

Die letzten zwei Tage liefen wieder einmal sehr gut für uns. Auf der zweiten Etappe lagen unsere Prioritäten darin, das Gelbe Trikot von McEwen zu verteidigen. Bei der Taktikbesprechung im Teambus einigten wir uns darauf alles dafür zu tun, dass am Ende ein Massensprint zustande kommt. Robbie glaubte erneut ohne einem Helfer auszukommen. Dmitri ordnete dann die Helfer für die Etappe ein, die die Ausreißer nicht zu weit weglassen sollten. Ich gehörte dazu.
Zu Beginn gingen viele Attacken. Wir versuchten zunächst, eine Gruppe gehen zu lassen, doch konnten nicht mit der ersten gebildeten Gruppe zufrieden sein. Auf den ersten 10 Kilometern entwischten 17 Fahrer, unter denen auch Oscar Freire war. Wir gaben alles um die Gruppe so schnell wie möglich zurückzuholen. Glücklicherweise bekamen wir Hilfe vom Team Cervelo und ich musste keine Führungsarbeit leisten. Nachdem die Ausreißer sehr schnell gestellt werden konnten blieb das Feld über 30km zusammen bis vier Fahrer ihr Glück versuchten. Mit dieser Gruppe war das ganze Feld einverstanden und so ließen wir sie bis zu 7 Minuten gewähren.
Dann beorderte mich Dmitri nach hinten. Ich nahm ein paar Wasserflaschen an und er gab mir den Auftrag die Verfolgung zu organisieren. Einerseits machte es mich sehr stolz, dass er mir an meinem zweiten Renntag diese Aufgabe zuteilte, andererseits wollte ich nicht meine Kraft in der Führungsarbeit verschwenden.
„Es tut mir Leid, aber ich fühle mich heute nicht besonders gut. Wäre es möglich wenn ich mich etwas schonen kann?“
„Okay, wir wollen ja nicht, dass du dich übernimmst. Ich sag Botcharov Bescheid, dass er deine Arbeit übernehmen soll.“
„Danke.“
Ich musste lügen, denn eigentlich ging es mir prächtig. Ich wollte keine Energie verschwenden, denn am nächsten Tag ging es in die Berge und da wollte ich vorne dabei sein. Ich hoffte, Dmitri würde nicht bemerken, dass es mir gar nicht schlecht ging, doch am Ende des Tages teilte er mir mit, dass ich auch auf der nächsten Etappe zunächst keine Arbeit leisten bräuchte, außer wenn ich noch im Finale dabei sein sollte. Er hatte die Pille geschluckt.
Auch ohne mich schafften wir es dank der Unterstützung von Sky und Cervelo die Ausreißer 5km vor dem Ziel einzuholen. Robbie suchte sich erneut das Hinterrad von Hushovd, doch als Sky für Henderson einen Zug aufbaute rutschte Hushovd aus den Pedalen und bremste dabei urplötzlich stark ab. McEwen fiel dadurch weit zurück und war in aussichtsloser Situation. Vorne schaffte es Henderson aus bester Positon nicht vorne zu bleiben und Furlan sicherte sich den Sieg. Robbie jedoch gab nicht auf und mit einem höllischen Speed zog er auf der freien linken Seite noch an allen vorbei. Leider reichte es nur zum dritten Rang. Mit seiner Endgeschwindigkeit war er allerdings der Beste, doch Hushovd versaute ihm den klaren Erfolg.

Bild
Hinter der Ziellinie zwar vorne, bei der Zieleinfahrt leider nur Dritter

Etappenwertung
1 Angelo Furlan Lampre-Farnese Vini 4h10'33
2 Aitor Galdós Euskaltel - Euskadi s.t.
3 Robbie McEwen Team Katusha s.t.
4 Heinrich Haussler Cervélo Test Team s.t.
5 Martin Elmiger Ag2r La Mondiale s.t.

56 Ruslan Goichev Team Katusha s.t.

Gesamtwertung
1 Robbie McEwen Team Katusha 6h46'31
2 Aitor Galdós Euskaltel - Euskadi + 8
3 Angelo Furlan Lampre-Farnese Vini s.t.



Am Abend sprachen wir über die vergangene Etappe und Dmitri wollte von uns, dass demnächst immer ein Helfer im Sprint dabei ist, auch wenn Robbie der Sprinter ist. Genau diese Taktik konnten wir gleich am nächsten Tag zeigen. Zwar wurde keine Massensprint erwartet, doch wir wollten alles daran geben, das Feld auseinander zu fahren und jede Attacke mit zu gehen.

Bild

Glücklicherweise konnte ich mich zu Beginn erneut aus der Führungsarbeit zurückhalten und meine Teamkollegen kontrollierten das Feld. Nach einigen Attacken stand nach 20km die 11-köpfige Ausreißergruppe des Tages. Mit Kessiakoff und Rubiera waren zwar starke Fahrer dabei, doch wir fühlten uns sicher, sie wieder einholen zu können.
Bis zum ersten Berg stieg der Abstand auf 7 Minuten an, doch dann übernahmen Botcharov und Silin das Tempo. Bereits am Fuß des zweiten Berges waren es nur noch 3 Minuten. Ich fühlte mich sehr gut und fuhr in zweiter Reihe neben unserem Kapitän Rodriguez. McEwen war bereits im Gruppetto. Der fast 1000m hohe Anstieg verlangte von allen Fahrern Höchstleistung und das Tempo war sehr hoch. Die Spitzengruppe zerfiel und Kessiakoff stellte sich als der stärkste Fahrer heraus.
Durch das hohe Tempo schaffte es keiner sich aus dem Hauptfeld abzusetzen. Purito teilte mir mit, dass er sich sehr gut fühlte und wollte, dass jeder Attacke sofort hinterhergefahren wird. An der Bergwertung war das Hauptfeld durch die Arbeit von den Italienern Cunego und Simoni nur noch 36 Mann groß. Mit mir, Rodriguez, Horrach und Botcharov waren wir sehr gut vertreten, doch die Spitze war noch über 2 Minuten voraus.
Purito fühlte sich stark genug eine Attacke zu setzen also holte ich ein letztes Mal Trinkflaschen und Horrach machte mit Botcharov das Tempo. Auf der Abfahrt blieb ich bei unserem Kapitän, doch leider bot das abfallende Profil keine Gelegenheit zu einer Attacken. So mussten wir auch keinem anderen Fahrer hinterherfahren. Durch unsere Arbeit wurde Kessiakoff 3km vor dem Ziel gestellt. Botcharov und Horrach waren danach allerdings so platt, dass sie sich zurückfallen ließen.
„Ruslan, ich kann mir im Sprint den Sieg holen.“
„Aber Freire ist noch dabei.“
„Mit deiner Hilfe pack ich den.“
Das war mein Kommando. Ich fuhr an die Spitze der Gruppe und Rodriguez hängte sich an mein Hinterrad. Ich wusste, dass ich im Sprint selbst nicht den Sieg holen konnte also fuhr ich ihm den Sprint an. An der Flame Rouge zog ich das Tempo an. Ich bemerkte, dass Freire ziemlich weit hinten war und gab alles. 300 Meter vor dem Ziel nahm ich etwas raus und Purito holte aus meinem Windschatten heraus seinen ersten Saisonsieg. Ich freute mich für ihn und bewies, dass ich in guter Form bin und mit den Besten mithalten kann. Zwar fuhren noch einige Fahrer an mir vorbei, aber mit meinem 6. Platz konnte ich sehr zufrieden sein.

Bild
Purito feiert seinen Sieg, ich „jubel“ im Hintergrund

Etappenwertung
1 Joaquím Rodríguez Oliver Team Katusha 3h59'04
2 Maxim Iglinskiy Astana s.t.
3 Cândido Barbosa Palmeiras Resort - Prio s.t.
4 Yaroslav Popovych Team RadioShack s.t.
5 Janez Brajkovič Team RadioShack s.t.
6 Ruslan Goichev Team Katusha s.t.

Gesamtwertung
1 Aitor Galdós Euskaltel - Euskadi 10h45'43
2 Joaquím Rodríguez Oliver Team Katusha s.t.
3 Maxim Iglinskiy Astana + 8


„Danke, das war großartig. Du hättest heute auch gewinnen können.“
„Mach ich doch gerne.“
Er hatte Recht. Wäre ich nicht so früh im Wind gewesen, dann hätte ich heute im Sprint gewinnen können. Ich fühlte mich sogar stark genug vorher eine Attacke zu setzen. Auf der dritten Etappe werde ich es vielleicht mal versuchen.
Dmitri war sehr stolz auf mich und freute sich über den Sieg und meine gute Platzierung.
„Dafür dass es dir gestern nicht gut ging, war das heute ganz stark. Habe ehrlich gesagt nicht erwartet, dass du in der Spitzengruppe dabei bist. Sollte Joaquin mal Schwächen zeigen kannst du für ihn einspringen.“
„Ich werde vorne dabei sein. Auch morgen und wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann attackiere ich.“
„Aber Joaquin bleibt Kapitän. Wir werden auch morgen für ihn fahren. Du bist unser Joker.“
„Alles klar.“
Joker bin ich also. Immerhin kein Neo-Profi mehr. Ich denke morgen Abend bin ich dann Kapitän. Er wird schon sehen, was ich noch alles drauf habe. Rodriguez wird es ganz schön schwer gehabt haben heute an mir vorbeizukommen.
Am Abend kam Robbie auf mein Zimmer und war erstaunt von meiner Leistung.
„Ich dachte eigentlich ich hätte mit dir heute einen Begleiter im Gruppetto. Das nächste Mal solltest du mir vielleicht den Sprint anfahren, damit sowas wie gestern nicht noch einmal passiert.“
„Vielleicht solltest eher du mir den Sprint anfahren.“
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sciby
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7.9.2010 - 0:06

Das Beste zum Schluss

Bild

Es standen die letzten beiden Etappen in Mallorca an. Unser Ziel war es in der Gesamtwertung den ersten Platz zu erobern. Glücklicherweise waren wir nicht gezwungen das Tempo im Feld zu machen, denn Euskatel hielt mit Galdos Alonso noch das Gelbe Trikot in ihren Reihen. Also entschieden wir es uns einen Fahrer in die Spitzengruppe zu schicken. Natürlich schlug ich mich selbst vor, doch die Wahl fiel auf Egor Silin, da ich in der Gesamtwertung einen zu geringen Rückstand hatte.
Direkt mit dem Startschuss versuchte Egor zu entkommen. Kein Fahrer setzte nach. Niemand wollte am ersten Anstieg ein zu hohes Tempo fahren und so lag unser Mann auf dem Gipfel zwei Minuten vor dem Feld. Erst in der Abfahrt attackierten einige Fahrer. Hinter Silin bildete sich eine 11-köpfige Verfolgergruppe, die sich zunächst einen harten Kampf mit dem Peloton lieferte. Schließlich ließ man sie ziehen und Egor wurde eingeholt und konnte sich von da an etwas aus der Führungsarbeit heraushalten.
Wir konnten uns für das Finale schonen und bereiteten uns auf den schweren Anstieg vor. Ich merkte, dass es ein guter Tag werden sollte. Meine Beine waren sehr gut. Ich fragte Joaquin wie er sich fühlte, doch leider sagte er, dass ich ihm eine Attacke am letzten Anstieg vorbereiten solle. Ich wollte zunächst abwarten wie sich das Rennen an dem dreiteiligen Berg entwickelte. Am Fuß des Anstieges hatte die Spitze nur noch einen Vorsprung von 2 Minuten und Martin Elmiger attackierte aus der Ausreißergruppe. Egor fuhr in seiner lockeren Art den Anstieg rauf und am ersten Teilgipfel war Elmiger wieder gestellt. Die Gruppe jedoch blieb zusammen und fuhr ein sehr konstantes Tempo, wodurch der Vorsprung nur minimal sank.
Im Feld brökelte es nur wenig. Wir verloren zwar mit Robbie unseren Sprinter, aber der Rest des Teams war noch vorne dabei und wir bereiteten unseren Großangriff auf die Gesamtwertung vor. Botcharov erhöhte das Tempo und so war die Spitze in der kurzen Abfahrt zum höchsten Berg des Tages gestellt. Egor hatte noch genügend Kraft eingespart um am Anstieg in die Führung zu gehen. Zusammen mit Horrach konnte er das Feld auf bis zu 40 Fahrer verkleinern. Kurz vor dem Gipfel versuchte es Iglinskiy mit einer Attacke. Ich sah mich gezwungen das Tempo in der Abfahrt zu machen. Durch mein hohes Tempo war er schnell wieder zurückgeholt.
Rodriguez wollte am letzten Anstieg eine Attacke setzen und so versuchte ich so schnell wie möglich in den Hügel reinzufahren. Purito zog in einer engen Kurve an mir vorbei und klopfte mir kurz auf die Schulter. Das war mein Zeichen mich zurück zu lehnen, doch ich fühlte mich zu mehr in der Lage. Lövkvist, Spilak und Luis Leon Sanchez folgten unserem Kapitän und einen Moment lang überlegte ich hinterher zu gehen, doch damit hätte ich den Gesamtsieg von Rodriguez in Gefahr gebracht. Allerdings hätte ich mir stattdessen den Sieg holen können.
Ich fuhr also in erster Reihe den Anstieg hoch während Euskatel versuchte den Abstand zu den vier Favoriten nicht zu groß werden zu lassen. Die Spitzenreiter bereiteten sich derweil auf den Sprint um den Tagessieg zu. Keiner konnte sich vorher absetzen. Rodriguez war in äußerst ungünstiger Position und musste den Sprint von vorne fahren. Er hatte keinerlei Chance und alle drei zogen an ihm vorbei. Spilak sicherte sich den Sieg und war damit in der Gesamtwertung zeitgleich mit Purito.
Die über 50 Mann große Verfolgergruppe mit mir kam mit 40sec Rückstand ins Ziel. Ich versuchte mitzusprinten und erreichte einen guten vierten Platz. Mit meinem Leistungsvermögen war ich sehr zufrieden, doch mit etwas mehr Glück und taktischer Freiheit hätte ich den Tagessieg und auch das Gelbe Trikot holen können.

Etappenwertung
1 Simon Spilak Lampre-Farnese Vini 3h39'10
2 Luis León Sánchez Gil Caisse d'Epargne s.t.
3 Thomas Lövkvist Sky Professional Cycling Team s.t.
4 Joaquím Rodríguez Oliver Team Katusha s.t.
5 Josep Jufré Pou Astana + 40
...
8 Ruslan Goichev Team Katusha s.t.

Gesamtwertung
1 Joaquím Rodríguez Oliver Team Katusha 14h24'53
2 Simon Spilak Lampre-Farnese Vini s.t.
3 Luis León Sánchez Gil Caisse d'Epargne + 8
4 Thomas Lövkvist Sky Professional Cycling Team + 12
5 Aitor Galdós Euskaltel - Euskadi + 40
...
10 Ruslan Goichev Team Katusha +1'00


Bild

Die letzte Etappe bot einige Möglichkeiten zur Attacke. Leider hatten wir die Marschrichtung das Gelbe Trikot von Rodriguez unter allen Umständen zu verteidigen. Ein spanischer Sieg zählte für den Sponsor anscheinend mehr als ein Heimaterfolg für das russische Team. Ich musste mich wohl oder übel der Taktik beugen und stillhalten.
Wir wollten das Rennen so schwer wie möglich gestalten, damit kein Fahrer aus der Spitzengruppe vom Vortag attackieren konnte. Die Spitzengruppe des Tages stand bereits sehr früh ohne unsere Beteiligung. Als nun von Dmitri ausgemachter „Edelhelfer“ war ich der letzte Mann in der Arbeitsphalanx. Egor und ein weiterer russischer Neo-Profi kontrollierten das Tempo und hielten den Abstand nach vorne konstant bei 6 Minuten. Am schwersten Berg des Tages, dem Col de Soler, versuchten wir dann durch Botcharov das Feld zu spalten. Dies gelang auch ziemlich gut so waren in der Abfahrt nur noch 40 Fahrer zusammen. Ich hatte erneut keine Probleme dem Tempo zu folgen und hatte auch nichts anderes erwartet. In der Abfahrt war ich so gnädig und holte ein paar Wasserflaschen.
Am kommenden Anstieg schaltete sich auch Horrach in die Verfolgungsarbeit ein und die Ausreißer konnten eingeholt werden. Durch unser hohes Tempo gelang es keinem Fahrer wegzufahren, doch am letzten Anstieg ging Horrach ein wenig die Puste aus und Lövkvist attackierte zusammen mit Spilak. Wir durften sie nicht ziehen lassen, doch Rodriguez ging selbst nicht hinterher. Am liebsten wäre ich ihnen hinterhergestiefelt, doch Purito bat mich die Tempoarbeit zu übernehmen. Ich bekam Hilfe von Txurruka, der ganz schön zu kämpfen hatte mein Hinterrad zu halten. Kurz hinter der Bergwertung waren beide wieder eingeholt.
Ich blieb an der Spitze der nur noch 27 Fahrer umfassenden Gruppe und hatte eigentlich damit gerechnet, dass Rodriguez hinter mir war und im Sprint aus meinem Windschatten den Sieg holte, doch auf dem letzten Kilometer war er weit hinten in der Gruppe und so musste ich selbst den Sprint fahren. Leider verbrauchte ich zuvor etwas zu viel Kraft und musste mich Iglinkiy und Nocentini geschlagen geben. Ich war jedoch sehr stolz, dass ich den dreifachen Weltmeister Oscar Freire schlagen konnte und freute mich zusätzlich, dass Rodriguez mit seinem 11. Rang trotzdem noch das Gelbe Trikot verteidigen konnte.

Bild
Iglinskiy und Nocentini nicht zu übertreffen, Purito in Gelb hinter zwei Rabobankfahrern eingeklemmt

Tageswertung
1 Maxim Iglinskiy Astana 4h45'50
2 Rinaldo Nocentini Ag2r La Mondiale s.t.
3 Ruslan Goichev Team Katusha s.t.
4 Mauricio Ardila Rabobank s.t.
5 Josep Jufré Pou Astana s.t.

Gesamtwertung
1 Joaquím Rodríguez Oliver Team Katusha 19h10'43
2 Simon Spilak Lampre-Farnese Vini s.t.
3 Luis León Sánchez Gil Caisse d'Epargne + 8
4 Thomas Lövkvist Sky Professional Cycling Team + 12
5 Maxim Iglinskiy Astana + 28
...
8 Ruslan Goichev Team Katusha + 52

„Nochmals Danke für deine hervorragende Arbeit. Wäre ich im Sprint besser positioniert gewesen, hätte ich sicherlich gewonnen.“
„Das ist mir zu viel hätte, wenn und aber. Das nächste Mal bin ich Kapitän.“
Ich war etwas sauer, denn alle sahen mich nur als Arbeitstier an, der den stärksten Fahrern im Team zu den Siegen verhilft, doch dabei bin ich selber der stärkste Fahrer. Ich begab mich sehr schnell zum Bentley, an dem Sergio bereits wartete. In weniger als 5 Minuten nach der Zieleinfahrt war ich bereits auf dem Weg zum Flughafen. Ich war froh endlich mein erstes Rennen hinter mich gebracht zu haben. Nun musste ich auch nicht mehr in den engen Pensionszimmern schlafen, sondern kann mich in meiner Frühlingsresidenz am Gardasee auf zwei Schweizer Klassiker am Ende des Monats vorbereiten.
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Stef98
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Beitrag: # 6830975Beitrag Stef98
7.9.2010 - 14:26

ich brenne schon auf eine fortsetzung

sciby
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Beitrag: # 6831090Beitrag sciby
8.9.2010 - 16:37

Satz mit X und russischer Überfall in der Schweiz

Das Frühlingswetter am Gardasee war besser als die letzten Jahre. Ich konnte sehr gut trainieren und könnte mir sogar einen Abend zum Ausgehen. In einem kleinen Club lernte ich Isabella kennen. Sie war großartig. Wir redeten fünf Minuten und trieben es die ganze Nacht. Sie war so besessen von mir, dass ich weder Geld noch Alkohol benötigte um sie rumzukriegen. Manche sagen Sex vor dem Sport steigert das Leistungsvermögen, andere glauben es schwächt einen nur. Ich glaube, dass es einfach nur glücklich macht. Und das kann nie schaden.
An einem Wochenende standen in ein und der selben Region zwei Eintagesrennen rund um und in Lugano an. Am Freitag rief mich Dmitri an, der erneut als Sportlicher Leiter im Einsatz war.
„Ruslan, ich muss dir leider mitteilen, dass Kim sich erkältet hat und von Pliuschin ersetzt wird. Somit fällt unser Kapitän für die kommenden zwei Tage aus.“
„Wie schade aber auch...“
„Ich wollte dich fragen, ob du dir vorstellen kannst für ihn einzuspringen. Ich habe lange darüber nachgedacht und traue dir nach deiner guten Vorstellung auf Mallorca zu, eine wichtige Rolle spielen zu können.“
„Das Angebot kann ich nicht abschlagen.“
„Zur Not haben wir ja noch Mikhail. Ansonsten fahren wir dann komplett für dich. Traust du dir das zu?“
„Dieser Notfall wird nicht eintreffen. Ich bin in guter Form und werde dich nicht enttäuschen.“
Endlich hatten sie erkannt welche Stärke ich besitze. Nun musste ich ihnen nur noch beweisen, dass ich tatsächlich unser beste Mann bin. Wir waren mit einem fast komplett russischem Team am Start. Nur Pliushin und Bandiera sind keine Russen. Leider waren nicht alle mit der Entscheidung von Dmitri einverstanden. Es schien mir so als würde Mikhail die anderen Fahrer gegen mich aufwiegeln. Vor dem Frühstück bekam ich mit wie sie über mich redeten.
„Wir sollen uns also für diesen verwöhnten Millionär den Arsch aufreißen?! Das kann man nicht von uns erwarten.“
„Wir sind nicht die Kapitäne im Team, aber wir haben verdiente Leistung in den letzten Jahren verbracht.“
„Er hat nur ein paar gute Tag auf Malle gehabt, wo er wahrscheinlich mehr Yachten und Häuser hat als Fahrer ins Ziel kamen.“
„Mikhail, ich glaube du bist unser Stärkster. Wir fahren für dich und der kann zusehen wie er klarkommt. Wenn ich auf der Schlussrunde das Tempo anziehe, fällt er sowieso zurück.“
„So machen wir das. Wir fahren ihn platt. Ich kann dann immer noch attackieren. Ich traue mir einen Podiumsplatz zu.“
„Abgemacht.“
Sie heckten also einen Plan gegen mich aus. Am liebsten wäre ich herein geplatzt und hätte ihnen mal so richtig die Meinung gegeigt, doch ich blieb ganz cool und ließ mich auf ihren Plan ein, denn ein hartes Rennen konnte für mich nur von Vorteil sein und dann wollte ich es ihnen so richtig zeigen.

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Das Rennen begann mit einigen Attacken. Mein Team hielt sich dezent zurück. Ich kannte die Taktik meiner „Teamkollegen“ und Dmitri würde davon nichts mitbekommen, denn ich hätte eine ähnliche Taktik vorgegeben. Nachdem eine Ausreißergruppe stand, konnten wir uns zunächst etwas zurücklehnen. Nach einigen Kilometern musste ich feststellen, dass ich von meinen Teamkollegen nicht nur nicht als Kapitän eingeplant war, sondern auch komplett missachtet wurde. Eskov holte für das ganze Team Trinkflaschen und für mich war keine dabei. Er warf sogar vor meinen Augen eine volle Flasche in einen der vielen Seen.
Ich schäumte vor Wut bis mir Dirk Müller eine Flasche reichte.
„Du sprichst doch Deutsch oder?“
„Ja. Ist die für mich?“
„Klar. Lass dich nicht von denen unterkriegen. Hab dich in Mallorca beobachtet. Du hast echt was drauf. Wenn ich mich nicht so mies fühlen würde, dann würde ich dir auf der Schlussrunde helfen, aber ich werde schon bald reißen lassen.“
„Danke. Ich brauche deine Hilfe trotzdem nicht. Ich kann auch ohne jede Hilfe gewinnen.“
Dirk schüttelte den Kopf und ich ließ mich zum Teamwagen zurückfallen. Von nun an musste ich mir alles selbst holen. Dmitri schaute zwar verwundert, aber ich wollte ihm nicht von dem Vorhaben der anderen erzählen also sagte ich ihm, dass ich ein paar Belastungen beim Vorfahren ins Feld brauche um nicht einzuschlafen. Langsam musste ich an ihm zweifeln, denn er glaubte mir wirklich alles.
Bereits vor der dreimal zu befahrenden Zwischenrunde waren die Ausreißer gestellt. Auf der leicht welligen Runde direkt am Luganer See bolzten dann alle unserer Fahrer bis auf Vorganov und Ignatiev richtig rein. Das Feld war langgezogen und einige konnten dem hohen Tempo bereits nicht mehr folgen. Ich fuhr direkt hinter der Katusha Armada und ein Außenstehender hätte wirklich denken können, dass sie alle nur für mich fuhren. Jedes Mal wenn Mikhail mir ins Gesicht schaute, versuchte ich stark zu keuchen und es so aussehen zu lassen als sei ich nah an meinem Limit.
Von diesem war ich jedoch noch weit entfernt. Die kleinen Hügel machten mir gar nichts aus. Erst die Schlussrunde wurde dann etwas schwerer. Vorganov sprintete förmlich hoch und ich versuchte in vorderster Front dran zu bleiben. Ich hatte keine Mühen ihm zu folgen, doch Mikhail kämpfte in etwa 20. Postion um den Anschluss. Wären es keine 17% Steigung gewesen hätte ich angefangen laut zu lachen. Von all dem bekam Vorganov nichts mit und preschte weiter vor. Sein Tempo war trotzdem nicht hoch genug um das Feld großartig zu selektieren. In der Abfahrt kamen fast alle Fahrer wieder zurück. Ich wartete darauf, dass jemand attackierte, doch alle warteten auf den letzten Anstieg.
Meine Teamkollegen mobilisierten nochmal alle Kräfte und hielten das Tempo weiter hoch. Ignatiev schien sich leicht erholt zu haben, doch dann ging es erneut bergan. Am Fuße wollte er etwas versuchen, doch er merkte schnell, dass er keine Chance hatte. Ich grinste ihm zu und nach einem flacheren Abschnitt attackierte ich kurz vor dem steilsten Teilstück.

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17% Steigung und nur wenige Meter Vorsprung

Niemand setzte nach, doch hinter mir formierte sich Lampre mit vier Fahrern für ihren Kapitän Cunego. Zunächst konnte ich nur wenige Meter gutmachen und hatte Angst, wieder eingeholt zu werden, doch ich gab alles und zog durch. Als es oben hinaus wieder flacher wurde, erkannte ich, dass die paar Meter im Steilen doch einige Sekunden Vorsprung waren. Ich musste nur noch die Abfahrt heil überstehen und war dann im Ziel. Ich drehte mich ein letztes Mal um und erkannte, dass Lampre sich aus der Führung verabschiedet hatte. Die schwierige, steile Abfahrt forderte volle Konzentration, doch ich meisterte sie mit Bravour und flog förmlich auf die Ziellinie zu.
Ich hatte es allen gezeigt. Mit Wut und Erleichterung im Bauch ballte ich die Siegesfaust. Viele würden jetzt sagen, ich hätte damit nicht gerechnet und muss es erst einmal verarbeiten, doch es war ganz anders. Ich wusste, dass ich stark genug bin. Ich habe Fahrer wie den Girosieger Cunego geschlagen und die Ignoranz meiner Kollegen und Landsmänner zunichte gemacht. Ich konnte stolz auf mich sein. Den Sprint der Verfolger gewann mit Efimkin ein weiterer Russe und glücklicherweise landete keiner meiner Teamkollegen(-schweine) in den Top Ten. Sie hätten es auch nicht verdient gehabt.

1 Ruslan Goichev Team Katusha 4h02'29
2 Alexander Efimkin Ag2r La Mondiale + 19
3 Vladimir Miholjević Acqua & Sapone - D'Angelo & Antenucci s.t.
4 Andrea Masciarelli Acqua & Sapone - D'Angelo & Antenucci s.t.
5 Alessandro Spezialetti Lampre-Farnese Vini s.t.



Kurz bevor ich das Podium betrat, wurde ich von Pavel Brutt abgefangen.
„Respekt Junge, das war eine grandiose Vorstellung. So eine explosive Attacke – das sieht man selten. Es tut mir für das ganze Team Leid, dass wir dich so missachtet haben. Ich wollte da eigentlich nicht mitmachen, aber ich konnte nicht anders.“
„Du hast mitgemacht und das heißt schon alles. Jetzt wisst ihr was ich drauf habe und du kannst Mikhail und den anderen sagen, dass ihr alle morgen die Chance habt, für den besten Fahrer im Team zu malochen.“
Ich verschwand zur Siegerehrung und dachte an eine alte russische Weisheit meines Vaters als ich Blumenstrauß und Pokal entgegen nahm. „Ein Freund, von dem man nichts borgen kann, gleicht einem Messer, das nicht schneidet.“
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Beitrag: # 6831240Beitrag sciby
8.9.2010 - 22:59

Alkohol und Geld machen Frauen willig – Erfolg neuerdings auch

Am Morgen informierte uns Dmitri über ein mehr oder weniger sehr erfreuliches Resultat aus Belgien. Beim Omloop Het Nieuwsblad belegte Pozzato den fünften Rang im Sprint aus einer großen Gruppe. Gegen Hushovd und Haussler war einfach kein Kraut gewachsen. Ehrlich gesagt hatte ich mehr erwartet, aber heute hatte er bei Kuurne-Brüssel-Kuurne erneut die Chance zu siegen, so wie ich meinen Erfolg von gestern wiederholen wollte.
Der GP di Lugano war bedeutend schwerer als das Rennen am Vortag. Im Prinzip waren es nur zwei Rundkurse, wobei die Schlussrunde sehr hart war und fünf Mal befahren wurde. Nach den Unstimmigkeiten einen Tag zuvor stand das ganze Team nun voll und ganz hinter mir. Wir wollten das Rennen erneut sehr schwer gestalten, sodass ich in der letzten Runde eine Attacke setzen konnte.

Bild

Das Wetter war extrem miserabel. Den ganzen Tag über regnete es in Strömen. Einige Fahrer sahen sehr lustlos aus. Größtenteils waren es die Starter vom Samstag, manche wussten daher wohl, dass sie auch heute nicht in der Lage waren, vorne dabei zu sein.
Sofort zum Start ging es hoch – raus aus Lugano. Es ging immer wieder kurz steil bergan und bergab. Das Tempo in der ersten Rennstunde war höllisch hoch. Immer wieder versuchten es einige Fahrer sich abzusetzen, doch vor allem BMC sorgte immer wieder dafür, dass sie nicht weit weg kamen. Als dann nach zwei Runden eine Gruppe eine Minute Vorsprung hatte gingen erneut Attacken und alle Fahrer wurden wieder eingefangen. Das hohe Anfangstempo zwang uns zunächst abzuwarten und unsere Kräfte zu schonen.
Nach vier Runden gaben es dann die Ausreißer auf und der Rest des Rennens wurde mehr oder weniger im geschlossenen Feld gefahren. Das hieß allerdings nicht, dass das Tempo großartig abnahm. AG2R und Caisse versuchten das Feld so früh wie möglich zu verkleinern. So richtig gelang dies aber erst als es in die Schlussrunde mit dem 600m hohen Berg ging. Auch an diesem Tag gab es eine Rampe mit bis zu 20%. Während die erste Runde noch ganz entspannt war, wurde in der zweiten das Tempo angezogen.
Einige Fahrer aus unserem Team zeigten bereits Schwächen und hatten viel Kraft bei der sinnlosen Aktion am Samstag gelassen. BMC fuhr in voller Mannschaftsstärke von vorne. Als das Tempo bei Hälfte des Anstieges etwas abflachte, sorgten drei Fahrer meines Teams für die Tempoarbeit. Schnell mussten einige Fahrer abreißen lassen. Am Gipfel waren nur noch 32 Fahrer vorne und ich hatte noch fünf Helfer dabei.
Ich schickte alle bis auf Mikhail, der Trinkflaschen für mich besorgte, an die Spitze. Im Anstieg konnten erneut einige Fahrer unserem Tempo nicht mehr folgen. Vor allem Lampre, Caisse und BMC zeigten sich immer noch stark und waren ebenfalls zahlreich vertreten. Als wir zum vorletzten Mal die Ziellinie überquerten und es in die letzte Runde ging, leistete Ignatiev einigermaßen gute Arbeit. Leider konnte er nicht mehr schnell genug fahren, sodass keine weiteren Fahrer den Anschluss verloren. Ich und womöglich auch andere Fahrer konnten uns bei diesem Tempo sogar etwas erholen.
Die Gruppe war mittlerweile nur noch 17 Mann groß und Mikhail war mein einzig verbliebener Helfer. Ich nahm mir vor, in der steilen Rampe das Tempo zu erhöhen, doch dann kam mir Cunego zuvor. Kurz vor dem Steilstück setzte er eine Attacke. Ich brauchte einige Zeit um aus ungünstiger Position nachzusetzen. Kroon, Lopez Garcia und Efimkin folgten Cunego. Zwar konnte ich mich von der restlichen Gruppe sehr gut absetzen, doch der Abstand nach vorne war bereits groß. Die vier fuhren vorne weg und ich hatte keine Chance ran zu kommen.
Kurz vor dem Gipfel kam ich noch einmal näher an sie ran, doch dann setzte Lopez Garcia eine tödliche Attacke. Ich verlor sofort wieder den Anschluss und auch die anderen Fahrer konnten ihm nicht folgen. Er konnte sich über einen sicheren Sieg freuen. Ich versuchte alles um möglicherweise noch ein Stückchen nach vorne zu kommen, denn die steile Abfahrt war sehr anspruchsvoll, was ich dann auch zu spüren bekam.
Als ich um die erste scharfe Kurve fuhr, lag plötzlich ein Fahrer vor mir auf der Straße. Es war Lopez Garcia, der auf der rutschigen Fahrbahn den Halt verlor. Zwar hatte es in der letzten halben Stunde aufgehört zu regnen, doch die Straße war immer noch sehr nass. Ich wich ihm aus und hatte es schwer, das Gleichgewicht zu bewahren.

Bild
Lopez Garcia liegt am Boden, Kroon ist noch in Reichweite

Nach diesem Schock ging ich in der Abfahrt nicht volles Risiko. Ich lag auf einem guten vierten Rang, mit dem ich zufrieden sein konnte. Klar war das nicht so gut, aber wer hätte vor diesem Wochenende überhaupt damit gerechnet – außer mir natürlich.
Ich erreichte das Ziel schließlich als Vierter. Der Abstand nach vorne war nicht sehr groß. Bei trockenem Wetter hätte ich es wohl auch noch hin geschafft. Cunego holte sich als Solist vor Efimkin den Sieg. Ohne seinen Sturz hätte wohl Lopez Garcia gewonnen, doch immerhin rettete er sich noch auf den fünften Platz.

1 Damiano Cunego Lampre-Farnese Vini 5h49'28
2 Alexander Efimkin Ag2r La Mondiale + 14
3 Karsten Kroon BMC Racing Team + 26
4 Ruslan Goichev Team Katusha + 32
5 David López García Caisse d'Epargne + 52



Vor meiner Abreise sprach Dmitri noch mit mir.
„Gut gemacht, sowas wie gestern kriegt man nicht jeden Tag hin.“
„Das dauert nicht mehr lange und ich werde jedes Mal so fahren wie bei meinem Sieg.“
„Du wirst etwas zu schnell übermütig. Wir würden uns freuen, wenn du nächste Woche in Italien beim Tirreno-Adriatico an den Start gehst.“
„Gerne. Wer sind meine Helfer?“
„Du bist der Helfer?“
„Das kann nicht dein Ernst sein nach gestern und heute.“
„Filippo ist Kapitän. Dazu kommt noch Napolitano als unser Mann für die Sprints. Wir rechnen uns mindestens einen Etappensieg aus. Dazu möchte Pozzato in der Gesamtwertung eine Rolle spielen. Wir möchten, dass du ihm dabei hilfst. Geht das klar?“
„Natürlich nicht.“
„Es geht klar! Du fährst für Danilo und Filippo oder du kannst dich auf was gefasst machen. Wir sind stolz und glücklich über deine bisherigen Resultate, aber die Taktik des Teams schmeißt du damit noch längst nicht über den Haufen.“
„Muss das sein?“
„Ja. Filippo hat sich dich als Edelhelfer gewünscht. Du wirst ihn nicht enttäuschen.“
Sauer und wütend stieg ich ohne eine Antwort ins Auto ein. Da hatte ich nun gezeigt, was ich drauf habe und man schätzt diese Leistung nicht. Am liebsten hätte ich sofort meinen Vater angerufen, doch irgendwann war es auch mal an der Zeit, Probleme ohne ihn zu lösen.

„Herr Goichev, darf ich Ihnen einen Rat geben?“
„Bitte, Sergio...“
„Mein Vater hat in seiner Zeit bei Ihrem Vater gelernt, dass man sich höheren Mächten beugen muss. Er verlor sein Leben als er diesem Grundsatz widersprach. Ihr hörtet davon?“
„Selbstverständlich.“
„Bei Ihnen wird es nie so weit kommen, aber fügt euch den Stärkeren.“
„Wer ist denn schon stärker als ich?“
„Ihr überschätzt euch. Wenn...“
„Flughafen, Sergio. Ihr werdet nicht für's Reden bezahlt.“
„Ja, Herr Goichev.“
Nun wandte sich also auch mein langjähriger Chauffeur gegen mich. Sehen die vor Unwissenheit nichts mehr? Ich habe in meinem zweiten Rennen direkt gewonnen und einige Topfahrer geschlagen, das ist Grund genug, Kapitänsansprüche zu stellen.

Auf dem Weg zum Flughafen ging mir die Geschichte um Sergios Vater nicht aus dem Kopf. Ich war damals 17. Mein Vater wies mich immer mehr in seine Geschäfte ein. Zwar versuchte mein Vater immer zu verheimlichen, dass er einen Großteil seines Geldes nicht wirklich auf legalem Weg verdiente, aber als Sergios Vater ums Leben kam, klärte er mich auf.
Julio war sein treuester Mann. Er übernahm jede mögliche Aufgabe egal um was es ging. Früher spielte er Kindermädchen für mich und fuhr im nächsten Moment meinen Vater zu Treffen mit korrupten Firmenbossen. Als eines Tages eine Verhandlung mit einem russischem Öl-Milliardär scheiterte und er meinem Vater mit meiner Entführung drohte, versuchte Julio die Angelegenheit alleine zu klären. Er fuhr mit einem Koffer voller Geld zu dem Milliardär und kam mit zwei Kugeln in Kopf und Bauch zurück.
Mein Vater konnte den Vorfall vertuschen und zog sich aus den dreckigen Geschäften zurück. Seitdem verdient er zwar nur noch die Hälfte wie vorher, aber es reicht für ein großartiges Leben. Julio wurde also seine Loyalität zum Verhängnis, weswegen mein Vater seine Familie mit mehreren Millionen entschädigte und Sergio den Job bei mir anbot. Der Tod von Julio änderte meinen Vater von Grund auf. Früher war er streng genommen ein Mafiosi, heute ist er ein edler Geschäftsmann mit hohem Ansehen.
Sergio hatte mit seinen Worten Recht. Ich darf mich nicht immer gegen die Stärkeren auflehnen. Ich holte mein I-Phone heraus und schrieb Dmitri sofort eine SMS. „Ich bin dabei. Filippo kann auf mich vertrauen. Ich werde ihn nicht enttäuschen.“ Ich war als Helfer eingeteilt worden, also befolge ich diesen Auftrag und werde ihn erfüllen, komme was wolle.

Kaum war die SMS abgeschickt, kam auch schon eine Antwort. Sie war jedoch nicht von Dmitri, sondern von einer Nummer, die ich nicht kannte.
„Hey! Ich bin's Silvetta. Du kennst mich doch noch oder? Ich für meinen Teil kann dich nicht vergessen. Habe gerade im Internet von dir gelesen. Du hast das Rennen gestern gewonnen? Wow. Ich bin so stolz auf dich. War wohl die beste Vorbereitung mit mir einen Tag zuvor. Ich bin noch zwei Tage in Riva del Garda. Hoffe du bist auch da.“
Erfolg macht anscheinend geil oder hätte sie sich auch gemeldet, wenn ich nicht gewonnen hätte? Ich wusste es nicht, aber eins war auf jeden Fall klar: Bis zum Tirreno-Adriatico weile ich am Gardasee und wenn ich mich Recht erinnere wohnt Silvetta in der Nähe von Rom. Das Rennen findet nicht weit entfernt von dort statt. Woran ich mich allerdings nicht erinnere ist, dass ich ihr meine Nummer gegeben habe. Über eine weitere schöne Nacht werde ich mich trotzdem nicht beschweren. Ich habe eine Belohnung verdient.


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Sind die Rennberichte so in Ordnung? Was haltet ihr von der Hintergrundgeschichte, zu abgedroschen?
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sciby
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Beitrag: # 6831471Beitrag sciby
10.9.2010 - 16:03

'Glück' im Unglück

Nach zwei trainingsfreien Tagen am Gardasee, die durchaus körperliche Anstrengung bedeuteten – Silvettas Tempo konnte selbst ich nicht immer mitgehen – ging es für mich nach Madeira. Ich musste etwas umplanen. Normalerweise wollte ich weiter in Italien an meiner Form für Tirreno-Adriatico feilen, doch ein Anruf meines Vaters trieb mich dazu, mein Trainingsgebiet auf die portugiesische Insel zu verlegen.
„Glückwunsch zu deinem ersten Sieg. Ich habe nichts anderes erwartet.“
„Danke, du hast immer an mich geglaubt oder?“
„Ja, aber das ist nicht der Grund, warum ich dich anrufe...“
„Wieso denn dann?“
Ich war etwas traurig, denn für meinen Vater gab es immer noch wichtigere Dinge als meinen Erfolg, doch dann kam er raus mit der Sprache.
„Du hast nicht gemerkt, dass Sergio seit gestern verändert ist?“
„Er ist die ganze Zeit im Hotel, so wie immer. Ich fahre gleich eine kleine Runde.“
„Das kannst du sofort mal streichen. Du solltest dich um Sergio kümmern.“
„Was?! Ich mich um ihn? Er ist mein Chauffeur und nicht ich seiner.“
„Ruslan, wann verstehst du denn mal, dass es wichtigeres als dich gibt.“
„Du hast mir genau das vorgelebt...“
„Das war einmal. Sergios Mutter hatte einen Unfall. Sie liegt im Koma.“
„Was geht mich das an...“
„Ich möchte, dass du dein Trainingsgebiet verlegst.“
„Das kannst du ganz bestimmt nicht entscheiden.“
„Du fliegst noch heute mit Sergio in seine Heimat. Auf Madeira kannst du ebenfalls trainieren, ich denke sogar noch besser.“
„Davon hast du doch gar keine Ahnung.“
„Es geht hier nicht nur um dich. Sergio wird bei seiner Mutter sein wollen in so einer Situation. Er wird ohne dich nicht hin fliegen, also musst du das erledigen. Ich zähle auf dich. Du weißt, dass er in meiner Schuld steht und ich möchte nicht, dass du ihm auch noch versaust in den letzten Stunden nicht bei seiner Mutter zu sein.“
„Es steht wirklich so schlecht um sie?“
„Ja und jetzt pack deine Sachen und fahr zum Flughafen, ich habe zwei Plätze für 13 Uhr gebucht.“
„Okay. Ich sag Sergio gleich Bescheid, dass er alles regeln soll.“
„Du regelst das selber! Du hast nie gelernt, deine Sachen selbst zu packen und ich möchte, dass du den Bentley fährst. Mit dem Ferrari fährst du schließlich auch immer selbst.“
„Wenn du das so willst...“
„Julio will es so.“
„Sergio sicher auch. Du kannst dich auf mich verlassen.“
„Sag ihm, dass er auf unsere Hilfe und Unterstützung zählen kann.“

Ich machte mich sofort auf den Weg zu Sergios Zimmer und teilte ihm die Nachricht mit.
„Ihr müsst das nicht tun.“
„Ich hab mir so oft den Arsch von dir hinterher tragen lassen. Jetzt mach ich mal was für dich.“
„Ich bin Ihnen so dankbar. Ich packe sofort unsere Sachen. Wartet im Bentley.“
„Meine Sachen sind schon gepackt. Ich werde im Bentley warten.“
Sergio staunte als ich auf dem Fahrersitz saß, aber er versuchte keine Widerrede und sechs Stunden später waren wir im besten Krankenhaus Funchals auf Madeira. Ich ließ ihn mit seiner Mutter alleine und sprach mit einem Arzt. Sie war als Fußgängerin von einem Auto erfasst worden und hat starke Verletzungen an der Brust und Hirnblutungen, weshalb sie ins künstliche Koma versetzt wurde. Mit ihren mittlerweile 67 Jahren standen die Chancen schlecht.
Sergio war über eine Stunde bei ihr. In der Zeit buchte ich für uns beide eine Suite im besten Hotel der Insel. Es war nur zwei Minuten vom Krankenhaus entfernt. Ich wollte ihn nicht alleine in einem Zimmer lassen, sondern bei ihm sein.

Die kommenden Tage war er fast den ganzen Tag an ihrem Bett. Ich trainierte auf der Insel bei bestem Wetter. Die hohen Berge war perfekt für den Formaufbau. Es gab kaum Straßen, die flach waren – genauso wie es bei Tirreno-Adriatico sein wird. Ich versuchte von Tag zu Tag ein höheres Tempo anzuschlagen und war mir sicher, dass ich Filippo, der am Tag des GP di Lugano bei Kuurne-Brüssel-Kuurne nur von Cancellara geschlagen wurde, eine große Hilfe sein werde.
Madeira war sogar eine so gute Region, dass ich entschied kurz vor meinem Formhöhepunkt erneut hierher zu kommen. Die Frage jedoch war, wann dieser Höhepunkt sein sollte. Vor der Saison entschied ich zusammen mit Andrej Tschmil, dass ich kein explizites Rennen als Highlight habe und eine gute Form über die ganze Saison hinweg halten wollte. Einen Tag vor Abreise rief er mich jedoch an. Er fragte mich, ob ich zum Kader bei den drei großen Ardennenklassiker gehören will. Ich fühlte mich geehrt, doch entschied mich dagegen und fragte nach einer Teilnahme bei der Baskenlandrundfahrt. Er war etwas von meiner Wahl enttäuscht, versicherte mir jedoch den Start, allerdings war schon jetzt klar, dass Rodriguez als erster Mann für uns dabei sein wird.
Mein Rennplan für die kommenden Wochen stand nach einigen Diskussionen fest. Nach Tirro-Adriatico bin ich als Ersatzfahrer für Mailand – San Remo eingeplant. Ich hoffte schon jetzt, dass ein Fahrer nicht starten kann, damit ich beim längsten Radrennen der Welt dabei sein konnte. Eine Woche später werde ich dann beim Criterium International antreten bevor es danach ins Baskenland geht. Höchstwahrscheinlich werde ich dann eine kleine Pause einlegen.

In den letzten Tagen auf Madeira ging es Sergios Mutter besser. Sie wurde aus dem künstlichen Koma geweckt, konnte allerdings nicht mehr sprechen. Sie war noch voll bei Verstand und schrieb mit ihm mehrere Seiten um sich zu verständigen. Sergio nahm jedes einzelne Blatt mit in seinen Koffer. Ich fragte ihn, ob er nicht bei ihr bleiben wolle, denn ich hätte es auch auf mich genommen ohne ihn klar zu kommen, doch er wollte nicht. „Sie sind mein Beruf. Ich soll mich bestens um Sie kümmern. So sagte es mir mein Mutter und ich werde ihrem Willen entsprechen.“
Am Morgen der ersten Etappe landeten wir in Rom und musste noch zwei Autostunden zum Startort Livorno hinter uns bringen. Auf halber Strecke erhielt Sergio einen Anruf. Ich dachte an nichts schlimmes, aber dann hielt er am Straßenrand an.
„Meine Mutter... sie ist vor einer Stunde gestorben.“
„Wie konnte das passieren? Ihr ging es doch gut...“
„Mutter wollte es so und hatte keine weitere Kraft mehr zu leben.“
„Fahren Sie zurück zum Flughafen und fliegen sofort hin. Ich schaffe es schon zum Rennen.“
„Nein, Herr Goichev. Ich habe mich bereits von ihr verabschiedet, das war alles was ich und sie wollte.“
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sciby
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Beitrag: # 6831526Beitrag sciby
10.9.2010 - 19:23

Einrollen funktioniert bergauf nicht

Die ersten drei Tage beim Tirreno-Adriatico schienen Sprintankünfte bereit zu halten, also war unsere Devise klar: Danilo im Sprint bestmöglich unterstützen. Nachdem bei Paris-Nizza Vladimir Karpets im Prolog einen starken zweiten Platz holte und Robbie im Sprint zunächst Erster und am dritten Tag Zweiter wurde, wollten wir das Team aus Frankreich mit einer starken Leistung überflügeln.

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Die erste Etappe hielt also vier kleine Hügel bereit. Wenn möglich wollten wir Danilo einen Sprintzug aufbauen, in dem ich in vorderster Front Bestandteil war. Nach einigen Attacken stand die Gruppe des Tages sehr früh. Bis zum Finale konnten wir uns also schonen, da es genügend Sprinterteams gab, die die Nachführarbeit verrichteten. Mit Bennati, Freire, Greipel, Farrar und Petacchi war die Elite der Sprinter am Start. Wir wussten, dass es schwer werden würde, doch Danilo fühlte sich in hervorragender Form.
Die ersten zwei Anstiege wurden sehr locker gefahren und keiner hatte Probleme. Kurz vor dem zweimal zu befahrenden Hügel vor dem Ziel waren die Ausreißer bereits eingeholt. Damit keine weitere Attacken gingen machte vor allem Lampre sehr hohes Tempo. Wir wussten alle, dass es für Napolitano nun schwer werden könnte, aber er hielt sich sehr gut. Ich verschaffte ihm ganz vorne im Feld ein wenig Schutz.
Bei der zweiten Überfahrt wurde es dann noch einmal richtig schnell. Leider fiel Danilo etwas zurück. Filippo entschied als unser Kapitän sehr schnell, dass wir nun für ihn fuhren. Neben mir und ihm sah ich keinen unserer Teamkollegen im vorderen Teil des Feldes, also versuchte ich, ihn in Position zu fahren. Die Abfahrt war schnell hinter uns gebracht und dann ging es schon in die Sprintvorbereitung. Hondo ging früh an die Spitze und ich zog ihm nach. An der Flame Rouge war ich ganz vorne und gab alles. Bereits 500m vor dem Ziel zog Oscar Freire an mir vorbei und Filippo ging ihm hinterher. Durch mein Tempo konnte ich ein kleines Loch reißen, wodurch ich noch auf dem 7. Platz landete, obwohl ich früh die Beine hoch nahm. Leider schaffte es Filippo nicht mehr an Freire, der noch von Bennati übersprintet wurde, vorbei.

Etappenwertung
1 Daniele Bennati Liquigas-Doimo 3h20'40
2 Óscar Freire Gómez Rabobank s.t.
3 Filippo Pozzato Team Katusha s.t.
4 Lloyd Mondory Ag2r La Mondiale s.t.
5 Tyler Farrar Garmin - Transitions s.t.
...
7 Ruslan Goichev Team Katusha s.t.

Gesamtwertung
1 Daniele Bennati Liquigas-Doimo 3h20'30
2 Óscar Freire Gómez Rabobank + 4
3 Filippo Pozzato Team Katusha + 6


Bild

Am zweiten Tag gab es einige Höhenmeter mehr zu überwinden, also stellten wir uns darauf ein, dass Danilo erneut zurückfallen würde. Die obligatorische Ausreißergruppe stand wieder sehr früh. Am schweren Berg zu Rennmitte fielen bereits einige Sprinter wie auch Napolitano zurück. Pozzato und ich wussten bereits, dass es wieder auf uns zwei ankam.
Die viermalige Schlussrunde gab Danilo dann den Rest. Bereits nach zwei Runden ließ er sich zurückfallen um nicht unnötig Kraft zu verschwenden. Auf der letzten Runde zerfiel das Feld dann in mehrere Gruppen. Wir verloren überraschend auch Caruso und Mazzanti. In der sanften Gegensteigung versuchte es dann Arvesen. Ich entschied schnell und setzte mich an die Spitze des nur noch 70 Fahrer umfassenden Pelotons. 3km vor dem Ziel war auch er wieder gestellt und so begannen die Sprintvorbereitungen.
Ich war keine große Hilfe mehr für Pozzato, doch er hängte sich an Freire und war so in aussichtsreicher Position. Auf der Zielgerade war Petacchi früh im Wind und Filippo ließ eine kleine Lücke als Freire davon zog. Mit dem wohl schnellsten Endspeed erreichte er jedoch noch den zweiten Platz hinter dem dreifachen Weltmeister.

Etappenwertung
1 Óscar Freire Gómez Rabobank 4h28'28
2 Filippo Pozzato Team Katusha s.t.
3 Alessandro Petacchi Lampre-Farnese Vini s.t.
4 Lloyd Mondory Ag2r La Mondiale s.t.
5 Tyler Farrar Garmin - Transitions s.t.
...
13 Ruslan Goichev Team Katusha s.t.

Gesamtwertung
1 Óscar Freire Gómez Rabobank 7h48'52
2 Filippo Pozzato Team Katusha + 6
3 Daniele Bennati Liquigas-Doimo s.t.



Bild

Auf dem Papier war die dritte Etappe leichter als die vorherigen, also waren wir erneut in der Zwickmühle, für wen wir fahren sollen. Wir entschieden uns kurzfristig zu entscheiden und uns wieder nicht großartig in der Führungsarbeit zu zeigen. Wir hatten Glück, denn trotz einer großen Ausreißergruppe bummelten das Feld etwas. Das Tempo an den ersten beiden Anstiegen war nicht sehr hoch. Erst am letzten Hügel wurde dann richtig schnell gefahren. Danilo bekam Probleme, doch konnte in der Abfahrt wieder aufschließen.
Wir entschieden uns also für ihn, doch der Sieg schien so oder so in weiter Ferne. Es waren noch zehn Fahrer in Front und so versuchten Caruso und Mazzanti das Tempo zu erhöhen. Auch durch unsere Arbeit war das Feld 3km vor dem Ziel wieder zusammen. Mit mir, Bandiera und Pozzato versuchten wir einen Zug aufzubauen und es klappte auch ziemlich gut, doch als ich zur Seite fuhr erkannte ich, dass Danilo den Anschluss verloren hatte und in 30. Position ins Feld trudelte. Filippo musste also einen langen Sprint alleine durchziehen, rettete aber noch den 5. Platz beim Sieg von Petacchi.

Etappenwertung
1 Alessandro Petacchi Lampre-Farnese Vini 3h43'31
2 Allan Davis Astana s.t.
3 Daniele Bennati Liquigas-Doimo s.t.
4 Óscar Freire Gómez Rabobank s.t.
5 Filippo Pozzato Team Katusha s.t.

30 Ruslan Goichev Team Katusha s.t.

Gesamtwertung
1 Óscar Freire Gómez Rabobank 11h32'23
2 Alessandro Petacchi Lampre-Farnese Vini + 2
3 Daniele Bennati Liquigas-Doimo s.t.
4 Filippo Pozzato Team Katusha + 6


Drei potentielle Sprintetappen, die auch im Massensprint endeten, doch jedes Mal war Danilo nicht in der Lage, vorne rein zu halten. Trotzdem konnten wir durch Pozzatos Leistung zufrieden sein, was uns zuversichtlich für die kommenden schweren Tage stimmte. Ich merkte, dass meine Form sehr gut war und wusste, dass ich Filippo eine große Hilfe sein werde.
Währenddessen holte sich Purito bei der schweren Ankunft hoch nach Mende den Sieg mit 6 Sekunden Vorsprung auf Gilbert. Durch den schwächeren Prolog lag er in der Gesamtwertung zwar noch 22 Sekunden zurück, doch auf den letzten beiden Etappen hat er noch genug Möglichkeiten weiter Zeit gut zu machen.
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sciby
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12.9.2010 - 19:56

Der Mann mit dem Hammer

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Mit 245km stand nicht nur die längste, sondern wohl auch härteste Etappe auf dem Programm. Trusov sagte mir noch beim Frühstück, dass er diesen Tag verfluchen wird und am liebsten nach Hause möchte. Ich sah mir das Profil an und empfand es zwar als hart, aber so schwer sah das nicht aus. Unser Ziel war klar: Keine zu starken Fahrer weglassen und am Ende Pozzato die Möglichkeit zum Angriff ermöglichen.
Rabobank war als starkes Team und dem blauen Trikot in ihren Reihen im Prinzip zur Nachführarbeit verpflichtet und so schien sich das komplette Feld darauf zu verlassen und jeder wollte in der Ausreißergruppe des Tages sein. Das Team von Oscar Freire hatte auf den ersten Kilometern einiges zu tun. Da Fahrer wie van Goolen, Rojas und Fuglsang attackierten und sie nicht unbedingt vorne erwünscht waren, war das Tempo am ersten sanften Anstieg so hoch, dass es im Feld hinten schon ordentlich bröckelte. Auch Danilo bekam erste Probleme.
In der nachfolgenden Ebene hatte auch Rabobank keine Lust mehr auf das ständig hohe Tempo und so ließ man eine sehr starke Gruppe mit Tony Martin, Porte und Rojas ziehen. Die 8 Fahrer schienen keine Begleiter mehr zu bekommen, doch wirklich jeder wollte nach vorne und erneut versuchten es einige. Am Ende gab das Feld erneut auf und 13 Fahrer lagen an der Spitze. Wir stellten uns auf ein ruhiges Tempo am ersten Berg ein, doch machten die Rechnung ohne Rabobank.
Martens und Ten Dam schlugen ein sehr hohes Tempo an, so dass die Gruppe, in der bereits einige Schwierigkeiten hatten, gerade einmal 2 Minuten weggelassen wurde. Einige Sprinter fielen zurück und erst im flacheren Teil in Richtung Gipfel fanden sie wieder Anschluss. Wir merkten alle, dass der Tag noch so einige Überraschungen bereit halten würde. Das hohe Anfangstempo kam uns nicht gerade gelegen. Eigentlich wollten wir das Feld etwas kontrollieren, doch mit mir, Caruso und Mazzanti hatten wir nur drei wirklich bergfeste Helfer.
Erst in der Abfahrt nahm Rabobank etwas raus. Filippo sprach kurz mit Oscar Freire und teilte ihm mit, dass man die Gruppe auch so noch später einholen würde. Man hörte auf sein Verlangen und so konnten sich alle etwas erholen. In der Abfahrt vor dem nächsten Anstieg ohne Bergwertung lösten sich Gasparotto und Wegmann beinahe unbemerkt. Erst als beide den Gipfel erreichten bekamen wir die Info. Trotz der guten Position in der Gesamtwertung von ihnen reagierte niemand. Ich sprach Filippo darauf an.
„Ist das nicht etwas riskant, die ziehen zu lassen?“
„Wir haben noch über die Hälfte des Rennen vor uns und die müssen sich erst einmal alleine nach vorne kämpfen und brechen bestimmt bald ein.“
Ich vertraute seinen Worten, immerhin hatte er bereits einiges an Erfahrung angesammelt. Gasparotto erreichte noch in der Hochebene die Spitzengruppe während Wegmann noch immer gut 2 Minuten dahinter war. Der Vorsprung der Gruppe stieg derweil auf über 9 Minuten. Im Tal erhöhte Rabobank mit Hilfe von Sky das Tempo und schnell waren 4 Minuten aufgeholt. Wir waren zuversichtlich, dass der Sieger doch noch aus dem Peloton kommen würde, doch nun stand der harte Teil des Tages an.
Hinauf zur letzten Bergwertung löste sich Gasparotto von seinen Begleitern, doch der Vorsprung betrug nur noch 4 Minuten. Das Peloton wurde immer kleiner. Wie erwartet konnten aus unserem Team nur ich, Filippo, Caruso und Mazzanti mithalten. Die Gruppe schrumpfte auf 50 Fahrer und Wegmann und andere Ausreißer waren wieder eingeholt.
Am nächsten wirklichen Anstieg schauten wir alle ungläubig auf die Tafel des Motorrads, welches den Abstand zum Führenden anzeigte. Der Italiener konnte trotz dem höllischen Tempo im Hauptfeld eine Minute gut machen und lag somit 5 Minuten voraus. Als dann Devolder am Hügel attackierte schaltete sich auch Luca in die Führungsarbeit ein. In der kurzen Gegensteigung waren alle Ausreißer bis auf Gasparotto gestellt. Dieser hatte jedoch immer noch einen Vorsprung von 3 Minuten. Es standen noch zwei Anstiege auf dem Programm, doch außer mir war niemand mehr bei Filippo.
Im schwersten Anstieg des Tages verloren weitere Fahrer den Anschluss und die Gruppe war nur noch um die 20 Fahrer groß. Wir verloren dann jedoch etwas den Mut, denn am Hügel konnten wir gerade einmal 30 Sekunden auf Gasparotto aufholen.
„Ich werde es im Schlussanstieg versuchen. Meine Beine sind gut. Wie sieht es mit dir aus?“
„Tut mir Leid, ich glaube nicht, dass ich das Tempo erhöhen kann.“
Dieses Mal hatte ich nicht gelogen. Ich war fast völlig platt. Am Fuße des letzten Anstieges hatte der Führende noch immer 2 Minuten Vorsprung und ich versuchte das Tempo zu machen. Vielleicht hundert Meter lag ich an der Spitze der Gruppe, doch dann kam er – der Mann mit dem Hammer. Nichts ging mehr. Über 10% Steigung und 240km in den Beinen gaben mir den Rest. Pozzato setzte zusammen mit Lövkvist eine Attacke und schien sich den zweiten Platz hinter Gasparotto zu holen. Ich versuchte mit letzter Kraft den Abstand nicht zu groß werden zu lassen und kämpfte am Ende der Gruppe.

Bild
trotz aller Bemühung musste ich die anderen ziehen lassen

Zur Überraschung aller konnten Devolder und Freire zu Filippo und Lövkvist aufschließen und zusammen gingen sie auf den letzten Kilometer. Gasparotto lag noch 20 Sekunden vorn, doch dann platzte auch er. Mit dem Ziel vor Augen ging bei ihm nichts mehr. Oscar Freire sprintete auf den letzten 50 Metern an ihm vorbei. Filippo erreichte im Sprint zwar nur den 4. Platz, war jedoch trotzdem mit seinem Resultat zufrieden.

Bild
der sichere Sieger Gasparotto am Ende knapp geschlagen

Mit Beinen so schwer wie Stahl und kaum noch Luft kam ich ins Ziel. Ich konnte zwar noch Begleiter stehen lassen, aber verlor über eine Minute auf den Sieger. Ich brauchte eine gewisse Zeit um aufzustehen nachdem ich mich auf den Boden direkt hinter der Ziellinie gesetzt hatte. Im Hotel lag ich über eine halbe Stunde zunächst nur auf dem Bett und ging erst dann unter die Dusche. Noch nie hatte ich danach die Massage so sehr genossen wie nach diesem harten Tag.

Etappenwertung
1 Óscar Freire Gómez Rabobank 6h18'24
2 Enrico Gasparotto Astana s.t.
3 Thomas Lövkvist Sky Professional Cycling Team s.t.
4 Filippo Pozzato Team Katusha s.t.
5 Stijn Devolder Quick Step s.t.
6 Giovanni Visconti ISD - Neri + 17
7 Riccardo Riccò Ceramica Flaminia s.t.
8 Patrik Sinkewitz ISD - Neri s.t.
9 Matti Breschel Team Saxo Bank s.t.
10 Vincenzo Nibali Liquigas-Doimo s.t.

18 Ruslan Goichev Team Katusha + 1'05

Gesamtwertung
1 Óscar Freire Gómez Rabobank 17h50'37
2 Filippo Pozzato Team Katusha + 16
3 Enrico Gasparotto Astana + 17
4 Thomas Lövkvist Sky Professional Cycling Team + 22
5 Stijn Devolder Quick Step + 26

18 Ruslan Goichev Team Katusha + 1'31
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sciby
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Beitrag: # 6831940Beitrag sciby
13.9.2010 - 11:07

Was gestern war muss längst nicht heute gelten

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Nach dem harten Vortag nahm ich mir nichts Großes für die noch schwerere, aber etwas kürzere drittletzte Etappe vor. Erneut war es unser Verlangen, Filippo vorne zu halten. Er traute sich eine erneute Attacke zu und wollte noch Zeit auf Freire und Co raus holen. Der wellige Beginn war wie gemacht für die Ausreißer. Erneut war es an Rabobank, die Gruppe nicht zu stark werden zu lassen.
Als wohl stärkster Helfer im Team kam einiges an Arbeit auf mich zu. Ich hoffte, dass Luca und Gianpaolo so lange wie möglich vorne bleiben, so dass ich erst an den letzten kurzen Anstiegen Führungsarbeit machen musste. Eine schwach besetzte Ausreißergruppe wurde nach kurzen Kampf weggelassen und die erste Hälfte der Etappe war sehr locker. Ich spürte die Anstrengungen vom Vortag nur wenig und erkannte am ersten Berg, dass es einigen Fahrern da anders erging.
Zu Beginn des Forca di Presta, dem höchsten Berg des Tages, setzten sich Aerts und Scarponi, der Vorjahressieger, ab. Beide lagen in der Gesamtwertung jedoch schon über 12 Minuten zurück, so dass man ihnen nicht all zu viel Aufmerksamkeit schenkte. Trotzdem erhöhte Rabobank im Anstieg das Tempo und viele Fahrer verloren den Anschluss. Der immerhin über 1500m hohe Berg sorgte sogar für Schwierigkeiten bei einigen gut platzierten Fahrern. 5Km vor der Bergwertung nahm Rabobank plötzlich das Tempo raus. Filippo gab mir ein Signal, dass Freire Probleme hat und sofort schickten wir Caruso und Mazzanti an die Spitze. Durch ihre Arbeit schrumpfte das Feld auf 40 Fahrer. Als ich mein Trikot schloss und mich umdrehte entdeckte ich jedoch keinen Teamkollegen mehr. Nur noch Luca und Gianpaolo waren an der Spitze des Feldes, aber Filippo fiel in die Verfolgergruppe zurück.
Ich erkundigte mich per Funk bei der sportlichen Leitung und sie teilten mir mit, dass er in einer Gruppe um Freire und Gasparotto steckte. Zwar ließen sich alle Teamkollegen des Spaniers zurückfallen, doch der Abstand nach vorne war bereits zu groß. Die Gruppe schien geschlagen und mir wurde die Kapitänsrolle übertragen. Nun lag es an mir, Leistung zu vollbringen. Noch am Morgen hätte ich nie an einen solchen Verlauf gedacht, aber der Berg schien für die meisten einfach zu schwer – für mich kam er ganz gelegen.

Bild
Pozzato in Rot und Freire in Blau müssen die Gruppe um den stärksten Bergfahrer (ich) ziehen lassen

An der Sprintwertung hatten wir nach ganz vorne noch 6 Minuten Rückstand. In der langen Abfahrt kam die Gruppe um Pozzato und Freire zwar gefährlich nah, doch im steilsten Anstieg des Tages machte Caruso ein so hohes Tempo, dass alle Fahrer wieder den Anschluss verloren. Somit lagen nur noch 34 Fahrer in der Hauptgruppe. Während unsere beiden italienischen Helfer auf der vorherigen Etappe noch früh zurückfielen, konnten sie heute lange das Tempo bestimmen. Es schien wirklich so, als wäre es von Vorteil nicht ganz vorne in der Gesamtwertung zu liegen.
Genau das war meine Chance. Ich konnte einen großen Sprung machen, also machten Caruso und Mazzanti weiter hohes Tempo. Wir bekamen auch am nächsten Anstieg keine Unterstützung anderer Teams. Anscheinend war man sich in den meisten Mannschaften nicht sicher, für wen sie nun fahren sollten.
Im langen abfallenden Teilstück bis zu den drei Schlussanstiegen attackierten dann Simoni, Lopez Garcia, Sinkewitz und Millar. Nun schalteten sich auch Acqua Sapone und Radioshack in die Führungsarbeit ein. Wir konnten uns etwas erholen. Ich besprach mit dem Teamwagen unsere Vorgehensweise. Ich fühlte mich stark. Stark genug um etwas zu versuchen. Die letzten drei Hügel waren perfekt dafür.
Kurz vor dem ersten versuchten es auch Nibali und Lövkvist, doch auch sie wurden wieder eingeholt und so ging es in den ersten der drei Hügel in einer geschlossenen, jedoch nur noch 27 Fahrer umfassenden Gruppe. Ich wusste, dass ich so lange wie möglich mit einer Attacke warten sollte. Caruso und Luca waren mir jedoch keine Hilfe mehr. Sie fielen zurück, konnten jedoch stolz auf ihre Leistung sein, denn sie fuhren den halben Tag von vorne und sorgten dafür, dass viele Fahrer zurückfielen.
Erneut attackierten Simoni und Lövkvist, doch ich versuchte nicht hinterher zu gehen. Ich musste mich auf andere Teams verlassen, dass sie wieder heran fahren und glücklicherweise war am Ende der Abfahrt wieder alles zusammen. Simoni schien Hummeln im Arsch zu haben und attackierte am nächsten Hügel schon wieder. Nun sah ich mich gezwungen kurz die Führung zu übernehmen. Ich erkannte sofort, dass mein Tempo zu hoch für einige Fahrer war und nahm wieder etwas raus. Insgesamt war jede Attacke umsonst. In der längeren Abfahrt lagen am Ende 14 Fahrer an der Spitze.
Es ging ein den Schlussanstieg und ich wusste, dass ich nun attackieren musste. Im Sprint hätte ich wohl keine Chance gehabt, jedoch wollte ich auch nicht zu früh attackieren. Im steilsten Stück 1,5km vor dem Ziel zog ich davon. Jeder musste an sein Limit gehen und fiele verloren Meter um Meter auf mich. An der Flame Rouge lag ich wenige Sekunden vorne und sah mich bereits wie der sichere Sieger, doch dann rauschte noch Ricco mit Lövkvist vorbei.

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Im weißen Trikot des besten Nachwuchsfahrer (lächerliche Bezeichnung für jemanden wie mich) entwischte ich kurz vor dem roten Wimpel

Am Ende blieb für mich nur der dritte Platz und die Gewissheit am Berg der stärkste Fahrer des Feldes gewesen zu sein. Hätte es auf den letzten 30km noch einen hohen 2000er gegeben, so hätte ich bestimmt über eine Minute heraus fahren können. Leider musste ich nehmen, was kam und so konnten ich nicht genügend Zeit gut machen. Für Filippo war der heutige Tag der Tod. Er bekam über 10 Minuten aufgebrummt, lag damit aber sogar noch 4 Minuten vor Freire. Eine Etappe bleibt noch, auf der ich weitere Schritte in Richtung Podium machen kann und ich hoffe, dass dann Filippo für mich arbeiten wird.

Etappenwertung
1 Riccardo Riccò Ceramica Flaminia 6h29'45
2 Thomas Lövkvist Sky Professional Cycling Team s.t.
3 Ruslan Goichev Team Katusha s.t.
4 Stefano Garzelli Acqua & Sapone - D'Angelo & Antenucci s.t.
5 Rinaldo Nocentini Ag2r La Mondiale s.t.
6 Vincenzo Nibali Liquigas-Doimo s.t.
7 Tadej Valjavec Ag2r La Mondiale + 22
8 Sérgio Paulinho Team RadioShack s.t.
9 Gilberto Simoni Lampre-Farnese Vini s.t.
10 Stijn Devolder Quick Step s.t.

Gesamtwertung
1 Thomas Lövkvist Sky Professional Cycling Team 24h20'38
2 Riccardo Riccò Ceramica Flaminia + 17
3 Stefano Garzelli Acqua & Sapone - D'Angelo & Antenucci + 27
4 Vincenzo Nibali Liquigas-Doimo s.t.
5 Stijn Devolder Quick Step + 32
6 Rinaldo Nocentini Ag2r La Mondiale + 55
7 David López García Caisse d'Epargne + 1'07
8 Ruslan Goichev Team Katusha + 1'11
9 Patrik Sinkewitz ISD - Neri + 1'13
10 Christopher Horner Team RadioShack + 1'17
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sciby
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Beitrag: # 6832037Beitrag sciby
13.9.2010 - 23:36

Ohne Moos nichts los – Lehrgeld zählt auch dazu

Der Morgen der vorletzten Etappe begann mit einem kleine Zwist zwischen mir und Filippo.
„Fährst du heute für mich, damit ich weiter in der Gesamtwertung nach vorne kommen kann?“
„Ich kann heute gewinnen.“
„So wie gestern?“
„Nein, gestern war es einfach zu bergig. Die Schlussrunde liegt mir. Du kannst dich sowieso kaum noch verbessern. Wir sind mit dem Ziel des Etappensieges in die Rundfahrt gegangen und noch haben wir das nicht erreicht.“
„Ich werde sehen, was sich machen lässt.“
„Du wirst für Filippo fahren“, mischte sich unser Sportlicher Leiter Mario Chiesa ein.
„Aber ich liege doch viel besser in der Gesamtwertung...“
„Die Etappe ist zu leicht um viel Zeit gut zu machen. Du solltest mit der Top Ten Platzierung zufrieden sein. Wir sind sehr von dir angetan, aber heute zählt nur der Etappenerfolg.“
„Na gut, aber bin ich denn in Mailand dabei?“
„Nach jetzigem Stand wollen wir dich nachnominieren.“
„Filippo, du kannst auf meine Hilfe zählen.“

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Bis zur ersten Einfahrt auf die Schlussrunde nahmen wir uns nichts vor. Sky musste arbeiten und wir wollten in den steilen Anstiegen auf dem Kurs rund um Macerata das Tempo erhöhen. Je weniger Fahrer am Ende übrig blieben, desto höher war die Chance für Pozzato die Etappe abzuschießen. Nachdem die obligatorische Ausreißergruppe schnell stand, setzten sich Napolitano, Trusov und Vanendert in der ersten Runde an die Spitze. Schnell war das Feld langgezogen und Filippo teilte mir mit, dass er sich sehr gut fühlte. Unser Plan war klar und ging auch genau so auf.
In der zweiten Runde unterstützte Bandiera unsere drei Helfer und in der vorletzten Runde machten Caruso und Mazzanti das Tempo. Alles funktionierte genau so wie wir es wollten. Die Ausreißer hatten auf der letzten Runde zwar noch einen Vorsprung von einer Minute, doch dann riss ich mich am Riemen und fuhr am ersten Teil des Hügels von vorne und bolzte Tempo. Sofort kam die Spitze näher, doch dann attackierte Nibali. Mit wenigen Sekunden Rückstand auf Lövkvist musste er etwas versuchen. Ich konnte nicht mehr nachsetzen und Nibali entwischte. Den Schweden konnte ich noch in Schach halten, aber auf den letzten 3km gingen mir etwas die Kräfte aus.

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Nibalis Tempo im strömenden Regen war einfach zu hoch

Filippo orientierte sich nach vorne und konterte die entscheidende Attacke des Führenden. Zunächst konnte er noch folgen, doch dann brach auch er ein. Der Sieg rückte in weite Ferne. Diesen machten Nibali und Lövkvist unter sich aus. Pozzato verlor 29 Sekunden und wurde nur 6. Ich erreichte das Ziel mit 41 Sekunden Rückstand.

Etappenwertung
1 Vincenzo Nibali Liquigas-Doimo 3h41'43
2 Thomas Lövkvist Sky Professional Cycling Team s.t.
3 Christopher Horner Team RadioShack + 29
4 Stijn Devolder Quick Step s.t.
5 Sérgio Paulinho Team RadioShack s.t.
6 Filippo Pozzato Team Katusha s.t.
7 Stefano Garzelli Acqua & Sapone - D'Angelo & Antenucci s.t.
8 David López García Caisse d'Epargne s.t.
9 Riccardo Riccò Ceramica Flaminia s.t.
10 Óscar Freire Gómez Rabobank + 41
...
20 Ruslan Goichev Team Katusha s.t.

Gesamtwertung
1 Thomas Lövkvist Sky Professional Cycling Team 28h02'15
2 Vincenzo Nibali Liquigas-Doimo + 23
3 Riccardo Riccò Ceramica Flaminia + 52
4 Stefano Garzelli Acqua & Sapone - D'Angelo & Antenucci + 1'02
5 Stijn Devolder Quick Step + 1'07
6 Rinaldo Nocentini Ag2r La Mondiale + 1'42
7 David López García Caisse d'Epargne s.t.
8 Christopher Horner Team RadioShack + 1'48
9 Sérgio Paulinho Team RadioShack + 1'52
10 Ruslan Goichev Team Katusha + 1'58

Die Etappe zeigte mir, dass ich etwas an meine Grenzen gestoßen war. Mehr ging einfach nicht, so gut der Vortag auch war. Ich musste mich mit meiner Platzierung zufrieden geben, doch dann kam die letzte Etappe...

Bild

Unsere Devise lautete eindeutig, Danilo im Sprint mit voller Mannschaftsstärke zum Sieg verhelfen, wie es Purito in Nizza vormachte. Er gewann die letzten beiden Etappen und die Gesamtwertung. Nun mussten wir nachziehen. Das hügelige Terrain zu Anfang war der einzige Problem für Danilo. Wir hatten Glück, dass früh eine Gruppe weggelassen wurde und so wurde sehr mäßiges Tempo angeschlagen.
Ich fühlte mich gut und im ersten Anstieg juckte es mich und ohne wirklich zu überlegen, attackierte ich. Sehr schnell konnte ich mich lösen, doch dann organisierte Sky mit Lampre die Nachführarbeit.
„Ey, bambino! Bist du verrückt?“
Mario schrie mir über Funk ins Ohr und sofort nahm ich den Stöpsel raus um Ruhe zu haben. Er war ziemlich sauer auf mich, doch ich wollte meine letzte Chance auf eine Verbesserung in der Gesamtwertung nutzen. Überraschenderweise ließ mich das Feld nach kurzer Verfolgung dann doch ziehen. Noch am nächsten Hügel erreichte ich die Spitzengruppe, in der ich mich etwas erholen konnte, doch versuchte ich das Tempo dort immer wieder zu erhöhen. Mario kam mit dem Teamwagen vorgefahren und war immer noch sauer, obwohl der Abstand sich immer weiter vergrößerte.
„Das hätte Danilo das Genick brechen können.“
„Hat es aber nicht. Wollt ihr lieber einen Etappensieg oder die Gesamtwertung?“
„So wie es derzeit aussieht werden wir nichts davon haben. Ich hoffe nur, dass du nicht noch aus den Top Ten rausfällst so wie du fährst.“
„Keine Sorge, ich werde mich sogar noch nach vorne arbeiten.“
„Die lassen dich nicht lange gewähren und bald seid ihr alle wieder eingeholt.“
Meine Begleiter sahen das ganze ähnlich.
„Ruslan, was soll das? Wegen dir stehen unsere Chancen jetzt nahe Null.“
„Danke! Wäre Lance im Feld dann hätte er dich längst zurück geholt.“
„Und wehe du machst jetzt nicht die meiste Arbeit.“
Die Jungs konnten sich auf mich verlassen. Ich fuhr mindestens doppelt so lange wie jeder einzelne im Wind. Sie konnten nicht mit mir meckern. Meine starken Beine sorgten für einen konstanten Vorsprung von 5 Minuten auf das Peloton. Ich war mir sicher, dass wir den Vorsprung halten können, doch innerhalb der nächsten 50km schrumpfte er auf eine Minute. Bereits 20km vor dem Ziel waren wir eingeholt.

Bild
Der Ausreißversuch scheiterte am zu starken Feld


„Jetzt entschuldige dich bei deinen Begleitern und gib alles um nicht noch aus dem Feld zu fallen!“
„Das erste werde ich sicherlich nicht tun. Auf das andere kannst du dich verlassen.“
Ich war sauer auf Mario, immerhin hatte ich alles versucht, einen Erfolg raus zu fahren. Ich hielt mich weit vorne im Feld auf und hatte keine Probleme dem hohen Tempo zu folgen. Derweil bereiteten meine Teamkollegen den Sprint für Danilo vor.
Es lief erneut alles nach Plan, doch meine Power fehlte im Zug. Auf dem letzten Kilometer zog Pozzato an, doch Danilo konnte ihm nur mühsam folgen. Wäre ich nun auch noch dabei gewesen, dann hätte er wohl gar keine Chance gehabt. Pozzato musste sich erneut Bennati geschlagen geben und so reichte es wieder nicht für den ersehnten Etappensieg für uns, doch ich hatte mein Bestes dafür gegeben. Durch einen Sturz von Paulinho machte ich sogar noch einen Platz in der Gesamtwertung gut.

Etappenwertung
1 Daniele Bennati Liquigas-Doimo 3h52'58
2 Filippo Pozzato Team Katusha s.t.
3 Óscar Freire Gómez Rabobank s.t.
4 Alessandro Petacchi Lampre-Farnese Vini s.t.
5 Danilo Napolitano Team Katusha s.t.

Gesamtwertung
1 Thomas Lövkvist Sky Professional Cycling Team 31h55'13
2 Vincenzo Nibali Liquigas-Doimo + 23
3 Riccardo Riccò Ceramica Flaminia + 52
4 Stefano Garzelli Acqua & Sapone - D'Angelo & Antenucci + 1'02
5 Stijn Devolder Quick Step + 1'07
6 Rinaldo Nocentini Ag2r La Mondiale + 1'42
7 David López García Caisse d'Epargne s.t.
8 Christopher Horner Team RadioShack + 1'48
9 Ruslan Goichev Team Katusha + 1'58
10 Patrik Sinkewitz ISD - Neri + 2'00


„Tut mir Leid Ruslan, aber das mit Mailand kannst du jetzt vergessen. Beim Criterium International wollen wir dich teamfähiger erleben.“
Ich konnte es nicht fassen. Trotz starker Verfassung und überzeugender Leistung bei Tirreno-Adriatico strich man mich aus dem Kader für das längste Eintagesrennen der Saison. Ich war maßlos von der Teamleitung enttäuscht und brauchte erst einmal etwas Abstand. Während Pozzato einen Tag später vor Gusev einen eindrucksvollen Doppelsieg bei Nokere-Koerse feierte, entspannte ich mich bei einer Thai-Massage in Berlin...
Ex-Profi Cédric Vasseur via Twitter: "Der Radsport wurde wieder einmal vor der ganzen Welt lächerlich gemacht...Bravo!!!"

sciby
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Beitrag: # 6832077Beitrag sciby
14.9.2010 - 17:23

Kritik tut bestimmt nicht weh
Ex-Profi Cédric Vasseur via Twitter: "Der Radsport wurde wieder einmal vor der ganzen Welt lächerlich gemacht...Bravo!!!"

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bavarian
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Beitrag: # 6832079Beitrag bavarian
14.9.2010 - 17:30

keine Kritik. Mach weiter! ;)

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Andi91
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Beitrag: # 6832084Beitrag Andi91
14.9.2010 - 17:57

Ich finds gut :)

sciby
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Beitrag: # 6832093Beitrag sciby
14.9.2010 - 21:24

Na dann kann ich mir ja Zeit lassen
Ex-Profi Cédric Vasseur via Twitter: "Der Radsport wurde wieder einmal vor der ganzen Welt lächerlich gemacht...Bravo!!!"

sciby
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Beitrag: # 6832106Beitrag sciby
15.9.2010 - 0:01

Pure Dominanz und ich bin ein Teil davon

In Berlin ließ ich es mir zwei Tage ohne Training gut ergehen. Ich genoss die angenehme 'Stadttour'. Ein Besuch in einem Edelbordell gehörte selbstverständlich auch dazu. Es war großartig. Am liebsten wäre ich noch länger in meiner bevorzugten Metropole geblieben, doch um mich auf meine nächsten Rennen vorzubereiten, ging es für mich nach Korsika, wo auch das Criterium-International seit diesem Jahr stattfindet. Nach einer ersten kurzen Ausfahrt schaute ich am Abend das Ende von Mailand – San Remo.
Mit etwas Wehmut musste ich erkennen, dass mein Teamkollege Ivanov zwischen Cipressa und Poggio mit Juan Antonio Flecha allein an der Spitze lag. Einerseits freute ich mich, doch andererseits wäre ich lieber an seiner Stelle gewesen. Eine gute Sache hatte das ganze jedoch: Bei einem Wein, der mir ehrlich gesagt zu wenig Alkohol besaß, was jedoch somit nicht so stark meinem Training schadete, erging es mir deutlich besser und musste mich nicht all den Strapazen aussetzen.
Zu meiner und auch zur Überraschung der wirklich schwul klingenden, französischen Kommentatoren setzte sich Filippo am Poggio vom Feld ab. Mit Danilo und Robbie waren noch unsere beiden Topsprinter vorne vertreten, doch trotzdem versuchte er eine Attacke und riskierte damit den sicheren zweiten Platz von Ivanov. Durch ein sehr hohes Tempo erreichte er noch vor der Kuppe die beiden Spitzenreiter und das Feld musste sich geschlagen geben. Im Sprint gegen unsere beiden Männer hatte Flecha keine Chance und holte immerhin noch den zweiten Platz hinter Pozzato.

1 Filippo Pozzato Team Katusha 7h11'41
2 Juan Antonio Flecha Sky Professional Cycling Team s.t.
3 Sergey Ivanov Team Katusha s.t.
4 Daniele Bennati Liquigas-Doimo + 44
5 Tyler Farrar Garmin - Transitions s.t.
6 Alessandro Petacchi Lampre-Farnese Vini s.t.
7 Fabian Cancellara Team Saxo Bank s.t.
8 Stijn Devolder Quick Step s.t.
9 Tom Boonen Quick Step s.t.
10 Gert Steegmans Team RadioShack s.t.


Mal wieder dominierten wir ein Rennen und nicht etwa irgendeins, sondern den längsten Radklassiker der Welt. Meine Hilfe wurde nicht benötigt, auch wenn ich mir sicher war, dass auch ich eine solche Attacke erfolgreich vollbracht hätte. Im Endeffekt erhöhte dieser klare Erfolg nicht gerade meine Chancen beim Criterium- International Kapitänsansprüche zu bekommen, auch wenn weder Pozzato noch Ivanov am Start sein werden.
In den kommenden Tagen schaute ich mir den Col de l'Ospedale, auf dem das Ziel der ersten Etappe liegt, an. Der Anstieg liegt mir. Mit etwas Unterstützung kann man dort viel Zeit rausfahren. Ich musste auf Dmitris Anweisungen warten. Aufgrund der vielen gleichzeitig stattfindenden Rennen war noch nicht sicher, wer wo starten wird.
Jeden Abend las ich die Gazzetta dello Sport und konnte erstaunliches und sehr erfreuliches über mein Team und mich lesen.
Katusha mit Raketenstart in die Saison

Platz 1 und 2 in der Fahrerwertung, doppelt so viele Punkte wie der Zweite in der Teamwertung, 20 Saisonsiege und das klar beste Team der noch jungen Radsportsaison. Dies sind nur einige Fakten, die die klare Dominanz des russischen Team Katusha verdeutlichen. Bei jedem Rennen, bei dem die multikulturell besetzte Mannschaft am Start stand, war sie auch erfolgreich.
Es begann im Januar mit drei Etappensiegen und der Gesamtwertung durch Pozzato in Down Under. Auf Mallorca war Rodriguez Oliver nicht zu schlagen und bei den ersten Pflasterrennen war Pozzato immer unter den Besten fünf. Der spanische Kapitän legte bei Paris-Nizza in eindrucksvoller Manier mit drei Etappensiegern und dem Gesamterfolg nach, während Pozzato in Italien auch im Massensprint immer auf's Podium kam. Die Krönung setzte das Team dann bei Milano – San Remo.
Der bereits sichere zweite Platz durch Ivanov reichte ihnen nicht aus und so sprengte der italienische Meister und Dauerführende der Protourwertung das Feld und holte sich den eindeutigen Sieg. Fast alle großen Erfolge wurden von ausländischen Fahrern errungen, doch mit Ruslan Goichev überraschte ein vollkommen unbekannter Neoprofi, der sich sogar bereits seinen ersten Saisonsieg holte. Wir können gespannt sein, welche Rolle er in der Saison noch spielen kann. Sein Potential bewies er bereits mit seiner derzeitigen Leistung. In Hintergrund der Spitzenfahrer scheint ein großartiges Talent zu reifen.
[...]
Die anderen Mannschaften schauen zum russischen Top-Team auf und sehen die russische Katusha-Rakete hoch am Himmel fliegen und wir warten nur darauf wann und wo sie explodieren wird. In der kommenden Woche erwarten wir erneut großartige Leistungen. Rodriguez Oliver wird in Katalonien weiter Punkte sammeln wollen und Pozzato gilt als der Topfavorit auf den Sieg bei den drei flandrischen Klassikern.
Es war sehr schön einen solchen Bericht zu lesen. Ich fühlte mich gleich wieder stärker und wusste, dass ich im richtigen Team bin. Es ist schwer bei den wichtigen Rennen Kapitän zu sein, doch ich möchte es ja auch nicht zu leicht haben und es dauert nicht mehr lange und alle werden wissen, dass auch ich zu den Spitzenfahrern im Team gehöre.
Im Training erhielt ich dann sogar noch Unterstützung. Mikhail Ignatiev, mit dem die Streitigkeiten aus der Schweiz bei ein paar Gläsern Wodka aus der Welt geschafft wurden, war auch bereits früher angereist und so konnten wir beide zusammen die Etappen besichtigen. Anscheinend hatte er sich ziemlich zurückgelehnt in den letzten Wochen, denn mein Tempo war ihm zu anspruchsvoll, so dass ich einige Male auf ihn warten musste, doch ich ließ mich nicht von ihm bremsen und spulte mein Programm konsequent ab.
Ex-Profi Cédric Vasseur via Twitter: "Der Radsport wurde wieder einmal vor der ganzen Welt lächerlich gemacht...Bravo!!!"

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