Die Rache der Kletterer

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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pfanne
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Beitrag: # 6827935Beitrag pfanne
12.8.2010 - 9:33

Gefällt mir bisher richtig gut hier, macht Spaß zu lesen.
Das mit der Musik geht von der Länge her. Ich hab den Text immer vor der Musik fertig.

Aber sag mal, wer hat denn nun den Giro gewonnen?
Tottenham are the greatest team
the world has ever seen.

COME ON YOU SPURS!

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arkon
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Beitrag: # 6827936Beitrag arkon
12.8.2010 - 10:02

Candese war in der Tat in Italien beim Giro gewesen, um Lorenzo Spangaro zu unterstützen. Und Spangaro hatte auch, mit gerade einmal 25 Jahren, den Sieg errungen.
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PS
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Beitrag: # 6827957Beitrag PS
12.8.2010 - 17:05

Bin mit dem Text auch immer vor der Musik fertig. Einmal war es knapp, glaube ich.
Pe Es - Sieger Giro 2010, 3. TdF 2011, 3. Giro 2013, 2. TdF 2015, 2. Giro 2017, 3. Vuelta 2017, Sieger Vuelta 2023
Etappensiege: Vuelta Etappe 18+19 2008; Giro Etappe 7 2010; Giro Etappe 19 2011; Vuelta Etappe 3+5 2011; Giro Etappe 3 2013; Giro Etappe 8 2016; Tour Etappe 9 2016; Giro Etappe 18 2017; Tour Etappe 17 2017; Vuelta Etappe 12 2018; Tour Etappe 13 2019; Giro Etappe 12 2020; Giro Etappe 14+20 2021; Tour Etappe 14 2021; Vuelta Etappe 7+15 2021

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Al3enkiller *Ulle*
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Beitrag: # 6827966Beitrag Al3enkiller *Ulle*
12.8.2010 - 19:55

Sag mal wie habe ich mir eigentlich deine Huntergrundarbeit vorzustellen?
Denkst du dir all diese Fahrer und Teams im Vorfeld nur für den AAR aus? Ist für mich kaum vorstellbar, da muss deine Fantasie ja im Vorfeld schon viel Arbeit verrichten, bevor es überhaupt ans schreiben geht. Respekt!
mfg Al3enkiller

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arkon
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Beitrag: # 6827979Beitrag arkon
12.8.2010 - 22:51

Die Teams, Fahrer und Geschichten dieser Welt sind schon länger in Arbeit. Im Laufe meiner Planungen zu "Ein langer Weg" ist mir die Idee gekommen, diese Geschichte in eine fiktive Radsportwelt zu verlegen. Vor allem dieses ewige disqualifizieren aufgrund von Dopingverstößen hat mich dazu getrieben. Viele AARs hatten und haben das Problem, dass sie sich für gesperrte Fahrer etwas einfallen lassen müssen. Das nervt und kostet Energie.
Vor, ich glaube, über einem Jahr (Frühjahr 2009?) habe ich dann mit der konkreten Planung angefangen, also Tabellen erstellen, Texte vorschreiben, Fahrer und Teams erstellen. Das ist anstrengender als es sich anhört. Damit die Welt auch irgendwie cool ist braucht man mehr als nur einen Zufallsgenerator. Die meisten Fahrertypen und Teams kommen aus den 90ern des realen Radsports. Einige werdet ihr sicher wiedererkannt haben.
Euch dann diese Welt nahe zu bringen ist noch eine ganz andere Schwierigkeit. Ursprünglich wollte ich das mit Einschüben in "ein langer weg" bewerkstelligen. Einen gabs ja auch. Aber als ich für das projekt zusehends die motivation verlor ist diese möglichkeit gestorben.
Jetzt nutze ich also erstmal diese Tour. Ich baue ein zurzeit ein kleines wiki, welches ein paar meiner texte (die eigentlich nur für mich gedacht waren) enthält. wenn das ansehnlich genug ist werde ich hier mal die url posten. und dann natürlich auch mit deeplinks dienen können (falls ihr jemanden vergesst).
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arkon
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Beitrag: # 6828151Beitrag arkon
14.8.2010 - 14:02

Prolog Tour de France 2009, Le Mans, Frankreich (Musik)

Die Idee, den Prolog des größten Radrennens der Welt auf der berühmtesten Rennstrecke Frankreichs auszutragen konnte nur von einem ausgeklügeltem Marketingstrategen stammen. Die Macht der Synergie schlug voll zu: Während die Tour auf riesige Tribünen zugreifen und Eintrittskarten verkaufen konnte nutzten die Betreiber der Strecke die Gelegenheit und präsentierten die „Le Mans-Serie“ in vollen Zügen. Rund um das Programm der Tour gab es einige Showläufe verschiedener Teams. Deren Betreiber freuten sich ebenfalls über die Chance zur Eigenwerbung. Kurz und gut: Den ganzen Tag über sah man Anzugträger an der Strecke herumlaufen, immer ein breites Grinsen im Gesicht.
Die Zuschauer freuten sich über eine gute Show, und da die Preise für die Tribünenplätze ausgesprochen moderat waren kam auch Stimmung im Start und Zielbereich auf. Die Fahrer fuhren sich, dem Thema des Tages entsprechend, in den Garagen ein. Jedes Team bekam eine zugewiesen und so bekam man die aus Motorsportübertragungen bekannten Aufnahmen aus den Garagen kurz vor dem Start zu sehen.
Kenny Jackson hatte sich für einen frühen Start entschieden. Zum einen hatte er gestern einem Wettertechniker an der Strecke über die Schulter geschaut, sich mit ihm unterhalten und von ihm erfahren, das „Der janze Scheiß wenn überhaupt morgen nammitach rundakommt.“. Zum anderen war er auch ungeduldig. Es war einer der Sachen die er an Zeitfahren überhaupt nicht schätzte: Das Warten. Er kam sich immer vor wie in der Schule kurz vor einer mündlichen Prüfung. Er versuchte, den Tag so normal wie möglich zu verbringen. Aber er konnte nie damit umgehen, ständig dieses flaue Gefühl in der Magengegend zu haben. Vor allem für so ein kurzes Zeitfahren war das oft unnötig. Bei den langen Rennen konnte er wenigstens noch die Strecke auf und ab fahren, sich vielleicht in das Teamfahrzeug bei einem anderen Fahrer setzen. Aber hier war das nur Zeitverschwendung.
Seine Vorbereitung auf die Strecke hatte in intensiven Studien der Strecke in verschiedenen Rennspielen bestanden. Jetzt wusste er wenigstens mit welchem Abtrieb er wo auf welcher Straßenseite rechnen konnte und wo die idealen Bremspunkte bei Nieselregen lagen. Wichtige Erkenntnisse.
So frönte er nur für eine Weile seiner Rennsportbegeisterung indem er sich mit den Fahrern aus der Le Mans-Serie unterhielt und einen guten Blick auf die Boliden warf. Er freute sich schon auf den Moment wenn er das Rennen hinter sich gebracht hatte und sich endlich ganz und gar hier gütig tun durfte.
Zum Aufwärmen ging er in die Box und kam dann auch relativ schnell an die Reihe. Die übliche riesige Anspannung beim Start wurde durch seine Streckenkenntnisse abgeschwächt. Vor allem den ersten Kurvenkomplex bevor es hinaus auf die lange Gerade ging kannte er im Schlaf. Piep, piep, piep und los ging es.

Als Laurent Farine von seinem Rad stieg flammte spontan Applaus um ihn herum auf. Er hatte sich bei der Dauphinèe achtbar präsentiert und seine gute Form nun auch offensichtlich mit in die Tour genommen. Sein Rückstand auf die aktuelle Bestzeit betrug nur 38 Sekunden, und Arvid Lindsen war allgemein als sehr guter Zeitfahrer bekannt. Das er als Kletterer da mithalten konnte war überraschend.
Er reckte seine Arme in die Höhe und verbeugte sich vor seinem Publikum. Wenn er in dieser Tour eine Chance haben wollte dann musste er sich zu allererst als Kapitän im eigenen Team etablieren. Erst danach kam die Konkurrenz. Er wusste es und hatte entsprechend gehandelt: Schon vor einer Woche war er nach Le Mans gereist und hatte die Gelegenheit genutzt sich ausführlich auf diesen Kurs vor zu bereiten. Wieder und wieder war er die Strecke abgefahren und hatte sich für jede Sektion die richtige Übersetzung, die richtige Pulszahl herausgesucht. Er wollte und musste hier seinen Teamkameraden davon fahren, das war fast schon wichtiger als die ersten Bergetappen.
Hochzufrieden ging er von dannen, ließ den Betreuer das Rad zur Box zurück schieben. Er selbst verabschiedete sich nach ein, zwei flüchtigen Interviews in Richtung Hotel. Frankreich hatte in den letzten Jahren genug Tourhelden gehabt um nicht daran zu zweifeln dass er auch einmal ein solcher werden könnte. Und dem Ton nach zu schließen waren auch die Fernsehanstalten mehr und mehr davon überzeugt, das es in diesem Jahr schon zum Sieg würde reichen können.
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arkon
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Beitrag: # 6828209Beitrag arkon
15.8.2010 - 10:50

(Musik)
Für Andrlikova gab es nichts Schlimmeres als Zyniker. Sein Umfeld, seine Freunde wussten das. Aber eine der Sachen bei der Tour war halt nun einmal das viele Menschen um einen herum waren. Und gerade hier, beim Prolog gab es besonders viele davon. Seit er heute morgen sein Zimmer verließ war ein ununterbrochener Strom an Menschen auf ihn herein gebrochen. Und viele davon waren nun einmal Zyniker.
„Viel.. äh... Glück“
„Hals- und Beinbruch war ja schon“
„Wie oft werden sie heute stürzen?“
Sicher, Miou und Torres waren die beiden Topfavoriten. Aber während im letzten Jahr der Zweikampf keine Überraschung war hatte man dieses Mal noch ein paar andere Namen auf der Rechnung. Und einer derer war er. Für ihn nicht überraschend, aber unerwünscht. Er hatte es lieber ruhiger. Bewunderer brauchte er nicht, er biss sich ganz gut alleine durch.
Aber so sehr er sich auch bemühte, jedes einzelne dieser Witzchen brachte ihn auf die Palme. Es war eine dumpfe, unterschwellige Wut die er im Laufe der Stunden aufbaute. Und jetzt, kurz vor seinem Start, war er am dampfen. Diese emotionale Reaktion passte nicht so ganz zu seinem Selbstbild des harten, unerschütterlichen Russen, das er selbst von sich aufgebaut hatte. Sie verwirrte ihn auch ein stückweit. Er hatte nie so reagiert, über Jahre hinweg nicht. Klar, er hatte diese Sprüche nie geschätzt, aber meistens war es ihm egal gewesen.
Und nun, kurz vor seinem Start in die nächste Tour die er gerne gewonnen hätte, nervte es ihn auf einmal. Haderte er mit seinem Schicksal? War es diese eine Frage, dieses „Warum ich?“, die da langsam aber sicher an die Oberfläche kam? Er hatte diese Frage immer vermieden. Wenn man so viel Pech hatte, war es besser, nicht über so etwas nach zu denken. Er kannte genug Menschen die unter so einer Situation zerbrochen waren. Ob es Tanten waren, die erst verlassen, dann beraubt und schließlich fast erstochen wurden, oder Freunde, die nach zwei überstandenen Krebserkrankungen von einem Auto erwischt und in den Rollstuhl verbannt wurden. Es gab sie, die Menschen mit mehr Pech als er. Und sie alle waren daran zerbrochen.
Bislang war er ganz gut damit klar gekommen. Selbst im letzten Jahr, als ihn nur diese verfluchte Infektion vom für ihn klaren Toursieg abgehalten hatte, da hatte er gelacht und sich noch mehr für dieses Jahr vorgenommen. Vielleicht war es einfach die nächste Frage, die da lauerte: „Was, wenn es dieses Jahr wieder nicht klappt?“
Er hatte keinen Fehler gemacht. Zumindest keinen vermeidbaren. In den letzten Jahren, in denen er auf seinen Durchbruch gewartet hatte, war sein Lebensstil asketisch gewesen. Keine Exzesse, kein Verstecken beim Training, keine unnötige Freizeit. Und dann, nach seinem Halswirbelbruch, hatte er auch begonnen seine Freunde auf Distanz zu halten. Viele hatte er ohnehin nie gehabt, aber nun wurden es von Jahr zu Jahr weniger. Abgesehen von seinen Teamkollegen und einigen wenigen Betreuern verstand ohnehin keiner seinen Einsatz.
Würde er aber, mit einem erneuten Rückschlag konfrontiert, diesen Lebensstil aufrecht erhalten können? Oder würde ihm, langsam aber sicher, die Luft ausgehen? Einer der Fahrer, an die er immer denken musste, war Evgeni Berzin. Er war auch Russe, er hatte den Giro gewonnen, aber irgendwann hatte er den Biss verloren. Er hatte, trotz zweifellos vorhandenen Talentes, nie den Sprung nach ganz oben geschafft. Vor nichts hatte Andrlikova mehr Angst als sein Talent auf ähnliche Weise zu verschwenden.
Solche und ähnliche Gedanken plagten ihn immer öfter. Die Anspannung vor der Tour wuchs eben. Andrlikova wusste was das eine Mittel war, das helfen konnte. Mit beiden Augen fokussierte er die pulsierende, rote Anzeige des Pulsmessgerätes. Keine Nachlässigkeit. Keinen Fehler.
Dann endlich war er an der Reihe. Heute würde er eine erste Duftmarke setzen. Er war den Kurs erst gestern einige Male abgefahren, aber er war in exzellenter Form. Michail war sich seiner Stärke sehr sicher.
Ein Mechaniker drückte ihm das Zeitfahrrad in die Hand und er schob die ultraleichte Karbonmaschine zum Start. Andrlikova war einer der absoluten Fanatiker für neue Zeitfahrtechnik. Obwohl er immer zu den schnellsten gehörte versuchte er permanent noch Sekunden heraus zu quetschen. Kein Zufall.
Er setzte sich auf das Rad und rollte hinauf in das kleine Starthäuschen. Applaus brandete auf. Ein Helfer hielt seine Maschine fest während er kurz auf dem Sattel hin und her rutschte. Er kontrollierte noch einmal die Verschlüsse an seinen Schuhen, dann saß er still. Das ewige, nervöse Gehabe der meisten anderen Fahrer fehlte ihm. Wie ein Computer kontrollierte er zweimal, dreimal alle wichtigen Dinge, aber meistens bevor er hier oben stand. Die restliche Zeit wartete er. Und starte auf seinen Tacho, der einen synchronisierten Countdown einblendete.
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arkon
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Beitrag: # 6828217Beitrag arkon
15.8.2010 - 11:58

Bild
(Musik)
Emanuel Miron war der Ersatzmann für David Kokes. Der letztjährige Vierte bei der Tour saß zwar mittlerweile wieder auf dem Rad war aber bei seiner Entscheidung geblieben sich nicht mit überstürzten Vorbereitungen auf die Frankreichrundfahrt unnötig zu belasten.
Miron war im letzten Jahr beim Giro gestartet und hatte relativ souverän den Sieg davon getragen. Auch wenn er Teamintern nur als Nummer zwei galt, man musste ihn auf der Rechnung haben. Wenn er in den Zeitfahren Glück hatte und in den Bergen einen großen Coup landen konnte hätten es die Konkurrenten schon schwer.
Doch Emanuel wusste genau das. Und es machte ihn nervös. Er hatte sich nie als Sieger hier in Frankreich gesehen. Nach seinem Girotriumph war es für ihn völlig klar dass er David Kokes helfen würde. Und vielleicht als Nummer eins einspringen konnte. Aber ein Teamwechsel stand für ihn nicht zur Debatte. Dann, im Frühjahr, als Kokes ausgefallen war, wurde er auf einmal der Kapitän für Ursa. Und es gefiel ihm nicht.
In Italien hatte er nur deswegen so souverän agieren können weil für ihn immer klar war das er nicht der Beste war. Nur halt der Beste in diesem Rennen. Nun aber würde er gegen die absolut Besten der Welt fahren. Und hier war die Messlatte schon ein wenig höher.
Nervös rutschte er auf seinem Sattel hin und her, fummelte an seinem Helmverschluss herum, öffnete und schloss seine Schuhverschlüsse wieder und wieder. Konnte er es? Würde er es schaffen?
Dann ertönte das Piepen. Der Starter zählte von fünf abwärts, Miron richtete sich auf und beschleunigte die Rampe hinab. Tempo aufnehmen, hinsetzen, hoch schalten, treten, höher schalten. Dann kam die erste Kurve. Die Auslaufzonen des Kurses waren dicht besetzt. Die normale Strecke wurde mit Gittern von Menschen freigehalten. Genug Platz für ihn und sein Fahrrad. Er schoss durch die erste Kurvenkombination.
Seinem Eindruck nach lief es gut. Das Tempo lief, der Puls verhielt sich gut, es sah nach einer guten Zeit aus. Einige weitere Kurven, dann der lange Rechtshänder hinaus auf die lange Gerade auf der Landstraße. Wachsam schaute er nach Unebenheiten in der Fahrbahn, hielt sich an einer Seite, in der Nähe der Markierung.
Da hinten erkannte er die erste Schikane. Es war gleichzeitig der erste Zeitmesspunkt. Erst ging es nach rechts, dann scharf nach links und dann nach wieder nach rechts zurück auf die Gerade. Emanuel legte sich schön in die erste Kurve, trat sofort wieder an, nicht zu stark, keine Zeit verlieren. Den Kopf hatte er weit erhoben um die Distanzen besser einschätzen zu können. Kurz anbremsen – und da passierte es. Er zog an der Bremse, doch sein Fahrrad fuhr einfach weiter! Noch bevor er an einen gerissenen Bremszug denken konnte kam schon die nächste Kurve. Viel zu eng für seine Geschwindigkeit.
Er lenkte ein, versuchte, das Fahrrad wieder auf Kurs zu bekommen – doch rutschte weg. Die Fahrbahn war hart und unerbittlich.

Als er wieder zu sich kam stand ein Betreuer aus seinem Rennstall über ihn gebeugt, das Ersatzfahrrad in der Hand. Erschrocken blickte er ihn an, doch seufzte sofort erleichtert auf als er seine geöffneten Augen sah. Mit einer Hand zog er ihn empor, drückte ihm das Rad in die Hand.
„Kannst du weiterfahren?“
Ohne groß nach zu denken schwang sich Emanuel auf das Rad – und spürte sofort einen stechenden Schmerz in der Leistengegend. Es hatte ihn erwischt. Aber er würde weiterfahren.
Er klickte sich in die Pedale ein, der Betreuer schob ihn schon kräftig an. Die umstehenden Zuschauer hatten sich wieder gefangen und Jubel brach aus. Er wurde angefeuert. Als er um die nächste Kurve rollte konnte Miron schon die Schmerzen erahnen die ihn auf den nächsten Kilometern begleiten würden. Jeder Tritt brannte. Sein Schädel brummte. Er konnte fühlen wie etwas seine Wangen hinab rann. Er achtete nicht weiter darauf.
Wie in Trance fuhr er weiter, durch die nächste Schikane, die große Welle hinauf. Emanuel konnte fühlen wie die Kraft aus ihm heraus lief. Er fühlte sich wie ein Fass in das man ein Loch geschlagen hatte. Langsam, aber sicher entleerte er sich und bald würde nicht mehr viel zum fahren übrig bleiben.
Die erste Zwischenzeit war noch im Rahmen. Er hatte auf den ersten Kilometern einen guten Start hingelegt und auch durch den Sturz nur etwa 25 Sekunden verloren. Doch nun, auf dem zweiten Teil der Strecke, zog sich der Kurs immer länger hin.
Die permanenten Anfeuerungsrufe hinter ihm wurden kurz durch „Meuser kommt näher“ unterbrochen, woraufhin der beste deutsche Rundfahrer schon an ihm vorbei fuhr. Die 60 Sekunden Vorsprung waren schnell aufgebraucht. Der Spanier versuchte erst gar nicht das Hinterrad zu halten, zu aussichtslos war das Unterfangen.
Dann kam die zweite Zwischenzeit. Über eine Minute 30 war er schon hinter der Bestzeit. Irgendwo fand er in sich die Motivation um die Kadenz noch einmal zu erhöhen, ein wenig mehr Geschwindigkeit aufzunehmen. Eine Rechts-/Links Kombination kündigte die Einfahrt in den bebauten Komplex an. Rennstrecken waren für Radfahrer ohnehin schon deprimierend weil sich die breiten Straßen immer ewig lang hinzogen. Für ihn aber war es nun die reinste Qual. Nur mit Mühe konnte er sich davon abhalten in Schlangenlinien über den Kurs zu torkeln.
Endlich, endlich kam der Boxenkomplex in Sicht. Zwei enge Schikanen, die er trotz wieder funktionierender Bremse langsam durchfuhr, und er war auf der Zielgeraden. Mit letzter Kraft hievte er sich über den Zielstrich, blickte sich um und erkannte völlig niederschmetternde 2 Minuten 13 auf der Anzeige. Er schüttelte den Kopf. Das war genau der Tag an dem er sich zurückhalten musste, nicht jedem einzelnen Reporter gleich ein dutzend Schimpfwörter in die Mikrofone zu murmeln.
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arkon
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Beitrag: # 6828219Beitrag arkon
15.8.2010 - 12:14

(Musik)
Der Rest des Prologs wurde von einem ungleichen Dreikampf bestimmt: Paul Vremont mühte sich mit Kräften gegen die Übermacht, die hinter ihm in Form von Torres und Miou heran stürmte. Das Podium der letzten Tour war unterwegs, das Rennen des Jahres endgültig gestartet.
Vremont lag schon an der ersten Zwischenzeit fast 40 Sekunden hinter Andrlikova. Aber die beiden wichtigsten Gradmesser kamen hinter ihm. Zuerst Torres, der um nur zwei Sekunden scheiterte. Beeindruckend ruhig und kraftvoll saß der Spanier auf seinem Rad. Das Unternehmen fünfter Toursieg schien mit jedem Meter reeller zu werden. Miou hinter ihm verpasste die Bestmarke ebenfalls, verlor aber schon runde zehn Sekunden. Der Franzose wirkte ein wenig nervös. Die Last der Titelverteidigung lag auf seinen Schultern, auch wenn er ohne sein gelbes Trikot an den Start gegangen war.
Die zweite Zwischenzeit rückte näher und Vremont erschien mit einem Male erholt. Sein Rückstand war zwar angewachsen, aber mit 53 Sekunden befand er sich noch in einem erträglichen Maße. In dem Tempo würde er nicht mehr verlieren als ohnehin zu erwarten stand. Ganz anders Torres, der mit einem Male eine Sekunde vor Andrlikova lag. Der Kampf um den Tagessieg war damit wieder eröffnet worden. Mit Spannung erwarteten die Zuschauer rund um den Globus Adrien Miou an der zweiten Zeitmessung. Würde er zurückschlagen können? Oder war diese erste Etappe gleich die erste Niederlage? Die zweite Messung gab noch keine endgültige Antwort: Neun Sekunden hinter Torres platzierte er sich auf den dritten Platz.
Die reinen Zeitfahrer waren zu Zuschauern bei diesem ersten Messen der Favoriten geworden. Keiner konnte der Urgewalt folgen, mit der diese drei Besten des Tages über die Strecke schossen. Schon gar nicht Paul Vremont. Eine Minute, vier Sekunden zeigte die Uhr am Schluss an. Der Franzose nahm es mit ausdruckslosem Gesicht zur Kenntnis. Geduld war gefordert, Geduld bis zum Fuße der Berge.
Torres hingegen, angetrieben vom frenetischen Jubel der Zuschauer die sich am heutigen Tag kein spannenderes Rennen hätten wünschen können, umrundete er den Kurs acht Sekunden schneller als der Herausforderer, als Michail Andrlikova. Eine geballte Faust und die Glückwünsche der Betreuer ließen erahnen wie zufrieden er mit dieser Leistung war. Aber nach nur kurzer Zeit richteten sich alle Augen auf den letzten der Starter, den Sieger des Vorjahres, auf Adrien Miou.
Und Miou kam. Wild schnaufend beschleunigte er aus der letzten Schikane heraus, das Rad wild hin und her werfend, den Blick ohne bestimmten Fokus nach vorne gerichtet. Die Fotografen bekamen was sie sich wünschten. Alles aus seinen Muskeln herausholend, den Oberkörper weit über den Lenker gebeugt schoss er durch das Ziel. Allein es reichte nicht. Ganze 15 Sekunden betrug sein Rückstand letzten Endes.
Ohne große Reaktionen stieg der umjubelte Held der Franzosen von seinem Rad, goss sich eine Trinkflasche über den Kopf, lockerte seine Beinmuskeln und verschwand dann hinter zwei Bodyguards herlaufend im Wald aus Wohnwagen, die den Tourtross bildeten. Die Siegerehrung gehörte ganz dem Spanier.
„War das heute schon der erste Schlag gegen die Konkurrenz?“ fragte der Interviewer nach der üblichen Begrüßung und Beglückwünschung.
Torres musste kurz nach Atem ringen. Er hatte eine weitere Wasserflasche in der Hand. Seine Betreuer hatten ihn kurz umgezogen damit er nicht in einem schweißnassen Trikot auf der Tribüne auskühlte.
„Von den Zeiten her sicherlich nicht. Das die Kletterer heute verlieren würden war abzusehen und vorne haben sich die positioniert, die ich da erwartet habe. Auch die Rückstände sind jetzt nicht überraschend groß. Psychologisch jedoch war das heute sicherlich schon ein Zeichen. Viele hatten mich gerade im Zeitfahren abgeschrieben. Und hier habe ich, trotz der kurzen Distanz, ein deutliches Zeichen gesetzt.“
Ein breites Grinsen konnte Hernan sich nicht verkneifen. Es war einfach zu schön direkt im ersten Duell alle Kritiker Lügen zu strafen und sich die Krone auf zu setzen.
„Wer sind denn nach heute ihre Hauptkonkurrenten um den Gesamtsieg?“
„Da hat sich eigentlich nichts groß geändert. Andrlikova und Miou sind weiterhin gefährlich, natürlich werden sie versuchen mich in den verbliebenen zwei Zeitfahren ebenfalls zu distanzieren. Für Miron war das Rennen heute sicherlich ein schwerer Schlag. Ich wünsche ihm gute Besserung und alles Gute für den Rest der Tour. Der Rückstand tut sicher schon weh, von den Verletzungen mal abgesehen. Wenn er die Berge überhaupt noch erreicht hat er eigentlich schon einen Sieg davon getragen.“
Das Interview ging noch eine Weile weiter. Dann endlich konnte Torres nach draußen und sich für den Etappensieg feiern lassen. Danach bekam er das gelbe Trikot überreicht, für ihn der absolute Höhepunkt des Tages. Auch wenn er hoffte, es schnell wieder zu verlieren, so war es doch immer ein ganz besonderes Gefühl mit genau dieser Farbe morgen an den Start zu gehen.

So, die erste Etappe, bzw Prolog, ist rum. Ich hab es in einem Rutsch gepostet damit ihr auch schön in einem Rutsch lesen könnt. Entsprechend wird die nächste Etappe ein wenig länger auf sich warten lassen. Da bisher keiner große Probleme mit der Musik hatte hab ich mir selbst jetzt einfach mal vertraut. Wenn jemand große Probleme hat, so soll er sich bitte melden.
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Beitrag: # 6828450Beitrag arkon
17.8.2010 - 17:25

(Musik)

Für Stefano Guidi begann die Tour eigentlich erst mit dem Ende des Zeitfahrens. Bis dahin hieß es für ihn, Kräfte zu sparen. Von dem Moment an als er vom seinem Spezialrad abstieg bereitete er sich vor. Vor auf den ersten Massensprint der Tour. Ihm war bewusst dass es ein schwieriges Unterfangen werden würde. Der erste Tag war immer etwas anders: Alle waren noch voll bei Kräften, alle konnten vorne mitfahren. Die stärkeren und erfahreneren Fahrer hielten sich anfangs noch vornehm zurück. Gerade das Sturzrisiko würde immens hoch sein. Aber er war nun einmal der schnellste Sprinter der Welt. Und morgen würde er das Kommando bei der Tour übernehmen.
Er fuhr ins Hotel zurück noch bevor das Zeitfahren beendet war. Als Hernan ankam war er schon fast mit der Massage fertig. Der Spanier legte sich auf die Liege neben ihm.
„Du, ich hab dir noch gar nicht zu deinem Sieg gratuliert“
„Und, kommt’s noch?“
„Ne“ Er deutete auf den Physio. „Der hat’s mir verboten“
„Ja, ist klar. Die Hand zu heben ist auch eindeutig eine Gefährdung deiner Gesundheit“
„Richtig. Ihr solltet mich morgen einfach die ganze Zeit schieben, und wenn ich nicht als erster über den Zielstrich komme gibt’s Ärger!“
Der Physiotherapeut rollte entnervt die Augen. Er kannte das übliche Spielchen zwischen den beiden. Bei jeder Massage musste er sich die Sprüche über Stunden hinweg anhören. Kaum zum aushalten. Und das musste er jetzt die nächsten drei Wochen jeden Tag durchmachen. Und da sagte man, die Radfahrer hätten es schwer...
Stefano Guidi ging früh schlafen. Zeit, abends noch ein Bierchen mit den anderen zu trinken würde sich in den Bergen noch genug finden. Er war vor allem aus einem Grund bei dieser Tour: Die nächsten paar Etappen zu gewinnen. Die Fähigkeiten besaß er, die Form hatte er sich erkämpft. Jetzt musste er nur noch die Ruhe besitzen und die nächsten Abende früh ins Bett gehen. Der Ausblick auf einen entspannten Rest der Tour versprach noch mehr. Die Berge machten ihm bei weitem nicht so viel Angst wie den meisten anderen Sprintern. Und seine Kletterfähigkeiten würde er voll ausnutzen um einige entspannte Tage zu verbringen bevor es wieder flach wurde. Und bis Paris? Was würde er erreichen? Er konnte sich schon fast sehen, wie er im Grünen Trikot mit einigen Etappensiegen im Gepäck durch Paris rollte, endgültig der Größte Superstar der Sprinterszene. Die nächsten drei Wochen würden ihn verändern.
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Beitrag: # 6828997Beitrag arkon
24.8.2010 - 18:06

1. Flachetappe Tour de France 2009

Die Etappe verlief in etwa so, wie man es sich denken konnte: Einige Ausreißergruppen gingen, das Tempo wurde extrem hoch gehalten bis sich eine ungefährliche Mischung vorne gebildet hatte. Emirates ging in die Führung, sie hatten schließlich das gelbe Trikot in ihrer Mitte. Sie hielten die Gruppe an der berühmten langen Leine. Ein bisschen Show für die Kameras, eine lange Phalanx der Teamtrikots. Stefano musste grinsen als er hinter sich die ernste Miene von Torres erblickte. Als er seinen Kopf wieder drehte huschte auch über die Miene des Spaniers ein Lächeln. Was sollte er auch anderes tun als gute Laune zu haben? Sonne, gelbes Trikot, beste Aussichten für diese Etappe und den Rest der Tour. Und endlich keine Fragen mehr ob er nicht besser schon in den Ruhestand wechseln sollte.
„Wann werden Sie das nächste Mal zuschlagen?“ beantwortete sich einfach leichter als „Können Sie in diesem Jahr überhaupt noch auf eine Topplatzierung bei der Tour hoffen?“
(Musik)
Einige Kilometer später kamen die ersten Helfer der anderen Sprintmannschaften nach vorne. Die Positionskämpfe begannen. Auf einmal war aus der eher ruhigen, disziplinierten Fahrt ein wildes Gemenge geworden. Das einholen der Ausreißer wurde zur Nebensache. Helfer fuhren kreuz und quer durch das Feld, holten Flaschen und Sprinter von hinten und transportierten sie nach vorne. In der Spitze drängelten sich die zahlreichen Fahrer, die eine gute Ausgangsposition brauchten, aneinander vorbei. Klassementfahrer, die Stürzen aus dem Weg gehen wollten, Sprinter, die den Tagessieg wollten, Ausreißer, die auf den letzten Kilometern noch einen Versuch starten wollten, Helfer, die das Tempo machen wollten, Sprinthelfer, welche ihre Kapitäne in eine gute Position manövrieren sollten. Es war ein einziges hin und her.
Stefano und Hernan klebten aneinander, der Spanier hinter dem Italiener. Über den Teamfunk wurde der Rückstand zu den Spitzenfahrern durchgegeben, so dass die Helfer genau wussten wie schnell sie fahren mussten. Vor Stefano war immer noch die Reihe mit den meisten Fahrern des Teams. Sie führten das Rennen zwar an, aber schon Torres war in mitten eines Pulks von anderen Athleten. Die Kurven wurden enger, das Tempo höher.
Torres wusste, wie wichtig es war den Anschluss zu halten. Aus jeder Kurve sprintete er heraus. Jede Lücke schloss er sofort wieder, seine Augen immer auf den Vordermann geheftet. Und das war sein Verderben. Einer der Anfahrer scherte aus der Führung aus als er gerade durch eine Kurve fuhr. Er übersah einen Teerfleck auf der Straße, verlor die Haftung zum Boden und glitt sanft abwärts. Der Aufprall war dagegen hart, noch härter jedoch die anschließend Kollision mit der Bande. Sein Rad prallte ab, schlitterte ins Feld hinein und erwischte Stefanos Rad. Ohne Chance zu reagieren stürzte erst der Italiener und einen Wimpernschlag später auch Torres. Das Feld teilte sich sofort um den Unfall herum. Das ein oder andere Rad wurde der Karambolage noch hinzugefügt, aber im Großen und Ganzen lief alles recht glimpflich ab.
Hernan brauchte einen Moment bis er aufstehen konnte. Ihm war ein wenig schwindelig. Ihm tat alles weh und für den Augenblick konnte er gar nicht so genau sagen woher die Schmerzen kamen. Das war eigentlich auch gar nicht wichtig. Sein Rad lag verkantet auf der Straße. Er versuchte es gar nicht zu befreien. Sein Teamwagen stand schon im nächsten Moment neben ihm. Immer noch ein wenig benommen drückte ihn sein Techniker auf das Ersatzrad und schob ihn an. Stochernd suchte er nach den Pedalen, nur mühsam kam er in Fahrt. Die Menge um ihn herum tobte.
Nachdem er richtig in Schwung gekommen war sah er sich nach Mitstreitern um. Auch wenn es nur noch wenige Kilometer bis ins Ziel waren so war man doch zusammen immer schneller. Die anderen Sturzopfer aus seinem Team waren noch nicht wieder aufgestanden. Kurz dachte er an Stefano, der sich kaum bewegt hatte. Aber das war nicht seine Aufgabe. Der Rest seines Teams konnte sich um ihn kümmern.
Einige wenige andere Fahrer gruppierten sich um ihn. Schweigend etablierte sich ein belgischer Kreisel. Sieben schmerzverzerrte Gesichter wechselten sich in der Führungsarbeit ab. Jeder gab alles, was er konnte. Nach und nach überholten sie andere abgehängte Fahrer. Weiter, immer weiter fuhren sie. Ohne den Sturz wäre auch diese Fahrt nicht wirklich eine Herausforderung gewesen. So aber waren sie alle froh als sie endlich ins Ziel rollten.
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Beitrag: # 6829613Beitrag arkon
28.8.2010 - 15:10

Die nächsten Etappen brachten Besserung, wenigstens für einige der Fahrer. Hernan Torres, der sich eine Rippe bei seinem Sturz geprellt hatte, verbrachte zwar eine unruhige erste Nacht. Mit Schlafmitteln und einigen Schmerzmitteln bekam er jedoch wenigstens die Symptome recht gut in den Griff. Der Teamarzt schmunzelte zufrieden in sich hinein.
Noch besser lief es für Emanuel Miron. Nach dem Prolog noch überall zerschunden, so stellte sich doch bald heraus das er sich nicht ernsthaft weh getan hatte. Die ersten Flachetappen nutzte er zur Regeneration und war so rechtzeitig für die Berge wieder in Form.
Nicht so glimpflich lief es für Stefano Guidi ab. Auch er hatte sich seine Rippen geprellt, würde jedoch bald feststellen, das seine Verletzung ihn ganz erheblich beeinträchtigte.
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arkon
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Beitrag: # 6829915Beitrag arkon
30.8.2010 - 14:13

Mittelgebirgsetappe Tour de France 2009, Schwarzwald, Deutschland
Bild

28 km - Kandel, 1241m
70 km - Feldberg, 1212m
91 km - Notschrei, 1119m
109 km - Wiedener Eck, 1035m
128 km - Tiergrüble, 1068m
140 km - St. Antoni, 1051m
149 km - Rotes Kreuz, 1073m
161 km - Äulener Kreuz, 1133m
177 km - Ziel, Rothhaus, 972m

(Musik)
Endlich war es soweit. Genug von den Etappen, auf denen man mitrollen musste und nichts versuchen durfte. Genug substanzloses Geschwafel von Reportern. Heute würden Taten folgen. Laurent Farine fühlte sich wieder wie ein kleines Kind vor Weihnachten. Voller Vorfreude wachte er auf, sprang aus dem Bett und nervte in den folgenden Stunden jeden im Team. Aufgeregt sprang er unter die Dusche, aß mit einem breiten Lächeln sein Frühstück, beobachtete die Mechaniker bei jedem Handgriff an seinem Fahrrad. Während der Teambesprechung schielte er permanent auf das Profil. Paul Vremont wollte heute die Konkurrenz antesten.
Seine Teamkollegen schüttelten schon ihre Köpfe. Da war er wieder, der Verrückte. Und alle wussten: Im Hochgebirge würde es noch schlimmer werden. Es gab immer einen, dem die Berge nichts ausmachten: Paul Vremont.
Das wellige Profil der Etappe, die auf 174 km Länge immerhin knapp 4000 Höhenmeter unterbrachte, war ideal für seine Vorstellungen. Quarzos Plan war klar: Früh eine Gruppe installieren, auch ruhig zwei Mann unterbringen. Dann, hinauf zum Tiergrüble, würden die ersten Angriffe folgen. Noch aus dem zweiten Glied und 50 Kilometer vor dem Zielstrich. Aber da es von da an eigentlich nur noch bergauf und bergab ging, 1300 Höhenmeter, waren die Chancen nicht so schlecht hier ein richtiges Gemetzel zu initiieren.
Und dann, ein wenig weiter im Text, konnten dann, bei günstiger Lage, die richtigen Attacken folgen. Wenn sich eine Gruppe bilden konnte dann würde sie auch ins Ziel kommen können. Und darauf spekulierten sie alle. Kapitäne isolieren, Gruppen schaffen, angreifen, durchziehen. Eigentlich ganz einfach.

Auch Jackson freute sich auf die Berge. Dieses ewige mitrollen, es lag ihm gar nicht. Was ihn jedoch weniger freute war ein Marc Aaron, der diesen Tag zu seinem ganz persönlichen erklärte. Hier sei seine Chance auf einen Etappensieg. Eine lange Flucht, die den stärksten Fahrer bevorteilen würde. Er pickte sich kurz die Rosinen aus dem Teamverbund heraus und baute einen Plan, welcher ihre versammelten Kräfte aufreiben würde. Er brauchte einen Helfer in der Fluchtgruppe. Unbedingt.
Wenigstens konnte Kenny sein eigenes Ding machen. Ein scharfer Blick auf das Profil verriet ihn seinen liebsten Punkt: Das Tiergrüble. Das Tempo wäre noch nicht zu hoch, er würde eine Lücke reißen können, eine starke Gruppe schaffen, auf den nächsten Bergen dann die Führung übernehmen und schließlich ins Ziel hinein angreifen. Das waren immerhin 1.7 Kilometer mit 3%. Seine Chance.
Doch vom Start weg ging es nur für Aaron. Angriffe links und rechts. Es war noch früh in der Tour, alle hatten noch Reserven. Erst oben auf dem Kandel beruhigte sich das Feld wieder etwas. Seiner Meinung nach würde dieser Berg in den Alpen völlig anders gefahren werden. Nur hier, im Schwarzwald, da fehlte der rechte Respekt vor den Anstiegen.
Hinaus aus der Abfahrt ging es durch St. Peter, einer malerischen, kleinen Stadt. Barockkirchen und Bauernhöfe. Viele seiner Landsleute würden sich den rechten Arm um hier Urlaub zu machen. Es folgte eine langgezogene Auffahrt, 2.3% stand im Streckenplan. Auch hier hielt sich das Feld noch schön zusammen. Vorne fuhr längst eine Gruppe die sich gut verstand. Marc war, große Überraschung, nicht dabei. Der Notschrei war nun als Angriffspunkt im Gespräch. Kenny wusste, dass das knapp werden konnte. Bis zum Tiergrüble hätte sich die Lage noch nicht wieder beruhigt, und einen Teamkollegen angreifen, das konnte er nicht.
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Beitrag: # 6829917Beitrag arkon
30.8.2010 - 14:40

(Musik)

Ein Weltmeistertrikot war nicht nur zum anschauen da. Ein Weltmeistertrikot verpflichtete. Das war jedenfalls seine Meinung.
Marc Meunier, 29 Jahre alt, in der absoluten Blüte seiner Fähigkeiten. Er war Weltmeister. Er hatte Lüttich-Bastogne-Lüttich gewonnen, Mailand-San Remo und das Amstel Gold Race. Alles in einem Jahr. Und nun wollte, nein musste er sich bei der Tour beweisen. Ein Weltmeister hatte nicht nur mitzufahren, er hatte zu kämpfen, die Etappe zu gestalten.
Den Feldberg hinauf hielt er noch still. Einen Kampf zu bieten hieß nicht zwingend sich sinnlos zu verheizen. Aber nun, im Anstieg zum Notschrei, da sah die Sache anders aus. Der Notschrei war ein wunderschöner Berg, langgezogen, sich windend, kaum Serpentinen. Und das würde er für sich nutzen. Schon beim Weg durch Todtnau hatte er sich langsam nach vorne geschoben. Nun, kurz vor der Einfahrt nach Aftersteg, war er vorne angekommen.
Zu seiner rechten sah er die Serpentinen, die sich über der Ortschaft empor schraubten. Trotz der Ausreißergruppe war das Tempo eher gemächlich, drei bis vier Fahrer fuhren in einer Linie den Berg empor. Sein Einsatz.
Ohne große Anstrengung, mit einem leichten Nicken zu den Wächtern der Favoritenteams, beschleunigte er und war auf und davon. Eine enge Rechtskurve durch den Ort hindurch, geduldig wieder Tempo aufnehmen. Der Weg war noch lang. Die Serpentine hoch schaute er kurz nach unten, auf das Feld, welches sich die Straße hinauf walzte. Hinter sich sah er einige Begleiter, perfekt. Die Flucht konnte beginnen.
Eine enge Linkskurve und er hatte die Serpentinen hinter sich. Es waren noch 300 Meter bis zum Gipfel, genügend Zeit, sich ein wenig mit dem Rest seiner Gruppe vertraut zu machen. Er ließ sich aus der Führung gleiten und an der Reihe seiner Begleiter entlang. Sie waren zu fünft. Nach hinten erkannte er das sich schon ein gesundes Loch geöffnet hatte. Alles lief nach Plan.

Ich weiß, die Musik ist ein wenig lang. Eine Gelegenheit für euch, auf youtube zu wechseln und das Video zu genießen. Meiner Meinung nach einer der Besten Sätze aus allen Brandenburgischen. Unverholene Energie und Freude. Und genau das charakterisiert ja auch diesen Post ganz gut.
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Beitrag: # 6829921Beitrag arkon
30.8.2010 - 15:00

(Musik)
Überhaupt nichts lief nach Plan. Die anfängliche Spitzengruppe zerfiel nach und nach und nun setzte auch noch eine neue Gruppe hinterher. Die schwachen Helfer waren damit alle aufgebraucht. Quarzo fluchte. Bald waren sie oben auf dem Gipfel, dann folgte eine reißende Abfahrt, eine scharfe Linkskurve und schon würde der nächste Anstieg folgen.
Die vordere Gruppe und damit der vordere Wagen, war schon fast oben. Ein guter Vorsprung von fast vier Minuten, der über den Sprechfunk durchgesagt wurde. Aber viel zu wenig in Anbetracht des Restprogramms. Und da er zu Beginn der Etappe zu ängstlich gewesen war und nur schwache Fahrer in den Kampf um die Fluchtgruppe geschickt hatte saß er nun richtig in der Scheiße. Wenn er die Etappe richtig schwer würde machen wollen dann musste er jetzt Tempo machen für die anderen Teams.
Er dachte kurz ernsthaft darüber nach, wägte Aufwand und Nutzen ab, und entschied sich dagegen. Morgen kam direkt die nächste Hammeretappe auf das Feld zu, und da würde er seine Edelhelfer noch viel eher benötigen. Und auch wenn es ihn schmerzen würde, das heutige Profil nicht für einen Coup genutzt zu haben... man konnte so etwas nicht immer vollbringen.
Er griff nach seinem Funkgerät.
„He, Gérard. Sag Luc und Frank Bescheid das sie rausnehmen sollen. Das wird heute nichts mehr.“
Es dauerte einen Moment dann kam krächzend die Antwort.
„Sollen sie sich zurückfallen lassen?“
„Nein, nein, nur Kraft sparen. Die Gruppe stirbt, und das wissen alle. Die anderen werden sich auch schonen und vielleicht versuchen mit der nächsten Gruppe ins Ziel zu kommen. So dumm sind wir nicht.“
Er konnte Gérard vor sich sehen wie er kurz schmunzelte. Mirko Quarzo lag oft genug richtig um so hart urteilen zu können. Er hängte das Mikrofon wieder in die Halterung. Laut hupend und winkend bahnte er sich einen Weg nach vorne. Schließlich ließ sich Frank Chaval zu dem Auto zurückfallen.
Im Team Peugeot war es den Fahrern freigestellt einen kleinen Empfänger, der bekannte „Knopf im Ohr“, mitzuführen. Und viele machten von der Freiheit Gebrauch und verzichteten. Immer wieder war es ein romantischer Anachronismus, taktische Anweisungen nur persönlich weitergeben zu können.
„He, wie fühlst du dich?“ fragte Gérard während er eine Wasserflasche nach draußen reichte. Frank verschnaufte kurz, hielt sich einen Moment an der Flasche fest und verstaute sie dann im Halter an seinem Rahmen.
„Eigentlich noch gut. Das Tempo ist etwas lasch hier, aber ich möchte nicht anziehen. Der Abstand sieht doch gut aus?“
Gérard machte eine abwiegelnde Handbewegung und reichte die nächste Flasche nach draußen.
„Es ist grade ne Gruppe gegangen. Fünf Mann, Meunier ist dabei.“
Frank zog eine Augenbraue hoch.
„Meunier?“
Gérard nickte.
„Ich kann mich dranhängen. Geht schon.“
Er hasste den nächsten Teil. So etwas fiel ihm immer schwer.
„Mirko holt euch zurück.“ ein etwas verständnisloser Blick. „Die nächsten Tage werden zu schwer.“
Frank versuchte keine Miene zu verziehen, scheiterte jedoch. Unterdrückter Zorn, Frustration. Er hatte sich zusammen mit Luc über nun 80 km den Arsch aufgerissen. Nicht weil er hoffen konnte, selber zu gewinnen, das Bergtrikot zu erringen oder ähnliches. Nur und ausschließlich um seinen Kapitänen im Hauptfeld helfen zu können. Und nun war alles eine Fehlkalkulation gewesen.
„Tut mir leid“ sagte Gérard diplomatisch, reichte die dritte Flasche nach draußen und ließ sich dann nach hinten zurückfallen.
Heute Abend im Hotel würden Frank und Luc schon wieder darüber witzeln können, aber hier und jetzt würden sie beide sauer. Dachte zumindest Frank. Er radelte neben seinen Teamkollegen um ihn die Botschaft zu überbringen.
„Wir sollen was?“ Luc schaute ihn an als hätte er vorgeschlagen lieber die Ränder umzudrehen und zurück ins Tal zu rollen. Er schüttelte den Kopf. Nicht mit ihm! Er bremste fast bis zum Stillstand ab, riss den Arm nach oben und schaute sich erst dann nach dem Teamwagen um.
Fast hatte Gérard Angst um das Auto als Luc seinen Arm einklinkte und sein Rad nach vorne gerissen wurde.
„Seit ihr bescheuert?“ dröhnte es von draußen herein, noch bevor er den Fahrer richtig sehen konnte. Schließlich hatte er sich auf gleiche Höhe heran navigiert.
„Wir sollen's gut sein lassen? Geht’s noch? Ich reiß mir hier den Arsch auf, racker mir einen ab, und dann haben die Herren hinten keine Lust mit nach vorne zu kommen? Ich glaub ja wohl mal nicht“ Noch bevor Gérard sich zu einer Antwort sammeln konnte schoss Lucs Arm auch schon vorwärts und griff sich das Mikrofon von der Mittelkonsole. Manchmal fragte sich Gérard wie er sein Rad so gut unter Kontrolle halten konnte. Aber nur manchmal.
„He, Mirko, hier ist Luc“ Er wartete wenigstens kurz auf einen bestätigendes. „Hallo Luc“
„Pass mal auf, wir sind hier vorne und wir sind in einer Top-Position. Vielleicht ist die Gruppe langsam, aber wir sind beide fit. Wir können das Ding heute abschießen. Und da ist es mir völlig egal ob Meunier von hinten kommt oder der liebe Gott persönlich aus dem scheiß Paradies herabsteigt und auf seinem goldenen Rad mit Juwelen am Arsch hier hoch kommt. Ich fahre bis ich umfalle.“
Gérard schwieg betreten. Der Empfänger rauschte leise vor sich hin. Die Schatten der Bäume tasteten nach dem Auto und wichen dann wieder zurück von der Straße. Die Sonne brannte herab. Das Thermometer zeigte 31° C an. Im Schatten selbstverständlich. Und im Sitzen dazu.
„Fahrt, ihr beiden Verrückten. Ich schone den Rest der Mannschaft. Gérard bleibt vorne. Und: Verteilt verdammt noch mal die Führungsarbeit unter euch. Bestimmt einen Fahrer für das Finale, der arbeitet weniger. Verschleppt das Tempo nicht, wartet nicht auf die Verfolgergruppe.“
Dann war es wieder ruhig. Abgesehen vom Motor, dem Kreischen des Hubschraubers über ihnen, dem Johlen der Zuschauer und den vielen Motorrädern. Gérard reichte eine Flasche nach draußen. Sollte er sich entschuldigen? Aber wofür denn? Etwas unsicher lächelte er zu seinem Fahrer hinüber, aber der Blickte geradeaus.
„Wie viel Vorsprung?“
„Ähm... immer noch vier Minuten bis zum Feld, drei Minuten bis zur Verfolgergruppe.“
Luc nickte, griff sich noch eine Flasche, die Gérard in der Hand gehalten hatte, und verschwand wieder nach vorne.
Luc Allou hatte rote Haare. Flammend rote Haare. Er verzichtete auf einen engen Haarschnitt und daher rankten seine roten Locken aus allen Ecken seines Helms. Hinzu kamen buschige Augenbrauen und ein sorgfältig gepflegter Dreitagebart, beides ebenfalls rot. Auch wer ihn also nicht kannte war also gewarnt wenn er ihm gegenüber trat. Manche nannten ihn einen modernen Pirat. Der Spitzname 'Freibeuter' gefiel ihm zwar nicht, aber er hatte sich eingebürgert. „Forban!“ schrie es jetzt immer links und rechts, wenn er angriff. Durch sein Aussehen war er auch als Fahrer aus der zweiten Reihe eine Berühmtheit geworden.
Nun war es wieder Zeit für seine Lieblingsbeschäftigung: Eine Fluchtgruppe einzunorden. Die Kameras, die Fans, all das war ihm egal. Er pfiff auf seinen Fingern, ein Geräusch welches durch Mark und Bein drang, und winkte seine Begleiter heran.
„He Leute, her hören. Die wollen uns zurückholen. Meunier ist in der Verfolgung und da scheißen die sich die Hosen voll. Ich sage: wir ziehen durch! Wenn wir ein paar Kohlen aufs Feuer schmeißen können wir bis zum Tiergrüble überleben“
In seinem gebrochenen Englisch stach der Name des Bergs so stark hervor, das ein Deutscher Fahrer, Anton Rudy, ein Lachen nicht unterdrücken konnte.
„Was sagst du dazu?“ sprach ihn der Franzose direkt an. Er musste sich kurz beruhigen.
„Allez, allez!“ gab dieser zurück. Die anderen Fahrer schmunzelten und die Gruppe formierte sich wieder. Das Tempo zog augenblicklich an und Luc grinste zufrieden. Der Kampf konnte beginnen.
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Beitrag: # 6829923Beitrag arkon
30.8.2010 - 15:28

(Musik)

Ein wenig verzweifelt war er. Das heute war eine exzellente Chance für ihn zu gewinnen. Und es war nicht nur eine Gruppe vorne raus, nein, sogar zwei Gruppen. Und der Abstand war nun auf über fünf Minuten gewachsen. Sie fuhren gerade aus dem kühlen Wald hinaus in die brüllende Hitze. Weite Weiden gaben den Blick auf den Gipfel des Wiedener Ecks frei. Nicht mehr weit.
Hektisch blickte sich Marc Aaron um. Allzu viele Helfer hatte er nicht mehr um sich. Und Kenny Jackson... er würde ihm nicht helfen. Niemals. Verdammter Radopa.
„He, Douglas, es wird Zeit. Geh mal nach vorne und zieh richtig am Horn!“ Douglas Gordon war kein besonders guter Fahrer, aber er würde die Lücke reduzieren können. Und vielleicht war er hier nicht der einzige der ein enges Finale bevorzugte.

Ihr Vorsprung schmolz. Wie Schnee in der Sonne. Marc Meunier wusste, dass dies die kritische Stelle war. Sie hatten zwar die Ausreißergruppe gestellt, aber jetzt musste sich echter Widerstand formieren. Ihnen blieben lediglich drei Minuten und ein paar Sekunden. Nicht viel. Gerade 50 Kilometer vor dem Ziel so gut wie nichts. Wenn sie nun anfingen Spielchen zu spielen, wer die Führung übernehmen sollte, dann konnten sie gleich anhalten, einen kleinen Imbiss zu sich nehmen und mit dem Feld ins Ziel rollen.
Meunier ging daher direkt nach vorne. Er nickte den eingeholten zu. Einige hatten noch Feuer, andere waren am Ende. Er würde zunächst ein wenig sieben müssen bevor die Gruppe funktionieren konnte. Fünf hochmotivierte Fahrer waren viel besser als 20, als 30 mäßig motivierte.
Langsam spürte jedoch auch er die Belastung der langen Etappe. Er war eben einfach kein Bergfahrer. Bei dem meisten Klassikern hätte er sich ernsthafte Sorgen gemacht wenn er so früh vor dem Ziel schon seine Beine richtig gespürt hätte. Aber das hier war die Tour de France. Und eine Bergetappe. Einfach weitertreten.
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Beitrag: # 6829924Beitrag arkon
30.8.2010 - 15:30

(Musik)

Es ging nicht mehr. Bis hierhin und nicht weiter. Stefano Guidi war schon stolz auf sich, das er es bis hierher geschafft hatte. Aber das war es auch schon. Die Schatten des Waldes bereitete keine Abkühlung und auch der verstellte Blick zum Gipfel half nicht mehr. Er war kaputt. Langsam ließ er den Kontakt zum Feld abreißen.
Mit rasselndem Atem versuchte er sich auf seinen Rhythmus zu konzentrieren. Links, recht, links rechts, war doch ganz einfach. Er traute sich kaum seinen Blick zu heben.
Seit seinem Sturz auf der zweiten, nein, auf der ersten Etappe, litt er nun schon. Er konnte nicht mehr richtig atmen. Er hatte sich noch einige Male im Sprint versucht, aber ihm fehlten die nötigen Reserven. Spätestens ab der Flamme Rouge konnte er nicht mehr mit den Besten mitgehen. Wenn das Tempo zu stark anzog stieß er an seine Grenzen.
Und nun kamen die Berge. Heute war nur der erste einer langen Reihe an Tagen. Tagen, die ihn voll und ganz fordern würden. Alles und jedes bisschen an Energie, psychisch und physisch, würde er in die Waagschale werfen müssen. Nicht etwa, um den Sieg davon zu tragen, sondern um das Zeitlimit zu schaffen.
Die Ärzte hatten ihm versichert das er keine langfristigen Verletzungen davon tragen würde wenn er weiterfuhr. Zum einen beruhigte ihn das. Auf der anderen Seite wäre es aber auch einer der letzten Auswege aus seiner Lage gewesen.
Niemand hätte es ihm nachgesehen wenn er auf der ersten Etappe mit schweren Verletzungen und ohne Aussicht auf irgendeinen Sieg aus dem Rennen ausstieg, nach Hause fuhr, anstatt sich drei Wochen lang zu quälen. Niemand würde es ihm heute übel nehmen, hätte er am Kandel Probleme bekommen und sich dann einige Kilometer später in den Besenwagen gesetzt, morgen dann in den Flieger nach Italien, zu seiner Familie. Aber er fuhr weiter. Probleme simulieren, die er nicht hatte, das konnte er nicht. Und Aussteigen ohne es wirklich zu müssen, das wollte er nicht. Er würde weiterfahren. Bis nach Paris.
Er hob den Blick wieder und sah das Feld verschwinden. Nur sehr vereinzelt waren andere Fahrer um ihn herum. Er wollte „Gruppetto!“ rufen, eine Gruppe formieren die ihn bis ins Ziel tragen würde, aber er konnte nicht. Sein Atem wurde immer flacher.
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Beitrag: # 6829925Beitrag arkon
30.8.2010 - 15:58

(Musik)

So langsam wurde es ernst. Mit zwei Minuten Vorsprung schwankten sie stark zwischen 'immer noch' und 'nur noch'. Luc Allou wusste außerdem noch etwas anderes. Bisher hatte er es verdrängt, aber je näher sie dem Ziel kamen, desto mehr drängte es in sein Bewusstsein: Er fuhr im virtuellen Gelben Trikot. Er hatte schon einen Ausreißversuch unternommen in dieser Tour. Er hatte die Etappe zwar nicht gewonnen, war aber bis auf 20 Sekunden bis an Gelb heran gerückt. Würde die Gruppe heute durchkommen, dann hätte er das fast Trikot sicher.
Nach dem Tiergrüble hatte es eine kurze Gipfeltour gegeben, zwei fast flache Kilometer und dann eine Abfahrt. Zeit, ein wenig Luft zu schnappen. Nun würde es Schlag auf Schlag gehen, selbst in den Abfahrten würden sie sich verausgaben müssen. Das bedeute 40 Kilometer Schmerzen. Und danach, vielleicht, ein gelber Stofffetzen, den er Morgen schon wieder würde abgeben müssen. Er musste verrückt sein.
„He Frank, wie schauts aus?“
„Ging schon besser, muss ich sagen.“ Luc schaute ihn zweifelnd an.
„He, mach dir mal nicht ins Hemd. Wir haben uns geeinigt: Ich fahre für dich. Und das werd ich auch tun. Häng dich hinten rein, die nächsten beiden Hügel mach ich noch mit. Bleiben für dich 20 Kilometer bis ins Ziel.“
Luc wusste, dass er ihm das wohl nie würde zurückzahlen können. Die Schmerzen, die Leiden, die er in den nächsten Kilometern durchmachen würde, das war die Hölle. Und er tat es nur für die Hoffnung ihm, Luc, damit einen Gefallen zu tun. Es würden Schmerzen sein die man niemandem wünschte. Sicher, auf dem weg nach Paris würden sie beide noch ganz anders geschunden werden. Aber losgelöst von einem Radrennen war das, was Frank für ihn tat... kolossal.
„Ich kauf dir n Bier“ scherzte er dumpf, klopfte ihm auf die Schulter und konzentrierte sich auf seinen Part: Kraft sparen.

„Wie siehts denn deiner Meinung nach aus?“ fragte Mirko Quarzo durch das Mikrofon.
„Luc sitzt viel hinten drauf und ist auch noch ziemlich locker. Frank dagegen... Der platzt bald ab.“
„Und der Rest der Gruppe? Kommen sie durch?“
Mirko hätte am liebsten durch das Mikrofon hindurch gegriffen und eine ordentliche Kopfnuss verteilt. Dieser Trottel! Er hatte doch selber ein Fernsehbild in seinem Auto. Dafür musste er Gérard nicht bemühen.
„Schwer zu sagen“ Wirklich? „Es sind schon eine ganze Reihe von ihnen nicht mehr wirklich frisch. Wenn hinten noch ernsthafte Angriffe kommen werden sie auf jeden Fall aufschließen können.“
Das war auch seine Meinung und das hatte er befürchtet. Wenn es denn so kommen sollte, sich die Gruppe hinauf zur Äule auflösen sollte und jeder alleine ins Ziel musste dann konnte das immer noch starke und kompakte Peloton mit hoher Sicherheit auch noch zu Luc aufschließen. Und er hätte morgen zwei verbrauchte Helfer und sonst gar nichts in seiner Hand. Aber noch war nichts verloren.
„Sag Luc er soll sich nicht ganz so zurück halten. Nur wenn Gruppe zusammenbleibt sind sie stark. Und da hilft es nichts wenn die schon jetzt eine gehörige Abneigung gegen ihn entwickeln.“
Lucs Charakter und Strahlkraft konnte der Schlüssel werden. Wenn er die Gruppe hinauf zur Äule lange genug zusammenhielt, dann hatte er eine Chance.

Das Peloton war nicht mehr so einheitlich. Viele Teams entwickelten zwar nach und nach ein Interesse am Tagessieg, aber so richtig hart fahren wollte man noch nicht. Hinauf zum St. Antoni schlug man daher ein eher gemütliches Tempo an, was einigen Fahrer wieder den Anschluss ermöglichte.
Dann kam das Rote Kreuz, und so allmählich erwachten die Begehrlichkeiten. Die Klassikerfahrer, die Puncheure, die aggressiven Athleten aus dem zweiten Glied, sie alle rochen ihre Chance. Die breite und gut ausgebaute Straße gab ihnen auch, an einer riesigen Serpentine, an der man gut 900 Meter nach vorne schauen konnte, zum ersten Mal wieder einen Blick auf die Fahrer an der Spitze frei.
Zum Glück war der Berg nicht wirklich lang. Die Spitzengruppe wankte zwar, fiel aber noch nicht. Auch Frank konnte noch mit in die Abfahrt gehen. Es ging hinein in eine sich allmählich öffnende Ebene, die schließlich in eine großes Tal mündete. Die ebenfalls gut ausgebaute Abfahrt wand sich in gemächlichen, weiten Kurven hinab, vorbei an malerischen Wäldern die schwer nach frischen Kiefern dufteten, an reifen Feldern voller Ähren und Bauernhöfen, von denen der Geruch von Tierställen herüber wehte. Die breite Straße erlaubte es den Fahrern trotz des hohen Tempos sich noch einmal kurz zu sammeln, ihre Beine auch außerhalb der Pedale zu bewegen und auszuschütteln, einen Schluck zu trinken, kurz: Sich auf das Finale einzustimmen. Die nächste Abfahrt würde nicht so beschaulich werden.
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Beitrag: # 6829926Beitrag arkon
30.8.2010 - 16:01

Der Bach am Fuße des Tales war überraschend klein. Fast übersah Aaron die kleine Brücke. Es war eines der kleinen Spielchen die er immer spielen musste, wenn er auf einem Rennrad saß. Gerade, weil dieser Punkt die Wendemarke war: Ab hier ging es bergauf. Obgleich sie kurz noch ebenerdig dahinfuhren kamen sie doch gleich an die erste Rampe: Zum Ortsausgang stieg die Straße leicht an. Da er das Streckenbuch für heute gut studiert hatte, wusste er, das eine Rechtskurve folgte, die sie wieder weiter hinab bringen würde. Es würde der Einstieg in den Hang folgen, dann eine Kreuzung, und dann schließlich das enge Sträßchen, welches sie über den Pass führen würde. Aber weil dies die Tour war erwartete er die Attacken auch schon vor dieser Kreuzung.
Geschlossen fuhr man hinab bis zur Talsohle. Die Teams vorne hatten sich formiert, dahinter fand ein lebhaftes Gedränge statt, in welches vor allem alle potentiellen Ausreißer verwickelt waren. Die Kapitäne wurden von ihren Teams umringt und abgeschirmt. Für Marc war dieser Welpenschutz vorbei: Nur noch Jackson war aus seinem Team dabei.
Sie fuhren über die erste Kreuzung und fanden sich in einem engen Tal wieder. Der beißende Geruch einer Kläranlage wehte herüber. Marc hörte das Geschrei der Teams, welches Einsetzte: Wer Tempo machen sollte, wer wohin fahren sollte. Bald würde ihnen die Luft ausgehen, aber hier unten war das Rennen noch sehr hektisch.
Die ersten Angriffe kamen. Vor allem Fresenius fuhr sofort nach vorne und schickte sich an, die Lücke zu schließen. Fröbe musste also noch in dieser Gruppe sein. Der junge deutsche Sprinter fuhr seine erste große Tour und war schon einige Male dicht an einem Sieg dran gewesen. Heute sollte es wohl klappen, ohne viele der etablierten Konkurrenten.

„Tranquillo, tranquillo“ herrschte Luc seine Begleiter an. Er fuhr rechts vorne neben der Reihe und behielt sie im Auge. Einige zuckten schon nervös. Ein Blick, der noch deutlich mehr als diese zwei Wörter sagte, brachte die Fahrer zur Ruhe. Luc setzte sich wieder an die Spitze und konzentrierte sich auf seinen Tritt. Der Berg war mit 5 Kilometern nicht besonders lang und nur oben steil. Aber auch diese Distanz wollte gemeistert werden.
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Beitrag: # 6829930Beitrag arkon
30.8.2010 - 16:21

(Musik)

Angriff! Und dieser sah stark aus. Marc kurbelte sofort hinterher, konnte die Lücke aber nicht schließen. Es war ein Peugeot-Trikot. Hatte Peugeot nicht schon zwei Fahrer vorne? Anscheinend wollten sie heute wirklich den Etappensieg erringen.
Er musste beißen, die Schmerzen ignorieren und schon gar nicht an die Strecke nach diesem Berg denken, aber er blieb dran. Vielleicht 30, 40 Meter lag er hinten. Er drehte sich kurz um. Eine ganze Reihe an Fahrern suchte den Anschluss, aber scheiterten. Und er sah Emirates und Lavazza-Fahrer, die sich nach vorne schoben. Das Rennen hatte also wirklich begonnen.
Einer der Gründe, warum er die entscheidenden Angriffe erst später erwartet hätte, waren die fehlenden Kurven hier unten. Der andere war die kurze Abfahrt von vielleicht 500 Meter. Es ging nur leicht bergab, aber ein reiner Bergfahrer konnte hier gegen ein Feld unmöglich bestehen. So wenig wie der Peugeot vor ihm sich gegen ihn durchsetzen konnte. Aaron hatte eben doch Rouleur-Qualitäten. Er fuhr an seinem Kontrahenten vorbei, schaute kurz zurück und setzte sich dann vor ihn.
Es war Laurent Farine! Der Franzose war eigentlich eher ein Bergfahrer. Und dazu erst 22 Jahre alt. Marc schüttelte den Kopf und bremste ab. Er pilotierte sein Rad um die enge Kurve, hinein und hinaus aus der Kreuzung, welche den eigentlichen Beginn des Berges markierte. Die Straßenqualität wurde augenblicklich schlechter. Er stand auf, brachte sein Rad wieder auf Touren und setzte sich dann mit seinem typischen, verkniffenen Gesichtsausdruck wieder hin. Die Schlacht konnte beginnen.

„Farine? Verdammte Scheiße!“ Er brüllte, er tobte. „Gérard, verdammt noch mal. Die sollen die Gruppe zusammen halten. Farine hat angegriffen. Bis zum Gipfel ist er dran. Kurz vorher soll er die Gruppe sprengen, dann können sie sich zusammen tun.“ Er fluchte wieder. Der Mechaniker im Fond, ein gottesfürchtiger Mann, schüttelte den Kopf und sah nach draußen. Man konnte schon in die Hölle kommen wenn man bei so etwas nur zuhörte. Zum Abschluss hieb Quarzo seine Faust mit aller Wucht gegen die Mittelkonsole. Das Radio sprang an.
„Dieser verrückte Affe. Ich hätte ihn nie mit zur Tour nehmen sollen. Wenn er sich auf die Dauphinee, die Romandie oder so etwas konzentriert hätte... Er kann sowas schon gewinnen. Aber hier, bei der Tour. Dieser...“ Er suchte kurz nach einem Wort. Der Mechaniker hielt sich die Ohren zu und schaute dann doch erschrocken drein.

Er hatte keine Lust mehr zu warten. Dieses ganze Taktieren ging ihm gehörig auf die Nerven. Er fuhr aus der Reihe, nickte auffordernd und grüßend zugleich hinüber und beschleunigte dann hügelauf. Drei Fahrer blieben an ihm dran. Er wusste das er nicht noch einen Angriff würde hinlegen müssen. Er ignorierte das hektische Geschubse und Zucken hinter sich und versuchte, seinen Rhythmus wieder zu finden.

Da war Laurent! Gérard sah ihm im Rückspiegel. Er zog schnell nach rechts, so dass der Franzose auf seiner Seite am Auto vorbei musste. Als der Fahrer auf der Höhe des Kofferraums war griff sich Gérard eine Trinkflasche und hielt sie wie eine Schranke aus seinem Fenster hinaus.
„He Laurent, klasse Leistung.“
Der Franzose schnappte sich die Flasche ohne sich wirklich daran fest zu halten.
„Wie weit vorne?“ Kam gepresst seine Antwort.
„Fast 40 Sekunden. Luc ist schon da vorne. Etwa 150 Meter. Vergiss nicht: Es geht heute um sein Gelbes Trikot.“
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen griff Laurent nach der zweiten dargebotenen Trinkflasche, verstaute sie im Rahmen und legte dann einen kleinen Zwischensprint ein. Trotz der kochenden Wut, die sich in seinem Magen zusammenballte, musste Gérard doch annerkennend nicken: Er sah wirklich noch sehr frisch aus. Marc Aaron, der einen kleinen Vorsprung heraus gefahren hatte, musste deutlich beißen um Farines Hinterrad zu halten.

Da kam Laurent heran! Luc konnte ihn hinter sich erkennen. Den Kopf nach hinten gewandt nickte er seinem Teamkollegen zu. Doch das magere, weißliche Gesicht, hinter einer Sonnenbrille teilweise versteckt, blieb ausdruckslos. Luc runzelte die Stirn. Er hatte schon gehört, das Laurent quasi auf eigene Faust eine Attacke gestartet hatte, aber was hatte das mit ihm zu tun?
Es dauerte nicht lange, da setzte sich Marc Aaron wieder an die Spitze der Vierergruppe. Marc Meunier hielt sich am Ende auf, und trotz seiner kürzeren Flucht verglichen mit Luc sah er schon ziemlich angeschlagen aus. Sie waren ganz vorne im Rennen, und die nächsten Verfolger konnte er in den Serpentinen schon kaum mehr ausmachen.
Ein Bewegung zu seiner Rechten ließ ihn erschreckt seinen Kopf drehen. Farine griff an! Schon wieder. Der Franzose schien wirklich die Entscheidung herbei zu sehnen. Luc scherte sofort aus der Reihe aus, bereit, bei einem eventuellen Konter mit zu gehen. Und der Konter kam!

Aaron hatte eine Sekunde gewartet, ob ihm jemand anders den Gefallen tun würde, und schließlich die Geduld verloren. Sein Antritt war bei weitem nicht so stark wie der von Farine, trotzdem tat jeder Tritt weh. Lucs Beine schrien nach einer Pause, nach einem langsameren Tempo. Doch er konnte nicht auf sie hören. Das gelbe Trikot wartete auf ihn.
Keine Schlangenlinien, kein Taktieren. Aaron fuhr wirklich wie der Teufel hier hinauf. Und Farine schien trotz seiner lockeren Fahrweise ein wenig auf sie zu warten. Der Weg ins Ziel war eben doch noch lang.

Wie gebannt blickte Mirko auf den Monitor. Kaum konnte er seine Augen heben um die Strecke zu beobachten. Er hatte nun zwei Fahrer in einer Spitzengruppe, der eine mit großen Chancen auf Gelb, der andere mit guten Aussichten im Etappenfinale.
„Um Gottes Willen, sie MÜSSEN zusammenarbeiten!“ beschwor er den Funk. „Droh ihm nicht, Laurent ist dafür ein zu starker Charakter. Geh einfach davon aus dass die Zusammenarbeit schon beschlossen sei!“
Für den Moment folgten keine weiteren Flüche nachdem er das Mikrofon wieder eingehängt hatte. Der Mechaniker bemerkte aber, wie die Finger seines Chefs am Lenkrad langsam weiß wurden.

Zu Gérards Überraschung funktionierte die Gruppe sehr gut, sobald sie sich kurz unter dem Gipfel wieder vereinigt hatte. Aaron spekulierte wohl darauf das Luc bald nicht mehr konnte und er dann im Finale all seine Erfahrung und Sprintstärke gegen Farine ausspielen konnte.
Die Abfahrt war wiederum recht harmlos gewesen, doch diesmal konnte es sich keiner erlauben nicht absolut volles Risiko zu gehen. In einigen Kurven spritzte Schmutz auf als die Räder bei 80 km/h den Rand der Straße touchierten. Seine Bremsen musste Gérard fast überhaupt nicht benutzen.
Unten dann reihte sich die Straße zwischen den Bergen und dem Schluchsee ein. Bei fantastischem Wetter war der See gefüllt mit zahlreichen Booten, von denen viele Fans das Rennen in einer ganz exklusiven Perspektive verfolgten. Glücklicherweise hatten sie Rückenwind. Noch heute Morgen hatte ihr Mann am See 'wechselnde Winde' gemeldet. Nun schienen sie im Glück zu sein.
Hinein ging es in eine kleine Ortschaft. Hier waren die Straßen voll von Menschen. Für die Fahrer sicherlich ein erhebender Moment, vielleicht Motivation genug, um die allerletzten Kraftreserven anzuzapfen. Und sie mussten es wohl! Am Gipfel hatten sie noch etwas über eine Minute Vorsprung, nach der Abfahrt waren es noch 50 Sekunden gewesen. Und nun, elf Kilometer vor dem Ziel, wurden noch 30 Sekunden vermeldet. Sollte die Flucht auf den letzten Metern noch scheitern?
Immerhin war Fröbe am letzten Berg zurückgefallen, Fresenius seither aus der Führung verschwunden. Aber noch viele andere Fahrer konnten auf den Sieg spekulieren. Die leichte Steigung hinauf nach Rothaus eröffnete viele Möglichkeiten. Aber jetzt, wo der Vorsprung so deutlich kleiner wurde, schienen die Spielchen im Feld wieder zu beginnen.
Es waren nur noch etwa 30 Mann übrig, und viele würden Morgen auf der ersten Hochgebirgsetappe alles geben müssen. Nur wenige Fahrer dort vorne hatten keine Siegambitionen und morgen einen lockeren Tag vor sich.

Als sie Seebrug, etwa vier Kilometer vor dem Ziel, passierten und der Vorsprung noch immer bei etwa 25 Sekunden lag, wusste er, dass sie es schaffen würden. Für Laurent Farine hieß das aber nur dass er seinen Fokus verschieben musste. Weg von der reinen Fluchtarbeit, dem Tempobolzen, hin zu taktischem Fahren.
Er würde angreifen. Bald, sehr bald. Und Luc würde nicht folgen können. Aaron war sein einziger echter Gegner, und so blieb er an dessen Hinterrad. Einmal kurz wechselte er noch durch die Führung, dann ging er in Lauerstellung.
Und gerade, als Aaron sich umschaute nachdem er aus der Führung ausgeschert war, gerade als er realisierte, das die Spielchen begonnen hatten und das er nun auch würde taktieren müssen, gerade da griff Laurent an.
Sie fuhren gerade an einem Waldrand entlang und die wechselnden Lichtverhältnisse zwischen prallem Sonnenschein und dem kühlen Schatten der Bäume machte es für Laurent unmöglich, seine Verfolger im Auge zu behalten. Er musste genau nach Südosten schauen, hinein in die Sonne, die zwischen den Blättern hindurch brach.
So zog er voll durch, jagte am Wald entlang, dann hinaus auf das offene Feld, an einem Bauernhof vorbei. Dann kam eine Kurve, hin zum Hang. Und dort vorne konnte er bereits den Schlussanstieg erkennen.
Er drehte sich um und erkannte, das Aaron sich wieder heran gekämpft hatte. Luc entdeckte er nicht. Farine hörte auf zu treten, fuhr Schlangenlinien, hoffte, das der US-Amerikaner vorbei fuhr. Aber er tat ihm diesen gefallen nicht. Langsam rollten sie auf den Beginn der Steigung zu. Von hinten kam das Feld und kam Luc immer näher. Laurent drehte sich um, erkannte den Rotschopf, der die Straße entlang jagte, die Zunge weit aus dem Mund heraus hängend. Er kämpfte wirklich um Gelb. Die Flame Rouge flog über ihnen vorbei. Der letzte Kilometer begann!
Als er sich wieder auf Aaron konzentrieren wollte war es schon geschehen. Dieser Fuchs hatte seinen Moment der Unachtsamkeit perfekt genutzt und war einen Angriff gefahren!

Nicht umdrehen, nicht umdrehen, einfach nur fahren. Er schwang das Rad mit aller Gewalt unter sich hin und her, versuchte, all seine verbliebenen Kräfte zu mobilisieren. Aber es half nichts. Er wusste es.
Als er sich nach seinem Verfolger umsah wartete dieser ruhig und scheinbar mühelos in seinem Windschatten. Aaron setzte sich wieder in seinen Sattel, verschnaufte kurz. Was sollte er noch tun? Was konnte er noch tun? Viel blieb ihm nicht mehr nach diesem Angriff.
Er versuchte, aus der Führung auszuscheren, aber Farine machte es ihm nicht einfach. Der Franzose hatte alle Trümpfe in seiner Hand.
Und er spielte sie aus. Als würde er von einer Rampe hinab in ein Zeitfahren starten brachte er seine Maschine auf Geschwindigkeit. Chancenlos sah Aaron ihm hinterher. Er versuchte erst gar nicht, das Tempo aufzunehmen. Vielmehr drehte er sich um, erkannte, das Luc Allou nicht zu sehen war und das der zweite Platz wohl ihm gehören würde.

Der Mechaniker hinter ihm und sein Assistent neben ihm jubelten beide. Aber Mirko war nicht nach feiern zumute. Erst als Luc die Linie passierte und erst 23 Sekunden später das Feld ins Ziel kam konnte er lächeln. Sie hatten Gelb gewonnen!
Er bahnte sich einen Weg durch die Zone, hin zu der Dopingkontrolle, wo Luc vorbei musste. Durch einen Traube an Reportern bahnte er sich den Weg zu dem 1,90 Riesen und schloss ihn in die Arme.
„Gut gemacht mein Kleiner“ Auch wenn sie sich während der Etappe heute und auch vorher schon oft stritten, so wussten sie was sie aneinander hatten. Und so konnten sie sich gegenseitig schnell verzeihen.
Luc reichte seinem Boss die Hand. „Danke... danke“ Sie schlugen ein. Trotz aller Widrigkeiten hatte sich doch noch etwas Gutes aus diesem Tag entwickelt.
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

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arkon
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Beitrag: # 6829935Beitrag arkon
30.8.2010 - 16:40

(Musik)

Im Teamhotel hatten er kaum mit jemandem gesprochen. Glückwünsche der Mechaniker, einiger Hotelangestellter. Auch Frank Chaval hatte ihm gratuliert. Er hatte gegessen und war früh auf sein Zimmer gegangen. Er fühlte sich nicht ausgegrenzt oder schuldig. Es war sein großer Tag gewesen und er hatte das getan was er für richtig hielt. Außerdem hatte es ja für Luc gereicht. Er sah nach draußen, auf das kleine Städtchen Wohlen.
Heute waren sie schon eine Stunde im Teambus gefahren, morgen würde noch eine Stunde hinzu kommen. Er hatte Etappenpläne studiert, in einem Buch gelesen, gegessen, getrunken. Was kümmerten ihn die anderen? Diese Tour könnte für ihn der ganz große Durchbruch werden, und er war schon auf dem besten Weg dahin.
Als Lizuro im Frühjahr Paris-Nizza gewonnen hatte, es hatte ihn beeindruckt. Mit erst 21 Jahren war der junge Belgier schon besser als viele gestandene Kollegen in der Blüte ihrer Fähigkeiten. Und Farine wollte das auch. Und er wusste, er konnte es. Seit Lizuro's Sieg war für ihn klar das er sich nie wieder damit zufrieden geben würde seine Ambitionen für sein Team zurück zu stellen. Er hatte das Zeug, sich morgen Gelb zu holen. Und dann, wer konnte das schon sagen? Vieles war möglich.
Wenn er zurück dachte, nicht an die Etappe, an seine Zeit in diesem Team, da wurden ihm schon beklommen. Für nun vier Jahre war er Teil der Mannschaft gewesen. Und auch wenn er oft das Gefühl gehabt, das ihm Siege gestohlen wurde, Chancen verbaut wurden, so waren es doch vier schöne Jahre gewesen. Er hatte viel gelernt, viel kennen gelernt. Heute hatte er sich, das war ihm klar, den Weg zurück verbaut. Es blieb die Flucht nach vorn.
Ein wenig wehmütig dachte er an die Zeiten zurück als er neu ins Team gekommen war, alle ihn freundlich aufgenommen hatten. Er hatte mit Adrien Miou trainiert, damals für ihn ein Gott. Er erinnerte sich, wie er nach ihrer ersten gemeinsamen Ausfahrt eine Trinkflasche von seinem Rad als Souvenir mitgenommen hatte. Er hatte sie an Freunde weiter verschenkt.
Die Sonne versank langsam und er wusste, das er schlafen musste. Viel schlafen. Er hatte keine Zeit für Interviews, für Erinnerungen, für lange Gespräche mit der Teamleitung. Er war sicher das sie bald an seine Tür klopfen würden. Aber es war ihm egal. Morgen konnten sie mit ihm reden. Der Abend gehörte ihm allein.

So, geschafft. Erste Etappe. Ich verbrauche etwas genau so viel Zeit für das Schreiben wie für das Suchen der Musik. Scheiße. Ich würde mich daher um so mehr über ein paar Kommentare freuen. Hat die Musik gepasst? Also sowohl von der Stimmung als auch von der Länge her? Und wie verwirrend sind die vielen Charaktere, die man verfolgt? Mehr, weniger? So, halb elf in China, Zeit, es dem Song nach zu tun und einzuschlafe ;)
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

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