Die Rache der Kletterer

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

PS
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Beitrag: # 6830022Beitrag PS
31.8.2010 - 11:22

ALso cih habe Mühe zu Folgen, da man die Charaktere nicht kennt. Es wäre vllt gut, wenn mann wenigstens noch das Team hinter dem Namen hätte um manches einzuordnen. Die Musik passt aber gut.
Pe Es - Sieger Giro 2010, 3. TdF 2011, 3. Giro 2013, 2. TdF 2015, 2. Giro 2017, 3. Vuelta 2017, Sieger Vuelta 2023
Etappensiege: Vuelta Etappe 18+19 2008; Giro Etappe 7 2010; Giro Etappe 19 2011; Vuelta Etappe 3+5 2011; Giro Etappe 3 2013; Giro Etappe 8 2016; Tour Etappe 9 2016; Giro Etappe 18 2017; Tour Etappe 17 2017; Vuelta Etappe 12 2018; Tour Etappe 13 2019; Giro Etappe 12 2020; Giro Etappe 14+20 2021; Tour Etappe 14 2021; Vuelta Etappe 7+15 2021

ein_auto
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Beitrag: # 6830048Beitrag ein_auto
31.8.2010 - 16:53

Ich hab den ersten Post in nem Nebentab offen, muss aber inzwischen nur noch selten rüberschalten. Die Musik passt gut.

Generell ein Riesenlob, der Schreibstil und die ganze Art, dass Geschehen auf und neben der Strecke zu beschreiben ist fantastisch. Mehr bitte ;)

Ricardo84
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Beitrag: # 6830359Beitrag Ricardo84
2.9.2010 - 20:51

Einfach nur qenial!! Krieqst erneut ein Lob von mir, hast dir viel mehr Kommentare verdient, für den Zeitaufwand und das was rauskommt. Freu mich wirklich schon auf die nächste Etappe, und das hatte ich bisher fast nie bei einem AAR. Also weiter so!!

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arkon
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Beitrag: # 6831920Beitrag arkon
13.9.2010 - 4:44

Etappe in den Schweizer Alpen, Tour de France 2009, Schweiz

Bild

35 km - Glaubenbergpass, 1543 m
67 km - Brünigpass, 1007 m
92 km - Grosse Scheidegg, 1962 m
136 km - Aeschi bei Spiez, 865 m
170 km - Hahnenmoospass, 1947 m
199 km - Saanenmöser Sattel, 1279 m

(Musik)

Kenny Jackson hatte Angst vor dem Aufstehen. Dieser entscheidende Moment, der oft definierte, was der Rest der Tages bringen würde, war für ihn ein Grausen. Wenn er sich schlecht fühlte, nicht gut aus den Federn kam, dann war der Tag schon gelaufen, noch bevor er richtig begonnen hatte. In der Tat hatte er oft vor wichtigen Etappen, wie heute, Alpträume, in denen er aus dem Schlaf erwachte und sich miserabel fühlte.
Heute jedoch war seine Angst unbegründet. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen wachte er auf, richtete seinen Oberkörper, noch mit geschlossenen Augen, auf, breitete seine Arme aus und ballte seine Fäuste.
„Heute“ feuerte er sich und seinen noch im Bett liegenden Zimmerkollegen Peter Newman an. „Heute wird’s was.“ Er stürmte zum Fenster, riss die Vorhänge beiseite, öffnete es und lehnte sich mit seinem nackten, mageren Oberkörper hinaus und schrie begeistert „Ja!“ hinab in das erst allmählich erwachende Städtchen. Voller Energie und die Protestschreie ignorierend riss er die Decke von Peter hinweg und stürmte unter die Dusche.
„Kriegst du heute Abend wieder.“ Ein Murren war Antwort genug.

Die erste richtige Bergetappe der Tour bedeutete für die meisten Favoriten einen nervösen Tag. Sicher, heute würden noch nicht die richtig großen Attacken erfolgen. Aber die meisten rechneten schon mit einer kleinen, elitären Gruppe, die sich alleine bis ins Ziel absetzen würde. Das bedeutete Stress.
Nicht, das für Adrien dieses Gefühl ein neues gewesen wäre. Aber angenehm war es nicht. Er liebte die Herausforderung, aber ein Stück weit fürchtete er die Niederlage. Und er wusste, heute würde entweder mit den anderen Favoriten ankommen, oder er würde verlieren. Gewinnen war heute keine Option.
Ihr Teambus war schon früh Morgens abgefahren, nach einem eher kurzen Frühstück. Sie würden später noch eine weiter Mahlzeit zu sich nehmen. Sie hatten etwas außerhalb an einem Bauernhof geparkt. Die Mechaniker bauten schon die Räder auf, reinigten einzelne Teile, ölten andere, zogen einige Schrauben fester an, verstellten Sättel und fixierten Bremsen. Die Fahrer standen herum, scherzten, halfen, nahmen Maß und gaben Tipps.
Heute würde es vor allem auf seine zwei besten Helfer ankommen: Nicola Pozzo und Xavier Candese. Die beiden würden versuchen, das Feld zu kontrollieren, und ihm schließlich zur Seite stehen wenn es hart auf hart kam. Und dann... dann kam es auf ihn an.
Adrien stand ein wenig abseits, blickte auf das Profil, Nicola und Xavier links und rechts neben ihm. Die Etappe konnte wirklich interessant werden. Keiner von den dreien wagte eine sichere Prognose. Wenigstens war es noch so früh in der Tour das kein vergessener Favorit einen verrückten Alleingang versuchen würde. Dennoch war die Spannung mit Händen zu greifen.

Die Etappe begann so nervös, wie viele es erwartet hatten. Nicht umsonst, wurde doch heute ziemlich sicher das Bergtrikot neu verteilt. Und der Sieger heute hatte gute Chancen es auch noch einige Tage zu behalten.
Kenny Jackson wartete noch ein wenig. Er hatte lange überlegt wo der günstigste Punkt für einen Angriff sei. Schon im flachen bildeten sich die Gruppen. Und da es nur 20 Kilometer bis zum Fuße des ersten Berges waren konnte das mehr an Energie, welches man investieren musste, kaum als Argument gelten. Der eigentlich Grund war schließlich die erwartete hektische Fahrweise gewesen: Der Bildung der Gruppe waren zahlreiche Angriffe, Sprints, Konter und Spielchen voran gegangen. Das Feld reagierte nicht wirklich, und so hatten die Fahrer noch mehr Luft für 'Taktik'.
Kenny sah sich den Tumult in Ruhe im Feld an. Er hielt sich weit vorne auf, aber nicht zu weit. Über den Teamfunk wurden laufend die Neuigkeiten von vorne durchgegeben.
„Angriff, Rodolfo La Rosa, er kommt weg.“
„La Rosa ist wieder gestellt.“
„Fredriksen tritt an! Mika Fredriksen auf dem Weg“
„Gruppe wieder zusammen“
„Da sind jetzt sieben Mann vorne, sieht stabil aus“
Der Rest bestand aus warten. Er lauerte auf den richtigen Moment: Die erste Bergwertung auf dem Glaubenbergpass wollte er unbedingt mitnehmen. Das Tempo hinauf durfte nicht zu hoch sein. Aber wenn er zu früh ging verschleuderte er unnötig Energie.
Den Abstand immer im Auge behaltend zuckelte er nervös in den ersten Reihe des Pelotons herum. Aber er war nicht der einzige, der scharf auf das Bergtrikot war: Nur wenige Kilometer in den Berg hinein, an einer harten Rampe mit über neun Prozent Steigung, griff plötzlich ein Fahrer vom kleinen, spanischen Cintra-Team an. Das war sein Einsatz! Jackson sprintete hinterher, ging dann in die Führung und blickte sich erst dann um. Es war Raul Quina, mit 34 Jahren schon etwas älter, aber immer noch bekannt, respektiert und gefährlich. In seinem Team war er so etwas wie der Mentor für die jüngere Garde an spanischen Klettertalenten. Einige kleinere Siege, eine Baskenlandrundfahrt und eine ganze Reihe an Etappensiegen bei der Vuelta dominierten seine Palmares. Und für Kenny war er immer ein Vorbild gewesen.
Freudig erregt fuhr er neben ihm.
„He Raul, wie geht’s?“
In kaum verständlichen, viel zu schnellem Spanisch bekam er seine Antwort.
„He, Freund, schau nach vorne und fahr. Wenn wir oben sind können wir immer noch genug tratschen!“
Ohne zu diskutieren tat der Amerikaner wie ihm geheißen und drehte sich wieder um. Er kam sich ein wenig vor wie ein Teenager vor einem Rockstar. Und der Rockstar hatte das Sagen.
Der Rückstand schmolz schnell von etwa zwei Minuten auf eine Minute, dann waren sie bei Finsterwald und auf dem kurzen Flachstück welches den Anstieg unterbrach. Rechts herum ging es in den eigentlichen Berg hinein. Oder besser gesagt das Tal welches zu dem Pass führte. Die Straße wand sich links und rechts herum durch eine malerische Landschaft. Und für einen Moment konnte Jackson die Aussicht genießen. Sie waren noch tief genug, so dass alle Berghänge voller Bäume waren. Sie hätten auch ein wenig Schutz vor der hochstehenden Sonne gebrauchen können aber der größte Teil des Anstiegs führte über freies Feld.
Ohne größere Mühe konnten sie die Lücke nach vorne schließen. Das Feld lag nun schon über vier Minuten zurück. Kurzzeitig kehrte Ruhe in der Gruppe ein als sie eine Passage mit nur drei Prozent befuhren. Aber Kenny wusste: Es war die Ruhe vor dem Sturm. Die letzten 1,5 Kilometern waren wieder 9% steil. Und viele in der Gruppe spekulierten auf die Punkte. Doch Jackson wusste, dass er hier der Stärkste war.
Erst griff la Rosa an, pumpte in seiner kraftvollen, unbeholfenen Art in Richtung Gipfel. Quina konterte. Trotz seines Alters waren seine Bewegungen noch fließend. Er war ein Ästhet, eine Augenweide. Nicht umsonst hatte ihn Kenny verehrt.
Sein eigener Antritt befand sich wohl irgendwo dazwischen. Er war nie einer der schön-Fahrer gewesen, es kam ihm viel mehr auf eine Ökonomie seiner Bewegungen an. Im Sitzen griff er an, verließ die Gruppe und schloss die Lücke nach vorne. Kurz lauerte er, wartete, bis die Wertung nah genug heran kam. Er hatte keine Lust auf einen ewig langen Sprint. Sein Antritt war kurz und knackig. Er drehte sich um und erkannte, dass die anderen quasi sofort aufgegeben hatten. Er selbst radelte locker weiter bis zum Wertungsbanner, schnappte sich eine Zeitung von einem Zuschauer an der Straße und konzentrierte sich auf die Abfahrt.
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arkon
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Beitrag: # 6831921Beitrag arkon
13.9.2010 - 5:22

(Musik)
Der Anstieg hinauf zum Kaiserstuhl war bot spektakuläre Aussichten. Erst eine Anfahrt über freie Felder, dann ein enges empor winden durch einen bewaldeten Berghang und schließlich der Ausblick auf den Lungernsee. Es war fantastisch.
Dann folgte der Anstieg hoch zum Brünigpass. Erst zwei sehr steile Kilometer, die Kenny von vorne in einem hohen, konstanten Tempo fuhr. Schnell wurde die Gruppe kleiner und noch weit über einen Kilometer vor dem Gipfel waren sie zu viert: La Rosa, Fredriksen, Quina und er selbst.
Der Anstieg flachte ab und sie gingen abwechselnd in die Führung. Sie fuhren um die Ecke und da war der Gipfel. Eine lange Rampe entlang, nochmal um einen Fels herum gewunden und da würden die Punkte vergeben werden.
Er sah seine Mitstreiter an. Fredriksen hatte genug damit zu tun an der Gruppe dran zu bleiben, aber die anderen beiden... Jackson entschied sich für die defensive Variante. Da es nur ein Berg der dritten Kategorie war fuhr er die Rampe von vorne. Mika platzte schnell ab, die anderen blieben an ihm dran. Noch bevor sie um die letzte Kurve, 300 Meter vor der Wertung bogen, kam schon der erste Angriff: Quina schoss davon, la Rosa direkt dahinter. Kenny hielt das Hinterrad und ging dann 200 Meter vor der Wertungsbanner selber in die Führung. Überraschenderweise bereitete es ihm kaum Schwierigkeiten an seinen Begleitern vorbei zu ziehen. Er blickte zurück und bemerkte verwundert die Lücke zwischen ihnen. Er würde seine Fahrt schon früher alleine fortsetzen müssen als er ursprünglich dachte.
Die Abfahrt war zwar kurvig, aber sehr gut ausgebaut und führte durch einen schattigen Wald. Es war eine willkommene Pause vor dem nächsten Pass, der großen Scheidegg. Das Tal überbrückten sie gemeinsam, auch Fredriksen hatte wieder den Weg zu ihnen gefunden. Dann kamen sie durch einen kleinen Ort und hinter einer kleinen Scheune bog die Straße ab. Fast sofort begann die Kletterei, die sie von 620 auf 1965 Meter Höhe führen würde. Der Anstieg zog sich über 15 Kilometer hin, mit durchschnittlich 8,5 % Steigung. Ein wahrer Riese, der als 'HC', Ehrenkategorie, gewertet wurde.
Kenny ging wieder in die Führung. Hier hinauf machte es kaum einen Unterschied mehr ob man jemand vor sich hatte oder nicht. Und er als erfahrener Bergfahrer konnte eher davon profitieren das er selbst das Tempo wählen konnte. Ein wenig wehmütig blickte er auf das Profil, vor allem auf das lange Flachstück zwischen der Scheidegg und dem Hahnenmoospass. Es waren fast 17 Kilometer. Das konnte hart werden.
Kurz schaute er sich um. In den Gesichtern der anderen Fahrern war die Geschichte so deutlich geschrieben wie es nur ging. Sie würden ihn alle verlassen, nach und nach.

Quarzo stierte erst auf das Profil, dann auf seinen Zettel. Als Team mit dem gelben Trikot waren sie in der Verantwortung, das Tempo zu machen. Und außerdem war heute einer der Tage, an denen Mirko für gewöhnlich Großes plante.
Es waren nur noch sechs seiner Fahrer im Hauptfeld über. Vremont und Tchibault waren die Kapitäne, Anton Kuhn und Miguel Marbea die Edelhelfer für die Selektion am Hahnenmoospass. Es blieben Laurent Farine, der sicher nicht für das Team arbeiten würde, und wenn dann auch eher ein Kapitän war, sowie Luc Allou im Gelben Trikot. Das war wenig. Und nicht sehr angenehm.
„Ok, herhören. Luc macht den Wasserträger. Miguel und Anton gehen in die Führung. Aber ich will noch kein Tempo sehen. Geht es gemächlich an. Jackson ist ein unterirdischer Zeitfahrer und nicht stabil genug für drei Wochen, werdet also deswegen bitte nicht nervös!“
Es war entschieden. Im Anschluss an die heutige Etappe gab es eine hügelige Fahrt über die französische Grenze, einen Ruhetag und erst dann kam das Finale der Alpen mit der Ankunft in L'Alpe d'Huez. Und trotzdem würde er sein Team heute nicht schon wegen eines Verrückten Bergfahrers zerreiben.

Der Vorsprung, den er bis zum Gipfel eigentlich beharrlich ignoriert, erschlug ihn auf einmal fast.
„Sechs Minuten“
Das war alles, was sein Betreuer zu ihm sagte, sagen musste. Unaufhörlich steuerte er auf die Baumgrenze zu. Sie durchfuhren gerade einen Wald, in dem die Bäume nur noch dünn gesät waren. Die Luft wurde ebenfalls dünner, aber vor allem kühler, was bei der noch immer brennenden Sonne sehr angenehm war. Trotzdem schüttete er sich einen ganzen Bidon über den Kopf, schloss die Augen als er fühlte wie sich das kalte Wasser seinen Weg durch die Luftlöcher in seinem Helm und durch seinen Haare hindurch bis auf seine Kopfhaut bahnte. Erfrischend.
„Drück nicht mehr ganz so drauf. Hinten schläft die Verfolgungsarbeit ein, und je weniger Panik ausbricht desto besser.“
Er nickte, nur halb fähig dem Gedankengang zu folgen. Auch wenn er noch viel Kraft übrig hatte und diesen Berg auch nicht mit voller Geschwindigkeit in Angriff genommen hatte so blieb doch trotzdem nicht mehr allzu viel Blut für sein Gehirn über. Stur blickte er weiter geradeaus, versuchte, seinen Rhythmus zu finden, richtig zu atmen, seine Muskeln abwechselnd zu beanspruchen, kurz: zu klettern.

Das Feld zog zwar das Tempo im Tal etwas an, aber der Vorsprung blieb beachtlich. Endlos lang wand sich für Jackson die Straße hin. Erst durch steile Täler, dann am Ufer eines Sees. Endlich, endlich erreichte er einen roten Streckenposten, welcher eine Bergwertung der 4. Kategorie in 5,3 Kilometern versprach. Er jubelte innerlich!
„Jetzt geht’s los! Wie viel hab ich noch?“ fragte er den Betreuer, der wieder neben ihn gefahren war.
„Immer noch fünf Minuten. Du kannst langsam das Tempo anziehen.“
Und Kenny tat, wie ihm geheißen. Über den Berg der 4. Kategorie rollte er sich noch ein, danach kam wieder ein flacherer Teil. Aber immerhin stiegen diese 20 Kilometer auch schon mit durchschnittlich 2,6 % an. Und da es in dieser Passage leichten Rückenwind gab ging es gut vorwärts.
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arkon
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Beitrag: # 6831922Beitrag arkon
13.9.2010 - 5:24

(Musik)
Paul Vremont reihte sich ein in Lauerposition. Kuhn und Marbea kurbelten vorne kräftig weiter. Bernard Tchibault schien schon jetzt in Schwierigkeiten zu sein, jedenfalls war er nicht vorne bei den anderen Peugeot Fahrern. Sogar Laurent Farine war zu ihnen gestoßen. Darüber hinaus hatte er ihnen sogar verraten das er einen Angriff fahren würde. Geradezu verschwenderisch nett, dachte Paul bei sich.
Das Feld schlängelte sich durch einen größeren Ort. Viele Zuschauer drängten sich an den Straßen.
„He, legt noch was drauf!“ rief er seinen Helfern vor sich zu. Ein erhobener Daumen war die Antwort.
Während das Feld also den größten Teil des Tages etwas getrödelt hatte wurde nun richtig Tempo gebolzt. Er schaute sich um und sah, dass das Peloton sehr langgezogen war. Noch etwa 80 Fahrer waren hinter ihnen, verdammt viel also. Und das wollte schnellstens geändert werden.

„Hinten wird das Tempo schneller. Du bist auf 4 Minuten 30 runter!“
Kenny nickte. Kein Grund sich nervös zu machen. Versuchte er sich einzureden. Auch wenn er immer noch ein wenig auf den Beginn des wirklichen Anstiegs wartete so wusste er doch das er nun, da Taktik keine Rolle mehr spielte, ein gleichmäßiges Tempo bis ins Ziel wählen musste. Ach, wie er Zeitfahren doch hasste. Er musste es vielmehr als... Soloflucht ansehen. Das half.
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arkon
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Beitrag: # 6831923Beitrag arkon
13.9.2010 - 5:36

(Musik)

Sie erreichten die erste, steile Rampe. Sieben Prozent, also fürs Hochgebirge nicht wirklich viel, trotzdem schmerzhaft. Und fast augenblicklich folgte der Angriff von Laurent Farine. Als ob es immer noch flach wäre katapultierte er sich von hinten an Paul vorbei und hatte ein großes Loch gerissen bevor er nur daran denken konnte zu reagieren. Er musste den Kopf schütteln. So sehr er auch das gesamte Team gegen sich aufgebracht hatte, so sehr musste er ihn doch bewundern. Laurent war ein Sturkopf, und dazu noch talentiert. Er konnte es weit bringen. Solange ihm nicht die Leute ausgingen, die ihm in einem Rennen halfen.
Eigentlich war die Attacke ja ganz angenehm: Die anderen Teams gingen in die Führung, Peugeot konnte sich ausruhen. Lavazza schickte Candese und Pozzo nach vorne, so dass sich sein Team ein wenig zurücklehnen konnte. Er selbst aber musste wachsam bleiben: Wo kamen die Attacken?
Hinter ihnen bröckelten immer mehr und mehr Fahrer ab. Selbst Paul Vremont musste schlucken: Das Tempo war hart. Er konzentrierte sich auf das Atmen, versuchte, sich zu entspannen. Ein wenig aus dem Sattel gehen, hochschalten, runterschalten. Es wurde hart.
Bevor er sich wieder richtig in seinen Rhythmus eingefunden hatte kam schon die erste gefährliche Attacke: Hernan Torres schoss in seinem grauen Emirates-Trikot an ihm vorbei. Ohne zu überlegen ging er selbst aus dem Sattel und kurbelte, was er konnte. Kein Blick zurück. Das Loch war groß, aber Torres hatte sich eine steile Rampe für seinen Angriff ausgesucht und so schien der Abstand etwas kleiner als er es wirklich war.
Doch Vremont biss auf die Zähne und kämpfte sich wieder heran. Erst am Hinterrad seines Widersachers genehmigte er sich eine kleine Pause, setzte sich in den Sattel, schnaufte ordentlich durch und drehte sich um.
Die Gruppe war kleiner geworden, viel kleiner, aber es waren immer noch etwas 15 Fahrer mit vorne dabei. Und der Rest versuchte in einer langen Perlenkette ebenfalls wieder heran zu kommen. Candese ging in die Führung. Doch statt ein versöhnliches Tempo anzuschlagen, bei dem man wieder zu Atem kommen konnte, zog auch er mächtig an. Wenn nicht gerade in so einem Moment Luft knapp wäre, er hätte sicher ein lautes Stöhnen hinter sich vernommen.
Der Rest des Berges verlief in etwas gleichmäßig, aber war nicht besonders steil. Daher stellte sich Vremont darauf ein, kaum noch Attacken zu sehen. Trotzdem fuhr er ganz vorne in der Gruppe. Das war auch gut so, denn kurz darauf versuchte es Adrien Miou. Der Angriff war zwar nicht übermäßig schnell, aber da sein Helfer an der Spitze der Gruppe natürlich sofort die Tempoarbeit einstellte riss die Lücke auf.
Aber auch dieses mal war Paul wachsam und fuhr wieder heran. Als sie wieder zusammen waren gab es einen Moment der Ratlosigkeit: Keiner wollte so Recht die Führung übernehmen. Dies konnte Claudio Pinillos, ein kleiner, schmächtiger Kletterer aus der Peroni-Mannschaft für seinen Antritt nutzen.
Es sprang keiner hinterher, aber die Gruppe raufte sich zusammen und fuhr nun zusammen den Berg hinauf. Neben Vremont, Torres und Miou waren noch Andrlikova, Miron und auch Mious Helfer Pozzo dabei. Wenn man noch Jackson und Farine hinzu zählte konnte heute mit ein wenig Abstand das Gesamtklassement bis auf sieben ernsthafte Anwärter auf den Gesamtsieg zusammengeschrumpft werden. Das und die Aussicht auf eine Flachetappe gefolgt von einem Ruhetag waren die Gründe für ein heftiges Anziehen der Geschwindigkeit. Die Fahrer, die sich eben noch belauerten, kehrten nun in sich. Immer noch wachsam, aber vordringlich mit sich und seinen Leiden beschäftigt.

Die Bergwertung! Er hatte es tatsächlich geschafft! Am liebsten wäre er abgestiegen und hätte die Etappe hier beendet. Alles, was er sich als Ziel gesetzt hatte, hatte er erreicht: Gleich alle fünf Bergwertungen hatte er gewonnen. Und da er annahm das die Hauptkonkurrenten um das Bergtrikot sich heute noch im Hauptfeld versteckt gehalten hatten war der Vorsprung gleich doppelt beeindruckend.
Natürlich würde er nicht absteigen. Er hatte immer noch über drei Minuten Zeit auf seiner Seite. Wenn er nun nicht nachließ dann konnte er die Etappe tatsächlich gewinnen. Eine gewisse Euphorie machte sich breit, ein feierliches Kribbeln. Es waren noch fast 40 Kilometer bis Gstaad, aber er wusste, er konnte es schaffen. Mit einem Feuereifer stürzte er sich in die Abfahrt.
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arkon
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Beitrag: # 6831925Beitrag arkon
13.9.2010 - 8:46

(Musik)
Laurent Farine war etwas enttäuscht. Trotz einer frühen Attacke und einem Solo, bei dem er keine Rücksicht auf sich und seine Schmerzen genommen hatte, kam er nicht wirklich voran. Drei Minuten bis auf Jackson. Er war zwar nicht sein Ziel, aber es störte ihn doch, den Amerikaner nicht so einfach aufrollen zu können. Und dann: Nur etwas über eine Minute auf die Favoritengruppe. Das störte ihn noch viel mehr.
Wütend manövrierte er sich zu seinem Begleitfahrzeug und nahm sich grußlos die angereichte Wasserflasche. Hektisch nahm er ein paar Schlücke, dann verstaute er die Flasche und griff sich eine alte Zeitung. Er nickte dem Fahrer zu, mehr, damit er wieder verschwinden würde als aus Dank und stopfte sich die Zeitung unter das Trikot.

Die Abfahrt war lustig gewesen. Kenny war immer einer der Fahrer gewesen welche die Gefahr zwar sahen sich aber nicht so sehr von ihr aus dem Konzept bringen ließen. Und so fand er immer wieder gefallen an besonders anspruchsvollen und winkeligen Abfahrten.
Die Straße über den Hahnenmoospass war ohnehin nicht besonders gut erhalten gewesen, aber die Abfahrt war dazu noch ziemlich steil und kurvig gewesen. Durch etliche kleine Ortschaften wand sich die Strecke bevor sie im Tal mit einer breiten Straße zusammen stieß. Zu seinem Glück ging auch das Tal noch bergab. Wenn auch nur mit etwa einem Prozent, so war es doch spürbar und, nach einem so langen Tag, durchaus angenehm.
Allmählich fand er wieder Energie in sich, und auch die Bereitschaft zu kämpfen. Es blieben noch 25 Kilometer übrig.

Im Tal schlief das Tempo wieder ziemlich schnell ein. Vremont wollte nicht Tempo gegen seinen eigenen Teamkollegen machen und die meisten anderen hielten Farine nicht für gefährlich genug, ebenso wenig wie Jackson oder Pinillos. Natürlich fuhren sie trotzdem, auch schon alleine weil sie nicht wollten das jemand von hinten heran kommen würde.
Für Vremont war dies angenehm: Er rollte hinten mit, genoss ein wenig die tolle Landschaft, lockerte seine Muskeln und bereitete sich auf das Finale vor. Nebenbei studierte er intensiv seine Begleiter: Wer schien noch fit zu sein? Wer würde eventuell die nächste Attacke setzen? Auch wenn der letzte Berg nicht besonders steil war, so musste die Aussicht doch verlockend sein, aus so einer kleinen Gruppe die direkten Widersacher unter Druck zu setzen.
Torres schien schon ein wenig müde. Miou sprühte auch nicht mehr vor Energie. Andrlikova war schon eben immer der gewesen mit den meisten Problemen. Pozzo würde bald seinen Helferdiensten Tribut zollen müssen. Einzig Emanuel Miron sah hungrig aus. Und jetzt, wo Paul darauf achtete, wurde ihm auch bewusst, dass der Spanier etwas weniger Führungsarbeit verrichtete. Würde er heute die Scharte des Prologs auswetzen wollen?
Das Flachstück wurde doch noch ziemlich lang, aber dann schließlich ging es wieder aufwärts. Paul war ehrlich überrascht wie flach der „Berg“ doch eigentlich war. Doch auch ein flacher Berg konnte Zeitunterschiede bewirken.
Er ging kurz nach hinten zu seinem Teamfahrzeug um sich zu verpflegen bevor der Anstieg richtig begann. Doch er hatte sich verspekuliert. Noch auf dem Weg nach hinten kam schon der erste Angriff: Miron war, wie erwartet, der erste. Fluchend bahnte sich Vremont den Weg nach vorne. Aber als er die Spitze der Gruppe erreichte war die Lücke schon viel zu groß. Ihm blieb nichts anderes übrig als Tempo zu fahren.
Zum ersten Mal in dieser Tour packte er all seine Kletterkünste aus. Was kümmerte es ihn ob er oben alleine ankam? Er durfte keine Zeit auf Miron verlieren. Nur das zählte. Schon nach wenigen hundert Metern hatte Pozzo abreißen lassen müssen. Andrlikova atmete auch schon schwer. Er winkte Miou in die Führung und versuchte wieder, Wasser zu holen. Auch wenn ihn das einige Sekunden kosten würde, er durfte keine Dehydrierung riskieren.
Diesmal griff keiner an. 'Wenigstens' dachte er bei sich und spannte sich wieder vor die Gruppe. Er machte genau da weiter wo er aufgehört hatte. Und schon nach kurzer Zeit war Andrlikova wieder in Schwierigkeiten. Er hatte drei Athleten hinter sich die auch Zeitfahren konnten. Jeder von ihnen konnte unglaublich gefährlich werden im Kampf um den Gesamtsieg. Und wenn er schon jetzt Zeit auf Andrlikova gut machen konnte, um so besser.
Seine Bemühungen waren nicht umsonst: Etwa zwei Kilometer vor dem Gipfel hatte der Russe genug. Er schaltete herunter und suchte sein eigenes, gleichmäßigeres Tempo. Für Triumphgefühle blieb keine Zeit: Miron war immer noch nicht wieder in Sichtweite. Gewann oder verlor er Zeit? Der Teamfunk blieb eine genau Antwort schuldig.
„Etwa eine halbe Minute“ Etwa. Na toll.
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Beitrag: # 6831926Beitrag arkon
13.9.2010 - 8:50

(Musik)
Endlich ging es über den Gipfel. Die Schmerzen waren nun kaum noch auszuhalten. Kenny versuchte, nicht an das Ziel zu denken, nicht daran, wie viele Kilometer es noch waren oder wie groß sein Vorsprung war. Seine Versuche, noch auf die Aussicht zu achten waren so fruchtlos das er sie einstellte. Der pochende Schmerz in den Beinen, das Brennen in der Lunge. Es schien sonst nichts mehr auf dieser Welt zu geben. Und trotzdem musste er weiterfahren. Und damit nicht genug: Seine einzige Hoffnung war es, sich immer weiter immer mehr zu quälen.

Die Straße war schnurgerade, gut ausgebaut und ging leicht bergab. Und die Gruppe funktionierte. Torres, Miou und Andrlikova veranstalteten ein Teamzeitfahren. Ja, der Russe hatte den Anschluss in der Abfahrt wieder herstellen können. Vremont wechselte auch durch die Führung, doch der eher zierliche Franzose konnte den drei stämmigen, großen Männern im flachen nicht ansatzweise das Wasser reichen. Ebenso wenig Miron. Hoffte Paul zumindest.
Die Abstände wurden präziser: Jackson hatte ihnen immer noch drei Minuten voraus und war somit eigentlich schon durch. Immerhin noch zwei Minuten war Farine ihnen voraus. Auch nicht besonders gut. Pinillos war mittlerweile von Miron aufgerollt worden. Noch 20 Sekunden sagte der Teamfunk. Auf jeder langen Gerade blinzelte er angestrengt in die Ferne, ob er sie schon sehen konnte.
Ob die Zeit reichen würde, wer konnte es sagen? Auch wenn Miron kein wirklich guter Zeitfahrer war: Nach der Abfahrt, die sie gleich beenden würden, blieben noch drei Kilometer bis ins Ziel. Eigentlich konnte fast jeder auf dieser Distanz eine Dreiergruppe abwehren. Es würde eine Sekundenentscheidung werden.
Wiederum war die Straße nach Gstaad sehr gerade und gut ausgebaut. Gesegnet seien die Schweizer und ihre dicken Geldbeutel! Die Strecke stieg nun leicht an, aber wenn überhaupt dann wurden sie eher schneller anstatt langsamer. In den Gesichtern der anderen war deutlich die unerbittliche Entschlossenheit geschrieben mit der sie den Spanier wieder stellen wollten. Und nun, zwischen den Höfen, Bäumen und Hügeln hindurch, welche die Landschaft bestimmten, konnte er sie sehen: Zwei kleine, schmächtige Kletterer, dicht hintereinander geduckt.
Und sie kamen näher. Definitiv. Immer kleiner wurde der Abstand. Und gerade als Paul dachte, der Zusammenschluss stände unmittelbar bevor, wurden sie von der Häuserwand der Stadt verschluckt. Vremont wechselte in die Führung. Er war als sicherer Abfahrer und wendiger Pilot bekannt. Mit traumwandlerischer Sicherheit suchte er seinen Weg durch das enge Labyrinth der Stadt, beschleunigte aus jeder Kurve heraus. Und da, da hatten sie sie!
Am liebsten hätte er Miron auf die Schultern geklopft als er an ihm vorbeifuhr. Der Bastard! Aber genutzt hatte ihm seine Attacke nichts. Zufrieden führte er die Gruppe über die verbliebenen Meter und rollte zufrieden aus während sich noch ein lockerer Sprint bis zur Ziellinie entwickelte.
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Beitrag: # 6831927Beitrag arkon
13.9.2010 - 8:55

(Musik)
Es hatte zu Gelb gereicht! Er schrie, er tanzte, er riss die Arme in die Höhe. Er hatte Gelb gewonnen, er führte die Frankreichrundfahrt, die Tour de France, an! Alle Zweifel, alle Schuldgefühle, alles Negative, was ihn die Nacht über belastet hatte, war wie weggeblasen. Die Anspannung, die er so lange in sich getragen hatte, die so viele Streitereien im Team herauf beschworen hatte, sie brach aus ihm heraus und entlud sich. Tränen kullerten über seine Wangen. Er hatte es tatsächlich geschafft.
Wie in Trance wartete er hinter der Tribüne während er der lieb gewonnenen Musik lauschte, welche den Helden der größten Rundfahrt der Welt vorbehalten war. Erst durfte Kenny Jackson hinaus. Er klopfte ihm noch auf die Schulter, gratulierte ihm zu seinem tollen Ritt. Der Amerikaner hatte heute wirklich Großes vollbracht. Und er selbst stand ihm in nichts nach.
Wieder ertönte die Musik, die suchenden Harmonien, sehnsüchtige Akkorde, strebend nach der Auflösung, welche endlich auch kam. Unter tosendem Applaus vertönten die letzten Klänge und er trat hinaus auf das Siegerpodest.
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Beitrag: # 6831928Beitrag arkon
13.9.2010 - 8:59

(Musik)
Es war ein verdammter Scheißtag gewesen. Es hatte schon früh angefangen: Die Nacht über konnte er nicht richtig schlafen. Die Anstrengungen auf der ersten Gebirgsetappe lasteten schwer auf ihm. Seine Rippen schmerzten unglaublich. Er hatte lange wach gelegen und war dann in einen flachen Schlaf verfallen aus dem er auch noch etliche Male aufgeschreckt war.
Im Rennen war das Tempo zum Glück erst etwas gemächlich gewesen. Die ersten beiden Berge blieb er im Feld, erst dann musste er reißen lassen. Aber was dann kam raubte ihm sämtliche Nerven: Erst formierte sich kein richtiges Gruppetto, und dann fielen sie auch noch immer weiter zurück. Über den letzten, kleineren Berg wurde dann richtig Tempo gebolzt um den Anschluss nicht gänzlich zu verlieren.
Für Stefano hieß das dass er sich in der letzten Reihe der Gruppe aufhielt und verzweifelt um Luft kämpfte. Er hatte immer noch die Beine, aber er bekam einfach keine Kraft aus ihnen heraus. Auf dem letzten Flachstück wurde er dann auch noch von dem Gruppetto abgehängt. Der freundliche, mitleidige Applaus der Zuschauer ärgerte ihn mehr.
Er war der beste Sprinter der Welt. In diesem Jahr hatte er noch keinen ernsthaften Sprint verloren. Beim Giro war er der überragende Mann gewesen. Er stieg nach zwei Wochen aus, sieben Siege im Gepäck. Bei der Dauphiné entschied er alle drei Flachetappen für sich, im Vorbeigehen nahm er auch noch die italienischen Meisterschaften mit. Und nun wurde er von einem Gruppetto im flachen abgehängt, bekam einen mitleidigen Applaus der Zuschauer.
Auch die vielen Fans die ihn nach der Ankunft umringten, Unterschriften wollten und ihm zu seinem großartigen Kampf gratulierten interessierten ihn nicht. Er gab missmutig ein paar Autogramme, bahnte sich dann seinen Weg zum Teambus. Er war der letzte. Natürlich.
Die zwei Stunden Fahrt, die ihnen bevorstanden, hebten seine Laune auch nicht besonders. Sie hatten zwar einen Massagetisch an Bord, wurden bekocht, konnten Duschen, frische Kleidung anziehen und sich mit Musik entspannen. Aber nichts davon würde ihm helfen.
Er angelte sich sein Handy aus seiner Tasche. Eine Zeitlang scrollte er durch sein Telefonbuch, dann wählte er einen Eintrag aus.
„He, Vittorio. Na, wie geht’s?“
Er lauschte kurz, dann lachte er. Es ging ihm schon besser.
„He, Pass auf, wo seit ihr untergebracht?“ Wieder eine kleine Pause.
„Haha, wir auch. Wie ich höre ist die Stadt superklein. Welches Hotel?“
„Was n Zufall. Da hat die Tourorganisation wohl ausnahmsweise mal nachgedacht. Dann komm mal heute Abend vorbei. Ich brauch mal einen Abend Pause“
Es quäkte aus dem Handy.
„Du hast was? Spitzenmäßig! Dann kann die Party ja starten. Bis gleich. Oder... später.“
Pause.
„Ja, der Weg ist echt zu lang. So etwas nervt einfach kolossal. Und für Duschen, Massage, Essen und 'nen Film reicht's dann doch nicht. Später!“
Er stupste seinen Sitznachbarn an.
„He, Arrigo. Rate mal wer heute die Podiumsmädels mit auf die Zimmerparty bringt.“
Sein Grinsen war so breit wie lange nicht mehr. Und auch wenn sie heute nicht wirklich lange würden feiern können so würde es ihm doch erheblich helfen den täglichen Kampf gegen das Zeitlimit zu vergessen.
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ein_auto
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Beitrag: # 6832033Beitrag ein_auto
13.9.2010 - 23:00

Hab lange (naja, die 2 Wochen seit deinem letzten Post ;)) auf die Fortsetzung gewartet und du hast mich nicht enttäuscht! Großartig wie immer, ich hoffe, diesmal gibt es schneller neuen Lesestoff :)

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arkon
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Beitrag: # 6832853Beitrag arkon
21.9.2010 - 18:46

(Musik)

Manche Ruhetage konnte man genießen. Man fuhr ein wenig herum, freute sich über vergangenes, freute sich auf zukünftiges, gab Interviews, machte Scherze. Andere nicht ganz so sehr. Für das Peugeot-Team war es eher ersteres. Für Bernard Tchibault dagegen letzteres.
Die Rundfahrt hatte kaum richtig angefangen und er lag schon aussichtslos zurück. Der Prolog in Le Mans war schon eine Demütigung gewesen. Ganze 70 Sekunden hatte er verloren. Beschämend. Im Schwarzwald hatte er sich noch im Feld halten können, aber als in der Schweiz am Hahnenmoospass die Attacken kamen, die ersten Tests von Miou und Torres, da hatte er seine Segel streichen müssen. Auf der Passhöhe hatte er schon über eine Minute verloren. Aber es sollte noch schlimmer kommen: Ohne wirkliche Unterstützung des Teams war er im Tal auf sich allein gestellt gewesen, war weiter zurückgefallen. Am letzten, einfacheren Berg hatte ihn dann auch noch die Moral verlassen. Entkräftet, vor allem entmutigt hatte er sich ins Ziel gekämpft. Mit über fünf Minute Rückstand war er ins Ziel getrudelt. Eine Katastrophe.
Seit er 2003 den Giro gewonnen hatte träumte er von mehr. Er war ein aufstrebendes Talent gewesen, das nach einer eher mäßigen Amateurzeit und harten, erfolglosen Jahren bei den Profis mit 27 Jahren endlich auf einen grünen Zweig zu kommen schien. Neue Verträge, Werbeagenturen, Fans, Galadinners, alles schien auf einmal für ihn zu laufen. Anders als viele verlor er nie seinen Antrieb. Er trainierte weiter hart. Nicht nur seinen Erfolg wiederholen, übertreffen wollte er ihn. Er wollte die Tour gewinnen. In jenem Jahr, 2003, hätte er eine Chance gehabt. Seine Form war überragend gewesen, und Torres nicht so stark. Und schon in der nächsten Saison, 2004, war er dicht dran. Bei einer Tour der Kletterer, die von irren Soli, schwachen Teams und starken Fahrern bestimmt wurde, errang er den zweiten Platz. Nur Fredo Perinuci war besser als er. Und Torres, der Sieger der letzten beiden Ausgaben, lag abgeschlagen auf dem siebten Platz.
Seitdem platzierte er sich Jahr für Jahr unter den besten Zehn der Rundfahrt, aber über einen sechsten Platz ging es nie hinaus. Er hatte anderswo Erfolge gefeiert, diese und jene Etappe gewonnen, ein paar Rundfahrten. Aber nie mehr konnte er an die Form vergangener Jahr anknüpfen.
Es störte ungemein. Was waren Siege gut? Würde er später auf sie zurückblicken und zu sich selbst sagen „Schön, diese Rennen hast du gewonnen. Du warst ein toller Hecht“? Für viele Fahrer war so eine Aussicht sicher reizvoll. Er aber wollte keine Rennen gewinnen, er wollte Kämpfe gewinnen. Und der größte Kampf, den führte er nun einmal um den Toursieg. Und das schon seit etlichen Jahren. Er wollte zurückblicken auf seine Karriere und sagen können „Diese Herausforderung, vor der bist du nicht weggelaufen. Du hast dich gestellt und gekämpft. Wie ein Mann.“. Auch wenn er nie die Tour gewinnen würde, er wollte es Jahr für Jahr wieder versuchen.
Das Alter jedoch machte auch vor ihm nicht halt. Und so hatte er eingesehen das dieses Jahr seine letzte Chance war. Er war 33 Jahre alt, sein Körper baute schon jetzt ab. Und als reiner Kletterer brauchte er nicht nur eine sensationelle Form, er brauchte auch eine Menge Glück um auf den Gesamtsieg spekulieren zu können. Und so hatte er sich noch ein mal motivieren können alles zu geben. Er hatte früh mit dem Training angefangen, seinen Kalender speziell auf die Tour ausgerichtet. Er hatte eine Diät gemacht, Zeitfahrtraining im Windkanal, Ausdauertraining in den Anden, Motivationstraining in Schweden. Er hatte alles versucht um sich perfekt vorzubereiten.
Und es hatte nicht gereicht. Er lag nun schon über fünf Minuten zurück. Fünf verdammte Minuten. Er hatte keine Chance.
Im Bus hatte er sich den Tränen nahe gefühlt. Es war das Ende eines Traumes. Egal, wie nah oder fern er auch der Verwirklichung gewesen sein mochte, es tat weh. Lustigerweise fiel er im Peugeot-Team damit so gut wie gar nicht auf. Die Stimmung war äußerst verhalten. Laurent Farine war über die letzten Tage, die letzten Monate zum Außenseiter mutiert. Seine Triumphe gestern und heute berührten das Team auf eine seltsame Art und Weise, um so mehr als das er beide Male einen Teamkameraden angegriffen hatte.
Tchibault wollte sich ereifern, konnte aber nichts in sich finden. Keine Wut, keine Abscheu, kein Begeisterung, nichts. Es war ihm egal. Ein junges Talent welches um seine Chance kämpfte. Für ihn war es, wenn überhaupt, dann positiv: Sein Einbruch heute war eher nebensächlich ein Thema.
So hatte er eine ruhige Fahrt in das Hotel. Und ein ruhiges Abendessen. Während der Massage redete er ohnehin nicht viel. Und so konnte er schließlich auf sein Zimmer ohne viel geredet zu haben. Doch da endete seine Strähne. Luc Allou war sein Zimmergenosse. Und Luc Allou würde mit ihm reden.
Für den Moment nickte er ihm nur zu. Bernard suchte frische Unterwäsche aus seinem Koffer und verschwand unter die Dusche. Die Augen geschlossen, nur sein Atem und das Wasser. Eine Befreiung. Er wusch sich die Haare, trocknete sich ab, rieb sein Gesicht mit einem Peeling ab... Als er aus dem Bad stieg fühlte er sich bedeutend besser. Mit einem tiefen Seufzer fiel er auf sein Bett. Der Fernseher am Fußende lief.
„Die Kommentatoren kriegen sich gar nicht mehr ein. Erst Jacksons Solo, dann Farine, der verrückte Hund und zum Schluss noch ein Showdown der Kapitäne.“
Ein Grunzen war alles, was er als Antwort bekam. Luc schaltete den Fernseher ab und drehte sich herum.
„Bei dir war's ja auch 'n Spitzensolo“
„Wie ein Moped – Ohne Sprit“
„Hast du nicht mal kurz an 'ner Tanke gehalten?“
„Kein Geld dabei“
Wieder war es ruhig. Luc sammelte sich kurz, fragte dann
„Hattest du noch Hoffnung? Also vor heute“
Diesmal dauerte es einige Zeit bis die Antwort kam.
„Immer. Ich hatte immer Hoffnung. Du kennst das doch auch: Du willst irgendwas, und kannst es nicht haben. Was passiert? Du willst es nur noch mehr.“ Er lachte trocken „Ich hab aufgehört darüber nachzudenken ob ich wirklich Chancen habe.“
Luc sah seinen Freund an und nickte. Er kannte ihn noch nicht besonders lang, aber sie waren zusammen gewachsen. Die letzte zwei Jahre waren sie immer zusammen auf einem Zimmer gewesen. Sie schätzten sich gegenseitig sehr. Sie hatten Respekt voreinander. Immer, wenn sie zusammen an einem Rennen teilnahmen, war ihre Mitte auch die Mitte des Teams. Allou war beliebt, Tchibault respektiert. Beide waren intelligent, aber auch voller Feuer.
„Und morgen, machst du den Virenque?“
Ein verständnisloser Blick war seine Antwort.
„Na, Franzose, Kletterer, immer unter den Besten, aber nie ganz vorne bei der Tour, verlagert seinen Fokus vom Klassement aufs Bergtrikot.“
Diesmal war sein Lachen nicht ganz so trocken.
„Warum nicht?“
Warum nicht?
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Beitrag: # 6833212Beitrag arkon
28.9.2010 - 15:58

Alpe d'Huez-Etappe, Tour de France 2009, Frankreich

Bild

(Musik)

Die kurze Fahrt vom Hotel hinüber zum Start wurde im Bus bewältigt. Keiner hatte Lust, sich gegen die verrückten Fans durchsetzen zu müssen. Torres saß hochkonzentriert auf seinem Sessel. Er wusste, heute war eine wichtige Etappe, und heute hatte er gute Beine. Er kannte seinen Körper lange genug um solche Tage schon weit vor dem ersten gefahrenen Meter erkennen zu können. Eine wichtige Eigenschaft.
Bei der Teambesprechung hatte er schon dafür gesorgt das mindestens einer seiner Helfer versuchen würde, in einer Gruppe dabei zu sein. Wenn das Rennen schon am Glandon explodieren würde, dann wollte er nicht plötzlich alleine sein.
Aus seiner rechten Trikottasche zog er einen kleinen, handbeschriebenen Zettel. Er enthielt die Zeiten einiger wichtiger Fahrer. Torres wusste, das erst heute Abend das Klassement wirklich Form annehmen würde. Bis dahin würde er die folgenden Jungs im Auge behalten:

Farine 00:00
Jackson 00:17
Andrlikova 01:22
Miou 01:29
Torres 01:39
Vremont 02:26
Miron 03:35
Tchibault 05:23


Nach kurzem Überlegen angelte er sich einen Stift und strich Tchibaults Name durch. Sein Rückstand war einfach schon zu groß.


Die Etappe verlief vom Start weg sehr nervös. Die kurze Länge sorgte für ein sorgloses Attackieren vieler Fahrer. Das kurze Flachstück hin zum Madeleine wurde fast komplett im Sprint zurück gelegt. Viele Teams waren lange nicht zufrieden mit den ausgerissenen Fahrern. Doch schließlich bildete sich eine große, gut besetzte Gruppe heraus, die gemeinsam den ersten Riesen des Tages in Angriff nahmen. Mit unter den 15-Mann waren Ralf Meuser, Douglas Gordon, Marc Meunier, Lucas Crjoyce und Bernard Tchibault.
Trotz der eigentlichen relativ starken Zusammensetzung schlief das Tempo im Feld auf dem Madeleine völlig ein, so dass am Gipfel der Abstand auf stolze 11 Minuten angewachsen war. Tchibault sicherte sich die Bergwertung, und hinab ging es in die Abfahrt.
Der Aufstieg zum Glandon veränderte das Bild in der Spitzengruppe deutlich: Eine ganze Reihe an Teams drängte nach vorne, jeder wollte das Tempo machen. Angriffe blieben noch aus, aber das Chaos war auch so schon beeindruckend. Zahlreiche Fahrer rechneten sich für heute etwas aus, oder wollten auch nur einen Teamkameraden unterstützen, oder schlicht und ergreifend auf einer der bedeutendsten Etappen dieser Tour sich vorne zeigen. Das Gedrängel war beachtlich. Und trotz des hohen Tempos fuhr das Feld dicht gedrängt nebeneinander her.

Für Miron war diese Etappe eine ganz entscheidende. Nach dem unterirdischen Prolog musste er in den Bergen eine Menge Zeit gut machen. Gestern hatte er es versucht, doch war gescheitert. Und bald stand schon das nächste Zeitfahren an, in dem er sicherlich wieder Zeit verlieren würde. Für ihn hieß es heute oder nie.
Nach einem kurzen Gespräch über seine Funkgerät mit den Betreuern schickten sie Fredo Perinuci nach vorne. Als ehemaliger Toursieger war er immer noch potentiell gefährlich genug um sich Sonderbewachung zu verdienen. Sein Angriff wurde augenblicklich von den Tempomachern markiert. Aus dem hohen Tempo des Feldes wurde ein wahnwitziges.
Es war ein Sprint bergauf. Und die gesamte Gruppe versuchte, den Anschluss zu halten. Miron musste selbst kurz schlucken. Bei der Tour an einem solchen Berg war es nie einfach. Und jetzt erst recht nicht. Aber er wusste um seine Stärke. Links und rechts neben sich konnte er die Fahrer nach Luft schnappen hören. Die Selektion hatte begonnen.
Perinuci wurde bald eingeholt. Er schaute sich um. Immer noch waren viel zu viele Fahrer in der Gruppe. Aus seiner Erfahrung wusste er, das der Glandon kurz unter der Hälfte der Distanz eine kurze Abfahrt besaß. Das bedeutete eine kleine Erholungspause. Wenn er eine ernsthafte Selektion wollte so musste sie noch vor dieser Stelle stattfinden.
Und so gab es nur eine Option für ihn. Kaum war Fredo neben ihm aufgetaucht da stand er selber an und sprintete nach vorne. Hochschalten, aufstehen, das Fahrrad langsam auf Touren bringen, dann der Moment als der Gang funktionierte und er immer schneller wurde. Das Pochen in seinen Beinen wurde zu einem Brennen, dann zu einem beißenden Schmerz. Ein Angriff.
Hinter ihm war die Gruppe explodiert. Jeder kämpfte nur noch für sich, bergauf, so schnell es ging. An der Spitze eine Handvoll Fahrer, die ernsthaft die Lücke schließen konnten. Darauf hatte er gehofft. Miron schaltete herunter, versuchte, seinen Kreislauf wieder ein wenig zu beruhigen und klinkte sich dann in die neu formierte Gruppe ein.[/url]
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Beitrag: # 6833216Beitrag arkon
28.9.2010 - 16:14

(Musik)

Torres schaute sich um. Wer war noch dabei? Miou radelte vor ihm, immer noch flüssig und mit weit aufgerichtetem Oberkörper. Direkt hinter ihm Andrlikova. Seine rahmenlose, voll verspiegelte Sonnenbrille schien die Frage nach seiner Verfassung direkt zurück zu werfen.
Er scheerte ein wenig aus der Reihe aus um einen besseren Überblick zu erhalten.
Farine mit seinem extrem kleinen Gang, ein kleines Lächeln um die Lippen. Er hatte Paul Vremont hinter sich. Paul sah aus, als ob er am liebsten gleich noch einen Angriff hinterher gesetzt hätte. Unruhige, kleine Pendelbewegungen, häufiges Aufstehen aus dem Sattel. Dahinter, von Absa, war das Kirabo Bosede? Der Afrikaner war als guter Kletterer bekannt, aber diese Gruppe definierte eigentlich die Weltspitze. Eine Überraschung. Kenny Jackson in seinem Bergtrikot fuhr am Ende der kleinen Reihe.
Sein eigener Helfer, Quinziato, kämpfte sich ein Stück weit hinter der Gruppe den Hang empor. Wenn es ruhig blieb hätte er also bald wieder Verstärkung. Aber auch Lavazza- und Peugeot-Fahrer konnte er erkennen, unter anderem.

Lange blieb die Gruppe nicht ruhig. Mit jedem Fahrer, der hinzu stieß, wurde das Tempo ein wenig höher. Vor allem Peugeot war mit Kuhn und Marbea bald wieder zahlenmäßig stark vertreten, zierte sich aber zugunsten von Tchibault, der ja immer noch in der Spitzengruppe war, vor der Arbeit. Emirates und Lavazza bemühten sich daraufhin um eine gleichmäßige Geschwindigkeit. Jackson und Andrlikova waren immer noch isoliert, eine interessante Situation. Auf der anderen Seite waren auf dieses Weise die reinen Bergfahrer nicht mehr ganz so angriffslustig.
Aus den elf Minuten Vorsprung waren sieben geworden. Genug, um für den Etappensieg in Reichweite zu sein, zu wenig für die Bergwertung auf dem Glandon. Zur Spitze hin wurde die Gruppe wieder etwas kleiner. Vorne sicherte sich Tchibault den zweiten Bergsprint des Tages, dahinter sprintete Jackson um den Trostpreis. Seine gute Gesamtplatzierung könnte ihn tatsächlich die Bergwertung kosten.
Auf der Abfahrt wurde die Favoritengruppe wieder größer, während Tchibault sich von seinen letzten Begleitern verabschiedete. Er war schon immer ein guter Abfahrer gewesen und konnte schnell eine Minute Vorsprung aufbauen. Mit immer noch sieben Minuten auf die großen Namen hatte er immer noch Chancen auf den Sieg in Alpe d’Huez, was ihn auf einen Schlag mit dieser Tour versöhnt hätte.
Die wieder vergrößerte Gruppe um Farine, Miou und Torres profitierte deutlich von der Reihe an Helfern, welche sich zurück gekämpft hatten. Die Straße schlängelte sich durch das Tal und erreichte dann einen Stausee. Kurz darauf gesellte sie sich neben ein Fluss. Etwa 13 Kilometer flaches Zeitfahren.

Tchibault bereute ein wenig, sich so leichtfertig nach vorne verabschiedet zu haben. Aber nun war es zu spät. Er versuchte ein Tempo zu finden, welches ihn nicht zu sehr auslaugte, aber seinen Vorsprung zumindest ein wenig schonen würde. Schwierig.
Alle eventuellen Motivationsprobleme verschwanden, als er einer der wohl berühmtesten Kurven der Radsportgeschichte erreichte. Banner links und rechts verkündeten die nahende Bergwertung. Nahend. Er schnaubte verächtlich. Und schaltete ein paar Gänge hinunter. Locker trat er in die erste Rampe hinein, das Tempo fast schlagartig reduziert von über 40 km/h auf gefühlten Stillstand. Er würde sich die Zeit nehmen sich langsam an den Berg zu gewöhnen. So viel Zeit hatte er.
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Beitrag: # 6833217Beitrag arkon
28.9.2010 - 16:17

(Musik)

Quinziato führte die Gruppe heran. Das Knistern war spürbar. Bald würde es losgehen. Torres fühlte sich fast an den Start in ein Zeitfahren hinein erinnert. Erwartungsgemäß hatte es nicht die entscheidenden Angriffe am Madeleine und am Glandon gegeben. Ein Antesten, ein Vorgeplänkel. Aber erst jetzt galte es.
Aus seinen Trainingsausflügen hierher kannte er die Anfahrt genau. Er zog nochmal die Flasche aus der Halterung, trank ein wenig, schaltete ein wenig herum, die Kette im Blick. Funktionierte alles? War alles perfekt vorbereitet?
Da hinten kam das große Haus rechts der ersten Kurve in Sicht. Sein Herz schlug schneller. Seine Hände kribbelten. Es war so weit.
Manuel Quinziato nahm die Kurve weit von außen, ohne zu Bremsen und dann standen sie im Berg. Genau diesen Übergang war er einige Male gefahren. Hier durfte er keine Zeit damit verlieren einen Gang zu suchen. Er schaltete und alles passte. Die ersten Meter fühlten sich ein wenig komisch an, aber er hatte auch dieses Gefühl kennen und deuten gelernt. Kurz darauf war alles wieder in Ordnung. So wie in jeder seiner Trainingsfahrten.
Da kam die erste Attacke! Früh ging es hier los. Emanuel Miron versuchte sein Glück. Sicher noch kein ernsthafter Angriff. Aber trotzdem musste er reagieren. Manuel versuchte, die Kadenz zu erhöhen, Raum gut zu machen. Es klappte nicht so recht.
Torres ging selbst aus dem Sattel, zog an seinem Teamkollegen vorbei, beschleunigte weiter. Dann erst setzte er sich hin und suchte wieder sein Tempo. Ohne größere Schwierigkeiten erreichte er Emanuel. Das war einfach. Er zog an ihm vorbei und nahm ein wenig die Geschwindigkeit heraus. Der Berg war noch lang, kein Grund, sich schon hier unten zu zerstören.
Ein Blick zurück zeigte ihm das erwartete Bild: Mehr oder weniger die gleichen Fahrer, die auch schon am Glandon den ersten Angriff von Miron hatten kontern können waren hier. Viele der anderen Helfer hatten aufgesteckt und würden den Weg ins Ziel genießen. Er hatte diesen Luxus nicht.
Die Zuschauermaßen waren schon hier unten unglaublich. Ein Teil in ihm schrie vor Angst. Warum fuhr er so schnell auf diese Wand aus verrückten zu? Er würde mit ihnen kollidieren, sie würden ihm vom Rad stoßen, jemand würde ausrutschen. Aber ein noch viel größerer Teil von ihm lächelte überlegen. Hatte er eine Wahl?
Die erste Kehre. Nummer 21. Für einen Moment grämte es ihn das er heute nicht seinen Namen auf einer dieser Tafeln lesen würde. Aber nur für einen Moment.
Quinziato kämpfte sich zurück, übernahm kurz die Führung. Aber schon kurz darauf ging die nächste Attacke. Kirabo Bosede. Torres war überrascht. Ein bärenstarkes Rennen. Mittlerweile hatte er auch über Funk gelernt, das Bosede Ghanaer war.
Torres konnte die Lücke wieder schließen. Aber zusehends brannten seine Beine. Er blickte sich um. Die Gruppe war alles andere als in schön aufgereiht. Zeit, zu sehen, wer heute ernsthaft um den Sieg mitfahren konnte.
Er trat selber an, beschleunigte mit seinem kraftvollen, großen Tritt den Berg empor. Wer gerade schon Schwierigkeiten hatte der würde nun in ein Loch fallen. Im Zurückschauen erkannte er Bosede, Miron und Vremont, die sich an sein Hinterrad klammerten. Wo war Miou? Er sah das Loch. Adrien Miou musste kämpfen. Nun galt es!
Er musste sich ein wenig bremsen um nicht das Tempo zu stark zu erhöhen. Es war immer noch ein weiter Weg bis zum Gipfel. Er suchte wieder seinen Rhythmus, konsultierte seinen Tachometer. Erst jetzt fiel ihm auf, das auch Jackson und Farine, die beiden Spitzenreiter, nicht mehr bei ihm waren. Ruhig Blut bewahren, Kadenz halten.
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Beitrag: # 6833218Beitrag arkon
28.9.2010 - 16:21

(Musik)

Farine und Jackson waren fast zeitgleich nicht mehr imstande gewesen, dem Tempo zu folgen. Es bildete sich eine Zweckgemeinschaft. Adrien Miou, der ihnen beiden zunächst vorraus gewesen war, wurde bald eingeholt. Für beide ging es hier nur um Schadensbegrenzung. Und Miou fürchtete sich auch mehr vor den Entflohenen als vor diesen beiden. Die resultierende Gruppe fuhr sehr harmonisch und konnte den Rückstand bei etwa 20 Sekunden konstant halten.

Für Tchibault hatte der Berg schlecht angefangen, und ging nun noch schlechter weiter. Die ersten Minuten hatte er vergeblich nach einem flüssigen Tritt gesucht. Immer, wenn er glaubte, einen guten Gang gefunden zu haben, wurde die Straße wieder ein wenig flacher oder steiler, und er musste wieder suchen.
Er ging oft aus dem Sattel. Die Brille hatte er ebenso wie seinen Helm am Auto abgegeben. Kein unnötiges Gewicht. Das Toben, das Brüllen der Zuschauer, es war ein tolles Gefühl hier alleine hoch zu fahren. Aber der Berg war nicht sein Freund.
Am Fuß der Steigung hatte er immer noch fünf Minuten Vorsprung gehabt. Aber nun, nach gut der Hälfte, waren nur noch zwei übrig. Es würde kaum reichen. Ohne ein Wunder wenigstens.
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Beitrag: # 6833220Beitrag arkon
28.9.2010 - 16:26

(Musik)

Die Spielchen begannen. Seine Begleiter spürten, dass der Sieger aus dieser Gruppe kommen würde. Hatten sie ihn weiter unten noch geholfen, das Tempo zu machen, so lauerten sie nun. Vremont, der sich bisher wegen seines Teamkollegens im Gelben Trikot zurück gehalten hatte, war der erste, der es versuchte. Torres zeigte keine Reaktion. Stur fuhr er sein Tempo. Dadurch mussten die anderen beiden erst einen Schlenker um ihn herum fahren. Die Lücke war aufgerissen.
Die nächste Serpentine, und er war wieder dran. Noch fehlte ihnen der Wille den Spanier richtig anzugreifen. Aber zumindest Vremont musste riechen, das er hier Zeit gut machen könnte, die er im Kampf um den Toursieg benötigte.
Die Bäume wurden dünner. Ebenso die Luft. Und Torres spürte nun die ganze Gewalt der heutigen Etappe. Hatte er eben noch die Reserven gehabt, bei einer Tempoverschärfung zu reagieren, so fühlte er jetzt, das seine Beine am Limit waren. Oder zumindest nahe dran. Gierig zog er Luft in seine Lunge, mehr und mehr. Der Schweiß, der jetzt in Strömen an ihm herab rann, in seine Augen, seine Ohren, seine Nase, er konnte ihn nicht mehr abwischen. Verzweifelt bemühte er sich, seinen Blick nicht zu verändern. Besonders Vremont musste einfach angreifen, wenn er spürte, das Torres am Anschlag war.
Wie lange würde er den Moment noch hinauszögern können? Zwei Minuten? Fünf Minuten? Aus seinen leeren Beinen presste er noch ein wenig mehr Tempo heraus. Er wollte sie wenigstens auch leiden sehen.

Miou bekam Angst. Eine Minute war jetzt sein Rückstand auf Torres, Tendenz immer noch steigend. Würde das heute schon die entscheidende Etappe werden? Wenn er einmal Rückstand hatte, dann musste er agieren. Und das würde schwer werden.
Er blickte sich um nach Jackson und Farine. Der Franzose schien heute wirklich zu leiden. Der Schmerz schien in sein Gesicht gemeißelt zu sein. Aber Jackson. Vielleicht konnte er ihm noch ein wenig helfen? Fast flehendlich bedeutete er ihm, in die Führung zu gehen. Und er wurde erhört.

Es war vorbei.
Seine Blicke zurück waren zuletzt immer häufiger geworden, immer ängstlicher. Und nun, nun sah er sie. Der große Spanier Torres an der Spitze, in seiner langsamen, kraftvollen Art. Am liebsten wäre er stehen geblieben und hätte gewartet, bis die Gruppe vorbei war. Überholt zu werden war schlimm, aber das Warten davor war noch schlimmer.
Endlich passierten sie ihn. Zwischen den Menschenmassen gab es kaum Platz zum vorbei fahren und so konnte er einen guten Blick auf die Fahrer werfen. Als Torres vorbei fuhr spürte er deutlich, wie groß die Schmerzen sein mussten, die der Spanier erlitt und erduldete. Aber er war am Limit. Er tastete nach seinem Sprechfunk.

Vremont griff an. Ohne große Spielereien, ohne große Beschleunigung. Er fuhr einfach schneller, ging an ihm vorbei und verschwand dann langsam aber sicher in der Masse der Zuschauer. Bosede und Miron klammerten sich an das Hinterrad des Peugeout-Fahrers.
Für einen Moment versuchte er, sein Tempo weiter durch zu stehen. Dann machte er seinen Beinen wenigstens ein kleines Zugeständnis.
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Beitrag: # 6833222Beitrag arkon
28.9.2010 - 16:33

(Musik)

Die neu formierte Spitzengruppe baute schnell einen Vorsprung auf Torres auf. Aber der Angriff war zu spät erfolgt. Das Ziel kam schnell näher. Vremont fuhr weiterhin von vorne, auf jede Sekunde bedacht. Bosede setzte noch einen Angriff, konnte aber keine Lücke öffnen.
Der Teufelslappen. Bald war es geschafft. Die Schmerzen würden endlich aufhören. Paul dachte daran, wieviel Zeit er opfern würde, hier zu gewinnen. Er fuhr eine Schlangenlinie, versuchte, aus der Führung zu gehen. Vergeblich. Er würde es von vorne versuchen müssen.
Das Ziel rückte näher. Er erkannte die letzte, scharfe Kurve wieder. Eigentlich war es ein wenig zu früh, aber er hatte keine andere Wahl. Jeden Zentimeter der Straße ausnutzend warf er sich hinein, streifte um ein Haar die Bande, beschleunigte dann im stehen hinaus und sprintete auf den Zielstrich zu. Kein Umblicken, kein Taktieren mehr. Es war seine einzige Chance.
Bosede kam schon an der Kurve kaum mehr hinterher, musste eine Lücke lassen. Doch Miron war immer noch am Hinterrad. Er wartete, sah den Zielstrich näher kommen. Wann sollte er gehen? Er sprintete selten. War es noch zu früh?
Er riskierte es, ging aus dem Windschatten von Vremont heraus und versuchte alles, was er noch hatte, in die Waagschale zu werfen. Vremont war schon weit weg, verdammt weit. Und der Zielstrich kam immer näher. Er musste schneller fahren. Er musste einfach. Links, rechts, links, rechts. Er warf das Rad unter sich her. Endlich kam Vremont näher. Reicht es? Würde es reichen?
Es reichte! Er war Sieger. Wie zwei Sprinter rissen sie ihre Räder noch nach vorne, aber Vremont hatte verloren. Für einen Moment hatte Miron alles vergessen. Das gelbe Trikot, seinen Rückstand, die harten Berge heute, den brutalen Ritt hier hinauf, die dünne Luft, die schmerzenden Beine. Er riss die Faust, küsste sie, strecke sie wieder nach oben. Er hatte gewonnen. In Alpe d’Huez!

Der fieseste Teil des Anstiegs waren nicht die Rampen ganz unten, nicht das erreichen der Baumgrenze, nicht der scheinbar endlos Ferne Zielstrich beim Blick nach oben. Der fieseste Teil war das Flachstück ganz oben. Wenn schon alles geschafft schien dann musste man sich noch einmal bis zu seiner Grenze quälen. Und auch wenn, nach der scheinbar ewigen Kletterei, die Fahrt leicht schien, so konnte man genau hier doch noch wertvolle Zeit einbüßen, die man sich eben noch mit so viel Schweiß erkämpft hatte.
Hernan Torres kannte diese Stelle, kannte dieses Flachstück. Und er hatte darauf gewartet, sich ein kleines bisschen Kraft aufgespart. Und während es hier sicherlich die meisten Fahrer etwas ruhiger angehen ließen so ging er hier aus dem Sattel und ging nocheinmal über seine Grenzen hinaus.
Er schoss um die letzte Kurve, nur um gerade die Autos der Jury über die Ziellinie fahren zu sehen. Die Uhr tickte. Er trat die Pedale schneller und schneller, ignorierte das Brennen in seiner Lunge. Sein Körper schrie nach Luft. Sauerstoffschuld. Und dann war er im Ziel. Die Uhr zeigte 32 Sekunden an, die er nach den Führenden im Ziel gewesen war.
Trotz seiner Erschöpfung drehte er sich um und blickte gespannt auf die Zielgerade herab. Wo kamen die anderen? Farine, Jackson, Miou? Würde er Gelb schon heute bekommen? Er musste nicht lange warten. Ihm kam es wie ein Wimpernschlag vor, da erschien auch schon die nächste Gruppe.
Miou, Farine und Jackson konnte er sehen. Seine momentan ärgsten Konkurrenten. Die Uhr tickte, zu langsam. Die großen, gelben Lettern zeigten 1:38, als die Gruppe den Zielstrich überquerte. Das gab ihm rund eine halbe Minute Rückstand auf die Spitze, und etwa eine Minute auf Miou. Nicht viel, aber ein guter Start.
Andrlikova, den man auch nicht aus den Augen verlieren sollte, kam mit etwas über zwei Minuten ins Ziel. Mehr Vorsprung, aber auch noch nicht beruhigend. Das Zeitfahren würde klare Verhältnisse schaffen.

Farine 00:00
Jackson 00:17
Torres 00:33
Vremont 00:48
Miou 01:29
Andrlikova 01:48
Bosede 01:56
Miron 01:57
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Beitrag: # 6834537Beitrag arkon
9.10.2010 - 17:11

Die nächsten Tage brachten Entspannung in das Peloton hinein. Die Medien hatten ihr Spektakel in den Alpen bekommen, der Showdown in den Pyrenäen würde folgen. Bis zu dem ersten, langen Zeitfahren wurde es ein wenig ruhiger.
Die zweite Flachetappe hatte sie nach Montpellier geführt. Das Wetter war nun mörderisch heiß. Für das Zeitfahren waren jedoch Schauer angekündigt. Hernan schüttelte es. Er hatte nichts gegen Hitze, auch in Kälte kam er klar, aber die Vorstellung an der Küste entlang zu fahren während starke Winde schwere Regenwolken ins Landesinnere trieb behagte ihm nicht so wirklich.
Ein paar Interviews musste er heute schon geben. Gelangweilt, einsilbig und wenig begeistert meisterte er auch diese Hürde. Er nickte den Pressevertretern zu und schob sein Rad weiter. Glücklicherweise trug er momentan noch kein Trikot. Dieser Umstand gab ihm viel Zeit nach dem Etappenende.
Ein Betreuer lief auf ihn zu, drückte ihm eine Trinkflasche in die Hand. Flüssigkeit war in der Tat sehr wichtig heute.
„Interview gemeistert?“
Torres rollte mit den Augen.
„Blutsauger“
Weiter ging es, zwischen Containern und Wohnwagen hindurch, über Kabelstränge. Eine kleine Gruppe Mädchen bog um die Ecke, entdeckte ihn, kreischte und umringte ihn.
„Hernan!“, „Hernan!“, „Hernan!“
Bilder wurden ihm entgegengestreckt, Stifte in die Hand gedrückt, Fotokameras blitzten.
Hernan musste grinsen. Er genoss solche Momente immer. Er war 33, also gut 10-15 Jahre älter als die Mädchen. Aber wenn das hier nicht die Tour gewesen wäre hätte er mit Sicherheit versucht, eine mit auf sein Hotelzimmer zu nehmen. Auch so wurde seine Laune schnell besser. Er unterschrieb die Fotos, er machte Witzchen, er posierte für Fotos.
Als er ein paar Minuten später mit seinem Betreuer weiter Richtung Teambus marschierte war er schon in einer ganz anderen Stimmung. Mika Fredriksen, der Klassikerspezialist des Teams, stand davor, über sein Rad gebeugt und vertieft in ein Gespräch mit einem Mechaniker.
„Hernan! Ein Autogramm bitte!“ Ein weiterer Fan, ein junger Mann, stellte sich in seinen Weg, Foto und Stift wie Schwert und Schild erhoben. Torres winkte herüber zu Fredriksen, schob den Fan beiseite. Gleich war er im Bus, gleich hatte er diesen Wahnsinn hier hinter sich gebracht. Der Mann gab nicht auf.
„He, Torres, nur ein Autogramm!“ Stirnrunzelnd drehte er sich um. „Nein.“
Doch noch immer gab er nicht auf, rannte weiter neben ihm her, stolperte über ein Kabelbündel, fing sich gerade noch und prallte dabei gegen Torres. Der Schlag kam unerwartet und heftig. Der Mann schrie auf, mehr aus Überraschung denn aus Schmerz.
„Lass mich in Ruhe“ setzte der Spanier noch nach, als er schon fast neben Fredriksen stand. Er nickte dem Dänen zu und kletterte dann in den Bus hinein. Diese verrückten Fans. Beim Hinsetzen war er plötzlich wieder da, der Schmerz. Seit über einer Woche nun war er beinahe Beschwerdefrei, hatte zuletzt kaum mehr an seinen Sturz auf der ersten Etappe gedacht. Das war nun vorbei.
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arkon
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Beitrag: # 6849842Beitrag arkon
15.4.2011 - 16:01

ich bin beim ausmisten auf der platte grad über noch ein paar posts zu diesem projekt gestossen. auch wenn ich die geschichte wohl nicht mehr fortführen werde so will ich euch das bisschen fortsetzung, was ich noch in petto habe, nicht vorenthalten.

bon appetit!


Das Wetter in den Alpen war von Hitze bestimmt gewesen. Keine alles vernichtende Hitze, keine drückende, schwüle Hitze, aber trotzdem Hitze. Auf dem Weg hinaus aus dem Gebirge, auf dem kurzen Intermezzo hinüber zu den Pyrenäen jedoch war die Hitze übermächtig geworden. Die Radfahrer, eigentlich leidensfähige Männer, hatten zu stöhnen begonnen. Abends in den Mannschaftshotels wurde der Wetterbericht zum bestimmenden Thema. Wann würde der Regen endlich kommen?
Der Regen kam. Pünktlich wie vorhergesagt drehte der Wind und mit ihm das Wetter. Am Abend vor dem Zeitfahren noch waren viele Angestellte der Teams in Straßencafés beieinander gesessen, hatten Wein und Käse und das Leben genossen. Schon in der Nacht rüttelte sie jedoch der Wind wach, der kraftvoll an die Fensterläden stieß. Und bald kam der Regen hinzu.
Es wurde an diesem Tag nie richtig hell. Dicke, schwarze Wolken hingen tief über der Region, der Regen peitschte durch die sonst so wunderschöne Provence. Nur einige wenige Radfahrer wagten sich am Vormittag hinaus um die Strecke zu erkunden. Die meisten Favoriten erledigten diesen Teil im Schutze eines Autos. Und sogar in den Autos erkannten sie bald das Problem: Wind.
Es war nicht nur ein Wind, der einen auskühlte. Nicht nur Wind, der mal von vorne, mal von hinten kam. Es war ein halber Sturm, der die Büsche beugte und in der Nacht sogar einige Äste von Bäumen abgebrochen hatte. Ein großer Teil der Strecke führte entlang der Küste. Besser gesagt: Entlang eines Damm zwischen Meer und einigen Seen. Der Wind war schon in der Stadt stark, aber hier draußen?
Als sich Mittags die ersten Fahrer auf den Weg machten besserte sich das Wetter ein wenig. Michail Andrlikova nutzte die Gelegenheit und fuhr noch einmal im Auto hinter einem Teamkameraden mit. Wo waren große Pfützen? Welche Kurven waren speziell bei diesem Wetter gefährlich? Er hatte sich schon akribisch auf die beiden Zeitfahren vorbereitet, aber heute wollte er wirklich gar nichts dem Zufall überlassen.
Die leichten Überzelte, unter denen sich die Fahrer normalerweise warm fuhren, taugten heute nichts. Die meisten trugen es mit Fassung, zogen sich ihre Regenkleidung schon etwas früher an und gewöhnten sich schon einmal an den Kampf der Elemente, durch den sie heute fahren mussten. Hernan Torres war anders. Er kam mit Kälte eigentlich recht gut aus, aber er fürchtete dennoch, dass ihm die wertvolle Kraft aus den Knochen gesaugt würde, wenn er sich draußen aufwärmte. Also organisierte das Team eine Autowerkstatt, in der sie zwei Rollen aufbauen konnten. Der restliche Platz wurde von einer Hebebühne und Regalen voller Werkzeug eingenommen.
Draußen wurde derweil der Wind wieder etwas stärker. Jedoch konnte der Däne Arvid Lindsen kurz vorher unter relativ guten Wetterbedingungen eine eindrucksvolle Bestzeit aufstellen. Der 27 jährige hatte noch keinen großen Sieg in seinen Palmares stehen. Im Ziel musste er auf dem „Hot-Seat“ Platz nehmen. Er war schon während des Prologs auf diesem unangenehmsten aller Stühle gesessen. Heute jedoch hatte er ein wirklich gutes Gefühl, was sein Rennen betraf. Und das machte ihn nervös. Einige Minuten nahm er sich jedoch Zeit um Adrien Miou, seinen Kapitän, anzurufen und ihm alles über die Strecke mitzuteilen an das er sich erinnern konnte. Adrien war der einzige, bei dem er sich freuen würde wenn er seine Bestzeit brechen sollte.
Bis zum Start der großen Favoriten sollte seine Zeit jedoch bestand haben. Der Erste derer, die sich noch reelle Hoffnungen auf den Gesamtsieg machen durften, war Emanuel Miron. Der Triumphator aus Alp d'Huez wusste, dass heute wohl die entscheidende Etappe für ihn gekommen war. Entweder er würde heute das Rennen seines Lebens abliefern oder es war gelaufen. Seiner persönlichen Einschätzung nach konnte er sich nur drei Minuten Rückstand erlauben. Das hörte sich vielleicht nicht nach viel an. Für einen der schlechtesten Zeitfahren im Feld auf die absolute Weltspitze in dieser Disziplin jedoch war es eine Menge. Vor allem nach über zehn harten Renntagen. Und an einem windigen Tag wie heute.
Der Start befand sich ein wenig außerhalb Bages, einer kleinen 800 Einwohner Gemeinde. Der Ort befand sich auf einem kleinen Hügel an einem See. Der Beginn der Etappe wand sich einmal halb um diesen Berg herum. Schon von oben auf der Startrampe konnte Emanuel sehen, wie die schmale Straße vom Wasser überflutet wurde. Der Regen rann einfach vom Hügel hinab, über die Straße und in den See. Es würde nicht nur wahnsinnig langsam, sondern auch wahnsinnig rutschig sein. Der ganze Schmutz und Staub wurde vom Hügel auf die Straße hinab geschwemmt. Er brauchte ein Wunder um dieses Zeitfahren zu überleben.
„Fünf, vier, drei, zwei, eins“
Er trat in die Pedale, rollte die Rampe hinab und gewann schnell an Geschwindigkeit. Schon nach einigen Metern spürte er, wie das Wasser von seinem Hinterrad empor geschleudert wurde und auf seinem Rücken niederging. Es würde ein Höllenritt werden.
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