Die Rache der Kletterer

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

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arkon
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Die Rache der Kletterer

Beitrag: # 6824934Beitrag arkon
23.7.2010 - 23:23

Mein nächster AAR. Damit ich nicht, zum dritten Mal, etwas unbeendet lasse muss habe ich mir diesmal ein eigentlich sehr klares Ziel gesetzt: Eine Tour. Aber so ein Projekt wächst und wächst mit der Zeit...
Das Universum ist das gleiche wie bei "Ein langer Weg". Trotzdem fühle ich mich mit einem eigenen Thread einfach etwas wohler. Vorgeschrieben habe ich diesmal eine Menge, aber das meiste vor einem Jahr. Damals ist meine Begeisterung etwas abgeebt. Vor ein paar Tagen habe ich mich immer stärker und stärker mit dem Gedanken getragen wieder etwas zu schreiben. Ich habe mich schon fast in einen AAR gestürzt gehabt auf einer englischen football-manager Seite, noch vor dem ersten Post die richtige Motivation wieder vermissen lassen. So ein Scheiss.
Dann bin ich wieder auf die Sattlerei gestossen. Und auch wenn der AAR-Sektor zurzeit fast komplett brach liegt so hat es mich sofort wieder gepackt. Meine anderen beiden Geschichten sind einfach immer noch mit so vielen schönen Erinnerungen für mich verbunden. Trotz der für mich immer noch unglaublich lächerlichen und eigentlich wirklich stark störenden Einschränkungen (ich hätte soooo viele ideen gehabt, die ich hier noch nicht einmal im ansatz hätte umsetzen können) hab ich mich dann durchgerungen. Und das alte Projekt wieder ausgekramt.
So, noch eine Anmerkung:
Wichtig:
Inspiriert von Richard Wagner und seinem Begriff des "Gesamtkunstwerks" habe ich mich entschieden ähnliches zu versuchen. Wie kann man die emotionale Tiefe eines AAR steigern? Musik erscheint für mich das appropiate Mittel zu sein. Daher werde ich für jeden Post ein Stück Musik heraus suchen, es auf youtube suchen und verlinken. Ihr könnt es dann im Hintergrund anhören und die Geschichte genießen.

Hilfestellung
Als kleine Hilfestellung bei der Unterscheidung der ganzen Fahrer und Teams gibt es folgendes kleines wiki:
http://einlangeswiki.wikispaces.com/

Dann bleibt mir nur noch euch viel Spaß zu wünschen!

arkon



Liste der Teams & Fahrer
Absa
Kirabo Bosede, 27, Ghana, Kletterer: Etappen bei kleineren Rundfahrten etc.
Cintra
Raul Quina, 34, Spanien, Kletterer: Baskenlandrundfahrt, 5 Etappen Vuelta
Coop
Ralf Meuser, 31, Deutschland, Rundfahrten: Sieg bei der Tour de Suisse
Emirates
Hernan Torres, 33, Spanier, Rundfahrer: 4xTdF, 4xVuelta, WCCITT
Stefano Guidi, 30, Italiener, Sprinter: zahlreiche Etappen bei praktisch jeder Rundfahrt, MSR
Manuel Quinziato, 31, Spanien, Kletterer: Vuelta 2006
Exxon
Peter Newman, 34, USA, Helfer
Marc Aaron, 27, USA, Sprinter & Ausreißer: 4 Etappensiege TdF, Siege bei Vuelta, Giro etc.
Kenny Jackson, 29, USA, Kletterer: 3. Platz Giro, Etappensiege Vuelta
Fresenius
Matthias Fröbe, 25, Deutschland, Sprinter: Etappensiege Vuelta, TdF, TdS,...
Guerciotti
Marco Risaldo, 28, Italien, Ausreißer
Rodolfo La Rosa, 28, Italien, Kletterer
Keytrade
Marc Meunier, 29, Belgien, Klassiker: Weltmeister, zahlreiche Klassiker (RvV, LBL, Lombardei, Amstel,...)
KPN
Lucas Crjoyce, 31, Tschechien, Rolleur: 2xWeltmeister, P-R, RvV, MSR,...
Lavazza
Xavier Candese, 32, Baskenland, Kletterer: einige Etappensiege
Arvid Lindsen, 27, Dänemark, Zeitfahrer
Adrien Miou, 30, Franzose, Rundfahrer: 2xTdF, Giro, WCCITT, WCC
Nicola Pozzo, 28, Italien, Kletterer: 2xTop 10 TdF, 3 Etappen bei Giro
Peroni
Claudio Pinillos, 27, Kletterer
Peugeot
Laurent Farine, 22, Franzose: nichts
Paul Vremont, 27 Franzose: 3. Platz TdF, Etappensiege bei Giro, Tour, ...
Bernard Tchibault, 33, Franzose: Giro
Miguel Marbea, 28, Spanier: nichts
Anton Kuhn, 32, Deutschland, Klassiker, Kletterer, kleine Rundfahrten: TdS, Baskenland, P-N, Amstel, D-Tour,...
Frank Chaval, 31, Frankreich, Helfer, Kletterer
Luc Allou, 29, Frankreich, Helfer, Rouleur, Puncheur, (Kletterer)
Ursa
Fredo Perinuci, 35, Italien, Kletterer, Rundfahrten: Tdf 2004, 2xGiro (2002,2005)
Emanuel Miron, 29, Spanien, Kletterer: Giro 2008
WBK
Michail Andrlikova, 28, Russland, Rundfahrten: Etappensiege TdF
Augustus Kaczmarek, 24, Polen, Sprinter
Wüsthof
Anton Rudy, 32, Deutschland, Helfer


mehr wird im Laufe der Geschichte ergänzt
Zuletzt geändert von arkon am 26.12.2011 - 17:04, insgesamt 7-mal geändert.
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arkon
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Beitrag: # 6824936Beitrag arkon
23.7.2010 - 23:25

Tourpräsentation, Herbst 2008, Paris (Musik)

Ein wenig erstarrt blickte Ron Zuiverloon auf den großen Bildschirm, auf dem das Profil der Etappe flimmerte. Sein Entsetzen war kontinuierlich angewachsen. Als er die erste, schwere Mittelgebirgsetappe gesehen hatte, da hatte er noch gelächelt. Eine taktische Herausforderung. Als dann nach und nach die drei hammerharten Alpentage zum Vorschein kamen, wuchs sein Respekt vor der Tour immer mehr. Auch die 64 Zeitfahrkilometer konnten seine Laune kaum mehr aufbessern. Es folgte eine Hatz durch die Pyrenäen, 194 km mit über 5000 Höhenmetern, zwei Berge der höchsten Kategorie, Zielankunft auf dem Pla d’Adet. Und nun, nun folgte diese... Beleidigung an alle Rennfahrer, die nicht zufällig 50 Kilo wogen und zum Spaß nachts in Sauerstoffzelten schliefen. 202 km. Der Aspin, der Tourmalet, der Ausbisque. Eine schöne Etappe, würde nicht die Fortsetzung über den Marie-Blanque folgen und das ganze mit dem Col de Labays abgeschlossen. 3 mal blinkte das rote „HC“ über einem Gipfel auf.
Zuiverloon schluckte trocken. Neben ihm saß sein Teamkapitän, Hernan Torres. Auch in seinem Gesicht konnte er deutlich lesen, was er von dieser Streckenführung hielt. Doch lehnte er sich herüber und raunte in seiner unnachahmlichen Art seinem Chef zu:
„Dann werde ich wohl ein bisschen klettern üben müssen. An der Steilwand, versteht sich.“ Ein Zwinkern folgte, und schlagartig fühlte sich Ron schon ein wenig wohler.
Seit Torres Ende letzten Jahres zu dem neuen Team Emirates gestoßen war hatte er alle in seinen Bann gezogen. Fahrer, Mechaniker, Köche, sogar die PR-Abteilung liebte seine offene Art, seine Späße und seine Zuversicht. Auch wenn es im Juli nicht zum Toursieg gereicht hatte so waren sie doch alle zuversichtlich geblieben. Das Team war, nur wenige Jahre nach der Gründung, in die absolute Weltspitze aufgestiegen. Der Abschied von Jarrot Phillips hatte zwar einige Verstimmungen nach sich gezogen, doch insgesamt, da war sich Zuiverloon sicher, war die Atmosphäre im Team gut. Besonders der Sieg bei der Vuelta hatte ihnen allen Auftrieb gegeben. Und Stefano Guidi war als Sprintkapitän eine sichere Bank.
Ein wenig besser gelaunt richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die riesige Leinwand – und wurde erneut vor den Kopf gestoßen. Erneut stattete die Tour den Mittelgebirgen einen Besuch ab, dieses Mal mit dem Col de Sandplatz, dem Col de Pandours und schließlich dem Col de la Charbonnière. 3400 Höhenmeter, immerhin. Eine kurze Abfahrt folgte vor dem Ziel in Saales. Eine letzte Chance für aggressive Kletterer ein wenig Zeit gut zu machen.
Zuiverloon merkte, wie sein Puls merklich anzog. Was würde das Abschlusszeitfahren für sie bereit halten? War es lang genug um ordentlich etwas heraus zu holen oder würde sich Torres ganz auf seine Talent am Berg verlassen müssen? Nach einer kurzen Anmoderation wechselte das Bild zu einer wunderschönen, 58 km langen Linie. Schnurgerade. Nicht einmal kleinere Wellen bot das Profil.
Eine faire Tour also. Beide Fraktionen, Kletterer wie Zeitfahrer, mussten auf feindlichem Terrain bis an das Limit gehen. Nur wer beides bis zur Perfektion miteinander zu verbinden wusste und außerdem auf ein starkes Team bauen konnte würde hier bestehen können. Torres hatte zwei der drei Eigenschaften. Das Team war zur Hälfte um ihn herum aufgebaut. Sie hatten genügend Fahrer in ihren Reihen, die auf einer 200 km langen Jagd über die Riesen der Pyrenäen Paroli bieten konnten. Im Zeitfahren war Torres zwar nicht mehr der überragende Fahrer von einst, aber mit 33 immer noch in der Weltspitze vertreten. Und wenn seine Form stimmte und er einen guten Tag erwischte konnte es schnell Minuten hageln für unvorsichtige Gegner.
„Das wird eine ziemlich Schlacht werden“ bemerkte Torres. „Und ein harter Winter“
„Ich komme gerade in Versuchung, den Kader am Berg noch etwas zu verstärken“ sagte Zuiverloon.
Zuletzt geändert von arkon am 25.7.2010 - 15:54, insgesamt 1-mal geändert.
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Al3enkiller *Ulle*
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Beitrag: # 6824947Beitrag Al3enkiller *Ulle*
24.7.2010 - 0:51

ich bin gespannt!
die musikalische umrahmung gefällt mir, ist was neues. Bin zwar kein Klassikfan, aber Rock würd wohl auch kaum passen :wink:
mal sehn wies weitergeht, der anfang ist vielversprechend. ich bohre dich mal nicht mit fragen zur umsetzung sondern warte ab^^
mfg Al3enkiller

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arkon
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Beitrag: # 6825302Beitrag arkon
25.7.2010 - 15:53

Norditalien, Winter 2008/09(Musik)


Adrien Miou liebte Italien. Schon immer, schon lange bevor er sich einem italienischen Team angeschlossen hatte, auch schon bevor er den Giro gewonnen hatte, noch bei einer französischen Equipe. Als Kind war er mit seinen Eltern öfter hierher gefahren und auch schon als Amateurfahrer hatte er hier Rennen gewonnen. Die Leidenschaft, die sowohl Fahrer als auch Zuschauer an den Tag legten, waren für den Bretonen ungewohnt. Er kannte die Radfans eher schweigsam im Kaffee zusammen sitzend und über die guten alten Zeiten konferierend.
Als er dann als mit 25 den Giro für ihn eher überraschend gewann und in Italien zum Helden aufstieg, da waren ihm seine Wurzeln urplötzlich egal. Sein Frau war ohnehin Deutsche, wodurch das Land, in dem sie leben würden, zur Diskussion stand. Als er einmal an Italien dachte war er nicht mehr von seiner Idee abzubringen. Claudia bewegte ihn dann, nach Norditalien an den Comersee zu ziehen. Nach kurzem Suchen fanden sie ein wunderschönes Haus das etwas abseits in den Hang hinein gebaut worden war. Der Besitzer war ein Industrieller aus Dänemark gewesen, der hier seine Winter zu genießen pflegte. Der Nachlassverwalter machte ihnen einen guten Preis, was immer noch eine nicht unbeachtliche Menge Geld war. Doch der gerade einsetzende sportliche Erfolg garantierte billige Kredite und so stand dem Eheglück nichts mehr im Wege.
Vor einigen Wochen war er 30 geworden. Einige Dankesbriefe standen immer noch aus. Er war etwas langsam mit diesen Dingen, ließ sich gerne etwas mehr Zeit. Außerdem hatte er die Zeit bis zu diesem Moment genießen wollen. Die Zeit bis zum vollen Trainingseinstieg. Jetzt, Mitte Dezember waren seine „Ferien“, wenn man es denn so nennen wollte, endgültig vorbei. Er hatte etwas mehr gegessen, sich nicht sklavisch an irgendeinen Plan gehalten und war einfach mit ein paar Freunden hier und da in der Gegend herum gefahren.
Morgen aber würde sein Trainer zu Besuch kommen. Und spätestens ab diesem Moment musste er wieder voll einsteigen. Und nur wenn er bis dahin gut an sich arbeitete durfte er die Weihnachtsgans unabgewogen genießen.
Viele seiner Kollegen aus dem Fahrerfeld verfluchten genau diesen Moment. Nicht für alle war das Training so präzise, so ausgefeilt. Aber für die meisten hieß es trotzdem: Vorbei mit dem Schlendrian. Aber Adrien, Adrien war anders.
Die letzten Wochen hatten eher an seinen Nerven gezerrt. Er wusste, er brauchte diese Erholungsphase für seinen Körper. Aber sein Geist hasste sie. Am liebsten wäre er schon eine Woche nach seinem letzten Rennen in der Saison wieder aufs Rad gesprungen und hätte sich 300 Kilometer durch die Alpen gequält. Oder ein kleines Kriterium hier in der Region gefahren. Oder mit einigen Freunden von früher quer durch seine Heimat gebrettert. Aber er musste seine Beine still halten.
Und wie durch ein Wunder verschwand diese Unruhe wie von selbst. Was dagegen einsetzte war die übliche Phase die er fast jeden Herbst durchmachte: Er ging allen auf die Nerven. Er wurde faul und antriebslos, saß den größten Teil des Tages auf seiner Couch herum und schaute wahllos Fernsehen. Seine Frau, mittlerweile an das Ritual gewöhnt, hatte in diesem Jahr ihre Koffer gepackt und war nach Deutschland gefahren. Ihr Chef war es gewohnt ihr viel unbezahlten Urlaub zu geben, daher fragte er auch gar nicht weiter nach. Nur zu Adriens Geburtstag tauchte sie wieder auf. Und verschwand wieder.
Nun saß Adrien auf der Veranda, genoss wohl eines seiner letzten Gläser Rotwein für die nächsten Monate und starrte hinunter auf den See. Jetzt, kurz nach Sonnenuntergang, brach die Kälte meistens schnell herein. Die Wolken waren immer noch in orange und rosige Farbtöne getaucht, was dem See einen unnatürlich schönen Charakter verlieh. Er liebte diese Aussicht.
Aus seiner Tasche zog er ein abgegriffenes Heft, ein Stapel Ausdrucke aus einem Laserjet. Es war das Profil der diesjährigen Tour. Wenn ihn etwas motivieren konnte dann war es der Gedanke an die Schmerzen, die er spüren würde. Besonders die Pyrenäen würden weh tun. Egal, ob man dort zu den Gewinnern oder Verlieren zählte, die Konfrontation mit einer ganzen Wand aus Leiden war unausweichlich. Adrien Miou war in den letzten Jahren immer eher derjenige gewesen, der andere Leiden ließ. Oder der zumindest bestimmte, wann die Party los ging. In diesem Jahr war jedoch die Liste derer, die nicht Zeitfahren konnten und trotzdem aufs Klassement fahren würden, größer als sonst. Ebenso war die Zahl der Berge beachtlich gestiegen.
Nur wenn er sich wirklich akribisch gut auf diese verdammte Kletterei vorbereitete würde er gewinnen können. Er trank sein Glas aus und steckte einen Ersatzkorken in die Weinflasche. Von nun an ging es los.
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arkon
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Beitrag: # 6825679Beitrag arkon
27.7.2010 - 14:13

Polen, Winter 2009(Musik)

Der dritte im Bunde der großen Favoriten war Michail Andrlikova. Der Russe hatte im Juli bei der Tour den sechsten Platz geholt, dabei aber ein Zeitfahren gewonnen und war auf zwei Bergetappen von einer Erkältung geschwächt gewesen. Für ihn war das keine Ausnahme. Die gesamte Karriere von Andrlikova schien vom Pech verfolgt. Einmal war er in einer Abfahrt so übel gestürzt das er sich beide Beine gebrochen hatte. Das war mit 23 gewesen. Über zwei Monate hinweg konnte er die für einen Radprofi wichtigsten Gliedmaßen nicht bewegen. Der Muskelabbau war dramatisch und hatte ihn in seiner Leistungsfähigkeit weit zurück geworfen.
Aber Michail war nie ein Mann gewesen, der schnell aufgab. Dafür war er nicht in Russland aufgewachsen. Er kam aus dem Ural aus ärmlichen Verhältnissen und musste schon in jungen Jahren im Winter Holz hacken, Besorgungen erledigen und seinem Vater bei der Arbeit als Förster helfen. Er kannte Schmerzen und Widerstand, und er konnte mit beidem umgehen.
Andrlikova hatte die Zähne zusammen gebissen und hatte mit seinem Trainer über Monate hinweg ein spezielles Muskelaufbauprogramm absolviert. Es dauerte zwei Jahre, aber er kam zurück. Und er hatte seine gesamte Beinmuskulatur speziell neu aufgebaut. Gerade als er meinte auf die Siegerstraße ein zu biegen schlug das Schicksal jedoch erneut zu: Bei einer Rauferei mit Freunden brach er sich einen Halswirbel. Die Ärzte wollten ihn am liebsten einige Woche in der Klinik behalten, doch Michail lies sich nach Hause fahren. Sein Trainer baute ihm einen Hometrainer so um das er im Bett Fahrrad fahren konnte. Er trainierte weiter während seine Verletzung ausheilte. Er verpasste den Rest der Saison, konnte aber ohne große Einschränkungen zurück kommen.
Mit 27 stürzte er dann im Treppenhaus, verrenkte sich den Knöchel und konnte erneut seine Saison nicht zu Ende fahren. Im letzten Jahr jedoch kam er endlich in Topform zur Tour. Im ersten, langen Zeitfahren nach den Pyrenäen trug er einen Sieg davon und befand sich plötzlich auf dem dritten Platz und in unmittelbarer Schlagweite der beiden Favoriten, Miou und Torres. Doch der erwartete Showdown blieb aus, schon auf der ersten Alpenetappe trudelte er mit fünf Minuten Rückstand ein. Erst nach dem Ende der Rundfahrt gestand er eine Viruserkrankung auf den entscheidenden Etappen ein.
Viele andere hätten nach so viel Pech den Kopf hängen gelassen, sich vielleicht mit einer Position in der zweiten Reihe zufrieden gegeben. Nicht aber Michail Andrlikova. Er beendete die Saison frühzeitig um sich ungestört auf die Tour im nächsten Jahr vorbereiten zu können. Fast schon trotzig wirkten seine Worte mit denen er seinen Toursieg herauf beschwor. Mit bis auf diesen einen achten Platz bei der Tour mit 27 Jahren immer noch fast weißen Palmares. Aber nur wenige der Journalisten, die anwesend waren, zweifelten an ihm. Sein Blick war hart und unerbittlich, sein Ton hatte etwas... gelangweiltes? Selbstsicheres? Michail würde das Unternehmen sicherlich nicht auf die leichte Schulter nehmen. Oder gar abblasen weil ein paar Zeitungen das für unrealistisch hielten.
Den Herbst über hatte er eine spezielle Diät gehalten, sich mit Muskel- und Kardiotraining beschäftigt. Er wollte keinen Tag ungenutzt lassen. Es waren ja nur noch knapp über 200 bis zum Start der Tour.
Und nun, nun hatte er sich hier im nördlichen Polen mit dem größten Teil seines Teams WBK getroffen. Augustus Kaczmarek hatte sie hierher eingeladen. Der junge Pole war ein heiterer Geselle und einer von Michails besten Freunden im Team. Nachdem er ihn lange genug von seiner Idee versucht hatte zu begeistern waren sie schließlich gemeinsam zur Teamleitung gegangen um ihren Plan vorzuschlagen: Eistauchen in Polen.
Es sollte eines der „Teambuilding Exercises“ werden, die in letzter Zeit so in Mode gekommen waren. Aber für die beiden Initiatoren war es mehr als das: Es war die Möglichkeit, ihren Mut unter Beweis zu stellen.
Die Gruppe watschelte über eine einsame, verschneite Einöde. Die Sonne blinzelte hier und da zwischen schweren, stahlblauen Wolken hindurch. Hin und wieder trudelten einige Schneeflocken herab. Die Temperatur war auf unter -20° C gefallen. Für diese Gegend nichts ungewöhnliches, aber für die Besucher eindeutig zu kalt. Die meisten hatte sich in dicke Jacken gewickelt. Sie hatten zwei Führer mit sich, die mit ihrem rauen Lachen für den größten Teil der Geräuschkulisse sorgten. Die Fahrer hatten alle... Angst? Respekt? Die meisten kamen zwar aus Gegenden mit ähnlichen Temperaturen im Winter, sie waren schließlich ein Ostblockteam. Aber nur die wenigsten hatte Erfahrung mit so etwas.
Schließlich waren sie da. Die meisten konnten fühlen, wie der Puls empor schnellte als sie auf die zugefrorene und schneebedeckte Oberfläche eines kleinen Sees blickten. Michail fixierte seinen Gegner und merkte, wie sein Puls sich senkte.
Die Führer fingen an, sich aus zu ziehen. Sie hatten Neoprenanzüge an, um sie gegen die Kälte zu schützen. Wer so etwas beruflich macht, der braucht den Nervenkitzel nicht mehr. Einer von ihnen begann, die Eisoberfläche mit einem Pickel zu zerhacken während der andere ein Gurtsystem anlegte und ein Seil an sich befestigte.
„Wer ist der erste?“ fragte der mit dem Seil in der Hand in gebrochenem Russisch. Aufgrund der Umstände war Russisch die Sprache, die meistens im Team gesprochen wurde.
Michail zeigte auf, entledigte sich seiner Jacken und konnte fühlen, wie ein kleiner Luftstoß ihn vollständig auszukühlen schien. Er zog auch noch seinen Pullover und sein T-Shirt aus, dann seine Jeans und stand in einer Badehose vor dem Rest seines Teams. Der Wind war eisig und Michail musste sich überwinden um nicht die Arme um den Oberkörper zu winden und vorwärts zu watscheln. Er rannte kurz auf der Stelle, sprang kurz auf und ab bis er das Gefühl hatte, das sein Organismus begann zu arbeiten. Dann nickte er dem Führer zu und bekam ebenfalls ein Gurtsystem in die Hand gedrückt.
„Damit du den Rückweg findest“
Hinter ihnen fing der Rest des Teams an leise zu tuscheln. Michail drehte sich nicht um. Er zog die Gurte fest und klinkte den Karabiner in die Gurte ein. Das kalte Metall auf seiner Haut schmerzte. Aber dagegen gab es ein Mittel. Sie hatten schon im Hotel eine ausführliche Einführung erhalten, aber der Führer wiederholte die wichtigsten Punkte noch einmal. Michail nickte und trat nach vorne zu dem Loch in der dicken Eisdecke. Mit seiner Faust hätte er keine Chance gegen diesen dicken Panzer. Das Seil war seine Lebensversicherung.
Er fasste mit der flachen Hand in das Wasser hinab und spritzte sich etwas über seinen Körper. Er musste die Zähne zusammen beißen. Es war wirklich verdammt kalt. Er drehte sich zu seinem Führer um, der das Seil in den Händen hielt. Dieser grinste ihm zu.
„Und spring“
Michail schloss kurz die Augen. Unter seinen nackten Fußsohlen brannte die Kälte des Eises. Der Wind war so stark das er vor und zurück wankte. Ein Gedanke von ihm glitt zu dem Handtuch, welches in diesem Wetter wahrscheinlich schon steif gefroren war. Direkt vor ihm, das wusste er, war die Öffnung in Eispanzer. Er konnte die kleinen Wellen gegen das Eis schlagen hören. Dann sprang er.
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arkon
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Beitrag: # 6826224Beitrag arkon
29.7.2010 - 22:23

Frankreich, Winter 2009

Mirko Quarzo war eine kontroverse Gestalt. Das wusste er. In seinen etlichen Jahren als Teamchef von Peugeot hatte er alle Arten an Briefen bekommen – von Morddrohungen bis hin zu Heiratsanträgen. Nichts konnte ihn mehr wirklich aus der Bahn werfen. Als er sich vor nun 18 Monaten von Adrien Miou getrennt hatte da war der Aufschrei in der französischen Bevölkerung enorm gewesen. Das beste Team des Landes sollte auch den besten Fahrer der Nation beheimaten. Damals war Miou nach einem eher mäßigem Jahr zwar stark gebeutelt gewesen, aber die Franzosen liebten ihn immer noch. Doch das Zerwürfnis zwischen Meister und Schüler war zu tief gewesen, die Differenzen unüberbrückbar.
Das Miou im nächsten Jahr überlegen die Tour gewann und die Peugeot-Phalanx, die gleich um zwei starke Kletterer ergänzt worden war, fast völlig chancenlos unterging interessiert Quarzo auch nicht sonderlich. Wiederum war die Flut an Briefen erdrückend gewesen. Aber er klammerte das alles aus. Im nächsten Jahr würde er zurück kommen. Wie immer.
Paul Vremont, so hieß seine große Hoffnung. Neben Miou war Vremont ohne Frage der stärkste französische Kletterer. In den Zeitfahren verlor er zwar mitunter Minuten, wenn er jedoch in den Bergen einen guten Tag erwischte dann konnte er im Alleingang ein gesamtes Rennen an nur einem Anstieg völlig umkrempeln. Quarzo war überzeugt, das Vremont in den Bergen sogar Miou distanzieren konnte.
Mit seinen 27 Jahren hatte er noch keinen einzigen größeren Rundfahrtsieg auf seinem Konto, sicherlich ein Nachteil. Aber Etappensiege beim Giro, bei der Tour der France, Tour de Suisse, Dauphinèe und bei der Romandie-Rundfahrt seit seinem 22 Lebensjahr bewiesen sein Talent. Im letzten Jahr hatte eine Knöchelentzündung im April seine Vorbereitung durcheinander gebracht. So war er erst gegen Ende der Tour in Form gekommen und hatte sich noch den dritten Gesamtrang gesichert. In diesem Jahr war die Strecke so schwer wie schon lange nicht mehr, besonders in den Bergen. Das war seine Chance.
Ihm zur Seite Stand außerdem ein starkes Team. Eine verdammt starkes Team. Laurent Farine, 22 Jahre alt, aber wenn es nach Quarzo ging schon der nächste kommende Toursieger. Mit nur wenig aussagekräftigen Ergebnissen hatte er schon in der letzten Tour de France eine wichtige Rolle im Teamgefüge gespielt. Dieses Jahr würde er wohl, wenn er selber als Kapitän antreten dürfte, einen Platz in den Top 10 und vielleicht einen Etappensieg erreichen.
Dann war da Bernard Tchibault, Girosieger und nach Miou der erfolgreichste französische Rundfahrer. Mit 33 Jahren war er noch nicht zu alt, doch hatte seine Leistungsfähigkeit in den letzten Jahren mehr und mehr nachgelassen. Auch er könnte noch für die Besten 10 in Frage kommen, der Toursieg stand aber ohne einen riesigen Zufall außer Frage.
Und das war schon das Problem. Tchibault war auch schon im letzten Jahr nicht begeistert darüber gewesen das er nicht die Nummer eins des Teams gewesen war. Und auch wenn er leistungsmäßig klar unterlegen schien, so versprach er doch hoch und heilig bei der nächsten Tour wieder voll angreifen zu wollen. Der Traum vom Toursieg – manche Fahrer wurden durch ihn einfach vergiftet.
Der vierte im Bunde der Topfahrer war Miguel Marbea. Er war Spanier, 28 Jahre und einer von Quarzos absoluten Lieblingen. Schon mit 23 wechselte er zu Peugeot und seitdem verstand er sich mit der gesamten Führungsspitze und auch mit den meisten Fahrern prächtig. Auch er könnte wohl auf eine gute Platzierung im Gesamtklassement hoffen und bei der Vuelta sogar um den Sieg mitfahren, aber er hatte sich seit Jahren ohne großes Murren in den Dienst der Mannschaft gestellt. Immer wieder war es seine Tempoarbeit welche die anderen Teams in Verlegenheit brachte, welche die absoluten Elitefahrer heraus siebte. Quarzo schätzte Marbea, und Marbea mochte Quarzo. Er würde wohl beim Team bleiben und für das Team arbeiten bis er eines Tages zu alt war für den Sport. Nur um irgendeinen Job hinter den Kulissen anzunehmen. Und Quarzo wusste, Miguel würde jede Arbeit übernehmen, nur um damit im Team zu bleiben.
Es klopfte an der Tür. Sie waren alle in einem Trainingscamp auf Mallorca versammelt, zum ersten Formabtasten. Von hier aus würden sie, würde er das Jahr planen. Die Fahrer hatten gesehen mit welcher brutalen Unerbittlichkeit er Entscheidungen traf und waren dementsprechend nervös. Zu recht.
„Herein“ Er saß in seinem Zimmer am Schreibtisch über einige Trainingspläne für die kommenden Tage gebeugt. Wen würde er schon einmal testen? Wer durfte ruhig mitradeln? Und wer würde schon jetzt zu monotonem Ausdauertraining verdonnert werden?
Es war Fredo Versillon, einer seiner Stellvertreter.
„Wir haben ein Problem!“
Mirko Quarzo seufzte und deutete auf einen Stuhl neben sich.
„Die Fahrer streiten sich – mal wieder. Laurent will unbedingt die Hügelroute nehmen, Paul besteht auf die flache.“
Er rollte seine Augen. Seit Tagen ging das schon so. Laurent, Paul und Bernard versuchten sich mit permanenten Sticheleien zu enervieren und gegenseitig die Grundlage im Team zu versauen. Er kramte in seinem Papierstapel herum.
„Hier, das ist der Trainingsplan für heute. Habt ihr alle eine Kopie davon bekommen?“
Fredo kramte in seiner Hosentasche herum und förderte das fragliche Papier zu Tage.
„Ließ mal vor, was darauf steht.“ Noch bevor sein Assistent seinen Mund öffnen konnte unterbrach er ihn bereits. „Unter Route“
„Route A5, 125 km, flach.“
Er zwang sich zu einem Lächeln und drehte sich wieder um. Bevor sein Assistent das Zimmer verließ ließ er seine befehlende Stimme wieder vernehmen.
„Nach der Ausfahrt schickst du die drei Spaßvögel auf mein Zimmer. So kann es nicht weiter gehen.“ Er blickte Fredo direkt in die Augen. Dieser blinzelte und blickte sofort nach unten weg. „Du weißt, welche ich meine.“
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Beitrag: # 6826239Beitrag eisel92
29.7.2010 - 23:31

Wenn es überhaupt etwas auszusetzen gibt, dann die "Folgeschwierigkeit", die bei mir langsam entsteht. So viele Namen.
Das Konzept auf jeden Fall absolut spannend, du schaffst es wie immer in wenigen Sätzen die Charaktereigenschaften deiner Protagonisten zu skizzieren.
Ich freue mich auf den nächsten Teil, im Moment bleibt mir nur zu sagen: Chapeau!
rz: ciclamino giro10 | maillot vert tour16
etappensiege giro [III] & tour [VI]
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CdF Buddeberg - EM2012-Europameister

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Beitrag: # 6826360Beitrag arkon
30.7.2010 - 21:43

Auch wenn es mich eigentlich wenig stört dass hier so wenig lob kommt, so bin ich doch erstaunt darüber, das ihr so wenig zu meckern habt. Im ernst: Ich freue mich sehr über jeden, der sich die zeit nimmt, ein paar zeilen zu meiner geschichte zu schreiben. Gerne auch als pn. Vielen dank!
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Beitrag: # 6826463Beitrag arkon
31.7.2010 - 16:58

Norditalien, Februar 2009

Es war wieder ein harter Tag gewesen. So früh im Jahr konzentrierte sich sein Training immer noch auf die Grundausdauer, und das bedeutete lange, nur mäßig schnelle Fahrten über vorwiegend flache Strecken. Ab und an nahm er auch Hügel in Angriff, in dieser Gegend fast unvermeidlich, doch er schaltete immer weit herunter und kroch die Steigungen in kleinen Gängen empor.
Diese Ausfahrten waren physisch vielleicht nicht so immens strapazierend wie jene, die er später im Jahr absolvieren würde, aber psychisch verlangten sie ihm einiges ab. Konzentriert und diszipliniert musste er auf seinem Rad sitzen, die Augen immer auf dem Pulsmessgerät und der Wattzahl. Für den Sportler in ihm, der sich nach Wettkampf sehnte, nach dem Messen mit anderen Athleten, nach Qual, nach Kampf, nach Aufopferung und schließlich auch nach Niederlage und Sieg, für ihn war es eine Tortur.
Wenigstens war er durchgeschwitzt und auch ein wenig müde. Er suchte nach dem Schlüssel unter dem Blumentopf im Vorgarten, schleppte sich die Stufen zu seiner Haustür hinauf. Da seine Frau, wieder einmal, auf Dienstreise war streifte er seine Trainingskleidung noch im Flur ab, schmiss sie dann grob in Richtung Wäscheraum und ging nach oben zur Dusche.
Kaum hatte er das kalte Wasser aufgedreht da hörte er das Läuten seines Telefons. Kurz keimte der Impuls in ihm auf nasstriefend durch die Wohnung zu stolpern. Aber das Gefühl von kaltem Wasser, welches über seinen heißen, verschwitzten Körper rann, stoppte die Überlegungen.
Ein Piepen ertönte. Der Anrufbeantworter nahm sich der Sache an.
„He, Cirino hier. Ruf mich mal bitte zurück. Es gibt was Wichtiges.“
Cirino Giraldo, sein Teamchef. Was konnte es Wichtiges geben um diese Jahreszeit? Es musste mit der Jahresplanung zu tun haben. Ihm schwante böses. Er hatte sich in den letzten Wochen vermehrt um seinen Tourkader streiten müssen. Wer mit fuhr und wer mit zum Giro durfte. Wer mit ihm trainierte und wer auf eigene Rechnung kleinere Rennen bestritt.
Er stieg aus der Dusche, rubbelte sich ab und griff dann zum Telefon. Es war wie das Anrufen eines Mädels dessen Nummer man am Vorabend in einer Bar abgegriffen hatte: Er war nervös.

(Musik. Strg+Klick zum Öffnen im Hintergrund)

„Giraldo?“ meldete sich sein Boss.
„He Cirino, Adrien hier“
„Gut, dass du zurückrufst. Hör zu, es hat sich etwas ergeben. Wir haben lange wegen deinem Tourkader hin und her überlegt. Viele Leute haben mit reingeredet, viele Fahrer hatten andere Interessen. Ich verstehe deinen Standpunkt, aber wir haben hier ein großes Team mit vielen Menschen. Und ich will möglichst viele zufrieden stellen.“
Ihm wurde ein wenig schwindelig. Das konnte nichts gutes heißen.
„Lorenzo Spangaro wird beim Giro antreten und auf Sieg fahren. Sein letztes Jahr war Klasse, er hat den Winter über gut trainiert und er verdient seine Chance. Aber: Er braucht einen Helfer.“
Jetzt kam es, er konnte es deutlich spüren.
„Xavier Candese wird ihn begleiten. Damit fährt Nicola Pozzo im Sommer nur für dich.“
Scheiße.
„Ich habe mit Xavier gesprochen. Er meinte er würde lieber bei der Tour fahren aber er hat eingesehen dass es so besser für die Mannschaft ist. Er will aber trotzdem mit Frankreich und wird nach dem Giro zu unserem Tourteam stoßen.“
Bullshit. Das war eine klare Beleidigung.
„Das Beste fürs Team? Du willst das Beste fürs Team? Dann stell mir ein vernünftiges Team zusammen und ich werde in Frankreich gewinnen. Und das ist dann das Beste. Verdammte Scheiße, ihr habt mich schon letztes Jahr verarscht, und nun willst du es wieder machen? Ihr könnt mich nicht wieder auf dem trockenen sitzen lassen.“
„Bitte versteh doch, es gibt viele Interessen in einem Team. Wir können nicht alles auf eine Karte setzen, dafür haben wir einfach zu viele starke Fahrer. Außerdem hat es im letzten Jahr auch geklappt“
Dinge wie diese machten ihm klar, was er schon länger wusste: Er war im Team einfach nicht gut integriert.
Miou war kein Fahrer, der seine Mannschaft außen vor ließ. Oft war er auf sie angewiesen. An anderen Stellen revanchierte er sich auch und verhalf seinen Kameraden zu Siegen. Im Gegensatz zu vielen anderen großen Fahrern jedoch war Miou sehr speziell was die Vorbereitung seiner Helfer anging.
Besonders bei Peugeot hatte er immer schon im Frühjahr mit den vier bis fünf wichtigsten Mitgliedern des Tourteams zusammen trainiert. Gemeinsam waren sie die Pässe abgefahren, gemeinsam in den Rennbetrieb gestartet, gemeinsam hatten sie sich im Winter den Arsch abgefroren und gemeinsam im Sommer den Lohn der Arbeit eingestrichen. Für Adrien war die Ehrenrunde nach der Tour sowie die Teamfeier immer ein wichtiger Moment um sich bei allen seinen Helfern zu bedanken.
Als er bei Lavazza im letzten Jahr auch anfing, die Rennplanung seiner Helfer zu gestalten, so stieß er damit sofort auf Widerstand. Dummerweise hatte diesen Punkt zwar im Vorfeld besprochen, aber nicht vertraglich fixiert. Xavier war sofort mit seinen Forderungen einverstanden. Der Stein des Anstoßes war Nicola Pozzo gewesen: Er hatte darauf bestanden in Italien antreten zu dürfen und hier auf eigene Rechnung zu fahren. Bei der Tour war es dann natürlich keine Überraschung gewesen dass Candese ein ums andere Mal seinem Kapitän zur Seite stand, Nicola jedoch meist schon vor dem Schlussanstieg hinten raus fiel. Nach nicht einmal zwei Wochen reiste er dann aus Frankreich ab.
Miou war wutentbrannt zu Cirino Giraldo gerannt und hatte Konsequenzen gefordert. Der Etappensieg, den Nicola Pozzo jedoch in Italien einfuhr war für das Management Grund genug bei dieser Aufteilung zu bleiben. Der Konflikt schwelte bis in den Herbst hinein als Miou einfach nach Hause fuhr und sich wutentbrannt einfach nicht mehr meldete. Er hatte hart trainiert und war bei dem ersten Trainingslager des Teams in blendender Verfassung erschienen, und das obwohl es noch fünf Monate bis zur Tour waren.
„Cirino, hör mir zu. Das letzte Jahr war eine Ausnahme. Ich hatte Glück das ich stark genug war. Und auch das ich nur gegen Torres kämpfen musste. Das wird sich ändern, und wenn du mir kein stärkeres Team zur Seite stellst werde ich kaum gewinnen können.“
Er dachte schon jetzt voller Angst an Peugeot und Ursa, die über viele talentierte Kletterer verfügten und ihn in den Bergen todsicher angreifen würden.
„Tut mir leid, die Entscheidung ist gefallen.“
Und seine auch. Er würde sich diesen Zirkus nicht noch ein Jahr antun.
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Fabuschele
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Beitrag: # 6826484Beitrag Fabuschele
31.7.2010 - 18:21

Ich finde es "geil", was für eine Fantasie du hast. So viel würde mir auf Anhieb garnicht einfallen.
Weiter so! Ich werde aufjedenfall den AAR verfolgen.

Squeezer
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Beitrag: # 6826486Beitrag Squeezer
31.7.2010 - 18:27

Kann mich da nur anschließen. Finde diesen AAR wirklich klasse, wie deine anderen auch ;)

Das mit der Musik find ich sehr interessant, ist sicher nicht für jeden etwas, aber ich finde es sehr passend.

Ricardo84
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Beitrag: # 6826487Beitrag Ricardo84
31.7.2010 - 18:35

Also ich finde das mit der Musik klasse. Tolle Idee, so etwas unterstreicht wirklich nochmal das Ambiente. Zur Qualität allgemein brauch man denke ich sowieso nichts sagen. Absolut hervorragend, wie schon deine beiden ersten zwei AARs.

Exelero
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Beitrag: # 6826813Beitrag Exelero
2.8.2010 - 20:01

Ich hab eig. nur eine Frage, wenn es sich um das gleiche Universum wie bei "Ein langer Weg" handelt kommt Eusébio auch wieder vor? Ich muss schon sagen das mich das ein wenig wurmt das du die Story nie fertiggestellt hast, denn die hatte es mir einfach angetan. Ist zu vergleichen mit einer guten Serie, die durch schlechte Quoten, dann leider mitendrin abgebrochen wird und nie wirklich zu Ende erzählt wird. Würde mich zumindest mal freuen wenn du irgendwie dein, sicherlich, geplantes Ende für die Story bzw. wie sie weitergehen sollte, grob skizzieren würdest.

Der AAR ist vom Schreibstil wie immer grandios. Was ich bei dir einfach liebe ist diese Detailgenau, aber nicht überlandene Beschreibung, von den Charakteren oder auch deren Gedanken. Ich finde aber das du z.B. bei der Beschreibung des Hauses am Comersee mehr hättest rausholen können, da ich persöhnlich eine genauere Beschreibung von Personen und Umgebung bevorzuge, da einem so einfach sofort ein Bild vor dem inneren Auge erscheint. Kann auch sein das es nur mir so geht, aber ich stelle mir sowas halt irgendwie immer vor meinem inneren Auge vor, wie sowas aussieht, deshalb liebe ich auch Fontanes detaillierte Beschreibungen.
Was die Musik als Hintergrundmelodie angeht, einfach nur eine geniale Idee. Wäre ich selber nie draufgekommen, obwohl ich generell wenn ich sowas lese, Musik im Hintergrund laufen lassen. Ist wie in einem Film unterstreicht einfach die Atmosphere des geschriebenen. Von der Seite noch ein dickes Lob für eine neues Konzept.

PS: Hoffe du lässt uns tatsächlich nochmal was über Eusébio hören!

$$_gibo_$$
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Beitrag: # 6826817Beitrag $$_gibo_$$
2.8.2010 - 20:17

Wie auch schon deine anderen Stories hier im Forum, ist diese genau so gut geschrieben. Das einzige Problem was ich jedoch immer wieder habe ist das zurechtfinden in deiner Storyline.
Das dauert immer ein paar Teile, einfach aus dem Aspekt das alles Neu ist. Man kann sich an nichts Bekanntem aufhängen - aber das macht wohl auch den Reiz der Geschichte aus :D
Ich sah den Himmel und mein eigenes Grab,
Ich feierte Siege triumphierte und verlor,
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arkon
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Beitrag: # 6826848Beitrag arkon
2.8.2010 - 21:57

Wer sich noch genau erinnern kann: Jarrot Phillips kam auch in "Ein langer Weg" vor, ebenso wie Stefano Guidi. Von meiner zeitlichen Konzeption her ist das beschrieben Jahr 2009 das Jahr, in dem Eusébio seinen ersten Profivertrag unterschreibt. Ich wollte ein bisschen Hintergrundgeschichte für die Radsportwelt erschaffen, in die er einsteigt, was auch die ursprüngliche Motivation für dieses Projekt war.
Nochmals vielen Dank für so viel Lob. Und wirklich: Spart nicht mit Kritik! Sendet mir ruhig PNs, wenn ihr sprachlich in die vollen gehen wollt. Ich versuche mir diese wirklich zu Herzen zu nehmen.
Ich habe momentan etwa 10-15 posts vorgeschrieben, also keine Sorge, das Projekt geht noch etwas länger. Und da es "nur" eine Tdf ist hoffe ich, es zu Ende zu bringen. Obwohl die Geschichte gerade erst hinter die zweite Bergetappe reicht...
so, und jetzt noch viel spaß ;)

ps: ich habe in meiner abstinenz lange mit dem gedanken gespielt für jerdona zeres ein finish zu schreiben. wenn ich höre wie sehr ihr noch an den alten geschichten hängt... ich denk drüber nach.
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Beitrag: # 6826849Beitrag arkon
2.8.2010 - 22:01

Kalifornien, USA, Frühjahr 2009(Musik)

Eine der Gestalten, die nur wenige Fachleute für die Tour auf der Rechnung hatten, hatte sich schon im Frühjahr ausgezeichnet. Nach einigen kleineren Kriterien in den USA war er nach Europa gefahren. Sein Team, Exxon, hatte ein kleines Trainingslager veranstaltet. Wie üblich ging es familiär und freundlich zu. Was selbstverständlich nicht hieß dass nicht auch hart gearbeitet wurde. Dann blieb eine kleine Abordnung in Europa, bestritt einige Vorbereitungsrennen und zog dann weiter zu Paris-Nizza, dem ersten Saisonhöhepunkt des Teams.
Und hier konnte Kenny Jackson sein Talent aufblitzen lassen. Doch Joaquin Lizuro, erst 21 Jahre alt, wurde auf einer Etappe in einer Ausreißergruppe weg gelassen und konnte dann, zur großen Überraschung des gesamten Feldes, allen Bemühungen der Konkurrenz widerstehen, ihm diesen Vorsprung noch zu stehlen. Jackson litt vor allem unter einem etwas schwächelndem Team dass die KPN-Phalanx, zu der Lizuro gehörte, zu keiner Zeit wirklich in Verlegenheit bringen konnte. Und als er schon frühzeitig als die Nummer zwei im Klassement feststand hielten sich die anderen Favoriten mit den Angriffen auf die Spitzenposition auch zurück. Der zweite Platz war zwar kein schlechtes Ergebnis, doch für Kenny, der nur durch schlechte Teamtaktik und unzureichende Unterstützung den kürzeren gezogen hatte, war es ein weiteres Puzzleteil in einer langen Reihe an Enttäuschungen.
Er war mittlerweile 29 Jahre alt. Das beste Alter für einen Kletterer. Er hatte Erfahrung, er hatte Ausdauer, er hatte Talent. Er hatte sich nie stärker gefühlt. Und trotzdem hatte er sich bisher noch nie so recht auszeichnen können.
Mit 24 hatte er einen dritten Platz beim Giro errungen, ohne Etappensieg, ohne Wertungstrikot. Seitdem hofften sowohl er als auch die Teamleitung auf seinen endgültigen Durchbruch. Doch irgendwie hatte es nie geklappt. Das Podium beim Giro blieb sein herausragendes Ergebnis. Im letzten Jahr hatte er sich ganz auf die Katalonienrundfahrt konzentriert um endlich einmal wieder einen höherklassigen Sieg einzufahren. Ein schlechter Tag und ein Team, welches die Konkurrenz, als es darauf ankam, nicht im Zaum halten konnte hatten sein Schicksal besiegelt. Er hatte weiter trainiert und war bei der Tour auf einen 15. Platz gekommen. Eigentlich ein hervorragendes Ergebnis angesichts seiner Saisonplanung. Aber er wollte mehr.
Trotz der äußerlich erstklassigen Stimmung im Team gab es nämlich mehr als genügend Konflikte. Für ihn entscheidend war die Konkurrenz mit dem zwei Jahre jüngeren Marc Aaron. Als er selber noch Jungprofi gewesen war und mit 25 gerade zum großen Wurf bei der Vuelta ausholen wollte, da war Marc ebenfalls im Aufgebot für die Rundfahrt gewesen. Und mit drei Etappensiegen im Alter von 23 Jahren hatte er ihm gnadenlos die Show gestohlen.
Seitdem brodelte bei ihm irgendwo weit unter der Oberfläche der Neid. Auch Marc Aaron war noch nicht da angekommen wo er hinwollte. Bei der Tour hatte er immerhin vier Etappensiege errungen, aber wenn es im Massenspurt richtig zur Sache ging, dann war er immer etwas Chancenlos. Enge Zielankünfte, ansteigende Zielgeraden, Ausreißergruppen, lange Solos, DAS war seine Welt.
Und so waren sie beide Jahr für Jahr im Wettstreit miteinander um die Teamressourcen gelegen. Und auch um die Aufmerksamkeit der amerikanischen Öffentlichkeit. Aber ohne Siege war dies nie wirklich ein Kampf gewesen für Kenny. Und schlimmer als jahrelang nur die Nummer zwei im Team zu sein war es für ihn das er nicht einmal ansatzweise so viel Aufsehen erregte wie sein Teamkollege, sein jüngerer Teamkollege. Immer wenn Aaron im Massenspurt abgedrängt wurde, wenn er zu früh antrat, dann warteten Heerscharen an Reportern auf ihn um ihm ihr Mitleid auszusprechen. Salz in offene Wunden.
In diesem Jahr jedoch, in diesem Jahr würde er es anders anpacken. Kenny Jackson pfiff auf Teamunterstützung, er pfiff auf Reporter. Er würde sich einzig und alleine auf die Tour stürzen und dort das Bergtrikot erobern. Und einen Etappensieg herausfahren. Und eine gute Platzierung im Gesamtklassement. Paris-Nizza war für ihn nur ein kleiner Baustein in seiner Vorbereitung gewesen. Ein erstes Signal zum Aufwachen an seinen Körper.
Nun war er zurück in den Staaten, in Kalifornien. Er trainierte hart, aber nicht zu hart. Es waren noch Monate bis zum Beginn der Tour, er wollte seinen Körper nicht überdrehen. Er genoss die Sonne, die Anstiege, die Aussicht. An Rennen dachte er nicht, jedenfalls nicht für die nächsten Wochen. Er wollte eine vernünftige Trainingsgrundlage legen bevor er sich wieder nach Europa wagte und sich dort langsam der Spitzenform nähern würde.

Na, kennt ihn noch einer? Ist schon gut... 6 jahre her
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Beitrag: # 6827238Beitrag arkon
4.8.2010 - 22:11

Spanien, April 2009 (Musik)

Das Schicksal eines weiteren Mitbewerbers um den Toursieg entschied eine Landstraße. Das Schicksal war ein gebrochenes Handgelenk, der Mitbewerber David Kokes und die Landstraße eine holprige Teerpiste in den Pyrenäen. Kokes hatte sich in den letzten Jahren zum Geheimtipp für den Toursieg gemausert. In seinem Team, Ursa, stand er immer noch im Schatten von Emanuel Miron, dem spanischen Girosieger, und Fredo Perinuci, der italienischen Radsportlegende, in dessen umfangreichen Palmares zwei Siege beim Giro und einer bei der Tour standen. Davids Platzierungen bei den großen Landesrundfahrten waren jedoch im Laufe der Zeit besser und besser geworden bis er sich im letzten Jahr als Bester seines Teams auf dem vierten Rang platzieren konnte.
Das hatte ihm endgültig den Respekt der Radsportwelt eingebracht. Die Teamleitung hatte daraufhin im Herbst viele Anfragen von anderen Teams erhalten die Kokes unbedingt verpflichten wollten. Und obwohl zumindest Miron noch mit ihm um den Platz als Kapitän für die Tour hätte streiten können verlief alles einvernehmlich: Kokes wollte bei Ursa bleiben, und Ursa wollte Kokes halten. Emanuel Miron hatte die Qualitäten des jüngeren Fahrers anerkannt und einvernehmlich entwickelte das Team den Plan, bei der nächsten Tour auf David Kokes zu setzen.
Das war zumindest die Situation bevor er ins Arztzimmer gerufen worden war. Nun saß er hier auf dem Flur des Krankenhauses. Die Leuchtstoffröhren flimmerten, die Luft roch nach Desinfektionsmittel und die Plastikstühle quietschten selbst unter einem Leichtgewicht wie ihm. Er musste eine Entscheidung treffen.
Würde er versuchen trotz der Verletzung zur Tour in Topform zu sein? Zumindest die nächsten zwei Wochen konnte er auf kein Straßenrad mehr steigen. Und auch danach war das zumindest ungewiss. Keine guten Voraussetzungen um Rennpraxis zu bekommen. Mit ein wenig Pech würde die Dauphinèe sein erstes Saisonrennen werden. Würde das reichen?
Noch bevor er sein Handy zu zückte um seinen Teamchef die Hiobsbotschaft zu übermitteln stand sein Entschluss fest: Er würde sich Zeit lassen, langsam versuchen wieder in Form zu kommen und dann im Herbst die Vuelta bestreiten. Und gewinnen. Es war der sicherere Plan. Und außerdem war es doch gar keine so schlechte Option im nächsten Jahr bei der Tour mit einem GT-Sieg im Rücken zu starten. Und er würde Miron nicht unter Umständen mit eigener schlechter Form im Wege stehen. Der Rest des Teams hatte auch ein Recht darauf bei der Tour auf eigene Erfolge hin zu fahren.
Es war entschieden. Ein Jahr noch. Mal wieder.
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Beitrag: # 6827544Beitrag arkon
7.8.2010 - 18:05

Giro d’Italia 2009, 8. Etappe(Musik)

Als einer der wenigen Topfavoriten auf den Toursieg bestritt Hernan Torres den Giro. Neben der Tatsache dass er hier noch nie ernsthaft mitgefahren war stellte das Rennen auch eine gute Möglichkeit dar sich für die Tour ein wenig warm zu klettern. Bei den ersten Etappen war er eher blass geblieben, wie es die Zeitungen ausdrückten, oder er hatte sich geschont, wie er es in Interviews darstellte. Die Wahrheit lag, wie immer, in der Mitte. Seine Form war noch nicht da und er hatte es nicht für nötig empfunden sich über Gebühr zu quälen. So hatte er vor der ersten Etappe, die den Zusatz „Königs-“ verdient hätte, schon über fünf Minuten Rückstand.
Es war irgendeine Quälerei über eine ganze Reihe an viel zu hohen Bergen mit einer Bergankunft. Der Schlussanstieg war ein wenig zu kurz um sich hier wirklich zu testen und so beschloss Hernan die Etappe so zu fahren, wie er Bergetappen am liebsten fuhr: Offensiv.
Zwei Berge vor dem Schlussanstieg verabschiedete er sich schon aus dem Fahrerfeld. Einige Ausreißer fuhren verstreut vor ihm her mit einem Abstand von bis zu fünf Minuten. Laut Etappenplan hatte er sieben Kilometer aufwärts um diese Verhältnisse zu Recht zu rücken. Locker flockig ging er das Unternehmen an. Es war ein heißer Tag aber zunächst ging es durch dichten Nadelwald bergauf. Neben einem wunderbaren Duft sorgte das auch für eine angenehme Kühle. Schon nach zwei Kilometern wurde das „angenehm“ zu „bitter nötig“.
Er fuhr zum Teamwagen zurück Ron Zuiverloon persönlich saß heute hinter dem Steuer.
„He Ron, schöner Tag, was?“ Er zwinkerte seinem Boss zu.
„Ja, und das ich dich hier treffe, Überraschung, he?“ Er reichte ihm eine Wasserflasche.
„Was sagt denn das Thermometer? Lohnt sich ein Ausflug zum Strand?“
Ron blickte auf seinen Tacho.
„Hier sollen es schon angenehme 32 Grad im Schatten sein.“
„Verdammt, und ich hab meine Badehose nicht dabei“
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn während der Teamwagen hinter ihn zurückfiel. Das konnte ja ein heiterer Tag werden.
So langsam wuchs sein Vorsprung gegenüber dem Feld jedoch und da man einen vierfachen Toursieger auch mit fünf Minuten Rückstand nicht abschreiben sollte wurde das Tempo hinten langsam erhöht. Es war eine Fahrweise wie er sie mochte und schon oft angewandt hatte. Bergauf mussten sich alle gleich anstrengen und wenn es kaum Flachstücke zwischen den Bergen gab und das nicht über Gebühr bließ dann konnte er ohne groß mehr zu leisten als seine Verfolger mit einigen Minuten in den Schlussanstieg hinein gehen. So hatte er schon manche Rundfahrt gewonnen.
Mit einer gewissen Genugtuung hörte er über den Funk dass das Feld auseinander flog wie eine Fabrikhalle die von einem Marschflugkörper zerlegt wurde. Hektisch versuchte Ron über den Teamfunk heraus zu finden wo die einzelnen Fahrer des Teams waren und sie einigermaßen zueinander zu lotsen. Hernan grinste.
Oben auf der Bergwertung war er dem Feld drei Minuten voraus. Die Spitzenreiter hatte er noch nicht eingeholt aber die 30 bis 40 Sekunden waren sogar in der Abfahrt machbar. Torres war schon immer ein Fan von windigen, schnellen Serpentinen bergab gewesen. Einmal hatte er in der Abfahrt angegriffen und war, bevor die Konkurrenz ihn überhaupt groß vermisste, eine Minute vor dem Feld gefahren. Es war einfach eine tolle Möglichkeit Zeit zu gewinnen ohne groß Energie investieren zu müssen.
Diesmal reichte es nicht ganz. Die anderen Fahrer wollten ihn wohl so viel Energie wie möglich abluchsen bevor er sie erreichen konnte. Keine schlechte Idee. Das Flachstück war aber nur knapp vier Kilometer lang. Für ihn war es zu kurz um sich ganz in seinen Rhythmus vertiefen zu können. Er verlor einige Sekunden auf die Fahrer vor ihm, was ihn jedoch nicht groß störte.
Nun ging es wieder bergauf. Der Berg war mit sechs Kilometern relativ kurz, aber mit fast neun Prozent durchschnittlicher Steigung durchaus bissig. Ein ideales Trainingsterrain. Hernan achtete bewusst auf einen lockeren Tritt, versteifte sich nicht auf ein Tempo und achtete streng auf seinen Puls. Immer genug Essen und trinken, selbstverständlich.
Ohne groß in den roten Bereich zu gehen erreichte er so die letzten Ausreißer. Diese ließen ihn ohne große Diskussion vorbei und hängten sich augenblicklich an sein Hinterrad. Erwartungsgemäß. Er musste sich beherrschen um nicht mit einem kurzen Sprint für klare Verhältnisse zu sorgen und radelte stur weiter.
Der Abstand zum Hauptfeld wuchs weiter, er war nun virtuell bis auf eine Minute an den Gesamtführenden heran gekommen. Das nahmen die verschiedenen Teams nun endgültig als Anlass mächtig das Tempo zu erhöhen. Die Lage, die sich um das Peloton herum gerade erst entspannt hatte explodierte erneut. Fahrer, die in der Abfahrt zurückgekommen waren, fielen wieder hinten weg. In wenigen Kilometern waren nur noch 15 Radler beisammen, die absolute Elite des Giros, nur noch teilweise begleitet von ein oder zwei Helfern.
Auf dem Gipfel hatte er immer noch Gesellschaft. Die Abfahrt war kurz und er fuhr so ein Stück eh lieber von vorne. Die Anfahrt nach Sestriere war aber immerhin fast zehn Kilometer lang. Sollte er hier auf Hilfe von hinten spekulieren oder aber einfach durchziehen?
Er entschied sich für ersteres. Immerhin war er nicht hier um den Gesamtsieg zu erringen sondern einfach ein Fahrer, der einen guten Tag zu einem großen Solo nutzte. Der Etappensieg war ihm nicht so wichtig aber auch nicht völlig egal. Er drehte sich um.
„He Marco, du darfst jetzt mal mitarbeiten.“
Marco Risaldo lachte laut.
„Danke für die Einladung. Ich verzichte“
Hernan ließ sich zurück fallen und fuhr neben den Italiener.
„Ich werde sicherlich ein bisschen schneller hoch nach Sestriere fahren, aber ich werde nicht angreifen. Und falls mir einer von euch bis oben folgen kann können wir noch mal über den Sieg reden.“
Marco sah ihn durchdringend an.
„Gut, dann werde ich verzichten.“ Sagte Hernan lachend „Aber ich werde den verdammten Hügel hochziehen wie ein D-Zug“
„Willst du den Giro abschießen oder wie?“
„Quatsch, ich bin wegen der Landschaft hier“
Sie nickten sich zu und Marco ging in die Führung. Die Gruppe von vier Fahrern arbeitete den Rest des Weges schweigend zusammen. Der Abstand nach hinten wuchs weiter an und am Fuß des Berges hatten sie fünf Minuten voll gemacht. Wie verabredete ging Hernan vorbei in die Führung sobald es wieder aufwärts ging. Nach kurzer Eingewöhnungsphase erhöhte er jedoch die Schlagzahl deutlich im Vergleich zum letzten Anstieg.
Über den Funk hörte er wie in der Favoritengruppe fast panisch alle in die Führung gingen. Wenn einer von ihnen den Giro gewinnen wollte dann war jetzt der Moment gekommen um dafür zu arbeiten. Das Ausbleiben jeglicher Angriffe auf den ersten Kilometern des Schlussanstiegs auf einer so schweren Etappe war ein deutliches Zeichen.
Doch Torres hielt dagegen. Mit eiserner Gewalt zog er die Kilometer empor. Seine Begleiter hatten zunächst versucht sein Hinterrad zu halten, waren jedoch relativ schnell abgeplatzt. Es machte für sie keinen Sinn mit einem der besten Fahrer ihrer Generation bergauf, auf seinem Terrain, ein Kräftemessen herauf zu beschwören.
Weiter hinten brach langsam Panik aus. Der Abstand wuchs eher an. Torres schien die ersten Etappen geblufft zu haben und nun den Sack zu zumachen. Es kamen nun doch Angriffe, einige schienen sich stärker zu fühlen und wollten nicht für die anderen die Arbeit übernehmen.
Zwei Kilometer vor dem Ziel merkte Hernan wie er sein Limit erreichte. Er wusste, er konnte noch bis ins Ziel mit diesem Tempo weiterfahren. Er würde das rosa Trikot übernehmen, vielleicht mit etwas unter einer Minute Vorsprung. Er würde auf den nächsten Etappen versuchen mit den Besten mit zu gehen, auf das Zeitfahren warten und dort den Giro endgültig an sich reißen. All das hatte er schon einige Male durch exerziert. Es würde schwer werden, aber er konnte es schaffen.
Das wichtigste für ihn war jedoch: Um in den Bergen mit den besten Kletterern mit zu gehen musste er viel Kraft investieren. Er würde einige Körner lassen die er brauchte. Die er sehr nötig brauchte wenn er im Juli in Frankreich um seinen fünften Toursieg würde fahren wollen.
Er schaltete zurück und trat etwas lockerer. Der Etappensieg war ihm kaum noch zu nehmen und noch weniger die Erkenntnis das er in diesem Jahr in den Bergen früh in Form war. Er kannte seinen Körper und wusste, dass es nicht zu früh war. Aber er fühlte sich gut gerüstet für eine Tour die mehr Höhenmeter hatte als mancher Lift in einem Jahr zurücklegte.
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Beitrag: # 6827546Beitrag arkon
7.8.2010 - 18:11

- Im ersten Post ist jetzt eine Liste mit den wichtigsten Fahrern der Tour. Nicht erschrecken, die meisten davon sind eher nebensächlich. Aber ich hab eine ähnliche Liste auf meinem Rechner, deswegen wollte ich sie euch nicht vorenthalten.
- mehr hintergrundsachen kommen. vielleicht. für die geschichte sind sie erstmal nicht so wichtig, eher für die weitere betrachtung der welt. und je mehr geschichten ich in ihr platziere, desto mehr hintergrundinfos gibt es und desto mehr werdet ihr auch verfahren. aber für den moment will ich euch nicht noch mehr verwirren und selber auch in der geschichte voran kommen.
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Beitrag: # 6827773Beitrag arkon
9.8.2010 - 23:33

Dauphinée 2009, Ventoux-Etappe(Musik)

Die Tourvorbereitung war in die heiße Phase gegangen. Adrien Miou liebte diese Zeit. Die Aufmerksamkeit war auf einmal nicht mehr in Italien beim Giro sondern bei denen, die in Kürze die Helden der Tour werden sollten. Oft genug war er in beide Kategorien gefallen, trotzdem war der Unterschied deutlich. Das Großereignis stand bevor. Der gesamte Tonfall in den Berichterstattungen, das globale Interesse am Radsport änderte sich. Und heute würde der vorläufige Höhepunkt erreicht werden.
Der Mont Ventoux markierte seit geraumer Zeit den Einstieg der Dauphinèe in die Berge, und damit auch den ersten wichtigen Test für alle, die diese Rundfahrt zur Vorbereitung auf die Frankreichrundfahrt nutzten. Vom Tourkader, den Lavazza stellen würde, war vor allem Xavier Candese mit ihm in Frankreich.
Der Baske war 32 und hatte mittlerweile seine eigenen Ambitionen aufgegeben. In jungen Jahren war er einmal als kommender Toursieger gehandelt worden. Über einige Etappensiege war er jedoch nie hinaus gekommen. Mit 27 hatte er sein bestes Jahr als er bei der Vuelta Zweiter wurde. Er wechselte zu Lavazza und half zunächst Hernan Torres und später Adrien Miou bei der Erfüllung ihrer jeweiligen Träume bei der Tour. Er wurde einer der wichtigsten Helfer und durfte bei der Vuelta auf eigene Rechnung fahren. Er erreichte zwar nie wieder das Podium, doch konnte er einige Etappensiege erringen.
Candese war in der Tat in Italien beim Giro gewesen, um Lorenzo Spangaro zu unterstützen. Und Spangaro hatte auch, mit gerade einmal 25 Jahren, den Sieg errungen. Der Streit jedoch, den er mit der Teamleitung um Xavier gehabt hatte, schwelte immer noch vor sich hin. Für den Moment jedoch wollte er die Sache auf sich beruhen lassen. In Paris jedoch, wenn man ihm zum Toursieg gratulieren würde, da konnte er die Bombe platzen lassen. Es war nicht nur persönlich schlechter Stil, vor allem war es ganz einfach unprofessionell. Sie riskierten den Toursieg wegen einer kleinen privaten Fehde. Mit diesem Team würde er unter keinen Umständen noch einmal antreten.
Xavier fuhr von hinten an ihm vorbei und steckte ihm zwei Wasserflaschen zu. Adrien musste sich eingestehen wie sehr ihm der treue Baske ans Herz gewachsen war. Er suchte nicht permanent seine eigenen Chancen, er wartete bis sie sich ihm eröffneten. Sicher, er hätte mehr Erfolg haben können. Aber ging es nur darum? Er war zufrieden.
„Danke“
„Kein Problem. Wie fühlst du dich? Willst du was probieren?“
Sie befanden sich am Fuß des Riesen der Provence. Das Tempo war ordentlich, aber für keinen von beiden ernsthaft schnell.
„Warten wir mal ab. Ich will vor allem sehen wie die anderen drauf sind. Wenn in zwei Kilometern noch keiner ernsthaft das Tempo angezogen hat dann darfst du das gerne übernehmen.“ Er klopfte ihm auf die Schulter. Vor allem nach der letzten Tour war es eine angenehme Erfahrung wieder jemanden neben sich zu haben der am Berg richtig Schmerzen verursachen konnte. Ihm fröstelte ein wenig, wenn er an die Tour dachte.


Laurent Farine wackelte nervös an der Spitze des Feldes herum. Alle seine Helfer befanden sich in der Tempoarbeit, was aber nicht sonderlich viel hieß. Peugeot konzentrierte sich in diesem Jahr auf die Tour de Suisse. In Frankreich war neben den üblichen kleineren Fahrern nur Anton Kuhn vertreten.
Der Deutsche war mittlerweile 33 und nie der Mann für die Hochgebirge gewesen. Trotzdem hatte er die Dauphinèe schon gewonnen, ebenso wie die Tour de Romandie. Kuhn besaß eine große natürliche Autorität und eine großes taktisches Verständnis von Radrennen. Diese beiden Eigenschaften hatten ihm im Laufe der Zeit eine ganze Reihe an nicht zu verachtenden Erfolgen beschert, in der Hauptsache aus Ausreißergruppen die er für gewöhnlich dominierte, sowohl psychisch als auch physisch.
Das Kuhn dem starken, aber unerfahrenen Farine an die Seite gestellt wurde war kein Zufall. Laurent jedoch war ungeduldig und fuhr nach vorne zu dem Deutschen.
„Klinck dich mal vorne ein. Ich will, dass denen die Lunge brennt bevor ich angreife“
Kuhn drehte sich um und blickte die anderen Mitfahrer an.
„In ein paar hundert Metern kommen andere nach vorne und übernehmen die Arbeit. Du bist nicht der einzige der es schnell mag. Das Rennen wird schon noch hart genug.“
Laurent dachte kurz nach. Er sah auf seine Streckenskizze auf seinem Lenker. Der Anstieg schien schon auf dem Papier ewig zu sein.
„Ich will sie isolieren. Wir müssen die Initiative übernehmen und sie in die Ecke drängen“ Ja, das klang doch gut. „Fahr einfach zwei, drei Kilometer Tempo, den Rest mache ich“
Anton sah den zehn Jahre jüngeren Franzosen an. Er kannte den Ventoux, war ihn schon oft genug hinauf gefahren. Und oft genug war ihm nach oben hin die Luft ausgegangen. Besonders die Tatsache, das Radfahren auf 2000 Metern Höhe nicht das gleiche war schien eine Tatsache zu sein mit der die wenigsten rechneten. Aber auf der anderen Seite war er nun einmal hier der Helfer. Eigene Ambitionen hatte er nicht und mehr als seinen guten Rat anzubieten erschien ihm hochnäsig.
„Ok. Du sagst einfach, wenn ich etwas langsamer fahren soll.“
Laurent war etwas überrascht dass sich Anton so einfach trollte. Aber nun gut, er würde sein Team schon nicht enttäuschen. Laurent Farine würde hier gewinnen, dafür brauchte er keine Helfer.


Josef Kreisky machte den Anfang. Ohne großes Nachdenken griff der Österreicher an. Er war als Kletterer bekannt, aber ob man ihn nun als gut bezeichnen würde war Geschmackssache. Offenbar schickte er sich jedoch an diesen Eindruck aufzubessern. Geschmeidig fuhr er aus der zweiten Reihe an der Spitze vorbei. Das Trikot seiner Coop-Mannschaft schlackerte ein wenig auf seinen schmalen Schultern.
Miou nickte Xavier zu der sich augenblicklich auf den Weg nach vorne machte. Für Tempoarbeit war es noch zu früh, aber so langsam näherte man sich dem Finale. Und, siehe da, Anton Kuhn ging in die Führung. Das Kuhn hier nicht für sich selber sondern eher als Edelhelfer und Aufpasser unterwegs war hatte sich im Fahrerfeld mittlerweile herumgesprochen. Adrien mochte den Deutschen und als er nun das Gerede zu bestätigen schien schüttelte er etwas unwillig den Kopf. Er hätte es ihm gegönnt hier wenigstens um den Sieg mitzufahren.
Farine war also der Kapitän. Adrien fuhr neben seinen Landsmann, der seinen Blick verbissen nach vorne gerichtet hatte. Da hatte wohl jemand eine Menge vor heute. Die anderen Fahrer, die man auf der Rechnung haben musste fuhren etwas weiter zurück. Hier hatte er also einen guten Platz.


Anton schnaufte schon etwas schwerer. Er setzte also tatsächlich seine Anweisung in die Tat um. Der Fahrer vom Coop-Team wurde auch wieder zurück geholt. Mit einem leicht ironischen Lächeln nickte er ihm zu als seine schlaksige Gestalt hinter ihm im Feld verschwand.
Hinter sich bemerkte er immer noch Adrien Miou. Was hatte er vor? Fuhr er hier auf Sieg? Dann würde er sich wohl erst mit ihm anlegen müssen!
Ohne groß einen Gedanken an die verbliebene Länge der Etappe zu verschwenden griff er an. Und wie! Der Fahrtwind pfiff ihm ins Gesicht. Keiner konnte ihm folgen, da war er sich sicher. Kein Blick zurück, er zog erst einmal durch. Dann spinkste er kurz unter seinen Arm hindurch und sah zu seiner Zufriedenheit keinen, der ihm direkt folgen konnte.
Er setzte sich wieder in den Sattel und schlug ein Tempo an, das er glaubte, bis zur Spitze durchhalten zu können.


„Da fährt wohl jemand zum ersten Mal den Ventoux!“ schoss es Adrien durch den Kopf. Mit 22 war er noch ähnlich stürmisch gefahren, besser gesagt er wäre es wenn er schon damals so gut gewesen wäre. Xavier drehte sich schon fragend um, er musste nur noch nicken. Der Spanier zog das Tempo an. Über den Funk wurden ihnen die Abstände durchgegeben so dass Candese den jungen Franzosen wunderbar an der langen Leine halten konnte. Über 30 Sekunden ließen sie ihn nicht weg.
Einige Kilometer ging es so vorwärts bis sie die Baumgrenze erreichten. Adrien merkte, wie ihm langsam die Luft ausging. Kein Grund zur Panik. Es waren noch einige Wochen bis zum Beginn der Tour. Er rollte neben Xavier.
„Für heute hab ich genug.“ Er wollte noch mehr anfügen merkte aber schon wie ihn das sprechen anstrengte.
„Soll ich das Tempo ein bisschen drosseln?“
„Greif selber an. Ich komm schon klar.“
Er war noch ein wenig vom Grenzbereich entfernt aber er wollte sich auch gar nicht völlig austesten. Adrien wartete ein wenig bis Xavier die Kraft gesammelt hatte und vom Feld davon schoss. Er fuhr eine Weile während er seinen Tritt aussetzte und bremste so die Verfolger aus. Keuchend beschleunigten sie an ihm vorbei. Diesen Angriff konnte man nicht vernachlässigen. Das Spiel um den Etappensieg war eröffnet.


Der Schockmoment war gekommen als er aus dem Wald gefahren und auf einmal freie Sicht auf das Etappenziel gehabt hatte. Das er nicht wirklich vom Feld weg kam war eine Sache aber dass der Anstieg eher länger wurde als kürzer, das schmeckte ihm gar nicht.
Seine Beine fühlten sich gar nicht mehr so gut an wie noch weiter unten. Er atmete immer schneller und hektischer. Mirko Quarzo war nicht hier und sein bescheuerter Vertreter fuhr neben ihn und ermahnte ihn wieder und wieder das er zu flach atmen würde. Hatte der eine Ahnung!
Dann kam auf einmal ein Lavazza-Fahrer an ihm vorbei geschossen. Laurent stand auf und versuchte pumpend den Anschluss wieder herzustellen. Es gelang, aber nur mit Mühe. Und erstaunt erkannte er den Fahrer: Es war nicht Adrien Miou, es war Xavier Candese. Der Helfer warf hier alles in die Waagschale und konnte ihn unter Druck setzen?
Verzweifelt klammerte sich Laurent Farine an das Hinterrad vor ihm. Doch einige hundert Meter später musste er abreißen lassen. Er hatte sich überschätzt. Kochend vor Wut auf sich selbst schaltete er herunter und versuchte in einem lockererem Tempo den Berg in Angriff zu nehmen.
Nach und nach zogen die Fahrer an ihm vorbei. Auch Miou rollte ihn auf. Kurz versuchte er, sein Tempo aufzunehmen, doch mahnte er sich sogleich selbst zur Disziplin. Es hatte keinen Zweck jetzt noch auf Zeit zu fahren. Er musste einfach nur versuchen oben anzukommen.
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

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arkon
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Beitrag: # 6827922Beitrag arkon
11.8.2010 - 21:57

L'Alpe d'Huez, Juni 2009 (Musik)

Langsam vollendete die kleine Cessna 206 das Rollmanöver und reihte sich mit der Landebahn auf. Der Pilot wusste um die Kürze der Landebahn und fuhr die Landeklappen früh aus. Fast schien die Maschine still zu stehen, aber langsam und stetig kroch sie auf ihr Ziel zu. Schließlich hatte sie das Tal überquert, ihr Schatten kroch den steilen Hang hinauf. Das eigentliche Landen ging dann doch überraschend schnell: Kaum war die Maschine über der Landebahn zog der Pilot hoch, der Strom über die Flügel riss ab und das kleine Flugzeug sackte auf den Betonboden. Obwohl die Landebahn kaum 400 Meter lang war kam die Maschine früher zu stehen. Das Brummen des Rotors wurde noch einmal lauter als sie Kurs auf die kleine Blockhütte nahm welche das Flughafengebäude darstellte.
Der Leiter des Flughafens richtete eher gelangweilt sein Fernglas auf den Flieger. Einige seiner Gäste waren Berühmtheiten, die hinauf nach Alpe d'Huez flogen um hier ein wenig in der Exklusivität des Ortes ein paar Stunden auf Skiern zu genießen. Aber die meisten der Leute, die hier mit dem Flieger hinauf kamen, wollten gerne berühmt sein. Oder hatten einfach das Geld und wollten es ausgeben.
Sein Laufbursche, Jacque, fuhr mit dem Gepäckwagen auf die kleine Maschine zu. Bei einer so kleinen Cessna war keine Treppe von Nöten. Ein paar Mann in Trainingsanzügen erschienen. Leichtes Gepäck, welches sie die hundert Meter zur Straße lieber selbst trugen. Doch irgendetwas an den Trainingsanzügen... es kam ihm bekannt vor. Die Farbe, rot in blassem grau, ein seltsames Logo... Er schaute noch einmal durch sein Fernglas und da erkannte er ihn.
Hernan Torres ging wie selbstverständlich über den Beton der Landebahn. Um ihn herum... das musste Manuel Quinziato sein, sein wichtigster Berghelfer. Von den anderen kamen ihm viele Gesichter bekannt vor, aber er erkannte nur Ron Zuiverloon, den sportlichen Leiter des Teams Emirates.
In vielen Plätzen auf dieser Welt hätte niemand auch nur einen der Männer dort unten erkannt, aber hier, in einem der Radsport-Mekkas des Planeten, würde diese Abordnung einen Riesenwirbel auslösen. Besonders jetzt im Sommer, wo die Straße hinunter nach Bourg-d'Oisans von Radsportlern besetzt war. In Gerade einmal fünf Wochen würde die Tour de France hier ihre Zelte aufschlagen, und er wettete das Torres aus genau diesem Grund hier war.
Hektisch schlug er sein Telefonbuch auf und griff nach dem Hörer. Er musste ein paar Anrufe erledigen.


Für Torres war der Besuch harte Arbeit. Er hatte sein engstes Team der Tour um sich versammelt und wollte hier auf dem legendären Anstieg nach Alpe d’Huez trainieren. Er kannte den Berg gut. Oft schon war er hier Rennen gefahren und noch viel öfter hatte er hier trainiert. Ein Sieg stand zwar noch aus, aber er erwartete auch gar nicht hier wirklich triumphieren zu können. Es gab bessere Kletterer als ihn und für ihn lag der Fokus auch woanders.
Das Ziel der nächsten drei Tage war es, ihn und sein Team auf diesen Anstieg und ein wenig auch auf den Rest der Etappe einzustimmen. Heute würden sie, nach dem Einchecken im Hotel, eine kurze Erkundungsfahrt unternehmen, gefolgt von einem ersten Leistungstest am Anstieg. Die Fahrräder wurden mit einem Bus hergefahren, der hoffentlich schon auf sie wartete. Am nächsten Tag war eine Erkundung der gesamten Etappe geplant, also eine Busfahrt nach Albertville und dann eine eher gemächliche Tour über den Madeleine und den Glandon nach Bourg-d'Oisans gefolgt von einigen gemeinsamen Fahrten hinauf nach Huez, und am letzten Tag dann ein Zeitfahren auf dem 'Berg der Holländer'.
Es waren nur noch wenige Tage bis zum Beginn der Tour. Und komischerweise wurde er dieses Jahr nicht ruhiger, je näher der Stichtag rückte. Mehr und mehr Fragen kamen auf in ihm. War sein Team gut genug? War der Giro nicht schon zu hart gewesen? Würde sein Zeitfahrtraining ausreichen? War sein neues Bergrad gut genug? Über allem aber schwebte eine ganz große Frage: War er zu alt?
Mit seinen 33 Jahren gehörte er definitiv zu den ältesten Fahrern im Peloton. In den letzten Jahre, in denen er sich schon stetig vom 'Besten Rennfahreralter' entfernt hatte, waren die Unkenrufe gar nicht erst aufgekommen. Dieses Jahr war das anders. Selbst sein gute Vorstellung beim Giro konnte ihn nicht davor retten täglich aufs neue mit seinem Alter konfrontiert zu werden.
Hatte er es noch drauf? Konnte er noch einmal groß angreifen, seine fünfte Tour gewinnen?

So, jetzt gehts langsam los. Eine Frage: Wie ist euer Lesetempo? Kommt ihr mit der Musik gut hin? Gerade bei längeren Beiträgen bin ich mir noch ein wenig unsicher wie die ideale lösung aussieht.
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

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