Auf den Spuren einer Legende

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

Valverde3007
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Beitrag: # 6758326Beitrag Valverde3007
5.3.2009 - 16:42

„Pete, Pete steh auf!“
Wer war das? Wo war er? Langsam öffnete er die Augen und zuckte, als er vom gleißenden Sonnenlicht geblendet wurde. Berge, Schnee, ein wolkenloser, blauer Himmel. Carolines Haus, das war es. Der Ort, an dem er sein Glück gefunden hatte. Lange hatte er darüber nachgedacht, was er tun sollte und er hatte sich dazu entschlossen, noch ein paar Tage hier zu bleiben. Was brachte ihm sein erster Eindruck bei seinem Team, wenn er nicht sein erstes Bild bei Caroline verfestigen konnte. Im weiteren Verlauf könnte er auf dem Rad einiges wieder gut machen, sein Privatleben forderte im Moment seine volle Aufmerksamkeit.
Er räkelte sich kurz und stieß ein langes Gähnen aus, dann stand er auf und ging in Richtung Haustür, von wo er Caroline rufen gehört hatte. Abermals verblüffte ihn die teure, luxuriöse Ausstattung. Bei dem schönen Ausblick blieb er gerne länger. Es war der Himmel auf Erden. Er sah Caroline an der Haustür stehen, gegenüber standen zwei seiner Freunde, Tom und Luke, mit denen er unterwegs war, bevor ihn die Polizei erwischt hatte. Es überraschte ihn, die beiden hier zu sehen. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass sie ohne ihn abgereist waren, da sie seine Unzuverlässigkeit schon kennen gelernt hatten. Wahrscheinlich hatte Tom ihn nicht alleine in der Schweiz zurück lassen wollen.
Tom war ein Radfahrerkollege von ihm, mit dem Pete schon einige Rennen bestritten hatte. Manchmal hatten sie um die Kapitänsrolle gefeilscht, doch insgesamt waren sie immer relativ gut miteinander ausgekommen. Mit seinen knapp eins achtzig war er etwas größer als Pete, doch seine schlanke Figur machte ihn zu seinem ähnlich starken Bergfahrer. Nach ihren starken Auftritten im vergangenen Herbst hatten sie beide Aussichten auf einen Profivertrag. Bei einem günstigen Verlauf war es sogar möglich, dass sie in der folgenden Saison im selben Team fuhren. Bei gemeinsamen Rennen wollten sie sich das Zimmer teilen und sie hatten sogar geplant, gemeinsam zu trainieren, da sie ihr Hauptaugenmerk auf dieselben Rennen legten. Pete war beruhigt, Pete an seiner Seite zu wissen, da er ihm oft half, auf dem Teppich zu bleiben und nicht noch mehr dumme Sachen als ohne ihn zu machen.
Der zweite, Luke, war genau das Gegenteil von Tom. Er verstand gar nichts vom Radsport und belächelte seine Freunde nur, weil sie einen Sport mit so zweifelhaftem Ruf betrieben. Er bot einen unglaublich starken Kontrast zu Tom, da er noch ein paar Zentimeter größer war und außerdem mindestens vierzig Kilo schwerer. Seine Freizeit verbrachte er überwiegend mit Kneipentouren und Baseballspielen. Er war im Verlauf ihres Urlaubs schon bei mehreren Gelegenheiten mit Pete aneinander geraten und beinahe wäre es zur Eskalation gekommen, wenn Tom die beiden Streithähne nicht im Zaum gehalten hätte. Pete verstand nicht, warum Tom sich mit diesem Rüpel abgab und er war genervt, ihn schon wieder zu sehen.
Es kam schlimmer als er erwartet hatte. Zunächst hatte er gehofft die beiden schnell abwimmeln zu können, doch Luke hatte Caroline brutal zur Seite gestoßen und war ins Haus getreten. Er kam auf Pete zu und begrüßte ihn mit einem Schlag auf die Schulter. Er stank wie so oft nach Alkohol und Zigaretten und seine bloße Anwesenheit machte Pete nervös. Was wollte dieses Ungetüm von ihm. Er hatte keine Probleme, sich mit jemandem zu schlagen, aber dieser Koloss war eine Nummer zu groß für ihn.
„Wo warst du kurzer. Hast dich wieder mit einer deiner Schlampen aus dem Staub gemacht? Willst uns alleine sitzen lassen. Ein Scheiß Freund bist du.“
Schon seine Wortwahl ekelte Pete an und der Inhalt schockierte ihn erst recht. Auf keinen Fall wollte er, dass Caroline eine Verbindung zwischen den beiden herstellte und falsche Schlüsse daraus zog. Leider ließen sich die Aussagen seines primitiven Pseudofreundes nicht rückgängig machen. Caroline runzelte leicht die Stirn. Kurze Zeit schien sie unentschlossen zu sein, was sie tun sollte. Entweder würde sie Luke rausschmeißen oder wollte von Pete die wissen wollen, was Luke mit seinen Andeutungen sagen wollte. Natürlich entschied sie sich für die falsche Variante.
„Schlampe? Wieder? Was redet der Kerl da? Was hast du eigentlich mit ihm zu tun.“
Hastig versuchte Pete eine Verteidigung hervorzubringen.
„Der Riesenaffe ist auch in unserer Skigruppe. Der ist aber etwas zurückgeblieben und definiert sich nur über seine schlechten Manieren und Lügengeschichten. Du darfst ihm…“
Er konnte nicht ausreden. Stattdessen drückte Luke ihn mit seiner unbarmherzigen Kraft an die Wand. Pete konnte die Adern auf seiner Stirn vor Wut pulsieren sehen, der gesamte Kopf war vor Wut rot angelaufen. Er hatte es geschafft, der größte und gewalttätigste, ihm bekannte Sadist drohte ihm.
„Wie nennst du mich? Du kleine Zecke. Ich soll Lügengeschichten erzählen. Dann erzähl du uns doch, was du zu Hause so schönes machst. Du bist nicht ohne Grund aus der amerikanischen Nationalmannschaft geflogen. Ich habe da einige unschöne Geschichten gehört.“
Tom, der bisher stumm an der Tür gewartet hatte, unterbrach den Streit. Mit ruhiger Stimme versuchte er die Eskalation zu verhindern und die unangenehme Situation zu beenden.
„Klärt das nicht hier. Was muss die arme Frau von euch denken? Ihr könnt das im Hotel ausdiskutieren.“
Immerhin ließ Luke Pete los, um sich zu Tom umzudrehen. Sonst wurde die Angelegenheit keinesfalls entschärft. Luke hatte jetzt Lunte gerochen und wollte Petes neue Freundschaft so schnell beenden, wie sie begonnen hatte. Er blieb, was er war: Ein unverbesserlicher asozialer Hooligan.
„Die arme Frau? Pete hatte schon so viele, da soll die hier ruhig vor ihm gewarnt werden. Er würde sie doch sowieso bald wieder abservieren.“
„Du weißt, dass das nicht wahr ist.“ Pete wendete sich an Caroline, die inzwischen kreidebleich geworden war. Der randalierende Mann in ihrem Haus hatte sie komplett aus der Fassung gebracht und die Geschichten, die sie über Pete hören musste, ließen sie noch unsicherer werden. Verwirrt schaute sie zwischen den drei Gästen hin und her. Die Situation war kaum noch zu retten, Luke würde Caroline ohne Zweifel viel erzählen, was sie dazu bewegen würde, alle drei zum gehen zu bitten. Er durfte es nicht so weit kommen lassen.
„Luke ist betrunken. Der ist nicht mehr bei Sinnen, seit wir hier in der Schweiz angekommen sind. Hör nicht auf ihn.“
Luke grölte nun vor lachen.
„Betrunken? Das aus dem Wort von Peter. Das ich nicht lache. Der größte Trunkenbold aus ganz Massachusetts. Erzähl mal von deinen unzähligen Gefängnisaufenthalten. Da warst du doch auch betrunken. Letztes Jahr in Mirepoix zum Beispiel. Ich habe gehört, dass der arme Mann immer noch nicht gesund ist.“
Caroline schaute schockiert in ihre Gesichter. Was sie aus Lukes Mund hören musste, erschütterte das vertraute Verhältnis, das sie und Pete in den letzten zwei Tagen aufgebaut hatte, in seinen Grundzügen. Plötzlich sah sie die Geschehnisse in der Disko und herum in einer anderen Sicht. Dazu kam, dass sie nun endgültig sicher sein konnte, dass Pete in jener Nacht betrunken war und wahrscheinlich genau das getan hatte, was der Terrier ihm vorgeworfen hatte. Sie hatte ihm ein Alibi verschafft und eine Falschaussage abgegeben, um einen mehrfach vorbelasteten Kriminellen zu unterstützen. Mit dieser Aktion hatte sie ihre berufliche Zukunft aufs Spiel gesetzt, nur, um zu erfahren, dass der Mann, den sie gerettet hatte, genau das war, wofür die Polizei ihn hielt.
„Er lügt, oder? Sag mir die Wahrheit.“ Sie zeigte auf Tom. „Stimmt das, was er sagt? Ich will es wissen.“ Sie war immer lauter geworden und hatte die letzten Worte geradezu herausgeschrieen. Tom, der froh gewesen war, nicht im Mittelpunkt zu stehen, trippelte nervös von einem Bein auf das andere. Er schaute Pete tief in die Augen, als wolle er ihm sagen, dass es ihm Leid tue, er aber nicht lügen wolle. Pete erwiderte den Blick drohend. Tom konnte ihn noch retten, wie er es so oft getan hatte.
„Luke übertreibt ein bisschen. Trotzdem hat er Recht. Pete hat letzten September betrunken einen Mann zusammengeschlagen. Hätten seine Eltern ihm nicht mit ihrem Geld geholfen, wäre er vor Gericht gekommen. Deshalb haben sie ihn in der Nationalmannschaft auch suspendiert.“
Tom hatte ihn auch verraten. Jetzt verlor er die Fassung. Seit seinem Verschwinden hatten sie nichts getan und er hatte nichts mehr von ihnen gehört. Ausgerechnet heute, zu einem Zeitpunkt, an dem sie eigentlich schon wieder in Amerika sein sollten, platzten sie hier herein und versauten ihm alles. Außer sich vor Wut blaffte er Tom und Luke an.
„Was erlaubt ihr euch eigentlich? Ihr platzt hier einfach herein und beschuldigt mich mit allen möglichen Vorwürfen. Ihr seid echt beschissene Freunde.“
Tom ließ die Schimpftirade seines Freundes über sich ergehen und antwortete vorsichtig.
„Sieh das ganze doch mal aus unserer Sicht. Vorgestern waren wir zusammen feiern, dann kam die Polizei und du warst weg. Anfangs dachte ich, du wärest wie so oft durchgebrannt und würdest gerade betrunken neben einer neuen Freundin liegen. Als du dich bis gestern Mittag nicht gemeldet hattest, bin ich zur Polizei gegangen, um dich vermisst zu melden. Dort musste ich hören, dass du nur ein wenig randaliert hättest und dann mit deiner Anwältin durchgebrannt bist. Was hätte ich machen sollen, außer nach dir zu schauen? Du hättest dich ja wenigstens einmal melden können. Mach mich jetzt nicht für etwas verantwortlich, wofür ich nichts kann.“
„Aber,…“ Tom hatte natürlich Recht und ließ Pete kurz verstummen. Erst als er sich an Lukes Anwesenheit erinnerte, kehrte sein Zorn zurück.
„Was ist mit dem? Du weißt, dass ich ihn nicht leiden kann. Der ist so dumm und asozial, wie man es sich nur vorstellen kann.“
„Pass auf Freundchen, was du sagst. Du weißt, dass ich dich liebend gerne verprügeln würde.“
Luke ballte die Fäuste und trat ein paar Schritte auf Pete zu. Caroline stieß einen entsetzten Schrei aus und Tom sah aus, als wolle er dazwischen gehen, doch Pete wies ihn zurück. Er würde es zum Duell eins gegen eins kommen lassen, wie er es früher so gerne getan hatte. Normalerweise hätte er sich zurückgehalten, für Luke fühlte er aber einen so intensiven Hass, dass er ihm gerne einen Denkzettel verpasste. Dazu brauchte er etwas um sich zu verteidigen und die physischen Nachteile auszugleichen. Pete schaute sich verzweifelt nach etwas um, dass ihn vor dem riesenhaften Mann schützen konnte, oder womit er ihn ablenken konnte. Aus seinem Augenwinkel erkannte er einen Ständer für Schirme, in dem er auch einen Gehstock sah, der ihm stabil zu sein schien. Er tänzelte ein paar Schritte hinüber, Luke folgte ihm und hob seine Faust, um sie auf Pete niederschnellen zu lassen. Sein erster Schlag ging ins leere, als Pete unter seinem Arm durchtauchte und nach dem Stock griff. Als Luke sich wieder aufrichtete, schlug Pete zu. Der Stock traf Luke genau an der Schläfe.
Einen kurzen Moment war Pete unsicher, ob der Schlag die beabsichtigte Wirkung hatte, dann konnte er zufrieden aufatmen, als Luke seine Augen schloss und wie ein Baum umfiel.
Zufrieden grinsend sah Pete auf Luke herab. Seine Stärke brachte ihm jetzt nichts mehr. Pete hatte sich schon gegen stärkere Gegner verteidigen müssen. Sein stolzes Lächeln verging ihm aber ganz schnell, als er hinter sich Caroline stöhnen hörte. Er drehte sich um und sah, wie Tom sie gerade noch versuchte aufzufangen, bevor sie zu Boden ging. In ihrem Blick konnte er dieselben Gefühle erkennen, die er Luke gegenüber empfand, Ekel und Verachtung.

Eigentlich sollte es länger werden, aber hier gibt es erstmal einen Cut. Erstens, weil es halbwegs passt und zweitens, weil hier sonst bis Samstag nichts passiert wäre.

Valverde3007
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Beitrag: # 6758683Beitrag Valverde3007
8.3.2009 - 22:27

Hätten Blicke töten können, wäre Pete auf der Stelle gestorben. Verzweifelt schaute er auf seine Hände hinab, die immer noch krampfhaft den Stock umklammert hielten. Sie zitterten. Langsam öffnete er die Finger und ließ den Stock zu Boden fallen. Zum ersten mal seit Tagen sah er die Welt vor sich wieder ganz klar. Erst hatte ihn der Alkohol, später seine aufgewühlte Gefühlswelt beeinflusst. Sein Blick wanderte weiter auf den geschlagenen Gegner, der am Boden lag. Es war gute Arbeit gewesen, er hatte ihn präzise getroffen und außer Gefecht gesetzt. Natürlich war es von Carolines Standpunkt einer Juristin nicht die feine englische Art gewesen, doch er hatte den Impuls nicht unterdrücken können. Während der Saison konnte er seine Aggressivität in den Rennen auslassen, im Winter staute sie sich immer weiter auf. Luke war so dumm gewesen, ihn dazu zu bringen, sie mit einem Schlag freizusetzen.
Wenigstens hatte er keine klaffende Kopfwunde und augenscheinlich keine Knochenbrüche davon getragen und würde wohl nur starke Kopfschmerzen als Andenken an ihn behalten. Pete beugte sich zu ihm hinunter und tastete nach dem Puls. Er war stabil, es war also nur eine Frage der Zeit, bis Luke wieder aufstand und weiterpöbelte. Bis dahin wollte er die Sache mit Caroline geklärt haben. Sie konnte ja nicht so zickig sein, dass sie ihm wegen des kleinen Zwischenfalls ernsthaft böse wäre. Das hoffte er auf jeden Fall und so versuchte er, sie zu beschwichtigen.
„Ich kann nichts dafür. Es war Notwehr. Hätte ich nichts getan, hätte er mich zu Brei geschlagen. Außerdem geht es ihm gut, es ist gar nichts passiert.“
„Vielleicht war es diesmal Notwehr, aber was war es bei der anderen Sache und davor. Ich habe mich in dir getäuscht. Du bist ein schlechter Mensch. Bisher war alles nur Fassade. Dein Freund hatte recht, du bist kein bisschen besser als er. Und jetzt raus hier.“
Pete war sprachlos. Die Härte in ihrer Stimme überraschte ihn ebenso wie die Tatsache, dass sie in Tränen ausbrach und hemmungslos zu schluchzen begann. Pete wusste, dass alles was er herausbrachte nur billige Ausflüchte waren, doch anders konnte er sich nicht retten. Es stimmte, was sie sagte. Seine aggressive Seite war wieder aus ihm heraus gebrochen, er hatte sich nicht beherrschen können. Allen guten Vorsätzen zum Trotz hatte er nichts verändert. Vor einigen Minuten war er noch zuversichtlich gewesen einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Jetzt erkannte er, dass sich nichts an ihm geändert hatte. In diesem Moment dachte er, dass das wahrscheinlich nur das Beste war. Seine Gefühle für Caroline waren stark und ohne sie würde er wieder in seine alten Lebensgewohnheiten zurückfallen, doch er konnte diesen Teil seiner selbst nicht verleugnen. Pete war öfter verliebt gewesen, nie hatten ihn die Emotionen so intensiv bewegt, wie dieses mal und doch war er über jede Frau weggekommen. Außerdem zeigte Caroline durch ihre große Enttäuschung, dass Pete ihr viel bedeutete. Anders konnte er sich ihr Verhalten nicht erklären. Er ging langsam zu Caroline herüber und versuchte sie in den Arm zu nehmen, doch sie schrie ihn nur an.
„Hau ab! Geh! Du hast hier nichts mehr zu suchen.“
„Du nimmst die Sache viel zu ernst. Das war nur eine kleine Meinungsverschiedenheit. Das wird schon wieder.“
„ Nein, wird es nicht. Ich bin Anwältin und stehe auf der Seite des Gesetzes. Ich bin eine ehrliche Bürgerin, die sich noch nie etwas zu schulden kommen lassen hat. Ich kann mich nicht mit jemandem wie dir einlassen. Geh zurück nach Amerika. Da kannst du dich prügeln und saufen, wie du willst. Ich kann das nicht akzeptieren. Du bist ein Verbrecher wie Luke und der Terrier, egal, was du mir vorspielst. Ich meine es ernst. Es ist vorbei, du bist nicht mehr willkommen.“
Jedes Wort traf Pete wie ein Schlag in die Magengrube. Sie war nicht umzustimmen. Er hatte es tatsächlich vermasselt und das nur wegen dieses Idioten. Beinahe hätte Pete sich von Caroline losgerissen und wäre wieder zu Luke gegangen, um seine Wut an ihm auszulassen, aber seine Vernunft hinderte ihn daran. Er wollte das Vertrauen von Caroline nicht noch weiter schwächen. Doch es gab kein zurück. Was geschehen war, konnte er nicht wiedergutmachen. Meinte Caroline das alles wirklich ernst? Sollte er verschwinden? Er könnte weiter ziehen und sich die nächste suchen, wie er es bisher immer getan hatte. Vielleicht passte diese Beziehung einfach nicht. Je mehr er sich einredete, dass Caroline ihm nichts bedeutete, desto deutlicher wurde es für ihn, dass er sich selber belog. Er brachte es nicht übers Herz, einfach so fort zu gehen. Aber lohnte es sich, bei dieser launischen Frau zu bleiben. Sie war in ihren Gefühlsschwankungen noch schlimmer als er.
„Willst du nicht eine Nacht darüber schlafen? Vielleicht siehst du morgen ja wieder alles ganz anders?“
„Damit du in der Nacht schon wieder mit der nächsten schläfst? Das brauche ich nicht. Du warst vielleicht ganz nett, aber ich kenne dutzende Menschen, mit denen ich lieber zusammen wäre, als mit dir.“
Es hatte keinen Zweck, er konnte jetzt nicht mit ihr reden. Wenn sie sich beruhigt hätte, würde er es noch einmal versuchen. Nach einem kurzen Besuch in der Stadt und einer Umbuchung seines Fluges würde Caroline sich wieder beruhigt haben. Dann könnte er zurückkommen und ihr alles erklären, seine Verfehlungen und sein Ziel, sich zu bessern. Das müsste sie verstehen. Wenn nicht, dann hätte sie endgültig bewiesen, dass sie nicht zu Pete passte. Der erste Eindruck hatte ihn umgehauen, aber jetzt, wo er die Kehrseite seiner neuen Freundin kennen lernte, rückte sich sein Bild von ihr wieder gerade. Neben der selbstbewussten Juristin war sie auch eine störrische Zicke. Hatte sie genau wie er zwei Gesichter, oder woher kam dieser hysterische Ausbruch. Pete konnte kaum glauben, dass er für diese Frau noch vor wenigen Minuten seine Karriere aufgeben wollte. Seine Gedanken der letzten Nacht erschienen ihm plötzlich so lächerlich und realitätsfern. Caroline sollte ihren Wunsch erfüllt bekommen, dass er ging, denn er brauchte nun seinerseits Bedenkzeit über das Geschehene. War es seine Schuld gewesen, dass sie ihm ein falsches Alibi gegeben hatte und sich damit strafbar machte? Hatte er sich zu ihr eingeladen? Ihre Wut war vollkommen unbegründet.
„Ich verstehe, dass du ein bisschen aus der Fassung bist. Vielleicht siehst du die Dinge ja anders, wenn du ein bisschen Abstand gewinnst. Kann ich heute Abend oder morgen wiederkommen, dann können wir alles bereden?“
„Du verstehst es nicht. Wenn ich dich noch einmal sehe, werde ich dich anzeigen. Erstens wegen Körperverletzung und zweitens wegen Trunkenheit am Steuer. Wenn ich Glück habe, erledigt dein Freund für mich alle Probleme.“
Was wollte sie damit schon wieder sagen. Tom würde auf seiner Seite bleiben und Luke lag…
„Ich habe solche Kopfschmerzen. Weißt du, wo die herkommen Pete? Wenn ich den erwische, der mir das angetan hat, dann werde ich …“
Luke ließ die Drohung unausgesprochen im Raum stehen, machte Pete aber eindeutig klar, dass es Zeit war zu gehen. Wenn er nicht rechtzeitig aus der Reichweite Lukes verschwinden könnte, hätte er bald größere Probleme als die mit Caroline. Luke war aus seiner Ohnmacht erwacht und hatte sich unbemerkt aufgerichtet. Nun hielt er seinerseits den Stock in der Hand. Drohend schwang er ihn über seinem Kopf und wartete darauf, dass Pete etwas sagte. Als Pete stumm blieb versuchte Luke erneut nach Pete zu schlagen, er verfehlte ihn wieder und entschloss sich, mit seinen Fäusten zu kämpfen. Den Stock warf er in Petes Richtung, er traf aber nur einen der kostbaren Spiegel an der Wand. Caroline schrie laut auf und stieß allerlei Verwünschungen gegen Luke aus. Nur weil Tom sie zurückhielt, ging sie nicht auch noch auf Luke los.
Es wurde Pete nun zu brenzlig. Luke geriet komplett außer Kontrolle und würde nicht nur ihm, sondern auch Caroline etwas antun. Pete drehte sich um und rannte durch die Haustür ins freie. Zu Fuß wäre er sicher schneller als der übergewichtige Luke, aber er konnte nicht ausschließen, dass der mit einem Auto gekommen war. An der Hauswand sah er ein Rad lehnen. Damit würde er entkommen können. Er schwang sich auf den Sattel und raste aus der Einfahrt. Es war alles schief gegangen. Jetzt blieb ihm nur die Möglichkeit, das zu tun, was er konnte. Er musste die Frauen verdrängen und wieder Rad fahren. Rad fahren, das war es, was er jetzt brauchte, um die letzten Tage zu verarbeiten. Die Begegnung mit Caroline und ihr einnehmendes Wesen hatten ihn völlig aus der Fassung gebracht und sie hatte es geschafft, ihn in ihren Bann zu ziehen. Kurz hatte er tatsächlich daran gedacht, bei ihr in der Schweiz zu bleiben. Mit jeder Pedalumdrehung änderte sich seine Stimmung. Keine Frau der Welt konnte ihm solche Befriedigung verschaffen, keine Frau konnte seine Liebe so erwidern, wie seine Passion, der Radsport. Von Minute zu Minute klarte er wieder auf und versuchte seine Emotionen auszublenden. Caroline würde sich wieder beruhigen und es würde Gras über die Sache wachsen. Am Abend würde er versuchen, noch einmal mit ihr zu reden und wenn sie ablehnte, müsste er eben mit der Abfuhr klar kommen. Die nächsten Wochen des anstrengenden Trainings sollten sowieso schwer genug sein, um sie zu vergessen. In einer trainingsfreien Phase oder im Rahmen eines Radrennens in der Schweiz würde er sie wieder besuchen und dann würde sie zu ihm zurückkehren. Zunächst musste seine Aufmerksamkeit dem Rad gelten. In den nächsten Tagen sollte seine vertragliche Zukunft endlich geklärt werden und anschließend benötigte er die volle Konzentration um erfolgreich in die Saison zu starten. Er musste nach Hause. Wie vorgesehen würde er noch am selben Nachmittag in den Flieger steigen.


1. Nicht ganz fertig geworden, aber bis Donnerstag oder Freitag werde ich wieder zu nichts kommen, deshalb gibts jetzt den Post. Irgendwann will ich ja doch zum ersten Rennen kommen.
2. Ich wurde darauf hingewiesen, dass Pete als "Niceguy" herüberkam. Da habe ich seine gute Seite etwas zu weit ausgetreten. Die Kehrseite - wie in diesem Post und dem Rückblick - ist mindestens genau so wichtig. Es wäre ganz interessant und hilfreich weitere Meinungen zu Pete zu hören.

Andy92
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Beitrag: # 6758722Beitrag Andy92
9.3.2009 - 14:33

Niceguy? War das ironisch gemeint? (Selbst ohne diesen Teil) :D

So, aber jetzt zu meiner Meinung: Eigentlich hasse und verachte ich erfolgreiche Amerikaner - in jeder Sportart. Könnte man auch als Armstrong-Komplex bezeichnen...Aber ich glaube, diese Geschichte könnte das ganze ein wenig ändern.
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Valverde3007
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Beitrag: # 6759531Beitrag Valverde3007
18.3.2009 - 10:56

Gemächlich ließ Pete sein Rad die letzten Meter zum Hotel ausrollen. Erfrischt vom eisigen Wind fühlte er sich um vielfaches besser als noch vor wenigen Minuten. Das Radfahren hatte seinen Kopf wieder frei werden lassen. Was war es, das er wirklich wollte? Wollte er sich tatsächlich in eine feste Beziehung begeben, wie er es sich heute Nacht gewünscht hatte? Oder war es eben genau das Gegenteil und hatte daher gar nicht gut gehen können. Er hatte sich immer auf sein Fahrrad begeben um ein Gefühl der Weite zu erfahren. Die Grenzenlosigkeit der Straßen, auf denen er Wochen lang herumfahren konnte, hatte ihn immer beeindruckt. Es war noch nicht die Zeit gekommen, sich zu binden. Die Saisonvorbereitung stand vor der Tür, er durfte keinen Tag vergeuden. Wenn Caroline sich so zickig benahm, konnte er sich im Moment nicht um sie kümmern. Sie würde warten müssen, bis er nach der Saison in den Urlaub fuhr. So lange brauchte er nicht notwendigerweise eine Frau an seiner Seite, sein Rennrad war vollkommen ausreichend. Nächsten Winter würde er dann nicht mit seinen Freunden in den Urlaub fahren, sondern er würde Caroline besuchen.
Pete schmiss das Rad vor dem Hotel achtlos auf einen Autoparkplatz und betrat das Hotel. Noch bevor er den Fahrstuhl in die zweite Etage, wo sich sein Zimmer befand, erreicht hatte, wurde er von zwei weiteren Mitgliedern der Reisegruppe, die mit ihm, Tom und Luke unterwegs war, erkannt. Sofort prasselten Fragen auf ihn ein, jeder wollte erfahren, was mit Pete passiert war, ob und warum er ins Gefängnis gekommen war und was mit seinem Auge passiert sei.
Er hatte sich nach der kurzen Radtour eigentlich wieder ausgeglichen gefühlt, aber die Fragen fingen sofort an ihn zu nerven. Als er dann auch noch darauf angesprochen wurde, wo Tom und Luke abgeblieben waren, gab er den neugierigen Fragestellern nur eine kurze, patzige Antwort und verschwand. Er musste raus aus diesem Land, raus aus dieser Gruppe. Langsam aber sicher kotzte ihn der ganze Urlaub an. Der einzige Lichtblick war nicht so hell wie vermutet gewesen und als er über die positiven Aspekte des Urlaubs nachdachte, fiel ihm kaum etwas ein. In der zweiten Etage angekommen ging er geradewegs in sein Zimmer und begann zu packen. Mit etwas Glück schaffte er es noch am Abend aus diesem Unglücksland fort zu kommen.
Als er alle Sachen zusammen hatte, hörte er ein Klopfen. Tom stand vor der Tür. Pete begrüßte ihn freudig und wollte ihn hereinbeten, aber Tom blieb nur mit versteinerter Miene an der Tür stehen.
„Was ist los Tom? Du siehst so schlecht gelaunt aus. Hat Luke dich auch erwischt?“
„Pete, das ist nicht mehr lustig. Luke ist kurz nachdem du gefahren warst wieder zusammengebrochen. Wir haben einen Krankenwagen angerufen, der hat ihn ins Krankenhaus gebracht.“
Pete fing an zu grinsen.
„Geschieht ihm recht.“
„Du willst es nicht begreifen oder? Luke könnte dich anzeigen. Glaubst du, dass du wieder davon kommst? Ich dachte deine Eltern hätten dir klar gemacht, dass sie dir in Zukunft nicht mehr helfen. Du hast Glück, dass Caroline Luke gedroht hat, dass sie ihn ihrerseits anzeigt, wenn er es mit dir tut. Der Idiot hat noch ihr halbes Haus verwüstet.“
Caroline hatte sich also für ihn eingesetzt. So wütend konnte sie also gar nicht auf ihn gewesen sein. Dafür war es bei Luke wohl umso schlimmer gewesen. War Luke wirklich so ausgerastet? Pete fühlte ein mulmiges Gefühl in der Magengrube. Wenn Luke so aggressiv die Einrichtung beschädigt hatte, was hatte er dann erst mit der hysterisch kreischenden Caroline gemacht?
„Wie geht es Caroline?“
„Da kümmerst du dich aber früh drum. Nachdem du abgehauen warst, hat Luke sich am Mobiliar vergangen. Caroline wäre fast auf ihn losgegangen, wenn ich sie nicht zurückgehalten hätte. Er hätte sie in dem Moment wahrscheinlich in seiner Wut eigenhändig umgebracht. Irgendwann hat Luke aufgehört zu randalieren und wurde plötzlich ganz still. Dann ist er das zweite mal umgekippt. Da saß ich dann, eine in Tränen aufgelöste junge Studentin und einen am Boden liegenden Rüpel vor mir. Ich hätte deine Hilfe gebrauchen können, aber du hast dich ja wie immer gut um die Verantwortung herumgedrückt.“
„Sie hat mich doch selber rausgeschmissen.“
„Trotzdem hättest du in dem Moment nicht gehen dürfen. Du bist davon gerannt wie ein Feigling. Schnell Radfahren, wenn dir der Gegner im Nacken sitzt, das kannst du, aber wenn es tatsächlich im Leben hart auf hart kommt, drückst du dich.“
Tom schaute ihn an, aber Pete musste verlegen wegschauen, wie er es immer getan hatte, als ihn seine Eltern und Lehrer getadelt hatten. Er hatte Mist gebaut und Tom zeigte ihm deutlich, was er immer wieder falsch machte.
„Ja gut, ich habe einen Fehler gemacht. Wie geht es ihr denn jetzt?“
„Sie ist total am Boden zerstört. Bis ich gefahren bin, hat sie an einem Stück nur geheult. Am Anfang war sie glaube ich wirklich von dir begeistert gewesen. Dass sie dann so enttäuscht wurde und Luke auch noch in ihrem Haus randaliert, war zu viel. Ich muss dir wahrscheinlich nicht erzählen, dass sie Jura studiert. Sie hat mir alles erzählt, auch das mit dem Alibi. Sag mal, ist dir eigentlich klar, dass sie wegen dir ihre beruflichen Perspektiven riskiert hat?“
„Ich habe nicht um das Alibi gebeten.“
„Dankend angenommen hast du es aber.“
„Was hätte ich tun sollen? Hätte ich ins Gefängnis gehen sollen?“
„Das nicht, aber du hättest ihr gegenüber wenigstens ehrlich sein können. Sie dachte du wärest zu Unrecht angeklagt gewesen. Sie hat dir vertraut, obwohl du es nicht verdient hattest, aber jetzt sieht es für sie so aus, als hättest du sie nur benutzt. Sie hat das Gefühl nur eine von vielen zu sein.“
„Caroline kennt mich doch gar nicht richtig. Sie kann mich gar nicht einschätzen. Sie hat einfach überreagiert.“
„Kennst du sie richtig? Weißt du, was in ihr vorgeht? Ich nehme an, dass sich seit der Verhaftung alles um dich gedreht hat. Du kannst Caroline doch genau so wenig beurteilen.“
„Und du kannst es? Lass es einfach bleiben und komm mir nicht mit den Vorwürfen. Es war eben ein Desaster. Ich brauche Abstand. Ich habe weder Lust noch Zeit über die Psyche einer Frau zu diskutieren.“
Tom schüttelte nur den Kopf und sah ihn verständnislos an. Er verließ das Zimmer, drehte sich auf der Türschwelle aber noch einmal um.
„Deine Eltern haben Recht. Lass das mit dem Alkohol und den Frauen, dafür bist du nicht reif genug. Bleib bei deinem Fahrrad.“
Pete wollte empört antworten, aber Tom hatte schon die Tür zugeknallt und war verschwunden. In vielen Punkten hatte er Recht. Was wusste er überhaupt über Caroline? Dass sie schön war, war nicht zu übersehen, als Jurastudentin war sie auch intelligent und sie hatte sich fürsorglich um ihn gekümmert. Aber was wusste er sonst? Rein gar nichts. Er war in ihr Leben geplatzt und hatte sie genau so schnell erobert wie er sie wieder verloren hatte. Er war nicht ehrlich gewesen und unter diesen Umständen hatte eine Beziehung oder nur eine Freundschaft gar nicht gut gehen können. Vielleicht hatte Tom Recht, vielleicht war er einfach nicht reif genug für eine ernsthafte Beziehung. Er musste jetzt den Kopf frei bekommen. Das Elsass mit seinen Kräfte zehrenden Anstiegen wäre das ideale Terrain dafür. Er war viel zu lange im Urlaub gewesen, jetzt wollte er nur noch eins, nach Hause.

Valverde3007
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Beitrag: # 6760275Beitrag Valverde3007
25.3.2009 - 17:40

„Das war nicht so vereinbart!“
Wütend schaute er auf den Mann, der ihm gegenüber ruhig wie gewohnt im Sessel saß, während er selber unruhig in dem geräumigen Büro auf und ab ging.
„Die Bedingungen, damit ich bei euch unterschreibe, waren klar. Ich sollte alle Freiheiten bekommen. Jetzt möchte ich, dass du dich daran hältst. Johan, wir hatten einen Deal.“
Er wusste, dass der Deal in der Tat sehr schwammig gewesen war und dass er vieles als selbstverständlich vorausgesetzt hatte, weil er wusste, dass ihm alle Wünsche erfüllt werden würden. Doch Johan sah das anders. Sein langjähriger Freund, der ihm bei seinen größten Siegen stets helfend und beratend zur Seite gestanden hatte, fiel ihm nun in den Rücken.
„Hör mal zu Lance. Wir haben gesagt, dass du bei uns mit zur Tour darfst. Wir haben auch gesagt, dass wir für den stärksten Fahrer fahren werden. Nur können wir im Moment nicht darauf setzen, dass du so stark sein wirst, wie wir es von Alberto erwarten. Ich habe mit ihm gesprochen, er ist schon in einer brillanten Form. Diese Form wirst du vielleicht nie mehr erreichen.“
Glaubte Johan tatsächlich, dass dieser junge Spanier stärker sei als er, der dominante Rundfahrer des letzten Jahrzehnts? Da hatte er sich gewaltig geirrt.
„Abgesehen davon, dass ich sicher bin, dass ich stärker sein werde, steht das hier nicht zur Diskussion. Mir wurde zugesichert, dass ich als Kapitän zur Tour darf. Du kannst keinen Rückzieher machen.“
Johans Gesichtszüge wurden nun härter, seine Geduld schien nun aufgebraucht zu sein.
„Halt! Wir haben dir nie zugesagt, dass du als alleiniger Kapitän die Tour de France fahren darfst. Der Giro gehört dir, aber bei der Tour bist du nur unser zweiter Trumpf. Dort soll der stärkste gewinnen.“
Lance unterbrach ihn mit einem sarkastischen Lachen.
„Der Giro. Wir haben oft darüber gesprochen und du weißt, wie ich zu dem Thema stehe. Der Giro bedeutet mir nichts. Wenn ich ihn gewinne, werde ich mich freuen, aber nicht mehr als bei der Dauphine oder der Tour de Suisse. Für mich zählt nur ein Rennen und das lasse ich mir nicht nehmen.“
„Du wirst die Entscheidung akzeptieren müssen. Mir ist auch nicht ganz wohl bei der Sache, aber ich habe die Teamleitung im Nacken und die Sponsoren. Alberto hat letztes Jahr die Vuelta und den Giro gewonnen, im Jahr davor die Tour. Mit ihm haben wir den Sieg fast sicher. Wenn er ausfällt oder einen schlechten Tag hat, dann schlägt deine Stunde.“
„Darauf will und kann ich nicht hoffen. Glaubst du, ich bin zurückgekommen um zweiter zu werden? Das kannst du vergessen. Als Edelhelfer fahre ich nicht zur Tour.“
Johan seufzte auf. So weit hatte es nicht kommen sollen. Das Gespräch eskalierte. Es war unvermeidlich gewesen und doch wollten beide Männer nicht, dass ihre Freundschaft an diesem Machtkampf zerschellte. Sieben lange Jahre waren sie zusammen durch alle Schwierigkeiten gegangen und hatten ein perfektionistisches System aufgebaut, in dem jedes Zahnrad in das nächste passte. Bei diesem Team, mit dieser Quantität an Rennfahrern der absoluten Spitzenklasse, hätten sie das System noch eine Stufe weiter entwickeln können. Mit dem Unterschied, dass die letzte Zündstufe der Rakete dieses mal nicht der Amerikaner sein sollte, sondern sein zwölf Jahre jüngerer Konkurrent aus dem eigenen Lager. Diesen zustand konnte und wollte Lance nicht akzeptieren.
„Die Tour ist doch ideal für mich. Ein Mannschaftszeitfahren, leicht kontrollierbare Bergetappen und am Ende ein langes Zeitfahren und der Mont Ventoux. Es ist einfach perfekt, als hätten die Organisatoren die Tour extra für mich geplant. Das ist eine einmalige Chance ein achtes Mal die Tour zu gewinnen. Das kann ich mir nicht entgehen lassen.“
„Die Tour mag dir ja liegen, aber Alberto wird dich schlagen. Du hast selber gesagt, dass er der stärkste Fahrer ist. Erinnere dich an das Trainingslager. Du hast mit deinen eigenen Augen gesehen, was in ihm steckt.“
„Das ist mir gleich. Ich will eine Entscheidung. Alberto oder ich. Er hatte Recht. Ein Team mit zwei Kapitänen funktioniert nicht. Ich will eine Entscheidung von dir. Bist du für mich oder gegen mich.“
Johan runzelte die Stirn. Er fragte sich, wie oft er die Hartnäckigkeit und Sturköpfigkeit schon hatte erleben müssen. Doch bisher war sie kaum zu seinem Nachteil gewesen. Jetzt hing an seiner Antwort die Zukunft des Verhältnisses zwischen Lance, ihm und dem Team. Er versuchte das Gespräch zu beruhigen und Lance zu beschwichtigen. Den Skandal, dass Lance sich gegen sein Team stellte, musste er unbedingt vermeiden.
„Ich bin auf deiner Seite. Am liebsten würde ich Alberto als deinen Edelhelfer einsetzen. Aber die Entscheidung liegt nicht in meiner Hand. Ich habe schon mit den Sponsoren und den anderen sportlichen Leitern gesprochen. Sie sehen Alberto als Kapitän. Das musst du akzeptieren oder…“
Er brach den Satz ab und eine kurze Stille durchbrach ihren heftigen Wortwechsel. Lance sah ein, dass das Gespräch zu nichts mehr führen würde. Er hatte sich in Astana getäuscht. Sie hatten ihm nur leere Versprechungen gemacht, aber Lance hatte darauf gesetzt, dass Johan es durchsetzen würde, dass wie früher alles auf Lance ausgerichtet wurde. Doch die Umstände hatten sich gewandelt. Zu Beginn, als er sein Comeback verkündete, dachte er, dass sein Ruf noch so ausgezeichnet wäre, dass niemand an seiner Führungsposition zweifeln würde. Im Trainingslager in Teneriffa hatten dann alle erkennen müssen, dass Alberto eindeutig der spritzigere war. Lance war nach seiner langen Pause zwar bemerkenswert in Form gewesen, doch für den spanischen Bergfloh hatten seine Kräfte noch nicht gereicht. Nun blieb nur eine Chance. Johan hatte die Alternative einer einvernehmlichen Lösung ausgeschlossen. Lance wollte als Kapitän zur Tour. Er konnte Johans Satz also nur auf eine Art und Weise beenden.
„…oder ich suche mir ein anderes Team.“
Es folgte ein weiteres kurzes betretenes Schweigen. Die beiden sahen sich gegenseitig an und Lance konnte in Johans Augen eindeutig Bedauern erkennen, dass es nie mehr so wie früher werden würde. Dann durchbrach Johan die Stille.
„Anders geht es nicht. Aber vergiss das mit dem neuen Team. Bei uns bist du optimal aufgehoben. Du gewinnst den Giro, wirst zweiter bei der Tour, gehst als zweimaliges Comeback des Jahrhunderts in die Geschichte ein und bekommst massig Geld für deine Stiftung.“
„Nein, das reicht mir nicht. Werbung kann ich einfacher machen. Dass ich zurückkommen kann, habe ich schon bewiesen. Gib mir Bedenkzeit, ich kann das nicht auf die schnelle entscheiden.“
„Das ist wahrscheinlich vorläufig das Beste. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Du hast meine Rückendeckung. Aber bitte bleib bei uns. Ich habe mich auf unsere Zusammenarbeit gefreut und es wäre schade sie so schnell wieder zu beenden.“
„Das wäre es in der Tat. Ich habe noch eine Alternative, die akzeptabel wäre. Ich muss in den nächsten Tagen ein paar Leute treffen und dann werde ich eine Entscheidung fällen.“
„Triff die richtige. Dann wird es wieder so wie früher.“
„Ja, das wird es.“
Plötzlich kam Lance eine Idee, die ihn sofort begeisterte. Er verabschiedete sich bei Johan und verließ das Büro. Er fuhr mit dem Aufzug ins Parkhaus im Untergeschoss und ging zu seinem Wagen. Die letzten Meter zu seinem Wagen legte er joggend zurück, dann sprang er hinters Lenkrad und verließ das Parkhaus mit quietschenden Reifen. Einer seiner alten Freunde konnte ihm nicht helfen, doch er kannte einen weiteren, der ihn mit Kusshand empfangen würde.

Valverde3007
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Beitrag: # 6760907Beitrag Valverde3007
31.3.2009 - 13:08

Langsam ließ er den Blick über den Kiesstrand, der vor ihm lag, auf die blaue See hinauswandern. Er war lange nicht hier gewesen, nachdem er früher viele Jahre hier gelebt hatte. Der Strand war wie es zu der Jahreszeit typisch war beinahe leer, nur vereinzelt saßen Menschen am Meer und genossen die traumhafte Aussicht. Einige Meter spielten zwei Kinder und warfen kleine Steine in das Wasser. Vergnügt beobachtete er das Spiel der kleinen und lehnte sich noch weiter mit seinem Körper auf die weißen Begrenzungspfeiler, die den Strand von der etwas höher gelegenen Promenade des Anglais trennte. Das wurde ihm beinahe zum Verhängnis, da er plötzlich einen heftigen Schubser auf den Rücken erhielt, weswegen er beinahe das Gleichgewicht verlor. Im nächsten Moment wurde er aber auch schon festgehalten. Er drehte sich um und sah seinem alten Freund in die Augen. Als dieser den Schreck in Lances Augen erkannte, fing er augenblicklich an zu lachen.
„Mensch, Chef, das war doch nicht so gemeint, ich wollte dich nur ein bisschen erschrecken.“
„Kannst du dir gar nicht vorstellen, dass man so leicht das Gleichgewicht verliert? Naja, wir haben dich damals nicht umsonst „el gato“ genannt.“
Er versuchte noch kurz, vorwurfsvoll zu gucken, bis er in das Gelächter einstimmte und seinen Freund herzlich umarmte.
„Schön dich zu sehen, Jonathan. Es ist viel zu lange her.“
„Das kannst du laut sagen. Du wolltest mich treffen. Worum geht es?“
„Das ist eine längere Geschichte. Lass uns ein Stückchen gehen.“
Sie wandten sich vom Strand ab und schlenderten ein Stück weiter am Mittelmeer entlang. Nachdem Lance kurz noch einmal in Gedanken sein Anliegen durchgegangen war, begann er Jonathan die verzwickte Situation zu erklären.
„Wie du ja weißt, habe ich einen Vertrag bei Astana unterzeichnet. Ich war mir sicher, dass ich unter Johans Führung alle Freiheiten haben würde und dort meine Pläne verwirklichen könnte. Aber es ist nicht mehr so wie früher. Schau mich nicht so an.“
Jonathan hatte ihm einen oberlehrerhaften Blick zugeworfen und obwohl Lance wusste, dass sein Freund Recht hatte, wollte er es sich nicht eingestehen, dass er einen Fehler begangen hatte.
„Ich habe es dir gleich gesagt, Lance, dass du dir keinen Gefallen damit tust, zu Astana zu wechseln. Nicht jeder traut dir ein Comeback zu, obwohl du wohl der einzige bist, der ihn schlagen kann, solange Levi nicht auf eigene Kappe fährt.“
„Stimmt, aber die sonstigen Angebote hätten mich kaum weiter gebracht. Quickstep hätte niemals ein akzeptables Team auf die Beine gestellt. Alleine kann ich das Rennen nicht kontrollieren.“
„Und jetzt kommst du zu uns. Pass auf Lance!“
Sie waren gerade dabei einen Zebrastreifen zu überqueren, als ein französischer Autofahrer übermütig an ihnen vorbeirasen wollte. Beinahe hätte er Lance erwischt, wenn er nicht im letzten Moment von Jonathan gewarnt worden wäre. Der Zwischenfall kam Lance entgegen, da er das Gespräch erst einmal in eine andere Richtung lenken konnte. Jonathan hatte ausgesprochen, was Lance sich gedacht hatte. Die nächsten Minuten verbrachten sie nun jedoch damit über Franzosen und ihre Art des Autofahrens zu lästern. Als sie den Place de Massena erreichten, kam Jonathan aber von einer auf die nächste Sekunde wieder zum Thema zurück.
„Schau dir die ganzen Prachtwerke an. Die riesigen Statuen und Fontänen. Genau so ein Denkmal hattest du dir errichtet. Warum kommst du überhaupt zurück. Das einzige, was du damit erreichst ist, dass du deinen Mythos zerstörst. Contador wird dich bei der Tour degradieren und du wirst deinen sieben Toursiegen nur mickrige Helferdienste hinzufügen können. Was soll das?“
„Wenn ich auf Sieg fahren kann, wird der Mythos noch weiter vergrößert. Außerdem kann ich Livestrong so noch mehr in den Mittelpunkt schieben. Ich kann nicht ohne den Radsport und ich will mir später nicht vorwerfen müssen, ich hätte weitere Möglichkeiten verschenkt, Rennen zu fahren und zu gewinnen. Dafür muss ich weg von Astana, die kleinen Teams helfen mir auch nicht. Gib mir die Chance, bei euch zu fahren.“
Er hatte es ausgesprochen. Wenn Jonathan sich dazu durchringen könnte, ihn zu unterstützen, wäre seine Ausgangssituation schlagartig besser geworden. Sein Team war so stark, dass es Lance unterstützen konnte, außerdem kannte er außer Jonathan noch viele Fahrer von früher. Obwohl Jonathan sich bestimmt auf eine Anfrage in dieser Richtung vorbereitet hatte, war ihm die Überraschung doch anzusehen. Er setzte sich auf die kleine Steinmauer neben der „fontaine du soleil“. Jonathan schwieg kurz und antwortete dann ruhig.
„Wie stellst du dir das vor? Du hast doch bestimmt finanzielle Forderungen. Und wie sieht es aus mit dem Personal. Bringst du Betreuer mit oder gar neue Fahrer?“
Lance begriff, dass Jonathan viele Dinge abwägen musste, bis er ihm eine Zusage geben könnte, deshalb versuchte er ihn nun mit Versprechen zu locken. Er lächelte kurz.
„Auf jeden Fall bringe ich Sponsoren mit. Und jede Menge Publicity. Stell dir vor, wie der Sponsor in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, wenn einer der größten Radsportler aller Zeiten bei seinem Team fährt.“
„Den Vorschlag kann ich ihnen auf jeden Fall unterbreiten. Ich würde mich freuen, wenn du in unserem Team fahren würdest. Und die anderen würden dich sicher wieder empfangen. Was ist mit zusätzlichem Personal?“
„Ich habe da zwei alte Teamkollegen im Blick. Mit denen bist du auch noch zusammen gefahren.“
„Das ganze ist auf jeden Fall eine Überlegung wert. Mensch, Lance, das wäre was, wenn du doch noch zu uns kommst. Im September hatte Astana ja ganz schnell das Rennen gemacht. Wir hatten kaum eine Chance. Lassen sie dich überhaupt gehen?“
„Bestimmt. Ich habe einige Klauseln in meinem Vertrag und außerdem wird Johan sich für mich einsetzen. Alberto, Levi und Klöden werden auch nichts dagegen haben, damit hätten sie einen Konkurrent weniger.“
„Das hört sich doch gut an. So spontan kann ich dir zwar keine Zusage machen, aber ich denke, das wird schon funktionieren. Einen Lance Armstrong lehnt man nicht ab. Ich habe den ganze Tag noch nichts gegessen. Komm, lass uns ein schönes, gemütliches Restaurant suchen, da können wir schon mal einiges besprechen.“
„Meinetwegen.“
Sie standen auf und gingen weiter. Jonathan hatte seinen Vorschlag gut aufgenommen, sein Team würde ihn verpflichten, da war Lance sich sicher. Es gab zwar noch einige vertragliche Hürden zu überwinden, doch es würde gelingen. Astana war ein Fehlgriff gewesen. Sie waren selber Schuld, sie hatten ihn hintergangen. Das würde er ihnen heimzahlen. Spätestens im Juli.

Valverde3007
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Beitrag: # 6762597Beitrag Valverde3007
16.4.2009 - 15:34

Leider muss ich sagen, dass ich diesen AAR vorerst unterbrechen muss. Das liegt vor allem daran, dass ich so langsam mit der Saison beginnen wollte, aber keine spielbare Version mit einer anständigen Database für meine Bedürfnisse habe.
Außerdem habe ich hinsichtlich der Story ohnehin kreative Probleme. Deshalb wird dieser AAR wohl vorerst bis Juli/August oder noch später unterbrochen. Eine Fortsetzung ist zu gegebener Zeit aber geplant.
Ich darf mich fürs erste bei denen bedanken, die mich mit ihren hilfreichen Kommentaren und ihrem Lob und Interesse unterstützt haben.

Stattdessen werde ich in der Zwischenzeit ein anderes Werk in Angriff nehmen, das in der Form auch noch nie da gewesen ist und bestimmt einigen gefallen wird. Alles weiter dann aber im neuen Thread, ein bisschen Werbung muss aber sein.

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