Siggi Rauch: Milch, Schweiß und Tränen

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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Shimano
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Siggi Rauch: Milch, Schweiß und Tränen

Beitrag: # 6731760Beitrag Shimano
21.8.2008 - 11:19

Nachdem mein TEAM TEMPO - Spielstand flöten gegangen ist und ich den AAR beenden musste, bevor er überhaupt richtig angefangen hat, beginne ich nun hier ein neues Projekt. Erst einmal die Formalitäten:

Spiel: RSM 2003/2004 ver. 1.3r
DB: PPDBFinal2003
Art: Karriere

Rechtlicher Hinweis:
Es handelt sich bei diesem AAR um eine rein fiktive Geschichte, die nichts aber auch rein gar nichts mit der Realität zu tun hat. Sollte eine der real existierenden Personen oder Firmen etwas gegen die Veröffentlichung haben, so bitte ich, mir dies per E-Mail an hoover2701_at_yahoo.de mitzuteilen.

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Shimano
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Der Anruf

Beitrag: # 6731762Beitrag Shimano
21.8.2008 - 11:28

Der Anruf

01.01.2003

Das Telefon klingelte. Mir brummte der Schädel. Ich vollzog eine halbe Drehung und linste in Richtung Wecker. Neun Uhr? Wer zum Teufel rief neun Stunden nach Jahreswechsel bei mir an? Mühsam erhob ich mich und torkelte Richtung Wohnzimmer. „Jaja, is ja gut, bin schon unterwegs!“, murmelte ich und stieß mit dem Fuß gegen den Türrahmen. „Verflucht!“, presste ich hervor, hüpfte die letzten Meter zum Sofa und ließ mich fallen. Ich nahm den Hörer ab.

„Rauch!“, röchelte ich.
„Siggi, alte Säge! Du bist schon wach?“
Ich erkannte die Stimme. „Johann? Scheisse! Weißt Du eigentlich, was heute für ein Tag ist?“, fragte ich.
„Klar weiß ich das!“, tönte es mir entgegen. „Es ist Dein Glückstag! Neues Jahr, neuer Job! Alles wird gut!“
Ich verstand kein Wort. „Du bist doch noch betrunken!“, murmelte ich und fasste mir an den Kopf. Diese Kopfschmerzen musste ich sofort bekämpfen. Ich stand auf und wankte in Richtung Küche.
„Von wegen betrunken!“, schrie Johann. „Ich bin im Gegensatz zu Dir berufstätig und kann es mir nicht erlauben, mich Silvester volllaufen zu lassen. So jetzt hör‘ mir zu!“
Eine Frechheit war das! „Ich bin auch berufstätig!“, unterbrach ich ihn. Mit der freien Hand fingerte ich eine Aspirin aus der Packung und ließ sie in ein Glas Wasser plumpsen.
„Das nennst Du berufstätig? Als freier Journalist Fußball-Regionalligaspiele für irgendwelche Käseblätter zusammenzufassen? Oder Interviews mit dem Altonaer Schützenkönig zu führen? Siggi, das ist kein Job, das ist eine Krankheit!“
Meine Kopfschmerzen wurden schlimmer. In einem Zug leerte ich das Glas und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. „Das ist mein Job, Johann, ja! Er muss Dir nicht gefallen. Wichtig ist, dass er mir gefällt!“
„Er gefällt Dir nicht! Er kotzt Dich an! Seit zwei Jahren trittst Du auf der Stelle und kriegst nichts gebacken. Du kommst nicht vorwärts. Nichts verändert sich in Deinem Leben. Du vergehst vor Selbstmitleid und fügst Dich in ein Leben, das Du nie führen wolltest! Du kannst das jetzt ändern!“
Das hatte gesessen! Es entstand eine Pause. Wäre der Gesprächspartner nicht Johann gewesen, so hätte man von einer unangenehmen Pause sprechen müssen, aber er war mein bester Freund seit Jugendtagen. Er war der einzige Mensch auf der Welt, der so zu mir sprechen durfte. Und er war der Einzige, der es auch tat. Ich fühlte mich trotzdem angegriffen und verletzt.
„Was willst Du?“, presste ich hervor.
„Ich brauche Deine Hilfe.“, sagte Johann. „Ich brauche jemanden, der mich bei meiner Tätigkeit unterstützt. Jemand, dem ich zu 100% vertrauen kann, der Erfahrung im Umgang mit den Medien und Ahnung von Leistungssport hat. Jemand, der Fremdsprachen spricht und bereit ist, um die halbe Welt zu reisen. Ich weiß, dass Du all diese Voraussetzungen erfüllst.“ Nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: „ Ach so, teamfähig sollte er auch sein. Daran müsstest Du allerdings noch ein bisschen arbeiten!“
Jetzt war das Fass voll! „Mann, Johann! Erst meldest Du Dich ein halbes Jahr überhaupt nicht bei mir und dann rufst Du mich am Neujahrsmorgen an, knallst mir verletzende Wahrheiten an den Kopf und willst mir einen Job verpassen? Sind das etwa Deine guten Vorsätze für das neue Jahr? Was für eine Tätigkeit soll das sein? Hat es etwas mit dem Vertrieb von diesen Rennrädern zu tun? Arbeitest Du noch für die Halsabschneider? Wenn ja, dann sag Ihnen, dass sie sich ihr Jobangebot in den braunen Salon schieben können! Mit denen will ich nichts zu tun haben!“
Meine Kopfschmerzen ließen langsam nach. Dafür kochte jetzt langsam Wut in mir hoch. Was sollte diese ganze Aktion?
„Pass auf, Johann!“, sagte ich. „Ich gehe jetzt wieder ins Bett und schlafe mich erst mal aus, ok? Wir können ja nachher nochmal telefonieren.“
An Johanns Stimme erkannte ich, dass auch er wütend war. „Jetzt hörst Du mir mal zu, Siggi!“, flüsterte er. „Mag sein, dass ich mich ein halbes Jahr nicht bei Dir gemeldet habe. Aber hast Du Dich bei mir gemeldet? Hättest Du mich heute angerufen, um mir ein Frohes Neues Jahr zu wünschen? Auf wessen Initiative hat denn unser letztes Treffen stattgefunden?“
Wieder entstand eine Pause. Dieses Mal war sie unangenehm.
Johann fuhr fort: „Ich rufe Dich an, weil Du mein bester Freund bist und ich Deine Hilfe brauche. Und Du solltest zusagen, weil Du meine Hilfe brauchst. Es hat nichts mit dem Fahrradvertrieb zu tun, damit bin ich längst durch. Ich habe einen neuen Job, oder besser formuliert eine neue Berufung. Ich habe endlich wieder eine echte Aufgabe und will sie dieses Mal nicht in den Sand setzen, verstehst Du?“
Ich verstand gar nichts, aber bevor ich noch etwas sagen konnte, redete Johann weiter: „Ich könnte Deine Fähigkeiten als Sportjournalist, Deine menschlichen Qualitäten und nicht zuletzt unsere Freundschaft bei der Umsetzung meiner Ziele gut gebrauchen. Das hört sich jetzt vielleicht sehr egoistisch an, aber ich bin mir sicher, dass auch Du diesen Schritt nicht bereuen würdest. Du könntest neu anfangen und versuchen, die beiden letzten Jahre zu vergessen. Seit Anna weg ist, hast Du Dich komplett aufgegeben. Du bist nicht mehr der Siggi, den ich mal gekannt habe. Ich will, dass Du wieder ein echtes Ziel vor Augen hast und das kann ich Dir anbieten.“
Ich war wie gelähmt. Johann hatte mir gerade den KO-Schlag versetzt. Ich ließ mich auf den Küchenhocker plumpsen und atmete tief durch.
„Ich will Dich sehen, Siggi!“, durchbrach Johann die Stille. „Wir könnten alles ganz in Ruhe bereden. Wenn Du dann immer noch der Meinung bist, dass Du mit der Sache nichts zu tun haben willst, bitte! Aber gib mir eine Chance. OK?“
Mir war schwindelig. „OK.“, murmelte ich. „Ich hör’s mir an. Kommst Du vorbei?“
Johann kicherte: „Ich bin nicht in Hamburg. Nein, Du musst zu mir kommen, ich kann hier nicht weg. Schaffst Du es, morgen herzukommen. Du müsstest allerdings Bahn fahren, oder hast Du mittlerweile wieder ein Auto?“
„Nein.“, entgegnete ich. „Wo muss ich hin?“
Ich hörte Papierrascheln durch den Hörer.
„Nach Trier. Abfahrt morgen früh ab Hamburg Hauptbahnhof um drei Minuten nach acht. Morgens! Ankunft Trier Hauptbahnhof ist um zehn vor drei. Ich hole Dich dann dort ab. Kann ich auf Dich zählen?“, fragte Johann.
„Ja, kannst Du.“, antwortete ich matt.
„Super, ich freue mich! Bis dann! Und: Frohes Neues Jahr, Siggi!“
„Ja, Frohes Neues Jahr, Johann!“, sagte ich und legte den Hörer auf.

Nach Trier…

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Shimano
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Nach Trier

Beitrag: # 6731769Beitrag Shimano
21.8.2008 - 14:00

Nach Trier

02.01.2003

Ich schaute aus dem Fenster. Die Landschaft rauschte vorbei. Das trübe Grau des Himmels verschmolz am Horizont mit dem tief über den Feldern hängenden Nebel. Ich gähnte und griff nach dem Mitropa-Kaffee, der vor mir stand. Bahnfahren machte müde und morgens Bahnfahren machte noch müder.

In Gedanken ließ ich das gestrige Telefonat mit Johann noch einmal Revue passieren. Johann hatte mich kalt erwischt. Mein Leben war festgefahren, seit Anna mich verlassen hatte. Anna! Was machte sie wohl? Ob sie auch ab und zu an mich denken musste? „Unwahrscheinlich!“, dachte ich und wischte den Gedanken beiseite. Unsere gemeinsame Geschichte war geschrieben und beendet und es gab keinerlei Grund, sich diesbezüglich falsche Hoffnungen zu machen. Das Problem war nur, dass es Anna gewesen war, die das Ende der Geschichte formuliert hatte und ich mir wie ein Co-Autor vorkam, der einfach übergangen worden war und keine Chance hatte, die wichtigste Passage in dem Buch umzuschreiben, bevor es in Druck ging.

Sonnenstrahlen durchbrachen den Nebel und tauchten die Landschaft in ein unwirkliches, fahlgelbes Licht. Ich nippte an meinem Pappbecher. Pfui, diese Mitropa-Plörre war einfach nur widerlich.

Was zum Teufel machte Johann in Trier? Als wir uns das letzte Mal in meiner Hamburger Wohnung getroffen hatten, war er noch bei NovoVelo beschäftigt, einem aufstrebenden südamerikanischen Radsportunternehmen, welches neue Vertriebskanäle in Europa suchte. Johann war zwar ein Spezialist in Sachen Radrennsport, aber ein Vertriebler war er nicht und er würde es auch nie werden. Er hatte damals jedoch keine andere Wahl, denn er war seit mehr als drei Jahren bereits auf der Suche nach einem vernünftigen Job.

Früher hatte er erfolgreich als Teammanager bei einem Radteam in der zweiten Division gearbeitet. Ich selber interessierte mich trotz meines Berufes in keinster Weise für den Radsport. Ich benutzte mein Fahrrad nur, um sonntags Brötchen zu holen und konnte partout nicht verstehen, was daran toll sein sollte, auf einem Drahtesel zusammen mit hundert anderen Fahrern in ihren Pimmelzeigerhosen über Berge auf abgesperrten Straßen zu pedalieren.

Ganz anders Johann: Er war so lange ich denken kann vom Radsport fasziniert. Schon mit elf, zwölf Jahren nahm er an Radrennen teil und trainierte wie ein Verrückter. Mit 19 erhielt er ein Angebot von einem Zweitliga-Team, für das er fast vier Jahre lang fuhr und dabei mehrere Rennen gewann. Sein größter Erfolg war der zweite Platz bei irgendeiner U23-EM. Muss irgendwann in den frühen Neunzigern gewesen sein.

Dann schlug das Schicksal mit voller Härte zu: Johanns Eltern kamen bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Er selber hatte ebenfalls im Auto gesessen und kam mit dem Leben davon. Allerdings hatte er mehrere schwere Knochenfrakturen in beiden Beinen erlitten und es war ein Wunder, dass ihm das rechte Bein nicht amputiert werden musste. Mal abgesehen davon, dass man sich von einem solchen Schicksalsschlag psychisch nie wieder ganz erholen kann, kam bei Johann noch hinzu, dass er seine Karriere als Radsportprofi ebenfalls an den Nagel hängen musste. Ich kann mich erinnern als sei es gestern gewesen, dass ich bei ihm am Krankenhausbett saß und ihm stundenlang nur die Hand hielt, während er die ganze Zeit nur weinte und wimmerte. Der Verlust seiner Eltern wog natürlich viel schwerer als der Verlust der beruflichen Perspektive, doch nachdem er seine Psyche halbwegs wieder im Griff hatte und den Vorfall mit psychologischer Betreuung als Teil seines Lebens zu akzeptieren versuchte, wurde ihm klar, dass er mehr als nur seine Eltern verloren hatte. Er hatte auch einen Teil von sich selbst verloren. In dieser Zeit besuchte ich Johann oft und versuchte mit ihm zu reden. Meistens aber saßen wir nur da und sagten nichts. Ich hoffte, dass meine Anwesenheit seine Trauer zumindest etwas mildern würde.

Sein damaliger Arbeitgeber rettete Johann dann letztendlich von seiner Lethargie, indem er an ihm festhielt und in die Teamleitungs-Assistenz übernahm. Wäre das nicht passiert, ich könnte nicht garantieren, dass Johann heute noch am Leben wäre. Sein neuer Arbeitsbereich stellte sich dann als seine wahre Berufung heraus. Schnell lernte er zu koordinieren und richtige Entscheidungen zu treffen. Jeder konnte erkennen, dass es Johanns Handschrift war, die zu immer neuen Erfolgen für sein Team führten. So erschien es nur folgerichtig, dass er zum sportlichen Leiter des Teams befördert wurde. Fast fünf Jahre waren seit dem Unfall vergangen und sein Team hatte den Sprung in die erste Division geschafft. Der Erfolg und die Anerkennung hatten aus Johann einen anderen Menschen gemacht. Er war wieder der alte ehrgeizige Johann von früher.

Alles lief nach Plan, bis es im Zuge einer spektakulären Neuverpflichtung des Rennstalls als Verstärkung für die erste Saison in Division 1 zu einer unerklärlichen Unterschlagung von Geldern kam. Man munkelte etwas von Handgeld und inoffiziellen Vermittlungsgeldern, die gezahlt worden waren. Alles ohne Wissen des Managements und der Sponsoren. Johann wurde damals von seinem Arbeitgeber verdächtigt, die Hauptschuld an der Unterschlagung zu tragen und sah sich mit seiner fristlosen Kündigung und einer Klage konfrontiert. Zwar konnte ihm in dem darauffolgenden Prozess die Schuld nicht nachgewiesen werden, aber ebenso wenig konnte Johann seine Unschuld beweisen. An eine weitere Tätigkeit im professionellen Radsportbereich geschweige denn als sportlicher Leiter eines Rennstalls war nicht im Traum zu denken.

Zum zweiten Mal in seinem jungen Leben fiel Johann in ein tiefes Loch und im Gegensatz zum ersten Schicksalsschlag ließ er mich nun nicht mehr so nah an sich heran, als dass ich sagen könnte, was sich damals wirklich zugetragen hat. Immer wenn ich ihn darauf angesprochen hatte, wich er aus und tat das Ganze als für unsere Freundschaft unwichtig ab. In der Folgezeit hielt sich Johann mit diversen Jobs über Wasser. Der letzte, von dem ich weiß, war die Vertriebstätigkeit bei NovoVelo, aber das war ja nun anscheinend Geschichte.

„Entschuldigen Sie, ist hier noch frei?“
Aus meinen Gedanken gerissen blickte ich hoch. Eine junge Frau stand vor mir und zeigte auf den Platz neben mir.
„Oh, äh, ja, natürlich.“, sagte ich und schaute aus dem Fenster. „Wo sind wir denn hier?“, fragte ich.
„In der ältesten Stadt Deutschlands.“, entgegnete sie. Ich guckte sie wohl ziemlich dümmlich an, denn sie fügte sofort hinzu: „In Trier.“
„Scheisse!“, rief ich, raffte meine Sachen zusammen und stolperte den Gang in Richtung Ausgang entlang.

Ricardo84
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Beitrag: # 6731772Beitrag Ricardo84
21.8.2008 - 14:38

Bisher gibt es hier gar nichts zu bemängeln, deine ersten zwei Posts (vor allem der zweite) gefallen mir super.

Weiter so, irgendwie war mir schon lange kein AAR auf den ersten Blick so sympathisch!!

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Beitrag: # 6731788Beitrag Shimano
21.8.2008 - 17:05

Ricardo84 hat geschrieben:Bisher gibt es hier gar nichts zu bemängeln, deine ersten zwei Posts (vor allem der zweite) gefallen mir super.

Weiter so, irgendwie war mir schon lange kein AAR auf den ersten Blick so sympathisch!!
Danke! Ich hoffe, ich kann die Sympathie auch weiter rechtfertigen.

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Thalfang?

Beitrag: # 6731790Beitrag Shimano
21.8.2008 - 17:15

Thalfang?

Etwas verloren blickte ich mich auf dem Bahnsteig um, nachdem ich in letzter Sekunde den ICE hatte verlassen können.
„Siggi! Hier!“, hörte ich eine vertraute Stimme rufen.
„Grüß Dich, Johann!“, entgegnete ich und nahm meinen Freund in den Arm.
„Schön, dass Du hier bist! Komm, ich nehme Dir die Tasche ab, mein Auto steht da hinten.“, er deutete in Richtung Ausgang.
Während wir uns durch die Menge schoben, musterte mich Johann mit prüfendem Blick.
„Schlecht siehst Du aus!“, sagte er.
„Danke!“, blaffte ich ihn an. „Leider kann ich das Kompliment nicht zurückgeben.“

In der Tat sah Johann gesund und energisch aus. Seine Augen funkelten und ein zufriedenes Lächeln umspielte seinen Mund. Kaum zu glauben, dass es sich um denselben Menschen handelte, der noch vor sechs Monaten wie ein Häufchen Elend auf der Couch in meiner Hamburger Wohnung über die Ungerechtigkeit der Welt schwadroniert hatte.

„Jetzt erzähl endlich, was Du machst, Johann. Du hast mich lange genug auf die Folter gespannt! Was gibt es hier so wichtiges zu tun, dass es Dich aus Hamburg weglocken kann?“, fragte ich, als wir seinen Wagen erreichten.
„Gleich!“, sagte er geheimnisvoll. „Los, steig ein!“
Wir fuhren aus dem Parkhaus und Johann machte das Radio an. Ich hatte jetzt endgültig die Faxen dicke.
„Es reicht, Johann!“, herrschte ich ihn an. „Was machst Du hier in Trier? Und vor allem: Was soll ich hier in Trier? Oder ist das alles nur eine Riesenverarsche? Raus mit der Sprache!“
„Nicht in Trier, in Thalfang.“, sagte Johann, als würde das alles erklären und ordnete sich in die Spur Richtung Autobahn ein.
„Thalfang?“, fragte ich. „Nie gehört. Wo ist das?“
„Ungefähr 30 Kilometer von hier. Ist ein Luftkurort direkt im Hunsrück. Wunderschön! Wir sind in 25 Minuten da.“, erklärte Johann.
Ich war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Ich riss mich zusammen und versuchte es noch einmal: „Ich bin nicht hier, um Urlaub zu machen! Was gibt es dort außer Bäumen, Bergen und frischer Luft? Komm schon! Erzähl endlich!“
„Die Allgäuer Alpenmilch GmbH hat dort ihren Sitz.“, sagte er feixend.
„Allgäuer Alpenmilch ? Im Hunsrück? Ich bin zwar ein Nordlicht, aber wenn mich nicht alles täuscht, dann liegt das Allgäu doch in Südbayern, oder?“, fragte ich. Mir war inzwischen alles egal. Ich würde nicht weiter bohren. Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen.
Johann lachte: „In Hamburg gibt es doch mit Sicherheit auch eine Dresdner Bank, oder? Die haben halt ihren Firmensitz irgendwann hierher verlegt, keine Ahnung. Auf jeden Fall sind sie jetzt mein neuer Arbeitgeber.“
„Du arbeitest für die Allgäuer Alpenmilch GmbH? Was machst Du da? Kühe melken?“, ich sah ihn fragend an.
Statt mir eine Antwort zu geben kramte Johann in seiner Westentasche herum und reichte mir dann eine Visitenkarte.
Ich las laut vor: „Johann Brauner, Verantwortlicher Sportlicher Leiter Team Bärenmarke.“
Johann sah mich grinsend an.
„Scheisse, Johann, Du bist wieder im Geschäft, oder? Ein Radrennstall? Team Bärenmarke? Die Bärenmarke? Die Dosenmilch?“, fragte ich.
„Fünfmal ja.“, lachte Johann. „Ich bin wieder da, Siggi! So, hier müssen wir runter.“ Er setzte den Blinker und wir verließen die Autobahn.
„Aber wie, ich meine, ich dachte Du und der Radsport, naja, Du weißt schon…“, stammelte ich und blickte ihn verständnislos an.
Sein Gesicht wurde für eine Sekunde sehr ernst, dann lächelte er wieder. „Später.“, sagte er. „Später, Siggi. Jetzt zeige ich Dir erst einmal meine neue Wirkungsstätte. Hier müssen wir hoch.“

Wir bogen auf eine Landstraße, die sachte bergauf ging. Ich blickte aus dem Fenster. Vom Hamburger Grau war hier nichts zu sehen. Ein klarer blauer Himmel thronte über den Wäldern des Hunsrück und die tiefstehende Sonne warf lange Schatten auf die umliegenden Felder. Hätte das Thermometer im Auto nicht lediglich 3° angezeigt, man hätte meinen können, es sei bereits Frühling.

„Ach guck mal!“, rief Johann plötzlich. „Du hast Glück! Da sind ein paar von unseren Angestellten!“ Ich sah nach vorne. Ja, jetzt konnte ich sie auch sehen. Fünf Radfahrer in türkisen Rennanzügen mit einem dicken Bärenmarke-Logo auf dem Rücken fuhren in gleichmäßigem Tempo den Berg hinauf.

Bild

Johann hupte, fuhr die Scheibe herunter und winkte der Truppe im Vorbeifahren zu. Die Fünf lachten und winkten zurück. Ich warf noch einen Blick in den Rückspiegel.
„Die sehen ja noch ziemlich jung aus. Sollen die Rennen gewinnen oder nur Erfahrung sammeln?“, fragte ich.
„Beides!“, antwortete Johann und feixte mich schelmisch an. Seine gute Laune war kaum zu ertragen.
„Kenne ich da einen von? Sind das deutsche Fahrer?“, wollte ich wissen.
Johann sah mich mitleidig an und antwortete dann: „Ich glaube kaum, dass Du einen von den Fünfen kennst. Das sind alles Nachwuchsfahrer, auf die wir große Hoffnungen setzen. Der, der ganz vorne gefahren ist, war Gerhard Trampusch, mit 25 Jahren schon einer der erfahrenen Fahrer in unserem Team. Der Blonde dahinter war Eric Baumann, ein Deutscher, 22 Jahre alt und eine unserer Sprinthoffnungen für die Zukunft. Die anderen drei sind unsere ‚Schweizer Garde‘: Grégory Rast, David Loosli und Johann Tschopp, auch alle noch unter 23 Jahre alt.
Johann hatte recht, ich kannte keinen der Fünf. „Und wer ist dein bester Fahrer? Der Mannschaftsführer? So was gibt’s doch im Radsport auch, oder?“
„Das heißt Kapitän, Siggi!“, sagte Johann vorwurfsvoll und schüttelte mit dem Kopf.
„Dann eben Kapitän. Wer ist er?“, wollte ich wissen.
„Später!“, vertröstete mich Johann.

Wir bogen in eine Einfahrt. Vor uns stand ein weißes Gebäude, das nicht wenig Ähnlichkeit mit einer Lagerhalle hatte. Über dem Eingang prangte ein großes Bärenmarke-Logo. Darüber stand in geschwungener Schrift: „TEAM BÄRENMARKE“.

„Wir sind da!“, sagte Johann und stellte den Motor ab.

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Fabian
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Beitrag: # 6731823Beitrag Fabian
21.8.2008 - 23:00

Wunderbar! Wenn ich das hier lese, bin ich richtig froh, dass dein Team-Tempo-Spielstand nicht mehr lief! Ehrlich, das ist inhaltlich wie auch sprachlich etwas vom Feinsten, das man momentan in diesem Forum zu Gesicht bekommt. Klasse!

Schnuider
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Beitrag: # 6731832Beitrag Schnuider
22.8.2008 - 0:55

toller beginn, werde deinen aar auf jeden fall lesen.
außerdem wunderbare trikos und räder :)
lest den zugehörigen aar und nehmt am tippspiel teil:
http://www.cyclingmanager.de/viewtopic.php?t=17595

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Shimano
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Beitrag: # 6731850Beitrag Shimano
22.8.2008 - 11:50

Danke Euch! :)

Ich bin selber fast froh, dass Team Tempo nicht mehr wollte. Dieser AAR lässt einem doch ein paar mehr künstlerische Freiheiten. Ich hoffe, dass ich auch weiterhin gut unterhalten kann.

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Conconuts
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Beitrag: # 6731851Beitrag Conconuts
22.8.2008 - 12:04

Geniale Geschichte bisher:) Ich warte schon ungeduldig auf weitere Abschnitte.

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Konzepte, Hormone und eine Entscheidung

Beitrag: # 6731852Beitrag Shimano
22.8.2008 - 12:15

Konzepte, Hormone und eine Entscheidung

04.01.2003

Ich wurde noch vor dem Weckerklingeln wach. Von draußen hörte ich gedämpft den Hamburger Berufsverkehr. Die Nächte im Hunsrück waren so still gewesen, dass mir jetzt zum ersten Mal auffiel, wie laut Hamburg eigentlich war. Ich streckte mich, stand auf und wankte ins Badezimmer. Ich stellte mich unter die Dusche und schloss die Augen.

Die beiden letzten Tage hatten mich wachgerüttelt. Es war an der Zeit einen neuen Schritt zu vollziehen, mich weiterzuentwickeln, voranzuschreiten. Ich war geradezu euphorisch aus Thalfang zurückgekehrt. Nachdem wir dort angekommen waren, führte mich Johann zunächst in sein Büro und erzählte mir, wie er zu seinem neuen Engagement als Sportlicher Leiter beim Team Bärenmarke gekommen war. Über seinen alten Freund Jens Heppner, der immer noch aktiver Fahrer beim Team Wiesenhof war, hatte er vergangenen Herbst auf einer Radmesse den Kontakt zur Allgäuer Alpenmilch GmbH hergestellt. Diese hatte den Plan ins Auge gefasst, sich im Radsport zu engagieren, um den Bekanntheitsgrad der Marke Bärenmarke und der dazugehörigen Produktpalette im deutschsprachigen Raum zu erhöhen. Als Partner im Bereich Radsport hatte man bereits einen Trierer Großunternehmer ins Boot geholt, der unter anderem ein großes Fahrradfachgeschäft in Trier unterhielt. Sein Name: Ullrich Winterkorn. Zum Zwecke der Gründung des Teams Bärenmarke hatte Winterkorn eigens ein neues Unternehmen namens Winterkorn Radsport Management GmbH gegründet. Es mangelte allerdings an guten Kontakten innerhalb der Radsportszene und so suchte man bereits seit einem halben Jahr verzweifelt nach einer Person, die die Funktion des Sportlichen Leiters im Sinne der Allgäuer Alpenmilch GmbH ausüben konnte. Nach dem Gespräch mit Johann waren sowohl der Sponsor als auch Winterkorn begeistert vom Konzept, dem Know-How und den Kontakten meines besten Freundes. Seine eventuelle Verstrickung in die Unterschlagungsaffäre hatte zwar anfänglich für Irritationen gesorgt, aber Winterkorn hatte wohl einen Narren an Johann gefressen und sah für sich und sein Unternehmen eine riesige Chance, sich mit dem Konzept erfolgreich im professionellen Radsport zu etablieren. Zwar erhielt Johann vorerst nur einen Einjahresvertrag, aber das war für ihn wie eine Reinkarnation. Ich wusste, dass er alles dafür getan hätte, eine solche Chance zu bekommen und nun, da er sie hatte, würde er seine ganze Energie und Motivation auf die Erreichung aller Ziele setzen, die seine Arbeitgeber ihm auftrugen.

Die Ziele des Teams Bärenmarke waren klar formuliert. Man wollte möglichst schnell von der zweiten Division in die erste aufsteigen und hatte sich einen Zeitrahmen von maximal zwei Jahren für dieses Ziel gesetzt. Allerdings sollte man bereits im ersten aktiven Jahr einen Top 5 – Platz in Division 2 erreichen. Außerdem hatte man eine Liste mit prioritären Zusatzzielen erstellt, die vordere Platzierungen bei bestimmten Rennen und Rundfahrten vorsahen. Hierbei ging es natürlich hauptsächlich um Rennen, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit medialer Aufmerksamkeit verfolgt wurden. Während bislang alle potenziellen Kandidaten für die Position des Sportlichen Leiters für die Erreichung dieser Ziele ausländische Radfahrveteranen im Auge hatten, die ihren Leistungszenit längst überschritten hatten, punktete Johann mit einem komplett anderen konzeptionellen Ansatz. Seiner Meinung nach konnte es der Marke Bärenmarke nur zuträglich sein, wenn junge deutschsprachige Fahrer mit Zukunftspotenzial für das Team an den Start gingen. So würden die Medien auch Platzierungen unter den ersten Fünf als Erfolge anerkennen und gleichzeitig würde Team Bärenmarke als ein Rennstall wahrgenommen werden, der die Jugendarbeit förderte und dabei komplett auf Fahrer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz setzte. Dieses Konzept barg natürlich die Gefahr, dass mangelnde Erfahrung und jugendliche Unbekümmertheit zu ungewünschten Resultaten führten. Johann hatte daher vor, auf einen Kapitän zu setzen, der bereits auf eine mehrjährige Tätigkeit bei Teams aus der Division 1 zurückblicken konnte und trotzdem in das junge Team integriert werden konnte. Wiederum unter Vermittlung von Jens Heppner war es Johann gelungen, für diese Aufgabe Jörg Jaksche zu gewinnen, der bereits beim Team Polti, bei ONCE und beim Team Telekom unter Vertrag gestanden hatte. Überzeugt hatte ihn vor allem die Option, sich als Kapitän beweisen zu können. Aber auch die hochgesteckten Ziele und eine zumindest zweijährige finanzielle Sicherheit durch den Hauptsponsor Bärenmarke dürften ausschlaggebend für seine Entscheidung gewesen sein.

Johann war bei der Schilderung all dieser Details so euphorisch, dass mich sein Fieber regelrecht ansteckte. Ich konnte jetzt nachvollziehen, warum er damals innerhalb von ein paar Jahren vom kleinen Assistenten zum Sportlichen Leiter avancierte. Wäre mein Jobangebot ein Praktikum im Kaffeekochen für das Team Bärenmarke gewesen, ich hätte es wahrscheinlich sofort angenommen. Doch Johann erwartete dann doch etwas Anspruchsvolleres von mir. Er hatte mich für den Part des PR Managers vorgesehen. Zu meinen Aufgaben sollte die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gehören. Weiterhin sollte die interne Berichterstattung für unseren Webauftritt und sporadische Newsletter in meinem Zuständigkeitsbereich liegen. Auch die Promotionbetreuung unserer Fahrer sowie Assistenz von Teamleitung und Teamkoordination standen auf der Anforderungsliste, die Johann mir gegeben hatte. Trotz der entfachten Euphorie erbat ich mir zwei Tage Bedenkzeit. In der Vergangenheit hatte es sich für mich desöfteren ausgezahlt, Entscheidungen nicht im Affekt zu treffen. Johann hatte mich nur wissend angegrinst. „Verstehe, die alten Prinzipien!“, hatte er gesagt. Man konnte ihm einfach nichts vormachen.

Am nächsten Tag stellte Johann mich den wichtigsten Mitarbeitern vor. Hierbei hinterließen vor allem zwei Personen einen nachhaltigen Eindruck auf mich. Zunächst einmal war das Jan Fidelius. Ein Schweizer, der Johann als zweiter Sportlicher Leiter zur Seite stand und seinem Namen alle Ehre machte. Trotz seiner 45 Jahre wirkte er extrem jugendlich und kam mir teilweise wie eine Kopie von Johann auf Speed vor. Er hüpfte, fuchtelte mit den Händen und überschlug sich beim Sprechen, so dass ich durch den ohnehin vorhandenen Schweizer Akzent kaum etwas von dem verstehen konnte, was er von sich gab. Alle anderen jedoch schienen ihn zu verstehen und mit Sicherheit mochten sie ihn alle, denn sein Auftreten konnte man nur als hypermotiviert und mitreißend beschreiben. Die zweite Person, die mich nachhaltig beeindruckte war Julia Winterkorn, die Tochter von Ullrich Winterkorn und im Team Bärenmarke für die Teamkoordination verantwortlich. Sie war groß und schlank, hatte dunkelbraunes Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war und trug eine Brille, die ihren klassischen Typ noch mehr unterstrich. Ich schätzte sie auf Anfang dreißig und fragte mich zunächst, ob sie die Position nur aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Beziehung zur Geschäftsführung bekleiden durfte. Doch ihre Ausführungen zu den Aufgabenbereichen in ihrem Ressort wischten diese Vermutung schnell beiseite. Eine zielstrebige, seriöse und elegante Person mit einem unfassbaren Augenaufschlag ließ in mir hormonelle Verwirrungen aufkommen, die ich seit Jahren so nicht mehr an mir kannte. Die Art und Weise wie sie sich wiederholt den Pony aus der Stirn blies war eines Hollywoodstars würdig und verfolgte mich noch auf der Bahnfahrt zurück nach Hamburg.

Bevor mich Johann zum Bahnhof zurückfuhr, machten wir noch einen kurzen Rundgang über das Bärenmarke-Gelände. Trainingsräume, Fitness- und Wellnessbereich, Fahrerunterkünfte und die Teampraxis waren im Hauptgebäude untergebracht und ließen meinen Ersteindruck von einer Lagerhalle sehr schnell verblassen. Alles war neu, sauber und erstklassig eingerichtet. Man konnte an jeder Ecke sehen, dass hier nichts dem Zufall überlassen worden war. Noch beeindruckter war ich, als mich Johann über den Innenhof in die Material-Lagerhalle und die angrenzende Werkstatt führte. So hatte ich mir die Fahrradwerkstatt nie und nimmer vorgestellt. Ich fühlte mich eher in ein technologisches Forschungsinstitut versetzt. Die Beschreibung "klinisch rein" traf es wohl am besten.
Johann merkte mir mein Erstaunen an und sagte: „So, Siggi, jetzt lass das mal alles sacken. Ich fahre Dich jetzt zum Bahnhof und Du meldest Dich morgen bei mir. Versprochen?“
„Versprochen.“, entgegnete ich.

Ich hatte mittlerweile geduscht und saß in der Küche. Der Kaffee war durchgelaufen. Ich schenkte mir eine Tasse ein, nahm einen großen Schluck und griff zum Telefon. Johanns Visitenkarte lag vor mir auf dem Tisch. Ich wählte seine Nummer.
„Johann Brauner.“
„Ich mach’s!“, sagte ich.

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Sentimental Journey

Beitrag: # 6732240Beitrag Shimano
25.8.2008 - 14:34

Sentimental Journey

07.01.2003

Es war alles vorbereitet. Ich hatte mir einen kleinen Sprinter ausgeliehen und ihn bereits vormittags mit meinen wichtigsten Utensilien bepackt. Die Wohnung in Hamburg würde ich vorerst behalten, um vielleicht das ein oder andere Wochenende noch hier verbringen zu können. Man weiß ja auch nie was passiert. Vielleicht erwies sich der Job ja im Nachhinein als Fehltritt und dann wollte ich zumindest die Option haben, in meine gewohnte Umgebung zurückkehren zu können.

Johann hatte mir in Thalfang eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung besorgt, die ich zunächst beziehen sollte. Diese lag keine 250 Meter vom Bärenmarke-Gelände entfernt und so konnte ich erst einmal weiterhin auf einen eigenen Wagen verzichten. Allerdings würde ich über kurz oder lang dennoch auf ein Auto angewiesen sein, um zumindest mal nach Trier zu kommen, ohne auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen zu müssen.

Es war später Nachmittag und bereits dunkel. Ich wusste nichts mit mir anzufangen und da ich erst am kommenden Morgen nach Thalfang fahren würde, beschloss ich, einen kleinen Spaziergang zum Hafen zu unternehmen. Als ich am Baumwall ankam, fing es an ganz leicht zu tröpfeln. Der eisige Wind blies mir die feinen Wassertröpfchen ins Gesicht. Ich stellte den Kragen meines Mantels hoch und verkroch mich noch tiefer in meinen Schal. Ich ging die Hafenpromenade Richtung Fischmarkt hinunter und gelangte schon bald auf Höhe der Hafenstraße. Auf der dem Ufer abgewandten Straßenseite sah ich den Golden Pudel Club. Hier hatte ich 1996 im Winter Anna kennengelernt. In diesem abgewrackten Schuppen, der jedoch die besten DJs beherbergte und Abend für Abend ein illustres Völkchen an unterschiedlichsten jungen Leuten anzog. Ich hatte sie sofort zum „Mädchen des Abends“ gekürt und beobachtete sie unentwegt. Nach drei, vier Becks hatte ich mir genug Mut angetrunken, um sie anzusprechen. Ich lud sie auf ein Becks ein und nachdem wir ein wenig gemeinsame Zeit auf der Tanzfläche verbracht hatten, konnte ich sie davon überzeugen, dass es uns beiden gut tun würde, draußen ein wenig frische Hafenluft zu schnappen. Anna war zu diesem Zeitpunkt Volontärin beim NDR und so hatten wir sofort eine hervorragende gemeinsame Gesprächsgrundlage, da auch ich als gerade fertiger freier Journalist ein paar NDR-Geschichten zum Besten geben konnte.

„Kennst Du den alten Elbtunnel?“, fragte ich sie?
„Du meinst den an den Landungsbrücken?“, entgegnete sie. „Ich weiß, wo sie sind, aber durchgelaufen bin ich noch nie.“
Ich nickte in Richtung des großen Gebäudes am Hafen zu unserer Rechten: „Wollen wir?“
Ihre Augen funkelten: „Ja, los!“

Wir gingen durch einen Seiteneingang in die Landungsbrücken und stiegen die Stufen zu den Tunneln hinunter. Das fahle Neonlicht der Tunnelröhren erzeugte eine unwirkliche und stimmungsvolle Atmosphäre. Anna hakte sich bei mir ein und wir liefen unter der Elbe entlang auf die andere Seite des Hafens. Dort angekommen begaben wir uns zur Aussichtsplattform und betrachteten das nächtliche Hamburg. Der kalte Wind blies uns ins Gesicht. Anna suchte meine Hand. Ich nahm sie und zog sie zu mir heran. Dann küssten wir uns das erste Mal.

Jetzt stand ich wieder vor den Landungsbrücken. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, ob ich durch den Tunnel laufen sollte, aber dann entschied ich, dass dies vielleicht doch ein wenig zu viel Sentimentalität für den heutigen Tag bedeuten würde und machte mich auf den Heimweg.

In meiner Wohnung angekommen setzte ich einen Kaffee auf und fuhr meinen Laptop hoch. Eine Mail von Johann war angekommen. Ich öffnete sie.
Johann Brauner hat geschrieben:
Fahrer Team Bärenmarke
Gesendet am: 07.01.2003 13:23 Uhr


Hallo Siggi,

ich hoffe, Du bist nicht allzu sehr im Umzugsstress. Damit Du Dich noch etwas besser vorbereiten kannst, habe ich Dir mal eine Übersicht aller unserer Fahrer für diese Saison zusammengestellt. Am besten liest Du Dir das in einer ruhigen Minute mal durch. Ich habe Jörg Jaksche als Kapitän an die erste Position in der Liste gesetzt, die anderen sind alphabetisch aufgeführt. Es gibt noch keine Wertigkeit im Team außer eben dass Jörg gesetzt ist. Die Anderen sollen sich ihre Positionen dieses Jahr erfahren. Das nur zur Info.


Fahrer Team Bärenmarke:

Kapitän:
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Jörg Jaksche
*23.07.1976 in Fürth
Jörg ist trotz seiner erst 26 Jahre einer der erfahrensten aktiven deutschen Radprofis. Er ist bereits für Team Polti, Team Telekom und ONCE gefahren. Er ist ein guter Kletterer, ein passabler Zeitfahrer und hat eine hervorragende Regenerationsfähigkeit. Das alles bedeutet, dass er ein sehr guter Rundfahrer ist, also ein Mann, der an mehreren Tagen hintereinander unterschiedlichste Etappen gut und stark bewältigen kann. Er war unsere erste Wahl, was das Kapitänsamt angeht, denn er ist ein ruhiger und besonnener Fahrer, der großen Respekt in der Radsportszene genießt. Er hat einen Zweijahresvertrag bei uns und besitzt in dieser Zeit den ebenfalls vertraglich festgehaltenen Kapitänsstatus. Seine Gründe, von Division 1 in Division 2 zu wechseln dürften darin begründet liegen, dass er hier Kapitän ist und somit frei fahren und eventuell Rennen gewinnen kann, bei denen er in den anderen Teams den Wasserträger hätte spielen müssen. Er möchte natürlich möglichst schnell aufsteigen, um wieder bei den großen Rundfahrten in der Division 1 teilnehmen zu können. Das sollte für uns kein Nachteil sein. ;)

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Eric Baumann
*21.03.1980 in Rostock
Eric hätte diese Saison eigentlich bei Team Wiesenhof fahren sollen, aber es ist uns gelungen, ihn davon zu überzeugen, dass er bei uns die bessere Perspektive geboten bekommt. Es ist sein erstes Engagement als Profi und er ist dementsprechend grün hinter den Ohren. Allerdings hat er schon recht eindrucksvolle Siege in seiner noch jungen Karriere herausfahren können. Er hat im Jahr 2000 die U23-Wertung des Klassikers Paris-Roubaix gewonnen und ist im darauffolgenden Jahr U-23-EM-Zweiter geworden. Außerdem ist er der amtierende deutsche U-23-Meister. Diese Erfolge hat er in erster Linie seinen Sprintfähigkeiten zu verdanken. Er ist schon jetzt ein Fahrer mit explosivem Antritt und hervorragenden Rouleur-Fähigkeiten. Bemerkenswert ist auch seine Stärke auf Kopfsteinpflaster. Seine Schwächen sind die bislang nicht sonderlich stark ausgeprägte Ausdauer und seine Regenerationswerte. Allerdings kann man da mit gezieltem Training sehr gut entgegenwirken. Eric sollte uns jedenfalls den ein oder anderen schönen Tag bescheren in dieser Saison, da bin ich mir sicher.

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Markus Fothen
*09.09.1981 in Neuss
Markus ist einer unserer besten Zeitfahrer und das, obwohl er erst 20 Jahre alt ist. Er ist letztes Jahr Deutscher Meister im U23-Einzelzeitfahren geworden und soll uns dementsprechend in diesem Bereich verstärken. Auch für ihn ist es das erste Profijahr und ich bin gespannt, wie er sich entwickeln wird. Nach ersten Tests unserer medizinischen Abteilung könnte er auch einmal ein Mann mit Rundfahrqualitäten werden, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

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René Haselbacher
*15.09.1977 in Wien
René ist unser Top-Sprinter im Team und genießt deshalb einen Sonderstatus. Er soll dieses Jahr gute Ergebnisse für unseren Sponsor einfahren, um die Marke Bärenmarke in Österreich zu pushen. Er ist erst recht spät zum Radsport gekommen, hat dafür aber schon gute Ergebnisse erzielt. Er ist letztes Jahr österreichischer Straßen-Staatsmeister geworden und hat bei der Schweden-Rundfahrt eine Etappe gewonnen. Es ist uns gelungen, ihn vom Gerolsteiner-Team wegzulotsen und ich kann nur hoffen, dass er seinen hohen Preis mit guten Ergebnissen rechtfertigen wird.

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Matthias Kessler
*16.05.1979 in Nürnberg
Matthias ist seit 2000 Profi und war seitdem für Team Telekom tätig. Allerdings war er mit den ihm anvertrauten Aufgaben nicht sonderlich zufrieden und so war es für uns relativ einfach, ihn von den Vorzügen des Teams Bärenmarke zu überzeugen. Wir hoffen, dass er bei den anspruchsvollen Eintagesrennen etwas für uns bewirken kann. Letztes Jahr hat er beim Giro del Piemonte den zweiten Platz belegt und auch bei anderen Klassikern Platzierungen unter den Top 10 erreicht. Er fühlt sich auf hügeligem Terrain wohl und hat die Fähigkeiten, auch mal in einer Ausreißergruppe um den Sieg mitzufahren, da er ebenfalls ein passabler Sprinter ist.

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Andreas Klier
*15.01.1976 in München
Auch Andreas ist vom Team Telekom zu uns gestoßen. Er hat hervorragende Qualitäten bei Kopfsteinpflasterrennen und ist auch eher für Eintagesrennen als für Rundfahrten prädestiniert. Ebenso wie Matthias Kessler kann er sehr gute Rouleur-Qualitäten vorweisen und dürfte bei Ausreißversuchen gerne mal mitgehen. Allerdings sind seine Regenerationsfähigkeiten derzeit noch unterdurchschnittlich. Daran müssen wir auf jeden Fall noch arbeiten. Letztes Jahr hat er den GP Scherens en Stad Leuven gewonnen und genau diese Nord-Klassiker dürften es wohl langfristig sein, auf die er sich spezialisieren sollte.

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Markus Knöpfle
*29.07.1976 in Augsburg
Markus ist vom italienischen Team Tenax zu uns gestoßen und ich muss gestehen, dass ich ihn und seine Leistungen derzeit noch nicht so richtig einschätzen kann. Da er jedoch über recht gute Fähigkeiten auf hügeligem Terrain verfügt, kann er mit Sicherheit gute Helferdienste verrichten, und zwar sowohl bei kleineren Rundfahrten als auch bei hügeligen Eintagesrennen. Seine absolute Schwäche ist jedoch das Zeitfahren und das wird sich laut Aussage von Jan Fidelius und dem Trainerstab auch nicht wirklich korrigieren lassen.

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Bernhard Kohl
*04.01.1982 in Wien
Bernhard ist vom österreichischen Rennstall Elk-Haus zu uns gestoßen und dürfte ein interessanter Fahrer für die Zukunft werden. Seine ausgeglichenen Testwerte in den Bereichen Fahren, Hügel, Klettern sowie Ausdauer, Zähigkeit und Regeneration sprechen dafür, dass wir es hier mit einem zukünftigen Rundfahrer zu tun haben. Es gilt allerdings, ihn dabei behutsam aufzubauen. Er ist ein stiller und anscheinend sensibler Zeitgenosse, dem ein harmonisches Umfeld zuträglich ist. Ich habe seinen Landsmann Gerhard Trampusch mit der Zusatzaufgabe betraut, sich ein wenig um ihn zu kümmern. Ehrgeizig und zielstrebig ist Bernhard auf jeden Fall und das ist ja zunächst einmal das Wichtigste bei unseren Youngstern.

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Sebastian Lang
*15.09.1979 in Sonneberg
Sebastian ist unser bester Einzelzeitfahrer und hat in diesem Bereich auch sein bisher bestes Ergebnis eingefahren. 2001 wurde er Vizeweltmeister im U23-Einzelzeitfahren. Letztes Jahr hat er in Diensten des Gerolsteiner-Teams zwei Etappen bei der Rheinland-Pfalz-Rundfahrt gewonnen. Er wird mit Sicherheit ein wertvoller Helfer bei den größeren Rundfahrten sein.

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David Loosli
*08.05.1980 in Bern
David ist einer von drei Schweizern in unserem Team. Ich trete ihm sicherlich nicht zu nahe, wenn ich behaupte, dass er der Schwächste von den Dreien ist. Er wird in erster Linie Helfertätigkeiten verrichten müssen und darauf hoffen, vernünftige Ergebnisse zu erzielen, um seinen Vertrag bei uns verlängern zu können.

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Grégory Rast
*17.01.1980 in Ebikol
Grégory ist der zweite Schweizer in unseren Diensten. Er dürfte der Stärkste unter unseren Eidgenossen sein, obwohl auch er sein erstes Jahr als Profi bei uns bestreitet. Er ist im vergangenen Jahr U23-Schweizermeister auf der Straße geworden und wir erhoffen uns von ihm in der Zukunft einige gute Ergebnisse bei Eintagesrennen, vor allem, wenn diese teilweise über Kopfsteinpflaster führen, denn in diesem Bereich ist Grégory neben Eric Baumann und Andreas Klier einer unserer besten Männer.

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Björn Schröder
*27.10.1980 in Berlin
Björn ist für sein Alter schon ein sehr guter Bergfahrer und hat dies letztes Jahr mit dem Gewinn der deutschen U23-Bergmeisterschaft unter Beweis gestellt. Schenkt man den Ergebnissen unserer medizinischen Abteilung Glauben, so ist er ein Kandidat für den besten zukünftigen Allrounder in unserem Team. Wir sind auf jeden Fall sehr glücklich, ihn davor „bewahrt“ zu haben, beim Team Wiesenhof anzuheuern, denn er kann in seiner ersten Profisaison für uns ein sehr wichtiger Helfer werden.

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Stefan Schumacher
*21.07.1981 in Ostfildern-Ruit
Stefan ist nach nur einem Jahr als Profi bei Team Telekom zum Team Bärenmarke gewechselt. Viele Verletzungen und dadurch wenige Möglichkeiten, sich zu profilieren prägten seine erste Profisaison. Es fiel ihm daher nicht schwer, sich in der Hoffnung auf bessere Perspektiven bei einem Division 2 – Team für uns zu entscheiden. Für einen derart jungen Mann hat er sehr genaue Vorstellungen, was er erreichen möchte und wie er sich seine Saison vorstellt. Vielleicht sogar etwas zu genaue Vorstellungen, wir werden sehen. Jan meint, dass er eine sehr gute Veranlagung für das Zeitfahren mitbringt und auch sonst - ähnlich wie Björn Schröder - ein sehr flexibel einzusetzender Mann ist.

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Patrik Sinkewitz
*20.10.1980 in Fulda
Es ist ein Geschenk des Himmels, dass es uns gelungen ist, Patrik Sinkewitz vom Team QuickStep loszueisen. Laut Jan ist Patrik ein ungeschliffener Rohdiamant und seine Testergebnisse lassen darauf hoffen, dass wir hier einen zukünftigen Teamkapitän in unseren Reihen haben. Patrik ist schon jetzt fast so stark einzustufen wie Jörg und hat dies bereits 2001 als bester Nachwuchsfahrer bei der Niedersachsen-Rundfahrt angedeutet und spätestens letztes Jahr beim Sieg des GP Winterthur unter Beweis gestellt. Es gilt jetzt, ihn behutsam aufzubauen und vor allem wird es wichtig sein, ihn mit interessanten Optionen langfristig beim Team Bärenmarke zu halten. Auf jeden Fall ein Mann für alle Arten von Rundfahrten.

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Gerhard Trampusch
*11.08.1978 in Hall in Tirol/Österreich
Gerhard ist ebenso wie Patrik vom Team QuickStep zu uns gestoßen. Er ist trotz seines Alters von erst 25 Jahren bereits ein erfahrener Profi und hat im letzten Jahr an der Tour de France teilgenommen. Der dritte Österreicher in unserem Team ist als guter Kletterer mit Steherqualitäten zusammen mit Jörg und Patrik einer unserer besten Rundfahrer. Seine ruhige und besonnene Art kommt bei den jungen Fahrern sehr gut an und er erfüllt mit Sicherheit eine wichtige Vorbildfunktion im Team Bärenmarke.

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Johann Tschopp
*01.07.1982 in Sierre
Johann ist der dritte Eidgenosse im Team Bärenmarke. Unsere medizinischen Ausdauer- und Eignungstests haben gezeigt, dass er ein wichtiger Helfer in hügeligem und bergigem Terrain sein kann. Vor allem seine Ausdauer- und Regenerationswerte prädestinieren ihn für Rundfahrten und hügelige Klassiker. Allerdings ist es für ihn wie auch viele andere im Team Bärenmarke das erste Profijahr und so bleibt abzuwarten, ob er die in ihn gesetzten Hoffnungen und Ansprüche erfüllen kann.

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Fabian Wegmann
*20.06.1980 in Münster/Westfalen
Last but not least komme ich zu Fabian. Er hat ein Jahr Profi-Erfahrung beim Team Gerolsteiner sammeln können. Seine Stärken liegen in seiner offensiven Fahrweise sowie seiner Antrittsschnelligkeit an mittleren bis schweren Anstiegen. Im Jahr 2001 wurde er deutscher Straßenmeister der U23 und wird immer wieder als eines der größten deutschen Klassikertalente gehandelt. Wir hoffen jedenfalls, dass er einige gute Ergebnisse bei Eintagesrennen abliefern wird. Seine Spritzigkeit und der explosive Antritt auch am Ende von schwierigen Etappen sollten ihm dabei behilflich sein.


So, ich hoffe, diese Übersicht hilft Dir dabei, Dir eine ungefähre Vorstellung unserer Möglichkeiten und Alternativen für dieses Jahr zu machen. Falls Du noch Fragen zu den Fahrern haben solltest, dann stell sie mir, wenn Du wieder im Hunsrück bist.

Dein Büro haben wir soweit es geht vorbereitet. Die kleine Wohnung steht ebenfalls für Dich bereit. Sobald Du wieder hier bist müssen wir auch unbedingt über Deine erste große Reise sprechen. So wie es aussieht, wirst Du Jan und das Team zur Tour of Qatar begleiten. Die beginnt am 22.01. Das sind gerade mal zwei Wochen bis dahin. OK, wir können alles in Ruhe besprechen, wenn Du wieder in Thalfang bist.

Bis morgen und pass auf Dich auf!

Gruß
Johann
Ich druckte mir die Mail aus und nahm die Liste mit in die Küche. Während ich meinen Kaffee trank, las ich mir die Kommentare zu den einzelnen Fahrern noch einmal durch und machte mir einige Notizen daneben. Ein großes Fragezeichen und ein noch größeres Ausrufezeichen setzte ich über das Wort „Qatar“. Meine sentimentale Stimmung jedenfalls war verflogen. Ich freute mich jetzt auf das Wiedersehen mit Johann und konnte es kaum erwarten, endlich in meinem eigenen Büro in Thalfang zu sitzen.

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Beitrag: # 6732254Beitrag Österreicher
25.8.2008 - 15:59

Kluge Einkaufstaktik, mich hast du aufgrund von Haselbacher, Kohl und Trampusch schon auf deiner Seite! Weiter so, Milch bringts! :D

greetz
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Bananen Sind Kalt. Echt?!.

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Beitrag: # 6732258Beitrag Shimano
25.8.2008 - 16:14

Österreicher hat geschrieben:Kluge Einkaufstaktik, mich hast du aufgrund von Haselbacher, Kohl und Trampusch schon auf deiner Seite! Weiter so, Milch bringts! :D
Fein, ich hoffe, Du verfeinerst Deinen Kaffee fortan auch nur noch mit der einzig wahren Bärenmarke! ;)

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Beitrag: # 6732287Beitrag Grave
25.8.2008 - 18:08

mit abstand der beste aar hier!

und auch noch mit rsm03/04 :oops: geil

nur weiter so :!:
Fuck the Capitalism

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Beitrag: # 6732402Beitrag Shimano
26.8.2008 - 11:05

Grave hat geschrieben:mit abstand der beste aar hier!
Das ist zuviel der Ehre, vielen Dank!

Das BDB-Forum hat es mir übrigens überhaupt erst ermöglicht, den RSM 2003/2004 vernünftig spielbar zu machen.

Insofern: Ebenfalls weiter so! ;)

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Über den Wolken...

Beitrag: # 6732403Beitrag Shimano
26.8.2008 - 11:12

Über den Wolken…

21.01.2003

Ich blickte zum Fenster hinaus. Seit zwei Stunden schon war unter uns nichts zu sehen außer Wüste. Mal grau, mal ockerfarben, mal terracottarot, aber immer nur Wüste. Der Flug verlief ruhig. Beim Start in Frankfurt hatten wir zwar ein paar holprige Luftlöcher erwischt, aber nachdem wir unsere Reisehöhe erreicht hatten blieb alles ruhig. Neben mir saß Jan Fidelius, der zweite Sportliche Leiter von Team Bärenmarke und schnarchte leise. Seinen Kopf hatte er in das winzige Kissen gedrückt, das einem zum Schlafen ausgehändigt wird. Seine grauen Stoppelhaare glitzerten im Sonnenlicht, das durch das kleine Fenster fiel, an dem ich saß. Jan sah sogar im Schlaf konzentriert aus, ganz so, als schlafe er gar nicht, sondern als ginge er in Gedanken bereits die erste Etappe der Tour of Qatar durch. Ich konnte im Flugzeug nicht schlafen. Ich konnte beim Reisen grundsätzlich nicht schlafen. Egal ob in der Bahn, im Auto oder eben im Flieger. Ich beneidete Leute, die ins Flugzeug stiegen und fünf Minuten nachdem sie ihren Platz eingenommen hatten, den Schlaf der Gerechten schliefen. Also gähnte ich herzhaft, bestellte einen weiteren Kaffee und sah mir die Unterlagen an, die ich für unsere erste Rundfahrt zusammengestellt hatte.

Wir hatten sieben Fahrer für diese Rundfahrt gemeldet. Sie waren allerdings bereits vor drei Tagen mit einem Trainer, zwei Masseuren und einem Techniker (so nannten wir respektvoll unsere Fahrradschrauber) nach Katar geflogen. Johann wollte, dass sie mindestens drei Tage zum Akklimatisieren, Trainieren und für die Besichtigung einiger Streckenabschnitte Zeit hatten. Die Fahrer, die in Katar an den Start gehen sollten, waren die folgenden:

Patrik Sinkewitz
Fabian Wegmann
Stefan Schumacher
David Loosli
Markus Knöpfle
Eric Baumann
Gerhard Trampusch

Alle anderen waren entweder zu Hause oder bereiteten sich in Thalfang auf die kommenden Rennen vor. In erster Linie war Johann darauf bedacht, für den GP de la Côte Étrusque zu planen, das erste der italienischen Frühjahrsrennen. Die Allgäuer Alpenmilch GmbH forderte dort einen Platz unter den ersten Fünf und Johann wollte natürlich mit Bestbesetzung auflaufen, um auch dem Sponsor einen perfekten Start in die Saison zu schenken.

Unsere Katar-Truppe hingegen hatte keine feste Aufgabe zu erfüllen. Unser vorrangiges Ziel war, dass alle Fahrer die fünf flachen Etappen gut überstehen und an ihrem Formaufbau arbeiten können. Jan Fidelius war vor allem von Eric Baumanns guter Frühform angetan und hoffte, mit einigen guten Platzierungen unserer Sprinthoffnung im Gepäck zurückkehren zu können.

Ich lehnte mich in den Sitz zurück und dachte über die vergangenen zwei Wochen nach. Ich hatte meine neuen Aufgaben zur Zufriedenheit aller bewältigt und betrachtete die Premiere-Rundfahrt der Saison als eine Art Mini-Urlaub von den ersten Strapazen. Bereits für meinem zweiten Arbeitstag in Thalfang hatte sich ein Redakteur vom Trierer Volksfreund angemeldet, der ein Team Bärenmarke - Special für die Samstagausgabe plante. Der Artikel hatte insbesondere die Allgäuer Alpenmilch GmbH erfreut, da sie mehrmals als „großzügiger Förderer des deutschen Radsportnachwuchses“ lobend Erwähnung fand. Ich hatte am Montag eine E-Mail eines Alpenmilch-PR-Managers im Postfach. Darin hieß es: „Gute Arbeit, Herr Rauch!“ So konnte es gerne weitergehen.

Die meiste Zeit meiner Arbeit nahm die Vorbereitung der offiziellen Teampräsentation in Anspruch, die vor knapp einer Woche stattgefunden hatte. Die Terminkoordination mit den Journalisten sowie die Planung der zeitlichen Abläufe der Präsentation hatten mich ganz schön gestresst. Ich arbeitete in dieser Zeit sehr viel mit Julia Winterkorn zusammen und muss sagen, dass wir in ihr mit Sicherheit eine fähige und vor allem ehrgeizige junge Dame mit an Bord haben. Allerdings hatte sie mir gegenüber immer Haare auf den Zähnen. Nahezu jede Unterhaltung mit ihr endete in langen Diskussionen. Auch mein Vorname sollte Thema einer solchen Diskussion werden. Das gesamte Team-Management inklusive meiner Person hatte sich am Sonntag nach der Erscheinung des Bärenmarke-Specials im Trierer Volksfreund zu einem "Besser-Kennenlern-Beisammensein" in einem italienischen Restaurant in Thalfang getroffen. Im Verlauf des feucht-fröhlichen Abends verständigte man sich darauf, dass wir uns untereinander duzen würden. So weit, so gut. Allerdings stehe ich mit meinem echten Vornamen auf Kriegsfuß. Sigismund war lediglich der Name, den mir meine Eltern aufs Auge gedrückt hatten. Mit mir selber hatte er nichts zu tun. Schon im Kindergarten musste ich Häme über mich ergehen lassen. In der Schule wurde es nur noch schlimmer. Die Verachtung meines Vornamens ging sogar so weit, dass ich auf meine eigenen Vistenkarten für meine Tätigkeit als freier Journalist „Siggi Rauch“ drucken ließ. Johann allerdings war nicht so vorausschauend gewesen. Auf meiner Bärenmarke-Visitenkarte stand also „Sigismund Rauch, PR Manager Team Bärenmarke“ und natürlich fand ich meinen Namen auch genauso in der Teambroschüre wieder. Es kostete mich nahezu drei Tage, alle Mitarbeiter und Kollegen auf den Namen Siggi zu impfen. Nur Julia Winterkorn weigerte sich beharrlich, mir diese Ehre zu erweisen. Jedesmal, wenn ich sie tagsüber traf, flötete sie mir ein „Sigismund“ entgegen und lächelte dabei so unschuldig, dass ich nicht wusste, ob sie mich veräppeln wollte, ob ich ihr aufgrund meines Namens leid tat oder ob sie einfach nur nett sein wollte und meinen Namenswunsch nur zum wiederholten Male vergessen hatte.

Das Ganze ging so weit, dass ich mir letztlich ein Namensschild umhängte, auf dem „Siggi“ stand, bevor ich zu einer Besprechung bezüglich der Teampräsentation in ihr Büro musste. Als ich hereinkam und Platz nahm, blickte sie auf. Sie musste lachen.

„Ist Dir das wirklich so wichtig?“, fragte sie.
„Nein!“, entgegnete ich. „Es macht mir nur Spaß, mit einem Namensschild um den Hals herumzulaufen.“
Eine feine, längliche Falte bildete sich auf ihrer Stirn: „Im Ernst, Sigismund: Mir gefällt Dein Name! Ist doch ein schöner, klassischer deutscher Vorname. Sei froh, dass Du nicht Ronny oder Gianluca-Noèl heisst!“
„Es ist ja toll, dass Dir mein Vorname gefällt, aber immerhin ist es mein Vorname und ich finde ihn nicht schön. Leider haben mir meine Eltern keinen zweiten Vornamen gegeben, auf den ich ausweichen könnte, deswegen wünsche ich mir, Siggi genannt zu werden. Ist das etwa zu viel verlangt?“, fragte ich.
Zur ersten Falte auf ihrer Stirn gesellte sich eine zweite. Julia lehnte sich jetzt in ihren Bürostuhl zurück und musterte mich eindringlich. Kurz bevor es anfing unangenehm zu werden, sagte sie: „Aber verleugnest Du damit nicht einen Teil von Dir selbst?“
Ich war völlig perplex: „Ob ich… was?“
„Naja, jeder Name hat doch eine Bedeutung. Und diese…“, begann sie.
Ich fiel ihr ins Wort: „Julia, bitte nimm es nicht persönlich, aber ich bin nicht empfänglich für solch einen esoterischen Kram. Ich…“
Dieses Mal unterbrach sie mich: „Das hat nichts mit Esoterik zu tun. Das ist Onomastik!“
„Ono… was?“, krächzte ich. Das Gespräch nahm einen etwas anderen Verlauf, als ich es geplant hatte.
„Onomastik!“, wiederholte sie und fügte hinzu: „Namenforschung, Sigismund. Woher kommen Namen? Welche Bedeutung haben sie? Wie ist ihre Verbreitung?“
Ich blickte sie fassungslos an.
Bevor ich etwas sagen konnte, fuhr sie schon fort: „Julia zum Beispiel bedeutet ‚aus dem Geschlecht der Julier‘. Die Julier waren ein altrömisches Patriziergeschlecht. Ihr Name wiederum leitete sich von Iulus, dem Enkel der Göttin Venus ab.“
„Interessant!“, entgegnete ich gelangweilt. „Aber ist es nicht so, dass sogar die Römer manchmal keinen Bock auf ihre echten Vornamen hatten. Augustus zum Beispiel wollte lieber Octavian genannt werden. Und Sigismund will nun mal eben lieber Siggi genannt werden. Er bleibt auch trotzdem der gleiche Mensch, versprochen!“
Aber Julia war nun in ihrem Element: „Wollen doch mal sehen, was Dein Name bedeutet.“ Sie tippte auf ihrer Tastatur herum. „Ah, hier haben wir’s!“, sagte sie.
Ich seufzte und wartete darauf, die wahre Bedeutung meines Namens zu erfahren. „Erleuchte mich!“, flüsterte ich spöttelnd.
„Also:“, begann Julia. „Der Name Siegmund hat seine Ursprünge im Altdeutschen: „sigu“ (Sieg) und „munt“ (Schutz der Unmündigen). Im Mittelalter war besonders die Nebenform Sigismund gebräuchlich, bis im 19. Jahrhundert mit der Begeisterung für die mittelalterliche deutsche Heldensage Siegmund immer beliebter wurde.“ Sie machte eine kurze Pause. Dann gönnte sie mir ein weiteres Mal ihr mysteriöses Lächeln: „Ich weiß nicht, was Du hast. Das ist doch sehr schön. Du scheinst so etwas zu sein wie der Schutzpatron der Unmündigen. Ein Kämpfer für die Gerechtigkeit. Und wie es aussieht, wirst Du siegen!“
Wohl um dem Fass die Krone aufzusetzen hauchte sie seufzend mit geschlossenen Augen: „Sigismund!“
Ich riss mich zusammen: „Julia, schön, dass wir drüber gesprochen haben, aber leider hält sich meine Begeisterung für meinen Vornamen nach wie vor in Grenzen. Wie wäre es, wenn Du über Deinen Schatten springst und mich einfach völlig seelenlos ‚Siggi‘ nennst? Nur, um mir einen Gefallen zu tun.“
„OK, ich versuch’s!“, da war es schon wieder, dieses Lächeln. „Dann lass uns mal jetzt an die Planung rangehen, Siggi.“
Das war’s. Es war geschafft! Mann, war die ein harter Brocken!
„Obwohl mir Sigismund besser gefällt…“, sagte sie zu ihrem Laptop.

Jan schlief immer noch. Ich blickte aus dem Fenster. Oh, Wüste. Was für eine Überraschung! „Sigismund Rauch.“, murmelte ich vor mich hin. Und dann noch einmal: „Sigismund Rauch.“ Ein leiser Gong ertönte. Ich blickte hoch. Das Anschnallzeichen blinkte auf. Eine Sekunde später machte sich auch schon ein flaues Gefühl in meinem Bauch bemerkbar. Wir gingen in den Landeanflug.

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Was für ein Trip!

Beitrag: # 6732475Beitrag Shimano
26.8.2008 - 19:56

Was für ein Trip!

22.01.2003

Ich saß mit Jan Fidelius beim Frühstück im Hotel Retaj Al Rayyan. Es mundete vorzüglich. Vor allem der Kaffee! Es war wohl der Leckerste, den ich je getrunken hatte. Ich genoss gerade meinen Vierten. Der zweite Sportliche Leiter sah mich prüfend an.
„Du trinkst wohl gerne Kaffee, Siggi?“, sagte er mit einem Kopfnicken in Richtung des dampfenden schwarzen Gesöffs.
Ich nickte: „Allerdings. Und dieser hier ist wohl einer der Besten, die je die Ehre hatten, meine kaffeedurstige Kehle zu benetzen.“
Jan nippte an seinem grünen Tee. Ich ahnte, was jetzt kommen würde.
„Zuviel Kaffee ist ungesund!“, stellte er fest.
Ich hatte es ja gewusst. Mein Lieblingsthema. „Das ist eine Urban Legend, mein lieber Jan!“, gab ich entspannt zu verstehen und fügte hinzu: „Dass Kaffee dem Körper keine Flüssigkeit entzieht, ist mittlerweile bewiesen und auch wenn er meinen Blutdruck vielleicht um ein, zwei Prozent in die Höhe treibt, so gibt es doch weitaus schlimmere Angewohnheiten, als fünf bis sechs Tassen Kaffee am Tag zu trinken.“
Jan blickte mich wissend an: „Ich bin was Kaffeekonsum angeht durchaus über den aktuellen Stand der Wissenschaft informiert. Ich rede von diesem Kaffee, den Du da trinkst. Wie viele Tassen, oder besser Pötte, hast Du denn schon intus?“
„Vier.“, vermeldete ich und leerte ebendiese vierte Tasse mit einem großen Schluck. Ich grinste Jan an.
„Dann geh‘ bitte noch einmal auf Toilette, bevor wir in das Teamfahrzeug steigen. Du wirst nämlich erst in gut drei Stunden wieder die Möglichkeit zum Wasserlassen haben. Und was die Stärke des Kaffees angeht. Das hier ist ein sehr starker arabischer Mokka. Das kann einen Europäer schon mal ziemlich ins Schwitzen bringen.“, sagte Jan und stand auf.
Ich erhob mich ebenfalls: „Ich weiß Deine Fürsorge sehr zu schätzen, Jan, aber ich habe in meinem Leben schon öfter starken Kaffee getrunken. Ich werde es überleben.“
„Dann ist ja gut!“, sagte Jan und fügte hinzu: „Los, lass uns jetzt zum Startbereich gehen. In einer halben Stunde geht es los!“

Am Abend zuvor hatte ich erstmals einer Teambesprechung beigewohnt. Jan hatte in sachlichem Tonfall die Taktik für die heutige erste Etappe ausgegeben und später noch jedem Fahrer individuelle Tipps zukommen lassen. Kurz zusammengefasst sollten im Falle von frühen Ausreißversuchen entweder Patrik oder Gerhard versuchen mitzugehen. Allerdings wollte man die Tempoarbeit die anderen machen lassen und nur im Falle eines vielversprechenden Vorsprungs selber Dampf machen. Die eigentliche Hauptzielsetzung war jedoch, dass Eric mit der Hilfe von Fabian im Schlusssprint versuchen sollte, ein gutes Ergebnis herauszufahren. Ich war erfreut, dass alle Fahrer einen extrem motivierten Eindruck machten. Unter heftigstem Abklatschen verabschiedete man sich schließlich zur Nachtruhe.

Ich ließ mich auf die Rückbank unseres Teamwagens gleiten und beobachtete Jan und unseren Techniker Malte bei der Einstellung der Funkverbindungen zu den Fahrern. Alles schien problemlos zu funktionieren. Auch das Bild auf dem kleinen Monitor, der das Feld am Start zeigte, war scharf und lief ohne Störung. Ich fühlte mich auf einmal ziemlich flau. Eine plötzliche Hitzewelle durchfuhr meinen Körper und ich hatte das Gefühl, als seien meine Fingerspitzen taub. Scheisse, der Kaffee, dachte ich und fühlte meinen Puls. Er raste! „Los geht’s!“, rief Jan und legte den ersten Gang ein. Das Rennen hatte begonnen.

Die nun folgenden drei Stunden werde ich wohl nie vergessen. Es war ein Höllentrip! Ich wollte natürlich nicht zugeben, dass mich der Kaffee gerade komplett fertig machte, aber nachdem ich auf den ersten zwanzig Kilometern keinen einzigen Ton von mir gegeben hatte, drehte sich Jan zu mir um und fragte: „Wie geht’s? Alles OK?“
„Nein!“, krächzte ich und versuchte zu lächeln. Es gelang mir wohl allerdings nicht so gut, denn auf der Stirn des Schweizers bildeten sich Sorgenfalten.
„Du bist weiß wie eine Wand! Hier, iss ein Stück!“, sagte er und reichte mir eine Tafel Schokolade. „Zucker hilft vielleicht.“
Ich nahm die Tafel mit zitternden Händen entgegen und riss das Papier ab. Ich stopfte mir einige Stücke in den Mund.
Zucker. Verbrennen. Ablenken. Trinken.
Ich stand völlig neben mir. Mein Herz raste und der Schweiß troff mir trotz eingeschalteter Klimaanlage aus allen Poren. Die enge Fahrzeugkolonne, in der immer wieder Fahrer auftauchten, um Getränke und andere Verpflegung abzuholen, verursachte eine regelrechte Platzangst in mir. So was hatte ich noch nie erlebt. Ich hatte mittlerweile einen ganzen Liter Wasser getrunken und die komplette Tafel Schokolade aufgefuttert, aber mein Zustand hatte sich in keinster Weise verbessert. Im Gegenteil!
Plötzlich schrie Jan in sein Mikro: „Geh mit, Patrik! Geh mit!“ Hektisch fingerte er an seinem Ohrstöpsel und beugte sich über den winzigen Monitor.
„Er ist mit drin!“, sagte jetzt Malte. Er und Jan klatschten ab.
„Was… was ist denn los?“, hörte ich mich fragen. Mein Puls hatte mittlerweile die Frequenz einer Nähmaschine erreicht.
„Nichts!“, entgegnete Jan. „Patrik ist mit in eine Ausreißergruppe gegangen.“
„Und? Schafft er es?“, wollte ich wissen.
Malte sah mich sorgenvoll an: „Es sind erst 50 Kilometer gefahren. Das wird sich zeigen.“

Im weiteren Verlauf des Rennens gelang es den vier Ausreißern, ungefähr zwei Minuten Vorsprung herauszufahren. Zu wenig, um die Etappe zu gewinnen, wie Jan mir zu verstehen gab. Zwar machten vor allem die beiden Alessio-Ausreißer Miholjevic und Ivanov immer wieder Tempo, doch im Hauptfeld schickten das Team Phonak und Landbouwkredit immer wieder Züge an die Spitze des Pélotons. 15 Kilometer vor dem Ziel wurden die Ausreißer gestellt. So langsam begann das Taktieren der Sprinter.

Ich kam gerade wieder halbwegs klar, als Jan zum zweiten Mal am heutigen Tage hektisch wurde.
„Fabian, weiter nach vorne! Geh’ mit Kupfernagel mit! Eric, bleib an Fabian dran!“, schrie er in sein Mikro.
Das Feld rauschte langgezogen wie eine Perlenkette auf Doha zu.
„Jaja, gut so! Vorne bleiben! Noch 5 Kilometer!“, rief Jan.
Auch ohne arabischen Mokka wäre mein Puls jetzt mit Sicherheit hoch gewesen. So aber platzte mir fast die Birne. Der Teamwagen bestand nur noch aus dem Geschrei von Jan Fidelius und dem Klopfen meiner Pumpe, welches ich laut wie einen Bass in meinem Kopf hörte. Halb im Delirium erhaschte ich einen kurzen Blick auf den Monitor. Die Fahrer waren auf dem letzten Kilometer angelangt.
„Jetzt! Jetzt! Gute Situation!“, kreischte Jan.
Mein Trommelfell gab jetzt leichte Fiepssignale. Ich würde wohl gleich kollabieren, dachte ich.
Wieder gab der wild in der Luft umher fuchtelnde Schweizer mir einen kurzen Blick auf den Monitor frei. Fabian hatte den Sprint angezogen und jetzt stieß Eric aus seinem Windschatten.
„Er schafft’s! Er hat’s gleich geschafft!“, schrie jetzt ich und beugte mich nach vorne, um besser sehen zu können.
Eric nahm die letzten Meter in Angriff. Fabian hatte jetzt das Tempo rausgenommen. Seine Aufgabe war erledigt. Von hinten rauschte Stefan Kupfernagel vom Team Phonak heran.
„Los Eric! Ziiiieeeh!“, schrie Jan.
„Jaaaaa!“, schrie ich. Eric war als Erster über die Ziellinie gerast.
Auch Jan schrie und riss vor Freude die Arme hoch. Seinen Ellenbogen kriegte ich genau unter das rechte Auge.

Ich schwitzte. Mein Herz raste. Mein Auge schwoll an und vor mir tanzten Lichtblitze. Aber all das war mir jetzt scheissegal! Wir hatten das erste Rennen der Saison mit einem Sieg beendet!

Was für ein Trip!

Bild
Eric Baumann (BAE) gewinnt die erste Etappe der Tour of Qatar vor Stefan Kupfernagel (PHO)

UlleDoper
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Beitrag: # 6732498Beitrag UlleDoper
26.8.2008 - 21:49

einfach nur bombastisch deine Story! und nichts mit zuviel des Lobes...die beste die ich hier bisher gelesen habe

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Grave
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Beitrag: # 6732513Beitrag Grave
27.8.2008 - 1:14

herrlich, muss mich meinem Vorredner anschliessen, einfach geil

son trip kenn ich nur vom magic mushrooms :lol:
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Shimano
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Beitrag: # 6732524Beitrag Shimano
27.8.2008 - 9:39

UlleDoper hat geschrieben:einfach nur bombastisch deine Story! und nichts mit zuviel des Lobes...die beste die ich hier bisher gelesen habe
*stolz*

Danke Dir! ;)
Grave hat geschrieben:herrlich, muss mich meinem Vorredner anschliessen, einfach geil

son trip kenn ich nur vom magic mushrooms
Es war wohl die Aufregung vor dem ersten Rennen kombiniert mit dem arabischen Mokka und der hohen Luftfeuchtigkeit.

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