Tour de Lance

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

Valverde3007
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Beitrag: # 6738221Beitrag Valverde3007
30.9.2008 - 15:02

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Valverde3007
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Beitrag: # 6738819Beitrag Valverde3007
4.10.2008 - 21:47

Die Ruhe vor dem Sturm

Der Burg ruft. Und die Menschen strömen herbei. Massenweise pilgern sie die Pässe hinauf auf der Suche nach dem idealen Platz um die Etappe zu verfolgen. Doch sie kommen nicht nur wegen des Rennens. Sie kommen um das Ereignis Tour de France komplett mitzuerleben. Viele sind Tage vorher angereist und feiern schon bevor die Fahrer sich die Gipfel hinaufquälen. Reihenweise sind die Wohnwägen am Straßenrand geparkt. Es wimmelt bereits von Fans, einige haben Zelte aufgebaut, andere sitzen die ganze Nacht am Lagerfeuer. Menschen aus allen Kulturen sind gekommen, genießen das Erlebnis gemeinsam. Nach Einbruch der Dunkelheit grillen sie gemeinsam, deutsche Weißwürste und französische Merguez. Ein älterer Mann in einem gelben Trikot hat Farbe mitgebracht. Jetzt pinselt er voller Hingabe eine Anfeuerung für sein Idol auf die Straße „Venga Joseba“. Ein paar Meter weiter sieht man andere Aufschriften. Als alle Botschaften auf der Straße verewigt sind, trifft man sich vor einem Wohnwagen. Hier sind Bänke aufgebaut, die Fans setzen sich im Kreis zusammen. Sie machen Musik, ein Spanier sorgt mit einer Trommel für den Rhythmus, ein Brite singt und spielt Gitarre, der Rest stimmt mit ein. Diese Eintracht kann nichts stören, weder das nasskalte Wetter, noch Rivalitäten zwischen einzelnen Fahrern. Wenn sie hier am Feuer sitzen, sind sie alle gleich und wenn morgen die Fahrer vorbei fahren, wird jedem zugejubelt, egal welcher Nation oder welchen Teams. Die Leistung jedes einzelnen wird geschätzt und jeder, der diesen Anstieg in Angriff nimmt, wird von den Fans am Straßenrand dafür respektiert, geschätzt, bewundert. Wer morgen diesen Pass bewältigt, hat seinen Platz sicher in den Herzen der Radsportfans, ob es ein spanischer Bergfloh, ein belgischer Klassikerfahrer, ein kämpferischer Franzose oder der amerikanische Dominator ist. Die Stimmung ist geladen, es liegt Spannung in der Luft. Wird Armstrong morgen schon angreifen? Wird er straucheln? Wird jemand anderes das Zepter übernehmen? Noch waren alle Szenarien möglich. Morgen würde man die Antworten bekommen. Es sollte der Tag der Wahrheit werden.


Er blickte aus seinem Hotelfenster. Der Himmel war wolkenbedeckt, es regnete in Strömen. Das Thermometer zeigte schon im Tal nur 15 Grad Celsius an, auf den Gipfeln würde es noch viel kälter sein. Wegen des Wetters würde ein großer Teil des Pelotons schlecht gelaunt an diesen Tag heran gehen. Viele mochten es nicht, sondern bevorzugten warme Temperaturen und blauen Himmel. Genau an dieser Stelle lag ihr Vorteil. Ihnen war das Wetter egal, wenn sie Rad fuhren. Dann zählte noch mehr der Einsatz, der bedingungslose Wille, die Vorarbeit zu leisten, damit Lance später am letzten Anstieg vollenden konnte. Um diese Aufgabe optimal durchzuführen, konnte man seine Leistung nicht vom Wetter abhängig machen. Gerade an diesen Tagen zeigten sich ihre Stärken noch deutlicher. Wo andere aufgaben, kämpften sie weiter. Jan Ullrich war einer dieser Fahrer, die bei nasskalten Witterungsbedingungen nicht ihr komplettes Potenzial abrufen konnten. An solch Tagen wie heute brachen sie regelmäßig ein und machten den Weg frei für ihren Kapitän. Lance würde sich nicht von der Natur in die Knie zwingen lassen. Er würde gegen die Bedingungen ankämpfen mit allen Kräften die er mobilisieren könnte. Wenn andere aufsteckten, kämpfte er weiter. Er kämpfte für sein eines Ziel, der Tour wieder seinen Stempel aufzudrücken. Heute war sein Wetter, war sein Tag, war seine Tour.

Valverde3007
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Beitrag: # 6739078Beitrag Valverde3007
6.10.2008 - 21:53

Postalwetter

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Die Stimmung am Start war gespannt. Der bedeckte Himmel und der Regen schien vielen Fahrern, besonders den Sprintern, die Moral zu drücken. Aber er hatte wie sein Kapitän am Start ein gutes Gefühl. Er setzte sich gleich an die Spitze des Feldes und kontrollierte mit seinen Teamkollegen das Rennen, als sich eine Ausreißergruppe um Bobby Julich und erneut Inigo Landaluze absetzen konnte. Die Gruppe bedeutete Gefahr, weil Julich trotz seiner nicht so erfolgreichen letzten Jahre doch zu einem Überraschungsfaktor im Gesamtklassement werden konnte, und deshalb entschied Johan sie nicht fahren zu lassen, sondern Tempo zu machen. Den ersten Sprint erlebte das Feld dann wieder geschlossen und Erik Zabel konnte als zweiter hinter O’Grady seine Führung in der Punktewertung weiter ausbauen. Jetzt ging eine neue Gruppe um den Ausreißerkönig der Tour Landaluze und den französischen Tourhelden von 2001 Francois Simon. Alleine aus Respekt vor dem Mann, entschieden sie sich die ungefährliche Gruppe fahren zu lassen, damit sie sich in den Bergen ihren Fans präsentieren konnte.
Sie trudelten gemächlich durch die Landschaft, das Tempo war auf den nassen Straßen nicht besonders hoch. Die Ausreißer konnten ihren Vorsprung kontinuierlich ausbauen und so hatten sie im Austragungsort der olympischen Winterspiele von 1992 Albertville über acht Minuten Vorsprung. Aber dieser würde nicht reichen, denn gleich begann die Arbeit seines Teams, auf die sie die ersten Tourtage gewartet hatte. Tempo am Berg um die Kontrahenten mürbe zu fahren und Lance eine ideale Ausgangssituation zu verschaffen. Die Strecke machte einen Knick nach rechts und jetzt fuhren sie geradewegs auf sie zu – die Berge.

Vor lauter Regenjacken erkannte man die einzelnen Fahrer nicht. Es war ein schreckliches Wetter, das an dasjenige in Sestriere 1999, besonders aber an das in Hautacam 2000 erinnerte. Zwei Tage, an denen ein bärenstarker Lance Armstrong bereits die Tour zu seinen Gunsten entschieden hatte. Jetzt war es wieder so weit, vor den Fahrern ragten die Berge der Alpen in die Höhe. Während das Peloton noch in Albertville war, näherte sich die Spitzengruppe schon dem Anstieg zum Cormet de Roselend. Eine atemraubende Spannung lag in der Luft, die Atmosphäre der Bergetappen war bereits zu spüren. Dann erschien am Straßenrand das Schild, „Cormet de Roselend 20 km“ und die Straße fing an anzusteigen. Jetzt begann der Kampf im Hochgebirge. Gleich zu Beginn verschärfte Landaluze das Tempo, er zeigte seine Ambitionen neben der Kämpferwertung auch die Bergwertung zu übernehmen. Nur drei seiner Begleiter konnten ihm folgen, Jens Heppner, Ludovic Turpin und eben jener Held der Franzosen, der kleine Francois Simon. Sie fuhren schnell einen Vorsprung auf den Rest der Ausreißergruppe heraus, doch der Abstand auf das Hauptfeld wurde immer kleiner. Dort bestimmte US Postal ein sehr hohes Tempo. Bis acht Kilometer vor dem Gipfel wagte es niemand dem Tempodiktat der Amerikaner zu trotzen, aber dann versuchten es doch zwei Fahrer, die in der Gesamtwertung einiges gutzumachen hatten.

Der erste ernstzunehmende Angriff. Nachdem sie in den Vogesen, bzw. bei Stürzen auf den Flachetappen Zeit verloren hatten, versuchten Christophe Moreau und Francisco Mancebo diese nun auf den Bergetappen wieder herauszufahren. Doch da beide bereits über acht Minuten Rückstand hatten, interessierten die beiden sie weniger. Man dürfte ihnen nicht zu viel Vorsprung lassen, aber sie waren auch nicht so gefährlich, dass man ihnen nachjagen müsste. Er forcierte dennoch nach kurzer Zeit das Tempo, als Johan durchgab, dass die beiden schon fast zwei Minuten herausgefahren hatten. Zu sehr sollte man doch nicht mit dem Feuer spielen. Mit einem gleichmäßig hohen Tempo fuhr er an der Spitze. Doch das war heute so schwer wie noch nie. Nicht dass die Kehren des Anstieges sonst einfach zu bewältigen gewesen wären, aber bei dem Wetter war es die reinste Hölle. Sie fuhren um eine lang gezogene Linkskurve. Auf der rechten Straßenseite hätte jetzt eigentlich der Lac de Roselend zu sehen sein sollen, doch heute sah man rein gar nichts, alles war verdeckt von dem Nebel. Immerhin hatte es aufgehört zu regnen, doch im Regen hatte man wenigstens noch etwas gesehen. Kurz vor dem Gipfel musste er dann doch abreißen lassen. Aber die Gruppe an die er sich hängte ließ ihn zufrieden grinsen. Sein hohes Tempo konnten ehemalige Größen wie Francesco Casagrande, erneut Santiago Botero und Abraham Olano schon nicht mehr mitgehen. Er erblickte ein Straßenschild, das den letzten Kilometer ankündigte. Dann würde der schwerste Teil des Tages folgen, die Abfahrt, auf der heute das Sturzrisiko besonders hoch war.

Die Fernsehkameras hatten kurzfristig abschalten müssen, das Wetter hatte eine weitere Übertragung verhindert. Doch als Jean bereits laut gestikulierend durch das Zimmer rannte, erschien wenigstens ein Bild der fest montierten Kamera an der Bergwertung. Der erste, der sie überquerte war Inigo Landaluze, der damit die Führung in der Bergwertung übernehmen würde, begleitet von Heppner, Simon und Turpin. Nach und nach kam der Rest der Ausreißergruppe am Kulminationspunkt vorbei und drei Minuten später schließlich auch Moreau und Mancebo. Jetzt zählten die Sekunden, oder waren es bereits mehrere Minuten? Die Uhr tickte langsam hoch, dreißig Sekunden, eine Minute. Bei eineinhalb Minuten erreichte dann die Hauptgruppe das Sichtfeld der Kamera. Nick hielt den genauen Abstand fest. 1:43. Nicht viel, aber die Abfahrt bot noch Gelegenheit, Zeit herauszuholen. Als das französische Fernsehen ins Studio zurückschaltete kam eine verhaltene Frage von Monsieur: „Hat einer von euch den Galdeano gesehen?“

Mal schauen, ob es das ganze vielleicht in drei Teilen gibt. An dieser Stelle schien mir ein Cut einfach passend und das was nach Courchevel noch passierte, reicht vielleicht sogar für einen Dreiteiler. Weiterhin viel Spass beim Lesen.

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Time2Play
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Beitrag: # 6739083Beitrag Time2Play
6.10.2008 - 22:14

Endlich kommen die Berge :)

Valverde3007
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Beitrag: # 6739205Beitrag Valverde3007
7.10.2008 - 17:34

Postalwetter Teil 2
Er orientierte sich nur noch am Hinterrad seines Vordermannes. Von der Straße konnte man in dem Nebel ohnehin nicht mehr viel erkennen, die Sichtweite war unter gefühlte fünf Meter gesunken. Auf seinen wenige Millimeter breiten Reifen musste er trotz allem mit höchstem Risiko fahren. Die Gefahr eines Sturzes musste er in Kauf nehmen, wenn er dafür im Erfolgsfalle wieder in die Hauptgruppe vorfahren könnte um seinen Kapitän zu unterstützen. Mit seiner kleinen Gruppe erreichte er jetzt eine Kehrenkombination. Auf mittlerweile nur noch knapp 1200 Metern Höhe wurde auch die Sicht so langsam wieder besser. Zwar konnte er in der Ferne nicht den Mont Blanc sehen, den er bei idealen Bedingungen erblickt hätte, dafür konnte er den weiteren Verlauf der Straße besser überblicken und die folgenden Kurven besser ansteuern. Er warf einen kleinen Blick hinunter auf die nächsten Kehren um möglicherweise das Feld zu entdecken. Stattdessen fiel ihm ein gelbes Trikot ins Auge, das gelbe Trikot des Spitzenreiters. Das bedeutete, dass er wahrscheinlich schon in der Nähe des Feldes sein müsste. Allzu viel sollte der Spitzenreiter ja nicht verloren haben.

In der Abfahrt war alles wieder etwas zusammengerollt. Die Gruppe um das Maillot Jaune hatte das Ende des Hauptfeldes erreicht und auch die beiden Ausreißer vom Cormet hatten sich einer neuen Gruppe angeschlossen. Mancebo hatte es mit vollem Einsatz in der Abfahrt und dem folgenden leicht abschüssigen Teil nach vorne zu den vier Spitzenreitern geschafft, Moreau war mit einer ganz anderen, viel vorsichtigeren Fahrweise ins Hauptfeld, das jetzt wieder knapp 60 Fahrer umfasste, zurückgefallen. Die Spitzenreiter hatten inzwischen den zweiten Sprint in Bourg-Saint-Maurice absolviert und befanden sich wieder im Tal. Hier war das Wetter ein wenig besser als in der unmittelbaren Umgebung des ersten Passes. Der Regen hatte aufgehört, der Nebel war verschwunden, einzig die dunklen Wolken und die Strapazen des Tages machten den Fahrern noch zu schaffen.
Der Vorsprung der Führungsgruppe war auf zweieinhalb Minuten zusammengeschmolzen, eine Entwicklung, die dem Tempodiktat US Postals zu verdanken war. In der Abfahrt hatten wieder fast alle Mitglieder des Teams Anschluss gefunden und jetzt machten sieben Helfer vor ihrem Kapitän das Tempo. Besonders Ekimov und Hincapie opferten sich für Armstrong auf. Die intensive Arbeit vermittelte den Eindruck, dass Armstrong heute nicht nur Zeit gewinnen wollte, sondern auch die Etappe. Er wollte eine Vorentscheidung.

Sein Blick wanderte zu dem Bogen über der Straße und versuchte einen Blick auf die Zahl zu erhaschen. 25 Kilometer waren es noch und die Ausreißer hatten zwei Minuten Vorsprung. Das würde nicht reichen, auch nicht für Mancebo. Dazu war dieser nicht gut genug in Form. In Bride les Bains zu Beginn der Steigung hatten die fünf Ausreißer noch 1:30 Vorsprung. Laut Plan würden sie jetzt mit vollem Tempo in den Berg hineinfahren, anschließend sollte er so lange wie möglich das Tempo hochhalten und bei den erwarteten unbedeutenderen Attacken in den ersten steilen Stücken würden dann ihre Bergziegen übernehmen. Hochkonzentriert führte er die Gruppe in den Anstieg. Auf den ersten Metern wurde ihm klar, dass die Tempoarbeit im Tal zu viel Kraft gekostet hatte und er nicht mehr lange helfen könnte. Den ersten Kilometer der Steigung fuhr er mit letztem Einsatz von vorne. Dann schoss die Milchsäure in seine Beine, er konnte das Tempo nicht mehr weiter durchhalten. Während er nach links ausscherte, wäre er beinahe mit dem ersten Angreifer zusammengestoßen. Aber er konnte ihm ausweichen und sich die Nummer angucken. Es war die 27, Carlos Sastre. Nein, die Statur passte nicht, es war eine andere Zahl, die 21. Der Angriff auf Lance wurde damit eingeläutet.

„Basso mit einer ersten Attacke, aber der wird nicht wegkommen.“ Auch wenn er mit seinem ersten kleinen Antesten noch nicht Abstand gewann, war die Gruppe doch gleich zu Beginn des Anstieges dezimiert. Galdeano konnte das Tempo erneut nicht halten und fiel zurück, mit Laurent Jalabert und den beiden Armstronghelfern Victor Hugo Pena und George Hincapie ereilte dieses Schicksal zwei weitere Fahrer aus den Top10. Viele Fahrer waren zu entkräftet von dem stundenlangen Fahren im Regen, als dass sie jetzt noch das Tempo der Amerikaner mitgehen konnten. Einer nach dem anderen fiel aus der Gruppe hinaus, nach und nach wurden auch die verbliebenen Fahrer der ersten Ausreißergruppe ein- und überholt. Nun waren die absoluten Bergspezialisten unter sich. Chechu Rubiera setzte sich an die Spitze der verbliebenen 25 Fahrer und hielt das Tempo hoch um weitere Angriffe zu unterbinden, denn es würden mit Sicherheit weitere kommen.

„Gleich habt ihr den Mancebo. Die Gruppe ist schön klein. Tyler und Jose, haltet das Tempo hoch, dann können Roberto und Lance nachher alles auseinander nehmen.“ So positiv sich das anhörte, rutschte ihm das Herz in die Hose. Bassos Attacke hatte ihr Team schon gehörig dezimiert. Noch 20 Kilometer waren zu bewältigen und Lance hatte nur drei Helfer an seiner Seite. Heute müsste er das direkte Duell Mann gegen Mann gewinnen. Hoffentlich war er dazu fähig.

Das französische Fernsehen blendete gerade die momentanen Steigungsprozente ein, die zwischen 8 und 9 schwankten, als der nächste Angriff erfolgte. Wieder war es Ivan Basso, aber diesmal machte er ernst. Mit einem gewaltigen Antritt setzte er sich ab und nur einer konnte ihm folgen – Lance Armstrong. Mit seinem gewohnten Stil inklusive der hohen Übersetzung und dem häufigen Fahren im Wiegetritt kontrollierte er die Situation vom Hinterrad des Italieners aus. Als sie in einen flacheren Bereich kamen gesellte sich dann ein dritter Fahrer hinzu. Der deutsche Jan Ullrich war in seiner gewohnten ruhigen und kraftvollen Art nach vorne gefahren. Kurz dahinter befand sich eine neunköpfige Verfolgergruppe um Beloki, Mayo und Escartin. Aus dieser Gruppe erfolgte ein nächster überraschender Angriff. Der Franzose David Moncoutie hatte sich überraschend lange vorne gehalten und ergriff jetzt gar die Initiative. Als er fast an das Spitzentrio herangekommen war, passierte das, worauf die Zuschauer seit dem Start der Rundfahrt hingefiebert hatten. Die Favoriten legten ihre Karten auf den Tisch. Es hatte leicht angefangen zu nieseln und als Ullrich noch die Nase über das Wetter rümpfte, nutzte ein anderer die Gelegenheit um die alten Verhältnisse wiederherzustellen.

Gerrit
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Beitrag: # 6739213Beitrag Gerrit
7.10.2008 - 17:40

Weltkasse Ende, der letzte Satz, ist sau geil. Und typisch Ullrich, wird wohl einen Angriff von Armstrong verpennen :D

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mad
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Beitrag: # 6739309Beitrag mad
8.10.2008 - 9:44

Schade, dass du für die letzten Etappen keine Screenshots mehr gemacht hast. Gerade der Dreikampf Lance, Ulle, Basso und auch der Angriff Mancebos hätten doch klasse Stoff dafür geliefert...
"Von all den Dingen die mir verloren gegangen sind, habe ich am meisten an meinem Verstand gehangen..." - Ozzy Osbourne

Valverde3007
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Beitrag: # 6739418Beitrag Valverde3007
8.10.2008 - 21:39

Postalwetter Teil 3

Armstrong setzte sich mit einem schnellen Antritt zunächst an die Spitze der Gruppe, dann beschleunigte er weiter und riss ein Loch zwischen sich und seine Verfolger. Ullrich, der sich gerade nach den Wolken umgeschaut hatte, konnte nicht rechtzeitig kontern um das Hinterrad des Amerikaners zu erreichen und Basso schien sich zu Beginn der Steigung übernommen zu haben, so dass auch er nicht mehr mitgehen konnte. Er verlor jetzt sogar den Anschluss an seinen deutschen Kontrahenten und wurde von Moncoutie überholt, der jetzt seinen Rhythmus gefunden hatte und mit einer nie da gewesenen Form die maximale Steigung von knapp 10% überwand. Aber als er schließlich Ullrich erreicht hatte, musste er feststellen, dass Armstrong schon außer Reichweite war.

„Du hast sie abgehängt! Eine Lücke! Fünf Meter, zehn Meter, du kommst weg!“ Das euphorische Gejohle von Johan beruhigte ihn. Seine Muskeln entspannten sich ein wenig, soweit das an diesem Zeitpunkt des Rennens noch möglich war. Er genoss das Gefühl als der Regen auf ihn niederprasselte. Das bedeutete zwar weitere Qualen aber auch einen Vorteil für Lance. Der war dabei die Arbeit des Teams zu vollenden. Er würde das vollbringen, was Tyler zweimal nicht geschafft hatte. „15 Sekunden auf Ullrich und … Moncoutie. 30 Sekunden dahinter eine Gruppe um Basso und Escartin.“ Da hatte Lance schon gehörige Abstände gerissen. Aber was machte der Moncoutie da vorne. War der so stark oder blieb der Rest unter seinen Möglichkeiten? Im Moment war das egal, denn einer war heute der stärkste, ihr Kapitän.

Mittlerweile hatte sich eine fünfköpfige Verfolgergruppe gebildet, in der Zülle, Escartin, Basso, Vinokurov und Heras fuhren. Diese Gruppe hatte schon 48 Sekunden Rückstand und die letzten sieben Kilometer boten dem Texaner an der Spitze massig Zeit den Abstand zu vergrößern. Doch Armstrong war nicht mehr so souverän wie in früheren Jahren. An seinem Gesichtsausdruck sah man ihm schon die Qualen an. Verbissen kämpfte er um seinen Vorsprung, dennoch konnte er ihn momentan nicht ausbauen. Gerade als es schien, dass Armstrong sich aus eigener Kraft nicht mehr lange vorne halten könne, taten die Verfolger das beste um ihn zu unterstützen, sie attackierten sich gegenseitig.

„Komm Lance, hol dir den Etappensieg. Denk ans gelbe Trikot. ONCE hat keinen mehr vorne dabei.“ Das sollte es gewesen sein. Lance fuhr vorne, die drei Kapitäne von ONCE waren zurückgefallen, der totale Triumph für US Postal war nahe. „Du bist jetzt im flacheren Teil, Lance. Da holst du noch Minuten raus.“ Er war schon im oberen flachen Teil. Jetzt musste er nur noch sein Tempo durchziehen, dann hätte er es geschafft.

Das Rennen verlor jetzt seinen Kopf. Durch andauernde Attacken machten sich die Verfolger selber mürbe. Moncoutie attackierte Ullrich, in der nächsten Gruppe griff Zülle an, dann Escartin. Und zwischen den Attacken gab es taktische Spielchen. Die einzige verbliebene Konstante im Rennen war Lance Armstrong. Er hatte seine kleine Krise aus dem Steilstück überwunden und war den Sieg vor Augen souverän wie eh und je. Spielerisch leicht trat er seine kleine Übersetzung und vergrößerte den Abstand kontinuierlich. Mittlerweile hatte er 35 Sekunden auf seinen ersten Verfolger Jan Ullrich und etwa eine Minute auf die nächste Gruppe. Dort wurde es Basso jetzt zu bunt. Als Escartin und Zülle sich wiederholt beobachteten und den anderen in die Führung zwingen wollten, trat der Italiener an und ließ die beiden hinter sich. Vier Kilometer vor dem Ziel hatte er Moncoutie und Ullrich eingeholt. Als er sich gleich an die Spitze setzte, musste der Franzose schließlich den Anstrengungen Tribut zahlen und abreißen lassen. Jetzt war die Hierarchie der letzten Tour wiederhergestellt. Armstrong, Basso, Ullrich.

„Zwei Kilometer noch. Bald hast du eine Minute. Auf die nächsten Verfolger sind es fast zwei Minuten. Du nimmst heute die Tour auseinander.“ Es lief wie immer. Lance vollendete perfekt. Jetzt war der größte Druck weg. Sie müssten nicht mehr attackieren, sondern nur noch das gelbe Trikot verteidigen. Für Lance, der bald sein Comeback bekannt geben würde und seit Monaten professionell trainierte, wäre es kein Problem die Langzeiturlauber wie Ullrich in Schach zu halten.

Armstrong fuhr um eine scharfe Linkskurve, da sah man die flame rouge schon. Er beschleunigte, dann eine Kehre nach rechts, eine nach links und ein weiter Bogen nach rechts. 2005 wurde er hier von Valverde niedergesprintet, aber dieses Jahr hatte er dafür gesorgt, dass er den Gipfel alleine erreichte. Er zog das Trikot zu, richtete sich auf und fuhr mit ausgebreiteten Armen über die Ziellinie. Er war der Hausherr und hatte sein Territorium verteidigt. „Mal schauen, was die anderen verloren haben. Wer kommt eigentlich nach Basso und Ulle ins Ziel.“ Die suboptimale Bildführung der Regie hatte nicht klar gemacht, in welcher Reihenfolge die Fahrer genau ins Ziel kommen würden. Die ersten beiden waren Basso und Ullrich mit einer Minute. Dann eine größere Lücke. Als nächstes kam Alex Zülle um die Kurve geschossen. An seinem Hinterrad hingen Vinokurov, Escartin, Moncoutie und Heras. Anschließend eine Gruppe um Mayo, Totschnig und Hamilton. Das nächste Bild, dass sie sahen zeigte die geschlagenen des Tages. Während Armstrong schon das erste Interview gab, befand sich Galdeano noch an der 1000Meter-Marke. Im Ziel hatte er fünf Minuten Rückstand, womit das gelbe Trikot weiterwanderte zu seinem gewohnten Träger.

Zwanzig Minuten nach seinem Kapitän rollte er ins Ziel. Erschöpft aber glücklich machte er sich auf den Weg zum Teambus. Der Grundstein war gelegt. Es war wunderbar ihn wieder im gelben Trikot zu sehen, wie es sich gehörte. Außerdem war Tyler waren Tyler und Roberto wieder stark gefahren und hatten die Führung in der Mannschaftswertung gebracht. Außerdem lagen sie beide noch in der Nähe des Podiums. US Postal hatte funktioniert wie es sollte, einfach perfekt.


Tageswertung:
1.Lance Armstrong US Postal 4h59:28
2.Ivan Basso CSC 1:00
3.Jan Ullrich Telekom s.t.
4.Alex Zülle Banesto 1:52
5.Alexander Vinokurov Telekom s.t.
6.Fernando Escartin Kelme s.t.
7.Roberto Heras US Postal s.t.
8.David Moncoutie Cofidis s.t.
9.Iban Mayo Euskaltel 2:24
10.Georg Totschnig Gerolsteiner s.t.
11.Tyler Hamilton US Postal s.t.
12.Joseba Beloki ONCE 2:44
13.Alejandro Valverde Banesto s.t.
14.Richard Virenque Festina s.t.
15.Paolo Savoldelli Saeco s.t.

Gesamtwertung:
1.Lance Armstrong US Postal 38h12:13
2.Jan Ullrich Telekom 2:33
3.Joseba Beloki ONCE 2:47
4.Tyler Hamilton US Postal 3:10
5.Georg Totschnig Gerolsteiner 3:23
6.Ivan Basso CSC 3:31
7.Roberto Heras US Postal 4:13
8.Alex Zülle Banesto 4:34
9.Igor Gonzales de Galdeano ONCE 4:47
10.Iban Mayo Euskaltel 5:59
11.Jörg Jaksche ONCE 6:15
12.Paolo Savoldelli Saeco 6:19
13.Fernando Escartin Kelme 6:21
14.Alejandro Valverde Banesto 7:00
15.Victor Hugo Pena US Postal 7:02

Sprintwertung
1. Erik Zabel Telekom 155
2. Mario Cipollini Saeco 136
3. Robbie McEwen Lotto 128
4. Baden Cooke FdJeux 104
5.Oscar Freire Rabobank 101

Bergwertung

1.Inigo Landaluze Euskaltel 69
2. Erik Dekker Rabobank 63
3. Marzio Bruseghin Lampre 63
4. Christophe Rinero Cofidis 61
5. Lance Armstrong US Postal 55


Teamwertung:
1.US Postal 113:30:55
2.ONCE 6:58
3.CSC 8:34
4.Telekom 11:54
5.Banesto 11:57

Aktivster Fahrer
1.Iniho Landaluze Euskaltel 668
2.Raivis Belohvosciks Lampre 534
3.Walter Beneteau Bonjour 382
4.Erik Dekker Rabobank 374
5.Jose Vicente Garcia Acosta Banesto 371


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Beitrag: # 6739460Beitrag Time2Play
9.10.2008 - 8:04

Weiterhin Top!

Valverde3007
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Beitrag: # 6740049Beitrag Valverde3007
13.10.2008 - 0:24

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Valverde3007
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Beitrag: # 6741085Beitrag Valverde3007
20.10.2008 - 14:34

Revanche am Galibier?

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Courchevel am morgen. Die Etappe startete mit ganz anderen Vorzeichen als gestern. Das Wetter war wieder schöner geworden. Es hatte aufgehört zu regnen und die Temperaturen näherten sich den 20 Grad. Alles in allem hatten sich die Vorraussetzungen also ins Gegenteil gewandelt, was ihnen nicht entgegenkam. Heute würden sie Angriffe der anderen erwarten müssen, zuerst auf dem Col de la Madeleine, einem der Lieblingsberge Ullrichs und anschließend an der Kombination Telegraphe/Galibier. Nach dem dominanten ersten Auftritt von Lance waren die anderen bereits heute in Zugzwang. Viel mehr Zeit durften sie nicht mehr verlieren, im Gegenteil, sie mussten jede Chance nutzen die verlorenen Minuten wieder gutzumachen. Für das Postalteam war es nach den gestrigen Anstrengungen heute das Ziel den Vorsprung zu halten und den erarbeiteten Vorsprung mit in die Pyrenäen zu nehmen. Lance hatte in Interviews verlauten lassen, dass er sich nicht so gut fühle und heute nur reagieren würde. War es ein Bluff wie in Alpe D’Huez? War es Schwäche wie am Plateau de Bonascre? Er vertraute in die Stärke seines Kapitäns und würde genau so wie immer seine Arbeit leisten. Lance würde es schon richten.

In der ersten Abfahrt hatten sich zwei Fahrer abgesetzt, die jetzt als erste in den Col de la Madeleine hineinfuhren. Jerome Pineau und Mirko Celestino waren die ersten Angreifer des Tages gewesen und nahmen den Col de la Madeleine mit knapp sieben Minuten Vorsprung in Angriff. Sie bedeuteten aber beide keine Gefahr und wurden deshalb auch eher halbherzig verfolgt. Wie erwartet erfolgten auf den ersten Kilometern des Anstieges dann Attacken, aber die Besetzung der sich bildenden Verfolgergruppe enttäuschte. Statt der Favoriten hatten Fahrer wie Bruseghin und Rinero, die um das Bergtrikot kämpften und Klassikerfahrer wie Bartoli und Bortolami angegriffen. Ansonsten verliefen die ersten 18 Kilometer des Anstieges im Gegensatz zu bisherigen Tour aktionslos. Erst kurz vor der Spitze fasste sich ein Baske das Herz für eine Attacke. David Etxebarria stürmte das letzte Stück des Madeleine nach oben, verfolgt von Laurent Brochard, Alejandro Valverde und dem Aufpasser von US Postal Jose Luis Rubiera. Sechs Minuten hinter den beiden Führenden begaben sie sich auf die Abfahrt. Eine Ankündigung der Kommentatoren in die Werbung zu gehen wurde von einem nächsten Livebild der Bergwertung unterbrochen. Eine kleine Gruppe fuhr einige Zeit nach dem Feld über den Gipfel, unter ihnen die Startnummern 21 und 61. Zwei Kapitäne, was hatte das zu bedeuten?

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Links die beiden abgehängten Kapitäne mit ihren Helfern, rechts die beiden Ausreißer Pineau(BTL) und Celestino(SAE).

Wagemutig raste er die Abfahrt hinunter und bald hatte er die Ausreißer auch wieder im Blick. Da kam eine Meldung von Johan über Funk: „Basso und Mayo sind zurückgefallen.“ Halb entsetzt, halb erfreut nahm er die Nachricht entgegen und machte sich gerade bereit, noch schneller um die Kurven zu fahren, als ein zweiter Kommentar kam: „Wir warten. Die beiden waren gestürzt.“ Lächerlich. Enttäuscht ging er aus der Führung. Dieses dauernde Warten. Damals bei Jan Ullrich hatte Lance auch gewartet, da war die Tour schon entschieden gewesen. Hätten sie gewartet, wenn Fahrer wie Guerini oder Kirsipuu gestürzt wären? Nein! Statt den Wink des Schicksals anzunehmen und zwei wichtige Konkurrenten zu distanzieren, warteten sie. Aber es hatte auch seine Vorteile. Wenn Lance gewinnen würde, gäbe es keine Zweifel an seiner unglaublichen Überlegenheit.

Basso und Mayo schafften es mit Hilfe ihrer Teamkameraden schnell wieder ins Feld, nachdem US Postal das Tempo herausgenommen hatte. Das kam natürlich auch den Spitzenreitern entgegen, die ihren Vorsprung weiter ausbauen konnten. Den Fuß des Col du Telegraphe erreichten Celestino und Pineau mit knapp acht Minuten Vorsprung und gleich auf den ersten Kilometern setzte sich der Italiener ab. Man sah im den unbedingten Willen an, die weiteren Bergwertungen zu gewinnen, denn der Gewinn der Bergwertung am Telegraphe würde ihn schon sehr dicht an das gepunktete Trikot heranschieben. Aber bis zum Galibier zu kommen wurde ihm nun von dem Feld erschwert, das endlich aufgewacht war. Gleich zu Beginn des ersten Anstieges bildete sich eine kleine Gruppe um Christophe Moreau, Francesco Casagrande und Levi Leipheimer. Die drei formschwachen Profis harmonierten aber nicht gut und konnten deshalb keinen größeren Vorsprung herausfahren. Dennoch holten sie nach und nach die ehemaligen Mitglieder der Verfolgergruppe ein und erreichten als erste den Gipfel des Col du Telegraphe.

Sie hielten die beiden Verfolger an der kurzen Leine, waren sich aber auch bewusst, dass bei acht Minuten Vorsprung keinerlei Gefahr in der Gesamtwertung bestand. Seine Beine wurden bereits schwer, aber bis jetzt schaffte er es noch sich damit zu motivieren, dass er die eingeholten Fahrer an sich vorbeiziehen sah. Aufmerksam verfolgte er die Entfernungsangaben am Streckenrand und von Johan. Immer näher kamen sie dem Gipfel und weiterhin blieben die Topfavoriten ruhig. Als er den Gipfel drei Minuten nach Celestino passiert, bekam er das Gefühl, dass die Etappe ähnlich viele Aktion wie bei der letzten Austragung 2005 haben würde. Damals war eine größere Gruppe hinter den beiden Ausreißern Botero und Vinokurov ins Ziel gekommen. Wenn es heute so laufen würde, könnte die Mannschaft zufrieden sein. Sie würden heute nicht viel Zeit gewinnen, aber sie hätten das Peloton kontrolliert, die gute Ausgangslage für die Pyrenäen gehalten. Doch als sie den Ort Valloire durchquert hatten und die ersten Rampen des Galibier erreichten war sein Wunschdenken schon dahin. Die Kapitäne schickten ihre Leutnante vor, ein klares Zeichen, dass sie sich für den Kampf wappneten.

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US Postal kontrolliert das Feld, daneben der erste ernstzunehmende Angriff am Galbier.

Valverde3007
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Beitrag: # 6741195Beitrag Valverde3007
21.10.2008 - 2:04

Revanche am Galibier? Teil 2

„Mancebo, Klöden, Azevedo, Botero.“ Relativ illustre Namen, die jetzt einige Sekunden vor dem Feld fuhren. Sicherlich waren die vier nicht mehr als ernsthafte Kandidaten für das Klassement anzusehen, aber wenn es einer ihrer Kapitäne alleine zu der Gruppe schaffen sollte, hätte er einen starken Helfer an seiner Seite. US Postal und CSC machten aber gleich deutlich, dass ihnen diese Gruppe nicht gefiel. Die Helfer für flaches Terrain fielen jetzt zurück, die Berghelfer fuhren nun von der Spitze. Als die Gruppe es nicht richtig schaffte davonzukommen, griff Mancebo ein zweites mal an, diesmal mit Erfolg. Die anderen Fahrer wurden eingeholt, während er sich einen komfortablen Vorsprung von mehr als einer Minute erarbeitete. Die Hauptgruppe erreichte nun einen etwas flacheren Teil des Anstieges. Das stark gesunkene Tempo des Feldes nutzte der Spanier Carlos Sastre zu einer Attacke, aber auch er sollte schnell neutralisiert werden.

Das Tempo in der Gruppe war eingeschlafen, was man daran bemerken konnte, dass er wieder Anschluss ans Feld fand und sich gleich wieder an die Spitze setzen konnte. Das folgende flachere Stück kam ihm entgegen und so leerte er seine letzten Reserven. Sie erreichten das Dorf Bonnenuit und schließlich den Plan Lachat. Jetzt begannen die entscheidenden Kilometer, wo es richtig steil wurde. Sie hatten nun eine Höhe von über 2000 Metern erreicht und dementsprechend wurde die Luft dünner und dünner. Und der Berg wurde steiler und steiler. Hier wurden häufig die Fronten geklärt, wie 1998, als Pantani an diesem Berg den Grundstein für seinen Toursieg legte. Heute wollten es andere versuchen. Links von ihm beschleunigte das Team Banesto, Beltran zog seinen Kapitän Alex Zülle nach vorne. Ein gutes Stück leistete er noch die Führungsarbeit für den Schweizer, bis dieser dann seinen spanischen Teamkollegen stehen ließ und sich auf den Weg nach vorne zu Mancebo machte. Das was sie verhindern wollten, dass ein Kapitän mit einem starken Berghelfer auf und davon fuhr, war eingetreten. Jetzt müsste das Team arbeiten um die beiden wieder einzufangen, aber das war nicht seine Aufgabe. Entkräftet fiel er zurück und begann schon mit seiner geistigen Vorbereitung auf die nächsten Tage.

Zülle kam weg. Die steilsten Rampen nahm er scheinbar spielerisch und schnell erreichte er Mancebo, der vorne gewartet hatte. Hinter ihnen wurde nun das Rennen eröffnet. Nacheinander hatten Carlos Sastre und Ivan Basso attackiert und so hatte sich eine kleine Verfolgergruppe aus acht Fahrern gebildet. Dabei hatte Armstrong mit Roberto Heras und Tyler Hamilton noch zwei starke Helfer an seiner Seite, was Postal außerdem einen taktischen Vorteil verschaffte, weil sonst nur noch Telekom in Ullrich und Vinokurov zwei Fahrer vorne hatte. Jetzt folgte ein Angriff auf den nächsten. Mal war es Iban Mayo, dann wieder Escartin oder einer der beiden Telekomfahrer. Aber Armstrongs Helfer hielten alles zusammen und jeder Angriff verpuffte im nichts. Sie holten Mancebo ein, der mittlerweile seinen Kapitän alleine lassen musste und ließen ihn gleich wieder stehen. Sonst blieb die Gruppe aber zusammen, man sah am Galibier nicht, wer der stärkste Fahrer war, man konnte nur sehen, wer Schwierigkeiten im Hochgebirge hatte. Wieder enttäuschte das Team ONCE auf ganzer Linie, Beloki fuhr in einer dritten Gruppe hinter Zülle und seinen Verfolgern, Azevedo hatte den Anschluss auch verloren und Jaksche und Galdeano orientierten sich mittlerweile eher Richtung Gruppetto als Richtung Spitze.
Einen ganz starken Eindruck machte bis jetzt Zülle. Aber dass das täuschte mussten die Schweizer Radsportfans dann kurz vor dem Gipfel feststellen. Armstrongs Berglokomotive Heras holte ihn Meter vor dem Gipfel ein und verwehrte dem Banestokapitän damit sogar den Teilerfolg, das Dach der Tour als erster zu überqueren. Nach der ersten Gruppe klaffte dann ein Loch, als nächstes überquerte eine Gruppe mit den beiden Franzosen Moncoutie und Virenque, Pavel Tonkov, Beloki und Valverde mit einem Abstand von 40 Sekunden den Gipfel, bevor mit knapp eineinhalb Minuten die nächsten Verfolger den Galibier erreichten.

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Links Bassos Tempoverschärfung, die das Feld sprengt, rechts die Spitzengruppe auf der Abfahrt.

„40 Sekunden, eine Minute und 30 Sekunden.“ Es hatte Abstände gegeben, aber diese waren zu gering gewesen. Heute hatte man einige Gegner weiter distanzieren wollen um den Kreis der Favoriten stark einzuschränken. Stattdessen waren die ersten zwanzig Fahrer immer noch nah beieinander. Jetzt mussten sie darauf hoffen, dass Tyler und Roberto auf dem Weg nach Briancon durch gutes Harmonieren noch einiges an Zeit gewinnen würden. Sonst wäre es ein Tag ohne zählbares. Die Etappe hatte vom Profil wieder als Königsetappe der Tour gezählt, aber wieder war nichts herausgekommen. „Jungs, wir haben das Bergtrikot. Tyler hat ganz schon viele Punkte gehamstert. Er führt jetzt.“ Doch noch ein Erfolg am heutigen Tag. Das Bergtrikot. Alles andere war Routine.

Die neun Führenden konnten ihren Vorsprung schnell auf eine Minute ausbauen, aber dann begannen sie uneinig zu fahren. Die Spanier Escartin und Mayo hatten gar kein Interesse mehr an Führungsarbeit, sie schoben die Verantwortung Vinokurov und Ullrich zu. Vinokurov zeigte Interesse an der Führungsarbeit, wollte diese aber nicht als einziger Kapitän verrichten. Somit blieb alles an Hamilton und Heras hängen. Doch Hamilton war nach seinen Husarenritten in den Vogesen erschöpft und Heras Stärken lagen zweifelsfrei im Fahren bergauf und nicht leicht bergab. Und so schafften es die Verfolger bis zum Fuße des Schlussanstieges nach Briancon bis auf dreißig Sekunden an die Spitzenreiter heran. Auf den ersten Metern der letzten kurzen Steigung traten gleich zwei Fahrer an: Ivan Basso und Jan Ullrich. Aber wo war Armstrong?

„Tyler, Roberto, fahrt das Loch zu. Gebt alles!“ Der sonst so kontrollierte sportliche Leiter schrie nun entsetzt letzte Anweisungen. Es war ein Schock für die ganze Mannschaft. Basso und Ullrich konnten sich auf den letzten zwei Kilometern absetzen und würden möglicherweise Zeit gewinnen. Der Verlust, die Niederlage, das waren Dinge, die im Postalteam gar nicht mehr bekannt waren. Auf den letzten zwei Siegesfahrten durch Frankreich hatten sie sich auf keiner Etappe als Verlierer fühlen müssen. Heute schien es als würden sie Zeit verlieren.

Armstrongs Helfer hatten ihre Arbeit getan. Jetzt nahm der Chef das Heft des Handelns selber in die Hand. Armstrong setzte sich an die Spitze. Zülle fiel zurück, nur noch Vinokurov, Mayo und Escartin konnten ihm folgen. Die Spitzenreiter fühlten bereits den heißen texanischen Atem im Nacken, als sie sich mit letzter Kraft dagegen aufbäumten. Und es schien zu reichen. Basso fuhr den Sprint von vorne und Ullrich ging in bester Sprintermanier vorbei. Der noch bessere Sprinter war am heutigen Tage aber Lance Armstrong. Bei dem Blick auf die Bilder des Schlusssprintes konnte man nur den Vergleich mit Villard-de-Lans ziehen. Armstrong wollte Ullrich das Schicksal von Klöden bringen. Er sog sich immer näher an seinen Konkurrenten heran, scherte aus, aber sein Antritt war zu spät gekommen. Anders als sein Freund und Helfer Andreas Klöden hatte Jan Ullrich dem Amerikaner getrotzt und seinen ersten Etappensieg bei einer großen Rundfahrt außerhalb eines Zeitfahrens seit der Vuelta 99 gefeiert. Er hatte seinen Anspruch deutlich gemacht, dass er wie fast immer in den früheren Jahren der Herausforderer Nummer eins sein würde, entschlossen die Verhältnisse umzukehren.

Bild
Die beiden Angreifer im Schlussanstieg mit dem scheinbar distanzierten Armstrong im Hintergrund und der denkbar knappe Zieleinlauf

Tageswertung:
1.Jan Ullrich Telekom 4h39:28
2.Lance Armstrong US Postal s.t.
3.Fernando Escartin Kelme s.t.
4.Alexander Vinokurov Telekom s.t.
5.Ivan Basso CSC s.t.
6.Iban Mayo Euskaltel s.t.
7.Alex Zülle Banesto 0:26
8.Tyler Hamilton US Postal 0:36
9.Roberto Heras US Postal s.t.
10.Richard Virenque Festina 0:49
11.David Moncoutie Cofidis s.t.
12.Joseba Beloki ONCE 1:03
13.Pavel Tonkov Mapei 1:42
14.Alejandro Valverde Banesto s.t.
15.Carlos Sastre CSC 2:37

Gesamtwertung:
1.Lance Armstrong US Postal 42h51:29
2.Jan Ullrich Telekom 2:25
3.Ivan Basso CSC 3:43
4.Tyler Hamilton US Postal 3:49
5.Joseba Beloki ONCE 4:02
6.Roberto Heras US Postal 5:03
7.Alex Zülle Banesto 5:12
8.Iban Mayo Euskaltel 6:11
9.Fernando Escartin Kelme 6:25
10.Georg Totschnig Gerolsteiner 6:50
11.Alexander Vinokurov Telekom 7:51
12.Alejandro Valverde Banesto 8:54
13.Pavel Tonkov Mapei 9:28
14.Paolo Savoldelli Saeco 9:29
15.David Moncoutie Cofidis 10:00

Sprintwertung
1. Erik Zabel Telekom 155
2. Mario Cipollini Saeco 136
3. Robbie McEwen Lotto 128
4. Baden Cooke FdJeux 104
5.Oscar Freire Rabobank 101

Bergwertung

1.Tyler Hamilton US Postal 84
2. Marzio Bruseghin Fassa Bortolo 77
3. Kurt van de Wouwer Lotto 75
4. Christophe Rinero Cofidis 73
5. Ivan Basso CSC 70


Teamwertung:
1.US Postal 127:30:31
2.Telekom 13:19
3.CSC 15:50
4.ONCE 16:21
5.Banesto 17:21

Aktivster Fahrer
1.Iniho Landaluze Euskaltel 668
2.Raivis Belohvosciks Lampre 534
3.Walter Beneteau Bonjour 382
4.Erik Dekker Rabobank 374
5.Jose Vicente Garcia Acosta Banesto 371
Zuletzt geändert von Valverde3007 am 22.10.2008 - 15:24, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitrag: # 6741196Beitrag Time2Play
21.10.2008 - 3:02

Ich glaub ich träume, um 3 Uhr nachts noch was neues, lohnt sich ja richtig um diese Uhrzeit mal vorbeizuschauen =)

Weiterhin klasse AAR :D
<b>Sattlerei Ski-Challenge Gesamtweltcupsieger und Weltmeister 2008/2009</b>

Valverde3007
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Beitrag: # 6741291Beitrag Valverde3007
22.10.2008 - 0:40

Ein Kaiser am Tag der Franzosen

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Das Thermometer zeigte 36 Grad an. Im Schatten. Wie sollte dann das Rennen aussehen, wenn sie über den glühend heißen Asphalt rasen mussten. Und dann auch noch heute, an diesem besonderen Tag. Die einzige Hoffnung des Teams war, dass sich schnell eine Gruppe absetzen würde, die keinen gefährlichen Fahrer für die Gesamtwertung dabei haben würde und mit mehreren Minuten ins Ziel rollen würde. Das Postalteam würde die alibimäßige Arbeit verrichten und vor dem Ziel an die Sprinter übergeben, die dann die Platzierungen aussprinten würden. Dieses Szenario war aber größtenteils Wunschdenken. Allen war klar, dass es eine Gruppe von Fahrern gab, die das Rennen so schwer wie möglich machen würden. Sollten sie doch ihr Privatrennen fahren und die anderen in Ruhe lassen. Bei der Hitze würde er am liebsten jeden unnötigen Kraftaufwand vermeiden.

14. Juli. Der Nationalfeiertag der Franzosen. Heute standen sie allesamt hochmotiviert am Start um ihren Fans und Landsmännern einen französischen Etappensieg zu schenken. Heute wurde von ihnen Leistung erwartet, von Laurent Jalabert, von Richard Virenque, von David Moncoutie. Die Streckenplaner haben die besonderen Gegebenheiten des Tages berücksichtigt. Es ging durch hügeliges Gelände aus den Alpen heraus nach Digne-les-Bains, wo zum Schluss noch ein Rundkurs mit dem Col du Corobin angehängt war. Hier erwartete man Attacken aus einer wahrscheinlich größeren Verfolgergruppe. Das französische Fernsehen zeigte Interviews mit einigen Fahrern, die zeigten um was es bei dieser Etappe ging. „Das heute ist kein Radrennen wie jedes andere. Wer in Digne Erfolg hat, den vergisst man so schnell nicht. Deshalb werden wir auch alles geben, es geht auch noch um die Kämpferwertung.“, meinte Walter Beneteau stellvertretend für sein Team. Laurent Jalabert erläuterte die Wertigkeit eines Etappensieges am 14. Juli: „Ob ich meinen ersten Etappensieg gegen einen Sieg heute eintauschen würde? Selbstverständlich.“ Und genau das, was die Fahrer vor Beginn des Rennens ankündigten, setzten sie auch um. Die totale Offensive.

Es gab viel zu tun. Mehr als auf der gestrigen Etappe, obwohl das Terrain sehr viel ebener war. Aber im Gegensatz zu der Hochgebirgsetappe am Vortag, wurde keine Ausreißergruppe fahren gelassen. Wenn sie einmal das Gefühl hatten, es hätte sich eine akzeptable Gruppe gefunden, setzte irgendein französisches Team nach, das diese verpasst hatte. Die Gruppe wurde eingefangen, die nächste ging. Als dann die Franzosen zufrieden waren, fuhr das Postalteam hinterher, weil Fahrer wie Moncoutie und Virenque nicht in den Ausreißergruppen geduldet werden konnten. So ging es die erste Rennstunde. Dazu kam das ständige auf und ab, kurze Abfahrten, dann wieder kurze, steile Anstiege. In den ersten eineinhalb Stunden, in denen sie bereits 70 Kilometer zurückgelegt hatten, schaffte es keine Gruppe weiter als eine Minute wegzukommen, bis dann der Col St.Jean erreicht wurde. Gleich am Anfang des Hügels wurde es Francisco Mancebo zu bunt und er griff wie in den Alpen an, gefolgt von Santiago Botero und Axel Merckx. Diese Fahrer hatten genug Rückstand im Klassement, dass Johan entschied sie fahren zu lassen und sie waren zu stark, sodass die französischen Teams sie am Anstieg nicht wieder einholen konnten.

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Eine symbolische Ausreißergruppe für den hektischen Rennbeginn und Mancebo, der den Franzosen zeigt wie man richtig attackiert.

Die Fahrer erreichten nun die erste Zielpassage in Digne-les-Bains. Mancebo hatte sich von seinen beiden Mitausreißern abgesetzt und führte das Rennen mit etwa einer Minute Vorsprung an. Dahinter hatte sich eine weitere Gruppe mit Boogerd, Kirchen und Klöden gebildet. Aber wo waren die Franzosen? Wollten sie ihren Etappensieg so leicht herschenken? Noch hatten sie den Anstieg zum Col du Corobin um die Konstellation im Rennen zu ändern. Und wie es aussah, sollte es auch dazu kommen. Mittlerweile fuhren mehrere Fahrer von Jalaberts Team CSC und den Franzosen von FdJeux und Cofidis an der Spitze des Feldes und reduzierten den Abstand auf den Spitzenreiter auf etwas weniger als eine Minute. Sie erreichten den Ortsausgang Richtung Südosten und nahmen den Col du Corobin in Angriff.

Er fuhr relativ weit vorne im Feld um möglicherweise entstehende Löcher zu stopfen. Nachdem sie die Führenden fast eingeholt hatten, erwarteten sie weitere Attacken, bei den Witterungsbedingungen von den Spaniern und natürlich von den Franzosen. Und genau so kam es. Den ersten Angriff lancierte Patrice Halgand, den aber das Team FdJeux schnell wieder einholte. Doch um den nächsten Angriff musste sich US Postal selber kümmern. Joseba Beloki griff gemeinsam mit Paolo Savoldelli an. Jetzt ging es um die Gesamtwertung, das war ihre Aufgabe. Er setzte sich an die Spitze und jagte den beiden Angreifern hinterher. Nach und nach fielen die ehemaligen Spitzenreiter zurück, auch Mancebo erreichte den Gipfel zum wiederholten male nicht an der Spitze und wurde vom Feld geschluckt. Das Hauptaugenmerk lag aber auf Beloki. Dem Kapitän von ONCE merkte man noch klar seine Schwäche aus den Alpen an, das Loch wurde immer kleiner. Meter um Meter rückten das Feld wieder an ihn heran. Und kurz bevor es zu dem Zusammenschluss kam, kam auch die Attacke, die den ganzen Tag schon erwartet worden war.

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Die Attacken von Beloki und Savoldelli, bzw. die Attacke des französischen Nationalhelden.

Valverde3007
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Beitrag: # 6741303Beitrag Valverde3007
22.10.2008 - 12:03

Ein Kaiser am Tag der Franzosen Teil 2

Laurent Jalabert lancierte einen Angriff, der zunächst nur von Casagrande beantwortet worden konnte. Dann erhöhte aber das Team Telekom das Tempo, erst mit Andreas Klöden, anschließend übernahm schon Alexander Vinokurov. Das Feld hatte sich mittlerweile unter dem horrenden Tempo bereits zweigeteilt. Er versuchte mit letzter Kraft am Hinterrad der Telekomfahrer an der Spitze zu bleiben, aber sie legten ein Tempo vor, das er bisher nur von Floyd Landis am Col des Saisies kannte. Er ließ reißen und übergab die Verantwortung an Hamilton und Heras, die als einzige dem Tempo folgen konnten. Gemeinsam mit Rubiera drosselte er wieder sein Tempo und sah mit ungläubigem Staunen zu was die Telekomprofis fähig waren. Sie erreichten ein kurzes flaches Stück etwa fünf Kilometer vor dem Gipfel und rollten wieder an eine kleine Gruppe heran. Aber vorne ging weiter die Post ab. Johan offenbarte nun ein noch größeres Entsetzen als bei den Angriffen in Briancon. „Holt ihn wieder ein. Der darf nicht wegfahren.“ Als kleinlaute Antwort ertönte aber nur: „Chef, hier ist niemand mehr zum Einholen. Er hat die Gruppe zum Platzen gebracht.“

Kurz nach dem Flachstück war Vinokurov aus der Führung gegangen und sein Kapitän hatte angegriffen, beziehungsweise hatte er das Tempo in seiner unnachahmlichen Art erhöht, sodass ihm niemand mehr folgen konnte. Er, Jan Ullrich, war schnell an Casagrande und Jalabert herangefahren und hatte sie gleich hinter sich gelassen. Mit Müh und Not konnte Casagrande sein Hinterrad halten, Jalabert hatte nichts mehr dagegenzusetzen. Ullrich spulte bis zum Gipfel weiter seinen Rhythmus ab, während die stark dezimierte Verfolgergruppe verzweifelt um Anschluss kämpfte. Er strahlt jetzt genau die Souveränität aus, die man sonst von seinem texanischen Kontrahenten kannte. Unbeirrt drückte er seine hohe Frequenz den Berg hinauf. An der Kuppe des Col du Corobin hatte Ullrich schließlich schon 45 Sekunden Vorsprung. Und genau so couragiert, wie er den Angriff gefahren war, nahm er die Abfahrt in Angriff.

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Ullrichs Attacke, Bassos Versuch den Schaden zu begrenzen.

Gemeinsam versuchten sie in der Abfahrt wieder Anschluss zu finden und wieder an die Gruppe heranzukommen. Jetzt wurden sie benötigt um das immer größer werdende Loch zum exzellenten Zeitfahrer Ullrich wieder zu schließen. Am Fuße der Abfahrt, wo die Strecke einen Knick nach Norden machte, hatten sie das Feld schließlich erreicht und setzten sich gleich an die Spitze. Aber die Motorradkameramänner verkündigten nichts Gutes. Der Vorsprung der Ausreißer war auf 1:15 angewachsen. Ullrich drohte ihre Pläne zu durchkreuzen und einen Machtwechsel anzustreben. Mit dieser Meinung stand das US Postalteam nicht alleine. Auch die anderen Favoriten wurden nervös, so nervös, dass sogar Basso und Mayo an der letzten Kuppe, einer Bergwertung der vierten Kategorie, selber die Führungsarbeit übernahmen und eine weitere Selektion im dezimierten Feld durchführten.

Ullrich und Casagrande hatten einiges an ihrem Vorsprung eingebüßt, mit knapp 45 Sekunden Vorsprung erreichten sie die 10-Kilometermarke. Aber jetzt harmonierten sie auch nicht mehr so gut. Casagrande schien müde vom enormen Tempo von Jan Ullrich zu sein und der deutsche war unentschlossen, ob er in Rücksicht auf die folgenden Bergetappen voll durchfahren sollte. Der Vorsprung wurde also immer kleiner, dreizig Sekunden fünf Kilometer vor dem Ziel, fünfzehn an der flame rouge. Dann attackierte Casagrande, der die ganze Zeit nur an Ullrichs Hinterrad gehangen hatte und riss ein Loch zwischen ihm und dem überraschten deutschen. Dieser konnte das Loch nicht mehr schließen, im Gegenteil schien er nun demoralisiert und verlor noch mehr Zeit auf die Gruppe. Dennoch reichte es bis ins Ziel. Casagrande überquerte Sekunden vor Ullrich das Ziel und dann folgte die durch den Massensprint auseinander gezogene Führungsgruppe, die nur noch 30 Mann umfasste. Armstrong überquerte die Linie mit einem Rückstand von fünfzehn Sekunden. Aber als Ullrich sich im Ziel über den Coup des Tages freuen wollte, kam die Nachricht der Jury, die Gruppe würde komplett die gleiche Zeit bekommen, vom ersten Casagrande bis zum letzten Roberto Laiseka. Was darauf folgte waren wilde Proteste des Telekomteams, die aber allesamt abgeschmettert wurden. So blieben Ullrich nur die 12 Sekunden Zeitgutschrift.


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Casagrandes Angriff und seine Zieldurchfahrt als Sieger

Glück gehabt. Die Jury hatte zu ihren Gunsten entschieden. Ob Lance oder Johan als Veranstalter dabei ihre Finger im Spiel gehabt hatten, war ihm egal. Der Schaden war in Grenzen gehalten und irgendwann würde Ullrich die Quittung für seine Attacke bekommen. Am ersten Tag in den Pyrenäen würden sie ihn vernichtend schlagen. Die Ausgangslage hatte sich heute zwar minimal verschlechtert, aber dennoch hatten sie weiterhin das gelbe Trikot. Er betrachtete die Ergebnislisten. Daraufhin konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Jalabert hatte den Sprint der Verfolger gewonnen, Halgand den des Feldes vor Vogondy. Aber der Sieger am französischen Nationalfeiertag kam aus Italien.

Tageswertung:

1.Francesco Casagrande Fassa Bortolo
2.Jan Ullrich Telekom s.t.
3.Laurent Jalabert CSC s.t.
4.Alejandro Valverde Banesto s.t.
5.Tyler Hamilton US Postal s.t.
6.Alexander Vinokurov Telekom s.t.
7.Sylvain Chavanel Bonjour s.t.
8.Jörg Jaksche ONCE s.t.
9.Georg Totschnig Gerolsteiner s.t.
10.Sandy Casar FdJeux s.t.
11.Lance Armstrong US Postal s.t.
12.Roberto Heras US Postal s.t.
13.Fernando Escartin Kelme s.t.
14.Richard Virenque Festina s.t.
15.Jose Azevedo ONCE s.t.

Gesamtwertung:
1.Lance Armstrong US Postal 42h51:29
2.Jan Ullrich Telekom 2:13
3.Ivan Basso CSC 3:43
4.Tyler Hamilton US Postal 3:49
5.Joseba Beloki ONCE 4:02
6.Roberto Heras US Postal 5:03
7.Alex Zülle Banesto 5:12
8.Iban Mayo Euskaltel 6:11
9.Fernando Escartin Kelme 6:25
10.Georg Totschnig Gerolsteiner 6:50
11.Alexander Vinokurov Telekom 7:51
12.Alejandro Valverde Banesto 8:54
13.Pavel Tonkov Mapei 9:28
14.Paolo Savoldelli Saeco 9:29
15.David Moncoutie Cofidis 11:17

Sprintwertung
1. Erik Zabel Telekom 155
2. Mario Cipollini Saeco 136
3. Robbie McEwen Lotto 128
4. Baden Cooke FdJeux 104
5. Oscar Freire Rabobank 101

Bergwertung

1. Tyler Hamilton US Postal 92
2. Marzio Bruseghin Fassa Bortolo 77
3. Lance Armstrong US Postal 76
4. Kurt van de Wouwer Lotto 75
5. Christophe Rinero Cofidis 73

Teamwertung:
1.US Postal 127:30:31
2.Telekom 14:36
3.ONCE 16:21
4.CSC 17:07
5.Banesto 18:38

Aktivster Fahrer
1.Iniho Landaluze Euskaltel 700
2.Raivis Belohvosciks Lampre 534
3.Walter Beneteau Bonjour 425
4.Kurt van de Wouwer Lotto 414
5.Erik Dekker Rabobank 374
Zuletzt geändert von Valverde3007 am 22.10.2008 - 15:23, insgesamt 1-mal geändert.

Ullrich_gewinnt_2006
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Beitrag: # 6741337Beitrag Ullrich_gewinnt_2006
22.10.2008 - 15:07

weiterhin Klasse, mit Bildern kann man sich jetzt das ganze auch ein bisschen besser vorstellen.

Hier aber noch ein kleiner Hinweis: Sollte die Gesamtwertung so wirklich stimmen, dann musst du 4.Tyler Hamilton +3'39" und 3. Ivan Basso +3'43" vertauschen.

Ansonsten weiter so.

Valverde3007
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Beitrag: # 6741484Beitrag Valverde3007
23.10.2008 - 14:47

In Frankreich nichts Neues

Eine dieser typischen, nervigen Übergangsetappen. Ein paar wenige unbeugsam Fahrer würden ihren „freien“ Tag nutzen um gegen das Feld zu kämpfen, die Bergfahrer und ihre Helfer würden sich zurücklehnen und die Mannschaft des gelben Trikots wäre dazu gezwungen, den ganzen Tag in der Hitze das Feld Richtung Pyrenäen zu führen. An solchen Tagen würde er lieber einen motivierten jungen Franzosen im gelben Trikot, der seine Kameraden den ganzen Tag schuften lassen würde um sein Trikot zu verteidigen. Das wäre eine willkommene Entlastung für seine geschundenen Beine, die in den Pyrenäen noch mehr Arbeit erwartete. Und von wegen Entlastung, nachdem sich früh eine Gruppe um Eisel, Beneteau und Garcia Acosta absetzte, machten die Euskaltelmänner wieder am sinnlosesten Tag das Tempo um die Führung in der Kämpferwertung nicht zu gefährden. Als Iban Mayo sich schließlich dazu durchrang, seine Interessen durchzusetzen und die Kräfte für die Berge zu schonen, versuchte es das Rabobankteam den Abstand zum ersten Zwischensprint wettzumachen und noch ein paar Punkte für Oscar Freire abzustauben. Die Spitzenreiter schafften es aber ihren Vorsprung zu behaupten und so hatten sie die erste Rennstunde wieder mit 50 km/h bestritten, ohne Sinn und Verstand. Anschließend zeigten de beiden Teams mit den orangefarbenen Trikots aber Erbarmen und ließen die Gruppe fahren. Das brachte endlich ein bisschen Ruhe ins Feld.

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Die Ausreißer auf der Flucht vor dem von US Postal kontrollieren Feld

Die erste Rennstunde war wie so oft äußerst spektakulär gewesen. Einer der ältesten im Feld Ludo Dierckxens hatte die erste Attacke lanciert aus der eine zehnköpfige Spitzengruppe hervorging. Nach einigen Schwierigkeiten durch die Versuche von Commesso und Lopez de Munain die Harmonie der Gruppe zu zerstören um ihren Kapitänen Cipollini und Landaluze zu helfen, rollte die Gruppe nun einträchtig über die Landstraßen Südfrankreichs. Der Vorsprung wuchs immer weiter bis auf neun Minuten, als die Sprinterteams sich entschlossen doch noch ein Wörtchen um den Tagessig mitreden zu wollen. Rabobank, Lotto und Fassa Bortolo organisierten schnell eine Verfolgung und ab dem Zeitpunkt sank der Vorsprung der Führenden stetig. 70 Kilometer vor dem Ziel waren es noch sieben Minuten, fünfzig Kilometer vor dem Ziel viereinhalb. Doch weil sich die Sprinterteams jetzt zu sicher fühlten, schlich sich ein Schlendrian bei ihnen ein. Die Teams begannen jetzt zu rechnen, wie langsam sie fahren könnten um die Ausreißer erst spät abzufangen. Doch damit hatten sie sich verkalkuliert. Während hinten gezögert wurde, legten die Führenden noch zu und gingen an ihre Reserven. Plötzlich stagnierte der Vorsprung und stieg sogar wieder leicht an.
Zwanzig Kilometer vor dem Ziel war der Abstand um keine weitere Sekunde geschrumpft und deshalb begannen die ersten taktischen Spielereien in der Spitzengruppe. Eisel und Commesso beteiligten sich nicht mehr an der Führungsarbeit, sondern setzten auf ihren Sprint und die Franzosen setzten ihre ersten Attacken. Agnolutto scheiterte, dann Desbiens, bis der dritte im Bunde, Walter Beneteau einen erfolgreichen Angriff setzte. Gemeinsam mit Isidro Nozal konnte er sich von seinen Mitstreitern absetzen.

Die Etappe langweilte ihn. Nicht körperlich, strapaziös war der Tagesabschnitt sicher, aber geistig war er bereits einen Tag und viele Kilometer weiter. Das Tempo im Feld war enorm hoch, weil sich die Sprinter irgendwann dann doch gedacht hatten, dass sie auf den Tagessieg spekulieren könnten. Jetzt rasten sie mit 50 Sachen durch flaches, französisches Land. Diese Etappe sollte zu Ende gehen. Er wollte wieder in die Berge.

Beneteau und Nozal erreichten jetzt die letzten fünf Kilometer. Ihr Vorsprung betrug noch etwa fünfzehn Sekunden, aber die Tendenz war fallend. Bei den Verfolgern sorgten Attacken von Acosta und Dierckxens dafür, dass das Tempo immer hoch blieb und der Abstand immer kleiner. Beneteau verlor jetzt die Nerven und setzte sich von Nozal ab. Er erreichte die letzten zwei Kilometer aber nicht mehr alleine. Die Verfolger schlossen zu ihm auf und er sackte sofort ans Ende der Gruppe durch. Zunächst neutralisierten sich die verbliebenen neun Spitzenreiter, bis dann 700 Meter vor dem Ziel Rene Haselbacher angriff. Er wollte es wohl nicht auf einen Sprint gegen seinen Landsmann Bernhard Eisel ankommen lassen und suchte sein Heil in der Flucht. Aber er war machtlos. Eisel setzte sich an sein Hinterrad und zog kurz darauf vorbei. Von vorne zog er den Sprint an und durch. Keiner war ihm gewachsen und er sicherte sich den Tageserfolg. Als Thor Hushovd das Feld zwei Minuten später ins Ziel führte, war Eisel schon auf dem Weg zur Siegerehrung.

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Der Sieger des Tages, Bernhard Eisel

Tageswertung:
1.Bernhard Eisel FdJeux 3h34:18
2.Salvatore Commesso Saeco s.t.
3.Ludo Dierckxens Lampre s.t.
4.Christophe Agnolutto AG2R 0:05
5.Walter Beneteau Bonjour s.t.
6.Laurent Desbiens Cofidis s.t.
7.Vicente Garcia Acosta Banesto 0:14
8.Rene Haselbacher Gerolsteiner 0:18
9.Isidro Nozal ONCE s.t.
10.Alberto Lopez de Munain Euskaltel 1:31
11.Thor Hushovd Credit Agricole 2:04
12.Alessandro Petacchi Fassa Bortolo s.t.
13.Robbie Mc Ewen Lotto s.t.
14.Paolo Bettini Quickstep s.t.
15.Jean-Patrick Nazon AG2R s.t.

Gesamtwertung:
1.Lance Armstrong US Postal 50h50:19
2.Jan Ullrich Telekom 2:13
3.Ivan Basso CSC 3:43
4.Tyler Hamilton US Postal 3:49
5.Joseba Beloki ONCE 4:02
6.Roberto Heras US Postal 5:03
7.Alex Zülle Banesto 5:12
8.Iban Mayo Euskaltel 6:11
9.Fernando Escartin Kelme 6:25
10.Georg Totschnig Gerolsteiner 6:50
11.Alexander Vinokurov Telekom 7:51
12.Alejandro Valverde Banesto 8:54
13.Pavel Tonkov Mapei 9:28
14.Paolo Savoldelli Saeco 9:29
15.David Moncoutie Cofidis 11:17

Sprintwertung
1. Erik Zabel Telekom 162
2. Mario Cipollini Saeco 142
3. Robbie McEwen Lotto 141
4. Alessandro Petacchi Fassa Bortolo 111
5. Oscar Freire Rabobank 110

Bergwertung

1. Tyler Hamilton US Postal 92
2. Marzio Bruseghin Fassa Bortolo 77
3. Lance Armstrong US Postal 76
4. Kurt van de Wouwer Lotto 75
5. Christophe Rinero Cofidis 73

Teamwertung:
1.US Postal 151:27:01
2.ONCE 14:35
3.Telekom 14:36
4.Banesto 16:52
5.CSC 17:07

Aktivster Fahrer
1.Iniho Landaluze Euskaltel 700
2.Walter Beneteau Bonjour 594
3.Vicente Garcia Acosta Banesto 540
4.Raivis Belohvosciks Lampre 534
5.Bernhard Eisel FdJeux 499

Valverde3007
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Beitrag: # 6742285Beitrag Valverde3007
28.10.2008 - 17:30

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Valverde3007
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Beitrag: # 6742458Beitrag Valverde3007
29.10.2008 - 14:46

Das Duell

Die Stimmung im Team war sehr angespannt. Heute wartete zwar die vermeintlich leichtere Bergankunft auf die Fahrer, aber die Erinnerung an das Jahr 2003 steckte noch in den Köpfen. Jan Ullrich, der bei der Tour sein großes Comeback gefeiert hatte, hatte sie damals an den Rand einer Niederlage gebracht. An dem heutigen Schlussanstieg nach Ax-3 Domaines hatte er Lance seine letzte große Niederlage beigebracht. Auf der damals wie heute ersten Bergankunft in den Pyrenäen hatte ihr Kapitän Jan Ullrich in einem heißen Finale ziehen lassen müssen. Die ständigen Angriffe von Haimar Zubeldia, Alexander Vinokurov und eben seinem deutschen Konkurrenten hatten ihn im Zusammenspiel mit der Hitze zermürbt. Zum Glück hatte er erst auf den letzten zwei Kilometern den Anschluss verloren und so den Schaden in Grenzen halten können. Aber an diesem Tag hatte sein Thron gewackelt. Heute waren die Vorraussetzungen ähnlich. Es war wieder enorm heiß, Jan Ullrich lag in Lauerposition und hatte mit seinen Angriffen deutlich gemacht, dass er noch nicht aufgegeben hatte. Ihre Taktik war am heutigen Tag auf die Verteidigung des Trikots ausgelegt.

Bereits früh im Rennen setzte sich eine Ausreißergruppe ab. Mayo, Ullrich und Beloki schickten mit Bölts, Serrano und Charreau drei ihrer Berghelfer auf die Flucht, die später am Pailheres als taktische Relaisstationen fungieren sollten. Ergänzt wurde die Ausreißergruppe durch den Belgier Verbrügghe und den Russen Gustov. Schnell erarbeiteten sie sich einen großen Vorsprung, bis CSC und US Postal bei dem maximalen Abstand von 15 Minuten in die Nachführarbeit einstiegen. Insbesondere CSC versuchte das Rennen so schwer wie möglich zu machen. Die Hügelgruppe um die vier kleineren Anstiege der vierten und dritten Kategorie wurde zu einem ersten Angriff genutzt. Die starken Tempomacher Blaudzun, Cancellara und Piil führten das Feld mit ein enormes Tempo in die Hügel hinein, dann übernahmen die bergfesteren Helfer wie Sörensen und Zabriskie und im letzten und schwierigsten Hügel setzten sich sogar schon Carlos Sastre und Laurent Jalabert an die Spitze. Ivan Basso schien es heute wissen zu wollen.

Als sie den letzten Hügel passiert hatten, schaute er sich um. Wer war noch dabei, wer konnte das Tempo nicht halten. Er fuhr in der zweiten Gruppe kurz hinter dem Feld mit Jaksche, Olano und Alejandro Valverde. Der junge Spanier hatte heute wohl wieder seine Tag, an dem er komplett versagte, wenn er nicht einmal über die ersten Hügel kam. Aber noch war der Abstand nach vorne nicht so groß. Sein Team hatte die Hügel gut überstanden, noch hatte Armstrong fünf Helfer an seiner Seite und zwei weitere waren in seiner Gruppe. Der Vorsprung der Ausreißer hatte ebenfalls gelitten. Aus der Viertelstunde waren sechs Minuten aufgeholt, neun verblieben. Aber die würden sie auch so schnell wie möglich zufahren. Sie wollten Ullrich nicht den Luxus gönnen, am letzten Anstieg noch einen Helfer von vorne dazu zu bekommen.

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Die Ausreißergruppe verfolgt von dem Team CSC

Das Feld erreichte jetzt die ersten Rampen des Port de Pailheres. In der Führung war immer noch CSC, aber die Aufholjagd hatte sichtbar Kräfte gekostet. Basso hatte nur noch drei Helfer an der Seite, sicher zu wenig um am Schlussanstieg noch auf Unterstützung hoffen zu können. Damit war er gezwungen eine frühe Attacke zu setzen und nicht bis zum Schluss zu warten. Und genau so geschah es. Nach einem ersten Angriff von Totschnig, Moncoutie und Savoldelli griff Basso bereits auf dem vierten Kilometer der Steigung an. Der Konter folgte sofort, Escartin und Zülle versuchten das Loch zu schließen. Dahinter machte jetzt der Träger des Bergtrikots Hamilton für seinen Kapitän das Tempo. Aber wo waren die rosanen und magentafarbenen Trikots von Telekom und ONCE. Waren Beloki und Ullrich gar nicht mehr dabei. Was war der Grund? Ein Sturz oder ein Defekt?

Als vorne die Post abging, ließen seine Kräfte nach. Er wollte sich in Richtung Grupetto zurückfallen lassen, als einige Fahrer an ihm vorbeischossen. Dreimal Telekom. Klöden, Vinokurov und Ullrich hatten anscheinend den ersten Angriff verpennt und waren jetzt wohl schon distanziert. Das Postalteam funktionierte aber. Johan gab die Lage gerade durch. „Tyler, mach weiter Tempo, Roberto, du schonst dich für später. Ihr seid jetzt knapp 10 Sekunden hinter den Führenden. Nur Virenque konnte euch folgen. Ullrich, Beloki und Maxo haben ein größeres Loch reißen lassen müssen. Jetzt könnt ihr alles klarmachen.“ Ullrich war schon weg. Jetzt hatte Lance leichtes Spiel. Keiner der anderen würde den Abstand aufholen können. Wenn sie heute zwei Minuten auf Ullrich gewinnen könnte, wären sie so gut wie durch, dann hätten sie ihren Toursieg.

Armstrongs Helfer hatten ihren Kapitän schnell wieder zu den Spitzenreitern gebracht und sich gleich an die Spitze gesetzt. Die Gruppe umfasste noch zehn Fahrer und hatte jetzt schon knapp fünfzig Sekunden Vorsprung auf das Trio Beloki, Mayo, Ullrich. Alles lief für Lance Armstrong. Da störte auch der nächste Angriff von Virenque nicht. Der französische Kletterkönig hatte auf den Flachetappen schon so viel Zeit verloren, dass er keine ernsthafte Bedrohung mehr war. Deshalb durfte er jetzt alleine auf die Jagd nach Bergpunkten gehen. Aber die taktische Konstellation der Gruppe konnte keinem gefallen. Armstrong hatte noch zwei Helfer, während die anderen Kapitäne alle isoliert waren. Immer wieder Escartin und Basso versuchten diese Situation zu ändern. Ein Angriff folgte auf den nächsten, bis drei Kilometer vor dem Gipfel Tyler Hamilton schließlich nicht mehr mithalten konnte. Gleichzeitig wurden jetzt auch nach und nach die ehemaligen Spitzenreiter eingeholt, nur Virenque hielt sich vorne. Auf den letzten Kilometern kehrte dann wieder ein bisschen Ruhe ein, die Favoriten begannen ihre Kräfte für den Schlussanstieg zu sammeln, nur noch Heras bemühte sich darum die abgehängte Gruppe weiter zu distanzieren. Virenque blieb bis zum Gipfel vorne und konnte sich die Bergpunkte sichern, einige Sekunden bevor die Gruppe den Gipfel überquerte. Dann warteten alle auf Ullrich. Und der kam schneller als gedacht. Am Hinterrad von Udo Bölts passierte er den Gipfel nur 45 Sekunden hinter Armstrong. Danach folgte ein großes Loch. Die Fahrer der beiden ersten Gruppen würden unter sich den Tagessieg ausmachen – und das Gesamtklassement.

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Der Angriff von Escartin und Basso, der von den souveränen Armstrong und Heras vereitelt wird.

Nur 45 Sekunden, Tyler war zurückgefallen, was so gut ausgesehen hatte, war sogleich eingeschränkt worden. Vielleicht konnte man aber in der Abfahrt auf Unterstützung hoffen. Immerhin war Savoldelli auch einmal im Touraufgebot von US Postal gewesen. Sonst würde die gesamte Arbeit an Roberto hängen bleiben. Sie hatten die Chance gehabt, den wackelnden Thron zu festigen, jetzt drohte die Situation sich wieder zu neutralisieren. Den taktischen Fehler am Pailheres würde Ullrich sicher nicht wiederholen, am Schlussanstieg wäre es ein Kampf Mann gegen Mann. Dann würde sich zeigen, wer der beste war.

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Time2Play
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Beitrag: # 6742462Beitrag Time2Play
29.10.2008 - 15:12

Ich freue mich auf die Fortsetzung =)
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Valverde3007
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Beitrag: # 6742835Beitrag Valverde3007
1.11.2008 - 10:32

Das Duell Teil 2

Die Spitzengruppe erreichte die letzten zehn Kilometer. Richard Virenque war in der Abfahrt wieder geschluckt worden, dafür hatte sich Paolo Savoldelli in seiner unnachahmlichen Art abgesetzt. Als er sich vornahm, Zeit zu gewinnen um seinen 14. Gesamtrang zu verbessern und seine waghalsigen Manöver startete, zogen die anderen zurück. Sie fuhren weiter hinter Roberto her, der die ganze Arbeit nun alleine verrichten musste. Regelmäßig gab Johan die Abstände durch, als sie Savoldelli noch folgen konnten, war der Abstand wieder auf eine Minute gewachsen, im weiteren Verlauf der Abfahrt war er auf etwa 30 Sekunden gefallen. Jetzt fuhren sie auf dem letzten leicht abschüssigen Streckenabschnitt, auf den gleich zwei richtig steile Kilometer mit bis zu 12% Steigung folgen sollten. Dort würde Roberto das erste mal das Tempo erhöhen um einige der Konkurrenten bereits abzuschütteln, dann würde er versuchen das Tempo hochzuhalten, während Lance sich auf die Attacken van Basso konzentrieren würde um dann eventuell im letzten Steilstück zu attackieren. Viel Zeit zu gewinnen war heute schwer, dafür war es leicht einiges zu verlieren.

Ullrich und Beloki kämpften wie die Löwen um den Anschluss. Meter um Meter schien es den beiden zu gelingen sich an die Gruppe heranzusaugen, aber sie konnten das Loch nicht schließen. Denn in der Spitzengruppe ging jetzt richtig die Post ab. Die beiden Franzosen Virenque und Moncoutie setzten eine Attacke nach der nächsten und auch Escartin zwang Armstrong und Heras mit kleinen Nadelstichen ständig zur Arbeit. Eine Situation, wo die gefährlichsten Gegner Armstrongs zögerten, nutzten Moncoutie und Virenque dann dazu sich abzusetzen und zu Paolo Savoldelli aufzuschließen. Durch die kurz entstehende Uneinigkeit in der Gruppe verschleppte sich allerdings das Tempo und als es wieder aufgenommen wurde, hatte die Gruppe Zuwachs gekommen, Beloki und Ullrich hatten den Anschluss geschafft.

Roberto hatte nach den Attacken kurz verschnaufen müssen und setzte nun wieder an die Spitze. Da schoss ein Fahrer an ihm vorbei. Diesmal war es nicht Escartin, es war auch nicht Basso, nein Jan Ullrich hatte nicht lange gewartet, sondern ging jetzt direkt in die Offensive. Roberto biss auf die Zähne, er beschleunigte und hatte fast das Hinterrad des deutschen erreicht, als Lance ihn anwies, etwas Tempo herauszunehmen. Vor einer halben Stunde hatte es noch so ausgesehen, als würde der deutsche Herausforderer die Tour endgültig verlieren, jetzt war er wieder da, so stark wie in den letzten Tagen. Zum Glück für sie erreichten sie den flacheren dritten Kilometer des Anstieges, wo sie wieder an Ullrich heranfahren konnten. Roberto setzte sich jetzt wieder an die Spitze, Lance am Hinterrad danach Ullrich. Er suchte nach seinem Rhythmus und fuhr sein konstant schnelles Tempo von der Spitze aus. Erste Erfolge stellten sich gleich ein, sie überholten erst Savoldelli und dann Moncoutie, was ihm jedes Mal einen unglaublichen Motivationsschub verpasste. Er war nur Edelhelfer und ließ reihenweise die Kapitäne stehen.

Nur noch Virenque konnte sich an der Spitze halten, danach folgte schon die Gruppe mit Heras, Armstrong, Ullrich, Escartin und Beloki weitere zehn Sekunden später sah man Basso, Zülle und Moncoutie. Mittlerweile fuhren sie alle am Limit, man sah jedem Fahrer die Schmerzen im Gesicht an. Sie quälten sich jetzt über das zweite Steilstück des Anstieges, vier Kilometer vor dem Ziel. Währenddessen zeigte das französische Fernsehen auch einige Bilder der abgehängten Fahrer. Die gut klassierten Vinokurov und Valverde hingen bereits mehrere Minuten hinter den Spitzenreitern. Heute hatte die Tour ihr wahres Gesicht gezeigt. Vorne fuhren nur noch die acht Fahrer, die ernsthafte Ambitionen auf den Gesamtsieg haben durften und der jahrelange Pächter des Bergpreises. Nach dem Vorgeplänkel in den Alpen wurde es nun ernst.

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Armstrong hat alles unter Kontrolle, dank seines starken Helfers Heras, daneben einer der vielen Angriffe, diesmla von Escartin.

Roberto fuhr weiter von der Spitze weg, bisher hatte es keiner mehr gewagt anzugreifen. Doch gerade als er sich auf diesem Gedanken ausruhen wollte, schoss der nächste Fahrer an ihm vorbei. Er erkannte nur einen grünen Schatten, da wurde ihm klar, dass es Escartin gewesen war. Roberto wollte gerade nachsetzen, da testete ein weiterer Fahrer die Fähigkeiten seines Kapitäns. Der Fahrer im magentafarbenen Trikot testete ein weiteres mal die Fähigkeiten von Armstrong an. Und wieder konnte Lance nicht mithalten. Mit letzter Kraft führte Roberto Lance wieder an Ullrich heran. Aber dann schoss Laktat in seine Beine, er konnte er die Schmerzen nicht mehr unterdrücken und musste abreißen lassen. Vollkommen erschöpft fiel er zurück und musste seinen Kapitän alleine lassen. Seine Arbeit für heute war erledigt. Jetzt musste er nur noch seine Position im Gesamtklassement halten und er könnte von einem gelungenen Tag sprechen.

Die Szenerie erinnerte an die früheren Jahre, mit dem Unterschied, dass die Rollenverteilung anders war. Jetzt war es Jan Ullrich, der von der Spitze wegfuhr und mit seinem höllisch hohen Tempo seine Gegner zermürbte. Die Schwäche vom Pailheres war vergessen, jetzt führte er die Gruppe mit einem Kraftakt an Richard Virenque heran, während Armstrong am Ende der Gruppe immer größere Probleme bekam. Mehrmals schien es als müsse er abreißen lassen und im letzten Steilstück war es dann so weit. Armstrong musste sich geschlagen geben und ließ ein kleines Loch offen. Er biss auf die Zähne, verlor aber Meter um Meter. Er hatte am heutigen Tag einen würdigen Gegner gefunden.

Roberto fuhr ruhig seinen Rhythmus weiter, an seinem Hinterrad befanden sich noch Georg Totschnig und Paolo Savoldelli. Das ließ ihn aber relativ kalt, für die beiden leistet er sogar bereitwillig noch ein bisschen Führungsarbeit, sie waren im Klassement ohnehin zu weit weg. Geschockt wurde er erst durch das Gespräch im Funkverkehr. „Lance, bleib dran. Du hast nur ein paar Meter Rückstand.“ Lance hatte also Probleme. Der Tag war so gut gelaufen und jetzt versagte ihr Kapitän erstmals am Schlussanstieg. Er musste den Schaden jetzt in Grenzen halten.

Die Fahrer erreichten jetzt die letzte kleine Abfahrt direkt vor dem Ziel. Ullrich fuhr weiter von der Spitze weg, aber wo war Armstrong? Die Frage klärte sich gleich, als Armstrong von hinten angeschossen kam, das Ende der Gruppe erreichte und sofort attackierte und vorbeifuhr. Mit sensationellem Einsatz hatte er in der Abfahrt den Anschluss gefunden und hatte der Rennsituation einen zweiten entscheidenden Wandel gebracht. Er sprintete von der Spitze weg und konnte es tatsächlich schaffen als erster die Ziellinie zu überqueren. Im Sprint dahinter kam ein sichtlich demoralisierter Jan Ullrich nur auf Platz vier. Er hatte heute alles gegeben, war zurückgekommen, hatte attackiert, aber am Ende verlor er durch die Zeitgutschrift weitere zwanzig Sekunden. Und viele Chancen Armstrong anzugreifen hatte er nicht mehr.

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Die beiden Protagonisten Ullrich und Amrstrong bei der Zieldurchfahrt.


Tageswertung:
Gesamtwertung:
1.Lance Armstrong US Postal 5h53:11
2.Joseba Beloki ONCE s.t.
3.Fernando Escartin Kelme s.t.
4.Jan Ullrich Telekom s.t.
5.Richard Virenque Festina 0:22
6.Ivan Basso CSC s.t.
7.Alex Zülle Banesto 0:50
8.David Moncoutie Cofidis s.t.
9.Paolo Savoldelli Saeco 1:04
10.Roberto Heras US Postal 1:15
11.Georg Totschnig Gerolsteiner 1:34
12.Iban Mayo Euskaltel 1:50
13.Tyler Hamilton US Postal 2:47
14.Pavel Tonkov Mapei 3:40
15.Sandy Casar FdJeux 4:09

Gesamtwertung:
1.Lance Armstrong US Postal 56h43:10
2.Jan Ullrich Telekom 2:33
3.Joseba Beloki ONCE 4:10
4.Ivan Basso CSC 4:25
5.Alex Zülle Banesto 6:22
6.Fernando Escartin Kelme 6:37
7.Roberto Heras US Postal 6:38
8.Tyler Hamilton US Postal 6:56
9.Iban Mayo Euskaltel 8:21
10.Georg Totschnig Gerolsteiner 8:44
11.Paolo Savoldelli Saeco 10:53
12.David Moncoutie Cofidis 12:27
13.Pavel Tonkov Mapei 13:28
14.Alexander Vinokurov Telekom 13:45
15.Richard Virenque Festina 14:14


Sprintwertung
1. Erik Zabel Telekom 162
2. Mario Cipollini Saeco 142
3. Robbie McEwen Lotto 141
4. Alessandro Petacchi Fassa Bortolo 111
5. Oscar Freire Rabobank 110

Bergwertung

1. Lance Armstrong US Postal 132
2. Ivan Basso CSC 104
3. Alex Zülle Banesto 101
4. Jan Ullrich Telekom 98
5. Tyler Hamilton US Postal 94

Teamwertung:
1.US Postal 151:27:01
2.ONCE 27:04
3.Banesto 27:11
4.Telekom 27:51
5.CSC 38:36

Aktivster Fahrer
1.Inigo Landaluze Euskaltel 700
2.Walter Beneteau Bonjour 594
3.Vicente Garcia Acosta Banesto 540
4.Raivis Belohvosciks Lampre 534
5.Bernhard Eisel FdJeux 499

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