Tour de Lance

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

Valverde3007
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Beitrag: # 6744157Beitrag Valverde3007
7.11.2008 - 15:42

Showdown in den Pyrenäen Teil 1

Sonntag, der 17. Juli. Ein Feiertag des Radsports. Und das Wetter spielte mit. Es gab strahlenden Sonnenschein und Temperaturen von über 30 Grad im Schatten. Ideale Bedingungen für die Fans, aber eine Qual für die Radprofis. Heute würden sie die schwerste Etappe der Tour in Angriff nehmen. Und dazu schien es so als hätten alle Franzosen die Chance genutzt an ihrem freien Tag an die Strecke zu kommen. Zu Tausenden säumten sie den Streckenrand. Dicht gedrängt standen sie an den Bergen des heutigen Tages. Aber es waren nicht ausschließlich Franzosen. Neben den vielen Touristen aus aller Welt war es der Tag der Spanier. Nach den ersten Schwierigkeiten, dem Col du Portet d’Aspet und dem Col de Mente würde die Strecke in ihr Heimatland führen und der Col du Portillon an seiner spanischen Seite erklettert. Ab diesem Berg der ersten Kategorie würde es dann ausschließlich auf und ab gehen. Direkt hintereinander erst der Col du Peyresourde, der heute mit 13 Kilometern der längste Anstieg war, dann der steile Col de Val-Louron Azet und schließlich der Schlussanstieg hinauf zum Plat-d’Adet. Diese Schlussankunft würde mit ihrer Steigung von 8.3 % über knapp zehn Kilometer das Klassement durcheinander wirbeln und die letzte große Chance für Ullrich, Basso und Beloki bieten, Armstrong in den Bergen viel Zeit abzunehmen. Andererseits war es die perfekte Möglichkeit um ähnlich wie 2001 die Tour zu seinen Gunsten zu entscheiden. Zu Recht konnte man diese Etappe als Königsetappe beschreiben.

Der ohnehin schon enorme Schwierigkeitsgrad des Teilstückes wurde durch verschiedene Faktoren noch weiter erhöht. Zum Schluss der dritten Woche waren die Fahrer ohnehin nicht mehr ganz frisch. Die hohen Temperaturen würden ihnen noch mehr Reserven kosten und heute müsste sicher jeder an seine Grenzen gehen. Besonders interessant würde es sein zu sehen, wie die Favoriten das Wetter verkraften würden. Erfahrungsgemäß käme die Hitze den Spaniern und Ullrich entgegen, während Armstrong leiden würde. Ob seine Schwierigkeiten so groß werden würden, dass er seine Dominanz der letzten Tage einbüßen würde, sollte sich spätestens heute zeigen. Nachdem er am Vortag die Attacken in letzter Sekunde abgewehrt hatte und schließlich sogar noch einige Sekunden gewann, würden die Verfolger heute jede Gelegenheit wahrnehmen ihm so viel Zeit wie möglich abzunehmen.

Am Streckenrand rätselten die Fans welchen Verlauf das Rennen nehmen würde. Eine Etappe mit sechs schweren Anstiegen und kaum Ruhephasen bot ungeahnt viele Möglichkeiten, wie das Rennen verlaufen könnte. Die letzten vier Berge, die nur durch eine Abfahrt getrennt hintereinander folgten, sollten ein Hochfest des Radsports bieten. Würde es eine Ausreißergruppe geben, aus der sich ein Fahrer das Bergtrikot holen konnte? Würde es einer dieser Ausreißer schaffen einen großen Sieg einzufahren? Oder würden die Favoriten das Rennen machen? Ein Angriff Ullrichs am Peyresourde, eine Attacke von Mayo in Spanien? Würde Armstrong seine Gegner heute demontieren oder würde er einbrechen? Viele Fragen, auf die das Rennen die Antwort geben würde. Nur welche Antwort das war, würde sich in den nächsten sechs Rennstunden herausstellen.

Wenn ich schon nicht die Zeit dazu finde einen Rennbericht in angemessener Form fertig zu stellen, soll es jetzt wenigstens einen kleinen Appetitmacher für die Königsetappe, die diesen Namen wirklich verdient, geben. Wann sie selber erscheint, kann ich wegen Klausuren, Star War und sonstigen Verpflichtungen nicht genau sagen, es dürfte aber noch etwas länger dauern. (Außer ich bekomme irgendwann nachts um drei wieder Lust irgendetwas zu schreiben. :D) Ansonsten danke an diejenigen, die meine Anstrengungen mit ihrer Stimme zur Monatswahl honoriert haben.
Zuletzt geändert von Valverde3007 am 7.11.2008 - 17:08, insgesamt 1-mal geändert.

PS
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Beitrag: # 6744160Beitrag PS
7.11.2008 - 15:47

1. Heißt es nicht Showdown in den Pyrenäen?
2. Der 17. Juli, was ist da? Der 14. Juli ist der Nationalfeiertag.
3. Toller AAR.
Pe Es - Sieger Giro 2010, 3. TdF 2011, 3. Giro 2013, 2. TdF 2015, 2. Giro 2017, 3. Vuelta 2017, Sieger Vuelta 2023
Etappensiege: Vuelta Etappe 18+19 2008; Giro Etappe 7 2010; Giro Etappe 19 2011; Vuelta Etappe 3+5 2011; Giro Etappe 3 2013; Giro Etappe 8 2016; Tour Etappe 9 2016; Giro Etappe 18 2017; Tour Etappe 17 2017; Vuelta Etappe 12 2018; Tour Etappe 13 2019; Giro Etappe 12 2020; Giro Etappe 14+20 2021; Tour Etappe 14 2021; Vuelta Etappe 7+15 2021

Valverde3007
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Beitrag: # 6744181Beitrag Valverde3007
7.11.2008 - 17:10

1.Da sieht man, was passiert, wenn man unter Zeitdruck arbeitet. Aber ich hatte wieder nur eine Viertelstunde Zeit und wollte mal wieder was bringen.
2.Der 17. Juli an sich ist egal. Es ist nur ein Feiertag, weil es Sonntag ist und die Königsetappe stattfindet.
3.Danke

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Fabian
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Beitrag: # 6744234Beitrag Fabian
8.11.2008 - 1:50

Valverde3007 hat geschrieben:2.Der 17. Juli an sich ist egal. Es ist nur ein Feiertag, weil es Sonntag ist und die Königsetappe stattfindet.
Der 17. Juli war zwar sehr wohl anno 2005 ein Sonntag, 2008 hingegen ist der 17. Juli ein Donnerstag (und die Tour de Lance findet ja 2008 statt) ;) Aber ist nur ein Detail, insgesamt ist der AAR wirklich sehr schön, vor allem die Idee der "Legenden-DB" gefällt mir.

Valverde3007
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Beitrag: # 6744495Beitrag Valverde3007
8.11.2008 - 22:20

Showdown in den Pyrenäen Teil 2

Wie schon nach Ax-3 Domaines ist der Postalfahrer diesmal nicht namenlos, sondern Roberto Heras. Der fährt einfach am weitesten vorne. :D

Die Stimmung am Start in Lezat-sur-Leze war gespannt. Die heutige Etappe würde für alle Fahrer entscheidend sein. Die Favoriten würden um ihre Positionen fahren, die Kämpfer um Kilometer an der Spitze, die Sprinter ums Überleben. Viele hätten sicher ein langsames Tempo bevorzugt, aber vom Start an war es ein echtes Radrennen. Eine Attacke jagte die nächste, Bonjour und Lampre bestimmten das Tempo im Feld und nutzten die ersten flachen Kilometer um Punkte für die Kämpferwertung herauszufahren. Auch Landaluze schien auf eigene Kappe fahren zu dürfen und setzte einen Angriff nach dem nächsten. So kam das Rennen lange nicht zur Ruhe, aber nach knapp 30 Kilometern gewährte man neun Fahrern das Glück sich heute den Zuschauern am Fernsehen und an der Strecke zu präsentieren. Weil mit Svorada und Pineau auch die beiden aktivsten Teams des Starts jeweils einen Fahrer in der Spitzengruppe hatten, ließen sie die Gruppe ziehen. US Postal setzte sich nun an die Spitze, aber nur um das Feld zu kontrollieren. Der bestplatzierte Ausreißer Mario Aerts lag in der Gesamtwertung schon über eine dreiviertel Stunde zurück und für Christophe Rinero, der einen neuen Angriff auf das Bergtrikot unternahm interessierte sich auch niemand. Armstrong reichte sein gelbes Trikot und Basso schien sich auch nicht sonderlich dafür zu interessieren, dass er das gepunktete Trikot weiter aushilfsweise tragen könnte. So wuchs der Vorsprung immer weiter auf bis zu vierzehn Minuten an der zweiten Sprintwertung.

Aufmerksam fuhr Roberto am Ende der Fahrerschlange seines Teams. Das Tempo war immer noch gemäßigt, Vjatscheslav und Pavel fuhren ein kontrolliertes Tempo um die Ausreißer nicht allzu weit weg zu lassen, denn immerhin hatte Lance sich vorgenommen auch diese Etappe zu gewinnen. Ihre Kraft würden sie sich aber für später aufheben und noch nicht im flachen verbrauchen. Dass sie vorne fuhren, kostete zwar bereits etwas Kraft, aber dass es wichtig war, merkte Roberto an einem lauten Scheppern hinter sich. Er fragte bei Johan nach, was passiert war und bekam die Nachricht, dass unter anderem Savoldelli und Boogerd gestürzt waren und jetzt hinter dem Feld fuhren. Solche Vorkommnisse wollten sie vermeiden. Sie hatten einen anderen Plan. Sie wollten an den ersten beiden Bergen noch nicht auf Angriff fahren, sondern erst nach dem flachen Abschnitt zwischen dem Mente und dem Portillon angreifen. In seinem Heimatland Spanien würden sie dann das Tempo erhöhen und das Feld nach und nach selektieren. Am Peyresourde sollten sich Kevin und Chechu aufreiben und am Val-Louron Azet würden Tyler und er eine Attacke lancieren um mit einer möglichst kleinen Spitzengruppe der engsten Favoriten in den Schlussanstieg zu fahren. Dann müsste Lance den Sieg nur noch nach Hause fahren. So weit der Plan, was die Umsetzung machen würde, müsste sich später zeigen.

Auf den ersten Metern des Portet d’Aspets legten Ekimov und Padrnos immer noch ein moderates Tempo vor, was einigen Teams nicht zu gefallen schien. In den Bergen wollten sie Armstrong schnell isolieren und ihm das Rennen in der Hitze so schwer wie möglich machen. Die am Berg im Gegensatz zu Armstrongs aktiver Zeit stark verbesserten Zeitfahrspezialisten Cancellara und Zabriskie legten schon an der ersten Steigung ein für viele mörderisches Tempo vor. Schon jetzt mussten einige Fahrer abreißen lassen, eine ganz schlechte Ausgangssituation für den Rest der Etappe. Und das Tempo blieb enorm hoch. Viele Fahrer zeigten schon große Schwierigkeiten um an den steilen Rampen des Aspets und danach am Mente mitzuhalten. Angriffe aus dem Feld fanden nur sporadisch statt, wurden aber sofort abgewehrt, sodass ein stark geschrumpftes Feld den Gipfel des Mente nur noch knapp acht Minuten hinter den Ausreißern erreichte. Danach wurde aber für eine kurze Zeit das Tempo herausgenommen, das Feld passierte die Verpflegungsstelle, füllte sich von hinten auf und errecihte schließlich Spanien.

Am Straßenrand stand das Schild. Sie hatten Spanien erreicht und fuhren jetzt durch die Provinz Lerida. Die nächsten 15 Kilometer würden Kilometer zum Genießen sein. Rechts und links standen dicht gedrängt riesige Massen von Fans mit spanischen und baskischen Flaggen. Auf der Straße standen die Namen ihrer Idole, Iban Mayo, Fernando Escartin und Roberto Heras. Vorne führten noch Cancellara und Zabriskie, aber es war zu erwarten, dass am Portillon die spanischen Radfahrer etwas versuchen würden. 8,4 Kilometer um die spanischen Fans in Ekstase zu versetzen, ihnen ein Erlebnis zu bieten, das sie ihr ganzes Leben nicht vergessen würden. Sie passierten den Ort Bossost und erreichten die ersten Meter des Col du Portillon. Wie auf Kommando attackierten die ersten Fahrer. Zunächst versuchte es Javier Ochoa, dann Isidro Nozal und schließlich Oscar Sevilla, Roberto Laiseka und Marcos Serrano, die sich absetzen konnten. Jetzt mussten sie reagieren. Kevin übernahm die Führung und stürmte den drei Spaniern hinterher. Sie wollten den anderen nicht den Luxus bieten eventuelle Zwischenstationen für einen Angriff zu haben. Auch Chechu genoss den Streckenabschnitt in seinem Heimatland und legte ein sehr schnelles Tempo vor. Jeder Zuruf der Zuschauer, jede spanische Fahne schien ihn weiter voranzutreiben. Aber jetzt konnten sie die Unterstützung der Fans nicht mehr genießen. Es ging um etwas weit größeres, um den Sieg bei der Tour. Dem rückten sie durch die ausgezeichnete Arbeit Stück für Stück näher. Kurz vor dem Gipfel erreichten sie das Trio wieder, mussten dafür aber Opfer bringen. George und Victor Hugo, die normalerweise wertvolle Hilfe am Berg leisten konnten, hatten der Verfolgungsjagd Tribut zollen müssen und hatten den Anschluss verloren. Fünf verbliebene Postalfahrer jagten jetzt gemeinsam Richtung Luchon, dem nächsten Tiefpunkt, von dem an die Strecke zum Peyresourde führte.

Sechs Minuten hatten die vier verbliebenen Ausreißer Vogondy, Oriol, Rinero und Aerts in den Col de Peyresourde mitnehmen können, aber schnell wurde klar, dass sie an dem Anstieg viel verlieren würden. Das bisher so schwache Team ONCE jagte mit einem Höllentempo in den längsten Berg des Tages hinein. Die Fahrer waren bereits gezeichnet von der unglaublichen Hitze, aber sie gaben alles um Armstrong in Schwierigkeiten und Beloki in eine gute Position zu bringen. Jaksche, Olano und Azevedo fuhren, als wären sie die ersten Stufen einer Rakete, deren Schlussteil Beloki sein sollte. Schnell reduzierte sich der Abstand nach vorne und die Gruppe verkleinerte sich drastisch. Jetzt konnten sich nur noch die absoluten Bergspezialisten halten und sogar einige von denen hatten Schwierigkeiten. Bei dem Tempo benötigte man Flüssigkeit, die zu holen Kraft kostete. Die starken Teams konnten sich immerhin noch den Luxus leisten einige Domestiken für diese Dienste zu verbrauchen, aber Einzelkämpfer wie Casagrande und Savoldelli mussten bald abreißen lassen. Währenddessen zündete die ONCE-Rakete ihre vorletzte Stufe, Galdeano ging an die Spitze. Es waren noch einige Kilometer bis zum Gipfel, aber schon bald konnte man den ersten Angriff erwarten. Der Peyresourde wurde zum Berg der Wiedergeburt von ONCE. Der schwache Eindruck der Alpen war verwischt und von Dominanz erwischt. In der ersten Gruppe fuhren mittlerweile nur noch zwanzig Fahrer und die Tendenz war fallend.

Kevin und Chechu hatten ein letztes mal Trinkflaschen geholt und waren dann zurückgefallen. Jetzt waren sie nur noch zu dritt und hatten noch zweieinhalb Berge vor sich. Ihr Plan scheiterte, die Hitze und die Stärke von ONCE hatten ihn durchkreuzt. Die würden härter kämpfen müssen als gedacht. Er warf einen Blick über die Schulter zu Lance, der sich direkt an seinem Hinterrad aufhielt und musste zu seinem Erschrecken feststellen, dass sein Kapitän nicht die übliche stoische Ruhe ausstrahlte, sondern schon erste Ermüdungserscheinungen sehen ließ. Leichte Panik stieg in ihm auf. Lance litt schon jetzt und Beloki und Ullrich sahen noch so stark aus. Sie durften sich nicht besiegen lasen, nicht heute, nicht so früh. Doch bevor er sich beruhigen konnte, als Lance einen seiner lockeren Sprüche abließ, dass er den Berg auch mit einem Dreirad bezwingen könne, folge der nächste Schock. Galdeano hatte seine Arbeit getan und scherte aus, während Beloki von seinem Hinterrad weg beschleunigte. Roberto versuchte hinterher zugehen, aber es riss ein Loch. Erst zwei Meter, dann fünf, dann zehn. Er hatte begonnen. Der Kampf um das gelbe Trikot. Beloki hatte sie herausgefordert, jetzt mussten sie antworten.

Valverde3007
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Beitrag: # 6744897Beitrag Valverde3007
10.11.2008 - 20:08

Showdown in den Pyrenäen - Teil 3

Nach Belokis Angriff setzten sich sofort Armstrongs verbliebenen Helfer Heras und Hamilton an die Spitze. Einen so gefährlichen Mann wollte man nicht einfach so fahren lassen, schon gar nicht so früh im Finale. Hamilton fuhr jetzt mit weit aufgerissenem Mund nach Luft schnappend an der Spitze und jagte dem spanischen Herausforderer hinterher. Aber er wirkte ganz und gar nicht frisch und zeigte schon deutliche Mühe, die Verfolgung aufrecht zu erhalten. Der Abstand zu Beloki wuchs immer weiter, bis auf zwanzig Sekunden. Jetzt versuchte Hamilton noch einmal alles um den Abstand zu verkürzen. Er fuhr alles oder nichts um Beloki möglichst bis zum Gipfel wieder einzuholen. Man sah ihm die Erschöpfung an und die von Minute zu Minute steigenden Leiden, doch er gab nicht auf. Mittlerweile hatte er all seine Ästhetik auf dem Rad verloren, er versuchte nur noch irgendwie sein Rad vorwärts zu bewegen, aber seine Tempoarbeit zeigte ihre Wirkung. Hinter der Gruppe um das gelbe Trikot bildete sich jetzt eine zweite mit Pavel Tonkov, Georg Totschnig und dem am Vortag so starken Richard Virenque. Alle konnten sie das hohe Tempo nicht mehr mitgehen und mussten zurückfallen. Auch bei anderen Fahrern konnte man absehen, dass sie innerhalb der nächsten Minuten reißen lassen müssten. Die besten Karten schien Banesto zu haben, die es tatsächlich geschafft hatten fünf Fahrer in der Gruppe unterzubringen, aber bei einer letzten Tempoverschärfung von Tyler Hamilton mussten auch Leonardo Piepoli und Alejandro Valverde abreißen lassen. Der amerikanische Edelhelfer von Armstrong hatte auf den letzten Kilometern eine fantastische Leistung abgeliefert, die Gruppe enorm verkleinert und den Abstand auf Beloki tatsächlich reduziert. Mittlerweile fuhr der Spanier nur noch wenige Sekunden vor der Gruppe und schien einzusehen, dass sein Fluchtversuch scheitern würde. Dennoch stemmte er sich weiter gegen die Verfolger, jetzt angeführt von Roberto Heras.

Tyler ging völlig entkräftet aus der Führungsarbeit. Er hatte brillante Arbeit geleistet und sie wieder nahe an Beloki herangeführt. Sie befanden sich nun auf dem letzten Kilometer des Anstieges und würden das Loch auf der Abfahrt wieder schließen können. Roberto schlug jetzt ein schnelles, aber kontrolliertes Tempo an um den Abstand zu Beloki bis zum Gipfel in einem akzeptablen Bereich zu lassen. Aber einige andere wollten Beloki schon früher einholen. Die Herausforderer Nummer zwei und drei persönlich griffen an, Ivan Basso von der Spitze und dahinter Jan Ullrich. Sofort reagierten alle Protagonisten dieser Tour. Escartin, Zülle, Mayo, Vinokurov und Moncoutie beteiligten sich an diesem kleinen Bergsprint. Roberto konterte sofort und setzt mit Lance am Hinterrad nach. Aber es war heute schwieriger als sonst. Die Beine gaben nicht her, was sie hergeben sollten und Ullrich und Basso schienen unglaublich stark. 150 Meter vor dem Gipfel war Beloki dann wieder gestellt und das Tempo in der Gruppe verlangsamte sich wieder. Wäre er normalerweise jetzt an der Gruppe vorbeigefahren und hätte sich an die Spitze gesetzt, wartete er ab und machte eine Handbewegung Richtung Mancebo und Vinokurov, dass diese die Spitze übernehmen sollten. Zu spät wurde er sich des unausgesprochenen seiner Geste bewusst. Er hatte die Unangreifbarkeit seines Teams, seines Kapitäns weiter infrage gestellt und den anderen Motivation für weitere Attacken gegeben. Widerwillig setzte er sich doch an die Spitze und rollte mit einem ganz schlechten Gefühl im Bauch Richtung Loudenvielle ins Tal.

Christophe Rinero hatte sich in die Gruppe zurückfallen lassen und machte jetzt mit seiner letzten Kraft ein wenig Führungsarbeit für seinen Kapitän David Moncoutie. An der Spitze erreichte er Loudenvielle. Mittlerweile hatte er den letzten Spitzenreiter Mario Aerts eingeholt und damit seine virtuelle Führung in der Bergwertung gesichert, die er sich durch vordere Platzierungen an den Gipfeln des Tages geholt hatte. Mit nun 159 Punkten hatte er sich ein kleines Polster auf Armstrong herausgefahren, was aber an den verbleibenden zwei Bergwertungen schwer zu halten sein würde. Dennoch sparte er keine Kräfte und opferte sich für seinen Kapitän auf. 35,5 Kilometer lagen jetzt noch vor ihnen. 17,7 davon würden mit einer Steigung von 8,3 % bergauf führen, die andere Hälfte steil bergab. Jetzt war die Zeit der Kapitäne gekommen, die Helfer waren fast verbraucht und am Val-Louron Azet würden wohl die letzten zurückfallen. Vorher führte Rinero die Gruppe, die sich in der Abfahrt wieder auf fünfzehn Mann aufgefüllt hatte in den vorletzten Anstieg. Dort scherte er bereits auf den ersten Metern aus. Dafür übernahm das Team Banesto jetzt die Führungsarbeit, beziehungsweise sie starteten den nächsten Angriff. Manuel Beltran rauschte im vollen Tempo an der Gruppe vorbei und Mancebo und Zülle sprangen gleich an sein Hinterrad. Mancebo beschleunigte seinerseits und Zülle setzte den finalen Angriff. Sein Angriff war aber nicht so wirkungsvoll wie die bisher gesehenen von ONCE und er konnte sich nicht lange an der Spitze halten. Stattdessen folgte der nächste Angriff, Iban Mayo wollte die vertane Chance in Spanien wieder gut machen und versuchte sein Glück. Der Versuch stellte sich aber auch nur als kurzes Antesten heraus und war bald neutralisiert. Roberto Heras versuchte immer wieder Ruhe in die Gruppe zu bringen, aber die Gegner wollten ihm diese Ruhe nicht gewähren.

„Fünf Kilometer bis zum Val-Louron.“ Eine ewig lange Distanz für die erschöpften und ausgelaugten Protagonisten des Tages. Fünf ewig lange Kilometer, auf denen noch unglaublich viel passieren konnte. Roberto begnügte sich erst damit, die Spitzengruppe zusammen zu halten, aber daran hatte niemand mehr Interesse. Er warf einen kurzen Blick zurück über die Schulter. Da war noch Lance in seinem gelben Trikot, Basso mit dem Bergtrikot, die Spanier Mayo, Beloki und Escartin, sowie die beiden Telekomfahrer Ullrich und Vinokurov. Also noch acht Fahrer, außer ihm und Vino nur noch Kapitäne. Und er spürte die Kraft in seinen Beinen schwinden. Bald müsste Lance alleine kämpfen. Jetzt kam der nächste Angriff. Halb benommen ging er aus dem Sattel und versuchte den Angreifer zu identifizieren. Grünes Trikot, es war Escartin. Er ging aus dem Sattel und riss am Lenker, während er seine letzten Reserven mobilisierte. Um Escartin zu erreichen musste er schon leichte Schlangenlinien fahren, weil er die Steigung sonst nicht mehr bewältigen konnte. Seine Beine brannten mittlerweile höllisch. Er schloss die Lücke, setzte sich ans Hinterrad und warf einen erneuten Blick zurück. Mayo steckte inzwischen in Schwierigkeiten, aber Lance sah wieder halbwegs erholt aus. Das war auch bitter nötig, denn die Verfolger schliefen nicht und beim nächsten Angriff konnte Roberto nicht mehr hinterher. Er blickte zu Lance zurück und gab ihm mit einem kurzen Nicken das Zeichen, dass er selber hinterherfahren müsse, aber dazu brauchte sein Kapitän keine Aufforderung. Er beschleunigte und attackierte dann an allen vorbei.

„Armstrong attackiert. Hat er wieder nur geblufft? Er war recht schnell isoliert und hat die anderen zum Arbeiten und Attackieren gezwungen. Jetzt setzt er sich selber an die Spitze.“ Die neuerliche Attacke von Beloki hatte Armstrong in seiner unvergleichlichen Art gekontert und war gleich vorbei gezogen. Aber hatte es im ersten Moment so ausgesehen, als könne er ein neues Solo starten, fanden Beloki und Ullrich ziemlich schnell Anschluss. Doch der Amerikaner wollte sie schnell loswerden. Immer wieder erhöhte er seine Trittfrequenz, aber Ullrich schien alles vollständig unter Kontrolle zu haben. Ruhig trat er seinen hohen Gang und ließ sich von keiner Tempoverschärfung aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil, er sprach noch ganz gelassen über den Teamfunk mit seiner sportlichen Leitung. Doch trotz der abgeklärten Fahrweise zeigte sich wieder ein Problem des deutschen. Bei aller Stärke traute er sich nicht zu attackieren. Respektvoll verfolgte er den Spitzenreiter des Rennens, aber vorbeizugehen wagte er nicht. Und das obwohl das Tempo nicht so hoch sein konnte, das er nicht mehr in der Lage gewesen wäre zu beschleunigen. Armstrong sah hingegen bald schon überhaupt nicht mehr elegant aus. Er war nicht mehr in der Lage, das von ihm gewohnte außergewöhnliche Tempo anzuschlagen, sondern konnte lediglich die anderen auf gleichem Abstand halten.
Fünfhundert Meter vor dem Gipfel kamen dann von hinten Mayo und Escartin an die Gruppe heran und Escartin ließ es sich nicht nehmen gleich an der Gruppe vorbeizuattackieren. Ullrich setzte sofort nach, auch Beloki und Mayo folgten ihrem Landsmann. Aber was tat Armstrong? Es waren nur wenige Meter bis zum Gipfel und es konnte sicher nicht sein Ziel sein alleine auf der Abfahrt nach dem Anschluss zu kämpfen. Er blieb sitzen und reagierte nicht. Wollte er nicht reagieren? Konnte er nicht? Die Kameras fuhren jetzt ganz dicht an ihn heran und was ihre Bilder zeigten war ein geschlagener Dominator. Hatte er am Berg bisher so souverän ausgesehen, stieß er jetzt an seine Grenzen. Lag es an der Hitze, an den Belastungen der bisherigen Tage, an den zermürbenden Attacken? Man konnte es nicht feststellen. Feststellen konnte man nur, dass Armstrong Meter um Meter verlor. Von hinten fuhren sogar Basso und Vinokurov wieder an ihn heran. Der schwer angeschlagene US Postal-Kapitän hangelte sich jetzt von Schild zu Schild. 150 Meter, 100 Meter, 50 Meter, dann war es geschafft. Er erreichte den Gipfel des Col du Val-Louron Azet. Die Zeitmessung gab fünfzehn Sekunden an. Das war kein großer Abstand, aber es stand ja noch er Schlussanstieg auf dem Programm. Ullrich hatte das Duell eröffnet, Armstrong distanziert. Jetzt musste er nur noch durchziehen, während der Amerikaner um sein gelbes Trikot kämpfen musste. Noch hatte er genug Vorsprung, aber er war alleine und ermüdet. Zum ersten mal seit fünf Jahren wurde er erfolgreich herausgefordert, aber diesmal so früh und so stark wie noch nie...

Valverde3007
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Beitrag: # 6745512Beitrag Valverde3007
14.11.2008 - 23:55

Showdown in den Pyrenäen - Teil 4

Armstrong riskierte in der Abfahrt jetzt alles. Er fuhr jede Kurve mit vollem Risiko an um jede mögliche Zehntelsekunde zurückzugewinnen. Aber er wollte zu viel. Ohne Rücksicht auf Verluste raste er über die langen Geraden mit teilweise zehn Prozent Gefälle. Das große Sichtfeld erlaubte es ihm sogar, die Gejagten wieder in Augenschein zu nehmen. Er kam immer näher an sie heran, hätte sie bald erreicht. Dann erreichte er aber eine Stelle, mit der er nicht gerechnet hatte. Als der Baumwuchs wieder zunahm und sein Blickfeld einschränkte, kam viel schneller als er es in Erinnerung hatte eine Haarnadelkurve. Er musste voll in die Eisen steigen und fuhr in seiner Nervosität so umständlich in die Kurve ein, dass er fast seine ganze Geschwindigkeit einbüßte. Außerdem musste er sich wieder von dem kurzen Schock erholen. Als er mental wieder fähig war auf Attacke zu fahren, war die Chance aber vergeben nach vorne vorzustoßen. Jetzt müsste er auf den Schlussanstieg setzen.

Die vierköpfige Spitzengruppe erreichte jetzt Saint-Lary-Soulan. Zu ihrem Pech war es nur die eigentliche Stadt, sie mussten noch ein paar Kilometer weiter zum Plat d’Adet auf einer Höhe von 1680 Metern. 10,3 Kilometer würde diese Steigung lang sein. Keine besonders lange Bergankunft, dafür aber eine extrem steile. Mit 8,3 % lag die durchschnittliche Steigung über den Werten von legendären Bergen wie dem Ventoux, dem Tourmalet und Alpe d’Huez. Eine knappe halbe Stunde lag noch vor den Fahrern, bis sie endlich das Ziel erreicht hätten. Vor diesem sechsten und schwersten Anstieg hatte sich die Rennkonstellation an der Spitze wieder näher zusammengeschoben. Das Führungsquartett hatte nur noch 15 Sekunden Vorsprung auf das Verfolgertrio, wo Basso unermüdlich schuftete um noch den Anschluss nach vorne zu schaffen. Vinokurov ging das Tempo noch relativ locker mit, aber die überraschende Erscheinung in dieser Gruppe war Lance Armstrong. Sogar im kurzen, flachen Bereich musste er auf die Zähne beißen um den Anschluss zu halten. Er bot einen erbärmlichen Anblick und all die Fans, die ihn in den letzten Jahren erlebt hatten, konnten nicht glauben, dass sie wirklich den zweiten großen Einbruch von Armstrong zu sehen bekamen. Basso verschärfte jetzt das Tempo, Vinokurov ging locker mit. Aber Armstrong ließ die nächste Lücke reißen. Meter um Meter verlor er auch auf seine Mitverfolger, die es jetzt schafften zu den Führenden aufzuschließen. Die denkbar schlechteste Situation war eingetreten. Vorne fuhren sechs motivierte Kontrahenten und 50 Meter dahinter ein kaputter und demotivierter Lance Armstrong.

Die Führenden erreichten das steilste Stück des Anstieges nach einem Kilometer, wo die Steigungsprozente bis zu 14 Prozent betrugen. Angestachelt von der Schwäche seines Gegners fuhr Jan Ullrich mit Volldampf in das Steilstück hinein. Obwohl er mit Vinokurov noch einen Helfer an der Seite hatte, nahm er den schwierigen Abschnitt von der Spitze in Angriff. Er attackierte nicht, nein er erhöhte einfach nur das Tempo und die anderen fünf Fahrer, die schon vorher am Limit gefahren waren, waren nun schlicht nicht mehr in der Lage dem Tempo zu folgen. Ullrich fuhr einfach seinen Rhythmus durch und distanzierte dadurch seine Mitstreiter. In der Verfolgergruppe bekam Iban Mayo jetzt Probleme. Als Beloki und Basso das Tempo erhöhten, war der baskische Kapitän von Euskaltel fertig. Zwei weitere Opfer der Tempoverschärfung waren Escartin und Vinokurov, die Basso und Beloki auch fahren lassen mussten. Die Favoritengruppe war jetzt endgültig aufgespalten, es war zu dem erhofften direkten Vergleich der Spitzenfahrer gekommen. Als Duos oder einzeln musste jetzt jeder seinen Rhythmus finden und sein Tempo auf den letzten Kilometern halten.

Während sich vorne die Spitzenreiter sortierten, kämpfte Armstrong verbissen um den Anschluss. Er sah immer noch nicht besser aus als zu Beginn des Anstieges und die nächste Zeitmessung verkündete die Konsequenz. Er hatte bereits 35 Sekunden Rückstand auf Ullrich. Zuzüglich der 20 Sekunden Zeitbonifikation hatte er damit schon fast eine Minute seines Vorsprungs eingebüßt, noch blieben ihm 1:38. die verbliebenen neun Kilometer boten noch genug Gelegenheit auch diesen Rückstand wettzumachen. Und der Abstand zwischen den beiden Anwärtern auf das gelbe Trikot schmolz immer weiter. Aus 35 wurden 40 Sekunden, dann 45, dann eine Minute. Es sah so aus, als könnte die Tour heute einen Machtwechsel erleben.

Jan Ullrich fuhr weiter ganz abgeklärt an der Spitze. Heute war sein Tag, er schien noch stärker zu sein, als 2003. Abgeklärt wie in seinen erfolgreichsten Jahren bei der Tour 97/98 bestimmte er das Renngeschehen, wie es ihm beliebte. Trotz der Erschöpfung beobachtete er aufmerksam die Begleitmotorräder, die den Abstand zu Armstrong anzeigten. Obwohl man ihm die Anstrengung ansah und er den Mund nach Luft schnappend weit aufgerissen hatte, konnte man ein Lächeln auf seinen Lippen erahnen. Er hatte es geschafft seinen texanischen Kontrahenten zu distanzieren und das in einer Art und Weise, die man erst zweimal gesehen hatte, in Morzine und am Cap Decouverte. Das Rennen verlief exakt so, wie es ihm passte. Er konnte an den steilen Rampen des Schlussanstieges seinen Rhythmus durchdrücken und musste nicht auf seine unmittelbaren Verfolger achten. Nur der Abstand zu Armstrong hatte ihn zu interessieren. Und der wuchs immer weiter. Als er sechs Kilometer vor dem Ziel den steilsten Teil des Anstieges bewältigt hatte, betrug sein Vorsprung schon 1:16, genau die Hälfte seines Rückstandes, obwohl nicht einmal die Hälfte des Berges geschafft war. Es lief also alles für ihn, das Wetter, der Rennverlauf und die Zeit.

So langsam schwammen ihm die Felle davon. Sein Vorsprung in der Gesamtwertung wurde immer kleiner. Aber Armstrong hatte anscheinend wieder zu seiner größten Stärke zurückgefunden, zu der mentalen. Seine Körpersprache war total verändert, spätestens seit er Iban Mayo im Blickfeld hatte. Jetzt fand er wieder die Kraft, seine hohe Trittfrequenz durchzuhalten. Er konnte jetzt wieder längere Strecken im Wiegetritt den Anstieg heraufspurten und sah längst nicht mehr so gequält aus, wie zu Beginn des Anstieges. Mithilfe seiner psychischen Stärke hatte er sein Loch überwunden. Die Frage war nur, ob diese Wiederentdeckung seiner Stärke zu spät kam. Sein Rückstand war auf 1:40 angewachsen, es blieb gerade einmal eine halbe Minute. Und die Tendenz war steigend, bis jetzt. Als das Motorrad das nächste mal vorbeikam, stieg die Motivation des Amerikaners weiter. Er hatte wieder eine Sekunde gewonnen, was ihn rein objektiv gesehen kaum weiterbrachte, aber es war ein gutes Zeichen für die Moral. Wie ein Berserker stampfte Armstrong jetzt in die Pedalen. Er schloss zu Mayo auf und zog nach einer kurzen Verschnaufpause am Hinterrad vorbei. Der Baske hatte keine Chance ihm zu folgen und wurde gleich weiter durchgereicht. Ullrich hatte den Kampf begonnen, er hatte Armstrong schon fast geschlagen, aber jetzt nahm er den Kampf an und zeigte sich entschlossen keinen Meter mehr zu verlieren.

Doch Armstrong war nicht der einzige, der eine unbändige Stärke ausstrahlte. Jan Ullrich fuhr weiter mit aller Ruhe von der Spitze weg und baute seinen Vorsprung weiter aus. Auf Basso und Beloki waren es jetzt 20 Sekunden, auf Escartin und Vinokurov 40. Der flachere zweite Teil des Anstieges, der normalerweise dem starken Zeitfahrer Ullrich entgegenkommen sollte, war aber heute hinderlich für den deutschen. Auf der flacheren Strecke fuhr er zwar immer noch schneller als seine Verfolger, aber er konnte lange nicht mehr so viel Zeit gewinnen wie im steilen Stück. Auf Armstrong konnte er sogar gar nichts mehr gewinnen, im Gegenteil, der Vorsprung stagnierte und schmolz sogar wieder ein bisschen. Ullrich hatte alles auf die ersten Kilometer gesetzt um die Moral des Amerikaners zu brechen und so langsam zollten die Anstrengungen auch von ihm Tribut. Nun musste auch er sich quälen und über seine Grenzen gehen um das Renngeschehen weiter zu seinen Gunsten beeinflussen zu können. Der Abstand blieb trotzdem ähnlich, 5 Kilometer vor dem Ziel betrug er 22 Sekunden auf Basso und 1:36 auf Armstrong, 4 Kilometer vor dem Ziel 23 auf Basso und 1:34 auf Armstrong. Beloki war mittlerweile zu schwach um selber Akzente zu setzen oder Basso zu helfen und auch Escartin und Vinokurov hatten sich getrennt. Damit fuhr jeder gegen jeden, es gab keinerlei Einflüsse von außen mehr.

Ullrich erreichte jetzt die letzten tausend Meter. Die Rennkonstellation war auf den letzten Kilometern unverändert geblieben, die Abstände ebenso. Ullrich hatte jetzt den Tagessieg sicher, Basso würde den zweiten Platz mit nach Hause nehmen, Armstrong sein gelbes Trikot wahrscheinlich knapp verteidigen. Es sah so aus, als würde die Entscheidung vertagt werden. Aber das Rennen war nun wieder offen. Ullrich fuhr mittlerweile schon im von Gittern abgesperrten Bereich und näherte sich immer weiter der Ziellinie. Es war eine Triumphfahrt für den Kronprinzen der Tour, der am heutigen Tag endlich das abrufen konnte, was die Öffentlichkeit seit jeher von ihm erwartet hatte. Er hatte angegriffen und alle, besonders aber seinen ewigen Kontrahenten Armstrong, distanziert. Mit seiner furiosen Fahrt am heutigen Tag war er nicht nur nahe ans gelbe Trikot herangerückt, sondern hatte sich auch zu einer Legende gemacht. Er bog um die letzte Rechtskurve und dann war es geschafft. Er konnte die Arme hochreißen und sich als Sieger feiern lassen. Nach fast sechs Stunden Fahrtzeit über sechs Berge hatte er die Königsetappe gewonnen. 25 Sekunden später kam Ivan Basso ins Ziel, dann Beloki, Vinokurov und Escartin. Die Uhr lief immer weiter, sie lief für Jan Ullrich. 1:13 zeigte sie jetzt an. Ullrich war also in der Gesamtwertung näher als eine Minute an Armstrong herangerückt. Also ging es jetzt für Armstrong darum, wenigstens einige Sekunden Vorsprung zu behalten. Armstrong war wenige Meter vor dem Ziel, er bog um die letzte Kurve und setzte zu einem letzten Sprint an. Mit letzter Kraft rettete er sich über die Ziellinie. 1:34. Ein riesiger Rückstand, der bedeutete, dass Armstrong nur noch 39 Sekunden seines Vorsprungs behalten hatte. Das Duell, das entschieden schien war neu eröffnet und es würde nicht vor dem letzten Zeitfahren beendet werden.


Tageswertung:
1.Jan Ullrich Telekom 5h57:51
2.Ivan Basso CSC 0:25
3.Joseba Beloki ONCE 0:40
4.Alexander Vinokurov Telekom 1:02
5.Fernando Escartin Kelme 1:10
6.Lance Armstrong US Postal 1:34
7.Iban Mayo Euskaltel 3:13
8.Alex Zülle Banesto 3:53
9.Christophe Moreau Festina 4:01
10.Manuel Beltran Banesto 4:49
11.David Moncoutie Cofidis 4:57
12.Roberto Heras US Postal s.t.
13.Richard Virenque Festina 7:13
14.Tyler Hamilton US Postal 7:29
15.Georg Totschnig Gerolsteiner 7:37

Gesamtwertung:
1.Lance Armstrong US Postal 56h43:10
2.Jan Ullrich Telekom 0:39
3.Ivan Basso CSC 3:04
4.Joseba Beloki ONCE 3:08
5.Fernando Escartin Kelme 6:13
6.Alex Zülle Banesto 8:41
7.Iban Mayo Euskaltel 10:00
8.Roberto Heras US Postal 10:01
9.Tyler Hamilton US Postal 12:31
10.Alexander Vinokurov Telekom 13:13
11.Georg Totschnig Gerolsteiner 14:47
12.David Moncoutie Cofidis 15:58
13.Paolo Savoldelli Saeco 18:08
14.Pavel Tonkov Mapei 19:41
15.Richard Virenque Festina 19:53


Sprintwertung
1. Erik Zabel Telekom 162
2. Mario Cipollini Saeco 142
3. Robbie McEwen Lotto 141
4. Jan Ullrich Telekom 118
5. Alessandro Petacchi Fassa Bortolo 111

Bergwertung

1. Lance Armstrong US Postal 172
2. Jan Ullrich Telekom 170
3. Ivan Basso CSC 163
4. Christophe Rinero Cofidis 159
5. Alex Zülle Banesto 123

Teamwertung:
1.US Postal 187:18:01
2.Telekom 24:38
3.Banesto 30:10
4.ONCE 34:50
5.CSC 43:59

Aktivster Fahrer
1.Inigo Landaluze Euskaltel 700
2.Walter Beneteau Bonjour 594
3.Vicente Garcia Acosta Banesto 540
4.Raivis Belohvosciks Lampre 534
5.Bernhard Eisel FdJeux 499

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Time2Play
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Beitrag: # 6745561Beitrag Time2Play
15.11.2008 - 12:29

Sehr schön!! =)
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Gerrit
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Beitrag: # 6745563Beitrag Gerrit
15.11.2008 - 12:46

Das wird schön spannend :) :)

ulle91
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Beitrag: # 6745568Beitrag ulle91
15.11.2008 - 13:18

5000 Wörter für eine Etappe. Man könnte denken, das sei viel zu lang. Doch das war es für mich absolut nicht. Sehr spannend beschrieben. Du spielst mit den Perspektivwechseln wie ein Regisseur. Sehr feine Leistung! Weiter so!

GO ULLE!
BBC!

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noub_hero
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Beitrag: # 6745654Beitrag noub_hero
16.11.2008 - 13:52

Da hat aber jemand fleißig gezählt :D
Ist mir gar nicht aufgefallen das das so lang war.
Ich war richtig in der Etappe drin. Super geschrieben. Echt klasse!!

Valverde3007
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Beitrag: # 6745894Beitrag Valverde3007
19.11.2008 - 11:14

Der letzte Scharfrichter Teil 1

Das Fernsehen fing jetzt Bilder vom Col d’Aubisque ein, jenem Berg, der so lächerlich platziert worden war und heute nicht als großer Scharfrichter fungieren würde, es sei denn die Favoriten würden den gesamten Rennverlauf auf den Kopf stellen. Es war eine dieser typischen, verschenkten Pyrenäenetappen, die in den letzten Jahren immer häufiger aufgetreten waren. Sie wurden nur interessant, wenn einige Fahrer noch einen Großangriff wagten oder die Kapitäne wirklich ernst machten. Dann war es auch möglich, dass wie 1996 ein so großer Fahrer wie Miguel Indurain mehrere Minuten verlieren könnte. Insbesondere nach dem Ruhetag kam es häufiger vor, dass einzelne Fahrer total einbrachen und ihre gute Position im Gesamtklassement verspielten. Es bestand aber auch eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass im Etappenziel wieder alles zusammenlaufen würde. Gestern hatten die Fahrer die Chance gehabt sich zu regenerieren und mit neuer Frische könnten vielleicht mehr Fahrer die Hinterräder der beiden dominierenden Personen des Rennens halten. Andererseits hatte Ullrich sein scheinbar unerschöpfliches Kraftreservoir noch weiter auffüllen können. Als Zuschauer konnte man also nur darauf hoffen, dass Ullrich heute versuchen würde, die 39 Sekunden, die Lance Armstrong verblieben waren, aufzuholen. Dafür müssten sie das Rennen richtig schwer machen. Vielleicht würden sie dann den vom vorigen Tag angeschlagenen Gesamtführenden in Bedrängnis bringen können. Das Wetter kam dem deutschen aber nicht entgegen. Die Temperaturen waren gesunken und in der Nacht hatte es sogar vereinzelte Schauer gegeben. Somit waren die klimatischen Verhältnisse, die Ullrich in die Karten gespielt hatten ausgeglichen, die Etappe würde zeigen, ob die Stärke auch ausgeglichen war.

Roberto schaute sich nach seinem Kapitän um. Sie hatten schon 45 Kilometer zurückgelegt und befanden sich jetzt am ersten Anstieg hinauf zum Col d’Ichere. Knapp 4 Kilometer mit einer für die Pyrenäen moderaten Steigung von 6,5%. Anschließend würde der neun Kilometer lange Col de Marie Blanque und dann der Col d’Aubisque mit seinen 16 Kilometern folgen. Diese beiden Anstiege könnten das Feld auseinander reißen und ihren Gegnern Gelegenheiten für Attacken bieten. Dennoch ging er davon aus, dass sie das Feld heute ohne Zeitverlust managen konnten, da es vom Aubisque noch 70 Kilometer bis ins Ziel waren, auf denen nur der kleine Gegenhang des Aubisques, der Col du Soulor und drei kleinere Hügelchen zu überqueren waren. Die Rennkonstellation war im Moment für sie günstig, vorne fuhren knapp zwanzig Fahrer mit einem Abstand von 15 Minuten dem Feld vorraus, mit dabei Christophe Rinero, der sich heute das Bergtrikot sichern wollte, Landaluze, der mit dem heutigen Tag den Sieg in der Ausreißerwertung klar machen konnte und die Helfer ihrer Teams, Bölts und Heppner für Ullrich und Rubiera als Unterstützung für Lance.

Rinero hatte sich soeben die ersten Bergpunkte gesichert und seinen Abstand auf Armstrong auf drei Punkte reduziert. Im Feld machte CSC jetzt verhalten Tempo, der Abstand sank aber unwesentlich. Noch gab es keine Aktionen, aber die Spannung im Feld war zu spüren, noch herrschte die Ruhe vor dem Sturm, aber am Marie Blanque würde dieser losbrechen. Armstrong nahm sich jetzt nicht mehr die Zeit, mit den Kameramännern zu spaßen, wie er es in den letzten Tagen öfter gemacht hatte, sondern blaffte sie nur barsch an, als sie sich ihm näherten. Jan Ullrich hatte eine versteinerte Miene aufgesetzt und konzentrierte sich voll auf den Anstieg. Alle waren nervös vor den letzten schweren Bergen, die bei der vorherigen Austragung keine Entscheidung mehr gebracht hatten, aber dazu dieses mal in der Lage waren. Nach zwei Wochen einer großen Rundfahrt, war das Profil nicht mehr so wichtig wie die Form der Athleten, die Fahrer machten das Rennen, nicht das Streckenprofil.

Sie erreichten die ersten Meter des Marie Blanque. Roberto schaute auf seine Gegner. CSC fuhr wieder mit einem Höllentempo in den Berg hinein. An der Spitze Jalabert, dahinter Sastre. Ihr Ziel war es augenscheinlich, schnell eine kleine Gruppe zu bilden, in der nicht mehr alle Favoriten vertreten sein sollten. Der erste wirklich gefährliche Antritt kam aber von einem anderen Team. Alexander Vinokurov attackierte. Das konnten sie nicht zulassen. Roberto winkte Kevin und Tyler nach vorne um den Kasachen wieder einzufangen. Einen zweiten Telekomkapitän wollten sie nicht fahren lassen. Wenn Ullrich dann so stark sein sollte, wie vorgestern und alleine zu Vinokurov vorstoßen könnte, wären die beiden nur schwer zu stoppen. Also musste Kevin jetzt schon alles geben und die Lücke zu Vinokurov schließen, Das erwies sich aber nicht als einfach, immerhin fuhr ein ehemaliger Sieger der Vuelta vor dem Feld. Roberto schaute sich um und konnte erkennen, dass die Tempoverschärfung nur von wenigen Fahrern mitgegangen werden konnte. Die Gruppe war schon so früh auf 15 Mann zusammengeschmolzen. Das Rennen hielt doch nicht, was es versprochen hatte. Heute war kein ruhiger Tag, an dem man sich auf Verwaltungsaufgaben beschränken konnte. Heute mussten sie kämpfen um die Situation unter Kontrolle zu halten.

Das war jetzt etwas lieblos hingeklatscht, aber die Story muss ja weitergehen und das ist nach der schönen letzten Etappe ein bisschen schwer gewesen. Der AAR soll aber ja jetzt nicht wochenlang still stehen. Das Geschehen am Rest des Marie Blanque und des Aubisques wird wieder ausführlicher und überlegter.
Danke auch für das Lob, dennoch würde ich mir im Moment auch gerne etwas Kritik wünschen, damit ich mir besser überlegen kann, was als nächstes kommt. Denn die Tour neigt sich dem Ende entgegen und danach soll etwas neues entstehen. Dazu wäre es interessant zu hören, was ihr an den Rennberichten gut findet (wie z.B. ulle91 anscheinend den Perspektivwechsel), was nervt, ob ihr etwas von Jean hören wollt, ob er nervt und ersetzt werden soll usw. Das würde ich dann in mein neues Konzept einbinden. Am besten das ganze noch per PN.

Valverde3007
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Beitrag: # 6746307Beitrag Valverde3007
23.11.2008 - 16:14

Der letzte Scharfrichter - Teil 2

Die Gruppe um Roberto hatte jetzt wieder Anschluss zu Vinokurov gefunden. Doch die Aufholjagd hatte Kraft gekostet und das von den Bergen ermüdete US Postal Team stark dezimiert. Kevin musste den Anstrengungen, nachdem er den kasachischen Ausreißer eingefangen hatte, Tribut zollen und die Favoriten fahren lassen. Das bedeutete, dass sie über 100 Kilometer vor dem Ziel schon nur noch zu dritt in der Gruppe vertreten waren. Und die Gegner waren zahlreich. Während Tyler versuchte ein gleichmäßig hohes Tempo anzuschlagen, attackierten die anderen abwechselnd. Erst Escartin, dann Mayo und Beloki, schließlich Zülle. Aber Tyler ließ sich nicht beirren und fuhr konsequent sein Tempo den Berg hinauf. So lange nicht Ullrich persönlich angreifen würde, wäre es keine Katastrophe ein bisschen Rückstand zu kassieren. Außerdem würde auf der Abfahrt vom Marie Blanque ohnehin wieder viel zusammen laufen. Nach einer Weile nahm die Anzahl der Attacken ab. Es waren nur noch zwei Kilometer bis zum Gipfel zurückzulegen und auf dieser kurzen Strecke könnte niemand mehr einen so großen Abstand herausfahren um ihn lange halten zu können. Den Marie Blanque hatten ihre Gegner zum Warmfahren benutzt, jetzt sammelten sie die Kräfte für den Col d’Aubisque um dort das gelbe Trikot zu distanzieren.

Christophe Rinero hatte den Gipfel des Col de Marie Blanque wieder als erster passiert und die nächsten dreißig Punkte für sein Bergtrikot gesammelt. Der Abstand, der immer noch über zehn Minuten betrug, ließ ihn sogar darauf hoffen auch die nächsten vierzig Punkte am Aubisque mitzunehmen, womit ihm das gepunktete Trikot so gut wie sicher wäre. Durch eine couragierte Fahrweise in den Pyrenäen hätte er es dann tatsächlich geschafft, seinen Coup von 1998 zu wiederholen und sich den Titel des besten Kletterers zu sichern. Die Spitzengruppe hatte sich mittlerweile auf 12 Fahrer reduziert, nachdem schwächere Bergfahrer, aber auch renommierte wie Michele Bartoli zurückgefallen, beziehungsweise Jens Heppner zurückbeordert worden waren. Eine Gruppe fuhr jetzt zwischen den anderen beiden und würden am Aubisque zu der Gruppe der Kapitäne stoßen. Doch im Moment war die zusätzliche Unterstützung gar nicht mehr notwendig. So schnell und so aktiv das Rennen am Anstieg gewesen war, so langsam und ereignisarm verlief es auf dem Flachstück zwischen den beiden Bergen. Von hinten schlossen wieder einige Fahrer wie Guerini oder Livingston auf, die wertvolle Helferdienste für ihre Kapitäne hätten leisten können. Sie beschränkten sich aber darauf, ihnen Trinkflaschen zu reichen, ernsthafte Anstalten das Tempo zu erhöhen machte kein Team. Das änderte sich schlagartig, als die ersten Rampen des Aubisque erreicht wurden.

16,5 Kilometer Anstieg lagen vor ihnen. 16,5 lange Kilometer, auf denen man jeden Moment mit einer Attacke rechnen müsste. Um dem vorzubeugen versuchten sie das Tempo so hoch wie möglich zu halten um ihren Gegnern nicht den Hauch einer Chance zum Angriff zu bieten. Und tatsächlich, die Favoriten blieben ruhig. Im Moment traute sich keiner das Heft in die Hand zu nehmen und die taktischen Varianten wurden immer begrenzter. Vinokurov schien noch erschöpft von seiner ersten Attacke und die restlichen Helfer hatten nicht die Kraft den fulminant von der Spitze fahrenden Tyler Hamilton anzugreifen. Es wäre nun also die Aufgabe der Kapitäne gewesen anzugreifen, aber niemand schien die Courage des letzten Sonntags zu haben. Basso und Beloki beäugten sich gegenseitig kritisch, ließen Armstrong aber außer acht, was Roberto so deutete, dass die beiden den Kampf um den Gesamtsieg aufgegeben hatten und jetzt um den Platz auf dem Podium zu kämpfen. Und was machte Ullrich? Bei der letzten Bergankunft war er überragend gefahren und auch heute saß er noch locker und mit flüssigem Tritt auf seinem Rad. Dafür sah er keinesfalls so aus, als würde er eine Attacke planen. Ruhig hielt er das Hinterrad von Lance aber attackieren wollte oder konnte er im Moment nicht. Sie befanden sich jetzt schon acht Kilometer vor dem Gipfel und nichts passierte. Eigentlich hätten sie ja zufrieden sein können, aber Roberto hatte noch genug Moral und genug Kraft in den Beinen um sich mit der Rennsituation zufrieden zu geben. Er hielt noch eine Weile seine Position, aber sechs Kilometer vor dem Ziel gab er Lance ein Zeichen, überholte Tyler und trat an. Er erhöhte die Taktzahl merklich und als er sich umblickte, sah er ein zufrieden stellendes Resultat. Nur Lance konnte ihm folgen, Ullrich hatte die Tempoverschärfung nicht sofort mitgehen können, er fuhr weiter seinen Rhythmus und ließ sich nicht von dem kurzzeitigen Angriff beirren.

Die Tempoverschärfung von Roberto Heras hatte das Rennen noch einmal auf den Kopf gestellt. Der schwankende und am Plat d’Adet fast gestürzte Favorit fuhr jetzt wieder an der Spitze und sein deutscher Kontrahent fuhr mit einigem Abstand hinter ihm. Die Lücke zwischen den beiden war dennoch nicht allzu groß und jetzt kam auch Jens Heppner von vorne zurück. Nachdem er sich den ersten Teil des Berges ausruhen konnte, spannte er sich jetzt vor seinen Kapitän, half diesem bei der Tempoarbeit und gab ihm neue moralische Unterstützung. Einige hundert Meter konnte er noch das Tempo machen und mit einem letzten Sprint brachte er ihn näher an Lance Armstrong heran. Der Amerikaner schaute sich immer wieder nervös um und schrie Heras Anweisungen und Anfeuerungen zu. Der Spanier fuhr mit vollem Einsatz, aber er schaffte es nicht Ullrich weiter zu distanzieren. Auch als Rubiera zur Hilfe eilte, wurde der Vorsprung einfach nicht größer. Ullrich hielt das Loch konstant auf etwa 25 Metern und blieb stets in Sichtweite des Postalzuges. Jetzt hatten sie auch den schwersten Teil des Anstieges überwunden, den Teil, der Heras am ehesten entgegen kam. Auf den letzten flacherern Kilometern hätte Ullrich dann die Chance aufzuholen.

Chechu war von vorne zu ihnen gestoßen und hatte die Tempoarbeit übernommen. Aber es war einfach nicht schnell genug. Er war zwar bereits in seinem maximalen Leistungsbereich angekommen, dennoch reichte es nicht, Ullrich abzuhängen. Unermüdlich trat der hinter ihnen seinen hohen Gang und wollte einfach nicht langsamer werden. Währenddessen sahen sie am Rand die Straßenschilder vorbeiziehen, drei Kilometer, zwei Kilometer. Roberto wurde es zu viel. Er überholte Chechu und setzte sich wieder an die Spitze, mit allem was er noch geben konnte. Wenn sie wenigstens zwanzig, dreißig Sekunden herausholen könnten, dann wäre es auf der Abfahrt noch möglich, daraus Minuten zu machen. Aber spätestens als sie Udo Bölts passierten, wurde ihnen klar, dass das Team Telekom heute keine Zeit verlieren würde. Und einen Kilometer vor dem Gipfel war es dann so weit. Bölts hatte seinen Kapitän wieder an sie herangeführt. Demotiviert ging Roberto aus der Führung und hängte sich an den Schluss der Gruppe. Sie hatten die Chance, die sich ihnen geboten hatte nicht genutzt, der Tag war gelaufen. Jetzt war es egal, ob sie weiter zu viert bis nach Pau fahren würden oder ob sie auf die anderen Fahrer warten würden. Der Zweikampf, der noch entscheidend war, war vertagt worden. Das hatten auch die beiden großen Persönlichkeiten der Tour erkannt und auf der Linie der Bergwertung fuhr Lance neben Ullrich und sagte ihm, dass das Zeitfahren entscheiden solle. Der deutsche nickte zustimmend und so drosselten sie wieder das Tempo um auf der Abfahrt das Risiko eines Sturzes minimal zu halten. Heute würde sich nichts mehr entscheiden, der Fokus lag jetzt auf dem Zeitfahren am Samstag.

Valverde3007
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Beitrag: # 6746383Beitrag Valverde3007
24.11.2008 - 14:18

Der letzte Scharfrichter - Teil 3

Während Ullrich und Armstrong sich am Berg bekämpft hatten, war auch in der Spitzengruppe einiges passiert. Nach und nach war sie zusammengeschrumpft, bis schließlich noch sechs Fahrer übrig geblieben waren. Während Scholz, Pinotti und van de Wouwer um den Anschluss an die Gruppe gekämpft hatten, hatten Bruseghin und Landaluze ein Tempo vorgelegt, dem viele Fahrer nicht mehr folgen konnten. Der sechste Fahrer, der die Spitzengruppe komplettierte, war immer noch Christophe Rinero gewesen. Wie ein Löwe kämpfte er um die letzten Bergpunkte und obwohl es teilweise schon so aussah, als würde er bald aus der Gruppe zurückfallen, hatte der Gedanke an das Bergtrikot bei ihm zusätzliche Kräfte freigesetzt. Mit letzter Kraft war er am Aubisque dann um die Punkte gesprintet und seine Ausreißerkollegen hatten ihm die Ehre gelassen, den letzten großen Berg an der Spitze zu überqueren. Anschließend profitierte er davon, dass es noch fast alle Ausreißer schafften Armstrong die Bergpunkte wegzunehmen, bevor dieser fünf Minuten nach der Spitzengruppe den Pass überquerte. Somit hatte Rinero seinen Vorsprung auf den zweiten Platz in der Bergwertung jetzt auf 67 Punkte ausgebaut, ein Vorsprung der ihm fast nicht mehr zu nehmen war. Aber jetzt ging es um die zweite Entscheidung, den Tagessieg.

Roberto führte das Quartett in den Col du Soulor, aber nach dem Nichtangriffspakt zwischen Ullrich und Armstrong war das Tempo jetzt raus und auf dem zwei Kilometer kurzen Anstieg konnten wieder einige Fahrer aufschließen. Weil auf der Abfahrt das Tempo dann auch nicht mehr wesentlich erhöht wurde, konnten wieder knapp 30 Fahrer aufschließen, bis sie fünfzig Kilometer vor dem Ziel dann wieder ins flache kamen. Durch die vielen Rückkehrer in die Favoritengruppe, zog das Tempo jetzt aber wieder an. Banesto war jetzt wieder mit vier und ONCE mit fünf Fahrern vertreten, weshalb die beiden Teams versuchten, auf dem verbleibenden Flachstück wieder an die Ausreißer heranzukommen. Dazu gesellten sich die Teams von Mapei und Festina, die den zurückgefallenen Totschnig distanzieren wollten um in der Gesamtwertung noch an ihm vorbeizukommen. Somit schmolz der Abstand schnell von über sechs Minuten auf knapp drei Minuten dreißig Kilometer vor dem Ziel. Roberto genoss die Fahrt jetzt, da er zum ersten mal seit Tagen keine Gefahr mehr zu erwarten hatte und die Verantwortung auf die Teams mit Sprintern wie Valverde oder auch Jalabert abschieben konnte. Er ließ sich gelegentlich noch zurückfallen um Flaschen für Lance zu holen, aber sonst konnte er entspannt ausrollen lassen.

Die Ausreißer hatten jetzt erkannt, dass sie mit ihrem momentanen Tempo vom Feld geschluckt werden würden. An der letzten Bergwertung der vierten Kategorie wurde es van de Wouwer zu viel, er griff an und konnte gleich eine Verkleinerung der Gruppe bewirken. Nur noch Rinero, Bruseghin und Landaluze folgten ihm und in der neuen Formation harmonierten sie wieder besser miteinander. Aber lange hielt die Eintracht nicht. Fünfzehn Kilometer vor dem Ziel kamen kurz hintereinander noch zwei Hügel, die Rinero zu einem Angriff nutzt. Er kam zwar nicht weg, aber immerhin konnte er van de Wouwer distanzieren. Außerdem hielten die verbliebenen drei Ausreißer das Tempo dadurch so hoch, dass das Feld bei einem Abstand von knapp zwei Minuten zehn Kilometer vor dem Ziel resignierte. Jetzt schien es sicher, dass die drei an der Spitze durchkommen würden, fraglich war nur, wer der glückliche sein würde, der sich mit dem Tagessieg dekorieren würde. Rinero, der Held der Franzosen, der Gewinner der Bergwertung, Landaluze, der Kämpfer der Tour oder Bruseghin, der schon nach Moulhouse in die Entscheidung um den Tagessieg eingegriffen hatte und dort hinter Rinero und van de Wouwer dritter geworden war. Alle drei hatten sie schon großartige Leistungen vollbracht, aber keinem war ein Tagessieg vergönnt gewesen. Wer würde es sein, der seinen Palmares heute diesen Sieg hinzufügen dürfte?

Roberto sah jetzt noch einen Fahrer zurückfallen. Es war Marzio Bruseghin von Fassa Bortolo. Das heißt sie waren noch zu zweit. Das würde acht Sekunden für den zweitplatzierten geben. Angesichts der Tatsache, dass noch Alejandro Valverde und Laurent Jalabert in der Gruppe vertreten waren, strebte das Risiko, dass Ullrich sich diese Sekunden sichern würde gegen null. Trotzdem würde Tyler vorsichtshalber versuchen mitzusprinten, um Ullrich die Sekunden nicht zu lassen. Doch es erwies sich alles als halb so wild. Die beiden Ausreißer konnte einen Vorsprung ins Ziel retten und Jalabert zog den Sprint der Verfolger von der Spitze an und sicherte sich souverän den dritten Platz. Aber wer hatte gewonnen? Der Blick in die Gesichter der französischen Fans beantwortete seine Frage auf der Stelle. Da entdeckte er eine große Leinwand, auf der der Zieleinlauf wiederholt wurde. Rinero fuhr an der Spitze und blickte sich ständig zu seinem spanischen Mitstreiter um. Aber dieser hielt seelenruhig das Hinterrad des Bergkönigs. Zweihundert Meter vor dem Ziel folgte dann der Antritt Rineros und einen Moment sah es so aus, als würde Landaluze nicht mehr kontern können. Dann kam er aber doch noch aus dem Windschatten geschossen und konnte Rinero überholen. Er hatte es vollendet, der Ausreißer der Tour hatte sich seinen Etappensieg gesichert. Nach fast 900 Kilometern an der Spitze wurde er jetzt für seine Bemühungen gelohnt, während Rinero seinen zweiten zweiten Platz erreichte. Er konnte sich aber damit trösten Lance das Bergtrikot abgenommen zu haben. Für das Postalteam war das egal, sie hatten das gelbe Trikot behalten und Lance müsste nur noch beim Zeitfahren den Gesamtsieg klar machen. Es war knapp, aber Roberto vertraute auf seinen Kapitän, dass er es richten würde.


Tageswertung:
1.Inigo Landaluze Euskaltel 4h37:55
2.Christophe Rinero Cofidis s.t.
3.Laurent Jalabert CSC 0:21
4.Alejandro Valverde Banesto s.t.
5.Tyler Hamilton US Postal s.t.
6.Sylvain Chavanel Bonjour s.t.
7.Francesco Casagrande Fassa Bortolo s.t.
8.Marzio Bruseghin Fassa Bortolo s.t.
9.Richard Virenque Festina s.t.
10.Fernando Escartin Kelme s.t.
11.Jan Ullrich Telekom s.t.
12.David Moncoutie Cofidis s.t.
13.Jörg Jacksche ONCE s.t.
14.Ivan Basso CSC s.t.
15.Stephane Goubert AG2R s.t.

Gesamtwertung:
1.Lance Armstrong US Postal 67h20:30
2.Jan Ullrich Telekom 0:39
3.Ivan Basso CSC 3:04
4.Joseba Beloki ONCE 3:08
5.Fernando Escartin Kelme 6:13
6.Alex Zülle Banesto 8:41
7.Iban Mayo Euskaltel 10:00
8.Roberto Heras US Postal 10:01
9.Tyler Hamilton US Postal 12:31
10.Alexander Vinokurov Telekom 13:13
11.David Moncoutie Cofidis 15:58
12.Georg Totschnig Gerolsteiner 19:27
13.Pavel Tonkov Mapei 19:41
14.Richard Virenque Festina 19:53
15.Paolo Savoldelli Saeco 22:48

Sprintwertung
1. Erik Zabel Telekom 162
2. Mario Cipollini Saeco 142
3. Robbie McEwen Lotto 141
4. Jan Ullrich Telekom 123
5. Alessandro Petacchi Fassa Bortolo 111

Bergwertung

1. Christophe Rinero Cofidis 239
2. Lance Armstrong US Postal 172
3. Jan Ullrich Telekom 170
4. Ivan Basso CSC 163
5. Alex Zülle Banesto 123

Teamwertung:
1.US Postal 201:11:54
2.Telekom 24:38
3.Banesto 30:10
4.ONCE 34:50
5.CSC 47:11

Aktivster Fahrer
1.Inigo Landaluze Euskaltel 873
2.Walter Beneteau Bonjour 594
3.Kurt van de Wouwer Lotto 572
4.Vicente Garcia Acosta Banesto 540
5.Christophe Rinero Cofidis 535

Valverde3007
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Beitrag: # 6746394Beitrag Valverde3007
24.11.2008 - 19:09

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Beitrag: # 6746501Beitrag Valverde3007
25.11.2008 - 21:26

Ein Tag für die kleinen Leute

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Nach den Pyrenäenetappen fuhren sie heute also wieder eine Überführungsetappe in Richtung Zentralmassiv. 239,5 elend lange Kilometer in sengender Hitze von Pau nach Revel. Wie viele Fahrer hatte sich Roberto nach den Pyrenäen auf einen Tag zum Ausruhen gefreut, aber unter diesen Bedingungen hätten viele der ausgelaugten Fahrer heute größere Schwierigkeiten als am gestrigen Tag. Wer heute mit einer Panne zurückfiel und den Anschluss nicht finden konnte, der war hoffnungslos verloren. Außerdem entpuppte sich die Etappe gar nicht als die versprochene Flachetappe. Ständig ging es hoch und runter, keine hohen Anstiege, aber steile Hügel, die in ihrer Menge Kraft kosteten. Und die Fahrer gestalteten das Rennen keineswegs einfach. Gleich zu Beginn ging eine Gruppe mit Landaluze, die Bonjour nicht fahren ließ, dann versuchten sich Freire und Cooke als Ausreißer, was die anderen Sprinterteams nicht gestatteten. Somit dauerte es auch heute wieder eine halbe Stunde, bis sich beim Kilometer 26 acht Fahrer absetzen konnten. Um die Nachführarbeit zu vermeiden schickte auch das Postalteam Angreifer mit in die Gruppe, durch eine glückliche Taktik konnten Victor Hugo Pena und George Hincapie mit ausreißen. Somit waren sie mit zwei Fahrern in der Spitzengruppe vertreten und hatten mit Pena gleichzeitig den besten Fahrer im Gesamtklassement dabei. Es würde also ein entspannter Tag werden.

Neben zwei Fahrern von US Postal fuhren noch sechs andere Fahrer in der Gruppe. Der deutsche Robert Förster wollte heute seine Position in der Sprintwertung verbessern, Pieri und Farazijn waren einfach auf Tageserfolge aus, Quique Gutierrez konnte sich in der Gesamtwertung noch merklich verbessern und Boardman und Bouyer kämpften um Punkte in der Ausreißerwertung. Verschiedene Motive vereinigten sich hier also zu einer Zweckgemeinschaft, an deren Ende ein großes Ziel stand: Sich in die Siegesliste der Tour einzutragen. Und tatsächlich schien es schnell so, als hätte die Gruppe eine gute Chance durchzukommen. Der Vorsprung wuchs schnell auf mehrere Minuten, nach 100 Kilometern betrug er schon dreizehn Minuten, bei Kilometer 180 erreichte die Gruppe den maximalen Vorsprung von 26 Minuten. Ab dem Zeitpunkt wurde es dann aber den Teams mit Fahrern in den Top 15 zu heiß, denn der mittlerweile auf 15 Minuten an den Spitzenreiter herangerückte Victor Hugo Pena näherte sich virtuell schon den ersten zehn. Das Tempo zog aber nur unmerklich an, es wurde ein bisschen Schadensbegrenzung betrieben, aber die Sprinterteams zeigten keine Ambitionen mehr. Cipollini und Mc Ewen schienen noch müde von den Bergen und Telekom war von der Arbeit in den Bergen für Ullrich wohl noch zu erschöpft.

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Die Ausreißergruppe mit den beiden Postalfahrern und ihr Kapitän Armstrong neben dem Bergtrikot.

Zwei Mann saßen vorne in der Gruppe und das gab ihnen im Feld alle Möglichkeiten sich so gut wie möglich zu erholen. Die Sprinterteams hatten früh ihr Desinteresse an der Nachführarbeit gezeigt. Danach waren sie gemütlich daher gerollt, hatten Späßchen gemacht und sich von den Qualen der Berge erholt. Und auch das etwas schnellere und coupiertere Ende machte ihnen kaum noch etwas aus. Sie fuhren mit der gesamten Mannschaft weit vorne im Feld und versuchten über den Funk das Renngeschehen an der Spitze mitzubekommen. Während sie gerade die 25 Kilometermarke durchfuhren hörten sie eine Nachricht vom ersten Angriff. Aus der fünfzehn Kilometer vorausfahrenden Spitzengruppe hatte sich ihr Teamkollege Pena gelöst und stürmte nun alleine die Cote de St.Ferreol hinauf. George feuerte ihn an und gab seinen Anstand durch. „Komm Victor, du hast zehn Sekunden. Wir sind nur noch zu viert.“ Es sah also gut aus. Ganz vorne hatten sie einen Mann und dahinter in einer vierköpfigen Verfolgergruppe noch einen, der sich aus der Nachführarbeit zurückhalten konnte. Eine ideale Ausgangsposition.

Penas Angriff entpuppte sich schnell als ein Strohfeuer und dennoch setzte er weiter nach, als Quique Gutierrez kurz vor der Bergwertung ansetzte. Nachdem sein Angriffsversuch gescheitert war, wollte er jetzt wenigstens seinem Kollegen Hincapie zum Sieg verhelfen. Vom Gipfel des Hügels an machte er ununterbrochen und unwiderstehlich Tempo und konnte den Abstand nach vorne reduzieren. Als er drei Kilometer vor Schluss an den Spanier herankam, verließen ihn dann doch die Kräfte und er ließ abreißen. Durch das hohe Tempo hatte sich die Spitzengruppe jetzt auf drei Fahrer reduziert, Gutierrez, Hincapie und Bouyer. Misstrauisch beäugten sie sich und keiner traute sich den ersten Angriff zu setzen. Doch in auf den letzten Metern der Abfahrt erreichten sie zwei weitere Fahrer von hinten. Während Farazijn sich erst einmal ans Ende der Gruppe setzte, attackierte Pieri gleich an ihr vorbei. Am wachsamsten war Hincapie, der sofort nachsetzte und sich das Hinterrad des Italieners sicherte. Die anderen Verfolger zögerten einen Moment zu lange, bis sie auch nachsetzten. Hincapie, der nicht vorhatte sich noch einfangen zu lasen, attackierte tausend Meter vor dem Ziel dann schließlich auch noch an Pieri vorbei, während seine Verfolger schon feststellen mussten, dass sie dem Amerikaner heute nicht gewachsen sein würden. Stattdessen konzentrierten sie sich jetzt auf den Sprint um den zweiten Platz. Hincapie zog durch und konnte sich damit belohnen schon hundert Meter vor dem Ziel die Arme in die Höhe zu reißen und sich als Etappensieger feiern zu lassen. Als eineinhalb Minuten später Pena ins Ziel kam, suchten die beiden sofort den Kontakt und gratulierten sich zu ihrer famosen Leistung. Nach den vielen arbeitsreichen Tagen als Helfern standen sie heute im Mittelpunkt, heute konnten sie ihren kleinen, persönlichen Erfolg feiern.

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Der jubelnde Sieger Hincapie und der Sprint des Feldes, den Freire gewinnt

Sie hatten gewonnen. George hatte den nächsten Etappensieg geholt. Gerade wollte er in den Jubel seiner Teamkollegen einstimmen, als es krachte. Im vorderen Bereich des Feldes, wo er fuhr, gab es einen Sturz. Zum Glück hatte er ausweichen können und auch Lance hatte die Situation unbeschadet überstanden. Leicht geschockt, aber immer noch euphorisch fuhren sie zwanzig Minuten nach George in Revel über die Ziellinie. Und noch bevor sie George und Victor gratulieren konnten erreichte sie die Nachricht, wer in den Sturz verwickelt war. Traurigerweise war neben den gesamtwertungsrelevanten Georg Totschnig und David Moncoutie auch sein alter Teamkollege Fernando Escartin gestürzt und hatte über zwei Minuten eingebüßt. Heute an einem Tag Zeit zu verlieren, wo das fast nicht möglich war, war das besonders bitter. Den Gedanken verdrängte er aber mit Leichtigkeit und stimmte in die Siegesfeier des Postalteams ein.

Tageswertung:
1.George Hincapie US Postal 5h30:44
2.Peter Farazijn Cofidis 0:31
3.Jose Enrique Gutierrez Kelme s.t.
4.Franck Bouyer Bonjour s.t.
5.Dario Pieri Saeco s.t.
6.Victor Hugo Pena US Postal 1:33
7.Chris Boardman Credit Agricole 2:45
8.Robert Förster Gerolsteiner 3:27
9.Oscar Freire Rabobank 19:57
10.Robbie Mc Ewen Lotto s.t.
11.Alessandro Petacchi Fassa Bortolo s.t.
12.Erik Zabel Telekom s.t.
13.Baden Cooke FdJeux s.t.
14.Mario Cipollini Saeco s.t.
15.Stuart O'Grady Credit Agricole s.t.

Gesamtwertung:
1.Lance Armstrong US Postal 73h11:11
2.Jan Ullrich Telekom 0:39
3.Ivan Basso CSC 3:04
4.Joseba Beloki ONCE 3:08
5.Alex Zülle Banesto 8:41
6.Fernando Escartin Kelme 9:00
7.Iban Mayo Euskaltel 10:00
8.Roberto Heras US Postal 10:01
9.Tyler Hamilton US Postal 12:31
10.Alexander Vinokurov Telekom 13:13
11.David Moncoutie Cofidis 18:37
12.Pavel Tonkov Mapei 19:47
13.Richard Virenque Festina 19:53
14.Georg Totschnig Gerolsteiner 22:14
15.Paolo Savoldelli Saeco 22:48

Sprintwertung
1. Erik Zabel Telekom 176
2. Robbie McEwen Lotto 157
3. Mario Cipollini Saeco 154
4. Oscar Freire Rabobank 127
5. Alessandro Petacchi Fassa Bortolo 126

Bergwertung

1. Christophe Rinero Cofidis 239
2. Lance Armstrong US Postal 172
3. Jan Ullrich Telekom 170
4. Ivan Basso CSC 163
5. Alex Zülle Banesto 123

Teamwertung:
1.US Postal 218:05:36
2.Telekom 1:02:59
3.Banesto 1:08:31
4.ONCE 1:13:11
5.CSC 1:25:32

Aktivster Fahrer
1.Inigo Landaluze Euskaltel 893
2.Walter Beneteau Bonjour 594
3.Kurt van de Wouwer Lotto 572
4.Vicente Garcia Acosta Banesto 560
5.Christophe Rinero Cofidis 535
Zuletzt geändert von Valverde3007 am 26.11.2008 - 9:55, insgesamt 1-mal geändert.

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Time2Play
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Beitrag: # 6746502Beitrag Time2Play
25.11.2008 - 21:27

Weiterhin Spitze!
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Fus87
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Beitrag: # 6746507Beitrag Fus87
25.11.2008 - 22:00

Schöner Rennbericht, aber die Listen mit Tages- und Gesamtergebnis stimmt nicht mit dem Rennbericht überein.

Andy92
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Beitrag: # 6746508Beitrag Andy92
25.11.2008 - 22:01

Absolut! Einsame Klasse!
Nur die Tageswertung stimmt nicht - ist wohl noch von der vorherigen Etappe.
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Valverde3007
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Beitrag: # 6746525Beitrag Valverde3007
26.11.2008 - 9:58

Das Gesamtergebnis passt so, das mit der Tageswertung ist natürlich peinlich.
Das ganze ist jetzt aber korrigiert.

Valverde3007
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Beitrag: # 6746784Beitrag Valverde3007
28.11.2008 - 23:28

Das letzte Gefecht

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Als Roberto auf das Thermometer geschaut hatte, hatte er erleichtert aufgeatmet. Im Vergleich zu den letzten Tagen richtig kalte 23 Grad hatte es angezeigt, außerdem war der Himmel bedeckt und die Sonne brach nur sporadisch durch die dicke, grauen Wolken. Es gab also humane Bedingungen um die letzte entscheidende Teamarbeit leisten zu können. Heute mussten sie die letzten Angriffe der Konkurrenten neutralisieren und Lance an der Spitze in das coupierte Finale führen. Nach den ersten 180 hügeligen, aber kontrollierbaren Kilometern würde das Finale brenzlige Situationen hervorrufen können. Zwei Hügel erschwerten das Etappenfinale enorm, so dass sich höchstwahrscheinlich noch verschiedene Gruppen absetzen könnten. Zum Auftakt die Cote de Chabrits, die kürzer und flacher war und dann die entscheidende Cote de la Croix-Neuve. Ein drei Kilometer langer Anstieg mit einer durchschnittlichen Steigung von über zehn Prozent, der für Abstände sorgen konnte. Dennoch war die Stimmung im Team positiv. Lance hatte schon öfter bewiesen, dass er auf diesem Terrain besser war als Ullrich, schließlich war er schon mit dem Gewinn verschiedener Klassiker dekoriert. Außerdem erleichterte die umkämpfte Ausreißerwertung ihnen heute die Arbeit. Da heute die vorletzte Chance war noch Punkte zu sammeln, standen die ersten Kilometer im Zeichen dieses Rennens im Rennen und besonders Euskaltel und Bonjour sorgten immer wieder für hohes Tempo. So konnten sie Kräfte schonen, die sie später sicher brauchen würden.

Es waren immer wieder Landaluze und Beneteau, die in Ausreißergruppen vertreten waren und mit scheinbar unerschöpflichen Kräften gingen sie jeden Angriff mit. Immer wieder entstanden für wenige Kilometer stabile Spitzengruppen, bis dann ein Team, das den Sprung in die jeweilige Gruppe verpasst hatte, das Feld wieder heranführte. Man sah ein Spielchen, das sich dauerhaft wiederholte. Landaluze attackierte, eine kleine Anzahl an Fahrern ging mit, dann setzte Beneteau nach. Dann wurde die Gruppe entweder wieder geschluckt oder Beneteau attackierte und jedes mal, wenn die Rennsituation sich zu beruhigen schien, begann das Spiel von vorne. Minütlich wechselte die Besetzung der Spitzengruppen, bis sich nach einer Rennstunde dann eine für alle akzeptable Gruppe gebildet hatte. Beneteau hatte einsehen müssen, dass der Abstand auf Landaluze mit jedem Kilometer schwerer aufzuholen wurde. Bei den noch 150 verbleibenden Kilometern des Tages und der Gesamtlänge von 153 Kilometern der letzten Flachetappe vor Paris würde er schon eine lange Soloflucht auf den Champs-Elysées wagen. Also fügte er sich der Stärke des Spaniers und beteiligte sich an der Arbeit einer nun 14-köpfigen Spitzengruppe um Michele Bartoli, den Vortageszweiten Peter Farazijn, den Sprinter Jaan Kirsipuu und den im Gesamtklassement an Position 38 am besten positionierten Leonardo Piepoli. Im Feld wurde dagegen das Tempo herausgenommen, den Fahrern würde auf den letzten Kilometern noch genug bevorstehen, bis dahin wollte jeder seine Kräfte schonen.

Roberto war sauer. Die Kämpfer in allen Ehren, aber war es wirklich notwendig an einem für die Gesamtwertung relevanten Tag über 50 Kilometer einen solchen Zirkus zu veranstalten. Der Ausgang der Kämpferwertung war doch sowieso so gut wie entschieden, da konnte man sich auch leichter auf eine Gruppe einigen. Der schnelle Rennbeginn hatte ihm nicht gelegen, er musste den Strapazen der letzten drei Wochen Tribut zollen. In dem ohnehin nicht für ihn geschaffenen Finale mit den kurzen Anstiegen würde er so wie es jetzt aussah nicht viel helfen können, Lance hätte also einen wichtigen Helfer weniger. Das könnte ein großer Nachteil sein, denn nach dem schweren Rennen am Anfang ging Roberto davon aus, dass die Favoriten im Finale nicht still halten würden. Die Frage war nur, wann Fahrer wie Jan Ullrich ihren Angriff platzieren würden. An der Cote de Croix-Neuve oder schon vorher? Alle Varianten standen ihnen offen. Schnell wurde es aber klar, dass keiner so lange warten wollte. Das Team CSC begann an der Cote de Raujolles, einem Hügel der dritten Kategorie mit der Tempoarbeit. Dabei legten sie schon ein so immens hohes Tempo vor, dass das Feld sich in zwei Hälften teilte. Was fingen die schon so früh an? Roberto wunderte sich über die Vorgehensweise. Was sollte so eine frühe Tempoverschärfung bezwecken? Glaubte Ivan Basso, Armstrongs Helfer abzuhängen? So leicht würden sie es ihm nicht machen. Aber CSC hatte ihnen ein Zeichen gegeben, sie mussten wachsam sein.

Das Feld näherte sich immer weiter der Spitzengruppe, doch das Tempo wurde nicht langsamer, CSC legte noch einen Zahn zu. Cancellara, Zabriskie und Piil fuhren, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her. Und dann, zwei Kilometer vor Beginn des Anstieges zur Cote de Boyne, einem etwa neun Kilometer langen Anstieg der zweiten Kategorie scherten sie kollektiv aus. Während die anderen sich noch über das Manöver wunderten, bekamen sie schon die Antwort, warum CSC so agierte. Mit einem mächtigen Antritt schoss Laurent Jalabert davon, in seinem Schlepptau die französischen Altmeister Didier Rous und Jacky Durand. Sie konnten sich schnell absetzen und fuhren mit einem Vorsprung von einer halben Minute und einem Rückstand auf die Fluchtgruppe von etwa zwei Minuten in den Berg hinein. Er war nicht besonders steil, aber nach den ungefähr 3000 absolvierten Kilometern quer durch Frankreich tat er den Fahrern in den Beinen weh. Doch einige Fahrer ließen sich davon nicht beeindrucken und nutzten den vorletzten Berg der zweiten Kategorie zu einem Angriff. Zunächst schloss Thomas Voeckler zu den Spitzenreitern auf, dann attackierten die in den Pyrenäen blass gebliebenen Laiseka und Rasmussen. Und schließlich sah man den Sinn hinter den Aktionen von CSC. Der Kapitän attackierte höchstpersönlich. Mit einem gewaltigen Antritt setzte er sich aus dem Feld ab und machte sich auf die Jagd nach den Ausreißern.

Damit hatten sie nicht gerechnet. Ein Angriff sechzig Kilometer vor dem Ziel. Das durften sie nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn die Spitzengruppe konnte in der Größe auf dem flacheren Stück bis zu den letzten beiden Hügeln viel Boden gut machen. Aber das hohe Tempo, das CSC dem Feld bis jetzt diktiert hatte, hatte seine Wirkung gezeigt. George und Victor mussten den Anstrengungen vom Vortag schon jetzt Tribut zollen. Also mussten Kevin und Chechu schon sehr früh in die Tempoarbeit einsteigen und Kräfte investieren, die später fehlen könnten. Dafür konnten sie den Abstand am Berg erst einmal in einem angemessenen Rahmen halten. Die Mitglieder der ehemaligen Spitzengruppe fielen nun nach und nach zurück. Dafür hatten sich noch drei zusätzliche Fahrer abgesetzt und die ohnehin unübersichtliche Situation noch verwirrender gemacht. Seinen Informationen zufolge lag jetzt eine Spitzengruppe um Basso vorne, dahinter folgte eine Gruppe um Escartin, der sich ebenfalls abgesetzt hatte und danach folgte ihre Gruppe. Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihm aber nicht, er musste sich darauf konzentrieren das Tempo zu halten, was ihm heute schon schwer genug fiel. Anderen war es aber immer noch zu langsam. Nachdem zwei Kapitäne schon angegriffen hatten, testete jetzt auch der dritte. Ullrich persönlich testete die Tagesform der Favoriten, verschärfte das Tempo und riss ein kleines Loch. Lance konnte zwar direkt den Anschluss herstellen, aber Roberto konnte nicht mehr mithalten. Sein Kapitän war schon früh isoliert und seine Gegner hatten noch die Chance diese taktische Schwäche von US Postal auszunutzen. Jetzt musste Roberto hoffen, dass Lance sich wieder als der Champion zeigen würde, der er war. Lance musste Ullrich jetzt alleine bezwingen.

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