Jerdona Zeres [Vuelta 2007 - beendet]

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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arkon
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Beitrag: # 460536Beitrag arkon
18.8.2007 - 12:27

Danke mal wieder für eine Kritik, die wirklich ins Schwarze trifft. Grabba erkennt zielsicher, ob ich stolz auf einen post bin oder nicht. wahnsinn...

ankündigung: ich fahre morgen nach hannover, am mittwoch für 2 wochen nach griechenland... dementsprechend wird es hier ersteinmal nicht weitergehen. ich denke, der zeitpunkt für eine pause ist relativ günstig gelegt, die spannung steht noch. daher werd ich mich auch nicht hinsetzen und unter zeitdruck drei etappen aus meinem füller quetschen. anfang september gehts weiter.

so long... machts joot
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synchronfuzzy
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Beitrag: # 461093Beitrag synchronfuzzy
21.8.2007 - 11:34

Na dann einen schönen, wohlverdienten Urlaub und ich bin schon total gespannt auf den Rest der Tour und natürlich auf die gesamte Karriere.


Weiter so

synchronfuzzy
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Beitrag: # 465474Beitrag synchronfuzzy
11.9.2007 - 16:05

Ich hoffe wir dürfen uns bald wieder auf die Fortsetzung stürzen?!

Ich freu mich schon drauf

slomi
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Beitrag: # 466753Beitrag slomi
17.9.2007 - 23:18

Wie du schon vor deinem Urlaub gesagt hast. Die Spannung steht noch.

Aber bitte spann uns doch nicht so auf die Folter ;)

Hoffe auf eine baldige Vortsetzung, aber besser du machst sie dann wenn du Zeit und natürlich auch Lust hast, als einfach nur die Tour schnell fertig zu machen.

Also auf eine baldige Vortsetzung und dass dein AAR spitze ist brauch ich dir wohl nicht mehr zu sagen ;)

lg
Qualle als Hut ist Gut, aber Mineralwasser ist nasser.

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arkon
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Beitrag: # 470362Beitrag arkon
11.10.2007 - 18:01

Bild

Es wird in der Regel gesagt, dass ein fehlender Plan zwingend ein Nachteil in der Erreichung eines Ziels ist. Aber Fabian wusste es besser. Er hatte ein Ziel, der Plan würde kommen, wenn er es für nötig erachtete. Diese heutige Etappe war, wieder einmal, ein möglicher Wendepunkt in der Tour de France. Die gestrige, überraschende Schwäche von Zeres, sein eigene Stärke und vor allem das Gefühl, in den Bergen das Geschehen kontrollieren zu können... Die Tour war offen. Nicht nur er konnte spekulieren, auch hinter ihm hatte der gestrige Tag Hoffnungen geweckt. Was, wenn er einbrach? Was, wenn Jerdona Zeres seine Form auch heute nicht wieder fand? Die eigentlich so klare und definierte Hackordnung war auseinander gebrochen. Gut für ihn. Und eigentlich der richtige Moment, um auf einen festen Plan zu verzichten und sich einfach vorzunehmen, das beste aus dem Tag zu machen. Man konnte niemals wissen, was die Strecke, die Berge, für einen bereit hielten.
So setzte sich denn auch das Fahrerfeld in Bewegung: Unkoordiniert, unschlüssig, wie ein Blinder sich langsam vorwärts tastend. Nach und nach wurde dann doch eine Tempoarbeit etabliert. Erst der etwas flachere, aber durch seine Länge doch nicht zu unterschätzende Coll del Canto. Eine Ausreißergruppe sicherte sich, fast schon pflichtgemäß, die Überfahrt. Fabian hatte bis zu diesem Zeitpunkt seinen Kopf noch nicht eine Sekunde aus seinem Kokon gezogen. Nun aber, am Fuße des Puerto de la Bonaigua, beorderte er seine ersten Mannen an die Spitze des Feldes, um das Tempo weiter anzuziehen.


Langsam, aber sicher wurden sie schneller. Am ersten Berg hatte er noch kaum etwas gespürt, aber nun war es da: Dieses dumpfe Pochen in den Beinen. Er kannte es zur Genüge. Es war eigentlich eines der Gefühle in seinem Leben, die er am besten kannte. Dieser Druck, dieses klopfen in seinen Adern. Er kannte es von zahlreichen Trainingsausfahrten, von Schlussanstiegen, von den letzten Kilometern in einem Zeitfahren. Es hatte ihn über die steilsten Hügel der Klassiker begleitet, über die giftigsten Anstiege der Alpen und Pyrenäen. Aber nun war es da, an einem nur durchschnittlich schweren Berg. Und da war noch etwas anderes: Während er sich sonst immer nach höherem Tempo, nach der Entscheidung, nach einem tobendem Sturm im Fahrerfeld gesehnt hatte spürte er nun... Angst. Angst vor dem Superbagneres, Angst vor dem nächsten Berg, Angst vor den Tempomachern an der Spitze, Angst vor seinen Gegnern.


Col du Portillon, die Brücke zurück nach Frankreich. Oben auf dem Gipfel würden sie die Grenze überqueren. Dann war das Ende schon in Sichtweite. Bagneres, die Stadt am Fuße des nicht unbedeutenden Skisportortes. Vorbei war es nun mit der Zurückhaltung vom Beginn der Etappe. Jerdona Zeres machte heute nicht den Eindruck, als ob er die Schmach von gestern wettmachen könnte, im Gegenteil. Und die Meute roch seine Angst wie ein Rudel hungriger Jagdhunde.
An der Spitze opferten sich nun alle Helfer auf. Es war ein regelrechter Kampf um die Spitzenposition entbrannt. Zahlreiche Fahrer fielen zurück, andere strebten nach vorne... Der Sturm war dabei, los zu brechen. Und er freute sich darauf.


Das war es, das war die Glocke zur letzten Runde, der Beginn des Finals. Jeder, der bisher noch vor sich hindöste, rutschte nun auf seinem Stuhl nach vorne. Das Feld flog förmlich vorbei an dem Banner, das die Bergwertung ankündigte, noch runde 20 Kilometer voraus. Man konnte an den Gesichtern der Fahrern ablesen, dass es todernst war. Heute würde keiner Geschenke machen, keiner würde zurück stecken, taktieren, auf Morgen hoffen. Morgen war der Ruhetag, heute war... der Tag des Jüngsten Gerichts.


Es war ein Kampf auf verlorenem Posten. Er quälte sich, was das Zeug hielt. Versuchte, locker am Feld vorbei nach vorne zu tänzeln, sich wieder zurückfallen zu lassen, seine Gegner einzuschüchtern. Er konnte es nicht. Einmal hinten angekommen musste er wirklich schlucken und beißen, das Tempo der anderen wieder aufzunehmen. Vorbeifahren so gut wie möglich, spielerisch tänzelnd eine Demonstration seiner Kraft abliefern unmöglich.
Verzweifelung stieg in ihm auf. Was sollte er tun, wenn jemand Angriff? Konnte er das Tempo überhaupt halten, auch ohne Angriff? Da kam schon die erste Rampe, ein steiles Stück. Nun galt es.


Sie schauten sich ein wenig an. Aber nicht lange. Rasmussen ging, Contador hinterher. Mit einem irren Tempo zogen sie von hinten weg am Feld vorbei. Evans stieg sofort ebenfalls in die Eisen und legte beim Tempo des Feldes eine ordentliche Schaufel oben drauf. Die Edelhelfer fielen quasi augenblicklich zurück, der offene Schlagabtausch hatte begonnen. Er blickte nach unten, auf seinen Pulsmesser. Verdammt. Er lag ein wenig über dem geplanten Sollwert, mit dem er gestern so gut gefahren war. Widerwillig ließ er ein wenig locker und büßte Weg nach vorne ein. Langsam, aber sicher, entschwanden Evans, Klöden und einige andere. Aber wo war Zeres?
Ein Blick nach hinten, Motorräder, Begleitwagen, tobende Zuschauer. Ein Blick nach vorne, eine Wilde Menge, baskisch orange. Doch wo war ihr Held? Er pfiff einmal mehr darauf. Sein Job war es, seine verdammte Pulsuhr zu bewachen und im richtigen Bereich zu fahren.


Panik. Die Angst war purer Panik gewichen. Jerdona konnte spüren, wie sie durch seinen Körper pulste. Das Blut schoss ihm ins Gesicht statt in die Beine. Er wurde puterrot. Seine Wangen glühten. Wo waren sie alle hin? Er hatte keinen mehr an seiner Seite, weder Freund noch Feind. Er fand nicht einmal mehr die Zeit, sich umzuschauen. Er musste kämpfen, musste diesen Berg hinauf. Noch hatte er eine Chance. Eine dünne zwar, aber er konnte diese Tour noch gewinnen. Verdammt nochmal, er musste sie gewinnen. Er würde nicht zu den Radfahrern zählen, die einmal die Tour glücklich gewonnen hatten und danach nie wieder etwas Vergleichbares zeigen konnten. Nein, er würde kämpfen, und er würde siegen. Final.

Er kämpfte weiter. Er musste weiter. Es war überraschenderweise sogar für ihn langweilig, den Berg auf diese Art und Weise in Angriff zu nehmen. Sein Körper war am Limit, das Blut rauschte in seinen Ohren, Sternchen flogen vor seinen Augen. Aber ihm war irgendwo doch langweilig.
Sobald er diesen Gedanken einmal gefasst hatte bemerkte er, warum ihm diese doch recht angenehme geistige Leere verwehrt bleiben würde. Ein paar Sekunden lang dachte er, dass er sein Limit erreicht hatte und nun schwächer würde. Mit einem kurzen Blick nach hinten bemerkte er aber den eigentlichen Grund: Er hatte einen Plattfuß. Kaum möglich, einen ungünstigeren Zeitpunkt zu erwischen. Das Schicksal hatte seinen Konkurrenten diese eine Chance eingeräumt. Aber er würde sie ihnen nicht gewähren. Anstatt panikartig anzuhalten sah er sich nach seinem Teamfahrzeug und signalisierte mit seinem Arm, dass er Hilfe bräuchte. Nichts wäre nun tödlicher, als noch auf die Mechaniker warten zu müssen. Aus den Augenwinkeln erspähte er, wie hektisch eine Tür am Auto aufgerissen wurde und der Beifahrer sich im Fahren am Dach zu schaffen machte. Die Zuschauer wichen erschrocken zurück, erstaunlicherweise immer schnell genug um nicht gegen die Türe zu stoßen.
Fabian bremste ab und schwang sich von seinem Rad herunter. Seine Beine, an ihre monotone Bewegung gewöhnt, schienen zu explodieren. Sobald der Mechaniker das Rad gegriffen hatte und sich an ihm zu schaffen machte, fing Fabian an zu laufen. Er konnte nicht zu lassen, dass die plötzliche Belastungspause seinem Körper allzu schwer zu schaffen machte. Das Adrenalin rauschte in seinen Ohren, aber er musste sich gedulden.
Immer wieder fuhren, nein rauschten abgehängte Fahrer vorbei. Fabian versuchte, sie nicht zu beachten, aber innerlich konnte er den immensen Schmerz spüren. Seine Zwangspause kostete ihn mehr und mehr Zeit. Fahrer, die eigentlich weit schwächer als er waren, holten ihn wieder ein. Und auf einmal… da war Jerdona! Die Menge schien ihn im gleichen Moment erkannt zu haben und das Toben um ihn herum schien sich noch einmal um einige Klassen zu steigern.
Wie auf Kommando wurde sein Mechaniker fertig und drückte ihn sein Rad in die Hand. Die Reparatur schien ewig gedauert zu haben. Fabian setzte sich auf den Sattel und unterdrückte den Impuls, direkt einen kleinen Sprint einzulegen, um Zeres nicht außer Sichtweite entkommen zu lassen. Nach und nach schaltete er durch seine Gänge und legte an Geschwindigkeit zu. Sein Puls tanzte hin und her und es dauerte eine weitere Ewigkeit, bis sein Organismus sich wieder an die Belastung gewöhnt hatte.

Er hatte es in der Vorbeifahrt kaum realisiert, aber jetzt, als er zurück schaute, realisierte Jerdona sein ganzes Glück: Schmidt hatte einen Plattfuß gehabt, das Rennen war wieder offen. Seine Chancen stiegen. Ein weiterer Blick zurück beraubte ihm der Illusion, das er es nun leichter haben würde: Schmidt saß wunderbar geschmeidig auf seinem Rad, sein Tritt gleichmäßig, sein Gesicht entschlossen, aber nur leicht berührt von den Ereignissen um ihn herum. Er schien fast in Trance zu sein.
Wie ein D-Zug rauschte er an ihm vorbei. Und zum zweiten Mal heute versuchte er erst gar nicht, sein Tempo anzugleichen. Er wusste, dass er heute nicht dazu gemacht war, die Angriffe zu parieren. Und obwohl es eigentlich vorauszusehen gewesen war, traf ihn der Schmerz dennoch tief. Würde er Gelb heute verlieren? Würde er die Tour verlieren? Was würde danach kommen?
Seine Gedanken drehten sich in Kreisen, viel zu kleinen Kreisen. Mit aller Macht versuchte er, sich auf das Rennen zu konzentrieren, aber weder sein Körper noch sein Geist wollten ihm heute Folge leisten. Die etwas mehr als zwei Minuten, die er Vorsprung auf Evans hatte, würden sie reichen? Oder würde er sogar das Podium verlieren, wenn er drei Minuten nach Leipheimer ankam? Sein Fall konnte noch scheinbar ewig nach unten weitergehen.

Die Erkenntnis traf ihn hart: Sein Plattfuß hatte ihm heute wahrscheinlich das Gelbe Trikot gekostet. Als er um die letzte Kurve vor dem Ziel fuhr und immer noch keinen Sichtkontakt mit Evans, Leipheimer und den anderen hatte, wurde ihm ein wenig anders. Auf einmal interessierten ihn die Zwischenzeiten doch. Er stand auf und versuchte im stehen auf den letzten Metern das Ergebnis, von dem er noch keinen blassen Schimmer hatte, zu korrigieren. Im Ziel plumpste er völlig entkräftet auf seinen Sattel und rang nach Luft.
Seine Lunge brannte, seine Beine brannten, seine Arme brannten. Mühsam stieg er vom Rad und ließ sich von einem Helfer eine Wasserflasche geben. Er taumelte nach vorne, bis er halt an einem Eisengeländer fand. Erst nachdem er sich den Inhalt der Flasche teils auf, teils in den Hals gekippt hatte kehrte er wieder in irdische Sphären zurück: Hatte er Gelb? Hatte er es geschafft?
Sein Kopf schnellte empor und er spähte auf die Anzeigetafel. Hier fand er die Antwort nicht. Rasmussen hatte gewonnen. Aber… aber… Fragend schaute er umher. Erst jetzt realisierte er das etwas betretene Schweigen seiner Teamkameraden. Das Geschrei kam von anderen. Es hatte nicht gereicht.

Was war schlimmer? Der Schmerz seiner Beine oder der Scham, hier, so nah an seiner Heimat unterzugehen? Die Pyrenäen… Er hatte auf heute gehofft, hatte sich extra diesen Anstieg herausgesucht. Was hatte es ihm gebracht? Er hatte verloren. Gelb, vielleicht die Tour. In den Schweiß, der in Strömen an ihm herab rann, mischten sich Tränen. Erst einige wenige. Dann, als Yuri ihn erreicht hatte, brachen die Dämme. Wie ein kleines Kind schluchzte er in seine Schulter. Die Fotoapparate, die Blitzlichter, die schreienden Menschen, die Massen an Fahrern, Offiziellen, Reportern und Betreuern, die sich um ihn herum drängelten, all das verblasste. Er war geschlagen.

Gesamtklassement
1) Evans 00:00:00
2) Schmidt 00:00:46
3) Rasmussen 00:00:49
4) Leipheimer 00:01:01
5) Zeres 00:01:34
6) Contador 00:01:54
7) Valverde 00:02:22
8) Klöden 00:03:17
Zuletzt geändert von arkon am 17.11.2007 - 22:24, insgesamt 1-mal geändert.
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Henrik
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Beitrag: # 470366Beitrag Henrik
11.10.2007 - 18:29

Ein Wort: Endlich! :)

synchronfuzzy
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Beitrag: # 474041Beitrag synchronfuzzy
8.11.2007 - 17:08

Ein zweites Wort: Wahnsinn.

Das war mal wieder klasse, nur schade, dass es nicht weiter geht...

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arkon
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Beitrag: # 474730Beitrag arkon
17.11.2007 - 23:42

Der Ruhetag… Jerdona konnte zum ersten Mal in seinem Leben wirklich spüren, was das hieß. Trotz, oder gerade wegen des gestrigen Tages. Die Niedergeschlagenheit von gestern, der Sargnagel, den er noch nahezu plastisch hatte spüren können, all das war weg. Er hatte nicht erwartet, sich heute so gut zu fühlen, aber es war so. Der Druck, der sich im Laufe der Monate angestaut hatte, diese Angst, die pure Panik zu versagen, es gab es nicht mehr. Er hatte versagt. Er war seinen eigenen Ansprüchen, vor allem den Ansprüchen von außen nicht gerecht geworden. Den ganzen Winter über hatte ihm die Vision vor diesem, diesem Tag Motivation gegeben. Jetzt, als er da war – konnte er beinahe darüber lachen. Nichts schien ihm schwer zu fallen. Mit einem breiten Grinsen setzte er sich ans Frühstück. Er fühlte sich fantastisch.
Den Rest des Tages füllte er nur unzureichend mit einer lockeren Ausfahrt. Er hatte keine Eile, wollte nur ein bisschen die Beine bewegen. Seine Teamkameraden konnten ebenfalls spüren, wie der Druck sich in Nichts aufgelöst hatte. Während andere Kapitäne ihre Teams die Anstiege in der Umgebung hochjagten rollte Zeres mit seinen Mannen über ebene Strecken in den Tälern, wo sie lediglich die Sprinterteams trafen. Zum ersten Mal seit langem scherzten und lachten die Fahrer wieder. Wenn die Tour auch verloren schien, so schienen sich die Geschlagenen doch besser damit zu arrangieren als angenommen. Und eine letzte Chance gab es ja noch für Zeres, den Titel zu behalten.
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$$_gibo_$$
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Beitrag: # 474764Beitrag $$_gibo_$$
18.11.2007 - 14:15

Auch wenn es nur ein Beitrag zum Ruhetag war, ist es doch immer wieder fantastisch deine Beiträge zu lesen. Mach weiter so und ich bin schon gespannt auf den Ausgang der Tour :)
Ich sah den Himmel und mein eigenes Grab,
Ich feierte Siege triumphierte und verlor,
Ich starb aus Liebe.

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arkon
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Beitrag: # 474854Beitrag arkon
19.11.2007 - 0:12

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Die Sonne schien wieder. Nach einem bewölktem Vortag und einer regnerischen Nacht hatte sich der Himmel wohl offenbar doch erweichen lassen, die Bühne des heutigen Tages mit trockenem Wetter zu bedenken. Die abtrocknenden Straßen, die durch den Schatten der mächtigen Berge geschützt wurden, füllten die Täler mit einer nebligen, feuchten Atmosphäre aus. Den Fahrern konnte es nur Recht sein. Gut gestärkt und ausgeruht fuhren sie auf. Der Ruhetag hatte die Hektik genommen. Die schwachen Fahrer hatten es jetzt schon fast geschafft, nur noch ein Tag der Plackerei. Die Berghelfer wussten, was kam. Aber die Kapitäne… sie waren schweigsam. Cadel Evans gab keine Interviews, winkte nur einmal kurz beim Einschreiben in das Publikum. Rasmussen erschien spät, drängelte sich ohne Eile durch die Massen und kam gerade noch so rechtzeitig zum Start. Leipheimer erschien in einem Pulk seines Teams. Seine Helfer umringten ihn. Gemeinsam kletterten sie zum Einschreiben, gemeinsam gesellten sie sich zu der Horde der anderen Fahrer.
Jerdona beobachtete all das eher belustigt. Der immense Druck, der auf den Athleten lastete, verführte sie zu diesem lächerlichen Verhalten. Sie konnten nicht offen damit umgehen, diese riesige Chance in den Händen zu halten und sie dann doch zu versieben. Ihr Leben lang hatten sie dafür trainiert. Bei dieser Tour gab es keinen Dominator, der alle beherrschte. Er selbst hatte es in den Alpen geschafft, war aber in den Pyrenäen gescheitert. Dies führte dazu, dass die ganzen Helden aus der zweiten Reihe ihre Chance rochen. Sie würden es schon noch sehen…

Vom Start weg war Fabian konzentriert. Das heute konnte sein Tag werden. Wenn Evans Probleme bekam konnte er heute die Tour gewinnen. Oder sie kamen zeitgleich ins Ziel und die Entscheidung würde vertagt werden. Was auch immer: Er würde heute alle seine Kraft brauchen. Und all sein Glück. Er beorderte sein Team nach vorne, wo sie sich direkt mit fünf anderen Mannschaften um die Spitzenpositionen stritten. Sie waren nicht die einzigen, die diese Etappe als wichtig einstuften.
Einige Ausreißer versuchten ihr Glück. Zunächst schien es, als ob sie Glück haben würden. Aber dann erreichte das Feld die Berge: Der Col des Ares. Mit 7,2 Kilometern und 4,8 % Steigung nur eine erste Eingewöhnung an die Anstiege, die folgen sollten. Aber schon hier wurde das Revier markiert: Predictor schaltete von 0 auf 100 und jagte den Anstieg empor. In Anbetracht des anstehenden Restprogramms bissen aber alle die Zähne zusammen und versuchten, Anschluss zu halten. Die wenigen Unglücklichen, die ihn verloren, nutzen die Abfahrt und das Flachstück, auf dem die Zügel wieder locker gelassen wurden.
Der Col de Mente wurde dann wieder mit Vollgas in Angriff genommen: Predictor-Lotto wurde von Rabobank unterstützt. Offensichtlich fühlte sich Rasmussen heute sehr gut. Die Berge waren sein Terrain, heute musste er seine Attacke anbringen. Aber noch versteckten sich die Kapitäne selbst, und als der Gipfel überquert war wurde das Tempo auch wieder lockerer. Das folgende Flachstück, welches schon inmitten der Pyrenäen lag, war die letzte Chance, noch einmal ein wenig Luft zu schnappen. Die Abgehängten veranstalteten eine Hetzjagd hinter ihnen und waren einmal mehr dankbar für die Unentschlossenheit an der Spitze des Klassements.
Doch der Col de Portillon markierte das Ende der Spielchen. Rabobank und Predictor zogen wieder das Tempo an. Aber zwei Kilometer in den Anstieg hinein klinkte sich Caisse d’Espargne ebenfalls in die Arbeit mit ein. Das hohe Tempo wurde zu einem wahnwitzigem. Das Feld bröckelte wie ein trockener Kuchen auseinander und innerhalb von drei Kilometern waren die Kapitäne mit ihren treusten Helfern alleine. Jerdona wünschte sich in genau dieser Situation Yuri an seine Seite. Aber eigentlich freute er sich insgeheim, dass die Schlacht schon so früh eröffnet werden würde.
Und eröffnet wurde sie in der Tat: Nach der Vorarbeitet der Helfer stieg nun Alejandro Valverde persönlich in die Eisen. Die langgezogene Reihe der Favoriten hängte sich fast synchron hinter den Flüchtling und sprintete hektisch und absurd schnell den Berg hinauf.
Valverde blickte sich um und erkannte die Wirkung seiner Tat: Von vielleicht 30 Mann waren nur noch etwa 15 übrig. Er fuhr eine Schlangenlinie und drosselte das Tempo. Wer würde seine Vorlage nutzen?
Jerdona dachte kurz nach. Wie weit war es noch? Wer würde mit angreifen? Wie weit lagen die Helfer zurück? Er senkte seinen Blick auf das Profil, weniger, um die Entscheidung zu fällen, mehr, um sein untrügliches Gefühl, das eine Attacke falsch wäre, zu begründen. Aber das enge Zeitfenster schloss sich ohnehin fast augenblicklich: Andreas Klöden nahm den Faden auf und ging in die Offensive. Valverde, dankbar für die Schützenhilfe, versuchte sein Glück ein zweites Mal. Rasmussen, Schmidt und Contador, welche die Spitze des ‚Feldes‘ markierten, schauten sich an. Zeres sprintete die wenigen Meter nach vorne und rollte neben den Bossen her. Evans und Leipheimer keuchten von hinten heran, im Schlepptau einige Helfer.
Damit waren die Existenz und die Zusammenstellung der Fluchtgruppe entschieden. Innerhalb von zehn Minuten wurde aus der kleinen Elitegruppe eine gut organisierte Verfolgergruppe. Auch Jerdona bekam Gesellschaft. Entspannt konnte er somit verfolgen, wie Valverde und Klöden eine effiziente Allianz entwickelten und bis zum Gipfel fast zwei Minuten auf ihre Verfolger heraus holten. Sehr zum Unwillen der anderen Mannschaften: T-Mobile ließ sich nun auch vorne sehen. Und mit drei Favoritenteams, die sich in der Führung abwechselten ging das Tempo schnell an die Belastungsgrenze.

Der Col de Peyresourde. Von hier aus hatten sie die Strecke mehr als einmal ausführlich erkundet. Und jetzt konnte Fabian auch erkennen, warum: Das Gefühl, auf vertrautem Terrain zu fahren, beruhigte ihn unglaublich. Die offene Rennsituation, seine Verantwortung dem Team und dem gesamten Umfeld gegenüber… Er schaute nach vorne und versuchte, zu lächeln. Mehr Sorgen als alles andere bereiteten ihm die Fahrer, die noch mit ihm unterwegs waren. Wann würden sie ihren Vorstoß wagen? Aber eigentlich brauchte er sich nicht zu verstecken: Er fühlte sich stark und hatte in den vergangenen Tagen ausreichend seine Stärke unter Beweis gestellt. Sollten sie doch angreifen. Er konnte auch Rad fahren.

Er wollte angreifen. Er wollte es ihnen zeigen: He, ich kann auch Rad fahren. Er brauchte das. Sein Ego gierte ein bisschen nach diesem Moment, in dem sie alle hinter ihm her hecheln würden. Und sein Ego war verdammt ungeduldig.
So fällte Jerdona Zeres am Anstieg des Peyresourde, 5 km in den Berg hinein, die Entscheidung, das es Zeit, den anderen das zu zeigen, was ihm zum Toursieger machte und von den anderen Topathleten unterschied: Seine Eier. Und wie es sich für einen Gentleman gehörte packte er auch nicht alles direkt aus. Er legte einen kleinen Striptease hin.

„Angriff Jerdona Zeres!“ Die Stimme des Sprechers überschlug sich förmlich. Der kleine, junge Baske wippte auf seinem Rad fröhlich hin und her. Es sah atemberaubend aus. Leicht, schnell, effizient, emotional, wütend, mutig. Genau das wollten sie sehen. Genau das wollten alle sehen.
Das Kameramotorrad zog an seinem Objekt vorbei. Und jetzt konnte die Zuschauer auch sehen, was diese Technik auslöste: Nicht viel. Noch immer klebten alle relevanten Fahrer an seinem Hinterrad. Tobias runzelte ein wenig die Stirn. Hatte sich Zeres übernommen?

bitte kritisiert nicht jeden scheiß von mir. ich muss mich momentan erstmal wieder reinfinden. gebt mir n paar posts, dann bin ich wieder auf dem posten ;).
und: der cut an dieser Stelle ist mehr auf fehlende lust zurück zu führen als auf gewollte spannung. morgen gehts weiter!
Zuletzt geändert von arkon am 22.11.2007 - 23:21, insgesamt 1-mal geändert.
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synchronfuzzy
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Beitrag: # 475272Beitrag synchronfuzzy
21.11.2007 - 20:53

Wieso sollte man jeden kleinen Scheiß von dir kritisieren? Fast jeder Beitrag von dir ist in sich einfach stimmig, da macht ein kleines Detail gar nichts aus!
Heute gehts weiter????


Bis dann

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J.Voigt
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Beitrag: # 475301Beitrag J.Voigt
22.11.2007 - 12:34

bitte schnell weiterschreiben, ist so spannend der AAR.. weiter so Bild

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arkon
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Beitrag: # 475375Beitrag arkon
23.11.2007 - 0:36

Hämisch grinsend blickte er nach hinten. Die unvermeidliche Reihe der Favoriten, der Gänsemarsch der Superstars, hatte sich hinter ihm gebildet. Er war also noch gefährlich genug. Super. Er verschleppte das Tempo und ließ sich in dem entstehenden Pulk etwas zurückfallen.
Die Realisierung, dass man wiederum auf den gleichen Trick hereingefallen war, kam hart. Vor allem für die armen Seelen, die weiter hinten fuhren. Denn Alberto Contador roch seine Chance und schlug alle Vorsicht in den Wind: Das Rennen sollte schon hier entschieden werden. Wild sprintend radelte er vorneweg und riss schnell eine Lücke. Jerdona, dankbar für die unerwartete Schützenhilfe, stieg hinterher, diesmal aber mit aller Kraft.

Gebannt blickte Tobias auf den Monitor. Für heute hatte man ein offenes und spannendes Rennen erwarten können, aber das Geschehen übertraf die Vorstellung bei weitem. Klöden und Valverde markierten nach wie vor die Spitze des Rennens, bei der letzten Messung hatte ihr Vorsprung fast zwei Minuten betragen. Und nun brach hinter ihnen auch noch die Hölle los.
Die anderen wollten Contador und Zeres nicht einfach so ziehen lassen. Es war kein Sprint, aber dafür ein Teamzeitfahren bergan. Jerdona hatte seinen Landsmann vorne im Schlepptau. Seine Müdigkeit und Schwäche von den letzten beiden Pyrenäenetappen erschienen nunmehr wie ein Traum. Der Titelverteidiger war noch aktiv und gefährlich. Er suchte seine Chance und schien sie nun erkannt zu haben.
Etwa 100 Meter weiter hinten bemühte sich Cadel Evans, die Lücke zu schließen. Rasmussen ging ebenfalls häufig in die Führung. Er roch wohl, dass er aufgrund seiner unterlegenen Zeitfahrfähigkeiten als ehester der Verlierer dieser Gruppe war. Schmidt und Leipheimer fuhren dicht dahinter, beide mit einem ausdruckslosen Gesicht. Der Rest der Tour war schon dahinter zurück gefallen. Das Finale schien sich also auf acht Personen und drei Berge zu beschränken.

Fabian war fixiert. Sein Blick war stur geradeaus gerichtet. Die Zeit, zu handeln, war noch nicht gekommen. Er musste nur mithalten. Alle anderen Teile seines Gehirns versuchte er, zum verstummen zu bringen. Doch so sehr es auch versuchte, immer wieder brach einer, wie ein einzelner Lichtstrahl durch eine dunkle, regenschwangere Wolke: Es lief leicht und locker. Er musste sich anstrengen, aber er hatte sein Limit noch nicht erreicht. Vielleicht war heute sein Tag...

Der enge Kampf zog seine Konsequenzen nach sich: Der Vorsprung von Klöden und Valverde schrumpfte schnell. Bis zum Gipfel waren Jerdona und Contador bis auf eine Minute herangerückt. Aber nun kam der für ihn unangenehme Teil: Während er bergauf den größten Teil der Arbeit verrichtet hatte, ganz zu seiner Zufriedenheit, hoffte er nun auf die Mithilfe seines Begleiters. Der erste Teil der Abfahrt führte fast ausschließlich gerade aus. Er nutzte die Gelegenheit, um sich an seinem Teamfahrzeug zu verpflegen und mit Alberto die Taktik wenigstens bis zum nächsten Berg zu besprechen. Im Prinzip lief das ohnehin darauf hinaus, das er ihn anherrschte, jetzt gefälligst auch etwas Arbeit zu übernehmen. Einmal mehr kam ihm sein Ruf und sein Auftreten zugute.
Vor allem auf dem letzten, winkligen Teil der Abfahrt war er froh, ein Hinterrad vor sich zu haben. Mit einem ordentlichen Tempo ging es dann auch durch Genos, einem kleinen Ort inmitten des Tales. Hier zweigte die Straße zum Col de Val-Louron-Azet ab, dem vorletzten Berg des Tages. Den zwischenzeitlich wieder gestiegenen Vorsprung der beiden Spitzenreiter nahm Jerdona gleich freudig in Angriff.
Bevor die Schlacht richtig losgehen konnte, erreichte ihn die Hiobsbotschaft: Von ihrem Vorsprung auf die Gruppe hinter ihnen, der auf dem Gipfel noch eine Minute betragen hatte, waren nur noch 15-20 Sekunden über. Er schluckte die Panik, die in ihm aufzusteigen drohte, herunter und konzentrierte sich auf das Fahren. Er war stark heute und der zusätzliche Kraftaufwand durch die Attacke hielt sich ohnehin in Grenzen. Wenn er sie also nicht würde zu Ende fahren können: Sei’s drum. Er hatte es versucht.

Fabian scholl sich verrückt, als der Gedanke ihm zum ersten Mal durch den Kopf schoss. Er konnte doch nicht angreifen, am vorletzten Berg! Das war Wahnsinn. Doch als er sich umschaute und in die Gesichter seiner Kontrahenten blickte wurde ihm klar: So gut sie auch auf Flachstücken Ausreißer jagen konnten, am Berg hatte keiner von ihnen noch sonderlich große Reserven. Evans, der immer noch den Hauptteil der Arbeit übernahm, sah zunehmend aus, als ob er sein Limit erreicht hätte. Leipheimer sah auch nicht mehr allzu locker aus. Und Rasmussen… Warum dachte er darüber überhaupt nach?
Ein Klick auf dem Tachometer, kurz schalten und weg war er. Das Adrenalin rauschte in seinen Ohren, der Puls schnellte nach oben. Für einen Moment ging er sogar aus dem Sattel. Aber er hätte sich die Mühe sparen können: Rasmussen klinkte sich ohne große Mühen hinter ihn ein, Leipheimer und Evans reagierten gar nicht erst groß. Schnell passte er seinen Puls wieder den Werten an, die für die heutige Etappe auf den Tabellen standen. Mit einem strengen Auge auf dem Kraftmesser ging es weiter bergan.

Er blickte sich sofort um. Der Abstand musste nun auf unter zehn Sekunden sein. Und ja, dahinten konnte er den Trupp schon erkennen. Autos, Motorräder. Wenig später jagten auch schon die ersten Polizisten an ihm vorbei. Die Menschenmassen klatschten nun kaum mehr zusammen hinter ihm. Und dann sah er ihn schon: Wie mit einem kleinen Motor ausgestattet schnurrte Fabian den Berg empor. Scheinbar mühelos gesellte er sich zu den beiden Flüchtigen.
Für ihn selbst stellte es keine große Anstrengung dar, sich dem Tempodiktat des Deutschen zu unterwerfen. Aus den Augenwinkeln konnte er jedoch erkennen, wie Contador zu beißen hatten. Der Titelverteidiger drehte den Kopf und fixierte seinen Begleiter mit seinen Augen. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Seine hängenden Augenlieder, das fehlende Funkeln, die Wangen, aufgedunsen und schwer von Schweiß… der Spanier litt. Sein Fokus glitt nach unten weg, kein gutes Zeichen für einen Sportler, der die nächsten 40 Kilometer nur überstehen konnte, wenn er bereit, permanent gegen sich selber zu kämpfen und sein eigenes Limit um ein vielfaches zu überschreiten.
Die Hatz vorne ging derweil weiter. Er bemerkte, wie Rasmussen ihn immer wieder wie zufällig kurze Blicke zuwarf. Während Schmidt vorne wie eine Lokomotive stur sein Tempo fuhr handelten hinter ihm die beiden Bergkönige aus, wer den ersten Vorstoß zu unternehmen hatte. Die Diskussion fand nicht nur ohne Worte statt, sie war fast gänzlich unbewusst. Jerdona beantwortete permanent die unausgesprochenen Fragen in den Augen des Dänen. Konnte er? Wollte er? Würde er? Sollten sie gemeinsam?
Nach ungefähr der Hälfte des Berges erreichten sie Klöden und Valverde. Klöden ließ ohne Kampf abreißen, während Valverde noch einige Minuten vergeblich sein Glück versuchte. Contador erkannte seine Chance, den Rest der Etappe nicht alleine in Angriff nehmen zu müssen und ließ sich ebenfalls zurück fallen.
Hier war das Signal. Wenn nicht jetzt, wann dann? Zeres stieg in die Eisen und versuchte sein Glück. Rasmussen wartete noch ab. Ab zu ihrer beider Erstaunen kam keine Antwort von Schmidt. Unbeirrt fuhr er sein Tempo weiter. Und das mit einigem Einsatz. Jerdona war insgeheim froh, als er sich wieder hinter dem hünenhaften Fahrer verstecken konnte.
Nun versuchte der Däne sein Glück. Er bildete den Kontrast zu der Fahrweise des Spaniers: Mit aller Kraft riss er sein Rad hin und her und brachte es so mit einer irre hohen Frequenz auf Touren. Allein: Die Lücke wurde auch bei ihm nicht sonderlich groß. Sobald er sich wieder hinsetzte und Luft holte schmolz sein dünner Vorsprung nur so dahin. Waren die beiden Kletterflöhe dazu verdammt sich anzupassen? Einem Zeitfahrspezialisten?
Bis zum Gipfel jedenfalls sah es verdammt so aus. Die anderen Mitbewerber lahmten irgendwo unter ihnen über die Serpentinen, abgeschlagen. Der Kampf um den Sieg, sowohl über den Etappensieg als auch den Triumph in Paris würde ohne sie entschieden werden. Jerdona entspannte sich ein wenig, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging. Ohne Evans stiegen seine Chancen ganz erheblich. Rasmussen war keine wirkliche Gefahr. Er war dem Dänen im Zeitfahren überlegen. Alleine Schmidt bereitete ihm Sorgen. Konnte er das Tempo bis ins Ziel durchhalten? Er würde es darauf ankommen lassen.
Die Abfahrt und den Weg hinab konnte er nun erst einmal entspannen: Fabian blieb in Führung und sorgte somit für Windschatten. Wieder die Gelegenheit für eine Pause. Am Teamwagen verpflegte er sich nochmal und wechselte letzte, aufmunternde Worte. Bis zum Ende der Etappe war er bis auf die verknisterte Stimme in seinem Ohr alleine. Nun ja, seine Beine standen ihm bei. Hoffentlich.

Da kam die Flagge. 15 Kilometer bis zum Gipfel. Die Bühne war bereitet, der Vorhang hob sich zum letzten Akt. Jedenfalls für diesen Tag. Nach 8 Kilometern die sie mit drei bis vier Prozent Steigung an den Berg heran gebracht hatten fing es nun richtig an. Sechs Prozent, zur Einstimmung. Und wie ein Hungernder stürzte sich Michael Rasmussen auf diese Gelegenheit: Quasi sofort, nachdem sie die Kurve durchfahren hatten, hinter der die erste Rampe begann, sprang er auf und nahm den Kampf auf.
Fabian merkte, wie Jerdona etwas nervös schräg hinter ihm auf seinem Rad herum wackelte. Er war sich nicht sicher, was er tun sollte. Fast musste er lächeln. Aber die Schmerzen waren schon zu stark, um den Humor der Situation in sein Bewusstsein vordringen zu lassen. Der Däne schien eine Lücke reißen zu können. Mit aller Kraft zog er dem Duo davon. Sie mussten sich beide beherrschen, den Kampf nicht aufzunehmen. Jerdona litt ganz offensichtlich, doch er riss sich am Riemen. Fabian fixierte seinen Tachometer bis er glaubte, in die schwarzen LED-Ziffern vor dem gräulichen Hintergrund eintauchen zu können. Fast schien es, als ob er die Transistoren im Hintergrund schalten hören konnte.
Auf ihrem Weg durch Aragnouet, einem kurzen Flachstück, schrumpfte der Vorsprung des kleinen Kletterflohs von bedenklichen 30 Sekunden auf lächerliche zehn. Hinter der Ortschaft jedoch wartete die nächste Herausforderung auf sie: Eine Rampe mit 12,4 % auf einem Kilometer Länge. Fabian wollte sich schon umdrehen, um Jerdona einen fragenden bis herausfordernden Blick zuzuwerfen, doch der Baske war schneller. Wie der Wind flog er die Steigung herauf. Keine Schonung dieses Mal.

Es tat gut, das Ruder wieder in die Hand zu nehmen. So gerne er auch anderen die Arbeit delegierte, die Verantwortung gab er nicht gerne ab. Fast wie im Rausch brauste er durch das Spalier. Wie in einem großen Satz erreichte er Rasmussen. Erst jetzt drehte er sich um. Nur, um vor Überraschung fast vom Rad zu fallen: Fabian Schmidt klebte immer noch an seinem Hinterrad. Er war den gesamten Sprint mitgegangen. Und ging nun in die Führung, als ob er seine beiden Söhne an die Hand nahm um sie zu einem Familienessen an einem lauen Sonntagnachmittag zu führen. Bis auf die Tatsache, das Jerdona schwer schlucken musste, um das Tempo aufzunehmen.
Mit einem Blick zurück vergewisserte er sich, das Rasmussen, wie erwartet, keine Chance hatte. Die Schlacht war endgültig zu einem Zweikampf geworden. Schmidt gegen Zeres, Jerdona gegen Fabian.

Der kleine Baske verharrte nicht lange am Hinterrad: Noch vor dem Ende des Steilstückes platzierte er eine neue Attacke. Diesmal kam keine Reaktion von Schmidt. Aber dafür kam eine kleine Abfahrt, die der routinierte Zeitfahre nutzte, um die Lücke zu schließen. Der Fahrer im Magenta-Trikot ging wieder in die Führung. Jerdona wollte sich nicht so recht einordnen und rollte neben ihm her. Schulter an Schulter quälten sie sich die Steigung empor. Die Gesichter unbewegt, die Augen stur geradeaus. Fast schien es Zufall, dass sie nebeneinander fuhren. Sie ignorierten sich so gut es ging.
Das nächste Steilstück, diesmal 13%, die nächste Attacke: Zeres versuchte wieder sein Glück. Das Loch war sofort da. Aus 30 Metern wurden 10 Sekunden wurden 30 Sekunden. Das Fernsehen spaltete die Sicht um den Zuschauern die beiden Kombattanten zu zeigen. 28 Sekunden, 26, 29, 24… Der Abstand schwankte hin und her, mal größer, mal kleiner. Dann flachte die Straße wieder ab, Schmidt kam näher und näher. Ein kurzer Schnitt nach hinten auf das Gelbe Trikot: Evans quälte sich nun Meter für Meter empor. Er hatte sich übernommen, hatte keine Chance in diesem Kampf noch eine Rolle zu spielen. Die Bilder wechselten wieder nach vorne: Das Pärchen des Tages war wieder vereint.
Verstohlene Blicke wurden zwischen den beiden gewechselt. Jerdona ließ sich zurückfallen und hängte sich für ein paar Meter hinter seinen Konkurrenten. Rasmussen fuhr jetzt schon über eine Minute hinter ihnen, Tendenz steigend. Die Entscheidung musste zwischen ihnen fallen.
Schmidt suchte nun sein Heil in der Flucht: Weit nach vorne hängend versuchte er, im stehen Geschwindigkeit und Raum und die Tour zu gewinnen. Zeres reagierte erst zögernd, dann gar nicht. Als der Blickkontakt zwischen den beiden abbrach durchfuhr ihn die Panik wie ein Blitz. Der Adrenalinschub wirkte: Er würde vielleicht die Tour verlieren, aber nur im offenen Kampf, nicht, weil er einen taktischen Fehler begangen hatte. Spielerisch wirkte es nun, wie er den Berg hoch pumpte. Er hatte seinen Fahrstil wieder gefunden. Hinsetzen, nach Luft schnappen, Aufstehen, Tod und Verderben säen. Im nu hatte er Fabian wieder erreicht. Pünktlich zum letzten Steilstück zog er, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, vorbei.
Und nun hatte er ihn, es war sofort klar. Das Duell, bis zu diesem Moment noch mit emotionslosen Gesichtern ausgetragen, wurde zu einer Schlacht der Gefühle: Jerdona roch nun den Sieg. Nach Tagen der Rückschläge hatte er es nun in der Hand. Wer wollte, konnte in seinen weit aufgerissenen, nach Luft schnappenden Mund ein Lächeln hinein interpretieren. Seine Augen blitzten, seine Züge waren entspannt.
Schmidt dagegen stand Panik ins Gesicht geschrieben. Bis zu diesem Moment hatte er die Etappe kontrolliert, hatte seine Ambitionen untermauert, seine Gegner demoralisiert. Und nun rächte sich seine Überheblichkeit… die Drei-Kilometer-Marke rauschte über ihm vorbei. In seinem Kopf bildete sich ein Vakuum.
Drei Kilometer. Er musste sich nur noch drei Kilometer quälen. Nach über 30.000 Trainingskilometern eigentlich ein Witz. Sein Blick fokussierte wieder, seine Beine bewegten sich wieder mit dem synchronen, enervierend gleichmäßigen Takt, der alle seine Gegner bis auf einen bisher zermahlen hatte.
Sie erreichten das Plateau. Die letzten 2.5 Kilometer. Sie waren flach. Nicht ganz, mögen einige einwenden. Sie stiegen immerhin mit 1,6 % durch den Wintersportort an. Die Barrikaden hier erfüllten ihren Zweck schon nicht mehr so ganz: Immer wieder rannten Fans neben ihnen her, meist ganz in Orange gekleidet. Sie bekamen, was sie wollten: Ein Spektakel zum Finale.
Auch Jerdona gab alles. Er wusste, um was es ging. 1500 Meter, 1000 Meter, 500 Meter, die letzte Kurve. Ein letzter, eiliger Blick über die Schulter. Er richtete sich auf und schloss sein Trikot. 20 Meter. Er hatte verloren. Es war der traurigste Sieg seiner Karriere. Mit leeren Augen, gerichtet auf irgendeinen Punkt weit jenseits der Berge, überfuhr er die Linie. Keine Faust, kein V für Victory, keine Pose. Lahm hingen seine Arme an seiner Seite. Ohne Kraft, sie zu heben, rollte er langsam aus, während seine Betreuer zu ihm eilten.
Fabian glich den Mangel an Posen aus: Beide Hände zu Fäusten geballt, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen. Morgen würden diese beiden Bilder für einen schönen Kontrast auf den Titelseiten der Zeitungen sorgen. Heute brach über die beiden Hauptdarsteller dieses Tages die Hölle los: Alles stürmte auf sie ein. Das Interview mit dem Tagessieger konnte kaum stattfinden: Jerdona hatte seinen Kopf völlig woanders und saß schon in seinem Auto, das ihn zurück zum Hotel bringen sollte, als ihn ein aufmerksamer Betreuer zum Wohnwagen des französischen Fernsehens führte.
Auf der Bühne dann fühlte er sich nackt und unwohl. Der euphorisch aufbrandende Applaus empfing ihn dagegen warm und zauberte ein leichtes Lächeln auf sein Gesicht. Die Gratulanten fielen ihn um den Hals, dankten ihn für eine großartige und spannende Tour und gratulierten ihn zu seinem Kampfeswillen und seinem großartigen Ausnahmekönnen am Berg. All das half ihm wenig.
Für Fabian sah das alles natürlich heute anders aus. Es fehlte zwar noch ein wenig zum endgültigen Toursieg. Aber heute hatte er den großen, den wichtigsten Schritt gemacht. Er hatte gewonnen, er konnte es jetzt eigentlich nur noch versauen.


Gesamtklassement
1) Schmidt 00:00:00
2) Zeres 00:00:15
3) Rasmussen 00:01:14
4) Evans 00:02:45
5) Leipheimer 00:02:59
6) Contador 00:03:25
7) Valverde 00:04:01
8) Klöden 00:06:02
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HamitonFan007
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Beitrag: # 475395Beitrag HamitonFan007
23.11.2007 - 14:19

Brilliant
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ulle91
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Beitrag: # 475397Beitrag ulle91
23.11.2007 - 14:29

Ganz groß!
BBC!

SantiagoMunez

Beitrag: # 475401Beitrag SantiagoMunez
23.11.2007 - 15:10

....aber sowas von. Auch ein toller AAR!

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arkon
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Beitrag: # 478936Beitrag arkon
4.1.2008 - 17:35

Und wieder einmal war das letzte Zeitfahren irrelevant. Es wurde mittlerweile zum schlechten Habitus bei der Tour, dass der Kampf um den Gesamtsieg schon vorher entschieden worden war. Das es diesmal wenigstens formal noch anders aussah irritierte nur wenige. Die Spannung hielt sich in engen Grenzen. Einzig der erwartete Kampf zwischen den einzelnen Spezialisten in dieser Disziplin würde den Tag aufhellen. Oh ja, und natürlich der Kampf um das Podium: Evans und Leipheimer gegen Rasmussen. An der Spitze dagegen sah das Programm etwas mürbe aus: Zeres gegen Schmidt, wobei der klare Favorit auch noch 15 Sekunden auf den Herausforderer gut hatte. Insofern wurde von beiden kein Rennen bis ans Limit erwartet.

Fabian hatte wunderbar geschlafen. Jetzt, da er so dicht vor dem ganz großen Erfolg stand, war die untergründige Nervosität, die Unruhe, die ihn bisher permanent begleitet hatte, auf einmal wie weg geblasen. Der Etappensieg war nach wie vor ein großes Ziel für ihn und würde ihn auf eine Weise rehabilitieren, aber es war für ihn nicht notwendig. Auch nicht, wenn er daran dachte, dass er zum zweiten Mal hintereinander alle Zeitfahren der Tour gewinnen würde. Es war ebenfalls etwas, was ihn in die Geschichtsbücher bringen würde. Aber sein Ziel war es heute definitiv nicht.
Er scherzte mit der Mannschaft beim Frühstück herum, unterhielt sich mit allen und jedem, plauderte mit den Bedienungen. Sein Tag würde, so oder so, wunderbar werden. Das kleine bisschen an Anspannung merkte man ihm kaum mehr an.
Früh ging er mit seiner gesamten Mannschaft auf Streckenbesichtigung. Locker rollten sie im Pulk da Terrain ab, die Bühne für die Show des Tages. Sie begutachteten die letzten Vorbereitungen der Fernseh-Leute, die ihre Kameras justierten, sahen die Zeitnehmer, die mit ihren Autos über die Strecke flitzten um das während der Nacht aufgebaute System zu konfigurieren, sie bewunderten die ersten, harten Fans, die schon jetzt an den Streckenrand strömten um sich die guten Positionen an den langsamen Kurven und den wenigen Steigungen des Tages zu sichern.
Als sie sich dem Ziel näherten, auf den letzten Kilometern bergauf durch die Stadt, und die Menge schon ihr erstes, lockeres Training mit begeisterten Jubelrufen bedachte, als sie, einmal durch das Ziel gefahren, bei ihrer kurzen Pause kaum die Chance hatten, untereinander ein ruhiges Wort zu wechseln, da erfasste Fabian langsam die gesamte Wucht der Kulisse. Er war im Begriff, das wichtigste, beliebteste und berühmteste Rennen der Welt zu gewinnen. Wichtiger noch: Wie er jetzt von dem ihm interviewenden Reporter erfahren hatte, hatte er als erster Fahrer seit Jacques Anquetil die Möglichkeit, zwei Jahre hintereinander alle Zeitfahren der Tour zu gewinnen. Nicht Merckx, nicht Armstrong, nicht Indurain und nicht Hinault war dieses Kunststück gelungen. In den Jahren 1963 und 1964 war Anquetil in den Zeitfahren unantastbar gewesen, nun hatte er die Chance, in diese Liste 2006 und 2007 mit seinem Namen einzutragen.
Als Schmidt wieder zurück im Hotel war, in seinem Zimmer saß und sich Mental auf sein Rennen einstellte, das Gelbe Trikot, sein Gelbes Trikot in den Händen, die Augen auf den luftdurchlässigen Spezialkunststoff, unifarben, das Logo von T-Mobile mit einem Bügeleisen eingeprägt, da stockte ihm der Atem. Das Stechen in der Magengegend, die bleierne Schwere beim Einatmen, das sichere Zeichen von Nervosität und sein fester Begleiter durch das bisherige Jahr. Er hatte gedacht, es hinter sich gelassen zu haben. Mitnichten.

Für Jerdona war der Tag dagegen Routine. Er hatte die Enttäuschung immer noch nicht überwunden, am Berg, in seiner Domäne, diese schlimmste Niederlage seines Lebens erlitten zu haben. Die Etappen bis hierher war er wie im Autopilot gewesen. Kein Interview war über seine Lippen gekommen, nur während der Etappen konnten Fotos geschossen werden. Die Zeitungen, welche mit ihrer Meinung zwischen "Schlechter Verlierer" und "Greift er nochmal an?" schwankten, interessierten ihn nicht. Selbst wenn sich die Möglichkeit bieten würde, Schmidt noch einmal anzugreifen: Jerdona würde es nicht tun. Seine Moral war gebrochen. Noch nie hatte er sich so... zweitklassig gefühlt. Äußerlich war ein Wrack, kaum noch imstande, seinen zweiten Platz zu verteidigen. Innerlich... innerlich schmiedete er bereits Pläne. Er wollte nicht nur im nächsten Jahr gewinnen. Er wollte allen zeigen, dass Schmidt nur Glück gehabt hatte. Das dieser Sieg nur auf seine Schwäche auf den ersten beiden Pyrenäenetappen zustande gekommen war. Er wollte, er musste ihn bei der Deutschlandtour schlagen. Und, wenn er mitfuhr, bei der Vuelta. Und bei der Weltmeisterschaft. Und...

Als Fabian von der Rampe rollte, zwei Minuten hinter Jerdona Zeres, und das Gelbe Trikot trug, ahnte er nicht, dass dieser Tag beenden würde, was der Anstieg nach Piau Engaly angefangen hatte. Episches.
Er begann das Rennen locker. Keine Eile, er wollte sich nicht zu früh verausgaben. Die lange Strecke, die anstrengende Tour. Jeder, der einen Spitzenplatz im Klassement innehatte, war müde. Der Kampf war eng und hart gewesen. Besonders die Pyrenäen hatten an ihren Kräften gezehrt, das letzte aus ihren längst müden Beinen gesaugt, was sich noch darin befand. Und nun mussten sie, trotz der überstandenen Plackerei, noch einmal in die vollen, alles geben.
An der ersten Zwischenzeit lag Fabian schon auf Platz drei, 16 Sekunden zurück. Langsam ja, aber was zur Hölle sollte das? Während er seinen Regler langsam einige Stufen nach oben fuhr hörte er über den Funk etwas anderes: Evans und Leipheimer, die die ersten beiden Plätze inne hatten, fuhren auf Angriff, nein, auf Vernichtungskrieg. Rasmussen, der etwa 1:30 vor dem Pärchen in der Gesamtwertung lag, konnte schon jetzt seine Pläne für das Podium verbrennen: Mit 43 Sekunden waren die Hoffnungen dünn. Noch schlechter im Rennen lag jedoch jemand anders.

Es war ein Peitschenhieb, aber wie aus einer anderen Realität. 1:03 Auf Leipheimer. Im Begleitfahrzeug überschlugen sie sich, versuchten ihn, anzutreiben. Aber alles, was sie sagten, machte irgendwie keinen Sinn für ihn. Er trieb sich an, sicherlich, er fuhr am Limit, selbstverständlich. Aber es war die Tour, die Tour de France. Hier reichte das nicht. Und die Kohlen, die er üblicherweise ganz locker hinzu packen konnte fehlten heute. Sein Feuer brannte, aber es prasselte nicht.
Während er weiter über die Strecke raste schweiften seine Gedanken sogar ab. Er verlor den Fokus, dachte an die letzten Wochen, an seine Gegner, vor und hinter ihm. Was war mit ihm los? Und mit einem Mal wusste er es: Er brauchte Urlaub. Er brauchte eine Auszeit von der ganzen Geschichte. Er hatte sich getriezt, verausgabt, gequält. Er musste loslassen, Abstand gewinnen. Nur um dann…

Die zweite Zwischenzeit. Jetzt wurde es ernst. Wie ein D-Zug rauschte Fabian unter den Bannern hindurch, welche die kritische Stelle markierten. Sein gelber Zeitfahrhelm blitzte in der Sonne, seine Trikotnummer, die nicht ganz bündig auf dem Rücken angebracht worden war, flatterte leicht. Gleichmäßig pumpten seine Beine dem Ziel entgegen. Sein Blick wanderte ruhig zwischen Pulsuhr und Straße hin und her.
Da kam aus dem Kopfhörer die Bestätigung: Er war der schnellste. Aber der Abstand, der Abstand… Sein Magen zog sich zusammen, sein Herz setzte einige Schläge aus: Er war nur eine Sekunde schneller als Leipheimer. Und Evans lauerte nur 5 Sekunden dahinter. Es würde ein verdammt enger Zieleinlauf werden. Er widerstand dem Impuls, aufzustehen und ein wenig an Fahrt aufzunehmen. Wenn er gewinnen wollte gab es nur einen Weg: Er würde im letzten Drittel genauso konzentriert zu Werke gehen müssen wie auf dem Rest der Strecke.
Eisern klammerte er sich an die Pulsuhr. Der Impuls, schneller zu treten, wurde stärker. Besonders, als er hörte, was Jerdona machte: Aus 1:03 waren 1:42 geworden. Fabian roch Blut. Konnte er es riskieren? Konnte er schon das Tempo anziehen?
Er erinnerte sich zurück an die vielen Male wo er im Training die Strecke abgefahren war. Das letzte Drittel war zweifelsohne das schwerste. Die letzten Kilometer stiegen leicht, aber kontinuierlich an. Also kein Grund zur Panik: Er würde noch Gelegenheit genug bekommen, seine Kraft auf die Straße zu bringen.
Doch dann sah er ihn: Eine lange Gerade. Da vorne wackelte er vor sich hin. Jerdona Zeres, König der Berge. Titelverteidiger und hoher Favorit. Im letzten Jahr hatte er ihn bewundert, er war so etwas wie sein Vorbild gewesen, als er die Tour gewann. Damals hatte er sich gewünscht, seine Erfolge einmal wiederholen zu können. Und nun überholte er ihn sogar.
Sein Blick wurde starr. Wie ein Jäger auf seine Beute fokussierte er sich auf das Rad vor ihm. Der Tritt beschleunigte sich von alleine. Der Widerstand der Pedale sank einfach. Die Pulsuhr fing an zu piepsen, aber er beachtete sie gar nicht.
Es war ein halber Sprint, den er einlegte. Wie ein Orkan pfiff er an seinem baskischen Widersacher vorbei. Die Nummer eins auf seinem Rücken, die ihm bis hier noch als Zielscheibe gedient hatte, verlor er sofort aus den Augen. Zeres hatte keine Chance zu reagieren. Fabian drehte sich nicht um. Er brauchte keine Bestätigung, dass er ihn vernichtet hatte. Die Rache für das Bergzeitfahren nach Val d’Isere war ihm geglückt.

Jerdona schleppte sich ins Ziel. Wie ein angeschossener Hund trudelte er über die Strecke, hinter Schmidt her und über die Linie. Das Ergebnis des Tages, Fabians Sieg und seinen dritten Platz, interessierte ihn nicht. Er war fertig, mit dem Zeitfahren und der Tour. Ein Teil seines Gehirns überlegte sich sogar, heute schon das Handtuch zu werfen und in Urlaub zu fahren. Aber das wäre nun doch etwas zu drastisch gewesen. So schleppte er sich in sein Hotel, stopfte missmutig sein Essen in sich hinein und machte, dass er ins Bett kam.

Gesamtwertung:

1) Schmidt 00:00:00
2) Evans 00:02:57
3) Zeres 00:03:03
4) Leipheimer 00:03:04
5) Rasmussen 00:03:40
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HamitonFan007
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Beitrag: # 479055Beitrag HamitonFan007
5.1.2008 - 21:07

Jerdona :cry:

Ich hatte den kompletten Text über auf eine Wiederauferstehung nach der ersten Zwischenzeit gehofft :)
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J.Voigt
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Beitrag: # 479080Beitrag J.Voigt
6.1.2008 - 10:03

wäre wohl etwas zu viel Hollywood gewesen ;) meiner meinung nach ganz toller bericht bitte unbedingt weiterschreiben :D

synchronfuzzy
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Beitrag: # 479199Beitrag synchronfuzzy
6.1.2008 - 23:09

danke für diesen tollen bericht. ich hab echt die luft angehalten.

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arkon
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Beitrag: # 479373Beitrag arkon
9.1.2008 - 0:05

Die graue Straße vor ihm. Endlos lang bis zum Horizont. Nichts links und nichts rechts. Nur die Straße. Der Schweiß auf seiner Stirn, kleine Rinnsale. Der salzige Geschmack in seinem trockenen, staubigen Mund. Seine brennenden Beine, leer und kraftlos. Wirbelnd um irgendeinen Punkt unter ihm. Sein Hals – starr. Von hinten kam etwas. Er kam. Er konnte ihn nicht sehen, nicht hören, nur spüren. Es war seine Präsenz. Unaufhaltsam und mühelos. Er schien anderen Gesetzen unterworfen. Die heiße Sonne – sie brannte nur auf ihn herab. Näher und näher kam sein Widersacher. Schneller wollte er treten, erhöhte nach und nach den Druck auf den Pedalen. Seine Beine brannten jetzt. Er konnte das Blut kochen hören. Er spürte, wie die Säure nach und nach seine Muskeln zerfraß. Konnte riechen, wie nur noch schmerzendes, zuckendes, dampfendes Fleisch zurückblieb, grünlich und dampfend. Er wurde langsamer und langsamer. In höchster Not drehte er seinen Kopf. Gegen die unerträglichen Schmerzen der Bewegung sträubte er sich, forcierte jeden Millimeter aufs Neue. Da war er. Sein gelbes Trikot, sein blitzender Zeitfahrhelm. Wie ein Krieger aus einer fernen Zukunft. Sein Gesicht, wo war es? Er suchte seine Augen, deren stechenden Blick er im Rücken spüren konnte. Wo waren sie? Wo…
Schweißgetränkt erwachte Jerdona. Wischte sich die salzigen Tropfen von der Stirn. Richtete sich in seinem Bett auf. Sah sich um. Seit einigen Tagen bereits begleitete ihn dieser Alptraum. Und obwohl er im Traum nie die Augen seines Widersachers sah konnte er sich noch sehr gut an sie erinnern. Freundlich winkend stand er oben auf dem Treppchen. Blickte um sich, erst ins Publikum, dann zu Evans, dann zu Zeres. Und in diesem Blick, diesen Augen, manifestierte sich all die Abscheu, all die Wut, all die Enttäuschung, die sich in ihm in den letzten Tagen aufgestaut hatte. Diese Augen…

Diese Augen. Louise sah wie in Trance in ihre graue Tiefe, in die grünen bis braunen Facetten. Leblos lagen sie da und schauten sich an. Hin und wieder murmelte einer der beiden etwas. Dann schließlich stand Fabian auf. Streckte sich, zog die Vorhänge zurück und ließ die Sonne Südfrankreichs in das Zimmer hinein. Geblendet drehte sie sich um und mummelte sich wieder in die Bettdecke ein. Sie lauschte im Halbschlaf wie er sich duschte und dann Frühstück machte.
Sie quälte sich heraus und an den Tisch. Lächelnd begrüßte sie Fabian mit einem Kuss. „Danke für das Frühstück!“ murmelte sie als sie sich hinsetzte und die Kaffeekanne zu sich her zog. Der Duft des frischgebrühten Getränks füllte den Raum aus.
„Dieser Jerdona. Verdrückt sich einfach nach… Gran Canaria und jetzt will er auch schon wieder an der Deutschlandtour teilnehmen. Wenn du mich fragst wird er so ohne Saft und Kraft da auftauchen, dass er seine Winterpause direkt beginnen kann“
Mit einem breiten, fast überheblichen Grinsen präsentierte Fabian die neusten Fakten des Radsports. Louise seufzte. Seit Tagen schon ging das so. Redete er zu ihr oder zu einer unsichtbaren Schar an Reportern, die hinter ihr saßen? Seit seinem Sieg bei der Tour schien Fabian den Kontakt zur Realität ein wenig verloren zu haben. Sie hatte sich sehr gefreut als er verkündet hatte, die Tage zwischen Tour und Tour, wie er es zu nennen pflegte, bei ihr zu verbringen. Endlich ein wenig Zeit für sie zusammen. Aber seit er hier war… war alles anders. Er scheute sich nicht davor, Arbeiten im Haushalt zu übernehmen, aber er wirkte so… selbstsicher. Selbstzufrieden. Überheblich.
Jerdona Zeres tat ihr im Gegenzug fast schon leid. Der Baske hatte sich, gebrochen von der Niederlage, die ihm Fabian beigebracht hatte, ohne ein Wort zu sagen verkrümelt. Nach Gran Canaria, wie sich nun herausstellte. Offensichtlich wollte er bei der Deutschlandtour antreten, zusammen mit einem inzwischen wieder genesenen Yuri Madarkady. Nicht nur für Fabian erschien dieser Auftritt als Comeback-Versuch. Auch Louise traute ihm nicht wirklich etwas zu. Zu kraftlos, zu uninspiriert hatte Zeres in Paris und beim letzten Zeitfahren gewirkt. Alleine gelassen von der Welt. Ein Schatten seiner selbst. Ein Schatten des großen Basken, der nur zwei Wochen zuvor die Tour fast schon beispielslos dominiert hatte. In den Alpen war er der Herrscher gewesen, in den Pyrenäen der Knappe. Und in Paris… der Hofnarr?
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