Jerdona Zeres [Vuelta 2007 - beendet]

FIKTIVE Radsport-Geschichten von Usern, die sich für schreibtalentiert halten

Moderator: Grabba

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arkon
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Beitrag: # 434461Beitrag arkon
12.6.2007 - 23:06

Der Schreck saß immer noch tief. Obwohl Dave nicht ein bisschen beunruhigt wirkte, trotz der vielen Polizisten um ihn herum, er fühlte sich immer noch nicht ganz sicher. Er stand neben seinem Freund, der ihn schon einmal aus der Patsche geholfen hatte, an dem Hang, auf dem er unter Beschuss gekommen war. Die Polizei hatte die Szene zum Teil abgeriegelt, was die Handvoll Autos, welche sich hier täglich entlang quälten, nicht besonders interessierte. Gelbe Nummern standen verstreut auf dem Hang herum, zwei Spezialisten werkelten herum, Absperrband flatterte im Wind.
„Ich kann mich nur wiederholen: Es sieht wirklich nicht nach einem professionellen Täter aus. Die Nachladezeiten, die Genauigkeit, die Wahl des Ortes, der gewählte Winkel für seine Waffe… Der Typ könnte noch eine ganze Menge lernen.“
Jerdona fühlte sich ein wenig deplatziert: Er stand zwischen irgendeinem Polizisten, der wohl verantwortlich war, an sich schon ein Riese über einen Kopf größer als der zierliche Kletterspezialist, und Dave, der noch etwas bulliger und größer war. Sein fragender Blick galt seinem Freund, der hinter seiner schwarzen Sonnenbrille nickte.
„Wenn ich ein Killer wäre, ich würde dich mit einer schallgedämpften Automatik am frühen Abend besuchen kommen.“
Das beruhigte ihn nicht besonders, aber wenigstens wusste er jetzt, mit wem er es zu tun hatte.
„Haben sie schon einen Personenschutz engagiert?“ fragte der Polizist wieder.
„Nein, bisher habe ich die Notwendigkeit einfach nicht gesehen.“
„Fürs erste wird die Polizei ihnen Schutz stellen“
Dave klinkte sich, zum sichtlichen Missfallen des Polizisten, wieder in das Gespräch ein.
„Das wird nicht nötig sein. Mister Zeres wird die nächsten Wochen außer Landes verbringen. Ich werde seinen Schutz übernehmen. Er ist Radsportler und viel unterwegs. Machen sie ihren Job. Ich kümmer mich um den Rest“
Trotz der Sonnenbrillen, die beide trugen, konnte man die Härte des Augenduells der beiden spüren.
„Ich kann ihnen nur raten, sich guten Beistand zuzulegen“ Schob der Polizist nach, während er sich wieder Jerdona zuwandte. „Sie haben schließlich nur ein Leben. Ich gebe ihnen meine Karte, bei Fragen können sie mich jederzeit anrufen“
Mit einem leichten Nicken überreichte er dem Zwerg in der Runde seine Karte und wandte sich ohne ein weiteres Wort ab.
Dave fuhr sei beide mit einem Mietwagen zurück nach Elgea. Jerdona schloss die Augen. Er konnte das alles jetzt gar nicht gebrauchen. Seine Trainingszeit war unglaublich wertvoll. Von den nächsten Tagen hing sein Sieg ab. Zorn fühlte er, reine Wut gegen den Idioten, der zu blöd war, ihn zu erschießen und ihm nun eine Menge Stress aufbürdete.
„Ich habe keine Zeit. Ich muss so schnell wie möglich wieder trainieren. Und ich muss nach Frankreich reisen.“
Dave überlegte kurz.
„Das passt gut. Du packst. Deine Wohnung ist mir nicht sicher genug. Wir fahren noch heute. Besser gesagt: Wir fliegen. Die nächsten Tage verbringen wir in Hotels. Möglichst wechselnde. Kein Risiko eingehen. Wenn du wirklich bei der Dauphiné starten willst, wird das kitzlig genug. Ich kann dir nur davon abraten. Hohl dir deine Praxiskilometer bei kleineren Rennen, möglichst ohne Vorankündigung. Telefonier mit den Rennveranstaltern und versuch, möglichst kurzfristig in das Aufgebot hinein zu kommen. Volle Berghänge… Das ist ein Alptraum in Bezug auf Sicherheit. Wir müssen Zeit gewinnen, bis wir wissen, wer der Gegner ist. Und Zeit können wir wirklich gut gebrauchen. Die Tour kommt schnell genug.“
Jerdona nickte leicht benommen.
„Ich werde mir von dem Irren nicht mein Rennen versauen lassen. Ich kann auf die Dauphiné verzichten. Kleinere Rennen sind zwar nicht ideal, aber besser als nichts. Ich werde mir meine Tour nicht von so einem Irren versauen lassen. Der wird noch herausfinden, dass er sich mit dem falschen angelegt hat!“
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arkon
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Beitrag: # 434501Beitrag arkon
13.6.2007 - 13:08

9. Juni, Grenoble, Frankreich

Die Überraschung war ihm gelungen. Als Jerdona gestern nach dem Training ankündigte, noch bei der medizinischen Voruntersuchung vorbei zu schauen, hatte er wirklich mit ansehen können, wie seinem Beschützer alles aus dem Gesicht fiel.
„Weißt du noch, was ich dir über die Sicherheit bei diesem Rennen gesagt habe?“
Jerdona nickte knapp.
„Und das ich garantiert habe, das er es versuchen wird?“
Er schwieg einen Moment.
„Ich weiß, du kannst das nicht verstehen. Aber ich bin Radsportler. Ich bin ein Kämpfer. Ich habe viele der fiesesten Anstiege Europas bezwungen, ich kann mich weit über den Punkt hinaus quälen, an dem normale Menschen schon glauben, dem Tode nahe zu sein. Mich schreckt der Ausblick nicht, in den nächsten Wochen mindestens 5 bis 6 Stunden im anaeroben Bereich fahren zu müssen. Ungeübte fallen schon nach einigen Minuten wie Tod um. Wenn der Typ glaubt, mich davon abhalten zu können, Rennen zu fahren, hat er sich geschnitten. Ich werde die Dauphiné fahren, und ich werde die Etappe zum Mont Ventoux gewinnen.“
Dave erkannte, dass er keine Chance hatte, ihn umzustimmen. Der junge Baske war nicht zuletzt wegen seinem steinernem Willen so erfolgreich. Und letztlich räumte er ja auch ein, das zumindest die Möglichkeit bestand, dass es dem Attentäter mehr auf den Schreckeffekt als die Tötung abgesehen hatte.
So kam es, das Jerdona von seinem neuen Bodyguard zur Voruntersuchung kutschiert wurde. Dieser fühlte sich während der gesamten Prozedur sichtlich unwohl. Eigentlich nicht wirklich ein nervöser Mensch konnte man sehen, wie Dave sich veränderte. Es war keine offensichtliche Nervosität, aber jede Muskel in seinem Körper war gespannt. Wenn in dem engen Gebäude einer der vielen, unbekannten Menschen eine Waffe ziehen würde, dann hätte sie ernsthafte Probleme, dessen war sich der Toursieger sicher. Das er alle paar Meter bekannte Gesichter begrüßte und vielen dabei um den Hals fiel trug sicher nicht dazu bei, seinen bulligen Beschützer zu beruhigen.
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arkon
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Beitrag: # 434954Beitrag arkon
14.6.2007 - 22:36

14. Juni 2007, Hauterives, Frankreich

Das Wetter, immer wieder das Wetter. Als Radsportler, der eine Rundfahrt bestritt, war es einfach das erste, was er am Morgen kontrollierte. Wolken? Sonne? Regen? Gewitter? Wind? Es bestimmte für Jerdona einfach die gesamte Atmosphäre des Tages. Er war keiner derer, die sich von Regen beeindrucken ließen. Aber er wusste es gerne und stellte sich auf Kampf ein. Einen grellen, einen aufbrausenden Kampf gegen die Elemente, oder auch einen ruhigen, ausdauernden. Er kannte sie alle und hatte sie oft genug selber gefochten.
Heute schienen sie Glück zu haben: Die Sonne lachte grell vom Himmel und ließ die Temperaturen in die Höhe schießen. Eigentlich ein Grund zum stöhnen, aber heute ging es den Mont Ventoux hinauf, und spätestens ab der Hälfte des Weges würde der Wind kalt werden. Und man hatte wahrlich andere Sorgen als ein bisschen Hitze.
Besonders, wenn man heute erster werden wollte. Denn dann führte der Weg über ihn, über Jerdona Zeres, Sieger der Tour de France. Gestern im Zeitfahren hatte er sich geschont: Fast 10 Minuten hatte er verloren. Viel zu viel, um noch in die Entscheidung um den Sieg mit eingreifen zu können. Aber während gestern Alexander Vinokourov sein Terrain markiert hatte würde er heute das seinige abstecken: In den Bergen musste man an ihm vorbei. Besser gesagt, man musste ihm hinterher.
Beim Frühstück war er froher Dinge. Yuri dagegen war hoch konzentriert. Gestern hatte er mit 15 Sekunden Rückstand den dritten Rang belegt und war nun in der Rolle des Herausforderers. Gemeinsam mit Jerdona wollte er heute den Ventoux bezwingen. Aber dazu gehörte mehr als nur gute Beine: Sie würden jeden Bissen brauchen, den sie zu sich nehmen konnten. Entsprechend schaufelten die beiden beim Frühstück in sich hinein, der eine fröhlich beredsam, der andere schweigend.
Einige Stunden später, am Fuße der gigantischen Steigung, hatten sich die Rollen vertauscht: Jerdona hatte das Jagdfieber gepackt, während Yuri versuchte, die Anspannung mit Späßen zu überdecken. Für den jungen Leutnant ging es heute um eine Menge: Nach seinem Sieg in Lüttich konnte er nun auch in den Bergen endlich Sieganspruch anmelden. Bei der Vuelta im letzten Jahr hatte er es bereits angedeutet, aber er wollte kein Bergtrikot, er wollte einen Rundfahrtsieg. Bei der Tour würde er sich anstellen müssen, hier war seine Chance. Verbissen fixierte er das Hinterrad von Jerdona. Bis zum Gipfel würde er es nicht aus den Augen lassen. Das Wetter war indes umgeschlagen: Die Sonne war von eilig heraufziehenden Wolken dabei, erdrückt zu werden, ein Sommergewitter war im Verzug.
Jerdona schaute sich um. Hier war die eine Hälfte seiner Gegner bei der Tour versammelt. Wie gut waren sie? Würden sie ihn schlagen können? Er wies seine Helfer an, ein Höllentempo zu entfachen. Diese ließen sich das nicht zweimal sagen und spannten sich vor den Karren. Mit einem fast hämischen Grinsen nahm Jerdona zur Kenntnis, wie die eben noch entspannten Gesichter nach und nach einen leidenden Ausdruck annahmen. Vinokourov, Evans, Leipheimer, sie alle stöhnten schon innerlich in Erwartung dessen, was gleich kommen würde. Und Jerdona grinste, in Erwartung dessen, was in drei Wochen kommen würde. Von diesen hier würde ihn keiner ernsthaft in Gefahr bringen können.
Noch bevor seine Helfer alle verbraucht waren griff er an. Kein langes überlegen, kein langes fackeln, taktieren, beschleunigen aus der letzten Reihe, das brauchte er alles nicht. Er trat von vorne an. Keiner konnte folgen. Alle wollten sie es, aber Jerdona war einfach zu stark. Mit seinem typischen Wiegetritt sprengte er ihnen davon, setzte sich hin, schaute zurück, stand wieder auf und gab nochmal Gas. Er war nicht Pantani, nicht Armstrong und nicht Heras. Er war Zeres. Vielleicht noch keine Legende, aber auf dem besten Weg dorthin. Es war die pure Freude, wieder ganz vorne angekommen zu sein. Er war noch nicht auf seinem Toplevel, aber lange würde es nicht mehr dauern. Er verschnaufte ein bisschen und wartete auf die anderen.
Yuri indes tat sich sichtlich schwerer. Nachdem keiner reagiert hatte als sein Kapitän angegriffen hatte versuchte er das gleiche. Von hinten, mit viel Anlauf, und mit all seiner Wucht. Er war selber stolz auf sich, wie schnell er ihnen davon fuhr, und das passierte wahrlich nicht oft. Das Problem war nur, das diesmal alle reagieren mussten. Er war eine unmittelbare Gefahr. Er konnte zwar dagegen halten, als hinten die großen Namen in die Führung gingen, aber das, was in seinem Kopfhörer knisterte, beruhigte ihn nicht. Fast schon verzweifelt kurbelte er vorwärts, warf alles auf die Pedale, was er aufbringen konnte, allein es half nichts. Aus 30 Sekunden wurden 20.
Als Jerdona sich umblickte traf sein Blick auf den hilfesuchenden seines Freundes. Er wurde noch ein bisschen langsamer, bis er ihn schließlich erreicht hatte. Sie wechselten nicht viele Worte. Die waren auch gar nicht nötig. Im einsetzenden Nieselregen fuhren sie kurz nebeneinander, Jerdona schaute seinen jungen Freund fest an. Die Botschaft war klar: Ich helf dir. Ich führ dich bis ganz nach oben. Ich bin dein Lift. Quäl dich, du Sau!
Fast mühelos forcierte Jerdona das Tempo, Yuri musste wieder beißen, um dranzubleiben. Das Hinterrad, da war es wieder. Der Regen wurde stärker, die Tropfen auf seiner Brille nahmen ihm langsam die Sicht. Sein Trikot, eben noch schweißnass, wurde gleichmäßig durchweicht. Die Kühle, die fast ebenso schnell über sie hereinfiel, tat gut und half ihm, sich wieder zu konzentrieren. Treten, treten, treten. Ein bisschen schalten. Treten, treten, treten. Und lenken. Das war es, was er tat, während sein Blick wie festgenagelt an dem dünnen Gummiband hing, was sich um den Reifen seines Vordermannes wand. Keine Lücke. Ja keine Lücke!
Das anfangs mühelose Strampeln wurde schwerer. Seine Beine waren nicht mehr so frisch. Der Regen war ihm doch nicht so egal, wie er gedacht hatte. Jerdona musste sich auch quälen. Er blickte sich um. Yuri sah stabil aus. Wie ein Patient, der im OP zwischen den Maschinen liegt, schoss es ihm durch den Kopf. Er nickte ihm zu und ging aus der Führung. Der Russe fuhr keine Schlangenlinie sondern ging nach vorne. Zusammen würden sie den Ventoux bezwingen. Sie durchbrachen eben die Baumgrenze und konnten nun den Blick genießen, den unglaublichen, einschüchternden, majestätischen Blick… auf eine Wolkenwand, die in den Berg hinein ragte. Der Gipfel war irgendwo im Nebel verschwunden.
Yuri drehte sich um und zeigte ein breites Grinsen. Noch vor ein paar Tagen hatten sie über genau diese Perspektive geflachst und waren beide zu der Einsicht gelangt, dass eine Wolkendecke vor dem berühmten Monument doch ganz hilfreich wäre.
Dave, der im Teamfahrzeug mitfuhr, sah in als erster. Capi, tief ins Gesicht gezogen, Sonnenbrille, schiefer Bart, vermutlich falsch… Er schwang sich über die Absperrung und stürmte auf die beiden Fahrer zu. Noch während Yuri den Kopf wieder nach vorn drehte, Dave die Autotür aufriss und den Gurt löste, rammte der Mann, der sich mit einem roten Regecape gegen das Gewitter schützte, seinen Ellebogen in das Gesicht des jungen Russen.
Jerdona, wie in Trance, geschockt durch die Ereignisse vor ihm, hatte keine Chance mehr zu bremsen. Auch der Mann hatte offensichtlich die Geschwindigkeit der beiden geringer eingeschätzt, jedenfalls zückte er das Messer erst, als Jerdona ihn schon fast erreicht hatte. Der Baske wollte eben um ihn herum lenken, als ihn der Schmerz durchzuckte. Er war viel zu überrascht, um es richtig zu realisieren. Er kippte zur Seite weg auf die Straße, schaute eher erstaunt auf seine Schulter.
Dave sprang über ihn hinweg. Der Mann hatte schon einen ordentlichen Vorsprung. 40, vielleicht 50 Meter rannte er vor ihm die Straße hinauf. Mit aller Kraft sprintete er ihm hinterher. Fast war er froh, dass sich mal einer dieser Typen mit ihm auf einen Wettrennen einließ. Seine Automatik, das kühle Stück Metall, das bei jedem Schritt gegen seine Wade klatschte, war wertlos. Mit Kameras und tausenden Zeugen konnte er niemanden erschießen. Wäre niemand in der Nähe gewesen hätte er keinen Moment gezögert. Mit einem Blick zurück erkannte der Attentäter in welcher Situation er sich befand. Fast 100 Kilo Muskeln rannten mit riesiger Geschwindigkeit auf ihn zu. Mit einem schnellen Blick zu beiden Seiten wog er seine Möglichkeiten ab. Schließlich sprang er mit einem riesigen Satz über die Absperrung, drängelte die Leute beiseite und versuchte, in der Menge zu verschwinden.

So, nicht probegelesen, aber der spannungsbogen stimmt einfach. ich geh gleich was trinken, schreib den zweiten teil, les ihn mir in Ruhe durch und überrasch euch dann einfach die tage nochmal :P
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Barnetta
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Beitrag: # 434966Beitrag Barnetta
14.6.2007 - 23:16

Dieser harte Cut in der Story ist der Hammer. Da musst ich erst 2 mal hinschauen. Ganz großes Kino. Diese Fahrt und diese Szenerie spielte sich während ich den Beitrag gelesen hab vor meinem Auge ab und das ist ein mehr als gutes Zeichen.

slomi
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Beitrag: # 434967Beitrag slomi
14.6.2007 - 23:20

Ein richtiger Schock wie ich gemerkt habe, dass der Post zu Ende ist. 8O

AAR wie immer am höchsten Niveau wie ichs mir in ein paar anderen Romanen gewünscht hätte. :roll: Wirklich Großes Lob, und weiter so!

mfg
Zuletzt geändert von slomi am 18.6.2007 - 21:38, insgesamt 1-mal geändert.
Qualle als Hut ist Gut, aber Mineralwasser ist nasser.

synchronfuzzy
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Beitrag: # 435576Beitrag synchronfuzzy
17.6.2007 - 20:31

Hi,

ich bin ganz begeistert, dass du wieder angefangen hast zu schreiben. Und ich finde die Story und den Stil besser denn je. Man fiebert noch mehr während des Lesens mit. Übersichtlicher sind die Posts dann auch noch.

Einfach unglaublich gut.


synchronfuzzy

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arkon
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Beitrag: # 435628Beitrag arkon
17.6.2007 - 22:49

Dave blickte sich nach hinten um, ob Verstärkung nahte. Zu einer Überraschung strampelte ein Kelme-Euskadi Trikot den Berg hinauf. Er dachte zuerst an Yuri, aber als er den Blutfleck auf Jerdonas linker Schulter sah, stockte ihm der Atem. Der Teufelskerl hatte sich aufgerappelt und jagte alleine den Berg hinauf. Das Blitzen in den Augen, der Wiegetritt, entschlossener und gefährlicher als jemals zuvor. Es war ein Anblick zum fürchten. Jerdona ließ sich nicht unterkriegen, sondern focht auf seine Art und Weise zurück.
Er drehte sich wieder nach vorne um, hatte jedoch den Blickkontakt verloren. Wo war der Typ hin? Er schwang sich ebenfalls über die Absperrung und drängelte sich in die Richtung vorwärts, in die er verschwunden war. Als er den roten Mantel auf dem Boden erblickte, wurde ihm klar, dass er verloren hatte. Etwas frustriert und mehr, um sein Gewissen zu beruhigen, bahnte er sich weiter den Weg durch die Zuschauer. Aber mit jeder Minute, die verging wurde ihm klarer, dass jeder, dem er gerade den Rücken zudrehte, ihn hinterrücks auslachen könnte.
Jerdona hingegen hatte nicht verloren. Alle Mahnungen seines Trainers, ja nicht zu überdrehen, schmiss er in den Wind. Er wollte es heute allen zeigen. Er bespielte alle Register seines Körpers zugleich, und der Klang war überwältigend. Im Donner des Gewitters jagte er den Hang hinauf. Er verschwendete keinen Gedanken an seine Gegner, die irgendwo hinter ihm einzeln und verstreut sich hinauf quälten. Mit jedem Meter wuchs sein Vorsprung. Er konnte förmlich die Verzweifelung hinter ihm riechen. Da vorne! Er konnte das Observatorium sehen. Die letzte Kurve. Diesmal erreichte er die Ziellinie nicht ausgepowert und mit letzter Kraft. Vielmehr riss er seine Arme nach oben mit der Energie, die er von den Pedalen nahm. Er hatte das Gefühl, den Himmel nach oben zu stemmen.
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arkon
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Beitrag: # 435653Beitrag arkon
18.6.2007 - 10:43

Es war eine Katastrophe. Eine absolute, totale Scheiße. Yuri besaß weder die Kraft noch die Motivation, sich vom regennassen Asphalt in ein Teamfahrzeug zu heben. Ruhig saß er da. Keine Tränen. Er lehnte sich gegen eine Werbebande, die Beine angezogen. Die Gravitation spülte Wassermassen an ihm vorbei. Er kam sich vor als ob er am Rande eines Flusses in Südamerika gestrandet wäre. Der diffuse Schmerz aus seiner Schulter war die eine Sache. Das brennende, welches sich aus seinem Fuß hinauf zog, eine andere. Er hatte es versucht: Er hatte sich bemüht, aufzustehen, sein Rad zu nehmen und weiterzufahren. Aber es ging nicht. Die Dauphiné war für ihn vorbei. Und die Tour…
Endlich hielt ein Teamwagen vor ihm, zwei Betreuer stiegen aus und hievten ihn in den Innenraum. Das einzige, woran er denken konnte, war nichts. Sein Kopf schien eine große, leere Blase zu sein, vielleicht noch mit Luft gefüllt. Aber nichts von Substanz. Wenn er diesen Zustand suchte, dann kam er nicht. Aber jetzt… Woran sollte er auch schon denken? Sorge um Jerdona? Sorge um Dave? Was mit dem Mann geschehen war? Das er die Dauphiné aufgeben musste? Das vielleicht sogar die Tour für ihn gelaufen war? Was er sich überhaupt getan hatte? Nein. Irgendwie war das für ihn alles nebensächlich. Sein Kopf war leer.
Im Ziel war Jerdona nicht der erste Fahrer aller Zeiten, der verarztet werden musste, bevor er das Podium betreten konnte. Aber es kam sicher nicht oft vor, dass der Tourarzt einen Verband anlegen und eine Wunde reinigen musste. Nachdem er alle Schmerzmittel abgelehnt hatte versuchte er sich während der Behandlung ein wenig zu entspannen. Es ging kaum. Seine Nerven fuhren Achterbahn. In seinem Schädel brodelte es. Am liebsten hätte er sich jetzt sein Rad geschnappt und wäre noch einmal den Berg hochgejagt. Aber ohne Gegner fehlte ihm der Sinn.
Als er dann endlich nach draußen trat, vor eine Horde an Kameras und Regenschirmen, konnte er nicht lächeln. Er freute sich nicht über den Sieg. Es gab zuviel, worüber er wütend war. Er musste stark an sich halten um nicht irgendeine Dummheit zu begehen. Das Siegerinterview ließ er aus. Als er wieder herunterstieg vom Podest fiel er zuerst Yuri um den Hals, der immer noch in einem Teamfahrzeug herumsaß. Keiner der beiden sprach ein Wort. Es wäre unnötig gewesen. Dave stieg ein, auf den Beifahrersitz. Auch er drehte sich um ohne ein Wort zu sprechen. Was hätte auch groß gesagt werden sollen?

Schon wieder ein Post, der viel zu kurz ist. Da wird sich Grabba aber nicht freuen... ;). Aber was hätte ich noch schreiben können? Der Post war einfach da zu ende. Ich vertöste euch auf später.
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arkon
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Beitrag: # 435683Beitrag arkon
18.6.2007 - 14:01

Immer noch keuchend stieg er von seinem Spezialrad. Unwillkürlich beugte er sich vorn über. Ihm fehlte die Kraft, seinen Rücken zu strecken. Diese verdammten Prologe! Fabian würde wohl noch seine Zeit brauchen, bis er sich mit ihnen anfreunden konnte. Einem Zeitfahrer kam hier lediglich seine Technik, seine Haltung, seine ausgefeilten Bewegungen zugute. Das Talent jedoch, was seine Zunft eigentlich auszeichnete, schien hier obsolet: Das permanente Quälen in einem sehr engen Bereich der eigenen Leistungsfähigkeit. Ganz im Gegenteil hatte er heute wieder einmal Probleme gehabt, sich rechtzeitig vor der Linie ganz zu verausgaben.
Als er sich aufraffte, die Anzeige über der Ziellinie zu betrachten, erkannte er, dass sich das auch in der Zeit niedergeschlagen hatte: Er war knapp über 3 Zehntel langsamer als Cancellara gewesen. Es juckte ihn schon etwas in den Armen, wusste er doch ziemlich genau, wo er genau diese Bruchteile gelassen hatte. Noch bei der Streckenbesichtigung waren ihm einige Stellen besonders aufgefallen. An genau einer dieser schwierigen Passagen hatte...
Aber wem nützte das? Er wusste, was er falsch gemacht hatte. Noch viel wichtiger war für ihn jedoch: Er wusste, um wie viel er sich bis zur Tour noch steigern würde. Ob Cancellara für sich ebenfalls noch Potenzial nach oben sah konnte er nicht sagen. Aber es interessierte ihn auch nicht. Nicht wirklich jedenfalls. Die anderen Konkurrenten lagen ihm mehr am Herzen: Und hier schien er sich wirklich etwas entspannen zu können. Im Hinblick auf die Tour de Suisse-Starter zumindest.
Mit großer Überraschung und Verwunderung hatte er die Neuigkeiten aus Frankreich aufgenommen: Jerdona Zeres war Opfer einer Messerattacke geworden, hatte die Etappe zum Mont Ventoux jedoch trotzdem noch gewonnen und gleich am Abend noch seinen Ausstieg aus der Dauphiné verkündet. Wirklich erstaunlich. Ebenso überraschend war der Sturz von Yuri Madarkady, der sehr unsanft auf den Asphalt gelegt worden war und daher mindestens auf die Dauphiné, vielleicht sogar auf die Tour de France verzichten musste. Für den jungen Russen war das ein schwerer Schlag, für die anderen Titelanwärter jedoch eine gute Neuigkeit: Jerdona Zeres hatte damit seinen wohl stärksten Helfer verloren. Und vom Rest des Teams hatte man bislang wenig Gutes gehört... Es würde sich wohl herausstellen. Vor allem, ob Zeres überhaupt Helfer brauchte. Momentan sah es, trotz der Messerattacke, nicht danach aus.
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Beitrag: # 438006Beitrag arkon
27.6.2007 - 13:06

Noch bevor Jerdona in Spanien ankam, war der Vorfall schon Legende. Alle Zeitungen waren voll davon, nicht nur die Sportzeitungen. Sogar auf den Titelblättern der Klatschpresse prangte das mittlerweile berühmte Foto, ein Standbild aus der Fernsehübertragung, auf dem zwischen viel Rauschen und noch mehr Artefakten ein Messer zu sehen war, welches sich zur Hälfte in seine Schulter bohrte. Daneben waren dann hübsch die anderen Bilder des Tages drappiert: Er selbst, wie er auf der Straße lag, wie er den Ventoux emporjagte, wie er, in einem blutbeflecktem Trikot die Ziellinie überquerte.
Er war ein Held. Es war genau die Story, auf die alle gewartet hatten. Anstatt den Radsport endgültig zu einer anachronistischen Angelegenheit verkommen zu lassen, in der Neid, Mißgunst, Bestechlichkeit und Zorn regierten, hatte sein Attentäter die bedrohte Sportart Weltweit ganz nach vorne gebracht. Die Schlagzeilen, die sich üblicherweise immer noch mit den Folgen des Wettskandals und nur periphär mit den sportlichen Ereignissen beschäftigten, hatte sich um 180° gedreht. Jerdona Zeres hieß der neue Held. Der Held der Dauphinee, obwohl er sie noch am selben Tag verlassen hatte. Der Held der Spanier, denen er im letzten Jahr den Rücken gekehrt hatte. Der Held der Tour, die er nun das zweite Mal gewinnen sollte, gewinnen musste, gewinnen würde. Und auch der Held der Welt, die ihm nun den Spitzennamen Jerdona „The Knife“ Zeres aufdrückte.
Zu seiner eigenen Verwunderung verlief sein Leben in Elgea weiter wie bisher. Vielleicht noch ein bisschen langweiliger. Der Polizeischutz, der ihm nun zustand, hielt alles fern. Besucher, Freunde, Presse. Alleine mit seinem Trainer drehte er seine Trainingsrunden. Die Polizisten, die ihn umringten, hielten alle einen gewissen Abstand, sowohl physisch als auch psychisch. Sie schienen unnahbar, darauf programmiert, ihn in Ruhe zu lassen. Die einzigen Ausnahmen von der stoischen Trainingsroutine waren die Arztbesuche. Aber auch hielten sich die Überraschungen in Grenzen. Es war zum verrückt werden. Aber, auf der anderen Seite, war es das, was er sich die ganze Zeit gewünscht hatte.
Die Zeitungen druckten derweil Interviews mit seinen Teamkollegen, mit Betreuern und vor allem mit Yuri. Yuri, den es paradoxerweise schlimmer erwischt hatte als ihn selbst. Er war zurück nach Belgien gefahren. Sein Fuß war verstaucht, verknackst, was auch immer. Was relevant war war alleine die Tatsache, wie lange Yuri ausfiel: Er musste die Tour absagen. Damit war sein wertvollster Helfer und bester Freund ausgefallen. Seine vielleicht größte Stütze innerhalb des Teams war weggebrochen. Was ihn noch mehr bedrückte waren die Aussichten für seinen Freund: Dieser hatte sich nämlich durchaus vorgenommen, bei dieser Tour seinen Durchbruch auch als Rundfahrer zu vollziehen. Helfer ja, aber ein ambitionierter. Nun musste er auf die Vuelta warten. Wenn er denn bis dahin wieder in Form kommen sollte.
Das Unternehmen Toursieg, das war es, worauf er sich konzentrieren musste. Immer, wenn er über Yuri nachdachte, glitten seine Gedanken schon weiter in die Zukunft: Vuelta, WM, die Herbstklassiker... Er hatte im letzten Jahr gezeigt, das er fähig war, seine Form lange zu konservieren. Das wollte er sich nun einmal mehr zu nutze machen. Aber zunächst stand halt noch die Tour an. Er konnte seine Vorfreude nun kaum mehr im Zaum halten: Seine Verfassung war wunderbar. Er hatte es am Ventoux gezeigt. Und die Berge kamen in diesem Jahr härter als zuvor. Für ihn war es eine ideale Spielwiese. Es gab gleich eine ganze Reihe an historischen Etappen, die er gewinnen konnte. Und er würde sein bestes geben, nicht nur einfach den Gesamtsieg mit nach Hause zu nehmen: Wenn alles glatt ging, dann waren mindestens noch drei Etappensiege drin, vielleicht in Kombination mit dem Bergtrikot...
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Beitrag: # 438010Beitrag arkon
27.6.2007 - 13:24

Endlich! Es war wirklich eine Tonnenlast, die ihm von den Schultern fiel. Sein erster Saisonsieg! Fabian befand sich nun schließlich in der Form, die für die Tour brauchte. Im Abschlusszeitfahren der Tour de Suisse, quasi auf den letzten Drücker, hatte er sich das geholt, wonach er schon lange suchte: Die Bestätigung, das er im letzten Jahr nicht einfach nur Glück gehabt hatte. Er war tatsächlich einer der Besten der Welt. Und das er nun nach dem Toursieg strebte war eigentlich nur die logische Konsequenz. Denn auch wenn er es in der Schweiz diesmal nicht so gezeigt hatte war er am Berg noch erheblich stärker geworden als letztes Jahr: Er war über 5 Kilo leichter als noch vor 365 Tagen, und zur Tour hin würde sich der Abstand eher noch vergrößern. Das wichtigste aber war, das er viel Technik und Selbstvertrauen hinzu gewonnen hatte. Während er 2006 noch seine ersten guten Ergebnisse als Glücksgriff einordnete war er sich in diesem Jahr von Anfang an sicher, mit um den Sieg fahren zu können, auch wenn es die steilsten Berge hinauf gehen mochte.
An diesem Abend ging er feiern, zusammen mit seinen Mannschaftskameraden. Und zur Feier des Tages trank er auch ein Bier. Es waren schließlich noch drei Wochen, bis die Tour anfing. Und eine wichtige Eigenschaft eines Tourhelden war immerhin, auch einmal abschalten zu können. Natürlich nur nach einer riesigen Menge Fleißarbeit. Gemeinsam mit dem Rest des Teams stürmte er eine Kneipe. Die erste Runde ging auf ihn, die folgenden vertrieb er sich mit Fruchtsäften. Insgeheim musste er lächeln: Immer und immer wieder kamen an diesem Abend Leute auf ihn zu und beglückwünschten ihn zu dem tollen Sieg. Natürlich nicht, ohne ihm alles Gute für die Frankreichrundfahrt zu wünschen. Es war ein tolles Gefühl, den Ruhm endlich mal aus erster Hand zu erleben.
Was würde in den nächsten Tagen noch passieren? Training, Training, Training. Daneben noch die Deutschen Meisterschaften, bei denen er, als Kapitän des T-Mobile-Kaders natürlich nicht fehlen durfte. Besonders im Zeitfahrwettbewerb rechnete er sich gute Chancen aus. Und wenigstens im Prolog würde er das Trikot dann auch tragen, bevor er es mit dem Gelben tauschen... nein, keine Träumereien! Im hier und jetzt war er, im hier und jetzt musste er auch trainieren, fahren, gewinnen und fühlen.
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Beitrag: # 438833Beitrag arkon
29.6.2007 - 22:37

Die Entscheidung war ihm schwer gefallen. Zweifelsohne. Die spanischen Meisterschaften bedeuteten ihm eine Menge. Hier an dieser Stelle hatte er vor zwei Jahren sich fast die Krone aufsetzen können, bevor er disqualifiziert worden war. Die letzte Ausgabe hatte er sich ebenfalls geschenkt, zu sehr beunruhigte ihn der Gedanke damals, durch einen letzten Kräfteverbrauch seinen Trainingsplan durcheinander bringen zu können.
In diesem Jahr plagte ihn dieser Gedanke nicht: Seine Form stimmte, seine Gegner waren zwar auf ihrer Höhe, aber nicht mehr so stark wie letztes Jahr. Er war der große Favorit. Es war diesmal nicht die Sorge um seinen Zustand, der ihn beunruhigte. Es gab drei einfache Gründe, die ihn davon abhielten: Er musste sein Tourteam kennen lernen, er wollte sich die Bergetappen noch einmal anschauen und er wollte nicht mehr Rennen fahren als nötig. Die Lösung lag nahe: Ein letztes Trainingscamp. Sie würden die zwei Wochen vor dem Start in London damit verbringen über die Strecken zu gondeln, auf denen sie danach mit den anderen Teams den Sieger küren würden.
Emanuel gefiel die ‚Idee’ sehr gut. Er versuchte schon seit längerem, sie seinem Schützling vorsichtig näher zu bringen, wusste aber, das Jerdona von sich selbst aus Feuer fangen musste, um die nötigen Hebel in Bewegung zu setzen. Dies war nun geschehen – Nicht zuletzt dank der Erfahrungen der Dauphiné. Der Messerstich auf der einen Seite, das erstaunlich schwache Abschneiden vom Rest des Teams auf der anderen. Jerdonas Mitstreiter waren weder in Form noch in der Laune, große Opfer für ihren Teamleader zu erbringen.
Und genau hier erhoffte sich sein Trainer ein kleines Wunder: Im letzten Jahr hatte der Kampfeswille des Basken gereicht, eine eher belächelte Mannschaft zu animieren und zwei Rundfahrten zu gestalten und zu gewinnen. Zeres war nicht nur ein außergewöhnlich starker Fahrer – er verstand es auch, in seinen Mannschaftskameraden jenes Feuer zu entfachen, das oft genug Sieger und Besiegte erkor.
Die Anrufe gingen raus, die Hotels wurden gebucht, die Wagen bepackt und das Personal zusammengetrommelt. Es war erstaunlich, wie innerhalb von nicht einmal 24 Stunden eine doch nicht allzu simple Aufgabe von einem so schläfrigem Team abgehandelt werden konnte. Emanuel schöpfte Hoffnung, was die Rückendeckung seines Schützlings bei der Tour anbetraf.
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Beitrag: # 440657Beitrag arkon
5.7.2007 - 17:09

Suberbagneres. Jerdona wusste nicht, was dieser Name bedeutete, aber er hörte sich eindrucksvoll an. Passend. Denn dieser Anstieg hatte es in sich. Einige Abschnitte zum verschnaufen gab es zwar, aber wer wirklich in Schwierigkeiten war am Fuße dieses Monsters, der würde so oder so einen Höllenritt vor sich haben. Und er wusste schon, wer dafür verantwortlich sein würde...
Grinsend schaute Jerdona seine Begleiter an. Haimar und Sammy keuchten noch von der letzten Ausfahrt. Der Rest des Teams war noch über den Hang verstreut. „Hier werde ich den Sack zumachen. Wenn die Tour noch nicht entschieden ist – wenn wir das nächste mal hier oben stehen wird die Entscheidung gefallen sein.“
Der Schweiß trocknete auf seiner Haut und spannte sie. Er hatte sich auf dem Weg hinauf zum ersten mal seit dem Ventoux wieder getestet und war mit dem Ergebnis zufrieden. Seine Helfer für das Hochgebirge hatten ihn bis zur Hälfte des Anstieges begleitet wo er sie mit einem seiner typischen Antritte abgeschüttelt hatte. Oben hatte er Zeit gehabt einen Schluck zu trinken und sich etwas über zu ziehen bevor Haimar eintraf.
Während die Sonne langsam über den majestätischen Gipfelketten im Osten versank und den französischen Teil der Pyrenäen in Dunkelheit ließ saß das Team am Essenstisch beisammen. Auf einer Wand über ihnen flimmerten Zahlenreihen aus einem Projektor. Es ging um die ideale Krafteinteilung über den Hang. Die ganzen letzten Tage ging das schon so: Morgens die Fahrt in das neue Gebiet, dann die eigentlich Erkundungsfahrt, gefolgt von Abendessen, Massage und einem Teammeeting. Die Analyse, auf die Emanuel bestanden hatte, rundete das ganze ab. Es war sehr anstrengend, auch geistig, aber morgen würden sie es hinter sich gebracht haben mit dem beruhigenden Gefühl, auf der Route der Tour in diesem Jahr zu Hause zu sein.
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arkon
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Beitrag: # 447939Beitrag arkon
18.7.2007 - 13:59

7. Juli 2007, London

Eigentlich war Fabian kein Frühaufsteher. Doch heute ertappte er sich dabei, wie er, noch im Halbschlaf gefangen, auf den Wecker starrte und auf das bekannte rappeln wartet. Damit er nie mehr verschlief hatte er sich von zuhause ein rustikales Modell mitgebracht. Wenn im Laufe der Tour der Druck weiter anwachsen würde und er auf Schlaftabletten zurückgreifen musste, um seine Ruhe zu finden, hatte er damit einen Rettungsanker in der Hand, um immer rechtzeitig aus dem Bett zu kommen. Sobald er den Gedanken gefasst hatte, das er eigentlich schon wach war, drehte er seinen Kopf und schaute lächelnd zum Fenster. Die Sonne, um diese Uhrzeit noch ausschließlich schön, tauchte London schon in den morgendlichen Schimmer. Bald würde aus dem angenehmen Licht ein brennendes Gleissen und die Temperaturen in einen Bereich getrieben werden, in dem sich nur Masochisten und Bewohner südlicherer Gefilde wohl fühlten. Und das war ihm gar nicht so unrecht.
Gemeinsam machte er sich mit seinem Zimmerkollegen Axel Merckx nach dem Duschen auf dem Weg zum Frühstück. Trotz der sehr unterschiedlichen Startzeiten aßen sie alle zusammen. Im Sinne eines starken Mannschaftsgeistes begaben sie sich nach der anschließenden Teamkonferenz auf eine gemeinsame Ausfahrt über den Parcours der Etappe. Sie hatten schon im Vorfeld einige kritische Kurven ausgekundschaftet, aber nun war der Moment der Wahrheit gekommen, wo man die Strecke, so wie sie später im Rennen aussehen würde, erkunden konnte. Na ja, wenigstens fast: Die wichtigen Hauptverkehrsstraßen waren noch für die Allgemeinheit freigegeben und würden erst zum endgültigen Start der Etappe gesperrt werden. So überquerten sie zusammen mit einigen Fußgängern die Straßen über die Ampeln. Einige Hobbyradler begleiteten sie die paar Meter die großen Adern der Stadt entlang und feuerten sie an. Es half Fabian kaum, die sich langsam anbahnende Nervosität zu vertreiben.
Zurück im Hotel fing der eigentlich harte Teil des Tages an: Das Warten. Er verkroch sich auf das Zimmer und schaute sich zusammen mit Michael und Linus nocheinmal die Bandaufnahme des Parcours an, die ein Teambetreuer vor einigen Wochen erstellt hatte. Zusammen diskutierten sie ein paar Mal die kritischen Kurven des Parcours. Wo Bremsen? Wie Schalten? Ab wann wieder treten? Er fühlte sich ein wenig wie ein kleiner Junge vor einer Klassenarbeit: Er versuchte noch in letzter Sekunde einige Sachen zu lernen, um gleich nicht durch die Prüfung zu fallen.
Als auch das Video keine Ablenkung mehr hergab versammelte sich das Team im Essenssaal des Hotels und blickte gebannt auf einen viel zu kleinen Fernseher, der in einer Ecke des Saals unter der Decke montiert war. Nach und nach standen seine Kameraden auf und verabschiedeten sich zum Einfahren. Er würde als letzter auf die Strecke gehen, was im Umkehrschluss bedeutete, das er am längsten würde warten müssen.
Als Michael Rogers schließlich als vorletzter aufstand, um in den Startbereich zu fahren, schloss er sich kurzerhand an. Wie damals in Straßburg setzten sie sich gemeinsam auf ihre Zeitfahrräder und rollten locker durch die Londoner Innenstadt hinter einem Teamfahrzeug her. Anders als in Straßburg erregten sie hier jedoch großes Aufsehen. An jeder Ampel, an der sie stehenblieben, rückten sie augenblicklich in den Fokus der Kameras, die Touristen aller Länder hier mit sich herumführten. Er wurde sogar um einige Autogramme gebeten. Also schien das angeblich so radsportferne London doch von Kennern bevölkert. Zumindest waren genügend in der Stadt, um den Start zu verfolgen.
Im Startbereich schlug dann die Atmosphäre um auf Tour. Es war das besondere Flair, welches immer in den abgesperrten Bereichen des Rennens herrschte, im Zielbereich noch viel mehr als hier. Aber da es ein Zeitfahren war geisterten eine Menge Reporter durch die Gegend. So wurde Fabian schon während er durch das kleine Dorf aus Teambussen rollte etliche Male fotografiert und um kurze Statements gebeten. Noch kam er damit klar, aber er konnte schon absehen, das er spätestens am Fuße der Alpen in den Wahnsinn getrieben würde.
Er war heilfroh, endlich auf seiner Rolle zu sitzen und die Routine zu spüren, die ihn durch das Zeitfahren und die Vorbereitung helfen würde. Er steckte sich die Stöpsel seines MP3-Players in die Ohren und begann, zu treten. Er musste beim Gedanken daran lächeln, das er die nächsten drei Wochen nicht viel anderes tun würde. Aber deswegen machte er den Job: Er freute sich darauf. Und ganz besonders freute er sich auf heute. Während er die Außenwelt nach und nach ausblendete wurde ihm wieder bewusst, was er sich für diesen Tag vorgenommen hatte: Spaß haben. Nichts anderes. Und am meisten Spaß würde er haben, wenn er mit hängender Zunge und einem Wahnsinnsritt im Rücken im Ziel ankommen würde. Das latente Grinsen, mit dem er sich während des Vormittags über seine Nervosität hinweg getäuscht hatte, wurde zu einem breiten Grinsen.
Da T-Mobile im letzten mit Jan Ullrich zweiter der Tour geworden war fiel Fabian die Ehre zu, als vorletzter ins Rennen zu gehen, direkt hinter Alexander Vinokourov. Dieser hatte das Startrecht von Liberty Seguros mit zu Astana genommen. Davor würde Cancellara vom Team CSC ins Rennen gehen.
Als Fabian von der Rolle stieg und sich auf den Weg zur Startrampe begab hielt Andreas Klöden im Ziel die Bestzeit, eine ganze Ecke entfernt von der Konkurrenz. Er lehnte sich gegen ein Geländer, während zwei Kontrolleure der UCI noch einmal das Rad in Augenschein nahmen. Die Konstruktion von Michael Zaun hatte schon bei Dauphinèe hohe Wellen geschlagen. Hier im Feld war er damit der absolute Star. Ob sie tatsächlich auch das hielt, was er sich von ihr versprach, würde er erst sehen müssen. Vinokourov stand schon oben auf dem Podest, von wo er gleich in seine Tour starten würde. Von hinten spazierte Jerdona Zeres mit seinem Orbea-Renner in den umzäunten Bereich. Er nickte Fabian kurz und sachlich zu. Fabian beneidete den Basken keine Sekunden: Man sah ihm den Druck, der auf ihm lag, förmlich an. Unter seinem engen Trikot zeichnete sich der Verband seiner Schulterverletzung ab. Die Wunde war angeblich schon größtenteils verheilt, der Verband nur eine Vorsichtsmaßnahme. So ganz glauben konnte Fabian das nicht. Der Topfavorit auf den Sieg kniete sich nocheinmal neben sein Rad und kontrollierte letzte Einzelheiten. Er wirkte sehr konzentriert. Das Gerede aus dem Frühjahr, das er die Titelverteidigung nicht ernst nehmen würde, war endgültig vergangen. Selten hatte Fabian einen Fahrer gesehen, der so deutlich auf ein Ziel fixiert war wie Zeres. Aber auf diesem Weg musste er erst an ihm vorbei, grinste der Deutsche, während er sich auf sein Fahrrad schwang.
Die nächsten Minuten funktionierte er wie eine Maschine: Das Fahren hinauf auf die Rampe, das einschreiben, den Startplatz einnehmen, Schuhe einklinken, Atmung kontrollieren, Schuhe kontrollieren, Trikot zurecht ziehen. Tausend Sachen schossen ihm durch den Kopf, aber alle wirkten weit weg, wie durch einen Nebel. In seinem Fokus stand... nichts. Er konnte nicht einmal sagen, was er fühlte. Dann das Anzählen. Französisch. Die Sprache der Tour. Das Piepen. Und los ging es.
Das Brüllen der Menge war überwältigend. Er war hier offensichtlich doch bekannt. Er konnte kaum die Stimme aus seinem Begleitwagen verstehen. Die Atmosphäre passte eher zu einem Fußballspiel als zu einem Radrennen. Ihm gefiel es.
Seine Beine waren gut. Wie von selbst schraubten sie sich vorwärts. Es gab Tage, da war jeder Meter eine Qual. Und es gab Tage, da konnte das Zeitfahren gar nicht lang genug sein. Er konnte förmlich spüren, wie er mit jeder Pedalumdrehung Zeit gutmachte. Auf jeden im Feld.
Die Zwischenzeit gab ihm Recht. Cancellara, der hier eben durchgerauscht war und die Zeit von Klöden förmlich pulverisiert hatte, lag schon 8 Sekunden hinter ihm. Und jetzt fing Fabian erst an, richtig Druck zu machen. Die Vorsicht, die er auf dem ersten Teil hatte walten lassen, war purer Gier gewichen. Er befand sich auf dem besten Weg ins gelbe Trikot. Er bremste immer kürzer an, beschleunigte immer wuchtiger aus den Kurven. Der letzte Teil des Parcours war eher für Techniker gemacht, während die Rouleure vor allem bis zur Zwischenzeit auf ihre Kosten gekommen waren.
Kopfsteinpflaster mischte sich mit ein, enge Ampelkreuzungen. Links, ein Italienisches Restaurant. Er wurde nach außen auf die Busspur getrieben und noch bevor er ganz aus der Kurve heraus war, schwang er sich, ganz untypisch für ihn, aus dem Sattel. Um ein Haar touchierte er den Bordstein, doch noch bevor dem Fernsehzuschauer der Atem stocken konnte war er schon einige Radlängen von der kritischen Stelle entfernt. „Pass auf, verdammt nochmal!“ brüllte es hinter ihm. Aber Fabian fuhr wie in Trance. Das Video von heute Morgen war nun Gold wert. Diesmal ging es rechts herum. Wieder bremste er spät. Viel später als alle anderen. Er konnte spüren, wie die Menge den Atem anhielt. Kurz merkte er, wie sein Hinterrad an Grip verlor und drohte, nach außen weg zu rutschen. Er korrigierte kurz den Zug an der Bremse. Der Schrei von hinten bestätigte ihm seine waghalsige Fahrweise. Aber als sie realisierten, wie schnell er die Kurve nahm, hatte er schon wieder Fahrt aufgenommen, diesmal so nah am Bürgersteig, das er sich nicht traute, aufzustehen.
„Gott sei Dank, das war die letzte Kurve!“ Die Erleichterung im Auto hinter ihm war offensichtlich. Da vorne war das Ziel. Fabian aber spürte so plastisch den Schmerz in seinen Beinen, das er nicht einmal daran dachte, im Stehen die letzten Meter zu kurbeln. Mit letzter Kraft wuchtete er seine Wundermaschine über die Ziellinie. Am Jubel der Menschen um ihn herum merkte er augenblicklich, das die Bestzeit ihm gehörte. Jerdona Zeres stand als einziger Fahrer noch aus, doch der Vorjahressieger erlebte erneut ein Prologtrauma: Während er sich an der Zwischenzeit noch achtbar gehalten hatte, lag er im Ziel abgeschlagen mit über zwei Minuten Rückstand hinten. Auf den anderen Fabian hatte er 34 Sekunden heraus geholt, der dritte, Klöden lag schon mit 58 Sekunden zurück. Die Sprinter würden er schwer haben, ihn von seinem Gelben Trikot zu trennen.
Überschwänglich feierte er auf dem Podest die Wiederholung des Triumphes aus dem Vorjahr. All die harte Trainingsarbeit hatte sich schon jetzt ausgezahlt. Das einzige, was ihn ein bisschen wehmütig stimmte, war der Blick nach vorne: Eigentlich konnte es jetzt nur noch bergab gehen.
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Beitrag: # 449257Beitrag arkon
20.7.2007 - 16:14

Wie oft hatte er das schon erlebt? Jerdona kam es mittlerweile vor wie ein ewiges Déjà Vu. Nach nun fast jedem Prolog, den er in seiner Karriere gefahren war, ging er den Weg ins Hotel mit hängendem Kopf. Er hasste es, aber zu ändern im Stande war er bislang nicht gewesen. Vielleicht hätte er sein Bergtraining doch mit ein paar mehr Einheiten für das Zeitfahren durchsetzen sollen. Nun ja, ändern konnte er es nicht mehr.
Die Fahrt zurück im Teamfahrzeug verlief schweigend. Sanchez, der neben ihm saß, war eingeschüchtert. Er hatte ihn zwar in den letzten Wochen ein wenig kennen gelernt, aber so richtig geöffnet hatte er sich nicht. Und jetzt saß er, einer der berühmtesten Radprofis der Welt, neben ihm und war alles andere als gut gelaunt. Als er sich umschaute zu ihm konnte er das unterbewusste Zittern fühlen, das den Körper seines Helfers durchlief. Jerdona wünschte sich, nur annähernd so mächtig zu sein, wie Sammy sich ihn vorstellte, wie er ihn sich wünschte. Die Niederlage heute war abzusehen gewesen, eigentlich war alles noch in dem Bereich Kalkulationen, aber nichts desto trotz war es schwer für ihn. Wäre es ein Prolog gewesen, hätte er heute sogar sein Gelbes Trikot aus dem Vorjahr wieder zur Schau stellen können, dann hätte es ihn sogar noch härter getroffen.
Als sie am Hotel ausstiegen, hatte er immer noch kein Wort verloren. Unwillig schleppte er sich die Treppe hoch zur Massage. Erst jetzt konnte er fühlen, was Freunde bedeuteten. Yuri war für ihn doch wesentlich mehr gewesen als nur ein Zimmerkamerad. Neben ihrem fast schon blindem Verständnis im Rennen verband sie ein viel stärkeres Band: Jerdona brauchte ihn.
Mißmutig legte er sich auf die Bank. Noch bevor der Masseur richtig begonnen hatte verlangte Jerdona schon ein Telefon. Er würde ihn anrufen, und Yuri würde kommen. Verdammt, es gab doch kaum einen besseren Platz zum trainieren als die Tour. Er konnte sich unter die Hobbyfahrer mischen, Moral tanken... Und, zum Teufel, er sollte ihm beistehen! Er wählte die Nummer des Russen aus der Schnellwahl.
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Beitrag: # 449506Beitrag Grabba
20.7.2007 - 23:26

Damit du hier nicht ganz alleine bist mit deinen Postings: Weiterhin richtig klasse, auch dieser letzte Post war mal wieder... toll. :)
Einzig und allein diese völlig übertrieben überdimensionale Zeitfahrleistung von Fabian war ja mal etwas zu krass... 35 Sekunden auf den zweiten bei 8 km... Fast eine Mintue auf den Dritten. Sorry, aber das ist schon unglaubwürdig. ;)

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Beitrag: # 449528Beitrag HamitonFan007
20.7.2007 - 23:55

Naja. Fabian hat ja diese Zeitfahrmaschine. ich glaube mit den hohen Abständen wird gezeigt, dass Fabian sich echt in einer klasse Form befindet.
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Beitrag: # 449675Beitrag arkon
21.7.2007 - 13:16

und das so einem alt-eingesessenen leser meines aars...
viewtopic.php?t=10259&postdays=0&postor ... &start=315
und ja, ich sollte wirklich besser die profile gleich mitposten.
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Beitrag: # 449714Beitrag Grabba
21.7.2007 - 14:36

:oops: Sorry, alles klar. Ich war halt einfach mal von der RL-Tour ausgegangen und hatte nicht daran gedacht, dass du schon beim Prolog Änderungen vorgenommen haben könntest. Alles klar, dann gibt das auch wieder Sinn, ok... Aber Profile bzw. Beschreibung desselben wäre doch sehr gut, auch wenn es dir vielleicht nicht ganz schmecken mag (wenn dus als Text einbindest sollte das eigentlich ganz gut reinpassen)... Aber ok, mein Fehler, ich faules Kindchen. *g*

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Beitrag: # 451130Beitrag arkon
23.7.2007 - 21:53

Insgeheim war er froh. Es hatte zwar einige Zeit gedauert, und eigentlich durfte er es auch keinem sagen. Aber Fabian atmete auf, als er das Gelbe Trikot verloren hatte.
Es war auf einer der Flachetappen geschehen, so genau konnte er sich auch nicht mehr an den Tag erinnern. Eine Ausreißergruppe war dem Feld entflohen. Ohne gefährliche Fahrer hatte T-Mobile die Verfolgung nicht forciert. Fabian hatte einen weiteren sonnigen Tag in Nordfrankreich genossen, das Team hatte ein wenig rumgealbert und die Sprinterteams waren schließlich zu spät in die Führung gegangen. Auf der sich nun entfaltenden furiosen Jagd auf Abtrünnigen mussten die Teamchefs sich eingestehen, den Kampfeswillen der Entflohenen unterschätzt zu haben. Aus zehn Minuten wurden schnell fünf, aber je näher das Feld, welches sich aus der Hubschrauberperspektive der Form nach einer Perlenschnur annäherte, der Spitzengruppe kam, desto entschlossener traten diese in die Pedale. Dann, als zehn Kilometer vor dem Ziel der Abstand immer noch bei über zwei Minuten lag, gaben die Teams ihre Bemühungen auf. Die Apostaten witterten ihre Chance und verschärften nocheinmal das Tempo. So ging nicht nur der Etappensieg in an die Mutigen, auch mit dem Gelben Trikot wurden ihre Reihen geziert.
Fabian Schmidt, im Ziel immer noch bester Jungprofi, konnte ein entspanntes Lächeln bei einem kurzen Interview nicht Unterdrücken. Er freute sich auf die ersten Minuten mit Louise seit dem Beginn der Tour. Bislang war sein Terminplan bis unter die Decke vollgestopft gewesen, und sie war auch nicht nur zum Vergnügen im Tourtross. So wurde aus dem eigentlich unschönen Ereignis der beste Tag seit dem Prolog in der Tour.
Auch wenn er seine sexuelle Enthaltsamkeit nicht brach, so half es doch erheblich, einen Teil des Drucks an einen darüber glücklichen Fahrer abgeben zu können und die andere Hälfte zu teilen.
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Beitrag: # 451213Beitrag arkon
24.7.2007 - 1:32

14. Juli 2007, Annemasse

Bild
7. Etappe, 183 km länge, von Annemasse nach Les Arc 2000. Die erste Hochgebirgsetappe der Tour de France 2007. Drückt kurz F5, damit ihr auch die schöne Version des Profils habt.

Die Berge kamen nicht mehr näher. Sie waren da. Als Jerdona an diesem Morgen aus dem Fenster seines Hotels blickte, konnte er sie sehen. Noch vor der Dusche stand er einige Minuten gebannt an der Scheibe und blickte hinaus auf die majestätische Schönheit der uralten Gipfel im Morgennebel. Er hatte sich gestern noch dafür eingesetzt, das er ein Zimmer mit Blick hinaus auf die Alpen bekam, und nicht, wie die meisten im Team, mit Seeblick. Der Genfer See, keine fünf Kilometer entfernt, bot zwar auch einen schönen Anblick, aber es war nicht ganz das, was er am Morgen brauchte, um sich zu motivieren. Er bildete sich ein, im Hintergrund schon den Colombiere erkennen zu können, den ersten Gipfel des Tages.
Annemasse, das zum zweiten mal als Ausgangspunkt einer Etappe diente, war zu einem einzigen Ort der Betriebsamkeit mutiert. Unten in den Straßen huschten schon so früh am Morgen zahlreiche Leute umher. Reporter, Kameraleute, Teamhelfer, Hobbyfahrer, Zuschauer, alle waren sie da. Und vor seinem Hotel herrschte Belagerungszustand. Dave, der ihn bei der Tour bisher auf Schritt und Tritt begleitete, hatte sich selbst Verstärkung organisiert. Nach und nach hatte er die Sicherheit des gesamten Teams zu seiner Aufgabe gemacht. Und heute Morgen brauchte er ihn mehr als je zuvor. In London hatten die Organisatoren der Tour und vor allem die britische Polizei noch für Ordnung gesorgt, hier jedoch mussten sie das selber übernehmen. Das Foyer des Hotels war von 4 bulligen Kerlen am Eingang abgeriegelt worden. Die anderen Teams hatten weiß Gott nichts gegen die Ruhe, die sie sonst schon Morgens beim Frühstück zum Teil vermissten.
Als Jerdona sich an den Frühstückstisch setzte, spürte er auch in der Mannschaft selbst eine Veränderung. Seine Jungs wussten genau, was er heute von ihnen verlangen würde. Konzentriert und vielleicht auch ein bisschen besorgt ob der fast übermenschlichen Aufgabe, die sie sich heute gesetzt hatten, schaufelten sie schweigsam die erste Mahlzeit des Tages in sich hinein. Der Chef selbst erhielt auf seinen Gruß nur murmelnde und kurze, genickte Antworten.
Erst bei der Teambesprechung wachten auch die Geister spürbar auf. Vor allem Emanuel versuchte sich ein wenig als Klassenclown und riss den Fokus der Helfer nach außen. Die ersten Gespräche entwickelten sich, es wurde ab und zu verhalten gescherzt. Der junge Trainer war immer noch ein wenig enttäuscht von der verbissenen Einstellung, die Jerdona's Mannen an den Tag legten, aber er ließ sich seine Sorgen nicht anmerken.
Gemeinsam begaben sie sich zum Start, lediglich Jerdona mied die Hauptrouten und ließ sich Dave durch einige kleine Gässchen zum Start eskortieren. Noch ein kurzes Interview, dem er nicht entgehen konnte, abgeben, einschreiben und dann in die Masse der Fahrer flüchten. Er hatte heute wirklich keine Lust auf die Presse. Jede Frage schien ihm überflüssig, jedes Wort verschwendet. Er sparte schon wieder, hin auf den Schlussanstieg. Hinauf nach Les Arc würde er ihnen alle seine Antwort geben, klarer und deutlicher als er es mit Worten je hätte tun können.
Langsam setzte sich der Pulk der Fahrer in Bewegung. Zuerst widerwillig schlugen sie ein mehr als moderates Tempo an. Es würde ein harter Tag werden, ein verdammt harter Tag. Die Marschtabellen waren schon extrem pessimistisch, aber was die Fahrer in den ersten Kilometern zeigten kratze am Rande der Bezeichnung Sport: Eine Breite Front an Fahrern rollte über die gut ausgebaute Nationalstraße in Richtung Marnaz. Dort würde die Straße den Knick nehmen, hinaus aus dem Tal und hinein in die Steigung. Dann, rund 10 Kilometer bevor die Tour endgültig die Alpen erreichte, gab es die ersten Attacken. Fast schon erleichtert nahmen gleich mehrere Teams die Verfolgung auf. So wurde dann in den Colombiere hinein doch noch ein ganz gutes Tempo gefahren.
Zur allgemeinen Überraschung ebbte der Strom der Angreifer nicht ab. Über 20 Fahrer versammelten setzten sich in mehreren Gruppen vom großen Hauptfeld ab. Zur großen Überraschung vieler attackierte mit Michael Rogers auch ein erster Gefahrenpunkt im Gesamtklassement. Jerdona schickte einige Helfer nach vorne und behielt gemeinsam mit Caisse d'Epargne und Rabobank die Situation unter Kontrolle. Das virtuelle gelbe Trikot konnte sich Rogers dann aneignen, als Michael Rasmussen aus dem Hauptfeld attackierte. Ein weiterer guter Grund, Tempo aufzunehmen. Astana klinkte sich mit ein und so wurde aus der anfänglichen Spazierfahrt dann doch noch eine wilde Hatz.
Bis zur Abfahrt vom Cormet de Roselend: Als gefährlich bekannt übetraf sie noch alles, was man befürchtet hatte: Rogers stürzte, fiel zurück und musste schließlich das Rennen aufgeben. Er befand sich in großer Gesellschaft. Die Ausreißer wurden geschwächt und die Berge rissen erste, klaffende Wunden in das Fahrerfeld. Zuvor hatte schon der Aufstieg auf den Gipfel Opfer gefordert, aber anderer Art: Die Gruppe der Favoriten war nun sehr erlesen, um jegliches Fett erleichtert. Damit war nun alles vorbereitet für den großen Kampf auf dem Weg hinauf, hinauf nach Les Arcs.

Tobias Schuster schaute sich nochmal die Eckdaten des Anstiegs im Begleitheft der Tour an: 26 km Länge brauchte er um die Fahrer 1315 Meter in die Höhe zu schrauben, womit er auf durchschnittlich 5.1 % kam. Damit war er von den Eckdaten her durchaus mit dem Galibier vergleichbar, mit der Anfahrt über den Telegraphe wohlgemerkt. Beim bisher einzigen Besuch hier oben hatten die Veranstalter Mitleid gehabt und den Anstieg nur bis 1700 m geführt. Heute aber stand ihnen die ganze Distanz bevor. Schon die damalige Distanz hatte gereicht um Miguel Indurain, den großen Indurain, in die Knie zu zwingen. Welcher Held würde heute straucheln? Im Pressezentrum war jede Aktivität erlahmt. Gebannt starrten alle auf die Bilder von der Etappe. Wer würde den ersten Schritt wagen? Wer würde den Kampf eröffnen? Das erste, was sie sahen, war ein Zug der Kelme-Euskadi Mannschaft. Die Helfer von Zeres spannten sich vor das Feld und entfachten ein fast schon unheimliches Tempo. Keine Frage, für wen. Jeder, der noch kleine Zweifel gehabt hatte, wie Zeres sich fühlte, wurde zum Schweigen gebracht. Der Titelverteidiger war augenscheinlich bereit.

Das Tempo gefiel ihm. Neben sich konnte er Haimar schon schwer keuchen sehen. Sein Edelhelfer war schon jetzt fast in Schwierigkeiten, noch bevor er selber das Tempo übernahm. Er fuhr nach außen und ließ sich zurückfallen. Die meisten Gesichter hier hinten waren auch nicht mehr allzu frisch. Und er selbst konnte fühlen, wie seine Beine die Steigung fast ohne Widerstand empor spulten.
Ohne lange nachzudenken griff er an.

Tobias riss es fast aus seinem Sitz. Spielerisch leicht forcierte Jerdona das Tempo und legte eine riesige Lücke zwischen sich und das Feld, noch bevor irgendjemand reagieren konnte. Mit einem Schwenk zurück erfasste die Kamera die Auswirkung der Verschärfung auf die Gruppe: Chaos. Die Kelme-Euskadi-Phalanx, die eben noch das Bild beherrscht hatte, war verschwunden. Etliche Tourfavoriten bahnten sich ihren Weg nach vorne und schmissen ihre Edelhelfer in die Waagschale. Die Lücke musste geschlossen werden. Schnellstens.

Zeres ließ wieder locker. Die Nummer eins des Rennens wartete. Er hatte ersteinmal erreicht, was er wollte. Mit einem Blick zurück konnte er sie erkennen: Ein Pulk an Fahrern jagte ihm hinterher. An der Spitze sorgte Frank Schleck für Tempo, dahinter versteckten sich immer noch fast alle Fahrer, die man für diese Tour auf der Rechnung haben musste. Geplatzt war bei seinem ersten Angriff keiner. Er hatte alle seine Helfer verloren, wie er mit einem Blick über die Köpfe der anderen hinweg feststellte. Aber das interessierte ihn eigentlich auch nicht wirklich. Endlich hatte das Rennen wirklich begonnen. Schleck war sichtlich bemüht, alles nach vorne zu werfen, was er hatte. Er wollte einen weiteren Antritt des Basken verhindern. Aber damit würde er kein Glück haben.
Wieder ließ sich Jerdona einige Reihen zurückfallen und schaute seinen Widersachern in ihre Gesichter. Bei einigen zeichnete sich schon das ab, was er erwartete: Panik. Sie hatten einfach nur Angst. Denn wenn er das Rennen so gestaltete, wie er es angekündigt und nun schon einmal angedeutet hatte, dann würden sie die Tour schon heute verlieren. Sie hatten versucht, die Etappe langsam zu fahren, einige Stellvertreter vor zuschicken. Sie hatten Kelme in die Pflicht getrieben und ihnen nur leicht unter die Schultern gegriffen. Aber trotzdem konnten sie nicht verhindern, dass er selbst hier herumfuhr wie er wollte. Sie rochen Minutenabstände und bekamen das kalte Grauen.
Jerdona grinste und griff wieder an.

Diesmal hatte Fabian es kommen sehen. Bei der ersten Verschärfung war er noch weit zurück gewesen. Er war weit zurückgefallen und hatte seinen Rhythmus gesucht. Streng nach Pulsuhr war er wieder an die Gruppe herangekommen. Jetzt, wo er gerade wieder locker lassen musste, kam ihm der Angriff eigentlich ganz recht. Wie die verrückten stoben alle hinterher. Während gerade eben noch etwas Ruhe und Übersicht geherrscht hatte brach nun die Panik aus. Der Toursieg schien in Gefahr! Evans rauschte eben an ihm vorbei. Fast hätte er ob so viel Impulsivität den Kopf geschüttelt, aber so locker lief es für ihn auch wieder nicht. Er musste schon ziemlich beißen, aber das war auch der Sinn der Übung. Bis zum Gipfel, die ganzen nächsten Kilometer, würde er genau so fahren. Immer die gleiche Pulsfrequenz, immer die gleiche Trittfrequenz.

Endlich hatte er sie! Jerdona konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Vinokourov, Valverde und Moreau stürmten an ihm vorbei, Evans, Klöden, Contador und Sastre dahinter. Diese Gruppe war ideal. Er ließ ein paar Meter Raum und gab seinen Helm an sein Teamfahrzeug ab. Er brauchte keine Worte mit Emanuel wechseln. Ein Blick genügte. Jetzt konnte der Spaß beginnen!
Mühelos spurtete er an der Gruppe vorbei und setzte sich neben den kasachischen Spitzenreiter. Vinokourov musste offensichtlich ziemlich beißen. Das konnte er haben. Wieder erhöhte Jerdona die Schlagzahl, aber diesmal war es kein Antritt. Mit flüssigen Bewegungen ging er aus dem Sattel und zog einfach das Tempo an. Er würde diese Geschwindigkeit bis oben halten können. Aber wie sah es mit den anderen aus? Wer bisher schon am Limit war, der würde jetzt ernsthafte Probleme haben. Ohne sich noch einmal umzudrehen fuhr Jerdona weiter.

Das Wort „radeln“ schoss Tobias durch den Kopf. Etwa so sah es aus. Wie eine kleine Spazierfahrt mit ein paar alten Omas auf ihren Hollandrädern. Noch ließ keiner Abreißen, aber es war eigentlich klar, das es früher oder später zum GAU kommen würde. Und Zeres wusste es ebenso gut. Der Berg war noch lang genug, um echte Abstände zustande zu bringen, und wenn die anderen es sich auch einredeten: Solange sie hier am Hinterrad blieben und dem sich stetig ändernden Rhythmus von Zeres folgten würden sie früher oder später daran zugrunde gehen. Und von seinen Begleitern sah keiner stark genug aus, noch eine Attacke lancieren zu können.

Endlich. Da vorne war Rasmussen. Und dann kam auch gleich schon das kurze Flachstück. Das Grande Finale kam näher. Aber für den Moment verabschiedete er sich aus der Führung. Valverde brachte die Gruppe die letzten Meter in den Ort hinein, wo die Strecke für 3 Kilometer nahezu flach wurde. Und jetzt profitierte er davon, seine Opfer bis hierher verschont zu haben: Keiner wollte den eben mühsam heraus gefahrenen Vorsprung auf die Verfolger verschenken und so arbeitete die Gruppe wunderbar zusammen, um über das kurze Flachstück richtig Tempo zu bolzen. Zeres initiierte das Tempo von der Spitze aus und fluchs hatten sich die Fahrer in einem belgischen Kreisel zusammen gefunden. Wie beim Teamzeitfahren rauschte der Express der Favoriten durch die Ortschaft. Wer von hinten wieder herankommen wollte, der würde nun seine liebe Müh haben.
Nach einer langen Gerade parallel zum Tal schlängelte sich die Straße kurz durch das Zentrum der Skiortschaft. Und hier passierte es: Vinokourov fuhr von der Spitze aus, nahm eine Kurve zu schnell, zu eng und krachte in eine der Absperrungen. Klöden, der direkt hinter ihm war, konnte nicht mehr ausweichen und stürzte über seinen Kapitän hinweg. Die anderen bremsten rechtzeitig und kamen mit einem Schrecken davon.
Sofort verschleppte das Tempo wieder, aber das kümmerte im Moment niemanden. Jerdona versuchte, noch einen Blick nach hinten zu erhaschen, aber da kam schon die nächste Kurve. Der Schrecken saß tief und in das Mitleid für die beiden Astana-Profis mischte sich schnell Freude über die eigene Unversehrtheit.
Das Adrenalin kochte noch in seinen Adern als sie den letzten Teil der Steigung erreichten. Über seinen Teamfunk hörte er, das Klöden weiterfahren konnte, aber Vinokourov wohl schwerer verletzt schien. Aber er bekam es nur am Rande mit. Wirklich in sein Bewusstsein drangen diese Sätze nicht. Ohne nachzudenken griff er an, sobald sie die letzten Anstieg erreicht hatten. Die anderen hatte zwar so etwas erwartet, doch nicht mit dieser Brillianz. Mühelos riss er die Lücke. Die Gesichter hinter ihm schwankten zwischen Ungläubigkeit und Entsetzen. Er drehte sich wieder nach vorne und pumpte weiter. Nun war er endgültig am Limit. Keine Taktik. Seine Karten waren auf dem Tisch. Wenn ihn jetzt jemand einholen würde dann könnte er nichts mehr zusetzen. Dann wäre die Tour so gut wie verloren. Aber es würde keiner. Über Funk hörte er die Abstände, und mit jedem Meter wurde er zuversichtlicher. Das letzte Teilstück war nur 4 Kilometer lang, aber sehr steil. Hier unten waren es um die 9,6 %, genau nach seinem Geschmack. Nach oben flachte es etwas ab, aber nur bis 6,7 %. Wer in Schwierigkeiten war, ernsthafte Schwierigkeiten, der war verloren.
Aus den anfänglich 30 Sekunden auf seine Widersacher wurde schnell die ersehnte Minute. Evans hatte als Bestplatziertester der Gruppe in etwa so viel Rückstand auf ihn. Die bedeutete... dort oben wartete auf ihn sein nächstes Gelbes Trikot! Wenn er noch etwas in seinem Körper schonte, dann bestrafte er es spätestens jetzt. Mit aller Gewalt richtete er sich nochmals auf und presste alles aus sich heraus.
Das Blut rauschte jetzt mit unglaublichen Druck durch seinen Kopf. Sein Schädel dröhnte, seine Sicht verschwamm. Nur noch schemenhaft konnte er die Straße und die Zuschauer wahrnehmen. Seine Beine, eben noch von pochendem Schmerz erfüllt, fühlten sich wächsern und taub an. Nach und nach schwanden seine Sinne. In dem Tornado, der in seinem Inneren wütete, klammerte er sich an das letzte bisschen, was von seinem Gleichgewichtssinn übrig war. Nach und nach kämpfte er sich auch seine Sicht wieder zurück.
Fast ohne es zu merken erreichte er die letzten Meter der Etappe. Erst 200 Meter vor dem Ziel schnappte sein hängender Kopf kurz zurück. Mit letzter Kraft richtete er sich nochmal auf, sprintete kurz nach vorne, und riss den Reißverschluss an seinem Trikot nach oben. Ohne Kraft, seine Arme zu heben wuchtete er sie bis auf Kopfhöhe und rollte mit geschlossenen Augen über die Ziellinie. Ohne zu bremsen fuhr er weiter, nur halb bei Bewusstsein. Ein Betreuer fasste ihn an der Schulter und zog ihn von seinem Rad. Wenigstens musste er keine Fragen der Presse über sich ergehen lassen. Aber als er auf dem rauen Asphalt im Ziel saß und langsam eine Flasche Wasser eingeflößt bekam da hätte er schon gerne seine Gesundheit gegen ein paar Interviews getauscht.
Zu seiner und Emanuels großer Erleichterung konnte der neue Träger des Gelben Trikots aber schon wieder aufstehen, bevor noch alle seiner Konkurrenten um den Gesamtsieg im Ziel waren. Ehemalige Konkurrenten, hätte er sich fast in Gedanken korrigiert. Die Gruppe um Evans war mit mehr als 1:50 ins Ziel gekommen, Schmidt hatte sich auf dem letzten Abschnitt noch einmal auf 2:05 heran gekämpft. Zusammen mit den Zeitgutschriften reichte es gerade so für Zeres, um Gelb auch wirklich zu übernehmen.
Im Siegerinterview der Etappe dann kam die Frage, die er ein wenig fürchtete: „Wie schätzen sie denn ihre Chancen im Zeitfahren morgen ein?“ Er druckste ein wenig herum und speiste den Reporter mit einer halbherzigen Antwort ab, um sich dann endlich auf dem Podium 'sein' Trikot wieder abzuholen. Mit einem breiten Grinsen, aber immer noch ein wenig wackelig auf den Beinen ließ er sich von den Ehrengästen beglückwünschen und vom Publikum bejubeln. Für diesen Moment hatte er trainiert. Die Tour war noch nicht entschieden, aber er hatte sich schon einmal auf Augenhöhe katapultiert.
wer keine ahnung hat - einfach mal die fresse halten

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